Die Welt in Gold Und Grün Schaffenen Segment Jazz
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S S E R P N O I T C A / L A U S I V Pianistin Gardot im April in Paris: „Ich habe nie angestrebt, Sängerin zu werden, und war froh, überhaupt wieder laufen zu können“ „My One and Only Thrill“ bekam die MUSIK Amerikanerin von den Franzosen Dop - pel-Platin. In Deutschland erhielt sie vor zwei Wochen den Echo-Award im neuge - Die Welt in Gold und Grün schaffenen Segment Jazz. Für eine 25-jäh - rige Jazz-Musikerin ist das eine ziemlich Die US-amerikanische Sängerin Melody Gardot zählt zu den erstaunliche Karriere, zumal sie erst seit fünf Jahren professionell arbeitet. wichtigsten Neuentdeckungen des Jazz. Ihr Talent entdeckte sie Verantwortlich dafür ist der Fahrer ei - zufällig – bei einer Musiktherapie nach einem schweren Unfall. nes Geländewagens, der an einem nass - kalten Novembertag im Jahr 2003 an der äre im Leben von Melody Gar - Heart“, gerade mal 33 Minuten lang, und Kreuzung 2nd Street/Callowhill Street in dot alles normal gelaufen, wür - 2009 „My One and Only Thrill“, opulent Philadelphia eine rote Ampel missachtete. Wde sie heute vielleicht irgend - arrangiert und orchestriert von Vince Melody Gardot kam gerade vom Commu - welchen Models in irgendwelchen Mode - Mendoza, aufgenommen in den legendä - nity College, sie fuhr auf ihrem Fahrrad, metropolen Kleider überstülpen, würde ren Capitol-Studios in Hollywood, wo die Ampel war grün, sie wurde von dem sie drapieren, frisieren und zurechtma - von den Wänden die Konterfeis Sinatras tonnenschweren Fahrzeug überrollt. Der chen für die große Schau. Aber in ihrem oder Nat King Coles über das Geschehen Fahrer machte sich davon, Gardot blieb Leben läuft nichts normal. Zumindest wachen. mit zweifach gebrochener Hüfte, schwers - nicht seit ihrem 19. Lebensjahr. Seither Ihr Jazz ist ein anderer Jazz als der der ten Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen ist sie diejenige, die man drapiert, luxu - glatten Diana Krall oder der eher naiven zurück. riös frisiert und zurechtmacht für den gro - Norah Jones, reifer, eleganter, anmutiger, Ein Jahr lag sie im Krankenhaus, voll - ßen Auftritt. ein Jazz der Generation Facebook. In ständig geheilt ist sie bis heute nicht. We - Aus einer unbekannten Studentin für Frankreich erreichte ihr jüngstes Album gen einer Lichtempfindlichkeit trägt sie Modedesign aus Philadelphia ist binnen Platz vier in den Charts noch vor Amy seither eine dunkle Brille, und sie ver - sieben Jahren die polyglotte Sängerin Me - Winehouse oder Lady Gaga. wendet einen Gehstock, den viele für ein lody Gardot geworden, die filigrane Pia - Gardot singt mit einem der schönsten PR-Accessoire halten. Ein Irrtum. „Ich nistin, Gitarristin, Komponistin – und und erotischsten Vibratos der Gegenwart, habe immer noch ziemliche Probleme mit eine der wohl eindrucksvollsten Bühnen - zum Teil haucht sie ihre Lieder nur, das meinem Gleichgewichtssinn“, sagt Gar - erscheinungen der modernen populären Tempo ihrer Stücke ist allenfalls adagio. dot. „Oft fühle ich mich benommen und Musik. Mühelos füllt sie die Royal Festival Hall armselig.“ Zwei Studioalben hat Gardot erst ver - in London oder das Olympia in Paris. Mit Als Richard Jermyn, ihr Arzt an der öffentlicht, vor zwei Jahren „Worrisome über 200 000 verkauften Exemplaren von University of Medicine and Dentistry in 142 $ %# 20/2010 Kultur New Jersey, hörte, dass sich seine Patien - Labels UCJ Music, bei dem sie einen Plat - tin ihr Studium bislang als Hobbypianis - tenvertrag erhielt. „Ich habe nie ange - tin in Kneipen und Bars finanziert hatte, strebt, Sängerin zu werden, ich war zu riet er, Musik als Teil der Rehabilitation diesem Zeitpunkt froh, überhaupt wieder einzusetzen. Er verglich ihr Gehirn mit laufen zu können“, sagt Gardot. einer Festplatte, die durch den Crash ge - Bis heute schreibt sie ihre Lieder selbst. löscht wurde. Musik würde helfen, sie „Es ist schwer, anderer Leute Lieder zu wieder mit Inhalten zu füllen. interpretieren. Man weiß nicht, in wel - Er riet, Gitarre zu lernen, das konnte cher Stimmung sie sie geschrieben haben, sie im Liegen, er riet, Lieder zu summen, was sie damit ausdrücken wollten. Man solche, die sie in den Bars am Klavier kann sie vielleicht technisch erfassen, spielte – Coverversionen von Radiohead, aber nicht emotional.“ The Mamas and the Papas, Duke Elling - Anders als viele Singer-Songwriter ver - ton, Nina Simone, Billy Joel –, und solche, zichtet Gardot weitgehend auf politische die sie sich selbst ausdenken sollte. oder gesellschaftliche Inhalte. Es sind poe - „Wicked Ride“, „Down My Avenue“, tische und romantische Lieder. Sie lobt „Don’t You Worry Baby“ oder „Some darin die Vorzüge des Seitensprungs oder Lessons“ hießen die Lieder, die sie im beschreibt, welchen Einfluss der Regen Hospital schrieb. Sie machte in dieser auf die Liebe hat. Sie erzählt davon, was Zeit, erzählt sie, erstaunliche Entdeckun - sie tun würde, gehörte ihr die Welt: Sie gen: die Gabe, Songs zu schreiben, frei würde sie gold und grün anmalen, die zu improvisieren, „und als sich zu den Ozeane orange einfärben und den Him - Melodien auch die passenden Worte form - mel ewig blau, die Welt wäre ein einziges ten, war ich komplett überwältigt“. Gemälde. Was dann passierte, könnte sich kein Das kann man kitschig finden. Oder Manager besser ausdenken: Gardot hatte konsequent. Duke Ellington, Erroll Gar - die Lieder zu therapeutischen Zwecken ner oder Bessie Smith und Anita O’Day aufgenommen, „einfach um mich am sind ihre Vorbilder, alles an Melody Gar - nächsten Tag erinnern zu können, was dot wirkt, als wäre sie direkt einem Film - ich gestern gespielt hatte“. Sie brannte klassiker der fünfziger Jahre entstiegen. die Lieder vom Computer auf eine CD, Bei der Geburtstagsfeier des Konzert - die in die Hände von Helen Leicht geriet, veranstalters Marek Lieberberg vor zwei einer lokalen Radiomoderatorin. Die Wochen kam Gardot als Special Guest beim mitternächtlichen Dinner vorbei. Kaum betrat sie den Raum, verstummten die Gespräche, die Gesellschaft sprang von ihren Stühlen auf und beklatschte eu - phorisch den Auftritt der Diva. Gardot liebt solche Inszenierungen, sie genießt die Kostümierung, schlüpft in Rol - len, die zu ihren Liedern passen, mal Vamp, mal verträumtes Mädchen, mal Chansonnière, die in Französisch parliert. „Haben Sie schon mal Edith Piaf gesehen? Juliette Gréco? Wenn man als Performer vergisst, dass man ein visuelles Objekt ist, bleiben die Leute zu Hause und hören sich nur die Platte an.“ Einem Journalisten erzählte sie un - längst, sie habe ihre Wohnung aufgege - ben und lebe nur noch aus zwei Koffern. An einem Tag würde sie mit einem gro - ßen Orchester auftreten, am anderen mit Herbie Hancock und Wayne Shorter in den Abbey-Road-Studios aufnehmen, am S E G A nächsten ihr eigenes Konzert spielen. M I Y „Und dann fliegst du nach Hause und T T E G musst dich nach all diesen wunderbaren Jazz-Star Gardot Dingen um deine dreckigen Socken küm - Wie aus einem Filmklassiker mern. Das deprimiert.“ Der Journalist schaute ungläubig und spielte die Songs auf dem Sender, „ob - meinte: „Das klingt aber simpel.“ Gardot wohl es eine lausige Qualität war“. Hörer runzelte die Stirn und entgegnete: „Ich riefen an und wollten wissen, wer das sei, gebe 90 Konzerte im Jahr, lebe nirgendwo sie wollten wissen, wo man die CD kau - und überall. Ich brauche keine Couch. Ich fen könne. Gardot brachte sie 2005 unter kann ins Four Seasons und muss noch dem Titel „Some Lessons – The Bedroom nicht mal dafür zahlen. Das ist die Wahr - Sessions“ schließlich selbst heraus und heit. Honey, willst du mir sagen, mein Le - weckte damit die Aufmerksamkeit des ben ist zu simpel?“ J!" T&' $ %# 20/2010 143.