Swr2-Musikstunde-20131007.Pdf
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__________________________________________________________________________ 2 SWR 2 Musikstunde mit Ulla Zierau, 7.10.2013 Viva Verdi (1) Operngigant, Bauer, Nationalheld Mein erster Besuch in Busseto, der Geburtsstadt Giuseppe Verdis in der Provinz Parma, inmitten der Po-Ebene ist verbunden mit dem betörenden Duft einer üppig blühenden Linde, unmittelbar vor dem Hotel der Familie Bergonzi, „I due Foscari“ heißt es, benannt nach einer frühen Verdi-Oper. Es war an einem heißen Junitag – die lähmende Stille einer hoch- sommerlichen Siesta lag über dem kleinen Städtchen, nur die Bienen summten emsig um die Linde und ja Giuseppe Verdi war allgegenwärtig, nicht nur in Stein gemeißelt, in Bronze gegossen, im Theater oder Museen, nein in der Luft, in der Wärme, der Stille, in jeder Ritze war sein Geist zu spüren, war seine Musik imaginär zu hören.(0‟45) Musik 1 Giuseppe Verdi: Ouvertüre zur Oper „Attila“ Wiener Philharmoniker / Giuseppe Sinopoli M0019983 003, 3‘25 Ouvertüre zu „Attila“, eine frühe Verdi Oper, die zweite, die er für Venedig geschrieben hat. Giuseppe Sinopoli leitete die Wiener Philharmoniker. In dem kleinen Dorf Le Roncole, das heute zu Busseto gehört, ist Verdi laut französisch-sprachiger Geburtsurkunde, am 10. Oktober 1813, abends um 8 Uhr zur Welt gekommen. Französisch deswegen, weil Busseto damals zum Departement Taro gehörte und damit direkt Frankreich angeschlossen 2 3 war. Vielleicht ist Verdi auch schon einen Tag zuvor geboren, am 9. Oktober, man weiß es nicht genau. Auf jeden Fall sollen in der väterlichen Schenke Straßenmusikanten zur Feier des Heiligen Donnino gespielt haben. Mit dem ersten Atemzug ist Verdi von Musik umgeben. (1‟00) Musik 2: Don Francisco Xavier Cid, Tarantella italiana bearbeitet für Instrumentalensemble L'Arpeggiata M0067415 013, 1‘47 Das Ensemble L'Arpeggiata mit einer italienischen Tarantella. „Ich war, bin und werde immer ein Dörfler aus Roncole sein“ – behauptet Giuseppe Verdi später von sich. Auch wenn er mit den Bewohnern von Busseto oftmals hadert, wenn er seiner Heimat verärgert und enttäuscht den Rücken kehrt, findet er doch immer wieder hierher zurück und ver- bringt auf seinem Landgut Sant„ Agata, vier Kilometer von Busseto entfernt viele Lebensjahre, fast ein halbes Jahrhundert. In den SWR 2 Musikstunden dieser Woche sind wir Giuseppe Verdi auf der Spur, seinen emotionsgeladenen Opernfiguren, die zu Tränen rühren, seiner lodernden Musik, die mitten ins Herz trifft und dem Menschen Verdi, der sich stets bescheiden gab, der verschlossen wirkte, bisweilen ein bisschen kauzig. Verdi ist mein Leib- und Magenkomponist und es ist mir ein großes Vergnügen, Sie durch diese Geburtstagswoche begleiten zu dürfen. 3 4 Verdi war kein Mensch, der sich selbst gern in den Mittelpunkt stellte, er hatte keinen Hang zum Narzissmus, wie etwa ein anderer Jubilar dieses großen Opernjahres. „Nie, nie werde ich meine Lebenserinnerungen schreiben. Es ist genug, wenn die Welt so lange meine Noten ertragen hat … niemals möchte ich sie dazu verdammen, meine Prosa zu lesen, ich kann dieses Schreiben über das eigene Leben nicht leiden“, wetterte er entschieden, und bietet uns stattdessen ein Füllhorn an Musik. Eins ist sicher, Opernfreunde kommen diese Woche voll und ganz auf ihre Kosten und die, die es noch nicht sind, haben gute Chancen, es jetzt zu werden. Benvenuto! (1‟50) Musik 3 Giuseppe Verdi: Il Trovatore, Stretta des Manrico, Luciano Pavarotti Chor und Orchester der Wiener Staatsoper / Nicole Rescigno M9033081 001, 2’05 Luciano Pavarotti mit der berühmten Stretta des Manrico aus dem Troubadour. Kurz, schmetternd, kraftvoll, ein Rhythmus, der ins Blut geht zu einem der absurdesten, grausamsten, ja schlechtesten Libretto Verdis. Nicole Rescigno leitete Chor und Orchester der Wiener Staatsoper. Das erdfarbene Geburtshause in Le Roncole Verdi, wie der Ort heute zu Ehren seines berühmten Sohnes heißt, ist ein schlichtes Haus, das vor ein paar Jahren aufwendig restauriert wurde. Der Vater Carlo Verdi betreibt darin eine Schankstube und einen kleinen Krämerladen, hier wird diskutiert, ein bisschen getratscht, Neuigkeiten aus der Stadt ausgetauscht, wo Carlo Verdi seine Ware einkauft. In einem andern Zimmer arbeitet die Mutter als Spinnerin. Verdi kommt aus einer einfachen, aber gebildeten und angesehenen Familie. 4 5 Die Legende vom mittellosen Bauernsohn ist nicht mehr als eine Legende, an der Verdi selbst eifrig mit gestaltet hat, als er einer Freundin schreibt, er sei „arm geboren in einem armseligen Dorf“ und ihm hätten die „Mittel für jedwede Ausbildung gefehlt“. Nein, der Vater will eine gute Ausbildung für den einzigen Sohn, er schickt ihn zum Pfarrer, damit er die Hochsprache und Latein lerne. Doch mehr als für Latein interessiert sich Verdi für Musik, mit sieben bekommt er sein erstes Spinett und darf beim ansässigen Organisten an der Chiesa di San Michele ersten Unterricht nehmen. Unter den Jugendlichen in Busseto gilt der junge Verdi als Außenseiter. Er ist schüchtern, wortkarg, in sich gekehrt und lebt nur auf, wenn er Musik hört. Während der Messe ist er einmal so sehr ins Orgelspiel vertieft, dass er seine Aufgaben als Ministrant vergisst, er reicht das Weihwasser nicht weiter, wird dafür heftig angezischt und kassiert sogar eine Ohrfeige. 1„45 Musik 4 Domenico Scarlatti, Sonate D-dur K 287, Fassung für Orgel Arturo Sacchetti, Orgel M0032653 003 2’00 Arturo Sacchetti spielte die Sonate D-dur K 287 von Domenico Scarlatti. Das Spiel der Orgel fasziniert den jungen Verdi. Später wird er selbst ein guter Organist sein. Wenn er sonntags in der Klosterkirche Santa Maria degli Angeli spielt, bleibt die Dorfkirche leer und die Leute pilgern zu Verdi, um ihn zu hören. Mit zehn Jahren besucht Verdi das Gymnasium in Busseto. Gerne würde er auch zur Musikschule gehen, die der kunstliebende Weingroßhändler 5 6 Antonio Barezzi gegründet hat, aber Vater Carlo will von einer musikalischen Ausbildung nichts wissen, brotlose Kunst. Erst nach heftiger Überzeugungsarbeit des Latein-Lehrers gibt der Vater nach und lässt Verdi auf die scuola da musica. Bald tritt Verdi im Musiksalon Barezzis auf, komponiert Stücke für das Laienorchester. Als er dann nach dem Abitur in den Krämerladen des Vaters zurückkehren soll, sagt Antonio Barezzi: „Du bist zu etwas Höherem geboren, und nicht dazu gemacht, Salz zu verkaufen und den Boden zu bearbeiten“. In Barezzi findet Verdi einen Vater des Herzens, der ihn versteht, der ihn ein Leben lang begleitet und der ihn anfangs tatkräftig unterstützt. Barezzi habe er alles zu verdanke, betont Verdi immer wieder. Verdi bleibt also in Busseto, wird Stammgast in der Privatbibliothek des Monte di pieta, verschlingt italienische Literatur, griechische Tragödien und Shakespare, den maestro del cuore umano – den Meister des menschlichen Herzens, wie ihn Verdi nennt. Shakespeare, dem er mehr als einmal verfällt. Macbeth, Falstaff, ein Leben lang, aber nie vollbracht König Lear und Otello. 2„00 Musik 5 Giuseppe Verdi: Otello , Fuoco di gioia. Chor (1.Akt) Chor und Orchester der Mailänder Scala / Claudio Abbado M0048269 004, 2‘38 Fuoco di gioia – Feuer der Freude, Chor aus dem 1. Akt des Otello mit Chor und Orchester der Mailänder Scala unter Claudio Abbado. 6 7 Antonio Barezzi, der große Musikmäzen in Busseto schließt seinen Ziehsohn Verdi innig ins Herz und ermöglicht ihm eine musikalische Ausbildung in Mailand. Verdi soll ans Konservatorium. Doch der Start misslingt. Nach erster Präsentation befindet der Direktor, Verdi brauche ein „sorgfältiges und geduldiges Studium der Regeln des Kontrapunkts, um die Fantasie, die er zu besitzen scheint, so weit zu zügeln, dass er ein annehmbarer Komponist werden könnte.“ Schließlich lehnt ihn das Konservatorium doch ab, Verdi sei zu alt und es fehle ihm an technischem Wissen. Da bezahlt Barezzi eben Privatstunden. Verdi bleibt in Mailand und schnuppert erstmals Großstadtluft. Durch seinen Kompositionslehrer Lavigna lernt er große Musikliteratur kennen, Werke von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn und immer wieder den Don Giovanni. Bei Abendbesuchen bricht Lavigna nach einer Weile das Gespräch ab und fordert Giuseppe auf, doch gemeinsam ein wenig in den Don Giovanni zu schauen“. 1„10 Musik 6 W.A. Mozart; Don Giovanni, Champagnerarie des Don Giovanni Ildebrando D‟Arcangelo / Orchester des Theaters Turin / Gianandrea Noseda M9168407 001, 1‘25 Der Don Giovanni, das Lehrstück Giuseppe Verdis, am Ende kann er ihn in- und auswendig und kann ihn vor lauter Überdruss nicht mehr hören, aber in Sachen kurze und knackige Hits hat er von Mozart doch einiges gelernt. Ildebrando D‟Arcangelo sang hier die sogenannte Champagnerarie 7 8 des Don Giovanni, die eigentlich eine Weinarie ist, aber perlen tut sie trotzdem. Der junge Verdi in Mailand – in den 1830 Jahren noch nicht die elegante Modestadt, sondern eine Stadt ohne Kanalisation, mit übelriechenden Rinnsalen, mit dürftiger Straßenbeleuchtung, so dass Spaziergänge bei Dunkelheit abenteuerlich sind. Politisch steht Mailand unter der Herrschaft des österreichischen Kaisers, was in den Köpfen vieler Intellektueller den rebellischen Kampfgeist weckt. Der Jurist Giuseppe Mazzini gründet die revolutionäre Untergrundorganisation „Giovane Italia“ – auch Verdi bekommt erste politische Impulse zu spüren. Treffpunkt der feinen Mailänder Gesellschaft ist die Scala. Ein buntgemischtes Publikum kommt hier zusammen, der Adel in den Logen, die einfachen Leute stehen im Parkett, Sitzreihen gibt es noch keine. Aber die Musik vereint sie alle, Bellinis „La Sonnambula“, Donizettis „Lucrezia Borgia“. Auch Verdi hat