I. Regionale Organisation Des SD

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I. Regionale Organisation Des SD I. Regionale Organisation des SD 1. Räumliche Gliederung Analog zu seiner Stellung im Gefüge der nationalsozialistischen Herrschaft war auch die räumliche Gliederung des Sicherheitsdienstes nicht statisch, sondern stän- dig im Wandel begriffen. Die äußere Hülle präsentiert sich unstetig und ist ähnlich schwer zu fassen wie sein innerer Charakter. Zwischen 1932 und 1945 wurden fast im Jahresrhythmus Reorganisationen durchgeführt, die die räumlichen Grenzzie- hungen und regionalen Unterstellungsverhältnisse immer wieder veränderten.1 Dies trifft besonders auf den mitteldeutschen Raum zu, der mit den Ländern Sachsen, Thüringen, Anhalt und Preußen bereits auf staatlicher Seite stark zer- klüftet war.2 Deshalb scheint hier eine Darstellung, die - anders als der größte Teil dieser Arbeit - dem Ablauf auf der Zeitachse chronologisch folgen wird, ange- bracht, um weiterführende Prozesse und Merkmale in ihrer regionalen Reichweite richtig abschätzen zu können. Im Hinblick auf den regionalen Schwerpunkt dieser Arbeit wird die besondere Aufmerksamkeit auf der Entwicklung im Land Sachsen liegen. Um für dieses Land die Verbindung von der Organisationsgeschichte zur Bio- grafieforschung zu finden, werden in einem direkt anschließenden Exkurs die ent- scheidenden SD-Führer porträtiert. Da es sowohl aus den zentralistischen Organi- sationsstrukturen heraus als auch von der Selbsteinschätzung dieser Männer her nie einen spezifisch „sächsischen" Sicherheitsdienst gegeben hat, ist Mitteldeutsch- land die entscheidende Größe. Im biografischen Teil soll es darum gehen, welchen biografischen Hintergrund die Männer hatten, die die Strukturen ausfüllten. Um diese regionale Elite einord- nen, ihre spezifische Mentalität und die von Heydrich zugewiesene Aufgabe als an allen Fronten einsetzbare politische Kämpfer erkennen zu können, darf sich die Darstellung nicht auf deren Zeit in Sachsen beschränken. Diese Tätergruppe ist viel- mehr definiert durch ihren ständigen Wechsel zwischen der Heimatfront und der Front des Vernichtungskrieges, zwischen den innerdeutschen SD-Abschnitten und den Tötungskommandos der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. 1 Auch die Protagonisten konnten dem rasanten Tempo nicht immer folgen: „Aufgrund der Anfragen verschiedener SD-Abschnitte wurde festgestellt, dass über die räumlichen Gren- zen der SD-Leitabschnitte bei den einzelnen SD-Dienststellen Unklarheiten bestehen", notierte der Organisationschef des RSHA, Werner Best, im Jahre 1940. RSHA I, Räum- liche Gliederung der SD-(Leit-)Abschnitte, 24.6.1940, in: USHMM, RG-11.001 M, Reel 17, B1.73 (= Sonderarchiv Moskau, Fond 500-5-1). 2 Zum hier durchgängig benutzten Mitteldeutschland-Begriff, der erstmals im Zuge der Neugliederungs- und Großraum-Euphorie der 20er Jahre in Deutschland popularisiert wurde und nach 1990 als Synonym für die Länder Sachsen, Thüringen und Sachsen-An- halt verwendet wird, vgl. J. John, Mitteldeutschland-Bilder; W. Bramke/U. Heß (Hrsg.), Sachsen und Mitteldeutschland. 32 I. Regionale Organisation des SD Über die Organisationsstruktur der frühen Jahre des SD von 1932 bis 1935 hat George C. Browder bereits vor längerer Zeit eine Veröffentlichung vorgelegt. „Hoffnungslos verwirrend" nennt Browder die vielen im frühen SD parallel ver- wendeten und sich oftmals widersprechenden Bezeichnungen der Dienststellen, die insgesamt eher „unsere Unkenntnis des frühen SD" beweisen.3 Browders Selbstkritik korrespondiert mit der hier vertretenen These, dass seinerzeit auch die SD-Zentrale um Reinhard Heydrich kein klares Bild von ihrem organisatorischen Unterbau hatte. Franz Six, der später für Heydrich vom Berliner SD-Hauptamt aus den Inlands-SD reorganisiert hatte, beklagte rückblickend, dass die Verbin- dung zu den nachgeordneten Dienststellen anfangs nur ungenügend gewesen sei. Die in den ersten Jahren schwache Zentrale - eine Aussage, die organisatorisch, nicht politisch zu verstehen ist - und ihre Dependancen in den Ländern arbeiteten aneinander vorbei. „Die früher unterbrochene Verbindung vom Sicherheitshauptamt zu den Oberabschnitten wurde planmäßig hergestellt", referierte Six die Aufgaben, die bei seinem Dienstantritt im April 1937 auf ihn gewartet hatten.4 Erst langsam sei es ihm, dem Heydrich auch aufgrund seines Organisationstalents die Leitung des In- landsgeheimdienstes übertragen hatte, gelungen, die Regionalführer zu disziplinie- ren und zu „einem organisch geschlossenen einheitlichen Apparat" zusammenzu- schweißen.5 In der Sache waren sie schon immer mit dem Hauptamt auf einer Linie gewesen, etwa wenn es um die Definition des Gegners und Strategien zu dessen Verfolgung ging. In Fragen der Organisation, der Aktenführung und auch was die Modalitäten der Werbung und Verpflichtung neuer Mitglieder und V-Leu- te in ihren Regionen anging, waren die regionalen Führer dagegen weitestgehend unabhängig gewesen. Das größte Manko war, dass die Regionalführer selbst ent- 3 G. C. Browder, Anfänge des SD; vgl. auch S. Aronson, Reinhard Heydrich, S. 171; A. Ramme, Sicherheitsdienst der SS, S.46f., 278; zum aktuellen Forschungsstand über die frühe räumliche Gliederung des SD, der aber nur geringfügig über die älteren Arbeiten von Aronson und Browder hinausgeht, vgl. G. C. Browder, Hitler's Enforcers, S. 109-124; Ders., Foundations of the Nazi Police State, S. 91-97, 110-116; W. Dierker, Himmlers Glaubenskrieger, S.48-52; U. Herbert, Best, S. 141-143, 186f.; zur Organisationsgeschichte von SS, Sipo und SD allgemein vgl. W. Best, Deutsche Polizei; M. C. Yerger, Allgemeine- SS; H. Buchheim, Anatomie des SS-Staates, S. 33-100; Strukturdiagramme und Karten bei R. L. Koehl, The Black Corps, S. 257-269; H. Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich, S. 14-17; J. Banach, Heydrichs Elite, S. 174-208. 4 Der Journalistikdozent Franz Six wurde am 20. April 1935 ins SD-Hauptamt geholt. Heydrich erkannte dessen Organisationstalent und übergab ihm am 20. April 1937 die Zentralabteilung II/l „Weltanschauliche Auswertung", also den Teil des SD, der gegen die weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus operierte. Kurz darauf erhielt Six auch die Leitung der Zentralabteilung II/2 „Lebensgebiete". „Damit hat sich der Zuständig- keitsbereich von der ursprünglichen Pressearbeit auf die gesamte Inlandsarbeit ausge- weitet", schätzte Six seine Stellung rückblickend ein. Nach der Vereinigung der beiden Zentralabteilungen bezeichnete er sich als „Leiter II". Vgl. SD-HA Leiter II (Six), Die Entwicklung des Amtes II (1935-1939), 17.7.1939, in: BA-DH, ZR 536, A. 6, Bl.227ff.; vgl. auch L. Hachmeister, Gegnerforscher; M. Wildt, Generation des Unbedingten, S. 176, 248-250. 5 SD-HA Leiter II, Die Entwicklung des Amtes II (1935-1939), 17.7.1939, in: BA-DH, ZR 536, A. 6, B1.233. 1. Räumliche Gliederung 33 schieden, welche weiteren Mitarbeiter sie beschäftigten und wen sie in ihrem Ge- biet als Unterführer einsetzten.6 So musste die zentrale Berliner Judenabteilung im Dezember 1936 feststellen, dass die Besetzung der örtlichen Judenreferate „nach vollkommen falschen Ge- sichtspunkten vorgenommen" worden sei.7 Die nötige „weltanschauliche Gleich- richtung" aller einzeln eingestellten Referenten in den Oberabschnitten wurde erst langsam in Angriff genommen.8 Six' erklärtes Ziel, das er im Laufe der Jahre 1937/38 auch erreichte, war, dass er nicht nur in strategisch-politischen Fragen, sondern „gegenüber den unterstellten Dienststellen auch arbeitsmäßig die Füh- rung übernahm".9 Zu diesem Zweck wurden die zehn SD-Oberabschnitte regel- mäßigen Inspektionen unterworfen: Erst als Six' Berliner Mitarbeiter im Sommer 1937 reihum die deutschen Oberabschnitte bereisten, konnten sie sich ein reales Bild machen, wer vor Ort die weltanschauliche Elite etwa als Juden- oder Kir- chenreferent repräsentierte - was manch unliebsame Überraschung ans Licht brachte. „Jung und unerfahren" war noch einer der positiveren Kommentare.10 Insgesamt lässt sich die gesamte Organisationsgeschichte des SD als eine konti- nuierliche Zentralisierung beschreiben. Der erste von Six im Auftrag Heydrichs durchgesetzte Schritt war 1937 die Gleichschaltung der regionalen SD-Oberab- schnittsführer, die, obwohl ausgesprochene „Charakterköpfe" mit starker Persön- lichkeit und Durchsetzungsvermögen,11 im SD nie auch nur annähernd eine Machtstellung wie etwa die Gauleiter der NSDAP erreichen sollten. Als führerun- mittelbare Eliteorganisation gab sich der SD eine zentralistisch ausgerichtete Form. Jener seit 1933 wuchernde, von persönlichen Machtinteressen getriebene „Gau- partikularismus", den Heydrich und Six als eines der größten Übel des National- sozialismus ausgemacht hatten, durfte nicht auch in ihrer Organisation Einzug halten, wollte man als Gegengewicht der „Reichseinheit" gegen die Gauleiter und andere regionale Interessengruppen, etwa in der Wirtschaft oder der Kultur, auf- treten.12 In die von Six initiierte Gleichschaltung der Oberabschnitte ist auch die erste Versetzungswelle unter den Oberabschnittsführern Ende 1936 einzuordnen. Durch diese erstmalige Personalrotation zerriss Heydrich die seit 1932 in Ruhe gewachsenen landsmannschaftlichen Strukturen. So wurde auch der von Beginn an 6 Vgl. SD-HA 11/121 an II/l, Inspektionsbericht für Außenstellenleiter des SD-UA Frank- furt/Oder, 6.7.1937, in: BA-DH, ZB 7040. 7 SD-HA 11/112 an II/l, Ausbau der Abteilung 11/112 im Jahr 1937, in: BA, R 58/991, Bl.40; SD-HA 11/121, Inspektionsbericht für II/l, 23.7.1937, in: BA-DH, ZB 7040. 8 Vgl. SD-HA 1/112, Schulungskurse der Oberabschnittsreferenten im SD-Hauptamt Ber- lin (Befehl für den SD Nr. 38/36), 24.7.1936, in: BA-DH,
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