Das Dortmunder Stadion Ist Ein Gesamtkunstwerk
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Stadion-Porträt Die gelben Pylonen als neue Landmarke Foto: Stadionwelt Mit den Anforderungen gewachsen Stück für Stück wurde das Westfalenstadion zum größten Stadion der Bundesliga erweitert – und wahrte dabei Form und Tradition. rst spät legt die Bundesstraße 1, der alte „Stadion Rote Erde“, wo die Architek- „zum Wahrzeichen Dortmunds geworden so genannte „Ruhrschnellweg“, die turen aus zwei Stadiongenerationen und ist“, erfährt der Betrachter freilich erst im ESicht frei auf einen der faszinierend- damit zwei verschiedene Fußballwelten Innenraum. Dann, wenn hier bei Bundesli- sten Fußballplätze Europas. Wer sich dem auf engstem Raum aufeinanderprallen. gaspielen über 82.000 Menschen Feste des Westfalenstadion von Westen aus nähert Auf der einen Seite der rötliche, patinabe- Fußballs feiern. Dann, wenn die monströ- und rechter Hand die acht gelben Pylone setzte Sandstein der 1920er Jahre, der noch se Südtribüne, deren 25.000 Fans nicht in oberhalb des grauen Daches erspäht, der die historische Gaststätte als den damals die Bayarena Leverkusens hineinpassen erfasst mit dem ersten Blick freilich noch typischen Ort der Begegnung beherbergt. würden, sich in einem Fahnenmeer aus nicht die riesigen Dimensionen dieses Sta- Auf der anderen Seite der graue und funk- Schwarz und Gelb präsentiert und inbrün- dions. Aus der Distanz betrachtet, lässt der tionale Betonbau der 1970er Jahre, der heu- stige Weisen auf die Borussia intoniert gewachsene Baumbestand die Heimat des te, nach abgeschlossener Modernisierung, werden. Dann, wenn sich die Atmosphäre Ballspielvereins Borussia Dortmund ver- auch elf exklusive Logen im Ost ügel in verdichtet und verengt in ein großes Kino hältnismäßig klein erscheinen, weil das sich aufnimmt – und zwei so genannte der Gefühle und dieser Ort Spieltag für Stadion nach wie vor eingebettet ist jenen Hospitality-Bereiche in den ergänzten Sta- Spieltag seinen legendären Ruf als eines historischen Sport- und Naturpark aus den dionecken (Westtribüne/Nord und West- der stimmungsvollsten Fußballstadien 1920er Jahren. Aber spätestens, wenn man tribüne/Süd). dieser Republik erneuert. Nicht zufällig die östliche Flanke des Westfalenstadions Die schiere Wucht und ungewöhnliche sucht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in betritt, dann erschließen sich sofort dessen Größe dieses gigantischen Stadions, das, Zeiten der spielerischen Krisen gern diese atemberaubende Ausmaße: Dort, wo die wie seine Biographen Dietrich Schulze- mythenbeladene Spielstätte auf, um von Osttribüne unmittelbar anschließt an das Marmeling und Gerd Kolbe wissen, längst der Direktheit und der Intensität dieses 58 Stadionwelt 10/2005 058-070_westfalenstadion.indd 58 26.09.2005 01:17:37 Stadion-Porträt Der Eckausbau unter Bewahrung freier Sichtlinien auf das Spielfeld bedeutete eine besondere ingenieurtechnische Herausforderung Foto: Stadionwelt leidenschaftlichen Publikums zu pro tie- gierten dabei das Camp Nou in Barcelona Hebe-Verfahren, das die je 3.000 t schwe- ren: So wie im Play-Off-Rückspiel zur WM (98.109) und das Stadio Guiseppe-Meazza ren Tribünendächer auf ng, durch acht 2002 gegen die Ukraine, als eine aufge- in Mailand (85 398). Und auch, als die drit- neue Eckpylone ersetzt wurden. Nur so putschte deutsche Mannschaft schon nach te Ausbaustufe im Jahr 2002 angegangen konnte die freie Sicht aller Zuschauer ge- 20 Minuten uneinholbar führte. wurde – die Schließung der freien Ecken währleistet werden. Das Westfalenstadion bildet nicht nur zwischen den vier Tribünen –, lag dem Im Unterschied zu den meisten der wegen seines rechteckigen Grundrisses keineswegs die Befürchtung zugrunde, als brandneuen Arenen, die manchmal noch und der wenigen Logen eine Ausnah- WM-Standort womöglich unberücksich- jungfräulich und steril wirken, birgt me in der arenisierten Stadionlandschaft tigt zu werden. Anders als 1974 war Dort- das Westfalenstadion jedenfalls, da es Deutschlands. Als 1995 die beiden Haupt- mund diesmal „gesetzt“ beim Organisati- organisch gewachsen ist, eine größere tribünen erstmals vergrößert wurden, war onskomitee. Sechsmal wird hier, im nach Geschichte in sich. Wenn es nach dem von der WM 2006 noch nicht die Rede. Berlin zuschauerreichsten Stadion (67.000 Fachblatt Westfalen-Sport geht, dann ist Nach dem nationalen Titel 1995 reagierte Sitzplätze, davon 7.000 für VIPs und Jour- dem historischen Kern dieser schrittweise die Vereinsführung des BVB vielmehr auf nalisten), um die WM 2006 gefochten: Wachstum jedenfalls sehr wohl bekom- das Trauma der 1960er Jahre: Damals war Viermal in der Vorrunde, einmal im Ach- men: „Trotz des wiederholten Aus- und der Dortmunder Fußball nach der Meister- tel nale und einmal im Halb nale. Weiterbaus des Stadions ist die Archi- schaft 1963, als das alte Stadion unmodern tektur bündig und schlüssig geworden“, und zu klein geworden war, ungebremst Ausbau mit Hindernissen hieß es dort in einer Kritik nach der letzten in ein nanzielles und sportliches Tal ge- Ausbaustufe, „keine Zersplitterung der schlittert. Die Erweiterung der Süd- und Die letzte Ausbaustufe gilt dabei als ein einzelnen Blöcke, wie wir es aus anderen Nordtribüne im Jahr 1998/99 war dann Meisterstück der Ingenieurskunst. Nicht Stadion kennen, wenn man in verschiede- – der Champions League-Triumph des nur, weil man die Hohlräume in den alten nen Bauphasen das Fassungsvermögen er- BVB lag erst zwei Jahre zurück – den (zu- Kohle özen unter dem Stadion, auf die weitert. Uneingeschränkte Sicht von allen weilen zu) ehrgeizigen Plänen der Klub- man stieß, zwecks Fundamentstärkung Plätzen: So wird der Besuch im Westfalen- führung geschuldet, Dortmund zu einem verfüllen musste. Sondern vor allem des- stadion zum besonderen Erlebnis.“ Aber der führenden Standorte des europäischen wegen, weil die alten Eckpylone stufen- auch andere Kommentatoren gerieten an- Fußballs auszubauen. Als Vorbilder fun- weise in einem aufwändigen und teuren gesichts dieser Mischung zwischen � Stadionwelt 10/2005 59 058-070_westfalenstadion.indd 59 26.09.2005 01:18:28 Stadion-Porträt Die Südtribüne, seit dem letzten Ausbau fl ankiert von den Ecktribünen Foto: Stadionwelt Tradition und Moderne, wie sie etwa in nentale (je 26,5 %) waren, das Stadion von Nicht nur die wackelige Finanzierung, dem verglasten „Borussia-Park“ in der der Kommune. Dem Vertrag nach sollte auch das geschlossene Dach verursacht Nordtribüne dokumentiert ist, ins Schwär- die Betreibergesellschaft das Stadion auf (bis heute) Probleme: Die fehlende Luft- men. In diesen VIP- und Restaurantbereich eigene Rechnung erweitern und instand- zirkulation und das zu schwache Son- integriert ist ein BVB-Museum, ein Areal setzen. Zwecks Finanzierung der dritten nenlicht gefährden stets die Qualität des mit rund 1.500 Exponaten und Reliquien Ausbaustufe erwarb im Dezember 2001 Rasens, auch wenn der vom Greenkeeper der Vereinsgeschichte. Die vielen Pokale die Malocra Vermietungsgesellschaft Lothar Huber, einem ehemaligen BVB- und Trophäen zieren die Vitrinen. Auch mbH, eine Commerzbank-Tochter, für 31 Pro , sorgsam gemäht und gep egt wird. den größten Legenden des Klubs, der Millionen Euro eine Unterbeteiligung von (Die Aufsehen erregende Idee, die Spiel- Meistermannschaft von 1956 und 1957, 24 %. Inmitten der spektakulären nanzi- äche nach den Spieltagen quasi mit einer die – einzigartig in der deutschen Fußball- ellen Turbulenzen des Klubs wurden die Rampe auf das Niveau des Daches zu he- geschichte – zwei Titel in der identischen Besitzverhältnisse des Stadionbetreibers ben, um ihm ausreichend Licht und Luft Aufstellung holte, ist hier mit der lebens- Anfang 2003 dann neu geordnet: Der Ver- angedeihen zu lassen, wurde bald aus - großen Nachbildung der Helden um Tor- trag mit der Malocra wurde aufgehoben, nanziellen Gründen verworfen.) wart Heinrich Kwiatkowski ein Denkmal und der BVB als Mehrheitseigner veräu- Einige Stadionbereiche mussten, da gesetzt worden. Das Westfalenstadion sei, ßerte das Stadion nun für 75,44 Mio. Euro es die Richtlinien des WM-Organisati- rühmte jedenfalls nicht nur der Fußball- an die Molsiris Vermietungsgesellschaft onskomitees so verlangten, zuletzt noch autor Ulrich Hesse-Lichtenberger bereits mbH & Co. Objekt Westfalenstadion KG modernisiert werden (siehe Interview S. vor der letzten Anbau, „wunderbar, weil (ebenfalls eine Commerzbank-Tochter); 64). So die altmodischen Kabinen unter es nur auf den Fußball und sich selbst ver- die Anteile der Harpener und Continenta- der Osttribüne, die vergrößert und reno- weist. Da ist keine Landschaft, die man be- le übernahm ebenfalls die Molsiris. Dem viert wurden. Und die Mixed-Zone kann staunen müsste; da ist weder die fast pein- BVB wurden eine uneingeschränkte Nut- manchmal nicht alle Journalisten und liche Nähe zu den Spielern, wie man sie in zung und alle Einnahmen garantiert. Als Spieler aufnehmen. Die alten blassgrünen Bochum ndet, noch die frostige Distanz, Gegenleistung stand der Molsiris 15 Jahre Sitzschalen mussten, da sie keine Rücken- die in München herrscht.“ lang ein jährlicher Pachtzins von 15 Mio. lehne besaßen, ersetzt werden; die neuen, Einzigartig ist auch die (unübersicht- Euro zu. Um die drohende Insolvenz des in schwarz-gelb gehaltenen Sitze fügen liche) Finanzierungsgeschichte der Er- BVB abzuwenden, kam es jedoch im März sich nun in das, was die Designer eine weiterungen: Die rund 110 Millionen 2005, nach einer dramatischen Aktionärs- Corporate Identity nennen, in das durch- Euro für die drei Anbauphasen wurden versammlung auf dem Düsseldorfer Flug- gestaltete Erscheinungsbild und in die ausschließlich privat aufgebracht.