„Wollmatinger Ried-Untersee-Gnadensee“ (Bodensee) Unter Dem Einfluss Von Hydrologischen Extremereignissen
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©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at carolinea, 67 (2009): 93-107, 4 Abb., 2 Farbtaf.; Karlsruhe, 15.12.2009 93 Vegetationsdynamik im NSG „Wollmatinger Ried-Untersee-Gnadensee“ (Bodensee) unter dem Einfluss von hydrologischen Extremereignissen WOLFGANG OSTENDORP & MICHAEL DIENST Kurzfassung the influence of regional climate change, the vegeta- Der Beitrag stellt die Vegetationsentwicklung im Woll- tion dynamics in the shore line will be determined by (i) matinger Ried seit den Extremereignissen von 1999 long-term hydrological trends (lowering of the summer und 2003 unter störungsökologischen und naturschutz- water level by c. 5 mm/yr), and by (ii) a disturbance re- fachlichen Gesichtspunkten dar. Der Bodensee ist der gime from extreme floods and low water periods which einzige große Voralpensee, dessen Ausflussschwelle seems to be stationary in terms of frequency, strength noch nicht verändert und der noch nicht staureguliert and duration. ist. Das charakteristische Störungsregime (episodische Extremhochwasser- und Extremniedrigwasserphasen) Autoren ist ein wesentlicher Faktor für den Erhalt der biolo- WOLFGANG OSTENDORP und MICHAEL DIENST, Arbeitsgrup- gischen Vielfalt (genetische Vielfalt, Artenvielfalt, Habi- pe Bodenseeufer (AGBU) e.V., Heroséstr. 18, 78467 tatvielfalt) im unteren Eulitoral (ca. 0,5 m unterhalb bis Konstanz, E-Mail: wolfgang.ostendorp@bodensee- 0,2 m oberhalb der Mittelwasserlinie). Dabei spielen ufer.de, [email protected]. (i) die Dominanzschwächung des Schilfs (Phragmites australis) durch Hochwasser und (ii) die nachhaltige Besiedlung vorübergehend landfest gewordener Ufer- 1 Einleitung streifen während einer Niedrigwasserphase eine wichtige Rolle. Zukünftig, im Zeichen des regionalen Naturbelassene Seeufer zeichnen sich durch Klimawandels, dürfte die Vegetationsdynamik in der eine dynamische Entwicklung der Ufervegetati- Grenzzone weitgehend durch (i) den langfristigen See- on unter dem Einfluss von Wasserstandsdyna- spiegeltrend (Absinken der Sommerwasserstände mit ca. 5 mm/Jahr) und (ii) ein stationäres Störungsregime mik, Feststoffdynamik und Ufermorphodynamik (Frequenz, Stärke, Dauer) aus hydrologischen Extrem- aus. An den meisten großen mitteleuropäischen ereignissen bestimmt werden. Seen sind diese Voraussetzungen allerdings durch hydrologische Manipulation des Wasser- Abstract spiegels bzw. des natürlichen Wasserstandsre- Vegetation dynamics in the nature reserve „Woll- gimes, durch landwirtschaftliche Meliorationen, matinger Ried-Untersee-Gnadensee“ (Lower Lake Abwassereinleitungen und Eutrophierung sowie of Lake Constance, Germany) following extreme durch strukturelle Inanspruchnahme infolge von flood and low water periods Siedlung, Verkehr, Freizeit und Tourismus erheb- This paper analyses the vegetation dynamics following the extreme hydrological events of 1999 and 2003 fo- lich eingeschränkt (OSTENDORP et al. 2004). Eine cusing on disturbance ecology and biological diversity. naturnahe dynamische Entwicklung der Uferve- Lake Constance is the only pre-Alpine lake which is not getation kann somit nur noch ausschnittweise dammed or regulated and of which the threshold region an wenigen Seen bzw. Uferstrecken untersucht has not been modified. The characteristic disturbance werden. Beispielsweise bietet der Bodensee regime, i. e. episodic extreme floods and extreme low dazu Gelegenheit, denn er ist der einzige gro- water periods, has proven to be an important factor in ße Alpenrandsee, dessen Ausflussschwellen preserving biological diversity (genetic, species, and noch nicht reguliert wurden, und der trotz des structural diversity) in the shoreline (c. 0.5 m below to Gewässerausbaus und der intensiven Speicher- 0.2 m above mean water line). Two factors have played a decisive role: (i) the weakening of the dominance of bewirtschaftung im Alpenrhein-Einzugsgebiet the common reed, Phragmites australis, by extremely noch einen annähernd natürlichen Jahreswas- high floods, and (ii) the persistent occupation of wet lit- serstandsgang aufweist. In seinen großen Natur- toral surfaces by mud-flat species and helophytes dur- schutzgebieten, deren Ufer zumeist unbefestigt ing prolonged low water periods. We argue that, under sind, können sich daher weitgehend natürliche ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at 94 carolinea, 67 (2009) Prozesse entfalten, die durch kurzzeitige Störun- (Schutzgebietsnr. 3.004) durchgeführt. Das gen, z. B. hydrologische Extremereignisse sowie NSG liegt größtenteils auf einer postglazialen durch langfristige Seespiegeltrends in Gang ge- Brandungsterrasse des Bodensees, die von on- setzt werden. kolithischen Krümelkalken („Schnegglikiese“), So haben die Extremhochwasser von 1965 und Seekreide-Sedimenten sowie ihren Umlage- 1999, aber auch mehrjährig auftretende sommer- rungsprodukten (anorganischer und organischer liche Niedrigwasserphasen, insbesondere der Kalkschlamm) bedeckt ist. Die Uferlinie (Gesamt- extreme Niedrigwasserstand im Hitzesommer länge 15,37 km) ist zumeist mit Schilfröhrichten 2003, zu raschen und nachwirkenden Verände- gesäumt, lediglich an kurzen Uferabschnitten ist rungen der Ufervegetation geführt, die in dieser die Wasserwechselzone mit kleinwüchsiger Ve- Form weder vom Bodensee noch von anderen getation, vor allem Strandrasen bewachsen. Das (meist stauregulierten) Seen bekannt waren. Bei- Schutzgebiet besitzt eine Fläche von 7,57 km2, de Extremereignisse wurden durch Monitoring- von der bei mittlerem Niedrigwasser (MNW, Programme begleitet, die einen Eindruck davon 394,27 m ü. NN, Zeitraum 1951-2004) 1,85 km2, vermitteln, wie die Vegetationsentwicklung unter bei mittlerem Hochwasser (MHW, 396,23 m ü. naturnahen hydrologischen Bedingungen von- NN) 3,09 km2 überschwemmt sind. statten gehen kann. In diesem Beitrag werden die Die Untersuchungen beziehen sich auf einen mittelfristigen Auswirkungen der beiden Ereignis- Uferstreifen zwischen etwa 394,60 und 395,30 m se auf die Ufervegetation dargestellt und mit der ü. NN zwischen der Ostgrenze des Badeplatzes Situation früherer Jahre verglichen, wobei natur- Allensbach-Hegne und dem Eingang der sog. schutzfachliche Fragen im Vordergrund stehen. „Schläuche“ (Wasserarme zwischen den beiden Inseln) gegenüber dem Schweizer Ufer bei Gott- lieben (Uferlänge 13,46 km). Aufgrund der ge- 2 Untersuchungsgebiet ringen Uferneigung von im Mittel 0,3° (= 1:210) wirken sich hier Wasserstandsschwankungen Die Untersuchungen wurden im Naturschutz- besonders stark aus. gebiet (NSG) „Wollmatinger Ried-Untersee- Der Bodensee ist ein Alpenrandsee mit einem Gnadensee“ im östlichen Bodensee-Untersee typischen glazial-nivalen hydrologischen Regime Abbildung 1. Wasserstandsganglinien in den Jahren 1998 bis 2008 im Vergleich zum langjährigen Mittel 1951-2008 (Pegel Berlingen, Untersee; nicht trendbereinigt); deutlich zu erkennen sind das extreme Hochwasser im Frühsom- mer 1999 sowie die lang anhaltenden Niedrigwasserstände im Sommer 2003 und im Winter 2005/2006. ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at OSTENDROP & DIENST: Vegetationsdynamik im Wollmatinger Ried 95 (BAUMGARTNER & LIEBSCHER 1996), dessen Niedrig- jährigen Pegelgeschichte traten in 30 Jahren an wasserperiode in den Spätwinter fällt, während mindestens einem Tag in der Vegetationsperio- der jährliche Hochwasserstand gewöhnlich Ende de Seestände auf, die höher als das 30-jährige Juni bis Anfang Juli erreicht wird (Abbildung 1). Hochwasserereignis waren (bzw. in 25 Jahren Die mittlere jährliche Schwankungsbreite liegt für das 30-jährige Niedrigwasserereignis). Die bei 1,82 m (Untersee, Pegel Berlingen, Zeitraum Hochwasser dauerten meist nur etwa 10 bis 1951 bis 2008). Seit Anfang der 1940er Jahre 20 Tage an, die üblichen Niedrigwasserphasen lassen sich ähnlich wie am Bodensee-Obersee etwa doppelt so lange (Abbildung 2). Trends, die (OSTENDORP et al. 2007) auch am Untersee hydro- auf eine Häufung bzw. zeitliche Ausweitung von logische Veränderungen nachweisen, die durch Extremwasserständen hindeuten, sind nicht er- signifikant ansteigende Niedrigwasserstände kennbar. und stark fallende Höchstwasserstände sowie Ungeachtet des Trends zu geringeren Wasser- durch hochsignifikant abnehmende jährliche standsschwankungen erlebte der Bodensee Schwankungsbreiten gekennzeichnet sind. So innerhalb von nur vier Jahren zwei extreme nahm der durchschnittliche Wasserstand in den Wasserstände in der Vegetationsperiode. Das Monaten Juni bis August um etwa 5 mm/Jahr ab, Pfingsthochwasser von 1999 war das dritthöch- im Zeitraum 1941 bis 2008 also um etwa 0,34 m. ste am Bodensee seit 1816/17 registrierte Hoch- Dagegen erhöhte sich der Wasserspiegel in den wasser mit einer Jährlichkeit von 87 Jahren (d. h. Monaten Dezember bis März um etwa 1,5 mm/ mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/87 ist in jedem Jahr (entspr. 0,10 m). Die jährliche Schwan- Jahr mit Erreichen oder Überschreiten eines sol- kungsbreite von 80 % aller Tageswasserstände, chen Wasserstands zu rechnen). Betrachtet ausgedrückt als Differenz zwischen dem 90 %- man jedoch die Tatsache, dass das Hochwas- und dem 10 %-Quantil der Verteilung aller Tages- ser bereits Mitte bis Ende Mai auflief, erhält man werte eines Jahres, nahm zwischen 1941 und eine rechnerische Jährlichkeit von etwa 4.000 2008 von etwa 1,55 m auf 1,20 m ab. In der 123- Jahren. Von Juni bis September 2003 kam es im Abbildung 2. Tage in der Vegetationsperiode (1. April - 30. Sept.), an denen