AFP / DPA Olympiasieger Maier (beim Weltcuprennen in Wengen): „Mit dem könnte ich nicht auf einem Zimmer sein“

SKI ALPIN Ranküne im Schnee Das österreichische Nationalteam ist so erfolgreich wie nie. Doch der Kampf der Rennläufer um die Startplätze für die nächste Woche beginnende Weltmeisterschaft hat das Betriebsklima vergiftet – für endete er gar im Krankenhaus.

n der Lounge des Hotels Silberhorn im durchs Berner Oberland wabert. Werner den Weltcup dominierten wie nie eine Ski- schweizerischen Wengen herrscht dicke Franz, ebenfalls ein Meister der rasanten nation zuvor. Drinnen nähert sich die Stim- ILuft. Der Künstler am Klavier nervt. Talfahrt, wandert mit gesenktem Haupt auf mung polaren Werten. , 1991 Weltmeister im und ab, immer präzise an der Teppichkan- Das rauhe Betriebsklima kennzeichnet Super-G, haut in die Tasten, als sei er allein te entlang, als sei er der Wiedergänger des die Verhältnisse in der härtesten Lei- im Saal. Er ist es aber nicht. Rain Man. Konversation scheint uner- stungsschmiede des alpinen Skisports. Die Kollegen von der Nationalmann- wünscht. Denn in keiner anderen Equipe ringen so schaft des Österreichischen Skiverbandes Hat der Koch den Hauptgang versalzen? viele Top-Fahrer um Startplätze; nirgend- (ÖSV) haben sich in dem Aufenthaltsraum Hat die Schweiz einen neuen Wunderski? wo sonst tobt ein vergleichbarer Konkur- zur Mittagspause versammelt. Unbeirrt Nein, erklärt , der im renzkampf. Er wird ausgetragen auf der probt Eberharter seine musikalischen Vorjahr den Abfahrtsweltcup gewann: Skipiste, aber ebenso im Starthaus, im Ziel- Fähigkeiten. Sichtlich verspannt lauscht die „Des is’ bei uns normal, es mocht halt je- raum, beim Abendessen und in der Lounge Gesellschaft dem dissonanten Vortrag. der sei Ding.“ des Silberhorn. Für Patrick Ortlieb, 31, en- Wie Autisten scheuen die Rennläufer Das österreichische Herren-Skiteam ist dete er vorigen Donnerstag nach einem Nähe. Der Abfahrer ist in auf Tour. Und das bedeutet: Draußen vor Sturz bei Tempo 100 auf der „Streif“ in eine Ecke des Saals geflüchtet und starrt dem Hotel feiern die Fans mit Bier, Fahnen Kitzbühel mit einem Trümmerbruch des zum Fenster hinaus in den Nebel, der und Trompeten ihre Helden, die zuletzt Oberschenkels im Krankenhaus.

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Vergangene Woche hatte der Verdrän- siebziger Jahren hatte die Sportler unterschiedlich. Vor Ort in Colo- gungswettbewerb ein gefährliches Maß er- Härten im Ski-Soziotop Österreich er- rado wird die Formkurve der Sportler reicht. In dem durch Neid und Psycho- kannt: „Lieber Vierter werden und bester durch Tests auf dem Fahrrad-Ergome- kriege belasteten Ensemble buhlten die Österreicher sein, als Zweiter werden und ter überwacht; täglich wird die Kondition Fahrer um die letzten Startplätze für die nur zweitbester Österreicher sein.“ anhand des Laktat-Werts im Blut über- nächste Woche in Vail (Colorado) begin- Mittlerweile hat sich die Lage weiter ver- prüft. nende Weltmeisterschaft. Bei der No- schärft. In feierte das selbster- Auch die Materialschlacht im Profi-Ski- minierung tut sich Cheftrainer Werner nannte „Power Team“ einen Sechsfachsieg, sport hat der ÖSV ins Absurde getrieben: Margreiter schwer: Derartige Prozeduren in Igls gelang der Armada ein Weltrekord: Beim Weltcup in Wengen umfaßte der Stab sorgten im Land der Gipfel und Gemsen Sie belegte die Plätze eins bis schon immer für Eruptionen. Als Margrei- neun. „Eigentlich ist es nicht ter 1993 bei der Ski-WM in Morioka eini- schlecht, Sechster zu werden“, ge Fahrer eines großen Skiherstellers nicht stöhnte Hannes Trinkl, „aber berücksichtigte, drohte ein erboster Fir- sechster Österreicher zu sein – menboß: „Das hat noch keiner überlebt.“ das ist schon wieder traurig.“ Diesmal könnte es noch heftiger wer- Die Hausse ist das Resultat ei- den. Ein Dutzend österreichische Athle- ner Zäsur. Bis vor fünf Jahren ten, die sich in jedem anderen Land mühe- wurde die Herren-Mannschaft los für die WM qualifizieren würden, wer- vornehmlich von Trainern ge- den sich die Prestigeveranstaltung daheim führt, die die Fähigkeiten ihrer am Fernsehgerät anschauen müssen. Und Athleten von deren Oberschen- deshalb herrscht in dem elitären Troß seit kelumfang ableiteten. Moderne Wochen ein Teamgeist wie bei der Voraus- Trainingsmethoden waren ihnen scheidung zur Miss Universum. suspekt: „lch höre sofort auf“,

Während des Weltcup-Wochenendes in raunte einmal der gelernte Mau- IMAGE / SPORT M. RIEDLER / GEPA Wengen gingen die Kollegen nicht mal ge- rerpolier Karl Kahr, in den Acht- Norweger Kjus: Letzter ernstzunehmender Gegner meinsam joggen. Als drei von ihnen in zigern prominentester Vertreter Laufschuhen das Hotel verlassen, wählt je- der rustikalen Gilde, „wenn einer ein Buch 60 Personen. Die Norweger, letzte ernst- der eine andere Richtung. Im sonst so kum- über Abfahrtstraining schreibt.“ zunehmende Gegner, kamen zu zwölft. peligen Skizirkus, der fünf Monate im Jahr Fährt heute das ÖSV-Team zu einem Gut sechs Millionen Mark verschlingt die von Ort zu Ort zieht, gelten die Österrei- Rennen, dann macht es den Eindruck, als Skisaison der ÖSV-Herren in diesem Win- cher als „echte Muffel“, wie ein Kollege sei das sportwissenschaftliche Institut der ter. Die Schweiz, der große Rivale von aus Schweden formuliert. Universität zu Wien auf Exkursion. Die einst, muß mit einem halb so großen Etat Derlei Gebaren hat tiefe Wurzeln. Es ist Trainer sind diplomierte Sportwissen- auskommen. schließlich seit jeher das Schicksal öster- schaftler. Jede Dienstfahrt wird geplant wie Weil andere Nationen noch klammer reichischer Skisportler, einer Nation anzu- eine Himalaja-Expedition. sind, gibt der Branchenprimus schon mal gehören, in der jeder dritte dem Zwei- Damit etwa den Kandidaten bei der WM Entwicklungshilfe: Als die italienische brettsport frönt, Kinder in Ski-Hauptschu- in Vail nicht unverhofft eine Schwäche ins Mannschaft für ihren Spitzenfahrer Patrick len, Ski-Gymnasien oder Ski-Handels- Gebein fährt, reisen die Sportler an ver- Holzer kein Super-G-Training organisieren fachschulen an den Rennsport herange- schiedenen Tagen an. Denn an Luftfeuch- konnte, durfte der Konkurrent bei den führt werden – wegen der schieren Men- tigkeit und Zeitverschiebung, so hat Su- Österreichern mitüben. ge an Talenten aber nur wenige zu Ruhm per-G-Trainer Anton Giger, ein Mathe- Trotz solcher Nettigkeiten ist die neue und Ehre gelangten. Schon in den frühen matiklehrer, analysiert, gewöhnen sich Hegemonialmacht in der Szene nicht wohl- gelitten. Schon die kleinste Vorteilsnahme wie der Einsatz einer neuen Synthetikfaser für die Rennanzüge wird beargwöhnt. We- gen der gewaltigen Dominanz fürchtet die Zunft um den Wert der Rennserie: „Öster- reicher als Totengräber des Weltcups?“ fragt die Schweizer Zeitung „Sport“ bereits bang. Die Lieblinge sind die Norweger. Einer- seits, weil in deren Reihen mit ein Hasardeur steht, der den Österreichern aufgrund seiner feinen Technik zumindest in der Abfahrt die Goldmedaille streitig machen kann. Andererseits, weil sich das Team des aus dem Allgäu stammenden Trainers Martin Osswald so unverkrampft gibt. Die Männer vom Norges Skiforbund erschrecken in den Weltcuporten die Ur- laubsgäste schon mal mit einer zünftigen Balgerei im Schnee. Das Dream Team aus Österreich pflegt hingegen geschäftsmäßige Nüchternheit;

* Nach dem Neunfachsieg in Igls am 21. Dezember: An- dreas Schifferer, Stephan Eberharter,, Her- mann Maier, Patrick Wirth, Christian Mayer, Hans

F. PAMMER / GEPA / SPORT IMAGE / SPORT / GEPA PAMMER F. Knauß, Rainer Salzgeber. Es fehlt der Drittplazierte Fritz Österreichische Super-G-Mannschaft*: Eruptionen im Soziotop Strobl.

der spiegel 4/1999 161 Sport schließlich kämpfen vor jedem Rennen in österreichischen Teams: Einer wie der Schwäche interpretiert werden. Bis vorige jeder der vier Disziplinen 15 Kandidaten Deutsche Stefan Krauss, der vor dieser Sai- Woche glaubte Ortlieb, 1992 Olympiasie- um die 9 Weltcup-Startplätze, die Öster- son entnervt aufgab, „wäre bei uns zum ger, unverdrossen an sein Vail-Ticket, reich zustehen. Und im Europacup, der Spitzenfahrer avanciert“. wenngleich er in diesem Winter nicht ein- Zweiten Liga des Skisports, warten ein wei- Während beim Deutschen Skiverband mal unter die ersten Acht gekommen war. teres Dutzend Hochkaräter nur darauf, in jede zarte Begabung verhätschelt wird, Technische Defizite versuchte er mit Risi- die Beletage aufzusteigen. müssen sich die österreichischen Talente kobereitschaft zu kompensieren. Dann Zuletzt gelang dies dem 20jährigen Ben- schon in der Jugend mit der gnadenlosen stürzte Ortlieb an der berüchtigten Haus- jamin Raich. Beim Slalom in Schladming Selektion abfinden. „Als Ausgleich“ zu die- bergkante: Vail ade, vielleicht sogar die bahnte sich der bleichwangige Pitztaler ser psychischen Last, so Coach Margrei- Karriere vorbei. kurz nach Neujahr furios seinen Weg in ter, genießen die ÖSV-Nationalfahrer eine Kein Fahrer, mag er noch so abgeschla- gen im Ziel angekommen sein, gestattet sich Selbstzweifel. Das Mitteilungsbedürf- nis der intellektuell höchst unterschiedlich veranlagten Profis reduziert sich auf ein Minimum. Einigen Fahrern gemein ist indes eine gewisse Aversion gegen Superstar Her- mann Maier.Weil der Doppel-Olympiasie- ger und Führende im Gesamtweltcup das mediale und vor allem das Interesse der Sponsoren beinahe im Alleingang absor- biert, fürchten die Kollegen um ihre Pfrün- den. Denn selbst wenn Maier mal nicht im Rampenlicht steht – bei Raichs zweitem Saisonsieg in Maiers Heimat Flachau wur- de der „Herminator“ von der Medien- meute achtlos beiseite geschoben –, weiß er sich zu helfen. Vor allem Pressekonferenzen nutzt der Mann aus dem Salzburger Land geschickt für seine Zwecke: Die meisten Fahrer sit- zen unbehelligt im Raum. Nur um Maier bildet sich ein Journalisten-Pulk. Er erzählt von einem Rückenleiden. Nichts Ernstes, wissen Trainer und Konkurrenten, aber Maier erzählt es so, als ob es ernst sei. Die

AFP / DPA Nachricht wird sofort besorgt notiert und Ortlieb-Sturz in Kitzbühel: Technische Defizite mit Risikobereitschaft kompensieren verbreitet. „Wieder die Maier-Show“, zischt Schif- die Weltspitze. Nach Rang 23 im ersten Selbstverantwortung, wie sie einzigartig ferer beim Anblick der Szenerie. Auch Lauf deklassierte er die Etablierten im ist im Weltcup. Das Training läuft auf frei- Eberharter, ohnehin kein Maier-Freund zweiten Durchgang und gewann. Inzwi- williger Basis ab. Daß („Ich könnte nicht mit dem auf einem Zim- schen gehört Raich zu den Medaillen- einen eigenen Konditionstrainer hat, stört mer sein“), ärgert die Selbstinszenierung anwärtern in Vail. Ein älterer Kollege muß Margreiter nicht, „solange er uns nicht „dieses Herrn“: „Er weiß, wie man Me- für ihn zu Hause bleiben. reinquatscht“. Und auch den Umgang mit dien füttert.“ Was die Kollegen auf die Pal- „So schnell kann es gehen“, sagt Trainer dem Zapfenstreich überläßt er seinen Ak- me bringt, ist vor allem die Überheblich- Margreiter, und ein Lächeln huscht über tiven: „Ich bin kein Herbergsvater.“ keit des Granden. Als Eberharter in Park seine Lippen. Nicht, daß er ein „Peit- Die Eigenständigkeit der Sportler soll City siegte, verweigerte das Kraftpaket aus schenknallertyp“ wäre. Nur: „Konkurrenz einen verschärften Lagerkoller verhindern. dem Tauerngebirge dem Konkurrenten die belebt doch das Geschäft, oder?“ In der Zwangs- und Zweckgemeinschaft Gratulation. Statt die Niederlage gegen den In die Kaderkriterien ließ Margreiter ÖSV-Team, das weiß der Diplompsycholo- überragenden Kjus am Lauberhorn einzu- eine Klausel einbauen, die besagt, daß Fah- ge, gedeiht ohnehin reichlich sozialer Kon- gestehen, schwadronierte der Geschlagene rer, die älter als 24 Jahre sind, aus dem Na- fliktstoff: „Ich könnte ein Buch darüber von schlechten Wetterbedingungen. tionalteam in den A-Kader zurückgestuft schreiben.“ „Wir befinden uns auf einer Gratwan- werden, wenn sie nicht mindestens in ei- Die Lektüre würde manchem Nach- derung“, glaubt Eberharter und blinzelt, ner Disziplin zur „absoluten Weltspitze wuchsmann vielleicht die Lust am Aufstieg als wolle er sagen: Irgendwann geht das gehören“. Das sei wie im Wald, meint vermiesen. Denn in dem Vorzeigeteam Pulverfaß hoch. Margreiter: „Dort muß man auch ab und wird getrickst und gezankt. An Kooperation ist in der ÖSV-Truppe zu alte Bäume fällen, damit die jungen Zwischen den drei Trainingsgruppen, schon lange nicht mehr zu denken. Wäh- noch höher wachsen.“ Abfahrt, Riesenslalom/Super-G und Sla- rend bei anderen Nationen die Fahrer, die Daß der Nachwuchs rasanter heranreift lom, entbrennen regelmäßig Revierkämp- ins Ziel kommen, Tips an die Kollegen am als andernorts, liegt auch daran, daß sich fe.Weil die Trainer bei den Weltcuprennen Start hochfunken, ist diese Hilfe beim ÖSV die Jungen im Training an den Weltbesten die Kurse setzen, kommt es schon mal vor, abgeschafft. Naiv zu glauben, daß der Ab- wie Maier, Eberharter, Knauß oder Schif- daß einer die Stangen so steckt, daß ein fahrer Knauß dem Rivalen Maier auch ferer orientieren. So mancher mittelmäßi- Fahrer der anderen Gruppe garantiert kei- noch zum Sieg verhilft, indem er auf eine ge Läufer würde zum Siegfahrer mutieren, nen Vorteil hat. tückische Bodenwelle hinweist. Teamchef könnte er mit dieser Garde regelmäßig die Natürlich wird über solche Ranküne Margreiter: „Wer sägt sich schon den Ast Piste teilen, glauben selbst Athleten des nicht gesprochen. Lamentieren könnte als ab, auf dem er sitzt.“ Gerhard Pfeil

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