Zisterzienserklöster in Der Germania Slavica Und Ihr Beitrag Zur
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Winfried Schich Zisterzienserklöster in der Germania Slavica und ihr Beitrag zur Gestaltung der Kulturlandschaft und zur Entwicklung der Wirtschaft im 12. und 13. Jahrhundert Die Raumbezeichnung Germania Slavica wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Walter Schlesinger in Marburg in Analogie zu dem zu der Zeit bereits verbreiteten Begriff Germania Romana geprägt1 und in den 1980er Jahren von Wolfgang H. Fritze im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes an der Freien Universität Berlin in die mediävistische Terminologie eingeführt.2 Ziel war es, das slavische Ethnikum als Bestandteil der deutschen Geschichte bewusst zu machen. Mit Fritzes Worten verstehen wir unter Germania Slavica „denjenigen Raum, innerhalb dessen die slavische Bevölkerung in einem allmählichen Prozess sprachlich germanisiert worden ist“.3 Dies gilt namentlich für das östliche Deutschland, in dem noch heute eine Fülle von slavischen Ortsnamen von der einstigen Verbreitung der slavischen Sprache zeugt, im weiteren Sinne für das historische östliche Deutschland mit Schle- sien, Pommern und der brandenburgischen Neumark. Im Folgenden werden zwei Zisterzienserklöster als Beispiele im Mittelpunkt der Betrachtung stehen: Leubus im einst polnischen, dann jahrhundertelang deutschen und als Folge des Zweiten Welt- krieges wieder polnischen Schlesien und Doberan in Mecklenburg. Beide Klöster wurden im 12. Jahrhundert von deutschen Mutterklöstern aus besetzt. Das östliche Mitteleuropa erlebte im 12./13. Jahrhundert einen Prozess der Trans- formation, der mit dem Ausbau des Landes verbunden war.4 Dieser orientierte sich an „modernen“ Strukturen im Westen, an ihm waren Zuwanderer von dort, namentlich deutsche und niederländische Siedler, maßgeblich beteiligt, aber auch die ansässige slavische Bevölkerung nahm an ihm teil. In den Gebieten zwischen Elbe, Oder und Ostsee waren mit diesem Vorgang die Expansion deutscher Fürsten und die Ausbrei- 1 Vgl. Klaus Neitmann, Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des ge- teilten Deutschlands und Europas, in: Enno Bünz (Hrsg.), 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipzig 2012, S. 225–283. 2 Wolfgang H. Fritze, Germania Slavica, in: Ders. (Hrsg.), Germania Slavica I. Berlin 1980, S. 11–40; Winfried Schich, „Germania Slavica“ – die ehemalige interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Friedrich- Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, in: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutsch- lands 48 (2002), S. 269–297. 3 Siehe Schich, Germania Slavica (wie Anm. 2), S. 273. 4 Siehe etwa Christian Lübke (Hrsg.), Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Stuttgart 1998; Eike Gringmuth-Dallmer/Jan Klápště (Hrsg.), Tradition – Umgestaltung – Innovation. Prag 2014; ferner Mathias Hardt, Landesausbau, in: Albrecht Cordes u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deut- schen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Lfg. 18. Berlin 2013. Sp. 416–420 (mit zahlreichen Literaturangaben). Open Access. © 2016 Winfried Schich, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International Lizenz. 354 Winfried Schich tung des Christentums verbunden. In den bereits längst christianisierten polnischen Ländern ging die Initiative zum Landesausbau überwiegend von den einheimischen Fürsten und Adligen aus, die ihr Land enger an den wirtschaftlich weiter entwickelten Westen anschließen wollten. Die ältere deutsche Forschung hat den gesamten vorstehend kurz charakterisier- ten Prozess unter dem Gesichtspunkt der „deutschen Ostkolonisation“ oder der „deut- schen Ostsiedlung“ betrachtet, in dem den Slaven höchstens ein Platz am äußersten Rand eingeräumt wurde. Abgesehen von nationaler Voreingenommenheit hat dazu die Tatsache beigetragen, dass die einschlägigen schriftlichen Quellen zur Siedlungs- geschichte die Neuerungen überdurchschnittlich stark erfassen. Heute stellt man den „Modernisierungsschub“, den die westslavischen Länder mit dem Landesausbau im „langen“ 13. Jahrhundert erhielten, in den Vordergrund. Selbst wenn man den Anteil der Neusiedler vergleichsweise hoch einschätzt, muss man sich den Worten des eng- lischen Historikers Robert Bartlett anschließen, der in seinem Werk „The Making of Europe“ von 1993 auch den Landesausbau im östlichen Mitteleuropa einbezieht und wie folgt urteilt: Aus der Tatsache, dass die meisten Kolonisten deutsch sprachen, dürfe nicht geschlossen werden, dass die Morphologie der neuen, geplanten Land- schaft auf das Deutschtum der Siedler zurückginge. „The planned landscape happe- ned to be a German landscape, but what was formative was that it was planned“.5 Ent- scheidende Kennzeichen dieser neuen europäischen Landschaft waren die planvolle Anlage, das Vorherrschen des Getreideanbaues und die Gründung von kommunal verfassten Städten mit besonderem Recht. Der Autor bezieht auch die Verse eines Leubuser Mönches aus dem 14. Jahr- hundert in seine Darstellungen mit ein, wogegen diese in der neueren deutschen Geschichtsschreibung kaum noch eine Rolle spielen, weil in ihnen die Verhältnisse im alten Polen bewusst primitiv dargestellt und die Fähigkeiten der alteingesessenen Bewohner abschätzig beurteilt werden. Es ist zu fragen, ob der herabwürdigenden Schilderung der Situation im späten 12. Jahrhundert aus der Sicht eines Mönchs im 14. Jahrhundert nicht doch etwas für unser Thema entnommen werden kann. Das Zitat der entsprechenden Passage aus den Versus Lubenses, in der der Anteil der Zis- terzienser an der Strukturveränderung Schlesiens seit der zweiten Hälfte des 12. Jahr- hunderts thematisiert wird, soll die Beschäftigung mit dem eigentlichen Thema ein- leiten; es handelt sich um eine äußerst seltene zisterziensiche Selbsteinschätzung.6 5 Robert Bartlett, The Making of Europe. Conquest, Colonization and cultural Change, 950–1350. Lon- don 1993, S. 160; dt. Übers. unter dem Titel: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350. München 1996, S. 198. 6 Lateinischer Text: Monumenta Lubensia, hrsg. v. Wilhelm Wattenbach. Berlin 1861, S. 15; Monu- menta Poloniae Historica 3. Lemberg 1878, S. 709 f.; vgl. Siegfried Epperlein, Gründungsmythos deut- scher Zisterzienserklöster westlich und östlich der Elbe im hohen Mittelalter und der Bericht des Leu- buser Mönches im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1967, T. 3, S. 303–335, hier S. 319 f. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 355 Die ersten Mönche […] konnten es kaum aushalten und waren ganz mittellos, denn ohne Bebauer lag das waldreiche Land da, und das polnische Volk war arm und nicht gerade arbeitsfreudig, es zog Ackerfurchen im Sand mit hölzernen Haken und verstand nur, mit einem Paar Kühen oder Ochsen zu pflügen. Stadt oder Städtchen gab es im ganzen Land nicht, wohl aber bei den Burgen offene Märkte, Krug und Kapelle. Kein Salz, kein Eisen, kein gemünztes Geld und kein edles Erz, keine guten Kleider und Schuhe besaß dieses Volk, das überwiegend nur sein Vieh weidete. Solcher Luxus erwartete die ersten Mönche, durch sie jedoch ist dieses Land dem allen geöffnet worden, denn sie holten diejenigen ins Land, durch die alles hervorgebracht wurde. Wir, die ohne Anstrengung von ihrem Fleiß leben, sollen nie glauben, wir hätten das durch uns, denn von ihnen wurde das Erwünschte geschaffen. Für die national ausgerichtete deutsche Geschichtsschreibung im 19. und weit bis in das 20. Jahrhundert hinein war dies ein äußerst willkommener Text. Leubus war ein Tochterkloster von (Schul-)Pforta, die ersten deutschen Mönche kamen aus diesem an der Saale und damit im Grenzgebiet zur Germania Slavica gelegenen Kloster.7 Den deutschen Zisterziensern wurde im Rahmen der sogenannten deutschen Ostkoloni- sation die Rolle von Pionieren der westlich-deutschen Zivilisation zugeschrieben, die in den unterentwickelten slavischen Ländern Mustergüter eingerichtet, den ansäs- sigen Bauern die „moderne“ Wirtschaftsweise vermittelt und zusätzlich neue deut- sche Bauerndörfer angelegt hätten.8 Die Forschung konnte inzwischen zeigen, dass in vielen Fällen der Landesausbau mit eigenen Kräften und mit Zuwanderern aus dem Westen bereits eingeleitet worden war, bevor die ersten Zisterzienser erschienen. Die Initiative zur Ansiedlung der Reformmönche ging – gerade auch in Schlesien – von den einheimischen Fürsten oder Adligen aus.9 Der Ausgangspunkt für die Bewertung der Verse muss der folgende sein: Der in den Klosterchroniken – auch im Westen – verbreitete Gründungsmythos stellte grundsätzlich die vorgefundenen Zustände übertrieben negativ dar, um das erfolg- reiche Wirken der Mönchsgemeinschaft umso heller erstrahlen zu lassen.10 Der Topos wurde hier vielleicht von einem älteren Mönch zur Belehrung seiner jüngeren Mitbrü- 7 Waldemar P. Könighaus, Die Zisterzienserabtei Leubus in Schlesien von ihrer Gründung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Wiesbaden 2004, S. 15–32. 8 So etwa Franz Winter, Die Cisterzienser des nordöstlichen Deutschlands, Bd. 1–3. Gotha 1868–1871; Erwin Nadolny, Die Siedlungsleistung der Zisterzienser im Osten. Würzburg 1955. 9 Vgl. etwa Winfried Schich, Zum Wirken der Zisterzienser im östlichen Mitteleuropa im 12. und 13. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Kulturlandschaft. Berlin 2007, S. 81–103. Grundle- gend zu Polen: Christian Gahlbeck, Die Ausbreitung der Zisterzienser in den Herzogtümern Polens bis zur Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, in: Franz J. Felten/Werner Rösener (Hrsg.), Norm und Reali- tät. Berlin 2009, S. 489–547. 10 Epperlein, Gründungsmythos (wie Anm. 6); Rüdiger Moldenhauer,