Ganz Und Gar Nicht Ohne Interessen Deutschland Formuliert Nicht Nur Klare Ziele
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Internationale Politik Ganz und gar nicht ohne Interessen Deutschland formuliert nicht nur klare Ziele. Es setzt sie auch durch von August Pradetto In den zurückliegenden Jahrzehnten hat Deutschland seine nationalen Interessen evident formuliert und auch erfolgreich durchgesetzt. Doch trotzdem ist Kritik zu vernehmen – dabei lassen sich Wissenschaftler oftmals von subjektiven Wunschvorstellungen und parteipolitischen Präferenzen leiten, Militärs von frustrierenden Erfahrungen. Mehr denn je ist Deutschland interna- entweder eine unzureichende Be- tional und vor allem regional verfloch- rücksichtigung der Umfeldbedingun- ten. Eine autonome Definition der ei- gen oder aber der „eigenen“ Interes- genen nationalen Interessen ist außer- sen zum Inhalt. Politisch verortet, halb der gegebenen politisch-instituti- wird der erste Vorwurf eher vom lin- onellen Eingebundenheit und ohne ken politischen Spektrum („Idealis- Rücksicht auf Nachbarn und Partner ten“, „Institutionalisten“), der zweite „gar nicht mehr möglich“ (Thomas vom rechten („Realisten“) erhoben. Prof. Dr. AUGUST Risse). Nationale Interessen lassen Deutsche Regierungen haben die PRADETTO, sich von europäischen, transatlanti- nationalen Interessen zumeist ein- geb. 1949, lehrt schen oder globalen Interessen nicht deutig definiert. Darüber hinaus ist internationale Politik an der Helmut- mehr eindeutig abgrenzen. Davon ist nicht nur ein hohes Maß an Kongru- Schmidt-Universität/ die deutsche Politik seit vielen Jahren enz zwischen Interessendefinition Universität der geprägt, und zwar unabhängig von der und Interessenwahrnehmung festzu- Bundeswehr jeweiligen Regierungskonstellation. stellen, sondern auch eine sehr erfolg- Hamburg. Er ist Die Definition deutscher Interessen reiche Um- und Durchsetzung dieser Herausgeber der seit 2004 ist notwendigerweise immer „institu- Interessenpolitik. Das Kriterium, das erscheinenden tionalistischer“ geworden, d.h. in die dieser Bewertung zugrunde liegt, be- Schriftenreihe Bestimmung deutscher Interessen steht nicht in individuellen Vorstel- „Strategische Kultur sind in immer höherem Maße die In- lungen darüber, worin deutsche Inte- Europas“. teressen anderer Akteure, sich verän- ressen bestünden. Theoretischer Aus- dernde Umfeldbedingungen sowie gangspunkt und analytischer Bezugs- subregionale, regionale und internati- rahmen für die Kategorie „nationale onale Entwicklungen und eingeflos- Interessen“ sind vielmehr die partei- sen. Außenpolitische Interdependen- übergreifend formulierten und für zen stellen demnach eine zentrale De- längere Zeiträume vom Mainstream terminante außenpolitischen Han- der politischen Eliten als gültig erach- delns dar. teten sowie von den jeweiligen Re- Kritik an der deutschen Außenpo- gierungen in Bonn bzw. Berlin kon- litik hat je nach wissenschaftstheore- kretisierten Zielsetzungen auswärti- tischer bzw. politischer Orientierung ger Politik.1 Grundlegend für diesen 1 Positionsbestimmungen in der theoretischen Debatte über die Bestimmung nationaler Interes- sen finden sich u.a. in: Olaf Theiler (Hrsg.): Deutsche Interessen in der sicherheitspolitischen Kom- munikation, Baden-Baden 2001; Gottfried Niedhart, Detlef Junker und Michael W. Richter (Hrsg.): Deutschland in Europa. Nationale Interessen und internationale Ordnung im 20. Jahrhun- dert, Mannheim 1997; Carl Otto Lenz: Im Grundsatz. Patriotismus und nationale Interessen. Anmerkungen zu einem wiederkehrenden Terminus, Die politische Meinung, Bd. 50 (2005), 426, S. 51 f.; Peter Robejsek, Ricarda Steinbach und Eckhard Bolsinger: Nationalstaat und nationale Interessen. Perspektiven einer neuen Außenpolitik, Working Paper/Haus Rissen 2/2002. 114 Pradetto / Deutsche Interessen IP • Januar • 2006 Internationale Politik Bezugsrahmen sind die hinsichtlich europäischen Politik und von EU der Außenpolitik der Bundesrepublik und NATO auf die Integration Euro- Deutschland im Grundgesetz fixier- pas – mit großem Erfolg in Angriff. ten Prinzipien. Diese bestehen – 1994 wurden nach den Debatten schlagwortartig formuliert – erstens und Erfahrungen in den vorangegan- im Ziel und im Bemühen, in den Be- genen Jahren die zentralen nationa- ziehungen nach außen unter allen len Interessen sowie die Orientierung Umständen zur Wahrung des interna- der deutschen Außen- und Sicher- tionalen Friedens beizutragen (was heitspolitik im „Weißbuch zur Si- sich u.a. im in der Verfassung fixier- cherheit der Bundesrepublik Deutsch- ten Verbot von Angriffskriegen und land“ in folgenden fünf Punkten zu- jeglicher Vorbereitung auf solche nie- sammengefasst: derschlägt), zweitens in der staats- 1. die Bewahrung von Freiheit, Si- rechtlichen und verfassungspoliti- cherheit und Wohlfahrt der Bürger schen Entscheidung für einen offe- Deutschlands und der Unversehrt- nen, kooperativen Internationalismus heit des Staatsgebiets; mit der expliziten Betonung der Mög- 2. die Integration mit den europäi- lichkeit, Hoheitsrechte auf zwischen- schen Demokratien in der EU; denn staatliche Einrichtungen zu übertra- Demokratie, Rechtsstaatlichkeit gen, drittens in der Vorgabe, im Au- und Wohlstand in Europa bedeuten ßenverhalten die Wahrung und die Frieden und Sicherheit auch für Verwirklichung der Menschenrechte Deutschland; zu verfolgen, sowie viertens – bis 3. das dauerhaft, auf eine Wertege- 1990 – im Wiedervereinigungsgebot. meinschaft und gleichgerichtete In- teressen gegründete transatlanti- Das nationale Die Definition nationaler Interessen sche Bündnis mit den Vereinigten Interesse „Wieder- nach der Wiedervereinigung Staaten als Weltmacht, denn das vereinigung“ wurde mit Klarsicht Das letztgenannte und seit der un- Potenzial der USA ist für die inter- und taktischem mittelbaren Nachkriegszeit bestehen- nationale Stabilität unverzichtbar; Geschick de Anliegen deutscher Außenpolitik 4. eine auf Ausgleich und Partner- umgesetzt. – die Wiedervereinigung und die schaft bedachte Heranführung un- Die deutsche Herstellung vollständiger Souveräni- serer östlichen Nachbarstaaten an Diplomatie lieferte „ihr Meisterstück“. tät – wurde in dem Augenblick, da westliche Strukturen und die Ge- sich Ende der achtziger Jahre die staltung einer neuen, alle Staaten Möglichkeit bot, mit erstaunlicher Europas umfassenden kooperativen Klarsicht und taktischem Geschick Sicherheitsordnung; realisiert. Die deutsche Diplomatie 5. die weltweite Achtung des Völker- lieferte „ihr Meisterstück“.2 In der rechts und der Menschenrechte und Folgezeit nahmen die Verantwortli- eine auf marktwirtschaftlichen Re- chen die auf Basis der oben genann- geln basierende gerechte Weltwirt- ten Prinzipien formulierten Prioritä- schaftsordnung, denn die Sicherheit ten der Außenpolitik – Lösung noch der einzelnen Staaten ist nur in bestehender Probleme mit den Nach- einem System globaler Sicherheit barn, Stabilisierung des postkommu- mit Frieden, Recht und Wohlerge- nistischen Raumes, Ausrichtung der hen für alle gewährleistet.3 2 Christian Hacke: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder, Frankfurt/M. 2003, S. 380. 3 Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Weißbuch 1994. Weißbuch zur Sicherheit der Bun- desrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr, Bonn 1994, S. 42. IP • Januar • 2006 Pradetto / Deutsche Interessen 115 Internationale Politik Entsprechend konkretisierten CDU/ gegenüber Mittel- und Osteuropa (in- CSU und FDP nach ihrem Wahlsieg klusive Russland), Ausbau der trans- 1994 in ihrem Regierungsprogramm atlantischen Partnerschaft und gute folgende zentrale Punkte zur Außen- Beziehungen zu den USA. Etwas ak- und Sicherheitspolitik: europäische In- zentuiert wurden globale Fragen wie tegration, verstärkte Einbeziehung der internationale Umweltpolitik, Ent- EU-Nachbarn im Osten, Weiterent- wicklungshilfe usw., während die Re- wicklung der Gemeinsamen Außen- gierung Kohl eher noch im klassi- und Sicherheitspolitik der EU (GASP), schen Ost-West-Kontext agiert hatte. Dank erfolgreicher schrittweise Erweiterung der NATO, Die Koalitionsvereinbarung hob au- Diplomatie konnten Weiterentwicklung des transatlanti- ßerdem das Bestreben nach Verrecht- in vielen Bereichen schen Bündnisses, eine „intensive lichung und Zivilisierung der interna- wesentliche Fortschritte erzielt Partnerschaft“ mit Russland, Fortfüh- tionalen Politik hervor (aktive Men- werden. In Fragen rung der Reform der Bundeswehr, Be- schenrechtspolitik, Abrüstungs- bzw. der europäischen teiligung an internationalen Einsätzen Rüstungskontrollpolitik etc.). Integration und sowie Entwicklungspolitik in Abspra- In der Koalitionsvereinbarung zwi- der Einbeziehung che mit den europäischen Partnern. In schen SPD und Bündnis 90/Die Grü- ehemals kommunistischer den folgenden Jahren wurden in allen nen, die nach der knapp gewonnenen Länder in die diesen Bereichen wesentliche Fort- Wahl im Oktober 2002 vorgestellt Institutionen des schritte erzielt – was angesichts vieler wurde, tauchte im Unterschied zu Westens übernahm Widerstände gegen diverse Zielsetzun- bisherigen Vereinbarungen bzw. Pro- Deutschland eine gen bei einer Reihe von Partnern in grammen in der Außen- und Sicher- Vorreiterrolle. wechselnden Koalitionen nur dank er- heitspolitik der „Kampf gegen den folgreicher Diplomatie zu bewerkstelli- Terror“ als neue Herausforderung gen war. Gerade in Fragen der europä- auf. Ansonsten wurden wieder die ischen Integration und der Einbezie- traditionellen Zielsetzungen heraus- hung postkommunistischer Länder in gestellt: europäische Integration und die Institutionen der westlichen Ge- transatlantisches Bündnis, Bewälti-