Das Lied Von Manuel. Ein Schlagerreiseprogramm
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Hörspiel Feature Radiokunst Freistil Das Lied von Manuel Ein Schlagerreiseprogramm Von Manuel Gogos Produktion: SWR 2020 Redaktion Dlf: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 25.07.2021, 20:05-21:00 Uhr Regie: Walter Filz Es sprach: der Autor Ton und Technik: Toygun Kirali und John Krol Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 Sentimental-Kakophonischer Zusammenschnitt von 1970er Jahre-Schlagern „Ich bau dir ein Schloss“, „Tanze Saba mit mir“, „griechischer Wein“, Schönes Mädchen aus Arcadia“, „Das ist mein Traum von Mykonos“, „Mannomann, der Wein von Samos...“ Autor Ich hasse Schlager – für mich ist das einfach eine Frage des Geschmacks. O-Ton 1 Jacky Dreksler 0:55 Und du hast dich mit Schlagern beschäftigt, obwohl du sie eigentlich gar nicht magst? Autor: Kann man so sagen. Autor Aber um ganz ehrlich zu sein: meine Geschichte mit dem Schlager gleicht eher einer Hassliebe. In meiner Kindheit in den 70-er Jahren konnte man dem Schlager nicht entkommen. O-Ton 2 Helene Gogos 1:20 Dieter Thomas Heck, die Hitparade! Da wart ihr dann gebadet, und dann durftet ihr dat gucken. Das war immer samstagsabends. Autor Mein älterer Bruder Jürgen ist 1969 geboren – in dem Jahr, in dem auch die ZDF- Hitparade auf Sendung geht. Ich erinnere mich, wie Dieter Thomas Heck im Fernsehen mit dröhnender Stimme seine Gäste begrüßt. O-Ton 3 Interview Helene Gogos 31:00 Autor: Über den hab ich gelesen, der wäre früher Autorverkäufer gewesen. HG: Ja, der hat alte Wagen verkauft! (lacht) Der „verkaufte“ nachher Schlager... „Hier ist Berlin“... Autor Einmal im Monat sangen ausschließlich deutschsprachige Interpreten ausschließlich live. 27 Millionen schalteten ein, unter ihnen wir. Beim Einschlafen waren Schlager das Letzte, was ich im Ohr hatte, und beim Aufwachen das Erste: 2 Zusammenschnitt Ohrwurm Echos Darüber O-Ton 4 Jacky Dreksler 48:50 Autor: Das hasst du noch im Kopf? JD: Das ist das Schlimme ja! Ich hab Lieder im Kopf, da war ich sechs, sieben, da liefen die im Radio. Und die haben sich bis heute festgefressen. Und die sind bis heute abrufbar. Autor Ich habe mal die Geschichte eines griechischen Gastarbeiters gehört, der war schon in den Fünfziger Jahren nach Deutschland gekommen, um Hausfrauen Staubsauger zu verkaufen. Im Alter erlitt er mehrere Schlaganfälle. Nach dem ersten hatte er die deutsche Sprache vergessen, nach dem zweiten die griechische. In seiner frühen Kindheit war er aus Kleinasien geflüchtet, so sprach er am Ende nur noch Türkisch. O-Ton 5 Julio Mendivil II 14:00 Es geht ganz oft um Erlebnisse in der Vergangenheit. Die sind natürlich geographisch verortet. Da, wo man aufgewachsen ist, oder wo die Mutter geboren wurde... Autor Ist der Schlager so eine Tiefenablagerung in meiner Hörbiographie? Die ans Licht kommt, wenn man die anderen Schichten abträgt? Die Neue Musik meiner Erwachsenenjahre, den New Wave meiner Jugend. Wenn ich einmal mit Demenz im Altersheim sitze, werden dann ausgerechnet Schlager mein Herz höher schlagen lassen? O-Ton 6 Julio Mendivil II 14:00 .. Z. b. wie in „Heimweh“ von Freddy Quinn oder Heintjes „Mama“ auch. Autor Und wenn es das ist, was ich mit der Muttermilch eingesogen habe, und mit mir meine ganze Generation: Müsste man dem Schlager dann nicht geben, was des Schlagers ist? Ein Stück deutsche Mentalitätsgeschichte, in der Form meiner ganz persönlichen Hitparade...?! 3 Zitator Das Lied von Manuel. Ein Feature von Manuel Gogos Stimme Startnummer 1 Heintje, Mama Musikeinspielung 1 Heintje - Mama Mama Du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen Mama Einst wird das Schicksal wieder uns vereinen. Autor Um der starken Prägekraft des Nachkriegsschlagers auf die Spur zu kommen, unternehme ich eine Wallfahrt in den Ort, aus dem ich stamme: Derschlag nahe Gummersbach. Musikeinspielung Heintje - Mama Tage der Jugend vergehen Schnell wird der Jüngling ein Mann Autor Es heißt, einst sei ein Fremder durch diesen Ort gekommen und habe nach seinem Namen gefragt. Und auf die Antwort, der Ort habe noch keinen Namen, habe der Fremde „mich trifft der Schlag “ gesagt. Heute bin ich der Fremde. Und Derschlag ist der Ort, wo mich der Schlager trifft . O-Ton 7 Helene Gogos 38:20 Heintje war ja auch wichtig. Besonders „Mama“, ne. Oder „Ich bau dir ein Schloss“. Da hab ich eine kleine Platte gehabt, auf der einen Seite „Mama“, auf der anderen Seite „Ich bau dir ein Schloss“. Ach ja. Autor: Und du hast das auf dich bezogen? HG: Ja, klar! Autor: Ich glaub ich hab das auch so gehört: dass ich dir jetzt auf jeden Fall ein Schloss bauen werde... HG: Jaja! 4 Autor 1968 beherrschte Heintje die deutsche Schlagerszene. Mit gleich drei Nr. 1 Hits, „Mama“, „Du sollst nicht weinen“, und "Heidschi-bumbeidschi“. Nur ein Kind konnte im Jahr der globalen Revolten noch solche sentimental-kitschigen Lieder singen. In den Glasvitrinen des Wohnzimmerschranks sehe ich gerahmte Kinderfotos: meinen Bruder Jürgen, mit blonden Locken, in einem kanariengelben Strickanzug, mit Bommeln dran. Und mich, mit einer geblümten Frotteunterhose und einem Strohhut, vor dem Haus meiner griechischen Großeltern in die Sonne blinzelnd. O-Ton 8 Helene Gogos 27:35 Ich lebe ja immer noch in den 70er Jahren. Autor: Was heißt das denn? HG: Ich weiß et nich. Autor Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die deutschen Männer abwesend: Entweder im Krieg geblieben, oder in Kriegsgefangenschaft. Wie mein deutscher Großvater, den meine Mutter als vierjähriges Mädchen zum ersten Mal sah. Es gibt da ein „Großes Warten“ im deutschen Nachkriegsschlager. Und im Wartesaal: lauter bügelnde Frauen, bemüht, die tiefen Falten der Geschichte auszubügeln. Stimme Startnummer 2 Freddy Quinn, Heimweh O-Ton 9 Helene Gogos 16:30 (singt) Brennend heißer Wüstensand – der hat immer so Abenteuerlieder gesungen. Vom Meer, und von der Wüste und so wat. Autor Freddy Quinn war die Stimme dieses „großen Wartens“. In seinem Lied „Heimweh“ von 1956 bringt er diese kollektive Sehnsucht zum Ausdruck. Freddy Quinn, der Sänger des Fernwehs. Und des Heimwehs zugleich. Musikeinspielung 2 Freddy Quinn, Heimweh 5 So schön, schön war die Zeit, so schön, schön war die Zeit... Brennend heißer Wüstensand; fern, so fern dem Heimatland; So schön, schön war ... O-Ton 10 Helene Gogos 16:30 ... Autor: Mochte der Papa den? HG: Ja, den mochte er. Die Stimme war auch schön. Das ist ja immer (so), wenn die Stimme schön ist, kann man das gut ertragen... Musikeinspielung Freddy Quinn, Heimweh Viele Jahre schwere Fron, harte Arbeit, karger Lohn. Tagaus, tagein Autor Mein Vater kam 1960 nach Deutschland. Im zarten Alter von achtzehn Jahren, mit nicht viel mehr als einem Koffer voller Träume. Um dann für dreihundert Mark monatlich als Hilfsarbeiter in einer Textilfabrik barfuß in Bottichen mit hochgiftigen Chemikalien herumzustapfen. Musikeinspielung 3 Freddy Quinn, Junge, Komm bald wieder Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus. Junge, fahr nie wieder, nie wieder hinaus. Autor Aber er ist ein optimistischer Typ, dieser Grieche, der da bei seiner Arbeit überschwänglich „Junge, komm bald wieder“ singt. Mein Vater war ein Gastarbeiter – und er liebte den deutschen Schlager! Vielleicht hat er Freddy Quinns Lieder sogar besser verstanden als Freddy selbst. – War „Junge, komm bald wieder“, nicht genau das, was meine griechische Großmutter meinem Vater in ihren Briefen schrieb? Musikeinspielung Freddy Quinn, Junge, Komm bald wieder Ich mach mir Sorgen, Sorgen um dich. Denk auch an morgen, denk auch an mich. 6 Autor Blättert man in unserem Familienalbum einige Seiten zurück, in die Zeit vor unserer Geburt, gleicht das Album einem Foto-Roman: Mein Vater, wie er am Wochenende die Derschlager Landstraße entlangspaziert, mit Nelke im Knopfloch, wie aus dem Ei gepellt. Musikeinspielung 4 Freddy Quinn, Heimatlos Hoffnungslos ist keiner auf der Welt. Einmal kommt die Zeit. Und ich weiß das Schicksal hält für mich bereit. Ein paar Freunde, eine Liebe. Autor Und meine Mutter Helene, die „Lichtbringende“, ein frommes Mädchen aus pietistischem Elternhaus, wie sie sich ihm entgegenträumt; und das Paradies darum gegeben hätte, von ihrem Griechen in den Olymp erhoben zu werden. Musikeinspielung Freddy Quinn, Heimatlos Daran denke ich das ganze Jahr. Ein paar Freunde, eine Liebe, Wie es früher, früher einmal war Darüber O-Ton 11 Helene Gogos 2:20 ... Autor: Bist Du gerührt jetzt? HG: Dat waren so Lieder, die dem Papa auch gefallen haben. Da waren wir uns einig. Autor: Dann haben die zu eurer Liebe beigetragen? HG: Ja. Jaja. 2:20 Wobei – ich bin heute schnell gerührt. Ich bin schon vorsichtig, in Gesellschaft was zu sagen, was mir wichtig ist, da kann mir das schnell passieren. Autor Wenn es um die Liebe geht, reiht der Schlager ein Klischee an das andere. Aber drücke ich mit dem Hausbesuch bei meiner Mutter nicht selbst auf die Tränendrüse? Wie ein Schlager-Texter, der billig an Gefühle appelliert? O-Ton 12 Helene Gogos 7 2:20 Autor: Wenn du jetzt sagen müsstest, deine persönliche Hitparade der 1970er Jahre, was wäre das? HG: Peter Alexander, „Die kleine Kneipe“! Und dann der Udo Jürgens mit „griechischer Wein“... Stimme Startnummer 3, Udo Jürgens, Griechischer Wein Autor Mein Vater ist 2013 gestorben. Udo Jürgens hat sich 2014 von der Bühne des Lebens verabschiedet. Und spätestens mit dem Tod von Dieter Thomas Heck 2018 und Costa Cordalis und Karel Gott 2019 geht eine ganze Ära zu Ende. Die Ära meiner Kindheit. O-Ton 13 Jörn Rosenberger 0:55 Du bist ja damit aufgewachsen. Da gab es bei unseren Eltern ja quasi so ne Art Suff-Keller, n’ Partykeller, wo dann Schlager gehört wurden. Aufgelegt wurden, bis morgens drei Uhr. Und da wird man dann natürlich mit groß. Autor Fahre ich aus Derschlag raus, Richtung Reichshof-Eckenhagen, stehen da Lämmer auf der Wiese, und nehme ich die Einfahrt zu einem Hof, bellt ein Hund.