2/2013

Wildbachforschung Bodenstabilität Schutzwald

Bild: C. Graf, WSL

Murgänge im Mattertal - Untersuchung des Schwemmholz- Risikomanagement Schutzwald Inhalt Blockgletscherkrisen beeinflussen transports in einem Wildbach ...... 8 Bader ...... 13 Wildbachaktivität ...... 3

Geschiebetransportmessungen in Bodenstabilität und Naturgfahren: einem steilen Gebirgsbach...... 6 Vom Wissen zum Handeln ...... 11

2 Agenda FAN 2/2013 Herausgeber / Editeur FAN Fachleute Naturgefahren Schweiz Offizielle Adresse / Adresse officielle Vorwort Nils Hählen, Tiefbauamt des Kantons Bern Oberingenieurkreis I Schlossberg 20, 3601 Thun Liebe Leserinnen und Leser Tel. 033 225 10 77, E-Mail: [email protected] Liebe FAN-Mitgliederinnen und Mitglieder Sekretariat, Administration, Kurswesen / Die Fliessbewegung des Blockgletschers Gugla (Titelseite der vorliegenden FAN-Agenda) be- Secrétariat, administration, cours Ingenieure Bart AG, Rolf Bart, schleunigte sich in den letzten Monaten und Jahren deutlich. Lockermaterial aus der überstei- Waisenhausstrasse 15, 9000 St. Gallen len Front gelangte zunehmend in den steilen Bielzug bei Herbriggen (Gde. St. Niklaus). Jüngste Tel. 071 /228 01 70, Fax 071/228 01 71 E-Mail: [email protected] Murgangereignisse im Frühsommer 2013 haben das grosse Gefahrenpotenzial entlang des Internet: http://www.FAN-Info.ch Wildbaches deutlich aufgezeigt: Ein rascher Temperaturanstieg, sonnige Witterung und an- Redaktion FAN-Agenda / haltende Nullgradgrenze um 4500 m ü.M. führten dazu, dass der in überdurchschnittlicher Rédaction Agenda-FAN Jean-Jacques Thormann, HAFL, Zollikofen Menge vorhandene Schnee in wenigen Tagen sehr rasch geschmolzen ist. Thomas Plattner, Rapp Infra AG, Basel Die resultierenden Abflüsse über, durch und unter dem Blockgletscher Gugla, welcher aufgrund Alexandre Badoux, WSL, Birmensdorf Martin Frei, Amriswil des aufschmelzenden Permafrosts bereits destabilisiert war, lösten am 17. Juni 2013 abends Meldungen, Beiträge und Anfragen FAN -Agenda an: / in rascher Abfolge grosse Lockermaterialpakete aus der nördlichen Stirn in den Bielzug. Die Informations, contributions et demandes à darauf entstandenen Murgänge flossen bis in den Talgrund und beanspruchten die vorhan- l’adresse suivante: Jean-Jacques Thormann, Berner Fachhochschule denen Schutzmassnahmen bis an ihre Grenzen. Strasse und Bahn wurden zeitweise gesperrt Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissen- und ein Teil der Siedlung Herbriggen blieb aus Sicherheitsgründen für mehrere Tage evakuiert. schaften HAFL, Fachgruppe Gebirgswald & Naturgefahren Länggasse 85, 3052 Zollikofen, Der Geschiebesammler musste während mehreren Tagen täglich geleert werden, um nach- Tel. 031 910 21 47, Fax 910 22 99, folgenden Ereignissen einen Rückhalteraum zu bieten und so den gefährdeten Strassen- und E-Mail:[email protected] Bahnabschnitt vor einer Beschädigung zu schützen. Ein beachtlicher Anteil des gesamten Zielsetzung der FAN Die Tätigkeit der FAN steht im Dienste der Walderhal- Murgangmaterials wurde in den Vorfluter geschwemmt, wo es im Mündungsbereich zu Auf- tung und dem Schutz vor Naturgefahren. Sie widmet landungen kam. Der Gemeindeführungsstab, die Feuerwehr und der Zivilschutz der Gemeinde sich insbesondere dem Thema Weiterbildung bezüglich Lawinen-, Erosions-, Wildbach-, Hangrutsch- und Stein- St. Niklaus sowie die betroffene Bevölkerung und Betreiber der Verkehrsachsen haben die He- schlaggefahren. Die ganzheitliche, interdisziplinäre Beur- rausforderungen gut gemeistert. Die kantonalen Fachstellen, privaten Ingenieurunternehmen teilung und Erfassung von gefährlichen Prozessen sowie die Möglichkeiten raumplanerischer und baulicher Mass- und involvierten Forschungsinstitutionen leisteten dabei die notwendige Unterstützung. nahmen stehen im Zentrum. Die eindrücklichen Auswirkungen des schmelzenden Permafrosts auf die Wildbachaktivität im Mitgliedschaft bei der FAN Mattertal werden im Rahmen des WSL-Projektes „Gefahrenkartierung Mattertal VS: Grundla- Die Mitglieder der FAN sind Fachleute, welche sich mit Naturgefahren gemäss Zielsetzung der Arbeitsgruppe genbeschaffung und numerische Modellierung von Murgängen“ untersucht und in der vor- befassen. Total umfasst die FAN über 350 Mitglieder aus liegenden Ausgabe der FAN-Agenda vorgestellt. Zusätzlich enthält diese Ausgabe weitere der ganzen Schweiz. Mitgliedschaftsanträge sind an den Präsidenten oder Sekretär zu richten. Die Mitgliedschaft Informationen zu aktuell an der Eidg. Forschungsanstalt WSL laufenden Projekten in den The- in der FAN kostet Fr. 80.– / Jahr und steht allen Fach- menbereichen Geschiebetransport, Schwemmholz und Hangstabilität sowie einen Artikel zum leuten aus dem Bereich Naturgefahren offen. Bedingung ist zudem, dass jeweils innerhalb von drei Jahren einmal «Risikomanagement Schutzwald Bader», welcher vom Büro Ernst Basler + Partner erarbeitet vom Kursangebot Gebrauch gemacht wird. wurde. Objectif de la FAN La FAN est au service de la conservation des forêts et de la protection contre les dangers naturels. Elle se Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und eine schöne Weihnachtszeit! consacre en particulier au thème du perfectionnement dans le domaine des dangers que représentent les ava- lanches, l’érosion, les torrents, les glissements de terrain Für den FAN-Ausschuss Für das Redaktionsteam et les chutes de pierres. Elle met aussi l’accent sur deux Christoph Graf Alexandre Badoux aspects importants: des évaluations et des relevés glo- baux et interdisciplinaires des processus dangereux, et les mesures possibles en matière d’aménagement du territoire et de génie forestier. Adhésion à la FAN Les membres de la FAN sont des spécialistes qui s’oc- cupent de dangers naturels conformément aux objectifs du groupe de travail. La FAN comprend au total plus de 350 membres, répartis dans toute la Suisse. Les de- mandes d’adhésion doivent être adressées au président ou au secrétaire. L’adhésion à la FAN coûte fr. 80.– / an. Auflandungen im Bereich der Elle est ouverte à tous les spécialistes des dangers natu- Einmündung des Bielzugs rels. Une seule condition imposée est de fréquenter tous in die Matter Vispa am les trois ans au moins l’un des cours proposé. 18.06.2013 Agenda FAN 2/2013 3 Murgänge im Mattertal - Blockgletscherkrisen beeinflussen Wildbachaktivität

Christoph Graf (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected])

Ausgangslage scher auffällig hohe Bewegungsraten aufwei- renanalyse. Dabei wird u.a. das numerische Klimawandel und steigende Temperatu- sen. Deren fünf liegen auf der rechten Talseite Massenbewegungsmodell RAMMS (Christen ren (IPCC 2013) haben die Grunddispositi- des Mattertals (Delaloye et al. 2013). et al. 2010) eingesetzt und optimiert. Kalib- on im hochalpinen Gelände innert weniger Die geschilderten Abläufe lassen vermuten, riert anhand von gut dokumentierten Ereignis- Jahrzehnte deutlich verändert. Durch das dass wir es hier mit neuen und in den letzten sen werden damit Szenarien gerechnet, bau- Schmelzen der Alpengletscher werden neue Jahrhunderten kaum aufgetretenen Situatio- liche Massnahmenvorschläge überprüft und Schuttherde freigelegt. Neben dem Gletsche- nen zu tun haben. Somit kann beim Gefahren- die Grundlagen für die Gefahrenzonierung reis verflüssigt sich aber auch gefrorenes management nicht nur auf die langjährige Er- erarbeitet. Der Hauptfokus der WSL-eigenen Wasser, welches bisher im Untergrund Fels fahrung und etablierte Methoden im Umgang Untersuchungen liegt beim Dorfbach Randa. und Lockergestein zusammenhielt. Damit ge- mit Alpinen Naturgefahren vertraut werden. raten zuvor stabile Hänge und Felspartien am Die neuen Aspekte müssen zwingend mitbe- Resultate und Erkenntnisse unteren Rand der Permafrostzone zunehmend rücksichtigt werden (Graf et al. 2013). Der Projektperimeter im Mattertal (Abb. 1) ist in Bewegung und das zusätzlich verfügbare mittlerweile ein sehr detailliert dokumentiertes Lockermaterial wird durch gravitative Prozes- Untersuchungen und umfassend untersuchtes Gebiet im Alpi- se in die Gerinne transportiert. Bei intensivem Die WSL hat mit ihrem Projekt „Gefahrenkar- nen Raum. Die Blockgletscherüberwachung Eintrag von Wasser, etwa bei Starkregen, kön- tierung Mattertal: Grundlagenbeschaffung und (Delaloye et al. 2013) zeigt deutlich, dass die nen so auch vermehrt Murgänge anreissen. numerische Modellierung von Murgängen“ vor einigen Jahren identifizierten sehr hohen Im Mattertal zwischen Täsch und St. Niklaus (Graf et al. 2013) neben detaillierten eigenen Geschwindigkeiten immer noch vorherrschen. führen steile Wildbachgerinne ohne deutliche Studien in sieben Wildbachgerinnen auf der In einigen Fällen (z.B. beim Blockgletscher Flachstrecken direkt in den Talgrund, wo Sied- rechten Talseite im Mattertal zwischen St. Grabengufer) scheint die aktuelle Phase der lungen und Verkehrswege liegen. Auswertun- Niklaus und Randa (Abb. 1) die Koordination höchsten Intensität bereits vorüber zu sein. gen von Satellitenbildern haben gezeigt, dass der wissenschaftlichen Untersuchungen und Bei anderen Blockgletschern, wie dem Dirru in den Schweizer Alpen bis zu 20 Blockglet- angewandter Studien im Projektperimeter in im Einzugsgebiet des Geisstriftbaches oder Angriff genommen dem Gugla im Bielzug sind auf hohen Wer- und erste Resultate ten verweilende oder sogar zunehmende Ge- zusammengetra- schwindigkeiten feststellbar. gen. Anhand von Abfluss und mögliche Gefährdung aus den zahlreichen Mess- vergletscherten Flächen sind bekannt und einrichtungen kön- in Szenarienüberlegungen berücksichtigt. nen die Ereignisse Murgänge wurden in den letzten Jahren fast dokumentiert und lückenlos erfasst, dokumentiert und nachmo- analysiert sowie die delliert. Dabei wurden unterschiedliche Start- Gerinne überwacht verfahren in RAMMS verglichen und bewertet werden. (Deubelbeiss et al. 2013). Basierend auf die- Das angewandte sen Erfahrungen verfassten Ingenieurbüros in Forschungsprojekt Zusammenarbeit mit der WSL für den gesam- der WSL fokussiert ten Projektperimeter ein Sicherheitskonzept, stark auf die Erar- welches bauliche Schutzmassnahmen sowie beitung von Grund- temporäre Vorkehrungen für Siedlungsgebie- Abb. 1: Untersuchungsperimeter mit sieben steilen Wildbachgerinnen auf der rechten Seite des Mattertals im Kanton Wallis zwischen Täsch und St. lagen für die Gefah- te und Verkehrswege vorschlägt. Konkrete Niklaus. © swisstopo (JD100040) 4 Agenda FAN 2/2013

Massnahmen werden im Rahmen von Bau- projekten gemäss Priorisierung auf Grund der aktuellen Entwicklung in den nächsten Jahren ausgeführt.

Im Dorfbach (Abb. 2) fällt die Lieferung von Lockermaterial aus dem obersten Teil des Ein- zugsgebietes in den darunterliegenden steilen Hang und bis zum Gerinne sehr hoch aus. Bedingt wird dies durch die enorm rasche Be- wegung seines Blockgletschers Grabengufer. Steinschlag und kleine Murgänge verlagern kontinuierlich Lockermaterial. Sie lösen sich aus der Blockgletscherstirn und erreichen vom Frühjahr während der Schneeschmelze bis in den Hochsommer auf dem bis zu 40° geneigten Hang je nach Startvolumen, Was- sergehalt und Verfüllungsgrad bestehender Rinnen Reichweiten von wenigen hundert Me- tern. Grössere Sturzereignisse wurden exakt vermessen und verlagerte Volumen aus dem periglazialen Bereich in die Gerinne oder bis zum Vorfluter quantifiziert (Bühler und Graf Abb.2: Sichtbar hohe Wildbachaktivität im Dorfbach Randa. Dargestellt sind 2013). Unter solchen Voraussetzung erstaunt das Auslösegebiet am Grabenufer und der Fliessweg von Murgängen, sowie die Lage der Geschiebefront zwischen 2010 bis 2013 (rote Pfeile). Bauliche es nicht, dass eine erhöhte Gerinneaktivität zu Schutzmassnahmen auf dem Kegel sind bereits realisiert und das Gerinne wird an zwei Stellen kontinuierlich beobachtet. beobachten ist. Die kleinen Murgangereignis- se aus der Blockgletscherstirn gelangen ab im kommenden Jahr den oberen Kegelbereich Jungschuttgebiet. Charakteristisches Verhal- Volumen von einigen Hundert bis wenigen erreichen. Bauliche Schutzmassnahmen wur- ten beider Gebietstypen kann also vermutlich Tausend Kubikmetern bis in die Konfluenzzo- den dort bereits realisiert. kombiniert auftreten. Das macht die Beurtei- ne des Hanges mit dem Dorfbachgerinne. Dort lung der Gefahrensituation entsprechend an- erfolgen auf Grund des Geländeknicks und Die Magnituden der beobachteten Murgänge spruchsvoller. Der limitierende Faktor für das reduziertem Gefälle unter 30° im Dorfbach waren in den letzten Jahrzehnten tief und nur Auftreten von Murgängen bleibt im Mattertal einerseits Ablagerungen, andererseits suchen wenige Ereignisse gelangten bis in den Vorflu- nach wie vor das Wasserangebot in den Ein- sich die etwas voluminöseren und schnel- ter. Der Dorfbach weist grundsätzlich die ty- zugsgebieten. leren Murgänge neue Fliesswege durch die pischen Merkmale eines Wildbachgerinnes im Ablagerungszone in den Dorfbach hinein, wo Altschutt auf. Generell geht man in diesem Fall Schlussfolgerung sie weiter fliessen oder innerhalb von weni- davon aus, dass das Auftreten von Murgängen Auch wenn die Konstellation an der Ostflan- gen Hundert Metern ebenfalls stehenbleiben. unregelmässig erfolgt, dies bei sehr variabler ke der Mischabelgruppe eher ein Extremfall Fliessen sie weiter (Abb. 3), liegt im Gerinne Magnitude, wobei auch sehr grosse Ereignis- darstellt, ist davon auszugehen, dass künftig abgelagertes Lockermaterial bereit und kann se auftreten können. Das Einzugsgebiet des im gesamten Alpinen Raum ähnliche Ereignis- durch die grösseren Ereignisse aufgenommen Dorfbaches verändert sich durch die neusten ketten bewältigt werden müssen oder schon werden, so dass ihr Volumen auf dem weite- Entwicklungen in den mittleren Höhenlagen mehr oder weniger bewusst bewältigt werden. ren Weg beträchtlich anwächst. Die Haupt- um 2700 m ü.M. und dem damit verbundenen Klimamodelle prognostizieren vermehrt Nie- ablagerungszone im Transitbereich (Abb. 2) erhöhten Sedimenteintrag aus dem Blockglet- derschläge im Frühjahr und im Herbst, sowie verlagert sich von Jahr zu Jahr um wenige scher. Zumindest im unteren Gerinneabschnitt einen Anstieg der Schneegrenze. Weil zudem hundert Meter Gerinne abwärts und wird wohl erfolgt ein Wandel von einem Alt- zu einem von höheren Niederschlagsintensitäten auszu- Agenda FAN 2/2013 5

Literatur Bühler, Y.; Graf, C., 2013: Sediment transfer mapping in a high-alpine catchment using air- borne LiDAR. In: Graf, C (ed) Mattertal - ein Tal in Bewegung. Publikation zur Jahrestagung der Schweizerischen Geomorphologischen Gesellschaft 29. Juni - 1. Juli 2011, St. Ni- klaus. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmen- sdorf. 113 – 124. Christen, M.; Kowalski, J.; Bartelt, P., 2010: RAMMS: Numerical simulation of dense snow avalanches in three-dimensional terrain. Cold Regions Science and Technology, Vol. 63, 1-2, pp. 1 - 14. Delaloye, R.; Morard, S.; Barboux, C.; Abbet, D.; Gruber, V.; Riedo, M.; Gachet, S., 2013: Rapidly moving rock glaciers in Mattertal. In: Abb. 3: Kleines Murgangereignis im Dorfbach im Juli 2012, aufgezeichnet von der automati- Graf, C (ed) Mattertal - ein Tal in Bewegung. schen Monitoringstation im Mittellauf Publikation zur Jahrestagung der Schweize- rischen Geomorphologischen Gesellschaft gehen ist, nimmt auch der erwartete Feststoff- 29. Juni - 1. Juli 2011, St. Niklaus. Eidg. For- transport zu. All das wird sich sowohl auf das Projekt „Gefahrenkartierung Mattertal VS: schungsanstalt WSL, Birmensdorf. 21-31. zeitliche Auftreten wie auch auf die Magnitude Grundlagenbeschaffung und numerische Mo- Deubelbeiss,Y.; Graf, C., 2013: Two different von Murgängen auswirken. dellierung von Murgängen“ starting conditions in numerical debris flow Mit einer der aktuellen Situation angepass- http://www.wsl.ch/mattertal/ models - Case study at Dorfbach, Randa ten Szenarienwahl und dem Einsatz von nu- (, ). In: Graf, C (ed) Matter- merischer Modellierung ist es möglich, die tal - ein Tal in Bewegung. Publikation zur Jah- gefährdeten Gebiete zu bestimmen und auf restagung der Schweizerischen Geomorpholo- Gefahrenkarten auszuweisen. Die Entwick- gischen Gesellschaft 29. Juni - 1. Juli 2011, lungen in den Einzugsgebieten sind jedoch so St. Niklaus. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Bir- dynamisch, dass sich die Gefährdungszonen mensdorf. 125 – 138. relativ rasch ändern können. Wir werden in Graf, C.; Deubelbeiss, Y.; Bühler, Y.; Meier, L.; der nahen Zukunft vielerorts mit neuen Fra- McArdell, B.W.; Christen, M.; Bartelt, P., 2013: gestellungen, veränderten Ausgangsbedin- Gefahrenkartierung Mattertal: Grundlagenbe- gungen und vorgängig in Szenarien nicht be- schaffung und numerische Modellierung von rücksichtigten Aspekten konfrontiert sein. Ein Murgängen. In: Graf C. (Red.) Mattertal – ein vorausschauendes Handeln und Finden von Tal in Bewegung. Publikation zur Jahresta- geeigneten Massnahmen, sowohl baulicher gung der Schweizerischen Geomorphologi- wie auch organisatorischer Art, ist wichtig schen Gesellschaft 29. Juni–1. Juli 2011, St. und kann im betroffenen Talabschnitt einen Niklaus. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Bir- sichereren Umgang mit der Bedrohung durch mensdorf. 85–112. Murgangereignisse garantieren. Ein integraler IPCC, 2013: Fifth Assessment Report - The Ansatz, welcher sämtliche vorherrschenden Physical Science Basis (final draft) Naturgefahren und auch die Bedürfnisse der Raumnutzung kombiniert, steht dabei im Vor- dergrund. 6 Agenda FAN 2/2013 Geschiebetransportmessungen in einem steilen Gebirgsbach

Johannes Schneider (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected]) Dieter Rickenmann (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected]) Alexandre Badoux (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected]) James W. Kirchner (Eidg. Technische Hochschule ETH, [email protected]) Einleitung Geophonsystem Im Schweizer Alpenraum ist intensiver Ge- Im 40% steilen Ge- schiebetransport infolge Unwettern häufig mit rinneabschnitt sind grossen Schäden verknüpft (z.B. Badoux et direkte Geschiebe- al., 2013). Um die Vorhersagen von Geschie- messungen, z.B. betransport im alpinen Raum zu verbessern mit Geschiebefallen, und Gefahrenpotentiale besser einschätzen nicht möglich. An zu können, sind hochwertige Geschiebetrans- der Wasserfassung, portdaten von grosser Bedeutung. In diesem am unteren Ende Beitrag stellen wir zwei Einrichtungen zur des steilen Gerinne- Geschiebetransportmessung in einem steilen abschnittes, wurde Gebirgsbach vor und vergleichen deren Trans- daher im Jahr 2008 portbilanzen. in Zusammenarbeit der KWM und der Untersuchungsgebiet WSL ein indirektes Die Geschiebetransportmessungen wurden Geophonsystem im Riedbach (Kanton Wallis) durchgeführt Abb. 1: Riedbach (Gemeinde St. Niklaus, Kanton Wallis) (Bilder: Google zur Messung der Earth, J. Schneider) (Abbildung 1). Der Riedbach ist ein Gebirgs- Geschiebetrans- len über den Gerinnequerschnitt im Abstand bach mit nivo-glazial geprägtem Abflussre- portintensität installiert (Abbildung 4). Das von etwa einem Meter an der Gerinnesohle gime. Tägliche Spitzenabflüsse erreichen im System besteht aus seismischen Sensoren, verankert. Die Netze werden je nach Geschie- Sommer etwa 4 m3/s. Der Riedbach fliesst angebracht unter Metallplatten (50 x 36 cm). betransportrate im Intervall von etwa 10 – 60 nach Austritt aus dem Gletschertor über ein Die Platten werden typischerweise an befes- Minuten entleert. Anschliessend werden die Gletschervorfeld mit einer Gerinneneigung tigten Gerinnequerschnitten über den gesam- Geschiebeproben nach Kornfraktionen gesiebt von etwa 3%. Nach einem Kilometer erreicht und gewogen. Anhand dieser Messungen er einen Gefällsknickpunkt, der nachfolgende konnte für den Riedbach eine Beziehung zwi- Abschnitt hat ein Gefälle von etwa 40%. Nach schen der Geschiebetransportrate und dem weiteren 500 m wird ein Grossteil des Was- Abfluss erstellt werden (Abbildung 3). Damit sers zur Stromgewinnung gefasst (Kraftwerke lassen sich z.B. jährliche Geschiebebilanzen Mattmark AG, KWM). abschätzen. Unsicherheiten in den empirisch abgeleiteten Geschiebemessungen Geschiebebilanzen (Abbildung 3) ergeben Mobile Geschiebefallen Abb. 2: Geschiebefallen auf dem Gletschervorfeld sich zum einen aus den eher kurzen Beob- (Bild: J. Schneider) Auf dem Gletschervorfeld wurden Geschiebe- achtungszeiträumen; zeitliche Variationen transportraten mit mobilen Geschiebefallen der Transportraten mit dem Abfluss (z.B. po- (engl. portable bedload traps, Bunte et al., tentielle Hysterese-Effekte über Tages-, oder 2007) bei Abflussverhältnissen von 0.4 bis Jahresgänge) werden vernachlässigt. Zum 2.7 m3/s bestimmt. Die Geschiebefallen be- anderen können die Geschiebebilanzen feh- stehen aus einem Aluminiumrahmen im DIN lerbehaftet sein, da bei deren Erstellung die A4 Format und einem in Fliessrichtung befes- Beziehung aus Abbildung 3 auf nicht gemes- tigten Netz (Maschenweite 6 mm, Abbildung sene Abflüsse < 0.4 m3/s extrapoliert wurde. Abb. 3: Geschiebetransport als Funktion des 2). Während einer Messung werden die Fal- Abflusses Agenda FAN 2/2013 7

Abb. 4: A) Wasserfassung Riedbach mit Geophonsystem; B) Sediment-Rück- Abb. 5: Eichbeziehung zwischen Geophonimpulsen und Geschiebevolumen haltezaun und C) Vermessung der Sedimentablagerungen mit einem Laser- (Korngrössen > 2.5cm). scanner (Bilder: J. Schneider). ten Querschnitt montiert. Abhängig von der vergleichbaren Studien mit einem Faktor von Wasserfracht Veff für Abfluss Q > 1.5 m3/s) Geschiebetransportintensität werden am Geo- ungefähr zwei angegeben (Rickenmann and im Jahr 2011 um etwa ein Drittel niedriger phon (dem Schwingungssensor) messbare McArdell, 2007). ist als 2010. Entsprechend niedriger fallen Spannungen induziert. Übersteigt diese Span- generell die kumulierten Geschiebevolumen nung einen definierten Schwellenwert wird ein Geschiebebilanz 2011 im Vergleich zu 2010 aus. Auffallend Geophonimpuls von der Datenerfassungsein- Für die Jahre 2010 und 2011 wurden Jahres- ist ebenfalls, dass die Geschiebevolumen des heit aufgezeichnet. Um quantitative Aussagen bilanzen für den Geschiebetransport an den flachen Abschnittes (FFlach) auf sehr ähnlichem über den Geschiebetransport machen zu kön- beiden Standorten erstellt (Tabelle 1). Am fla- Niveau sind wie die des steilen Abschnittes nen, muss das Geophonsystem anhand direk- chen Abschnitt (Gefälle 3%) über die Abfluss- (FSteil). Dieses Resultat steht im Gegensatz zu ter Geschiebemessungen kalibriert werden ganglinie und die Beziehung entsprechend Abschätzungen mit gängigen Geschiebetrans- (siehe auch Rickenmann et al., 2012). Abbildung 3, am steilen Abschnitt (40%) über portformeln (z.B. Meyer-Peter und Müller). Bei Für die Kalibrierung wurde periodisch ein das kalibrierte Geophonsystem und die Anzahl Vernachlässigung von den speziellen morpho- Metallzaun unterhalb der Wasserfassung ins- Entsanderspülungen (Abbildung 5). logischen und hydraulischen Bedingungen in talliert um grobes Geschiebe zurückzuhalten. Tab. 1: Jahresbilanzen: Wasserfracht und Ge- steilen Gebirgsbächen wäre bei einer Gefälle- Die Ablagerungen wurden in etwa zwei-wö- schiebetransport zunahme von einem Faktor 10 eine Geschie- chentlichen Abständen mittels eines Laser- VVeff FFlach FSteil betransportzunahme von etwa einem Faktor scanners vermessen. Zusätzlich wurden die 30 zu erwarten. Auch wenn die Messgrössen [mio. m3] [mio. m3][m3][m3] Geschiebeablagerungen an einzelnen Tagen beider Systeme mit Fehlern behaftet sind, ist mit Geotextilfolien abgedeckt. Jeweils einen anzunehmen, dass sich die Unsicherheiten Tag später wurden die neu zugeführten Ge- 2010 15.5 3.5 251 255 nicht im Bereich eines Faktors 30 bewegen. steine manuell eingesammelt und gewogen. 2011 14.1 2.5 144 151 Mittels diesen direkten Geschiebemessungen Schlussfolgerung konnte eine Eichbeziehung zwischen regist- 11/10 0.9 0.72 0.57 0.59 Die Messung von Geschiebetransport in stei- rierten Geophonimpulsen und transportiertem len Gebirgsbächen ist komplex. Die Resultate V: Abflussvolumen Grobgeschiebe abgeleitet werden (Abbildung 3 von verschiedenen Messsystemen sind nicht Veff: effektives Abflussvolumen für Q > 1.5 m /s F : Geschiebevolumen Gletschervorfeld (Geschiebe 5). Die Masse des transportierten Feinmate- Flach vollständig miteinander vergleichbar und übli- fallen) rials (Korngrössen < 2.5 cm), welches das FSteil: Geschiebevolumen Steistrecke (Geophonsystem cherweise mit grossen Unsicherheiten behaf- und Entsanderspülungen). Tyrolerwehr passieren kann und im Entsan- tet. Jedoch lässt sich aus dem Vergleich der der der Fassung abgelagert wird, wurde über Geschiebebefrachten an den beiden Messs- Obwohl die totale Wasserfracht (V) beider Jah- die Anzahl der Spülungen abgeschätzt. Die tandorten folgern, dass die Geschiebetrans- re auf ähnlichem Niveau ist, fällt auf, dass das Unsicherheit der aus den Geophonmessun- portraten nicht proportional mit dem Gefälle effektive Abflussvolumen (geschiebewirksame gen abgeleiteten Geschiebebefrachten ist in zunehmen, sondern sich vielmehr auf einem 8 Agenda FAN 2/2013

ähnlichen Niveau befinden. Die limitierte Zu- Literatur Rickenmann, D., and B.W. McArdell (2007), nahme des Geschiebetransportes mit zuneh- Badoux, A., Andres, N., and Turowski, J. M. Continuous measurement of sediment trans- mendem Gefälle lässt sich durch die erhöhten (subm), Damage costs due to bedload trans- port in the Erlenbach stream using piezoelec- Energieverluste durch zunehmende Makro- port processes in Switzerland, submitted to tric bedload impact sensors, Earth Surface Rauigkeiten erklären. Dies unterstreicht die Nat. Hazards Earth Syst. Sci. Discuss. Processes and Landforms, 32: 1362–1378. Bedeutung der Berücksichtigung von erhöhten Bunte, K., K. W. Swingle, and S.R. Abt (2007), Rickenmann, D., J.M. Turowski, B. Fritschi, A. Fliesswiderständen bei Berechnungen von Se- Guidelines for using bedload traps in coarse- Klaiber, and A. Ludwig (2012), Improved se- dimenttransportraten in steilen Gebirgsbächen bedded mountain streams: Construction, in- diment transport measurements in the Erlen- (Nitsche et al., 2011). stallation, operation and sample processing., bach stream including a moving basket sys- Dieser Beitrag wurde im Rahmen des ETH 91 pp, Fort Collins, Colorado. tem, Earth Surface Processes and Landforms, CESS-APUNCH Projektes zum besseren Pro- Nitsche, M., D. Rickenmann, J. M. Turow- 37: 1000–1011. zessverständnis von Naturgefahren infolge ski, A. Badoux, and J. W. Kirchner (2011), Schneider, J. M., D. Rickenmann, J. M. Tu- extremen Niederschlagsereignissen ver- Evaluation of bedload transport predictions rowski, K. Bunte, and J. W. Kirchner (subm), fasst. Ausführlichere Veröffentlichungen sind using flow resistance equations to account Bedload transport prediction for mixed-size bei Water Resources Research eingereicht for macro-roughness in steep mountain sediments based on field data, submitted to (Schneider et al., subm), bzw. in Vorbereitung. streams, Water Resour. Res., 47(8), doi: Water Resources Research. 10.1029/2011wr010645.

Untersuchung des Schwemmholz- transports in einem Wildbach

Matthias Jochner (Geographisches Institut der Universität Bern, [email protected]) Alexandre Badoux (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected]) Jens Martin Turowski (Deutsches Geoforschungszentrum GFZ, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, [email protected])

Hintergrund riments (Jochner 2013) war es daher, die Analyse des Transportverhal- Schwemmholz ist ein integraler Bestandteil Einflüsse des Abflussregimes, der physischen tens mithilfe von Schwemm- eines jeden natürlichen Fliessgewässers mit Eigenschaften von Schwemmholzstücken so- holz-Tracerstücken bewaldetem Einzugsgebiet und hat grossen wie der jeweiligen Ablagerungsposition der In einem Zeitraum von Juni bis Oktober 2012 Einfluss auf Gerinnemorphologie und Gewäs- Hölzer auf deren Mobilisierung, Transport und wurde eine Population von 236, mit Radio Fre- serökologie (z.B. Wohl 2013; Braudrick and Ablagerung zu untersuchen. Ein spezieller Fo- quency Identification (RFID) Sendern ausge- Grant 2000). Transportiertes Totholz kann kus wurde ausserdem auf Verklausungen ge- statteten Holzstücken in einem 320 m langen während Hochwasserereignissen ein erheb- richtet, da diese vermutlich eine substanzielle Bachabschnitt verfolgt (Beispiel eines Holz- liches Risiko darstellen. Obwohl die Zahl der Wirkung auf fluvialen Holztransport in steilen tracers in Abbildung 1). Die Holztracer hatten Studien zum Thema Schwemmholz in den Gerinnen ausüben. Als Untersuchungsgebiet Längen zwischen 0.1 und 1.0 m. Etwa der letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, diente ein 320 m langer Gerinneabschnitt des Hälfte der Holzstücke wurden vor dem Ausset- sind Charakterisierungen des Transportver- Erlenbachs, einem Wildbach in den Schweizer zen die Äste entfernt. Nach Abflussereignissen haltens und der darauf einflussnehmenden Voralpen, der seit über 30 Jahren Gegenstand wurden die Hölzer jeweils mit einem mobilen Faktoren selten (z.B. MacVicar et al. 2009; der Forschung an der Eidg. Forschungsanstalt Antennensystem aufgespürt, deren Position Schenk et al. 2013). Ziel eines im Rahmen WSL ist (z.B. Hegg et al. 2006). entlang des Gerinnes vermessen sowie die einer Masterarbeit ausgeführten Feldexpe- Auffindesituation aufgenommen. Dadurch Agenda FAN 2/2013 9

Relevante Einflussfaktoren auf längere Distanzen transportiert (Abbildung 3). den Transport von Schwemm- Hauptgrund ist vermutlich die Wahrscheinlich- holz am Erlenbach keit, mit der ein Schwemmholzstück von ei- Die Analyse des Transportprofils zeigt das Ab- nem Hindernis gestoppt wird. Diese nimmt mit flussgeschehen als wichtigsten Einflussfaktor der Länge des Stückes zu und spielt vor allem auf die Mobilisierung von Holztracern. Die Mo- in Wildbächen mit grossem Gefälle und einer bilisierungsrate der Hölzer wurde sowohl vom hohen Anzahl an Hindernissen eine wichtige registrierten Spitzenabfluss, als auch vom ef- Rolle bei der Kontrolle der Transportdistanzen fektiven Abfluss (d.h. das total abgeflossene (z.B.; Bocchiola et al. 2006). Wasservolumen) zwischen zwei Messungen beeinflusst. Ein starker Zusammenhang konn- Neben dem Abfluss und der Länge der Stücke te zwischen der Mobilisierungsrate und einem wurde auch der Einfluss der Dichte der Stücke, das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein Abb. 1: Im Gerinne liegender Holztracer mit gewichteten effektiven Abfluss festgestellt Länge 1 m ohne Äste. Jedes Holzstück war mit von Ästen, die Distanz der Stücke zum Talweg einem RFID-Transponder bestückt, der eine werden (Abbildung 2). Zur Berechnung des individuelle Identifikationsnummer gespeichert gewichteten effektiven Abflusses wurde das und die Orientierung der Stücke zur Fliessrich- hatte. Dadurch war es möglich ein Transportpro- fil der einzelnen Holztracer über den gesamten effektive Abflussvolumen mit einem Quotien- tung auf die Mobilisierung und Transportdis- Untersuchungszeitraum zu berechnen. ten aus dem im gleichen Abschnitt aufgetre- tanzen der Holztracer untersucht. Bis auf die tenen Spitzenabfluss und dem kritischen Ab- Orientierung zur Fliessrichtung zeigten alle konnte ein Transportprofil der Holztracer mit fluss für den Transportbeginn von Geschiebe genannten Faktoren einer mehr oder minder sechs Zeitschritten erstellt werden. Während (am Erlenbach 0.5 m3/s) gewichtet. Bei zu- starken Einfluss entweder auf Mobilisierung, des Untersuchungszeitraumes befanden sich nehmendem gewichtetem effektivem Abfluss Transportdistanz oder beides. Bei der Mehr- insgesamt neun Verklausungen im Gerinne. wurde ein steigender Prozentsatz an Hölzern zahl der genannten Einflussfaktoren konnte Diese wurden hinsichtlich ihrer Position, Aus- mobilisiert. Bei höherem Spitzenabfluss steht jedoch eine Überlagerung ihrer Wirkung durch dehnung, Volumen und Masse vermessen. mehr Kraft zur Mobilisierung zur Verfügung, mit einen anderen latenten Effekt festgestellt wer- Grosse Holzstücke oder Stammteile in den einem höheren effektiven Abfluss steht diese den. Grund für diese Überlagerung waren die Verklausungen wurden mittels Dendrochro- Kraft länger zur Verfügung. Die Transportdis- im Gerinne befindlichen Verklausungen. nologie datiert und deren Residenzzeit im tanzen der Holztracer im Erlenbach wurden Gerinne anhand ihres Absterbezeitpunktes zudem stark durch ihre unterschiedliche Län- bestimmt. ge beeinflusst. Kürzere Stücke wurden über

Abb. 2: Einfluss des gewichteten effektiven Abflusses auf die Mobilisierungsrate der Holztra- Abb. 3: Einfluss der Länge der Holztracer auf die cer. Der gewichtete effektive Abfluss berechnet sich aus dem effektiven Abfluss zwischen zwei Transportdistanzen. Boxplot für die vier im Versuch Holztracervermessungen gewichtet mit dem Quotient aus Spitzenabfluss im selben Zeitraum eingesetzten Längenklassen. und dem kritischen Abfluss für den Transportbeginn von Geschiebe. Die blaue Linie ist eine lineare Regression der Datenpunkte der gesamten Tracerpopulation, der graue Korridor der 95% Konfidenzbereich. 10 Agenda FAN 2/2013

Schlüsselrolle im Schwemm- letzten aussergewöhnlichen Hochwasserer- Literatur holztransport in Wildbächen: eignissen im Juni 2007 und August 2010 be- Bocchiola, D., Rulli, M.C., und R. Rosso. 2006. Verklausungen einflusst. Bei der Mehrzahl der datierten Höl- Transport of large woody debris in the pres- Die Transportdistanzen der Tracer zeigten zer wurde als Absterbezeitpunkt eines dieser ence of obstacles. Geomorphology 76 (1-2): eine starke Abhängigkeit von deren Position beiden Jahre ermittelt. Die Ereignisse schei- 166–178. vor Transportbeginn relativ zur nächsten Ver- nen ältere Verklausungen zerstört und aus Braudrick, C.A., und G.E Grant. 2000. When klausung. Im freien Gerinne liegende Stücke dem untersuchten Gerinneabschnitt abtrans- do logs move in rivers? Water Resources Re- zeigten lange Transportdistanzen im Fall einer portiert zu haben. Danach bildeten sich neue search 36 (2): 571-583. Mobilisierung. Holztracer die innerhalb einer Verklausungen; und zwar mit Holzstücken von Hegg, C., Badoux, A., und B. McArdell. 2006. Verklausung abgelagert waren, zeigten hin- Bäumen, die während oder nach diesen bei- One hundred years of mountain hydrology in gegen nur sehr kurze Transportdistanzen oder den Grossereignissen abgestorben sind. Switzerland by the WSL. Hydrological Pro- blieben stationär. Die Annahme, dass es sich Die vorliegenden Resultate zu den auf den cesses 20: 371-376. bei Verklausungen um bevorzugte Ablage- Schwemmholztransport einflussnehmenden Jochner, M. 2013. Transport and deposition of rungsorte von transportiertem Schwemmholz Faktoren stimmen grösstenteils mit den Er- woody debris in a mountain stream. Master- handelt (Wohl 2011), wurde durch die Be- gebnissen anderer Studien, die unter anderen arbeit, Universität Bern. rechnung der Punktdichte von Holztracern klar Ausgangsbedingungen ausgeführt wurden, MacVicar, B.J., Piégay, H., Henderson, A., bestätigt (Abbildung 4). Im effektiven Bereich überein. Die Interpretation der Untersuchung Comiti, F., Oberlin, C., und E. Pecorari. 2009. von Verklausungen wurden im Durchschnitt der Verklausungen lässt hingegen vermuten, Quantifying the temporal dynamics of wood dreieinhalbmal mehr Stücke abgelagert als im dass die vorgefundenen Bedingungen fallspe- in large rivers: field trials of wood surveying, freien Gerinne. zifisch für den Erlenbach sind. Die vorliegende da-ting, tracking, and monitoring techniques. Die Grösse und Position der Verklausun- Studie könnte durch eine Leistungssteigerung Earth Surface Processes and Landforms 34 gen selbst zeigte einen starken Zusammen- der eingesetzten RFID Technik, eine Verlän- (15): 2031–2046. hang mit dem Auftreten von Ufererosion und gerung der Untersuchungsperiode und eine Schenk, E.R., Moulin, B., Hupp, C.R., und Hangrutschungsaktivität (Verklausungen sind Ausweitung des untersuchten Schwemm- J.M. Richter. 2013. Large wood budget and in rutschungsaktiven Gerinnebereichen zu fin- holzspektrums verbessert und weitergeführt transport dynamics on a large river using radio den). Die Residenzzeiten von Hölzern in den werden. telemetry. Earth Surface Processes and Land- Verklausungen sind deutlich von den beiden forms (in press). Wohl, E. 2011. Threshold-induced complex behavior of wood in mountain streams. Geo- logy 39 (6): 587–590.

Abb. 4: Einfluss von Verklausungen auf den Transport der Holztracer. Dargestellt ist ein Ausschnitt des unter-suchten Gerinneabschnitts mit drei vermessenen Verklausungen. Die Punktdichte der Holzstücke ist leicht transparent dargestellt. Agenda FAN 2/2013 11 Bodenstabilität und Naturgefahren: Vom Wissen zum Handeln Ein Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes 68 (NFP68) Christian Rickli (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf, [email protected]) Frank Graf (WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos, [email protected])

Projektrahmen und Massenbewegungen“ des WSL/SLF in Mit diesen Versuchen sollen die Einflüsse Die stabilisierende Wirkung von Pflanzen zur Zusammenarbeit mit dem Institut für Geo- von Parametern wie Bodeneigenschaften, Verminderung von Erosion, flachgründigen technik IGT der ETH Zürich und dem Amt für Vegetation und Landnutzung auf die Stabilität Rutschungen und Hangmuren ist hinlänglich Wald und Naturgefahren AWN, Graubünden von Hängen quantifiziert werden. bekannt. In welchem Ausmass jedoch die durchgeführt. Vegetation steile Hänge vor diesen Gefah- Als Ausgangspunkt für die Analysen dient Messung von Pflanzenwirkun- renprozessen zu schützen vermag, ist immer eine Datenbank, in der über 700 Rutschun- gen: eine neue Versuchsein- noch schwierig zu beziffern. Präzise Angaben gen und Hangmuren (Rickli und Graf 2009) richtung zu den Pflanzenwirkungen auf die Boden- detailliert dokumentiert sind. Diese Daten Am WSL/SLF wurde ein Apparat zur stabilität - insbesondere auch im Hinblick werden hinsichtlich des Einflusses der Vege- Durchführung von Direkt-Scherversuchen an auf Berechnungen mit bodenmechanischen tation auf die Entstehung der Hangprozesse bewachsenen und unbewachsenen Boden- Stabilitätsmodellen - fehlen weitgehend. Ziel mit statistischen Verfahren neu ausgewertet. proben im Labor entwickelt (Abb. 2), mit des Projektes „Bodenstabilität und Naturge- Ergänzt werden die Daten mit Erkenntnissen welchem die Felduntersuchungen ergänzt fahren“ ist es deshalb, die Schutzwirkung von aus Langzeituntersuchungen von ingeni- werden sollten. Mit diesem Scherapparat Pflanzen zusammen mit ihren Pilzpartnern eurbiologischen Versuchsflächen des WSL/ können erheblich grössere Proben (bis zu (Symbiose, Mykorrhiza), so zu quantifizieren, SLF und mit Resultaten von verschiedenen 400 x 500 x 400 mm) geprüft werden als mit dass nachvollziehbare und korrekte Werte in Feldstudien des Instituts für Geotechnik IGT herkömmlichen Apparaten. Ermöglicht wird Sicherheitsberechnungen für rutschgefähr- der ETHZ (Abb. 1). In einem weiteren Teil des damit auch die Untersuchung von Bodenma- dete Gebiete eingesetzt werden können. Die Projektes werden im Labor und im Feld Expe- terial mit Korngrössen bis maximal 50 mm. geplanten Untersuchungen werden von den rimente durchgeführt mit dem Ziel, Boden- Für die Versuche wird Material mit bekannten Forschungseinheiten „Ökologie der Lebens- scherkräfte und Aggregatstabilität – wichtige Eigenschaften - zum Beispiel aus Rutschge- gemeinschaften“ und „Gebirgshydrologie physikalische Kenngrössen – zu ermitteln. bieten - in die Probebehälter eingefüllt und bepflanzt oder unbepflanzt belassen. Die Kisten werden nach dem Verfüllen während mehrerer Monate in geneigter Lage (Rei- bungswinkel des reinen Bodenmaterials) im Gewächshaus gelagert, damit sich die Pflan- zen, insbesondere ihre Wurzelsysteme, der Neigung entsprechend entwickeln können. Die Behälter bestehen aus zwei übereinan- derliegenden Rahmen, welche während des Versuches gegeneinander bewegt werden, was zu einer Scherdeformation im durchwur- zelten bzw. unbewurzelten Boden führt. Die Scherversuche können mit diesem Apparat bei Neigungen von bis zu 45°durchgeführt werden. Dadurch wird es erstmals möglich, Abb. 1: Das Unwetterereignis 2005 verursachte in der Schweiz über 5000 Rutschungen (schwarze Boden im Labor unter ähnlichen Bedingun- Punkte). Blaue Punkte: Untersuchungsgebiete der WSL mit mehr als 700 detailliert dokumentierten Prozessen (Quelle: Raetzo und Rickli, 2007, verändert); gelbe und rote Punkte: langfristig durch WSL/ gen zu untersuchen, wie sie draussen an SLF untersuchte Ingenieurbiologieflächen; grüne Sterne: Feldstudien des Instituts für Geotechnik, IGT (Springman et al. 2012). rutsch- und erosionsgefährdeten Hängen 12 Agenda FAN 2/2013

vorherrschen. Zu den weiteren Merkmalen des Apparates gehören: ‡ Scherkraft: bis max.10 kN ‡ Scherweg: bis max. 200 mm ‡ Scherrate: 0.01 bis 100 mm/min ‡ Normalkraft: bis max. 1.5 kN Der neue Versuchsapparat kombiniert die Vorteile von herkömmlichen Feld- und Labor- methoden: Gut kontrollierbare und beliebig oft wiederholbare Versuche unter einheitlichen Abb. 3: Direkt-Scherversuch von elf Monate alten Weisserlen in Moränenmaterial: Scher- und Gegen- spannungen sowie Normalspannung und Normaldeformation in Abhängigkeit des Schubweges. Das Bedingungen auf der einen Seite, und das rechte Bild zeigt die gemessenen Spannungen. Untersuchen von grossen Bodenproben, wel- che die Natur angemessen repräsentieren, Spross und Wurzeln bestimmt. Nachweis von Vegetationswirkungen auf die auf der anderen Seite. Die Ergebnisse der ersten Versuche mit Bodenstabilität unter klar definierten Labor- unterschiedlich alten Erlen und Birken sowie bedingungen eignet. Im Rahmen des kürzlich mit unbepflanzten Bodenproben lassen sich gestarteten NFP68 Forschungsprojektes sind wie folgt zusammenfassen: Versuche mit verschiedenen Kombinationen ‡ In beiden Versuchsserien sind die maxi- von Pflanzenarten (Gehölze, Kräuter, Gräser), malen Scherspannungen der bewurzel- Mykorrhizapilzen und unterschiedlichen ten Bodenproben deutlich höher als jene Böden geplant. der unbewurzelten Proben ‡ Die Verstärkung durch die Pflanzen war Literatur in der Testserie A (Pflanzenalter elf Mo- Raetzo, H.; Rickli, C., 2007: Rutschungen. In: Abb. 2: Versuchseinrichtung zur Durchführung nate) höher als in Serie B (Pflanzenalter Bezzola, G.R.; Hegg, C. (eds) Ereignisanalyse von geneigten Direkt-Scherversuchen an be- pflanzten und unbepflanzten Bodenproben. fünf Monate) Hochwasser 2005. Teil 1 - Prozesse, Schäden ‡ In beiden Testserien mobilisierten die und erste Einordnung. Bern, Bundesamt für Erste Versuche Böden mit Erle höhere bzw. deutlich hö- Umwelt BAFU, Birmensdorf, Eidgenössische Nachfolgend werden zwei Versuchsserien mit here (Serie A) maximale Scherspannun- Forschungsanstalt WSL: 195-209. unterschiedlich alten Weisserlen und Birken gen als die Proben mit Birke (Abb. 4). Rickli, C.; Graf, F. (eds) 2009: Hillslope vorgestellt. Die Pflanzen wurden in Probekis- processes, eco-engineering and protective ten mit natürlichem Boden aus dem Rutsch- Bei den ersten Versuchen mit dem neuen forests. For. Snow Landsc. Res. 82, 1: 1-106. und Erosionsgebiet Hexenrübi, Dallenwil NW Scherapparat konnte eine deutliche Wir- Springman S.M. Askarinejad A., Casini F., mit einem maximalen Korndurchmesser von kung der Pflanzen auf die Bodenfestigkeit Friedel S., Kienzler P, Teysseire P, Thielen A. 10 mm gepflanzt. Die Versuche wurden mit nachgewiesen werden. Diese Vorversuche 2012: Lessons learnt from field tests in some einer Vorschubgeschwindigkeit von 5 mm/ hatten das Ziel, die Apparatur und die Abläufe potentially unstable slopes in Switzerland, min und einer Normalspannung von 3.2 zu testen. Sie haben gezeigt, dass sich die Acta Geotechnica Slovenia 2012/1: 5-29. kPa gefahren. Die Neigung während des Versuchsapparatur grundsätzlich für den Abb.4: Maximale Scherspan- Abscherens betrug 35°, was einerseits (in nungen der Versuchsserien A etwa) dem Reibungswinkel des reinen Boden- und B mit Erlen, Birken und unbepflanzten Bodenproben materials entspricht und andererseits Hänge (Kontrolle). Die Pflanzen waren bei der Serie A elf, bei repräsentiert, welche durch flachgründige Serie B fünf Monate alt. Rutschungen und Hangmuren gefährdet sind. Im Hinblick auf die Quantifizierung der Vegetationswirkungen wurden unter anderem die Scher- und Normaldeformation gemes- sen (Abb. 3) sowie das Trockengewicht von Agenda FAN 2/2013 13 Risikomanagement Schutzwald Bader Risikodialog zum Schutz vor Naturgefahren im Kanton Wallis im Spannungsfeld von Wald und Wild Christian Willi (Ernst Basler + Partner, Zollikon, [email protected]) Lukas Vonbach (Ernst Basler + Partner, Zollikon, [email protected]) Monika Frehner (Forstingenieurbüro Monika Frehner, Sargans, [email protected]) Philipp Gerold (Kanton Wallis, Dienststelle für Wald und Landschaft, Brig-Glis, [email protected])

Einleitung Der Schutz vor Naturgefahren ist eine zentrale Aufgabe für die weit verzweigte Besiedlung der Schweiz. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Schutzwäldern zu. Sie schützen Ortschaften und Verkehrs- wege wirkungsvoll vor Naturgefahren. Für die Pflege dieser Schutzwälder werden in der Schweiz pro Jahr rund 60 Millionen Franken aufgewendet. Um sicherzustellen, dass diese Aufwendungen mit einem entsprechenden Nutzen verbunden sind, werden für die Pflege der Schutzwälder zunehmend risikobasierte Ansätze als Grundlage für Investitionsent- Abb. 1: Projektgebiet Schutzwald Bader mit Furkastrasse und MGB. scheidungen verfolgt. Der Kanton Wallis hat den risikobasierten erbringen. Die kantonalen und kommunalen und Erfolgskontrollen im Schutzwald, BAFU) Ansatz am Beispiel des Schutzwaldes Bader Behörden haben daher zunehmend Beden- war eine zentrale Projektgrundlage. Wichtige im Bezirk Östlich Raron eingangs Goms ken hinsichtlich der Zustandsentwicklung Erkenntnisse waren: erfolgreich angewendet. Das Vorgehen und des Baderwaldes und der Entwicklung der ‡ Der Baderwald erfüllt seine Schutzfunk- die Erkenntnisse aus diesem Projekt sind Naturgefahrenrisiken auf der Furkastrasse tion derzeit noch weitgehend. nachfolgend beschrieben. und MGB-Linie. ‡ Im subalpinen Gebiet mit vorwiegend Fichte und Lärche (ab ca. 1500 m ü. Projektgebiet: Baderwald im Ziel: Partizipativ konsensfähige M.) spielt der Wildverbiss eine unterge- Kanton Wallis Massnahmen erarbeiten ordnete Rolle; primär das Schneegleiten Der Schutzwald Bader liegt auf dem Gebiet Zum nachhaltigen Schutz der Furkastras- beeinflusst das Aufkommen der Natur- der Gemeinden , und se und der MGB vor Naturgefahren sollen verjüngung hier negativ. Martisberg im Bezirk Östlich Raron im Kanton Lösungsansätze unter Einbezug lokaler und ‡ Im unteren Projektperimeter (unterhalb Wallis. Er schützt die Kantonsstrasse (Fur- externer Fachleute, Entscheidungsträger und ca. 1500 m ü. M.) wird die Naturver- kastrasse) und die Matterhorn Gotthard Bahn Betroffenen diskutiert und konsensfähige, jüngung so stark verbissen, dass ein (MGB) als wichtige Verbindungen ins Goms kostenwirksame Massnahmen zur Risikore- Aufkommen der Bäume kaum möglich vor Naturgefahren wie Steinschlag, Erosi- duktion erarbeitet werden. ist. on, Schneerutsch und Murgang. Der Wald ‡ Aufgrund der Prognose der Zu- befindet sich in einem trockenen und steilen Begehung Baderwald: Wald- standsentwicklung ist davon aus- Gebiet. Zudem ist er Wintereinstandsgebiet bauliche und jagdliche Er- zugehen, dass der Baderwald seine und ein wichtiger Korridor für das Rotwild. kenntnisse Schutzfunktion in rund 30 Jahren und Wildverbiss beeinflusst die Waldentwicklung Die Begehung des Baderwaldes durch das ohne zusätzliche Massnahmen nicht ganzjährig stark. Eine Naturverjüngung bleibt Forstingenieurbüro Monika Frehner zusam- mehr erfüllen kann. aufgrund dieser Randbedingungen seit vielen men mit dem zuständigen Revierförster ‡ Es ist zu erwarten, dass sich die Stand- Jahren weitgehend aus. Die geforderte, und dem zuständigen Wildhüter sowie die ortsbedingungen aufgrund des Klima- flächendeckende und nachhaltige Schutzwir- Beurteilung des Waldzustandes und der wandels mittel- bis langfristig verändern. kung kann der Baderwald so immer weniger Naturverjüngung nach NaiS (Nachhaltigkeit Eine Änderung der Zusammensetzung 14 Agenda FAN 2/2013

der Baumarten ist daher möglich.

Risikodialog zur Lösungsfin- dung Zur Unterstützung des Risikodialoges wurde das IT-Tool RiskPlan (www.riskplan.admin. ch) des Bundesamtes für Umwelt und des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz angewendet. Mit RiskPlan lassen sich Risiken beurteilen und die Wirtschaftlichkeit evalu- ierter Massnahmen unter Einbeziehen von Fachleuten abschätzen. Abb. 2: Risiko pro Jahr in Franken für den Ist-Zustand und einen zukünftigen Zustand „Strategie Zuwarten“ in rund 30 Jahren. An moderierten Workshops schätzten die Fachleute für mehrere gefahrenspezifische Mögliche Massnahmen zur ‡ Einschränkung anthropogener Szenarien die Eintretenshäufigkeit und das Risikoreduktion Störungen im Winter wie z.B. Schadensausmass für verschiedene Scha- Unter der Vorgabe, dass sich die künftigen Varianten-Skifahren in den umlie- densindikatoren ab. Dabei wurden Sachschä- Risiken gegenüber dem aktuellen Risikowert genden Gebieten. den und Personenschäden wie auch indirekte nicht oder nur unwesentlich erhöhen dürfen, Die Beurteilung der punktuellen Massnahmen Kosten wie beispielsweise Räumungskosten weisen die Ergebnisse der Risikoanalyse anhand des Nutzen-Kosten-Verhältnisses oder wirtschaftliche Folgekosten, die für die einen eindeutigen Handlungsbedarf auf. hat ergeben, dass zwei von insgesamt sechs Hotellerie infolge gesperrter Verkehrswege Daher wurden auf zwei Ebenen Massnahmen Massnahmen ein günstiges Verhältnis auf- entstehen, berücksichtigt. identifiziert und hinsichtlich des Nutzen- weisen und dementsprechend klar zur Um- Für die Beurteilung des Handlungsbedarfs Kosten-Verhältnisses beurteilt: setzung empfohlen sind (Massnahmen 5 und wurden die Risiken sowohl für den aktu- ‡ Punktuelle Massnahmen, die ihre Wir- 6). Mit diesen Massnahmen allein kann das ellen wie auch für den in der Zukunft und kung lediglich innerhalb des Projektge- Sicherheitsniveau des Ist-Zustandes jedoch ohne Treffen zusätzlicher Massnahmen zu bietes entfalten (vgl. Abbildung 3). nicht beibehalten werden. Um das derzeitige erwartenden Zustand („Strategie Zuwarten“) ‡ Übergeordnete Massnahmen, die Sicherheitsniveau zumindest annähernd abgeschätzt. auch ausserhalb des Projektgebietes halten zu können, wurde die Umsetzung der eine Wirkung entfalten. Dazu zählen Massnahme 2 in Kombination mit der Um- Ergebnisse: Risiken heute und beispielsweise: setzung von übergeordneten Massnahmen in Zukunft ‡ Rotwildbestand reduzieren ebenfalls zur Prüfung empfohlen. Ebenfalls Die analysierten Risiken für die beurteilten ‡ Äsungsangebot für das Rotwild wurde im Sinne einer Entwicklungs- und Zustände sind in Abbildung 2 differenziert ausserhalb des Schutzwaldperime- Erfolgskontrolle empfohlen, systematisch die nach der jeweiligen Naturgefahr und als ters verbessern natürliche Waldverjüngung und Verbissinten- monetäre Einheiten (Franken pro Jahr) ‡ Wildruhezone zwischen Lax und sität zu erheben. dargestellt. Im Ist-Zustand beträgt das Risiko Fiescheralp einrichten rund 80‘000 Franken pro Jahr. Durch das Verfolgen der Strategie „Zuwarten“ ist davon auszugehen, dass sich die Risiken in den nächsten 30 Jahren in etwa verdoppeln. Eine allfällige Zunahme des Schadenpotenzials wie auch ein erhöhter Unterhaltsbedarf der bestehenden, technischen Schutzmassnah- men wie beispielsweise Steinschlagnetze ist dabei nicht eingerechnet. Abb. 3: Verhältnis der erwarteten Kosten pro Jahr und der abgeschätzten Risikoreduktion pro Jahr (Nutzen) der punktuellen Massnahmen. Agenda FAN 2/2013 15

Schlussfolgerung und Aus- sieht. Konkret ist u.a. geplant, die empfoh- vor allem die Workshop-Diskussionen aber blick: Politik sieht Handlungs- lenen, punktuellen Massnahmen 5 und 6 Folgendes verdeutlicht: bedarf umzusetzen. Damit das aktuelle Sicherheits- ‡ Der Baderwald spielt eine zentrale Rolle Der verfolgte Ansatz hat sich bewährt. Trotz niveau zumindest annähernd gehalten wer- beim Schutz der Furkastrasse und der der Unschärfen, die eine Risikoanalyse per den kann, ist zudem geplant, die punktuelle MGB vor Naturgefahren. se mit sich bringt, konnten die Tendenzen der Massnahme 2 (Einzäunung von Teilflächen) ‡ Durch die Umsetzung zusätzlicher, Risikoentwicklung nachvollziehbar aufgezeigt sowie weitere, übergeordnete Massnahmen verhältnismässiger Massnahmen kann und daraus wirtschaftlich sinnvolle Empfeh- umzusetzen. Zwei wichtige Schritte wurden die Schutzfunktion des Baderwaldes lungen für Massnahmen abgeleitet werden. hier bereits gemacht: die Begleitkommission langfristig sichergestellt werden. Zentral Es zeigte sich, dass das Einbinden der Fach- des Ende der 90er-Jahre abgeschlossenen ist dabei neben technischen Massnah- leute, Entscheidungsträger und Betroffenen regionalen Wald-Wild-Konzeptes Goms bis men die Schutzwaldpflege in Kombinati- zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in den Östlich Raron wurde reaktiviert. Zudem fand on mit jagdlichen Massnahmen. Es lohnt Beurteilungs- und Planungsprozess bei viel- im November 2013 zum ersten Mal seit sich, frühzeitig die Entwicklung eines schichtigen Fragestellungen wichtig ist. mehreren Jahren im Gebiet Aletsch/Östlich Schutzwaldes und der damit verbun- Aktuell ist ein Verbauungsprojekt geplant, das Raron wieder eine Nachjagd zur Steigerung denen Risiken zu erfassen und den technische Massnahmen und den Unterhalt der Rotwildstrecke statt. Handlungsbedarf unter dem Aspekt der der bestehenden Schutzmassnahmen vor- Abschliessend haben das Projekt und dabei Wirtschaftlichkeit zu beurteilen. Steilstrecke des WSL-Untersuchungsgebietes Riedbach bei Gasenried, St. Niklaus VS Bild: J. Schneider, WSL