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G. K öhler, Jena & K. Zickendraht, Basel

Zur Heuschreckenfauna der Fährinsel (), der Insel und einiger Stellen auf Rügen / Mecklenburg-Vorpommern (Ensifera et Caelifera)*

Zusammenfassung Aus dem Sommer 2002 und 2003 werden Beobachtungen von Heuschrecken in insgesamt 58 Lebensräumen auf der Fährinsel (Hiddensee), der Insel Ummanz und anderen Teilen Rügens mitgeteilt. Dabei sind 19 Arten (8 Ensifera, 11 Caelifera) in zumeist niedrigen Dichten nachgewiesen worden, von denen Decticus verrucivorus, Gi-yllotalpa gryllotcilpa und Chorthippus dorsatus als in Mecklenburg-Vorpommern gefährdete Arten gelten. Aktuelle und historische Vergleiche des Faunenspektrums sowie dessen holozäne Herausbildung werden diskutiert.

Summary On the Orthopteran fauna of the Fährinsel (Hiddensee), the isle of Ummanz and other parts of Rügen / Mecklenburg-Vorpommern (Insecta: Ensifera et Caelifera).- Observations of Orthoptera made during the summers of 2002 and 2003 in 58 habitats of the Fährinsel (Hiddensee), the isle of Ummanz and other parts of Rügen are communicated. Nineteen species (8 Ensifera, 11 Caelifera) were found, mostly in low densities; among these, Decticus verrucivorus, Gryllotalpa giyllotalpa, and Chorthippus dorsatus are considered as endangered in Mecklenburg-Vorpommern. Present and historical faunas are compared and the postglacial formation of the present fauna is discussed.

1. Einleitung Hiddensee und Ummanz. Sie liegen aufgrund von Di­ vergenzeffekten ablandiger Winde in einer relativ Die Heuschreckenfauna der Insel Rügen (mit Hidden­ trockenen Zone mit mittleren Jahresniederschlägen see) ist in ihren älteren Angaben bei G ünther (1971) <520 mm, während große Teile Rügens >600 mm er­ für Mecklenburg - dort unter Kreis Rügen - mit recher­ halten (J e s c h k e et al. 1980, L a n g e et al. 1986). chiert worden, während sämtliche bisher bekannten Funde im Kartenteil zur Gefährdungsanalyse der Heu­ Die Fährinsel ist eine ca. 40 ha große, östlich vorgela­ schrecken Deutschlands auf Meßtischblattraster (Topo­ gerte Nebeninsel von Hiddensee und von diesem durch graphische Karte 1:25000) verzeichnet sind (M aas et einen bis zu 180 m breiten und nur etwa halbmetertie­ al. 2002). Das Interesse an der vorliegenden Zusam­ fen Boddenkanal, die Bäk, isoliert. Im Osten ist sie menstellung ergab sich hingegen aus einer kürzlich ver­ durch den Trog, eine 1,2 km breite Verbindung von öffentlichten Übersicht zur Heuschreckenfauna der In­ Schaproder und Vitter , vom Stolper Haken auf sel Hiddensee, bei der die Fährinsel jedoch unbearbeitet Rügen getrennt (Abb. 1). Von hier aus führte jahrhun­ blieb (Köhler & R einhardt 2002). Zufällig bot sich dertelang die einzige Fährverbindung über die Fährin­ nun durch Arbeitsaufenthalte von K. Zickendraht auf sel nach Hiddensee, deren Betrieb erst 1958 endgültig der Fährinsel die Möglichkeit, dieses orthopterologisch eingestellt wurde. Die Fährinsel mißt etwa 1,3 km in bislang nur in zwei alten Angaben (Leonhardt 1919) der Nord-Süd- und 0,6 km in der West-Ost-Ausdeh- berücksichtigte Gebiet etwas genauer zu untersuchen. nung. Entlang des Westufers erstreckt sich ein 1,2 km In diesem Zusammenhang schien auch ein Vergleich langer und in der Südhälfte bis 100 m breiter, älterer mit Teilen Westrügens interessant, wo vom Stolper Ha­ Geröllstrandwall aus dem Subboreal, auf dem die ken aus eine holozäne Landbrücke einst über das Ge­ Fährinsel mit etwa 2,3 m ü. NN ihre größte Höhe er­ biet der späteren Fährinsel nach Westen reichte. Dies reicht. Im NO schließt sich diesem ein aufgefächertes, wiederum war der Ausgangspunkt für einen Urlaub von jüngeres und niedrigeres Wallsystem aus dem Subatlan- G. Köhler auf der Insel Ummanz. tikum an, zwischen dem sich vier größere, verlandende Süßwasserflächen - die Riegen - erstrecken. Im Osten 2. Untersuchungsgebiet befindet sich mit der Schwedenschanze eine wallartige Die beiden Hauptuntersuchungsgebiete gehören zur Anlage, die vermutlich von den Schweden im ersten Landschaftseinheit der westrügenschen Bodden mit Viertel des 18. Jh. aus militärischen Gründen angelegt wurde und die ein gleichnamiges Gegenstück jenseits des Trogs auf dem Stolper Haken hat. Hundert Jahre

* Herrn Prof. Dr. B e r n h a r d K l a u s n i t z e r mit herzlichem später legte im mittleren Westteil ein Seiler einen Rei­ Glückwunsch zur Vollendung des 65. Lebensjahres gewidmet. fengarten an, der heute noch als Seilergraben mit Tüm- 226 Entomologische Nachrichten© Entomologische und Berichte, Nachrichten 48, 2004/3-4 und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at

pel in der Landschaft auszumachen ist. Die Fährinsel ist Präparierte Heuschrecken liegen dazu nicht vor. Insge­ waldfrei und nur im Bereich der Wirtschaftsgebäude samt ergaben sich Nachweise in 17 Inselbereichen, vor­ mit Gruppen von Laubbäumen bestanden. Eine genaue wiegend der nördlichen Hälfte, wobei mitunter die Bestandsaufnahme ihrer Vegetation fertigte bereits Häufigkeiten nach den Beobachtungen geschätzt wur­ Fröde (1957/58) in den 30er (!) Jahren an. Allerdings den. Als Kartengrundlage für die Fährinsel diente ein veränderten sich seitdem einige Gebiete in erheblichem um 1990 erstelltes Arbeitsblatt (1 3500) der Vogel­ Maße. Heute ist sie hauptsächlich geprägt von Wachol­ warte Hiddensee. Von Hiddensee selbst (K. Z.) werden der- und Erikaheiden sowie Sandtrockenrasen und hier nur Erstnachweise der Großen Goldschrecke Salzwiesen. Im Zentrum der Insel erstreckt sich mit berücksichtigt. dem Röschen ein ausgedehntes, gelegentlich über­ Auf Ummanz und Rügen sind während eines Urlaubes schwemmtes Feucht- und Salzwiesengebiet bis in eine vom 18.-29.08.2003 insgesamt 41 Geländeaufnahmen nach SO zur vorgelagerten Kuhinsel hin offene Bucht. vorgenommen worden (G. K.), wobei 12 auf Ummanz Die Fährinsel ist in Teilen bereits seit der ersten Hälfte und 29 auf andere Teile Rügens entfallen. Die großen des 20. Jh. Vogelschutzgebiet (Jeschke et al. 1980, Ja ­ Laubheuschrecken und Ch. brunneus wurden zumeist cob 1987, Stoll 2003). durch Verhören kartiert, die übrigen Arten mit dem Ke­ Die Insel Ummanz (54.30 N, 13.10 E) ist die größte scher der Hand gefangen und gegebenenfalls mit westliche Nebeninsel von Rügen, und mit etwa 2000 ha einer Lupe determiniert. Insgesamt liegen 81 Heu­ etwa 50mal so groß wie die Fährinsel. Sie ist an mehre­ schrecken von 14 Arten als Trockenpräparate vor. Als ren Stellen im NO und O durch nur 100-200 m breite aktuelle Kartengrundlagen dienten eine Rad- und Wan­ Wasserarme von Rügen getrennt und im Hauptort derkarte Hiddensee-Ummanz (1:30 000) und eine Karte Waase seit einem Jahrhundert durch eine Straßenbrücke Ostsee-Rügen (1:60 000). mit der Hauptinsel verbunden. Ihre Längsausdehnung (NO-SW) beträgt 9 km, während die Breite (NW-SO) 4. Artenspektrum im Norden etwa 5 km, in der Mitte 4 km beträgt (Abb. Für die einzelnen Arten sind die folgenden Gebietskür­ 1). Trotz des schon Mitte des 19. Jh eingedeichten zel verwendet worden: F Fährinsel, U Insel Um­ Überflutungslandes wurden während der Sturmfluten manz, R - Rügen (sonstige Fundorte), H - Hiddensee 1904 und 1913 zwei Drittel von Ummanz über­ (nur bei Ch. dispai'). Entsprechend der jeweiligen Insel­ schwemmt. Große Teile der Insel sind zwischen 1950- struktur werden als Fundorte auf der Fährinsel zumeist 85 neu eingedeicht und melioriert worden, wobei viel landschaftsprägende Gebiete, auf Ummanz und Rügen Fläche ehemaligen Salzgraslandes verloren ging. Die oft Ortsnamen angegeben. Zu beachten ist, daß es eine Insel ist nur zu einem geringen Teil im südwestlichen Schwedenschanze sowohl auf der Fährinsel als auch Kernbereich mit Kiefern bewaldet, während ringsum gegenüber südwestlich von Seehof auf Rügen gibt. Acker und im NW, NO und S Intensivgrünland als Viehweide (teils auf Salzgrasland) dominieren. Die weitaus meisten Artvorkommen wiesen niedrige Trockene Rasenbereiche finden sich langgestreckt vor Dichten auf, was nicht gesondert vermerkt ist; nur bei allem beidseits der sich über die gesamte Westseite er­ größerer lokaler Häufigkeit ist dies hinter dem Fundort streckenden Deichkrone. Bei Freesenort, hinter Haide­ in Klammern (h) vermerkt. Nachgewiesene Einzeltiere hof und zwischen Waase und Tankow sind moorartige werden aufgezählt und gegebenenfalls als trocken­ Bildungen zu finden. Besonders an leeseitigen Bodden­ präparierte Belegexemplare angegeben (W - Weibchen, ufern herrschen in unterschiedlicher Breite stark eutro- M - Männchen, pr - präpariert vorliegend). phierte Großröhrichte vor, während sich am allmählich Ensifera (Langfühlerschrecken) verlandenden Südufer Kleinröhrichte ausbildeten. Der gesamte Uferbereich von Ummanz sowie breitere Ge­ Meconema thalassinum (DeGeer, 1773) - Gemeine Ei­ biete im NO (bei Tankow) und S (114 ha um Freesen­ chenschrecke ort) gehören heute zum Nationalpark Vorpommersche U: Waase Buswartehäuschen (1 W pr), Ortsausgang nach Wusse (1 W pr; vermutlich von Schwarzpappel gefallen) Boddenlandschaft und dort in die Schutzzone II (Ewe 1986; L ange et al. 1986; Rad- und Wanderkarte Hid­ Conocephalus dorsalis (Latreille , 1804) - Kurzflüg- densee-Ummanz 1999; Nationalparkausstellung in lige Schwertschrecke Waase, in lit.). F: Tümpel beim Seilergraben, Salzwiese, Riegen (noch 24.9.03) U: Freesenort - SW-Deich (1 W, 1 M pr) 3. Material und Methode R: Lieschow Deich (h, 3 M pr); Seehof Schweden­ schanze/Stolper Haken (1 W pr, 1 M pr), Steinort (punktuell h) Auf der Fährinsel wurden von Mitte Juli bis Ende Sep­ Tettigonia viridissima Linnaeus , 1758 Grünes tember 2002 und nochmals im Sommer 2003 (K. Z.) Heupferd unsystematisch zahlreiche Sicht- und Hörnachweise F: um Wirtschaftsgebäude, um Laborhäuser, Wäldchen (noch von Heuschrecken notiert, einzelne Tiere mit der Lupe 15.9.01) untersucht und zahlreiche Tierfotos im Gelände mit ei­ R: Stedar; (1 M); Kap Arkona - Steilküste Arkona-Vitt ner Digitalkamera (Nikon Coolpix 995) geschossen. (1 M) © Entomologische Nachrichten und Berichte; downloadEntomologische unter www.biologiezentrum.at Nachrichten und Berichte, 48, 2004/3-4 227

Metrioptera roeselii (H agenbach , 1822) Roesels Beißschrecke F: um Wirtschaftsgebäude, Tümpel beim Seilergraben, Riegen, Salzwiese, Wäldchen (insgesamt recht häufig) U: Tankow - Schöpfwerk; Markow bis Haide; Freesenort - S- Spitze; Wusse-Freesenort - Wegrand und Schafweide; Haidehof - W-Deich (h); N-Deich - Wegrand R: Woorker Berge - zwischen Hügelgräbern; - Burgberg; Stedar; Lieschow (h, überall); Seehof - Steinort; - W-Strand; Kap Arkona - Burgberg Weitere unsicher verhörte Männchen wurden notiert; U: Freesenort - SW-Deich; R: Kap Arkona - Gellort/ Söbensniedersteen.

Pholidoptera griseoaptera (D eG eer, 1773) - Gewöhn­ liche Strauchschrecke R: Stedar; Insel Pulitz - Gutshaus, Waldlichtung, lichte Stellen bis S-Spitze (h, überall); Schloßpark; Mukran Parkplatz; Seehof - Steinort; Bobbin - Tempelberg; Kap Arkona - Gellort/Söbensniedersteen (h)

Gryllotalpa g ly Ilo talpa (Linnaeus , 1758) - Maulwurfs­ grille F: Gartçnbôschung vor Wirtschaftsgebäude zur Bäk-Seite (14.11.02, leg. R. Suckow; 26.08.03 ebenda) Caelifera (Kurzfühlerschrecken) Tetrix subulata (Linnaeus , 1758) - Säbeldornschrecke R: Insel Pulitz - Gutshaus (1 W pr)

Tetrix undulata (S owerby , 1806) - Gemeine Dorn- schrecke F: um Wirtschaftsgebäude/O-Seite, Tümpel beim Seilergraben, Rand Roschen/Wacholderheide W-Seite R: Insel Pulitz - Gutshaus (1 La pr)

Oedipoda caerulescens (L innaeus , 1758) - Blauflüg- Abb. 1: Kartenausschnitt zwischen dem südlichen Hiddensee und lige Ödlandschrecke der gegenüberliegenden Gebiete von Ummanz und Westrügen. Ver­ ändert nach Karte Ostsee-Rügen 1:60 000. H: Dünenheide westl. „Heiderose“ (13.8.-19.9.02, Einzeltiere, beob. J. G röning )

Chrysochraon dispar (G ermar , [1834]) - Große Gold­ Tettigonia cantans (F uessly , 1775) Zwitscher­ schrecke heupferd F: Verlandungszone am Schilfgürtel, Bootsanlegestelle Bäk, U: Waase - Focker Strom; Suhrendorf; Haide - Straßenrand; Wäldchen Haidehof - NW-Deich U: Freesenort - S-Spitze (1 W pr), Haidehof - NW-Deich (1 M R: -Gingst (an mehreren Stellen entlang der Straße); pr) Garz - Burgberg; Stedar; sw Ralswiek - Grabenrand; Schaprode H: Anlegestelle Bäk (7.6.03 weibl. La, Juli-Aug mehrere W und - W-Strand (1 M) M); Plattenweg zur Bäk (28.9.03, singende M); Auf Ummanz konnten einzelne singende Tettigonia- Gellen/Schwarzer Peter (2.9.03 M, W), an Furt zur Fährinsel (2002, W, beob. J. G röning ) - vermutlich Erstnachweise für Männchen (Markow bis Haide, Freesenort - S-Spitze) Hiddensee nicht sicher zugeordnet werden, es wird aber T. cantans vermutet. Omocestus viridulus (Linnaeus , 1758) - Bunter Gras­ hüpfer Decticus verrucivorus (L innaeus , 1758) Warzen­ F: um Wirtschaftsgebäude, Wiese beim Seilergraben, Wachol­ beißer derheide, Schwedenschanze, Salzwiese (Art überwiegend häu­ F: NW-Riege, Trockenrasen an N-Spitze, Schwedenschanze, fig; noch 23.8.03) Salzwiese U: H aidehof - NW-Deich (3 W pr) R: Kap Arkona - Gellort/Söbensniedersteen (1 M beob.) R: Seehof - Steinort (1 W pr); Mukran - Feuersteinfelder (1 W Weitere Vorkommen aufgrund singender Männchen Pr) sind wahrscheinlich, konnten jedoch nicht sicher belegt Myrmeleotettix maculatus (T hunberg , 1815) Ge­ werden; U: Freesenort - SW-Deich; R: Bobbin - Tem­ fleckte Keulenschrecke pelberg (am Parkplatzrand); Kap Arkona - Burgberg. F: Wacholderheide, Schafpfade und Wege, Trockenrasen N- Spitze (relativ häufig; bereits 31.5.03 L3-Weibchen) R: Mukran - Feuersteinfelder (2 W pr, 1 M pr) 228 Entomologische Nachrichten© Entomologische und Berichte, Nachrichten 48, 2004/3-4 und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at

Chorthippus apricarius (Linnaeus , 1758) - Feldgras­ jetzigen Untersuchungen nur 12 Arten auf der Fährinsel hüpfer und 11 auf Ummanz festgestellt werden, wobei wie­ U: Waase - Dorfanger (h), Ortsausgang nach Wusse (2 W pr) derum jeweils die Caelifera überwogen. Diese niedrige R: Woorker Berge zwischen Hügelgräbern; Kap Arkona Artenzahl (etwa im Vergleich zu Hiddensee) läßt sich Gellort/Söbensniedersteen, Steilküste Arkona-Vitt (2 W pr) auf der Fährinsel mit dem weitgehenden Fehlen von Chorthippus brunneus (T hunberg , 1815) Brauner Busch-Wald-Habitaten bei sehr kleiner Fläche erklären, Grashüpfer während auf dem viel größeren Ummanz durch jahr­ F: Rand Roschen/Wacholderheide W-Seite zehntelange, ausgedehnte und intensivlandwirtschaftli­ U: Haidehof - NW-Deich (h) che Nutzung sowie erhebliche Landschaftsveränderun­ R: Stedar; Insel Pulitz - Waldlichtung (h, 1 W pr), lichte Stellen gen infolge Deichbau und Siedlungserweiterung mögli­ bis S-Spitze; Bergen - Ruderalgelände zwischen Rugard u. ka­ cherweise die ursprünglichen Lebensräume für Heu­ tholischer Kirche (h); Schaprode - W-Strand (1 M pr); Mukran - Bahndamm; Bobbin - Tempelberg schrecken stark eingeschränkt und verändert wurden. Weiterhin wurde ein unsicher verhörtes Männchen von Das insgesamt Vorgefundene Spektrum an 19 Arten Mukran (Feuersteinfelder) notiert. umfaßt überwiegend in Mecklenburg-Vorpommern verbreitete und häufige Arten, nur die Fährinsel weist Chorthippus biguttulus (Linnaeus , 1758) - Nachtigall- mit Decticus verrucivorus und Gryllotalpa giyllotcdpci Grashüpfer zwei im Bundesland gefährdete Arten auf. Zudem gilt F: um Wirtschaftsgebäude, Wacholderheide, Schwedenschanze, der bei Stedar und auf der Insel Pulitz gefundene Chort­ Salzwiese, Trockenrasen S-Spitze, (durchweg sehr häufig; wohl häufigste Heuschreckenart auf der Fährinsel) hippus dorsatus ebenfalls als gefährdet (Rote-Liste-Ka- U: Waase - Dorfanger (h, 1 M pr), Ortsausgang nach Wusse (2 tegorie 3 - W ranik et al. 1997). Bemerkenswert sind W pr, 2 M pr); Tankow - Schöpfwerk (1 W pr, 2 M pr); Freese­ auch zwei individuenarme Vorkommen des in Deutsch­ nort - Weiden, S-Spitze (teils h, 2 W pr), SW-Deich; Deich südl. land häufigen und weitverbreiteten Chorthippus paral­ Suhrendorf; Haidehof - NW-Deich lelus auf Ummanz, während diese Art auf Hiddensee R: Stedar (h, 1 M pr); Seehof - Schwedenschanze/Stolper Ha­ vermutlich fehlt (Köhler & Reinhardt 2002) und auf ken, Steinort (2 M pr); Schaprode - W-Strand (teils h); Mukran Rügen nur von wenigen, verstreuten Fundorten bekannt Bahndamm, Feuersteinfelder (teils h); Bobbin - Tempelberg (h); Kap Arkona - Gellort/Söbensniedersteen (1 M pr), Burg­ ist (G ünther 1971, Maas et al. 2002). Die nördlichsten berg (teils h), Steilküste Arkona-Vitt (teils h) Heuschrecken-Populationen im östlichen Deutschland leben am 50-100 m breiten, etwas ruderalisierten Fuße Chorthippus albomarginatus (D eG eer, 1773) der Steilküste bei Kap Arkona (54.41 N, 13.26 E) in un­ Weißrandiger Grashüpfer mittelbarer Nähe zur Ostsee am Gellort-Söbensnieder- F: um Wirtschaftsgebäude, Wacholderheide, Schwedenschanze, Salzwiese, Trockenrasen S-Spitze (überall recht häufig) steen, wo D. verrucivorus, Ph. griseoaptera, Ch. apri­ U: Waase - Dorfanger (1 M pr), Ortsausgang nach Wusse (2 W carius und Ch. albomarginatus nachgewiesen wur­ pr, 4 M pr); Tankow - Schöpfwerk (4 W pr, 1 M pr); Freesenort den. Weiden, S-Spitze (teils h, 4 W pr, 1 M pr), SW-Deich; Deich südl. Suhrendorf; Haidehof - W-Deich, NW-Deich (h) Kleinräumig ergeben sich weitere interessante Aspekte. R: Lieschow - Kiebitzhof, Deich (1 M pr); Seehof - Schweden­ Während alle Arten der Fährinsel auch auf Hiddensee schanze/Stolper Haken (teils h, 3 W pr, 2 M pr), Steinort (teils Vorkommen, beherbergt die Fährinsel nur die Hälfte der h); Schaprode - W-Strand (h); Kap Arkona - Gellort/Söbensnie­ auf Hiddensee nachgewiesenen Arten. Es unterscheiden dersteen (h, 1 W pr, 2 M pr), Burgberg sich auch die Artenspektren der Fährinsel westlich und Chorthippus dorsatus (Zetterstedt , 1821) - Wiesen­ der Seehof-Umgebung (Stolper Haken, Schweden­ grashüpfer schanze, Steinort) östlich des Trogs. So wurden von den R: Stedar (2 W pr); Insel Pulitz - Waldlichtung (2 M pr) 12 Arten der Fährinsel seit jeher nur 8 (von ebenfalls 12) auch um Seehof nachgewiesen (Leonhardt 1919 Chorthippus parallelus (Zetterstedt , 1821) - Gemei­ ner Grashüpfer und vorliegende Liste). Und auf der Fährinsel fehlen U: Freesenort - S-Spitze (2 M pr), Haidehof - NW-Deich (1 M wiederum Tettigonia cantans und Pholidoptera griseoa­ Pr) ptera bei den Ensifera, Stethophyma grossum und Chorthippus apricarius (beide nur bei L e o n h a r d t D erm aptera 1919) bei den Caelifera. Auch ist davon auszugehen, Forficula auricularia L innaeus , 1758 - Gemeiner Ohr­ daß sich die Heuschreckenfauna in den letzten 80 Jah­ wurm ren veränderte. Dies zeigt im Gebiet um Schaprode und U: Freesenort - S-Spitze (2 W, davon 1 W pr) Seehof der lokale Vergleich der Angaben bei Leonhardt (13.08.-10.09.1918) mit einer heutigen Bestandsauf­ 5. Diskussion nahme (Ende August 2003), bei etwa vergleichbar Auf dem rügenschen Inselkomplex wurden bislang 30 grober Untersuchungsintensität. So konnten heute Heuschreckenarten, 13 Ensifera und 17 Caelifera, nach­ keine Nachweise von Myrmeleotettix maculatus (häu­ gewiesen, von denen 24 auch Hiddensee besiedeln fig bei Schaprode; Seehof/Schanze - L e o n h a r d t 1919) (M aas et al. 2002, K öhler & R einhardt 2002 und und Chorthippus apricarius (mit Ch. albomarginatus vorliegender Beitrag). Demgegenüber konnten nach die häufigste Art - L e o n h a r d t 1919) erbracht werden, © Entomologische Nachrichten und Berichte; downloadEntomologische unter www.biologiezentrum.at Nachrichten und Berichte, 48, 2004/3-4 229

während Ch. cilbomarginatus nach wie vor häufig ist. dung zwischen Fährinsel- und Hiddenseemasse bestan­ Allerdings wurden um Schaprode (mit Tettigonia can­ den, und die Heuschreckenbesiedlung Hiddensees muß tans, Metrioptera roeselii und Chorthippus brunneus) weitgehend vom Inselkern des Dornbusch (? und des sowie um Seehof (mit Metrioptera roeselii, Pholido- Gellens) ausgegangen sein, nicht von der Mitte her, wie ptera griseopaptera und Omocestus viridulus) immer­ fälschlicherweiseK öhler & Reinhardt (2002) schluß­ hin fünf auffällige Arten registriert, die L eonhardt folgern. Weiterhin schlossen sich die Buchten der rü­ ( 1919) von dort nicht erwähnt, und die bei Laubheu­ genschen Inselkerne durch allmählich wachsende, schrecken auf eine gewisse Vegetationsverdichtung und schmale, hakenförmige Anlandungstreifen - den bis zu Verbuschung der Lebensräume hin weisen. Ähnlich ab­ 11 km langen Nehrungen - und es bildete sich die heute weichend sind auch die Artangaben für die Feuerstein­ stark aufgegliederte Insel Rügen heraus. felder bei Mukran, von wo G ünther (1971) eine Lang­ Mit Blick auf Heuschrecken muß die ursprüngliche Be­ fühlerschrecke Metrioptera ( brachyptera) und fünf siedlung Rügens mindestens schon im Boreal, mithin Grashüpfer-Arten angibt. Derzeit wurden aber nur drei vor Beginn der ersten litorinen Hauptphase (um 5300 v. Gomphocerinae in kleinen, eng begrenzten Populatio­ Chr.), und nur von Süden her erfolgt sein. Dabei ist zu nen gefunden, von denen O. viridulus und Ch. biguttu- mutmaßen, daß zuerst jene Arten vordrangen, die auch lus schon von G ünther (1971), M. maculatus dort aber heute jenseits des Polarkreises (66.00 N) bis weit nach nicht erwähnt wurden. Nordskandinavien hinauf Vorkommen und dort tund­ Der reichgegliederte rügensche Inselkomplex fordert renartige Gebiete besiedeln, wie Metrioptera brachy­ Hypothesen zu seiner holozänen Besiedlung durch ptera, Stethophyma grossum und Omocestus viridulus Heuschrecken geradezu heraus, auch wenn stark diver­ ( H o l s t 1986). Da auch Chorthippus parallelus in diese gierende Vegetationsabfolgen und spätere anthropo­ frühe Gruppe gehört, ist seine Seltenheit auf Rügen gene Landschaftsveränderungen keine detaillierten (und sein Fehlen auf Hiddensee) schwer zu erklären. Schlüsse erwarten lassen. Überdies ist seine allmähli­ Die anderen Arten könnten dann allmählich hinzuge­ che Ausformung nur vor dem Hintergrund eines kom­ kommen sein, solange die breite Verbindung zum Fest­ plizierten Wechselspiels mit der nacheiszeitlichen Ent­ land noch bestand. Danach kam es im Laufe der sich stehung der Ostsee und deren vielfältigen Wasserspie­ über 4000 Jahre hinziehenden Litorina-Transgression gelschwankungen zu verstehen (Datierungsangaben zu einer Abtrennung Rügens vom Festland, der Insel nach L a n g e et al. 1986). Ummanz von Rügen sowie schließlich der Fährinsel von Rügen, so daß zuerst keine weiteren Arten mehr Bis zum Beginn der Litorina-Transgression (5300 v. vom Festland her Vordringen konnten, und es später Chr.) im Atlantikum war der heutige rügensche Insel­ auch nicht mehr zu wechselseitiger Besiedlung zwi­ komplex aufgrund eines auch im Boreal noch 20-30 m schen diesen Inseln kam. Es ist also davon auszugehen, tieferen Wasserspiegels über mehrere Jahrtausende mit daß ein ursprünglicher, relativ „vollständiger” vorrü- dem ausgedehnten südbaltischen Festland auf breiterer genscher Artkomplex infolge des Meeresspiegelan­ Front verbunden. Mit dem Anstieg des Wasserspiegels stiegs mit der unterschiedlich großen Inselkernbildung der Ostsee zerfiel die rügenschen Landmasse in meh­ in jeweils artenärmere Komplexe zerfiel, die seit dem rere Inselkerne, darunter auch Ummanz sowie einer, der Neolithikum (ab 3000 v.Chr.) verstärkt in den Einfluß­ die heutige Fährinsel mit dem Stolper Haken verband. bereich menschlicher Siedlungskultur gerieten. So er­ Letzteres belegen sowohl auf der Fährinsel als auch bei klärt es sich, daß neben überall vorkommenden Arten Seehof gefundene spätmesolithische Feuersteinarte­ auch insei- und gebietsspezifische Arten auftreten, er­ fakte der zentralrügenschen -Kultur ( L a n g e et gänzt von zufälligen Neuzugängen einerseits und modi­ al. 1986, S t o l l 2003). Diese pleistozäne „Seehofer fiziert durch Artverschiebungen aufgrund anthropoge­ Landzunge“ reichte als wenige hundert Meter breiter ner Landschaftsveränderung andererseits. Streifen über die spätere Fährinsel nach Westen. Mit weiter steigendem Wasserspiegel wurde dieser, der Danksagung. freien Ostsee ausgesetzte Streifen allmählich abgetra­ gen und nach Osten zurückverlegt, wie Untersuchun­ Unser ganz besonderer Dank gilt Herrn R. S u c k o w gen an den Wallsystemen der Fährinsel nahelegen. Die (Hiddensee, Fährinsel), der eine unveröffentlichte Ar­ Entstehung des eigentlichen Fährinselkerns wird dabei beitskarte der Vogelwarte Hiddensee zur Fährinsel (1 in die Zeit vom Ende der ersten (3800 v.Chr.) bis in die 3500) zur Verfügung stellte, zahlreiche Hinweise zur zweite litorine Hauptphase (2000 v.Chr.) gelegt (J a c o b Fährinselvegetation gab und den dortigen Fundort der 1987). Aber erst in der dritten litorinen Hauptphase (ab Maulwurfsgrille mitteilte. Frau Thea K öhler (Jena) 900 v.Chr.) wurde durch weiteren Anstieg des Wasser­ half bei den Geländeaufnahmen auf Ummanz und Rü­ spiegels das Hakensystem des Dornbusch-Inselkerns gen. Frau Julia Gröning (Osnabrück) verdanken wir aktiviert, woraufhin seeseitig der Fährinsel das Flach­ Angaben zu O. caerulescens und Ch. dispar auf H id­ land und damit der Zusammenschluß von Hiddensee densee. entstand ( J a c o b 1987). Folglich hat nie eine Verbin­ 230 Entomologische Nachrichten© Entomologische und Berichte, Nachrichten 48, 2004/3-4 und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at

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Katrin Zickendraht, Strassburgerallee 124, CH-4055 Basel e-mail: [email protected]