Auf Dem Weg Zum Germania Slavica-Konzept

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Auf Dem Weg Zum Germania Slavica-Konzept Sebastian Brather, Christine Kratzke. Auf dem Weg zum -Konzept: Perspektiven von Geschichtswissenschaft, Archäologie, Onomastik und Kunstgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2005. 210 S. broschiert, ISBN 978-3-86583-108-8. Reviewed by Gerson H. Jeute Published on H-Soz-u-Kult (August, 2006) "Europa [zu] bauen", wie es als Stichwort in "Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte der Geschichtswissenschaft mehr und mehr auf‐ und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO)" in Leipzig taucht, ist ohne Regionen nicht denkbar. Diese bil‐ im Jahre 2002, jedoch profitieren die Beiträge den in ihrer unglaublichen Vielfalt das geeignete auch von Publikationen die später erschienen. Fundament für eine differenzierte Betrachtung Ernst Eichler (Methoden und Ergebnisse der der Vergangenheit und eine innovative Gestal‐ Namenforschung in der Germania Slavica, S. tung der Zukunft des Kontinents. Eine dieser Regi‐ 61-72) gibt einen Überblick über die Leipziger uni‐ onen ist die Germania Slavica, der westliche Rand versitäre Namenforschung der Nachkriegszeit, Ostmitteleuropas im Mittelalter, die in jener Zeit deren Schwerpunkte siedlungs- und namenge‐ vor allem durch das Aufeinandertreffen von Sla‐ schichtliche Arbeiten waren und die darüber hin‐ wen und Deutschen bestimmt war und die somit aus um populärwissenschaftliche Darstellungen eine entscheidende Rolle bei der hochmittelalter‐ bemüht war. Für die anderen Fächer der Germa‐ lichen Transformation in Europa spielte. Die Un‐ nia Slavica-Forschung sind vor allem die Orts- tersuchung solch einer Region mit nur wenigen und Flurnamenbücher von Interesse. Der "Ono‐ schriftlichen Quellen bedarf verschiedener Diszi‐ mastik an der Berliner Akademie der Wissen‐ plinen, die sich überdies der Thematik gemein‐ schaften von 1945 bis 1991" (Cornelia Willich, sam annehmen. Eben jene - Archäologie, Ge‐ 73-78) verdanken wir insbesondere die Einbezie‐ schichte und Namenkunde - sind im vorliegenden hung aller, also sowohl slawischer als auch deut‐ Band vertreten und stellen ihre Forschungsge‐ scher Ortsnamen, in die jeweiligen namenkundli‐ schichte, den aktuellen Stand der Forschung und chen Untersuchungen. Diese Herangehensweise mögliche Perspektiven dar. Dabei wurde jedoch verhindert Einseitigkeit bei der Betrachtung eines eine etwas ungünstige Form gewählt, in der sich Zeitraumes der gegenseitigen ethnischen und jedes Fach einzeln präsentiert und die Gesamtent‐ sprachlichen Beeinflussung. Das Brandenburgi‐ wicklung in zwei separate Blöcke geteilt wurde. sche Namenbuch beispielsweise konnte vom zeit‐ Der Band geht zurück auf einen Workshop am H-Net Reviews gleichen Projekt des Historischen Ortslexikons für hörigkeiten der einstigen Besitzer erkannt wer‐ Brandenburg (Brandenburgisches Landeshaupta‐ den können, erst in jüngster Zeit deutlicher her‐ rchiv) profitieren und umgekehrt. Beide sind un‐ vorgetreten. Dieses allgemeine Problem der Ar‐ schätzbare Hilfsmittel für die mittlere Germania chäologie gilt freilich insbesondere für die Germa‐ Slavica, doch gibt es auch Divergenzen: in der nia Slavica. So fndet sie heute ihre Themen in der Grenzziehung des Untersuchungsgebietes, der Siedlungs-, wie auch in der Wirtschafts- und Sozi‐ Reihenfolge der bearbeiteten Orte oder bei der algeschichte. Dieser Aspekt hätte im gesamten Angabe einzelner Daten. Bereits hier wäre eine Band stärker Berücksichtigung fnden können. Zusammenarbeit und gemeinsame Publikation Ein Beispiel über die Methoden und Möglichkei‐ praktisch gewesen. Diese erfolgte beim Handbuch ten der siedlungsgeschichtlichen Untersuchungen "Die Slawen in Deutschland" (Berlin-Ost 1970; bietet Kerstin Kirsch (Methoden der Siedlungsar‐ 1985), doch mahnt der staatlich-ideologische Ein‐ chäologie im Bereich der Germania Slavica, S. griff in die Publikation heute zur vorsichtigen Be‐ 115-132); sie greift dabei vorrangig auf eigene For‐ nutzung. Ein hervorragendes Beispiel dagegen schungen zurück. Bei der großräumigen Datener‐ waren die Forschungen unter Wolfgang H. Fritze hebung ist man bislang auf die ehrenamtliche Bo‐ (Friedrich-Meinicke-Institut der Freien Universi‐ dendenkmalpflege und auf Rettungsgrabungen im tät Berlin). Leider wird diese Institution, die den Zuge von Baumaßnahmen angewiesen. Ein gro‐ Begriff Germania Slavica einst weitgehend prägte, ßes methodisches Problem stellt die ungenaue Da‐ im vorliegenden Band nur unzureichend gewür‐ tierungsmöglichkeit von Artefakten dar, erforder‐ digt. Heute bilden die Ortsnamenbücher den lich sind allerdings jahrzehnt- und jahrgenaue Schwerpunkt der Onomastik, doch bleiben die Werte. Naturwissenschaftliche Daten versprechen zahllosen Flurnamen noch weitgehend unberück‐ den größten Fortschritt der letzten Jahrzehnte, sichtigt, wie Christian Zschieschang (Nicht nur doch können sie weder überall gewonnen, noch Etymologie. Onomastische Forschungen in Gegen‐ im Einzelfall jederzeit fnanziert werden. Letzt‐ wart und Zukunft, S. 133-147) feststellen muß. Die lich bedarf die Interpretation der siedlungsar‐ Hauptaufgaben bleiben die Beschreibung und chäologischen Ergebnisse einer Zusammenarbeit Auswertung von Namen, die chronologische Ein‐ mit den anderen Disziplinen. ordnung sowie Untersuchungen zur Namenent‐ Für die Geschichte war die Religion der Sla‐ wicklung. wen zunächst Teil der mittelalterlichen Religions‐ In der archäologischen Forschung stand die geschichte. So dominierten theologische Ansätze, Frage der ethnischen Zuordnung im Vordergrund, bis man ethnologische und philologische Heran‐ noch bevor Funde und Befunde überhaupt zeit‐ gehensweisen sowie archäologische Quellen be‐ lich genauer eingeordnet werden konnten, wie rücksichtigte. Politisch-ideologische Einflüsse sind Sebastian Brather (Germanen, Slawen, Deutsche. für Stanislaw Rosik (Die vorchristliche Religion Themen, Methoden und Konzepte der frühge‐ der Westslawen in der historischen Forschung schichtlichen Archäologie seit 1800, S. 27-59) dar‐ seit 1800, S. 15-26), zumindest was die Forschun‐ legt. Die Suche nach der "Urheimat" von "Völkern" gen in Polen und Tschechien anbelangt, kaum zu stärkte insbesondere nationalistische und natio‐ erkennen. Anders in Deutschland (vgl. Matthias nalsozialistische Bestrebungen. Auch wenn dieser Hardt, Die Erforschung der Germania Slavica. selbst verschuldete politische Mißbrauch die ar‐ Stand und Perspektiven der geschichtswissen‐ chäologische Forschung im 20. Jahrhundert stark schaftlichen Mediävistik, S. 101-114), wo seit dem schädigte, ist das Bewußtsein, daß weder aus Beginn des 20. Jahrhunderts die Landesgeschichte wertvollen Schmuckstücken noch aus einfachen stark national ausgerichtet war. Einzelne Vertre‐ Keramikscherben und Artefakten ethnische Zuge‐ ter sahen die nationalsozialistischen Bestrebun‐ 2 H-Net Reviews gen zur "Wiederbesiedlung des deutschen Ostens" und Lexika äußerte. Siedlungsgeschichtlich inter‐ sogar als Fortsetzung der mittelalterlichen Koloni‐ essante Kirchenbauten wurden jedoch erst in sationsarbeit an. Heute befindet sich die Landes‐ jüngster Zeit angemessen berücksichtigt. Eine geschichte in einer ähnlichen Krise wie die Ar‐ starke Verbindung besteht heute zur Mittelaltera‐ chäologie: während einerseits die auswertbaren rchäologie, ein wichtiges Hilfsmittel ist die Den‐ Daten durch Quelleneditionen sowie durch die drochronologie geworden. Aus dieser fachlich- Heranziehung von Ergebnissen anderer Diszipli‐ methodischen Entwicklung heraus hat sich die nen zunehmen, werden die institutionellen Vor‐ Bauforschung als eigene Disziplin etabliert. Eine aussetzungen für eine landesgeschichtliche For‐ gebührende Würdigung dieses Faches durch an‐ schung beschnitten. Zur Analyse der Daten der dere Disziplinen steht jedoch noch aus. unterschiedlichen Fächer ist jedoch eine breite Der vorliegende Band ist - gemäß Reihentitel - universitäre Ausbildung erforderlich! Internatio‐ wahrlich eine Arbeitshilfe, der einen schnellen nale Ausstellungen ordnen die Germania Slavica Einstieg in die Germania Slavica-Forschung er‐ bereits in einen europäischen Kontext und unter‐ möglicht. Dienlich wäre ein Sachwortindex gewe‐ streichen ihre Bedeutung bei Fragen von Aus‐ sen, doch lassen sich über das getrennte Orts- und gleichsprozessen zwischen Kulturen und Ethnien. Personenregister alle wichtigen Aspekte fnden. Eine klassische Schulenbildung erfolgte in der Es hätte der Zusammenarbeit der Disziplinen gut Kunstgeschichte, wie Uwe Albrecht und Christine gestanden, wenn sie in einem gemeinsamen Text Kratzke unter ihrem etwas sperrigen Titel ("[...] gemündet, zumindest aber ein gemeinsames Lite‐ im besten Sinne norddeutsche Klassik, entzündet raturverzeichnis angefertigt worden wäre. am Ferment deutsch gesehener italienischer Kunst". Kunsthistorische Forschungen zur mittel‐ alterlichen Baukunst zwischen Elbe und Oder vor dem Zweiten Weltkrieg, S. 79-98) beschreiben. So‐ wohl die "Berliner", als auch die "Wiener Schule" waren durch nationale Schwärmereien geprägt, besonders zwischen den beiden Weltkriegen, als analytische Studien die älteren historisch-quellen‐ kritischen Ansätze verdrängten. Die Germania Slavica freilich war selten Gegenstand der Unter‐ suchungen. Zum einen sind aus dem Arbeitsge‐ biet nur wenige steinerne Bauten vor dem 12. Jahrhundert bekannt, zum anderen hat die For‐ schung kaum Verbindungen zu anderen Diszipli‐ nen gesucht. Lediglich zur Betonung des ver‐ meintlichen "Nationalcharakters" der Architektur fanden die plakativen Begriffe "Ostkolonisation" und "Ostsiedlung" Verwendung. Nach 1945 kon‐ zentrierten sich die Kunsthistoriker der DDR auf den architektonischen Baubestand
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