Gesellschaft

SPIONE Im Schweigezirkel Der britische Geheimdienst GCHQ fischt noch mehr Daten ab als die amerikanische NSA. Wie denken die effizientesten Lauscher der Welt? Drei ehemalige Mitarbeiter erzählen von ihrer diskreten Behörde. Von Christoph Scheuermann

s war ein Montag, als Katharine Wollten sie dafür herausfinden, wer was Gun versuchte, einen Krieg zu ver - dachte? War das legal? Ehindern. Sie arbeitete als Auswer - Gun haderte zwei Tage lang. Dann be - terin beim britischen Geheimdienst und schloss sie, die E-Mail einer Bekannten hatte in ihrem Posteingang eine E-Mail zu schicken, die Kontakte zu Journalisten gefunden, die ihr Angst machte. hatte. Vier Wochen später stand die Mail Gun war 28, eine sanfte, nachdenkliche auf der Titelseite des „Observer“. Frau. Die Nachricht, die sie auf dem Bild - Den Krieg konnte Gun zwar nicht ver - schirm las, war als „top secret“ eingestuft hindern. Aber sie hatte für einen kurzen und stammte von einem Abteilungsleiter Augenblick eine Behörde ans Licht der eines amerikanischen Geheimdienstes. Öffentlichkeit gezerrt, die besonders Der Mann schrieb an seine britischen Kol - verschwiegen ist: GCHQ, Government legen, dass man – „wie ihr alle wohl schon Communications Headquarters. wisst“ – eine gemeinsame Abhöraktion Die Spione des GCHQ verstehen sich gegen Uno-Delegationen plane. Katha - als die Augen und Ohren des Königreichs. rine Gun traute ihren Augen nicht. Sie werden ungern selbst zum Thema, und Es war im Januar 2003, die Weltge - erst durch den amerikanischen Whistle - meinschaft diskutierte gerade über einen blower erfuhr man über Einmarsch in den Irak. Der verhängnis - viele ihrer Operationen. Snowdens Do - volle Auftritt des amerikanischen Außen - kumente aus den innersten Kreisen des ministers Colin Powell vor dem Sicher - US-Abhördienstes NSA offenbaren auch, heitsrat der Vereinten Nationen, bei dem wie die Briten in den vergangenen Jahren Powell versuchen würde, Verbündete für begonnen haben, immer größere Teile des

einen Angriff auf Bagdad zu gewinnen, globalen Datenverkehrs zu überwachen. L E G E I

sollte in fünf Tagen stattfinden. Gun war Es wurde eine Organisation aufgedeckt, P S

R wie viele Briten gegen einen Krieg. Sie die weltweit Computernetzwerke infil - E D

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überlegte, ob sie etwas tun sollte. Gehörte triert, Attacken ausführt und Informatio - C A Z E

die Spionage gegen Uno-Diplomaten nen aus Mobiltelefonen saugt. R

I R I nicht zu dem Versuch der USA und Groß - 2008 testeten die GCHQ-Leute erst - J britanniens, den Krieg zu erzwingen? mals das Programm „Tempora“, mit dem Ex-Geheimdienstchef Omand am Themse-Ufer in sie versuchen, weltweit Datenverbindun - gen anzuzapfen, vor allem Glasfaser - Man muss etwas Geduld haben, bis kabel. Einer PowerPoint-Präsentation zu - Mike Grindley die Haustür öffnet. Er folge, die der „Guardian“ beschrieb, wird dieses Jahr 77 und steht nicht mehr wuchs der Zugriff des Dienstes auf Daten so fest auf den Beinen wie früher, als er von 2008 bis 2012 um 7000 Prozent. beim GCHQ anfing. Grindley strahlt die GCHQ war zu einer Maschine mit un - Gelassenheit eines Mannes aus, der viel zähligen Sensoren mutiert, zum Über - gesehen hat. Einige Geheimnisse wird er wachungsmonster. Heute arbeiten dort mit ins Grab nehmen. Wenn man ihm all - 6100 Frauen und Männer, fast so viele zu detaillierte Fragen über die Spione Ih - wie für MI5 und MI6 zusammen, den In - rer Majestät stellt, lächelt er nur. Er ist N A I lands- und den Auslandsgeheimdienst alt geworden, aber nicht leichtsinnig. D R A

U der Briten. Grindley trägt sein blaues Hausjackett G

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H Was ist das für eine Behörde, die selbst und eine Lesebrille. Draußen dämmert T

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L von der „Beherrschung des Internets“ einer dieser nasskalten englischen Aben - L A H

Y spricht? Die damit prahlt, mehr Daten de heran, er hat daher schon mittags das D N

A aus dem Netz zu fischen als die NSA? Kaminfeuer angezündet. Sein Haus steht Whistleblowerin Gun Der Geheimdienst gibt keine Antworten, in Cheltenham, einer Kleinstadt am Rand War das legal? dafür aber ehemalige Mitarbeiter. der Cotswolds, zwei Autostunden nord -

50 # $"  ! 9/2014 London: „Jeder wollte etwas anderes, und zwar möglichst schnell“

westlich von London. Bis zum Hauptquar - Es war im August 1961, als er zum der Geheimdienst Fernschreiben und tier des GCHQ sind es mit dem Wagen GCHQ kam. Zuvor hatte er bei der Royal Tele gramme abfing, die von der Insel zehn Minuten. Die meisten seiner frühe - Air Force in Hongkong gedient und an - nach Europa und Übersee gingen. Die ren Kollegen wohnen in der Umgebung. schließend in Cambridge Chinesisch stu - Papiere landeten mit Unterstützung von Die Geheimdienstzentrale liegt am Stadt - diert. Ein Anwerber des Geheimdienstes Western Union, Cable & Wireless und rand wie ein riesiger Magnet, es ist nicht rekrutierte ihn auf dem Campus. Grind - anderen Telefondienstleistern beim einfach, sich von ihm zu lösen. ley war damals 24. Ehrfürchtig betrat er GCHQ, wie der Historiker und Geheim - In Grindleys Wohnung wachsen Türme die Zentrale in Cheltenham, war aber dienstforscher Richard Aldrich schreibt. aus Büchern, Zeitschriften, Flugblättern, schnell eingenommen von der lockeren Es war eine frühe Form der Kooperation Merkzetteln, Briefen und Zeitungsaus - Atmosphäre. Der Umgangston war jovial. zwischen Kommunikationsfirmen und schnitten. Er schreibt keine E-Mails, ein „Wir haben uns mit Vornamen angespro - der Regierung. Mobiltelefon besitzt er nicht, und wer chen“, sagt Grindley. Grindleys Einstiegsgehalt betrug 768 ihn sprechen will, muss auf seiner Fest - Er sah, wie schnell die Behörde wuchs. Pfund pro Jahr. Er sollte Informationen netzleitung anrufen. Mike Grindley ist Während des Kalten Kriegs erweiterte über Lauschziele in China liefern, er war ein Spion aus dem Papierzeitalter. Er ris - der Dienst die Überwachung internatio - gut darin und stieg auf. Als ihn der Dienst kierte viel, als er beschloss, den mäch - naler Kommunikationswege, die Anten - 1988 entließ, lag sein Jahresgehalt bei tigsten Geheimdienst des Landes heraus - nen des GCHQ wurden zu den Ohren 19 000 Pfund. „Ich war derjenige, dem zufordern. des Königreichs. 1967 kam heraus, dass man die unangenehmen Probleme auf -

# $"  ! 9/2014 51 ANDREW FOX / Gewerkschafter Grindley: Eine besonders bizarre Episode der britischen Geheimdienstgeschichte drückte“, sagt er. Seine Kollegen nannten Feind. Es gab eine Ordnung, eine beruhi - Grindley verließ eine Organisation, die ihn „Mister China“. gende Logik. Grindley fühlte sich wohl im Kalten Krieg fast lautlos funktionierte. In Grindleys Anfangszeit war die Be - in Cheltenham – bis zu dem Tag, an dem Sie hatte sich den Bedürfnissen der Ame - hörde so geheim, dass sie nicht einmal Margaret Thatcher kam. rikaner angepasst, mit denen die britische über ihren größten Triumph sprechen Schon sein Vater war Mitglied der La - Regierung ein Geheimdienstabkommen durfte. Während des Zweiten Weltkriegs bour-Partei, Grindley trat früh in die Ge - geschlossen hatte. Als Grindley ging, war fingen die Mitarbeiter der Chiffrierschule werkschaft ein. Seine Euphorie für Streiks GCHQ nicht mehr nur die geniale, un - im englischen Landsitz Bletchley Park, hielt sich zwar in Grenzen, aber bei Ver - schuldige Clique von Genies und Code- der Vorgängerorganisation des GCHQ, handlungen mit dem Arbeitgeber, dachte Knackern, die gegen die Nazis kämpfte. Funksprüche von Hitlers Wehrmacht ab. er, hat eine Gewerkschaft Vorteile. That - Sie hörte jetzt Satellitentelefone ab, ver - Um die Nachrichten lesen zu können, cher jedoch beschloss, den GCHQ-Mit- größerte ihre Antennenparks und ging mussten die Briten aber zunächst die arbeitern zu verbieten, sich gewerkschaft - gegen Gefahren von innen vor. Mike Codes der Nazis entschlüsseln. lich zu organisieren. Was folgte, wurde Grindley sagt, er sei während der Proteste Hitlers Truppen nutzten die Codier - eine besonders bizarre Episode der briti - von den eigenen Leuten abgehört und maschine Enigma. Den Briten gelang es schen Geheimdienstgeschichte. Die Spio - beschattet worden. Die Welt war nicht schließlich, in Bletchley Park mit Hilfe ne des GCHQ lehnten sich öffentlich ge - mehr in Ordnung. Es war nicht mehr klar, einer elektromechanischen Rechenmaschi - gen ihre Regierung auf. Mit Schildern und wer der Feind war und wer der Freund. ne, eines frühen Computers, die Enigma Transparenten marschierten sie durch Trotz der schlechten Presse vertrauten zu knacken. Hinter dem Erfolg stand Cheltenham, für jeden sichtbar, umjubelt die meisten Briten ihren drei Geheim - Alan Turing, ein genialer Informatiker, von Anwohnern, gehasst von Thatcher, diensten: den Abhörern des GCHQ, den der mit seinen Kollegen in zugigen Bara - den Konservativen und all jenen in der Auslandsagenten des MI6 und den In - cken fieberhaft daran arbeitete, die Nazis Behörde, die den Geheimdienst geheim landsspionen des MI5. Die beste Wer - mit kühler Logik zu besiegen. „Turing halten wollten. In der ersten Reihe lief bung machten zwei fiktive MI6-Agenten, war unser Gott“, sagt Mike Grindley. Von Mike Grindley. Von der Eisernen Lady James Bond und George Smiley. Davon Turing lernte der Abhördienst, dass sich würde er sich nicht einschüchtern lassen. profitieren die drei Dienste bis heute. jeder Code entschlüsseln lässt, wenn man Da sich er weigerte, aus der Gewerk - Ende der achtziger Jahre waren die das Hirn und die Technik dazu hat. schaft auszutreten, wurde er 1984 vom Abhörstationen, die GCHQ in Deutsch - Grindley reiste auf Geheimkonferen - Dienst suspendiert und vier Jahre später land und anderswo in Europa betrieb, zen in die USA und nach Kanada, um entlassen. Mit ihm gingen hochrangige vor allem auf die Sowjetunion, Polen und mit den Kollegen von der NSA und dem Männer, ebenfalls aus Protest gegen die Tschechoslowakei ausgerichtet. In kanadischen Geheimdienst die neuesten Thatcher. „Der Geheimdienst hat damals Cheltenham füllten Analytiker Daten - Erkenntnisse auszutauschen. Die Welt eine Menge wichtiger Leute verloren“, banken mit Gefechtsgliederungen sowje - war in Blöcke unterteilt, Kommunismus sagt Grindley. Mathematiker, Techniker, tischer Streitkräfte, Waffenbeständen, gegen Kapitalismus, und China war ein Sprach- und Chiffrierexperten. Radarfrequenzen. Abnehmer der Be-

52 # $"  ! 9/2014 Gesellschaft richte war meist das Verteidigungsminis - digkeit über den Boden der Ozeane jagten. alle Mitarbeiter in einem ringförmigen terium. Man musste das 21. Jahrhundert verstehen. Hauptquartier sitzen. Das Gebäude trägt Nach dem Fall der Mauer änderte sich „Wir brauchten eine grundlegend neue heute den Spitznamen „Doughnut“. das radikal. Plötzlich waren nicht mehr Architektur für Abhörsysteme.“ Britische Spione sind von dem Ehrgeiz nur die osteuropäischen Staaten wichtig, Gab es damals eine bewusste Entschei - besessen, smarter als die brachialen Kol - sondern auch Warlords in Somalia, Waf - dung, das Internet anzuzapfen? legen von der NSA zu sein. Sie verbreiten fenhändler auf dem Balkan und Drogen - „Es war eher eine Evolution“, sagt bis heute stolz, dass sie Anfang der sieb - banden in Lateinamerika. Gleichzeitig Omand. Seit den sechziger Jahren fing ziger Jahre vor den Amerikanern die so - breiteten sich Mobiltelefone aus, das der Geheimdienst mit Parabolantennen genannte Public-Key-Methode zur asym - Internet wuchs. NSA und GCHQ drohten in Cornwall die Satellitenkommunikation metrischen Verschlüsselung entwickelten. im Dauerfeuer der elektronischen Signale über dem Atlantik und dem Indischen Gleichzeitig aber sind sie abhängig von zu verglühen. Es würde nicht genügen, Ozean ab. Die Idee, sich in Datenströme den Partnern jenseits des Atlantiks: Al - die Satellitenschüsseln anders auszurich - einzuklinken, hatten die Briten nicht erst lein im Haushaltsjahr 2011/12 überwiesen ten. GCHQ musste sich neu erfinden. mit dem Aufkommen des Internets. 2001 die USA knapp 35 Millionen Pfund für Der Mann, der dafür ausgewählt wur - gelangte das Europäische Parlament nach Dienstleistungen, schreibt der „Guar - de, war David Omand, ein asketischer einer Untersuchung zu dem Schluss, dass dian“-Journalist Luke Harding in seinem Karrierist aus London. Einer aus den die USA und Großbritannien mit Kanada, Buch „The Snowden Files“. Der unange - Machtzirkeln der Hauptstadt, denen die nehme Teil der Arbeit des GCHQ besteht Spione in Cheltenham mit einer Mi - Geheimdienstzentrale in Cheltenham darin, in den Hintern der NSA zu krie - schung aus Verachtung und Furcht begeg - chen. Dafür zahlt Amerika. nen. Omand war zwar 1969 als Auswerter David Omand erzählt, dass der Ge - zum GCHQ gekommen, wo er unter an - heimdienst mit Mobiltelefonen, Glas - derem die sowjetische Luftabwehr aus - faserkabeln und dem Internet zunächst spionierte. Er stieg jedoch bald ins Ver - überfordert war. Die Techniker und Aus - teidigungsministerium auf und arbeitete werter kamen mit der riesigen Datenmen - später bei der Nato in Brüssel. ge nicht zurecht. „Das Volumen wurde Als Omand 1996 den Posten des einfach zu groß“, sagt Omand. Es dauerte GCHQ-Direktors antrat, fand er eine Jahre, bis sie lernten, in diesem Strom Behörde vor, die für das 20. Jahrhundert von Informationen zu schwimmen. gemacht war – das nun zu Ende ging. David Omand ist der einzige Ehemali - Länder experten, Linguisten, Krypto - ge aus den Reihen des GCHQ, der seinen S R E

analy tiker und Programmierer arbeiteten T alten Arbeitgeber auf Podien und in Talk - U E in einem Labyrinth von Gebäuden, die R shows verteidigt. Seine Auftritte seien mit an die Baracken aus Alan Turings Ära er - niemandem abgesprochen, sagt Omand, innerten und C-Block oder M-Block hie - Lizenz zum Lauschen „aber insgeheim finden sie das, was ich ßen. Techniker und Führungsleute waren Der britische Abhördienst GCHQ mache, in Cheltenham vermutlich gut“. an entgegengesetzten Enden der Stadt (Government Communications Headquarters) Beim GCHQ gilt das Gesetz: Sprich untergebracht. Es roch nach Kaltem nie über deine Arbeit. Schon gar nicht Krieg. Am besten, man würde alles ab - mit Fremden. „Hier kennt jeder jeden“, reißen. Und genau das hatte Omand vor. sagt Mike Grindley. „Die Loyalität zur Er erzählt davon in einer Hotellobby Organisation ist sehr stark“, sagt David in der Londoner Innenstadt und hält nur Omand. Es gibt nicht viele Mitarbeiter in inne, um an seinem Earl-Grey-Tee zu nip - der Geschichte des Abhördienstes, die il - pen. Wenn man ihn malen müsste, würde loyal geworden sind und mit Kritik oder man vor allem Grau- und Brauntöne ver - Bedenken an die Öffentlichkeit gingen. wenden und einen Tupfer Zinnoberrot Hauptsitz Cheltenham Eine von ihnen ist Katharine Gun, die fürs Einstecktuch. Das Einzige, was nicht den Irak-Krieg verhindern wollte. ins Bild passt, ist die digitale Sportuhr an Mitarbeiter 2012 6100 Gun betritt ein Straßencafé in einer seinem linken Handgelenk. Kleinstadt an der türkischen Mittelmeer - Omand ist 66, aber längst nicht im Jahresbudget ca. 1,2 Mrd. € küste. Sie lebt hier seit anderthalb Jahren Ruhe stand. Er studierte vor kurzem Quellen: Britisches Parlament und „Guardian“ mit ihrem kurdischen Ehemann Yasar und Mathe matik und Theoretische Physik, un - ihrer fünfjährigen Tochter Hana. terrichtet am Londoner King’s College, Australien und Neuseeland ein globales Im Jahr 2000 war sie über eine Annonce hält Vorträge und schreibt Bücher über Spionagesystem namens Echelon „zum im „Guardian“ auf den Geheimdienst ge - die Notwendigkeit von Geheimdiensten. Abhören zumindest privater und kom - stoßen, der damals auf der Suche nach Omand sagt, Überwachung sei notwen - merzieller Kommunikation“ errichtet hät - Chinesisch-Experten war. Das Auswahl - dig, eigentlich ist er wie sein Geheim - ten. GCHQ griff auf immer größere Teile verfahren dauerte ein Jahr. Im Januar dienst. Ein höflicher Gentleman mit einer des Sprach- und Datenverkehrs zu, es be - 2001 trat sie ihre Stelle in der Abteilung Digitaluhr, den man leicht unterschätzt. merkte nur kaum jemand. Das ganze Aus - A25 an, zuständig für das Abhören aus - Er sagt, dass in den neunziger Jahren maß hatten nicht einmal die Experten im ländischer Quellen. Sie sollte die Gesprä - der Druck auf seine Behörde größer ge - EU-Parlament begriffen. che chinesischer Diplomaten in Großbri - worden sei. Das Foreign Office wollte Ana - Ende der neunziger Jahre begann der tannien mithören und beurteilen, ob der lysen, die Polizei, das Militär, der Premier - Dienst, die Pläne von David Omand um - Inhalt relevant für den Geheimdienst sei. minister. „Jeder wollte etwas anderes, und zusetzen. Omand selbst war 1998 vorzei - Ein Kopfhörer-Job wie in alten Zeiten. zwar möglichst schnell.“ Es genügte nicht tig ins Innenministerium befördert wor - „Du lernst dabei viel über das Privatleben mehr, die Namen russischer Kommandeu - den, doch seine Revolution ging weiter. von Menschen“, sagt sie. re in einer Datei abzuspeichern. Die Ab - Die Pläne für die neue Zentrale nahmen Gun wuchs als Tochter eines Englisch - hörer mussten Signale abfangen können, Gestalt an. Statt Abteilungen in getrenn - dozenten in auf, wo sie Mandarin die in Glasfaserkabeln mit Lichtgeschwin - ten Gebäuden unterzubringen, sollten lernte. Mit 16 zog sie nach England und

# $"  ! 9/2014 53 studierte Japanisch und Chinesisch. In Cheltenham fühlte sie sich heimisch. Die Kollegen waren nett, in der Mittagspause redete man über das Wetter oder darüber, wer mit wem ins Bett stieg. Gleichzeitig spürte Katharine Gun, dass sie einer Ge - meinschaft beigetreten war, die sich für besonders hielt. Einem Schweigezirkel. „Die Leute beim GCHQ sind eine eigene Spezies“, sagt sie. Gun war zwei Jahre und vier Wochen lang beim Geheimdienst, als sie die ver - räterische E-Mail über die Operation ge - gen die Uno in ihrem Postfach fand. Die Nachricht ging an ungefähr hundert Emp - fänger in Cheltenham und stammte von Frank Koza, damals Chef der Abteilung „Regionale Ziele“ bei der NSA. Als Gun den Kollegen Koza und seine Mail hochgehen ließ, reagierte die britische Behörde seltsam zurückhaltend. Gun hatte beschlossen, sich freiwillig zu stellen. Ihre Chefin seufzte nur: „Oh, Katharine.“ Sie verbrachte eine Nacht im Gefängnis, ihre Wohnung wurde durchsucht. Die Ankläger ließen später das Verfahren aus „Mangel an Beweisen“ fallen. Es wurde still. Der Schweigezirkel funktionierte hervorragend. Für ihre früheren Kollegen war sie nun die Aussätzige. Sie fiel in ein depressives Loch, blieb aber trotzdem noch mehrere Jahre in Cheltenham wohnen. Gelegentlich traf sie Bekannte aus dem Geheimdienst, denen die Begegnung ähnlich unangenehm war wie ihr. Niemand sprach sie auf die E-Mail an. „Es war gespenstisch, fast so, als wäre das alles nicht geschehen“, sagt sie. Gun wurde aus dem Gedächtnis von Chel - tenham gelöscht wie ein Schadprogramm. Und natürlich machte der Dienst wei - ter. Die Debatte über Guns Enthüllung verpuffte. Das neue Hauptquartier war 2003 bezugsfertig, mit riesigen Server-Hal - len und Hochleistungsrechnern. Trotzdem ist GCHQ ein sehr britischer Geheimdienst geblieben. Es gibt einen Schachclub, Quiz-Nächte im Pub und eine nicht ernstgemeinte Gruppe von Geisterjägern. Die Abhörer von Chelten - ham bleiben bis heute am liebsten unter sich. Sie leiden deshalb immer noch unter Snowdens Enthüllungen. Im Gegensatz zur NSA, die seit kurzem Journalisten in die Zentrale einlädt, halten die britischen Spione die Luft an und beten, dass alles bald vorüber sein möge. Man sieht nicht viel, wenn man um ihr Hauptquartier am Stadtrand von Chelten - ham herumspaziert. Ein gewölbtes Dach in der Ferne, Pappeln, Stacheldraht, „Foto - grafieren verboten“-Schilder. Auf einer Bank vor dem Eingang sitzen zwei Männer im dunklen Anzug in der Wintersonne. Sie starren auf den Boden und sagen nichts.

Animation: So arbeitet der GCHQ spiegel.de/app92014gchq oder in der App DER SPIEGEL

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