Dissertation
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DISSERTATION Titel der Dissertation EINE STADT IM KRIEG DER WANDEL DER BOSNISCHEN STADT BANJA LUKA (1990–1995) Verfasserin ARMINA GALIJAŠ , M. A. angestrebter akademischer Grad Doktor der Philosophie (Dr. Phil.) Wien, 2009 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 092 312 Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Geschichte Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Oliver Jens Schmitt 2 INHALTSVERZEICHNIS : I. EINLEITUNG 7 1. Gegenstand 7 2. Fragestellung, Gliederung und Forschungstand 17 3. Methoden und Quellen der Untersuchung 25 4. Banja Luka – Ein Abriss der Stadtgeschichte 41 II. DIE POLITISCHEN UND INSTITUTIONELLEN RAHMEN 55 1. Der Zerfall Jugoslawiens 55 2. Die Autonome Region Krajina – ARK 67 3. Die Serbische Republik Bosnien und der Herzegowina 75 4. Die Republika Srpska 85 III. DIE ETHNISCHE MATRIX ÜBERZIEHT DIE STADT (SEIT 1990) 89 1. Die ersten Mehrparteienwahlen in Bosnien-Herzegowina 91 a) Wer trat als Alternative zu den Kommunisten auf? 91 b) Die Atmosphäre in der Stadt vor den Wahlen 101 c) Der Sieg der nationalen Parteien 110 d) Was verstand die serbische politische Elite unter Jugoslawien? 113 e) Die Vergangenheit als Mobilisierungsmittel der serbischen politischen Elite 119 2. Der Kampf der nationalen Parteien gegen andersdenkende politische Akteure 139 a) Kommunisten, Sozialisten und Reformisten als Ideenträger einer multiethnischen Gesellschaft 139 b) Die Ausschaltung der anders denkenden politischen Träger 142 3. Die Verdrängung der bürgerlichen Schicht und der Urbizid 147 a) Die ‚bürgerliche’ Schicht 147 b) Der Urbizid 157 4. Das Auftreten der Serbisch-Orthodoxen Kirche – Phyletismus und Klerikalismus 163 a) Die Bedeutung der Kirche in der Vergangenheit 163 b) Die Rolle der Kirche beim Erwachen des Nationalismus 166 c) Die Rolle der Kirche im Krieg und die Symbiose zwischen kirchlichen 3 Würdenträgern und Politikern 171 5. Der Ethno- und Politnationalismus 185 a) Die ethnische Homogenisierung der Bevölkerung 185 b) Die Ethnisierung der Sprache 192 c) Die Ethnisierung von Toponymen und Namen 195 d) Neue Loyalität und die Hervorhebung der Unterschiede 206 IV. MACHTINSTRUMENTE DER SERBISCH -NATIONALEN POLITISCHEN ELITE (1992– 1995) 217 1. Neue Gesetze und deren Anwendung 217 a) Die „Nivellierung der Arbeitsplätze“ 209 b) Die „Rationalisierung des Wohnraums“ 231 2. Terror in der Stadt 241 a) Mobilmachung und Arbeitspflicht 241 b) Die Schürung von Terror gegenüber Nicht-Serben 245 V. AUSWIRKUNGEN DES KRIEGES AUF DIE BEVÖLKERUNG 259 1. Das Leben in der Stadt während des Kriegs 259 a) Städtischer Alltag 259 b) Die Lage der Nicht-Serben in der Stadt 264 2. Der demografische Wandel während und nach dem Krieg 277 a) Die Flüchtlingsströme aus und nach Banja Luka 278 b) Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung nach dem Krieg 306 3. Die neue sakrale Gestaltung der Stadt 313 a) Die Zerstörung von islamischen und katholischen Denkmälern 313 b) Der Bau neuer serbisch-orthodoxer Kirchen 325 4. Der Wandel der Gruppenidentität 331 a) Neue Kulturwerte 331 b) Die Sozialisierung einer neuen Generation und ihre Lebenswelt 359 VI. DIE ETHNISCHE MATRIX LEBT FORT – EIN AUSBLICK NACH 15 JAHREN 367 VII. QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS 379 VIII. ANHANG 405 4 1. Verzeichnis der Tabellen 405 2. Verzeichnis der Abbildungen 407 3. Abkürzungsverzeichnis 411 4. Fragebogen 413 5. Za Mirzu - Das Lied von Edo Maajka im Original 417 6. Zusammenfassung 421 7. Summary 423 8. Lebenslauf 425 5 6 I. EINLEITUNG 1. GEGENSTAND Der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa beeinflusste auch die politischen Umwälzungen, die gegen Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) stattfanden. Die innenpolitische Situation charakterisierte Holm Sundhaussen folgendermaßen: die „Identitätspfeiler, auf denen die Solidargemeinschaft basierte – die Gründungsmythen des zweiten Jugoslawien, das Selbstverwaltungsmodell, die Blockfreiheit und der relative Wohlstand im Vergleich zu anderen sozialistischen Gesellschaften – [wurden…] spätestens seit Beginn der achtziger Jahre obsolet.“ 1 Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) verlor seine dominante Rolle in der Gesellschaft, was den Staat und dessen Institutionen zusätzlich schwächte. Die Jugoslawische Volksarmee (JVA) und die Polizei waren jene Parteiinstitutionen, die einerseits ohne ‚Kommando‘ blieben, andererseits aber das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Die Folge waren „Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die den ‚ethnischen Unternehmern’ ideale Betätigungsfelder eröffneten.“ 2 Ohne staatliche Institutionen und ohne Sicherheit, wirtschaftlich und durch den krisenhaften innenpolitischen gesellschaftlichen Diskurs erschüttert, schlugen die jugoslawischen Nationen 3 unvorbereitet einen Weg in die Demokratie und die Marktwirtschaft ein, der in die Stärkung der jeweiligen Nationalismen münden sollte. Der Legitimationsschwund des Staates und der Partei ermöglichte die Verselbständigung der autoritären Nationalismen, 4 aber „[d]er Untergang der jugoslawischen Identität und des Staats war nicht die Folge eines vom ‚Volk’ bzw. von den ‚Völkern’ 1 Holm SUNDHAUSSEN : Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa, in: Aus der Politik und Zeitgeschichte , 10-11 (2003), S. 3-9, hier 8. Vgl. auch Holm SUNDHAUSSEN : Experiment Jugoslawien. Von der Staatsgründung bis zum Staatszerfall. Mannheim u. a. 1993; Holm SUNDHAUSSEN : Ethnonationalismus in Aktion. Bemerkungen zum Ende Jugoslawiens, in: Geschichte und Gesellschaft , 20 (1994) 3, S. 402–423. 2 SUNDHAUSSEN : Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa, S. 8. 3 Im folgenden Text ist unter Nation die ethnische Zugehörigkeit zu verstehen, d. h. zu einer Nation gehören alle, die eine gemeinsame Herkunft für sich beanspruchen, egal in welchem Staat sie leben. 4 Laslo SEKELJ : Soziologie des Jugoslawismus und des serbischen Nationalismus, in: Der Balkan in Europa. Hgg. Eggert HARDTEN /André STANISAVLJEVI Ć/Dimitris TSAKIRIS . Frankfurt/Main u. a. 1996, S. 3-14, hier 9. 7 inaugurierten Prozesses. Die Dekonstruktion war von oben, von den Eliten, induziert und gewollt […].“ 5 Im Jahre 1990 fanden in allen jugoslawischen Republiken die ersten Mehrparteienwahlen statt. 6 Sie bereiteten den Weg für die aufstrebenden Nationalisten in den einzelnen Republiken; dies machte die Durchführung der Wahlen auf der Bundesebene obsolet. Es zeichnete sich immer deutlicher eine Trennlinie zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen ab, was vor allem im Jahr 1991 radikale Veränderungen für die multiethnische bosnisch-herzegowinische Gesellschaft mit sich brachte. Am 3. März 1991, etwa drei Monate nach den ersten Mehrparteienwahlen in Bosnien-Herzegowina, aus denen die drei nationalistischen Parteien der Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen 7 (SDS, HDZ und SDA) 8 als Sieger hervorgingen, und etwa ein Jahr vor dem Ausbruch des Krieges in Bosnien-Herzegowina, fand eine große Kundgebung in der nordwestbosnischen Stadt Banja Luka statt. Die Kundgebung wurde unter dem Slogan „Bosnien-Herzegowina in Jugoslawien“ organisiert. Derartige Massenveranstaltungen hatten im Jahre 1989 ihren Höhepunkt in Serbien erlebt. Auf ihnen sollte der serbische ‚Volkswille‘ artikuliert werden. Während der Feierlichkeiten zum Gedenken an das 600-jährige Jubiläum der Schlacht auf dem Amselfeld sollten sich nach verschiedenen Angaben bis zu einer Million Menschen versammelt haben.9 Mit den Wahlkampagnen und deren starken medialer Unterstützung kamen die sogenannten mitings 10 nach Bosnien- Herzegowina und dienten, wie zuvor in Serbien, vor allem der ethnischen Mobilisierung der Bevölkerung. Die Kundgebung in Banja Luka wurde von der 5 SUNDHAUSSEN : Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa, S. 8. 6 Der letzte Kongress des BdKJ tagte im Jänner 1990. Er bezeichnete den offiziellen Untergang des Kommunismus in SFRJ. Die ersten Mehrparteienwahlen fanden bereits im April 1990 in Slowenien und Kroatien, und im Zeitraum zwischen November und Dezember in Bosnien-Herzegowina, Makedonien, Montenegro und Serbien statt. 7 Im weiteren Text wird für die Muslime Bosnien-Herzegowinas die Bezeichnung Bosniaken verwendet. Der Begriff Bosnier bezieht sich auf die gesamte Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas, unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit. 8 SDS – Srpska Demokratska Stranka [Serbische Demokratische Partei]; HDZ – Hrvatska Demokratska Zajednica [Kroatische Demokratische Gemeinschaft]; SDA – Stranka Demokratske Akcije [Partei der Demokratischen Aktion] – letztere war die dominierende bosniakische Partei in Bosnien-Herzegowina. Damals gewannen die drei großen nationalistischen Parteien 84 % im bosnischen Parlament und 70 % der Mandate im Stadtparlament von Banja Luka. 9 Dazu eingehender bei Florian BIEBER : Nationalismus in Serbien vom Tode Titos bis zum Ende der Ära Miloševi ć. Wien 2005, S. 218. 10 Die Kundgebungen wurden in Jugoslawien mitings , vom englischen Wort meeting abgeleitet, genannt. Sie dienten vor allem der ethnisch-nationalen Mobilisierung. 8 Serbischen Demokratischen Partei (SDS) 11 organisiert, welcher in dieser Stadt beinahe 50 % Wählerstimmen bzw. 64 von 130 Mandaten im Stadtparlament erhalten hatte.12 Soweit der Blick reichte, war an diesem 3. März 1991 der gesamte Hauptplatz Banja Lukas, der damals noch den Namen des prominenten slowenisch-stämmigen kommunistischen Politikers Edvard Kardelj trug, von Menschen überfüllt. Nach der Einschätzung der Zeitung Glas versammelten sich anlässlich dieses Ereignisses ca. 50.000 Menschen. 13 Sie bezeugten ihre Befürwortung und Unterstützung der SDS- Politik