Winfried Schich Zisterzienserklöster in der Germania Slavica und ihr Beitrag zur Gestaltung der Kulturlandschaft und zur Entwicklung der Wirtschaft im 12. und 13. Jahrhundert

Die Raumbezeichnung Germania Slavica wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Walter Schlesinger in Marburg in Analogie zu dem zu der Zeit bereits verbreiteten Begriff Germania Romana geprägt1 und in den 1980er Jahren von Wolfgang H. Fritze im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes an der Freien Universität in die mediävistische Terminologie eingeführt.2 Ziel war es, das slavische Ethnikum als Bestandteil der deutschen Geschichte bewusst zu machen. Mit Fritzes Worten verstehen wir unter Germania Slavica „denjenigen Raum, innerhalb dessen die slavische Bevölkerung in einem allmählichen Prozess sprachlich germanisiert worden ist“.3 Dies gilt namentlich für das östliche Deutschland, in dem noch heute eine Fülle von slavischen Ortsnamen von der einstigen Verbreitung der slavischen Sprache zeugt, im weiteren Sinne für das historische östliche Deutschland mit Schle- sien, Pommern und der brandenburgischen . Im Folgenden werden zwei Zisterzienserklöster als Beispiele im Mittelpunkt der Betrachtung stehen: Leubus im einst polnischen, dann jahrhundertelang deutschen und als Folge des Zweiten Welt- krieges wieder polnischen Schlesien und Doberan in Mecklenburg. Beide Klöster wurden im 12. Jahrhundert von deutschen Mutterklöstern aus besetzt. Das östliche erlebte im 12./13. Jahrhundert einen Prozess der Trans- formation, der mit dem Ausbau des Landes verbunden war.4 Dieser orientierte sich an „modernen“ Strukturen im Westen, an ihm waren Zuwanderer von dort, namentlich deutsche und niederländische Siedler, maßgeblich beteiligt, aber auch die ansässige slavische Bevölkerung nahm an ihm teil. In den Gebieten zwischen Elbe, und Ostsee waren mit diesem Vorgang die Expansion deutscher Fürsten und die Ausbrei-

1 Vgl. Klaus Neitmann, Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des ge- teilten Deutschlands und Europas, in: Enno Bünz (Hrsg.), 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipzig 2012, S. 225–283. 2 Wolfgang H. Fritze, Germania Slavica, in: Ders. (Hrsg.), Germania Slavica I. Berlin 1980, S. 11–40; Winfried Schich, „Germania Slavica“ – die ehemalige interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Friedrich- Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, in: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutsch- lands 48 (2002), S. 269–297. 3 Siehe Schich, Germania Slavica (wie Anm. 2), S. 273. 4 Siehe etwa Christian Lübke (Hrsg.), Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Stuttgart 1998; Eike Gringmuth-Dallmer/Jan Klápště (Hrsg.), Tradition – Umgestaltung – Innovation. Prag 2014; ferner Mathias Hardt, Landesausbau, in: Albrecht Cordes u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deut- schen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Lfg. 18. Berlin 2013. Sp. 416–420 (mit zahlreichen Literaturangaben).

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tung des Christentums verbunden. In den bereits längst christianisierten polnischen Ländern ging die Initiative zum Landesausbau überwiegend von den einheimischen Fürsten und Adligen aus, die ihr Land enger an den wirtschaftlich weiter entwickelten Westen anschließen wollten. Die ältere deutsche Forschung hat den gesamten vorstehend kurz charakterisier- ten Prozess unter dem Gesichtspunkt der „deutschen Ostkolonisation“ oder der „deut- schen “ betrachtet, in dem den Slaven höchstens ein Platz am äußersten Rand eingeräumt wurde. Abgesehen von nationaler Voreingenommenheit hat dazu die Tatsache beigetragen, dass die einschlägigen schriftlichen Quellen zur Siedlungs- geschichte die Neuerungen überdurchschnittlich stark erfassen. Heute stellt man den „Modernisierungsschub“, den die westslavischen Länder mit dem Landesausbau im „langen“ 13. Jahrhundert erhielten, in den Vordergrund. Selbst wenn man den Anteil der Neusiedler vergleichsweise hoch einschätzt, muss man sich den Worten des eng- lischen Historikers Robert Bartlett anschließen, der in seinem Werk „The Making of “ von 1993 auch den Landesausbau im östlichen Mitteleuropa einbezieht und wie folgt urteilt: Aus der Tatsache, dass die meisten Kolonisten deutsch sprachen, dürfe nicht geschlossen werden, dass die Morphologie der neuen, geplanten Land- schaft auf das Deutschtum der Siedler zurückginge. „The planned landscape happe- ned to be a German landscape, but what was formative was that it was planned“.5 Ent- scheidende Kennzeichen dieser neuen europäischen Landschaft waren die planvolle Anlage, das Vorherrschen des Getreideanbaues und die Gründung von kommunal verfassten Städten mit besonderem Recht. Der Autor bezieht auch die Verse eines Leubuser Mönches aus dem 14. Jahr- hundert in seine Darstellungen mit ein, wogegen diese in der neueren deutschen Geschichtsschreibung kaum noch eine Rolle spielen, weil in ihnen die Verhältnisse im alten Polen bewusst primitiv dargestellt und die Fähigkeiten der alteingesessenen Bewohner abschätzig beurteilt werden. Es ist zu fragen, ob der herabwürdigenden Schilderung der Situation im späten 12. Jahrhundert aus der Sicht eines Mönchs im 14. Jahrhundert nicht doch etwas für unser Thema entnommen werden kann. Das Zitat der entsprechenden Passage aus den Versus Lubenses, in der der Anteil der Zis- terzienser an der Strukturveränderung Schlesiens seit der zweiten Hälfte des 12. Jahr- hunderts thematisiert wird, soll die Beschäftigung mit dem eigentlichen Thema ein- leiten; es handelt sich um eine äußerst seltene zisterziensiche Selbsteinschätzung.6

5 Robert Bartlett, The Making of Europe. Conquest, Colonization and cultural Change, 950–1350. Lon- don 1993, S. 160; dt. Übers. unter dem Titel: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350. München 1996, S. 198. 6 Lateinischer Text: Monumenta Lubensia, hrsg. v. Wilhelm Wattenbach. Berlin 1861, S. 15; Monu- menta Poloniae Historica 3. Lemberg 1878, S. 709 f.; vgl. Siegfried Epperlein, Gründungsmythos deut- scher Zisterzienserklöster westlich und östlich der Elbe im hohen Mittelalter und der Bericht des Leu- buser Mönches im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1967, T. 3, S. 303–335, hier S. 319 f. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 355 

Die ersten Mönche

[…] konnten es kaum aushalten und waren ganz mittellos, denn ohne Bebauer lag das waldreiche Land da, und das polnische Volk war arm und nicht gerade arbeitsfreudig, es zog Ackerfurchen im Sand mit hölzernen Haken und verstand nur, mit einem Paar Kühen oder Ochsen zu pflügen. Stadt oder Städtchen gab es im ganzen Land nicht, wohl aber bei den Burgen offene Märkte, Krug und Kapelle. Kein Salz, kein Eisen, kein gemünztes Geld und kein edles Erz, keine guten Kleider und Schuhe besaß dieses Volk, das überwiegend nur sein Vieh weidete. Solcher Luxus erwartete die ersten Mönche, durch sie jedoch ist dieses Land dem allen geöffnet worden, denn sie holten diejenigen ins Land, durch die alles hervorgebracht wurde. Wir, die ohne Anstrengung von ihrem Fleiß leben, sollen nie glauben, wir hätten das durch uns, denn von ihnen wurde das Erwünschte geschaffen.

Für die national ausgerichtete deutsche Geschichtsschreibung im 19. und weit bis in das 20. Jahrhundert hinein war dies ein äußerst willkommener Text. Leubus war ein Tochterkloster von (Schul-)Pforta, die ersten deutschen Mönche kamen aus diesem an der Saale und damit im Grenzgebiet zur Germania Slavica gelegenen Kloster.7 Den deutschen Zisterziensern wurde im Rahmen der sogenannten deutschen Ostkoloni- sation die Rolle von Pionieren der westlich-deutschen Zivilisation zugeschrieben, die in den unterentwickelten slavischen Ländern Mustergüter eingerichtet, den ansäs- sigen Bauern die „moderne“ Wirtschaftsweise vermittelt und zusätzlich neue deut- sche Bauerndörfer angelegt hätten.8 Die Forschung konnte inzwischen zeigen, dass in vielen Fällen der Landesausbau mit eigenen Kräften und mit Zuwanderern aus dem Westen bereits eingeleitet worden war, bevor die ersten Zisterzienser erschienen. Die Initiative zur Ansiedlung der Reformmönche ging – gerade auch in Schlesien – von den einheimischen Fürsten oder Adligen aus.9 Der Ausgangspunkt für die Bewertung der Verse muss der folgende sein: Der in den Klosterchroniken – auch im Westen – verbreitete Gründungsmythos stellte grundsätzlich die vorgefundenen Zustände übertrieben negativ dar, um das erfolg- reiche Wirken der Mönchsgemeinschaft umso heller erstrahlen zu lassen.10 Der Topos wurde hier vielleicht von einem älteren Mönch zur Belehrung seiner jüngeren Mitbrü-

7 Waldemar P. Könighaus, Die Zisterzienserabtei Leubus in Schlesien von ihrer Gründung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Wiesbaden 2004, S. 15–32. 8 So etwa Franz Winter, Die Cisterzienser des nordöstlichen Deutschlands, Bd. 1–3. Gotha 1868–1871; Erwin Nadolny, Die Siedlungsleistung der Zisterzienser im Osten. Würzburg 1955. 9 Vgl. etwa Winfried Schich, Zum Wirken der Zisterzienser im östlichen Mitteleuropa im 12. und 13. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Kulturlandschaft. Berlin 2007, S. 81–103. Grundle- gend zu Polen: Christian Gahlbeck, Die Ausbreitung der Zisterzienser in den Herzogtümern Polens bis zur Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, in: Franz J. Felten/Werner Rösener (Hrsg.), Norm und Reali- tät. Berlin 2009, S. 489–547. 10 Epperlein, Gründungsmythos (wie Anm. 6); Rüdiger Moldenhauer, Terra deserta, locus horroris et vastae solitudinis als siedlungsgeschichtliche Terminanten in Wagrien und Mecklenburg, in: Zeit- schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 104 (1987), S. 190–215.  Winfried Schich 356

der genutzt, die den seiner Meinung nach nötigen Elan vermissen ließen, den Eifer bei Gebet und Arbeit, der die Gründergeneration ausgezeichnet hätte. Der Mönch schrieb nach dem Auslaufen des hochmittelalterlichen Landesausbaues im 14. Jahr- hundert, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte (nach 1371) und damit in der Zeit der sogenannten spätmittelalterlichen Krise in der Landwirtschaft.11 Unter das verkürzte Motto „Bete und arbeite“ wird häufig das Anliegen des Reform­ordens der Zisterzienser gefasst, der sich während des 12. und 13. Jahrhun- derts über das lateinische Europa ausgebreitet hat, schon früh auch bis in das öst- liche Polen.12 Die Arbeit gehörte für die Zisterzienser „zum unverzichtbaren Wesen monastischer Frömmigkeit“.13 Die sich von der „Welt“ in ein Kloster an einem ver- gleichsweise abgelegenen Standort zurückziehende Mönchsgemeinschaft sollte sich mit Eigenwirtschaftshöfen, sogenannten Grangien, in der Umgebung und einer auf Autarkie ausgerichteten Klosterwirtschaft selbst versorgen und das Notwendige zur Hilfe für Bedürftige bereitstellen.14 Es ist wohl allgemein anerkannt, dass ein wichtiger Unterschied zwischen westlichem und östlichem Mönchtum in der abweichenden Einstellung zur Teil- habe an der „Welt“ besteht. Gewiss wurde auch im russischen Mönchtum die Arbeit hoch geschätzt. Die mönchische Arbeit für die unmittelbare Versorgung der Klostergemeinschaft einschließlich der Hilfe für Notleidende war allgemein üblich, und sie gehörte ebenso zur mönchischen Askese.15 Der Heilige Sergij von Radonež (1314–1391/92), der bedeutendste Vertreter der Einsiedlerbewegung des 14. Jahrhunderts, forderte – seiner bald nach dem Tod verfassten Vita zufolge – von denen, die sich als Mönche bei ihm niederlassen wollten, als Bestandteil der Askese „die harte körperliche Arbeit Tag für Tag“.16 Die Einsiedlerbewegung in die nördliche bzw. nordöstliche „Waldeinsamkeit“ Russlands, die vielfach der bäuerli- chen Siedlung voranging, erinnert, sobald sie zur Klosterbildung führte, durchaus an das zisterziensische Ideal der Zurückgezogenheit von der Welt; diese russischen

11 Zur Datierung der Verse: Konstanty Klemens Jażdżewski, Lubiąż. Losy i kultura umysłowa śląskiego opactwa cystersów (1163–1642). Breslau 1992, S. 111–115. 12 Helena Chłopocka/Winfried Schich, Die Ausbreitung des Zisterzienserordens östlich von Elbe und Saale, in: Kaspar Elm/Peter Joerißen/Hermann Josef Roth (Hrsg.), Die Zisterzienser. Bonn 1980, S. 93– 104; Clemens Bergstedt, Zisterzienser und Zisterzienserinnen im nordostdeutschen Raum, in: Felten/ Rösener (Hrsg.), Norm (wie Anm. 9) S. 345–378; Gahlbeck, Ausbreitung (wie Anm. 9). 13 Dietrich Kurze, Die Bedeutung der Arbeit im zisterziensischen Denken, in: Ders., Klerus, Ketzer, Kriege und Prophetien. Warendorf 1996, S. 153–195, bes. S. 186. 14 Vgl. zuletzt bes. Klaus Schreiner, „Brot der Mühsal“ – Körperliche Arbeit im Mönchtum des hohen und späten Mittelalters, in: Vera Postel (Hrsg.), Arbeit im Mittelalter. Berlin 2006, S. 133–170, hier S. 142–154. 15 Igor Smolitsch, Russisches Mönchtum. Entstehung, Entwicklung und Wesen, 988–1917. Würzburg 1953, S. 81–93; Konrad Onasch (Hrsg.), Altrussische Heiligenleben. Halle 1977, S. 226–233. 16 Onasch, Heiligenleben (wie Anm. 15), S. 225; Übersetzung nach der Fassung in der Nikon-Chronik, in: PSRL 11 (1897), S. 134: „trudy telesnyja vsegdašnija“. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 357 

Mönche gelten, ebenso wie in der älteren Literatur die Zisterzienser, als „Pioniere der Zivilisation“.17 Ein Unterschied zum russischen Mönchtum bestand darin, dass das zisterzien- sische Arbeitsethos stärker auf Rationalität und wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet wurde und dies angesichts des Bevölkerungswachstums und wirtschaftlichen Auf- schwungs im westlichen Europa im 12. und 13. Jahrhundert auf besonders frucht- baren Boden fiel.18 Die Besonderheit des zisterziensischen Mönchtums wird schon in der Trennung der Klostergemeinschaft in Mönche und Laienbrüder, sogenannte Konversen, deutlich, denen vorzugsweise die Handarbeit übertragen wurde, sowie zusätzlich in der Heranziehung von Lohnarbeitern für saisonale und spezialisierte Tätigkeiten. Schließlich nutzten die Zisterzienser auch wieder die gegenüber den alten benediktinischen Klöstern anfangs so entschieden abgelehnte Arbeit anderer, vor allem die Arbeit abhängiger Bauern, im Rahmen der Rentengrundherrschaft.19 Sie behielten aber die Leitung der gemischt eigenwirtschaftlich und grundherrschaftlich organisierten Klosterwirtschaft fest in den eigenen Händen. Von ihrem abgelegenen Klosterstandort aus knüpften sie in wirtschaftlicher Hinsicht mehr oder weniger enge Verbindungen zur außerklösterlichen Welt. Die Zisterzienser breiteten sich im westlichen und mittleren Europa in einer Zeit aus, in der die arbeitsteilige Wirtschaft immer stärker auf die Märkte der an Bedeu- tung und an Zahl zunehmenden Städte mit ihrem herausgehobenen rechtlichen Status ausgerichtet wurde, in der die Geldwirtschaft maßgebliche Bedeutung gewann. Darauf stellten sich die einzelnen Zisterzen früher oder später – in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand des Landes – ein. Über den städtischen Markt war die Klosterwirt- schaft eng mit der Welt außerhalb des klösterlichen Einflussbereiches verknüpft.20 Neben den städtischen Zentren bildeten in einigen Regionen die Zisterzen gewisser- maßen sekundäre Mittelpunkte in der Peripherie.21 Das eigentliche wirtschaftliche Zentrum sowohl für die bäuerlichen Siedler als auch für die Zisterzienser im ländli- chen Kloster stellte die Stadt dar. Bei aller Anpassung an die „Welt“ blieb es bei dem

17 Nikolaus Thon, Die Geschichte der russischen Kirche von der Zeit des Mongolensturms bis zum Kampf um die Reformen, in: Klaus Gamber (Hrsg.), Das heilige Russland. 1000 Jahre russisch-ortho- doxe Kirche. Freiburg u. a. 1987, S. 123–153, hier S. 126 f.; vgl. auch Smolitsch, Mönchtum (wie Anm. 15), S. 91 f.; Ernst Benz, Geist und Leben der Ostkirche. Hamburg 1957, S. 97–100. 18 Schreiner, Brot und Mühsal (wie Anm. 14), S. 142–154; Bernhard Nagel, Die Eigenarbeit der Zister- zienser. Marburg 2006. 19 Vgl. etwa Werner Rösener, Die Agrarwirtschaft der Zisterzienser, in: Felten/Rösener (Hrsg.), Norm (wie Anm. 9), S. 67–95. 20 Winfried Schich, Zum Problem des Einstiegs der Zisterzienser in den Handel im 12. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Ordensstatutes „De nundinis“, in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft (wie Anm. 9), S. 33–53; Nagel, Eigenarbeit (wie Anm. 18), S. 44–53. 21 Winfried Schich, Klöster und Städte als neuartige zentrale Orte des hohen Mittelalters im Raum östlich der mittleren Elbe, in: Karl-Heinz Spieß (Hrsg.), Landschaften im Mittelalter. Stuttgart 2006, S. 113–133.  Winfried Schich 358

zisterziensischen Ideal der einfachen Lebensweise der Mönchsgemeinschaft, bei der Gestaltung des engeren Klosterumfelds nach dem Prinzip der Eigenwirtschaft und vor allem bei dem Streben nach einer gesicherten und von Anderen unabhängigen mate- riellen Grundlage des Klosterlebens. Eine solche Klostergemeinschaft konnte in der Zeit des allgemeinen demographischen und wirtschaftlichen Aufschwungs, des Aus- baues des Landes und des Aufblühens des Städtewesens beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielen. Das Hauptprodukt, mit dem die Zisterzienser auf den aufnahmebe- reiten Märkten der Städte erschienen, deren Bevölkerungszahl rasch anwuchs, war das Grundnahrungsmittel Getreide, im Westen zusätzlich Wein. Zurück zum Beispiel Leubus. Das Kloster war 1175 von Herzog Bolesław dem Langen von Schlesien gestiftet und mit Besitz und Einkünften reich ausgestattet worden, die von sämtlichen fremden Lasten befreit waren.22 Zu den Besitzungen gehörten Leubus mit Markt und Oderübergang, mehrere verstreut liegende Dörfer mit ihren Bewohnern sowie Kapellen und Krüge (tabernae).23 Hinzu kam das Recht zur Ansiedlung von deutschen Bauern auf den Klostergütern, die ebenso wie die abhän- gigen polnischen Klosterbauern von allen Lasten des polnischen Rechtes befreit wurden. Das Kloster wurde keineswegs in der Einsamkeit, sondern im Zentrum einer kleinen Siedlungskammer errichtet. Die Zisterzienser gestalteten in der Folgezeit die übertragenen Besitzungen im Sinne einer einträglichen Klosterwirtschaft um.24 Leubus ließ wie andere Zisterzienserklöster die ihm überlassenen Güter durch genaue Beschreibung in der Urkunde und auf einem Umgang bzw. Umritt mit Markie- rungen im Gelände festlegen, unter Einbeziehung von Wäldern und Ödlandstreifen, die an den betreffenden Ort mit seinen Wirtschaftsflächen angrenzten, um in diesem Gebiet die gewünschten Umstrukturierungen ungestört vornehmen zu können.25 Dies war eine der Grundlagen für die Übernahme des slavischen Wortes granica als (lineare) „Grenze“ in die deutsche Sprache.26 Es ersetzte das alte deutsche Wort marca, das auch den Grenzstreifen bezeichnete. Als Fürstengrenzzeichen (knezegraniza) begegnet es zuerst 1174 (oder wenig später) in einer Urkunde der vorpommerschen Zisterze Dargun.27 Die Zisterzienser bauten auch in anderen, von Leubus mehr oder weniger weit entfernten Gebieten – sowohl zugunsten der territorialen Ziele des Herzogs als auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse – weitere geschlossene Besitzkomplexe auf, die in der Regel jeweils eine Grangie als Zentrum erhielten, von der aus Siedlungsumle- gungen ebenso wie Neulandgewinnung und Neugründung von Dörfern organisiert

22 Könighaus, Leubus (wie Anm. 7), S. 23–32; Gahlbeck, Ausbreitung (wie Anm. 9), S. 510–518. 23 Schlesisches Urkundenbuch (im Folgenden: SUB), Bd. 1, bearb. v. Heinrich Appelt. Wien u. a. 1971, Nr. 45. 24 Könighaus, Leubus (wie Anm. 7), S. 146–157, S. 469–476. 25 Ebd., S. 146–149; Gahlbeck, Ausbreitung (wie Anm. 9), S. 513–515. 26 Winfried Schich, Die „Grenze“ im östlichen Mitteleuropa im hohen Mittelalter, in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft (wie Anm. 9), S. 427–437. 27 Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1, neu bearb. v. Klaus Conrad. Köln/Wien 1970, Nr. 62. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 359 

Abb. 1 Kloster Leubus mit engerer Umgebung  Winfried Schich 360

wurden. Früh orientierte sich Leubus in seiner Besitzpolitik auf das große Waldgebiet südlich von Liegnitz (Legnica). Bereits 1177, also zwei Jahre nach der Gründungsaus- stattung, erwirkten die Zisterzienser einen Gütertausch zugunsten des Erwerbs des im Randbereich des Waldes gelegenen Ortes Zlup mit zugehörigem Gebiet.28 Sie errichte- ten einen Eigenwirtschaftshof, den Schlauphof (Słup), den sie unter Leitung von Kon- versen bewirtschaften ließen.29 Nachdem Herzog Heinrich I., wohl 1211, die Bergstadt Goldberg (Złotoryja) als erste Stadt mit Magdeburger Recht in Schlesien gegründet hatte, die zugleich den auf den Markt ausgerichteten städtischen Mittelpunkt seines „ältesten großen, mit Waldhufendörfern besetzten Rodungsgebietes“ bildete30, über- ließ er (1218/25) dem Kloster Leubus 500 Hufen im Wald zu Goldberg in der Nachbar- schaft von Schlaup (in nemore ad Aurum in vicino Zlup).31 Die neuartige Stadt und die Grangie erscheinen als zentrale Orte im Rodungsgebiet, an dessen Ausbau sich Leubus beteiligte.32 Die Grangie bildete künftig den organisatorischen Mittelpunkt des von Eigenbauhöfen und abhängigen Bauerndörfern aus bewirtschafteten dorti- gen Klosterbesitzes.33 Als Märkte dienten die nahen Städte Goldberg, Liegnitz und Jauer (Jawor), in denen Leubus später auch jeweils einen Stadthof einrichtete.34 Im 14. Jahrhundert sah der Leubuser Mönch die Getreide- und Städtelandschaft vor sich, zunächst anstelle einer alten Burg mit Markt und Kapelle das neue kirchli- che und wirtschaftliche Zentrum: das Kloster mit zentralem Wirtschaftshof, Gärten und Wassermühle, dicht dabei zwei Nahgrangien und in etwa zwei Kilometern Entfer- nung am Oderübergang das Städtel (Städtchen) Leubus.35 Neben den alten Dörfern, deren polnische Bewohner den leichteren, sandig-lehmigen Boden einst wohl über- wiegend mit dem Hakenpflug beackert hatten, lagen die im 13. Jahrhundert gegrün- deten Dörfer, deren Bewohner die bis dahin noch bewaldeten schwereren Böden mit dem „modernen“ Bodenwendepflug bearbeiteten. Die Überschüsse von all den Feldern wurden auf die Märkte der zahlreichen Städte und Städtchen gebracht, die seit dem 13. Jahrhundert in Schlesien angelegt worden waren.36 Ihnen voran gegangen waren Burgen, offene Märkte und Krüge (tabernae). Castrum cum foro et taberna findet man regelmäßig unter den Besitzungen, mit denen im 12./13. Jahrhundert polnische und pommersche Fürsten kirchliche Institutionen

28 SUB 1 (wie Anm. 23), Nr. 49. 29 Könighaus, Leubus (wie Anm. 7), S. 34 f., S. 454. 30 Walter Kuhn, Die deutschrechtlichen Städte in Schlesien und Polen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Marburg 1968, S. 79. 31 SUB 1 (wie Anm. 23), Nr. 171, Nr. 279. 32 Vgl. Könighaus, Leubus (wie Anm. 7), S. 165–171. 33 Ebd., S. 151 f., S. 454, S. 474. 34 Ebd., S. 178–187. 35 Neben dem Eigenhof Dobrail befand sich der später wüst gefallene Hof Rauske; Könighaus, Leu- bus (wie Anm. 7), S. 450, S. 473. 36 Kuhn, Städte (wie Anm. 30). Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 361 

ausstatteten. Forum et taberna gehörten zu den fürstlichen Regalien, die Geld aus dem Marktverkehr einbrachten und die häufig mit den Burgen verbunden waren.37 Der Krug war das Gasthaus, das zugleich als Verkaufsstätte und Herberge sowie als Einrichtung für die fürstliche Steuererhebung diente.38 Mit „Burg, Markt und Krug“ kann die in der deutschen Forschung sogenannte slavi- sche „Burgstadt“ gefasst werden, eine andere Form städtischer Bildung als die sich seit dem 13. Jahrhundert verbreitende, mit besonderem lokalem Recht privilegierte „Stadt“, für die dieses Wort als Siedlungsbegriff in der deutschen Sprache im 12. Jahrhundert neu gefunden wurde.39 Die alte Form spricht der Leubuser Mönch mit den bei den castra gelegenen fora campestria, broca, capella an – natürlich nur dann, wenn man broca mit taberna gleichsetzt und nicht, wie seit Wilhelm Wattenbach (1861) üblich, mit „uncultivirtem Bruchland“ (mit dem Zusatz: „welches allerdings die Burgen umgab“).40 Dies passte zur älteren Sicht von der vorzisterziensischen Situation: eine Burg, bei der gelegentlich Markt gehalten wurde, bei der es eine Kapelle gab und die von unkultivier- tem Feuchtgebiet umgeben war, das dann die Zisterzienser zu kultivieren hatten. Das Wort broca findet sich nicht in einem üblichen lateinisch-deutschen Wörter- buch, wohl aber in mittellateinischen Wörterbüchern, unter anderem in der Bedeu- tung von Zapf, und in diesem Sinne vor allem in zisterziensischen Quellen, in denen der Ausschank von Wein (vendere vinum ad brocam) geregelt wird.41 Das frühe Verbot des Detailverkaufs in eigenen Häusern zeigt die Bedeutung der zisterziensischen broca deutlich: „vinum nostrum vendere ad tabernam sive, ut vulgo dicitur, ad broccam sive, ut lingua theutonica dicitur, ad tappam.“42 Der Leubuser Mönch hat offenkundig das ihm vertraute Wort broca für den Schankbetrieb auf die in den älteren Urkun- den begegnende polnische taberna übertragen. Die falsche Übersetzung von broca im Fall Leubus hält sich dennoch in der Literatur hartnäckig. Dies hängt offenbar damit zusammen, dass sich nach dem einschlägigen Aufsatz von Siegfried Epperlein von 1967 die Ansicht durchsetzte, dass der Leubuser Mönch in seiner von Vorurteilen

37 Jerzy Walachowicz, Monopole książęce w skarbowości wczesnofeudalnej Pomorza Zachodniego. Posen 1963; Winfried Schich, Die pommersche Frühstadt im 11. und frühen 12. Jahrhundert am Beispiel von Kolberg (Kołobrzeg), in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft (wie Anm. 9), S. 263–296, hier S. 282 f. 38 Irena Rabęcka-Brykczyńska, Die Taverne im frühmittelalterlichen Polen, in: Hans Conrad Peyer (Hrsg.), Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter. München/Wien 1983, S. 103–118. 39 Vgl. etwa Schich, Frühstadt (wie Anm. 37). 40 Monumenta (wie Anm. 6) S. 15 mit Anm. 1; vgl. auch ebd. S. 7. 41 Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, Bd. 1. München 1967, S. 1583; Lexicon latinitatis Nederlandicae, überarbeitet v. J. W. Fuchs/Olga Wejers. Leiden 1977, S. 166 f.; Jan Frederik Niermeyer/Co van de Kieft, Mediae latinitatis lexicon minus, 2. Aufl., überarbeitet v. J. W. J. Bur- gers. Darmstadt 2002, S. 140 f. 42 Joseph Turk, Cistercii statuta antiquissima. Rom 1948, S. 24 (etwa 1151/1152). Das französische brocca entsprach also dem lateinischen taberna und dem deutschen tappa. – Vgl. auch Statuta Capi- tulorum Generalium Ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786, Bd. 1, hrsg. v. Josephus-Maria Canivez. Louvain 1933, S. 90 (1182 Stat. 6), S. 312 (1205 Stat. 21).  Winfried Schich 362

geprägten Schilderung die vorzisterziensische Situation vollkommen unrealistisch dargestellt habe. Epperlein hatte die Aussagen der Leubuser Verse auf dem Hinter- grund des Forschungsstandes über die Siedlungs- und Wirtschaftsverhältnisse in Polen mit Recht kritisch beurteilt, war aber von Wattenbachs Verständnis des Textes ausgegangen.43 Künftig verwies man in der Literatur regelmäßig auf Epperlein, ohne sich mit dem Leubuser Text näher zu beschäftigen. Auch Robert Bartlett übersetzte entsprechend: „There was no city or town in the whole land, only rural markets, an uncultivated field and a chapel near the castle.“44 In der neuesten deutschen Mono- graphie über Leubus (von 2004) bleibt es ebenfalls bei diesem Verständnis.45 Mit der hier gebotenen Interpretation ändert sich die Beschreibung der vorzisterziensischen Kultur- und Wirtschaftslandschaft grundlegend. Auf „Städte und Städtchen gab es im ganzen Land nicht“ folgt dann nicht: „nur Burgen mit ländlichen Märkten, umgeben von unkultiviertem Land“, sondern: „nur Burgen mit offenen Märkten, mit Krug und Kapelle“ oder in der wissenschaftlichen Terminologie: Städte im „modernen“ Sinne gab es nicht, wohl aber Burgorte bzw. Burgstädte mit Markt- und Schankbetrieb. Solche Burg-Markt-Mittelpunkte konnten im 13. Jahrhundert zu Städten im neuen Sinne weiterentwickelt und ausgebaut werden, d. h. zu geschlossenen Städten beson- deren Rechtes, deren Marktplatz (poln. rynek), rings, also wie ein „Ring“, von den Häusern der Handwerker und Händler umschlossen war. An der Spitze der Leubuser Klostergüter stand 1202 Leubus cum foro.46 1249 erlaubte der schlesische Herzog die Erhebung der villa forensis Leubus zur deutschrechtlichen Stadt nach dem Vorbild des vor 1223 privilegierten herzoglichen Novum Forum (Neumarkt/Środa Śląska).47 Bereits früh war das klösterliche forum Leubus vom Herzogsrecht befreit worden, waren die Rechte des herzoglichen Münzers, der die dreimalige jährliche Münzerneuerung mit Geldwechsel und Salzverkauf verknüpfte, beseitigt worden.48 Leubus holte zollfrei jähr- lich zweimal mit jeweils zwei eigenen Frachtschiffen Salz aus dem Westen. Künftig war Salz auf dem Markt des Klosterstädtchens wie anderer Städte nicht nur zu bestimm- ten Terminen, sondern ständig verfügbar. Ebenso konnte man dort gute Kleidung und Schuhwerk kaufen, die von städtisch-hauptberuflichen Handwerkern hergestellt wurden. Dies dürfte der reale Hintergrund der karikierenden Behauptung des Mönchs gewesen sein, dass die Polen weder Salz und Münzen noch gute Kleidung und Schuhe

43 Epperlein, Gründungsmythos (wie Anm. 6), S. 319. 44 Bartlett, Making of Europe (wie Anm. 5), S. 154; entsprechend in der deutschen Übersetzung S. 190. 45 Könighaus, Leubus (wie Anm. 7), S. 27. Schließlich sei noch angemerkt, dass sich auch im Słownik laciny średniowieczny w Polsce. Lexicon mediae et infimae latinitatis Polonorum, Bd. 1, fasc. 8. Bres- lau u. a. 1958, S. 158, unter Bezug auf die Leubuser Verse broca = ager incultus findet. 46 SUB 1 (wie Anm. 23), Nr. 77. 47 SUB 1 (wie Anm. 23), Bd. 2, bearb. v. Winfried Irgang. Wien u. a. 1977, Nr. 374. 48 Näheres siehe Winfried Schich, Das schlesische Kloster Leubus und die Gründung von Münche- berg und Münchehofe an der Westgrenze des Landes Lebus im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts, in: Ders. (Hrsg.), Wirtschaft (wie Anm. 9), S. 105–125, hier S. 108–112. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 363 

besaßen. Seine Beschreibung erfolgte allem Anschein nach unter dem Blickwinkel der Befreiung des Marktbetriebes von den Zwängen des einstigen Herzogsrechts. Das Klostergebiet von Leubus bietet einen kleinen Ausschnitt aus dem Struktur- wandel im Land. Der Einblick ist hier deswegen eher möglich als bei anderen Grund- herren, weil die Klostergemeinschaft wirtschaftlich interessiert war und eine größere Zahl von aussagekräftigen Quellen hinterlassen hat. Die Leubuser Verse lassen aber auch erkennen, dass die Zisterzienser sich selbst als tatkräftige Gestalter, als „Moder- nisierer“, verstanden. Das auf Rationalität und Effizienz ausgerichtete Arbeitsethos konnte aber auch, wie sie ebenfalls zeigen, zum wenig christlichen elitären Hochmut gegenüber einfachen – hier polnischen – Bauern führen. Kurz noch das zweite Beispiel Doberan, stellvertretend für andere Zisterzen im nordwestslavischen Gebiet.49 Der Abodritenfürst Pribislaw gründete 1171 das Kloster in der weiteren Peripherie der fürstlichen Burgstadt Rostock.50 Es wurde mit Mönchen aus dem niedersächsischen Kloster Amelungsborn besetzt und fand seinen endgültigen Platz im Grenzbereich zwischen einer slavischen Siedlungskammer um den Burgort Parkentin und dem ausgedehntesten Waldgebiet des fürstlichen Herrschaftsbereichs, das sich bis zur Ostsee erstreckte und zur Rodung und Aufsiedlung vorgesehen war. Mit Siedlungskammer und Wald stattete der Fürst das Kloster aus, und er befreite die Leute, die das Klosterland bestellen würden, von allen öffentlichen Lasten. Das Doberaner Klostergebiet kann hinsichtlich seiner Neugestaltung in drei „Zonen“ gegliedert werden, die stellvertretend für das Wirken der Zisterzienser stehen können: 1. die Klosteranlage mit zentralem Wirtschaftshof und anschließender Eigenwirt- schaftszone; dazu gehörten die in Teilen noch heute erkennbare Regulierung der Gewässer für Be- und Entwässerung, Energiegewinnung und Fischzucht sowie die Wirtschaftsgebäude von der Wassermühle bis zum Kornhaus und die Nah­ grangie Althof; 2. das Altsiedelland, in dem die weilerartigen Siedlungen zu größeren, leistungsfä- higeren Hufendörfern umgestaltet wurden, die überwiegend auf den Getreidean- bau ausgerichtet waren; 3. das umgebende Waldgebiet, das in großen Teilen gerodet und mit sogenannten Hagenhufendörfern (lat. novalia) aufgesiedelt wurde. Anlässlich der Bestätigung der Klostergüter verlieh Fürst Heinrich Borwin I. 1218 den Doberaner Mönchen die Freiheit, „Menschen jeden Volkes und jeglicher Fertigkeit herbeizurufen und auf ihren Gütern anzusiedeln“.51

49 Zum Folgenden vgl. Winfried Schich, Der Beitrag der Zisterzienser zur Entwicklung der Kulturland- schaft und der Wirtschaft südlich der Ostsee, in: Oliver Auge/Felix Biermann/Christofer Herrmann (Hrsg.), Glaube, Macht und Pracht. Geistliche Gemeinschaften des Ostseeraums im Zeitalter der Back- steingotik. Rahden 2009, S. 235–253 mit den entsprechenden Belegen. 50 Sven Wichert, Das Zisterzienserkloster Doberan im Mittelalter. Berlin 2000, S. 14–17. 51 Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 1. Schwerin 1863, Nr. 239.  Winfried Schich 364

Abb. 2 Kerngebiet des Klosters Doberan westlich von Rostock

Ungewöhnlich früh ist im Fall Doberan die Orientierung der Wirtschaftstätigkeit auf den Markt zu fassen. 1189 erlaubte Fürst Nikolaus I. von Rostock den Dobera- ner Brüdern (fratres), auf seinem Markt ohne Zollzahlung frei zu kaufen oder zu verkaufen.52 Ihre Leute (homines) aber sollten für den täglichen, zollfreien Verkauf und Kauf auf seinem Markt pro Jahr sechs Pfennige zahlen. Die Zisterzienser und ihre abhängigen Leute trugen demnach zur Belebung des ständigen Marktes bei der zentralen Fürstenburg bei. Die städtische Siedlung wurde als Stadt (oppidum) Rostock bezeichnet, als 1218 Heinrich Borwin I. den dort ansässigen Bürgern das Lübecker Recht bestätigte.53 Es ist gewiss kein Zufall, dass unter den Personen, die die Urkunde bezeugten, der gesamte Mönchskonvent mit dem Doberaner Abt an der Spitze vertreten war. Damit waren zwei Siedlungstypen ausgeprägt, die in diesem Raum neuar- tig waren und die die Fürsten zur wirtschaftlichen Erfassung und zum Ausbau des Landes nutzen konnten: die wirtschaftlich auf den Markt ausgerichtete Bürgerstadt im Zentrum und das in der Peripherie gelegene Kloster, das sich gegenüber den Klös-

52 Ebd., Nr. 148. 53 Ebd., Nr. 244. Zisterzienserklöster in der Germania Slavica 365 

tern anderer Orden durch seine eigenständige Wirtschaftsweise auszeichnete.54 Das Nebeneinander von zentraler Bürgerstadt und Zisterzienserkloster finden wir gegen Ende des 12. Jahrhunderts auch andernorts, so etwa Greifswald und Eldena, Stettin (Szczecin) und Kolbatz (Kołbacz), Brandenburg und Lehnin, Jüterbog und Zinna. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts richtete Doberan wie andere Zisterzen in den Seestäd- ten Rostock, Wismar und Lübeck eigene Stadthöfe ein. In ihnen lagerten die Klöster vor allem das im Hansehandel begehrte Getreide.55 Dort, wo die Zisterzienser anfangs keinen geeigneten städtischen Markt nutzen konnten, förderten sie die Bildung eines eigenen Marktortes im Klostergebiet. Dies gilt etwa für Leubus mit dem gleichna- migen Städtchen und mit der civitas Lubes, der heutigen brandenburgischen Stadt Mün­cheberg, in einem Rodungsgebiet, das Herzog Heinrich I. von Schlesien den Zisterziensern im Land Lebus im äußersten Westen seines Herrschaftsbereichs 1224 übergeben hatte, ebenso wie für das niederlausitzische Kloster Dobrilugk mit seinem zentralen Markt- und Kirchort Kirchhain.56 Die Zisterzienser hatten in dem hier behandelten Raum ebenso wie in anderen Regionen der westlichen Christenheit unzweifelhaft einen namhaften Anteil am Ausbau der Kulturlandschaft und der Wirtschaft. Sie waren dafür in besonderem Maße geeignet, weil ihr Orden der Arbeit und ihrer Organisation im Kloster für die Eigenversorgung einschließlich der Hilfe für Bedürftige hohen Wert beimaß und sie ihr Arbeitsethos stark auf den wirtschaftlichen Erfolg ausrichteten. Sie suchten und fanden den geeigneten Platz für ihr Kloster und richteten sich in ihrer Umgebung ein unter teilweiser Anpassung an die vorgefundenen Gegebenheiten, aber auch unter aktiver Veränderung derselben. Sie verfolgten nicht allgemein zivilisatori- sche Ziele, sondern sorgten sich vorrangig um den Aufbau einer leistungsfähigen Klosterwirtschaft, die auch den städtischen Markt nutzte. Damit waren sie beson- ders erfolgreich in der Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaues mit einer in Europa wachsenden Bevölkerungszahl und der damit verbundenen Getreidekon- junktur. Im 14. Jahrhundert kam es zur Krise in der Landwirtschaft. In die Zeit der Stagnation oder sogar des wirtschaftlichen Rückgangs fallen die Leubuser Verse, die uns einen Einstieg in die Darstellung des Wirkens der Zisterzienser in der Ger- mania Slavica erlaubten, weil der Autor von seiner eigenen auf die „gute alte Zeit“ des Aufschwungs zurückblickte.

54 Schich, Klöster (wie Anm. 21). 55 Ders., Leubus (wie Anm. 48), S. 116 f. 56 Ebd., S. 116–168; ders., Das Kloster Dobrilugk in der Niederlausitz im 12. und 13. Jahrhundert und die Spuren niederländischer Siedlung an der Kleinen Elster, in: Jan J. J. M. Beenakker u. a. (Hrsg.), Landschap in ruimte en tijd. Festschrift Guus J. Borger. Amsterdam 2007, S. 233–356, S. 240.