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Kultur STÄDTEBAU Wildwest am Main Der Hochhausbau in Frankfurt boomt wie nie zuvor. Um einen neuen Wolkenkratzer der Dresdner Bank, neben dem soeben vollendeten Commerzbank-Turm das ehrgeizigste Projekt dieser urbanen Höhenkonkurrenz, wird beispielhaft gestritten. orst Grüneis ist begeistert: „Rie- und das „EuroCarrée“ (60 Meter) werden burger Teams von Gerkan/Marg. Ende chen Sie die Blumen? Spüren Sie mit Doorman und luxuriösem Yuppie-Ser- des Jahres wird eine Machbarkeitsstudie Hden Luftzug?“ Grüneis, 56, nutzte vice – vom Frühstücksei bis zum gebügel- über das Megaprojekt „Frankfurt 21“ (ge- als Baudirektor der Commerzbank eine ten Hemd – aufwarten. schätzte Kosten: fünf Milliarden Mark) ent- „Chance, die man wohl nur alle 50 Jahre Auch die Württembergische Hypothe- scheiden. Mainhattans Stadtplaner träu- einmal bekommt“. Gemeinsam mit dem kenbank arbeitet, zusammen mit der men von einer Art Central Park auf dem britischen Stararchitekten Sir Norman Fo- Frankfurter Sparkasse („von 1822“), an gegenwärtigen Gleisgelände. Die Ränder ster baute er in der Frankfurter Innenstadt kühnen Turmbau-Plänen – bis zu einem des Parks sollen von einem Dutzend Hoch- Europas höchstes Bürohaus. Limit von 250 Metern. Die Deutsche Bahn häuser markiert werden. Der 300 Meter hohe „Pfeiler der Frank- überrascht mit einer städtebaulichen Wilfried Wang, 40, Leiter des Deutschen furter Skyline“ (Foster), außen High-Tech, Vision für das nächste Jahrhundert: Die Architektur-Museums, ist davon überzeugt, innen grün, wurde im Juli bezogen. Er be- Eisenbahner wollen den Frankfurter Sack- daß Frankfurt „in den nächsten 20 Jahren herrscht die Silhouette der City. Ein An- bahnhof in eine Durchgangsstation ver- einen unglaublichen Bauschub erfährt“. blick der Superlative – von unten. Und ein wandeln. Das repräsentative, denkmal- Investitionen von sieben Milliarden Mark mächtiger Ausblick von oben: Das Bild un- geschützte Bahnhofsgebäude aus der sollen die derzeitige Bürofläche um 50 Pro- ten bietet mehr als Verkehrschaos und Pas- Gründerzeit soll samt Gleisanlagen unter- zent, rund vier Millionen Quadratmeter, santengewusel. Man sieht auch: Die alte tunnelt werden – nach Plänen des Ham- erhöhen. Bürgerstadt am Main ist zur Zeit Deutsch- lands zweitgrößte Baustelle, übertroffen nur von der Kapitale Berlin. Während die Baukonjunktur darnieder- Neulinge der Frankfurter Skyline liegt, kann es am Sitz von Bundesbank, 1 Campanile 4 Landesbank Hessen-Thüringen/ Europäischem Währungsinstitut (EWI) und über 400 weiteren Geldhäusern gar nicht 2 Dresdner Bank Main Tower hoch genug hinaus gehen. 16 Gebäude über 3 Holzmann-Zentrale 5 Eurotheum 100 Meter prägen schon heute die Skyline, 18 sind beschlossene Sache, weitere ent- scheidungsreif geplant. Die Bankenwelt wächst so dynamisch, daß beim Bezug die 1 Kapazitäten der nagelneuen Gebäude oft schon nicht mehr ausreichen. Die Parkstraße des Monopoly-Spiels heißt in Frankfurt Neue Mainzer Straße. An diesem exklusiven Standort wächst der- zeit das vierthöchste Gebäude der Stadt, der 198 Meter hohe „Main Tower“ der Lan- desbank Hessen-Thüringen. Der 700 Mil- lionen Mark teure Turm, entworfen von dem Hamburger Architekten Peter Schwe- ger, soll nicht nur Büros beherbergen, son- dern auch zum „ersten öffentlichen Hoch- haus“ der Stadt werden: Ein Restaurant in der Spitze und eine Aussichtsplattform bie- ten künftig Zugang für jedermann. Gleich nebenan soll das „Eurotheum“ (102 Meter) Arbeit und Wohnen auf ex- klusive Art verbinden. Die in Deutschland bislang noch nie realisierte Mischung aus Büro- und Wohnhochhaus, die etwa 200 Millionen Mark kosten soll, wird im oberen Teil 80 möblierte Appartements stapeln. Die Eineinhalb- bis Zweieinhalb-Zimmer- Einheiten sollen bis zu 6500 Mark Mo- natsmiete bringen. Weitere Edelhochhäu- ser wie der „Romantik-Turm“ (80 Meter) FRANKFURT ART / DAILY 3D-STANDBILD 226 der spiegel 38/1997 hai Bank ein 179 Meter hohes Signal mit High-Tech-Glanz (und einer spektakulären Lichtregie) gesetzt hat, übernahm auch die Planung für einen 800 Meter hohen „Mil- lennium Tower“ in der Bucht von Tokio. Das Wohnprojekt für 50000 Bewohner ist kein Problem der Statik, sondern eher der Psychologie: Die Spitze wird über die Hälf- te des Jahres in Nebel und Wolken liegen. Für die stolze Ästhetik globalisierter ökonomischer Macht bietet das multikul- turelle Frankfurt – rund 30 Prozent der KRÄMER / IFA-BILDERTEAM DPA 656 000 Einwohner haben keinen deut- Frankfurt-Panorama, Frankfurter Stadtplanungschef Wentz: „Drohender Sittenverfall“ schen Paß – europaweit das größte Poten- tial. Der internationale Finanzplatz hat im Professor Wang, der auch in Harvard un- Zeichen militärischer oder sakraler Macht. Wettbewerb mit London einen Planungs- terrichtet, denkt bereits über das hinaus, In den USA wurde schon in den dreißi- vorsprung von drei bis vier Jahren. Zudem was die Investoren planen. Er sieht die glit- ger Jahren der kommerzielle Wettbewerb dient die Stadt als politisch unbedenkli- zernden Geldtresore aus Stahl, Beton und häufig auch als Wettstreit um das höchste cher Ersatzstandort für Hongkong, dessen Glas als Monumente „eines Booms, auf City-Hochhaus ausgetragen: Das Empire Gedeih (oder Verderb) nach der Übergabe dessen Maßstab die Bevölkerung über- State Building in New York erreichte so be- an China noch völlig offen ist. haupt noch nicht eingestellt ist“.Vielleicht reits 1931 die triumphale Höhe von 381 Me- Möglich wurde die Hochhaus-Großfa- hat er recht, und eines Tages werden noch tern. Der 1974 vollendete Rekordhalter milie durch die verheerende Zerstörung gewaltigere Wolkenkuckucksheime das Sears Tower (443 Meter) in Chicago wurde des Kerngebiets während des Zweiten Welt- Stadtbild endgültig in die Vertikale ziehen. 1996 von den zwei 452 Meter hohen Petro- kriegs. Sie hat etliche historische Bau- Für den Architekturkritiker der new nas-Minaretten im malaysischen Kuala denkmäler abgeräumt und hinterließ viel york times, Paul Goldberger, sind Wolken- Lumpur übertrumpft. Im indonesischen Ja- Brachland. In Frankfurt, das Ende der vier- kratzer, diese extremste Form der Grund- karta entsteht in den nächsten vier Jahren ziger Jahre Bundeshauptstadt werden soll- stücksnutzung, typisch amerikanische Sym- eine 558 Meter hohe Gebäude-„Skulptur“. te, ermutigte auch, in den siebziger Jahren, bole ökonomischen Selbstbewußtseins – im Foster, 62, der in Berlin den Reichstag eine ungewöhnlich wirtschaftsfreundliche alten Europa waren Turmbauten ja meist umbaut und mit der Hongkong and Shang- SPD die Höhensucht. Die Stadt mit nur 248 4 3 2 5 der spiegel 38/1997 227 Kultur Quadratkilometer Fläche, einem Drittel der Bauarbeiten übernah- Ausdehnung Hamburgs, ist zudem für ex- men die Deutschban- treme Verdichtung geradezu prädestiniert. kiers den Störenfried So wurde das einst gutbürgerlich und von der gewerkschafts- maßvoll bebaute Gelände zwischen Kai- nahen Bank: wenn serdom, Paulskirche, Bahnhof und Westend schon im Schatten, zu einer beispiellosen Spielwiese für Hoch- dann im eigenen. hausfetischisten, kraß und fragwürdig, aber Der Messeturm, ein auch reizvoll. Wie keine andere deutsche dekorativer Riesenblei- Stadt buchstabiert diese Skyline die archi- stift des Deutschameri- tektonische Formensprache des „amerika- kaners Helmut Jahn, nischen Jahrhunderts“, mal technisch glatt, stieß 1991 mit 256,5 Me- mal postmodern schmuck. tern in eine neue Di- Den Anfang machten relativ bescheide- mension vor. Sofort ne Turmgebilde. 1971 baute die Deutsche schwebte auch die DG Bank ein 92 Meter hohes, recht schlichtes Bank mit 208 Metern Verwaltungsgebäude. Respektvoll blieb das („Miss Liberty“) über Hochhaus drei Meter unter dem ein halbes den Dingen. Schließlich Jahrtausend bestehenden Höhenrekord klotzte die Commerz- des Kaiserdomes. Zwei Jahre später brach bank in babylonischen die Commerzbank mit einer 108 Meter auf- Maßstäben. Ihr 1,6 Mil- ragenden Kiste dieses Tabu. Und als die liarden teures Foster- Banken danach immer kräftigere Gewinne Werk verschlang 18800 einfuhren, war der Bau weiterer „Kapital- Tonnen Stahl: „Mehr als doppelt soviel wie für den Eiffelturm“, staunte das zeit-maga- zin. Das Unternehmen konnte für den zugleich mächtigen und schlan- ken Koloß, dessen An- tenne wie ein vergesse- ner Kran anmutet, 32 innerstädtische Stand- orte aufgeben. Für ökologische Ideen im Turminneren werden die Bauherren international gelobt: G. STRAUß DPA Bei seinem Geniestück Architekt Foster, Innengärten im Foster-Bau für die Commerzbank: Schnüffeln von Lavendelduft führte Foster die tragen- de Konstruktion außen Kathedralen“ (Architekt Bernhard Leit- herum, ließ den Gebäudekern hohl und ner) nicht mehr zu stoppen. konnte so ein 160 Meter hohes, lichtdurch- Schon 1976 übertrumpfte die Hessische flutetes Atrium schaffen. Tageslicht dringt Landesbank die Deutsche Bank um 34 Me- sogar in Zimmer ohne Panoramablick. Die ter. Im selben Jahr leistete sich der persi- 2400 Arbeiter im Bienenstock des Com- sche Spekulant Ali Selmi 143 Meter Him- merz genießen Aussicht auf neun bankin- melssturm in Form einer hyperschlanken terne Gartenschauen.Vier Stockwerke hohe Hochhausscheibe, wenig später wurde Biotope mit Blumen und Bäumen durch- sie Eigentum der Deutschen Genossen- ziehen den dreieckigen Riesen. Das Schnüf- schaftsbank. Kurz darauf zog die Bank für feln von Lavendel- oder Azaleenduft darf Gemeinwirtschaft mit 148 Metern nach die Angestellten freundlich stimmen. (Eurotower, heute Sitz des EWI). 1978 er- Die hohe Qualität hat ihren Preis: Ein reichte die Dresdner Bank nicht weit davon Arbeitsplatz kostet rund 660000 Mark. Fi- mit