Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Vogel und Umwelt Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen

Band 22 (2017) Band 22 (2017) Titelzeichnung: Grauspecht – Picus canus von DR.FRANZ MÜLLER

Impressum:

Herausgeber: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Oberste Naturschutzbehörde – Mainzer Straße 80, D-65189 Wiesbaden

Schriftleitung: Gerd Bauschmann, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (VSW), Steinauer Straße 44, D-60386 am Main Klaus Fiedler, Am Hinterberg 23, D-63073 Offenbach am Main

Redaktion: Dr. H.-J. Böhr, Wiesbaden M. Hormann (VSW), Frankfurt am Main Dr. J. Kreuziger (HGON), Zwingenberg B. Petri (NABU), Büttelborn Dr. R. Roßbach, Bad Homburg B. Rüblinger (HMUKLV), Wiesbaden W. Schindler (HGON), Solms M. Sommerhage (NABU), Wetzlar D. Stiefel (VSW), Frankfurt am Main Dr. M. Werner (VSW), Frankfurt am Main

Redaktions- Redaktion „Vogel und Umwelt“ anschrift: c/o Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected]

Gesamt- C. Adelmann GmbH, D-60322 Frankfurt am Main herstellung: [email protected]

ISSN 0173-0266

Wiesbaden 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren selbst verantwortlich. Die wiedergegebenen Auffassungen entsprechen nicht in jedem Falle der Meinung des Herausgebers. Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Vogel und Umwelt Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen

Band 22 (2017) ISSN 0173-0266

Herausgeber: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Oberste Naturschutzbehörde –

Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 3–14 (2017)

Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz des Grauspechtes (Picus canus) in hessischen Naturschutz- und Natura 2000-Gebieten – Ergebnisse einer NATUREG-Auswertung von Matthias Kuprian, Nico Märker, Wiesbaden und Sibylle Winkel, Offenbach am Main Keywords: Picus canus, Schutzmaßnahmen, Naturschutzgebiete, Natura 2000-Gebiete, NATUREG-Auswertung, Hessen

Zusammenfassung Summary

Im Rahmen der vorliegenden Situations- The present recapitulation outlines mea- analyse (Stand: Februar 2015) wurde eine sures for protection of Grey-headed Wood- Auswertung von Maßnahmen zum Schutz pecker (Picus canus) in ’s Federal des Grauspechtes (Picus canus) aus Daten- State of at February 2015. Informa- bankeinträgen des Hessischen Naturschutz- tion was gathered from database entries in informationssystems NATUREG durchge- the Hessian register for nature protection führt. Es wurden dafür a) aus der mittelfri- (NATUREG). Data concerning P.canus was stigen Bewirtschaftungsplanung hessischer collected from a) medium-term strategies of Schutzgebiete alle Daten herangezogen, die Hessian protected areas and b) maintenance mit der Art P. canus verknüpft sind und b) plannings of protected areas for the years 2011 alle daraus abgeleiteten Daten der jährlichen to 2014. Most protected areas containing Pflegeplanung der Jahre 2011 bis 2014. Fast efforts for protection of P. canus are located alle Gebiete, in denen Bemühungen zur in the South of Hesse. Measures for protection Erhaltung der Bestände von Picus canus über of P.canus are mostly 1. creation and conser- NATUREG dokumentiert sind, befinden vation of matured forest and deadwood with sich in Südhessen. Dies entspricht jedoch aeries and caverns, 2. enrichment of forest nicht der räumlichen Verbreitung des Grau- compositions and enhancement of percent- spechts in Hessen. age of tree species that are in accordance Die auf den Grauspecht abzielenden with the location and 3. conservation of bio- Maßnahmen umfassen im Wesentlichen topes in areas around forests. The number of 1. die Schaffung bzw. Erhaltung von Alt- measures planned for P. canus jumped up und Totholz sowie Horst- und Höhlenbäu- from 2011 to 2012 and then persisted at men, 2. die Strukturanreicherung im Wald this level. The number of realized measures und Erhöhung des Anteils standortgerech- increased over the observed space of time. ter Baumarten sowie 3. Maßnahmen zur Biotoperhaltung im waldnahen Umfeld. Die Anzahl der in der jährlichen Pflegeplanung 1 Einleitung vorgesehenen Maßnahmen für den Grau- specht ist von 2011 auf 2012 sprunghaft Grauspechte bewohnen reich struktu- angestiegen und über den Zeitraum 2012 rierte Laub- und Mischwälder mit altem bis 2014 weitgehend konstant geblieben. Baumbestand für den Höhlenbau sowie mehr oder weniger offene Flächen zur Nahrungssuche (Breitschwert 1997). Auf Landesebene ist der Grauspecht (Abb. 1) immer noch flächendeckend ver-

3 breitet, wenn auch regional Bestandsabnah- Daneben unterstützt das System in Teil- men zu verzeichnen sind (Stübing et al. bereichen laufende Arbeitsprozesse des 2010). Das Verbreitungsgebiet des Grau- amtlichen Naturschutzes. Durch die inte- spechtes endet nördlich und nordwestlich grierte Wahrung umfangreicher Datenbe- von Hessen am Rand der Mittelgebirge stände aus verschiedenen Teilbereichen des (Gedeon et al. 2014). Naturschutzes ermöglicht NATUREG Im Folgenden soll anhand einer Aus- auch die Analyse komplexer Sachverhalte. wertung des behördlichen Naturschutzin- In §4 des HAGBNatSchG (Hessisches formationssystems NATUREG dargestellt Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutz- werden, welche Anstrengungen das Land gesetz) vom 20. 12. 2010 ist das System Hessen unternimmt, um den Erhaltungs- NATUREG als die Auskunft gebende In- zustand von Picus canus innerhalb wie formationsplattform des Naturschutzes in außerhalb der Schutzgebiete wieder zu ver- Hessen festgelegt. NATUREG wird unter bessern. anderem als Plattform für die Bereitstellung von Sach- und Geometriedaten der Bewirt- schaftungsplanung von Naturschutzgebie- 2 NATUREG – das hessische Natur- ten (NSG) und Natura 2000-Gebieten schutzinformationssystem (FFH*- und Vogelschutzgebiete) genutzt. An das System sind aktuell mehr als 600 Das Hessische Naturschutzinforma- aktive Nutzer in über 100 Behörden und tionssystem NATUREG bildet das zentrale Fachdienststellen angeschlossen. NATUREG digitale Naturschutzregister für das Land ist damit ein wesentliches Arbeitsinstru- Hessen. In NATUREG werden alle wesent- ment der Hessischen Naturschutzverwal- lichen flächenhaften Informationen über tung. Naturschutz und Landschaftspflege abge- Im Rahmen einer Auswertung der in bildet und hessenweit zentral vorgehalten. NATUREG eingepflegten Daten aus dem Bereich der Maßnahmenplanung wurden sowohl aus den Mittelfristigen Maßnah- menplänen als auch den jährlichen Pflege- plänen der vorliegenden NATUREG-Pla- nungsräume für die Jahre 2011 bis 2014 alle Aussagen zum Grauspecht entnommen und statistisch aufbereitet. Die Planungsräume decken sowohl FFH- und VS-Gebiete wie auch Naturschutzgebiete ab. Da das System NATUREG ständig mit neuen Daten „gefüttert“ wird, stellen die Auswertungen eine Momentaufnahme des Zeitpunktes der Datenentnahme dar. Für die vorliegende Zusammenfassung ist dies der Februar 2015.

3 Rechtliche und planerische Aussagen zum Grauspecht in Hessen

Der Grauspecht ist in Mitteleuropa überwiegend im Bereich der Mittelgebirge Abb. 1: Männlicher Grauspecht (Picus canus) (Foto: Robert Groß). * FFH = Fauna-Flora-Habitat

4 verbreitet. Die Art fehlt in weiten Teilen Als Bestandteil der nunmehr drei Natura Skandinaviens, in Großbritannien, in den 2000-Verordnungen werden für Picus canus Ebenen Polens, westlich bis Nordfrank- für die sogenannten Vogelschutzgebiete reich, der iberischen Halbinsel und im wei- (VSG) folgende Erhaltungsziele rechtsver- teren Mittelmeerraum. Der deutsche Brut- bindlich formuliert: bestand umfasst ca. 10500–15500 Brut- b Erhaltung von strukturreichen Laub- paare (Gedeon et al. 2014), davon 3000 – mischwäldern in verschiedenen Entwick- 3500 in Hessen (Stübing et al. 2010). lungsphasen mit Alt- und Totholzan- Deutschland beherbergt den zweitgrößten wärtern, stehendem und liegendem Tot- Brutbestand Europas und trägt damit eine holz und Höhlenbäumen im Rahmen besondere Verantwortung für die Art einer natürlichen Dynamik und (HMUELV 2007). b Erhaltung von strukturreichen, gestuften Da die Bestandsentwicklung örtlich Waldaußen- und Waldinnenrändern so- und regional rückläufig ist, wurde ein Arten- wie offenen Lichtungen und Blößen im hilfskonzept (AHK) mit einem Maßnah- Rahmen einer natürlichen Dynamik. menblatt erstellt (Heuk & Hormann 2016). Nicht angesprochen werden in den hes- In der Roten Liste der gefährdeten Vögel sischen Erhaltungszielen Streuobstbiotope. Hessens (Werner et al. 2014) wird die Art Diese Habitate haben bei günstiger Lage in der Kategorie „stark gefährdet“ (RL 2) etwa in Waldnähe lokale Bedeutung für die geführt. Art (Breitschwert 1997). In Anbetracht der jüngsten Bestands- Tabelle 1 führt die Schutzgebiete und abnahmen gilt der Erhaltungszustand als Planungsräume auf, in denen Maßnahmen „ungünstig bis unzureichend“ (Heuk & oder Maßnahmenbündel für Picus canus Hormann 2016). Mit über 20% des deut- vorgesehen sind und umgesetzt werden. schen Brutbestandes trägt Hessen eine be- Für die Mehrzahl der Gebiete wurden sondere Verantwortung für den Schutz bisher nur wenige Maßnahmen bzw. Maß- dieser Vogelart (Heuk & Hormann 2016). nahmenbündel mittelfristig vorgesehen. Al- Europaweit steht der Grauspecht durch lerdings gibt es auch Gebiete mit Schwer- die Aufnahme in den Anhang I der Vogel- punktvorkommen, in denen deutlich mehr schutz-Richtlinie in allen Mitgliedstaaten Erhaltungsmaßnahmen geplant sind, allen unter strengem Schutz. Auch in Hessen voran die „Hörre bei Herborn und Lemp- mussten daher besondere Schutzgebiete (s. tal“ mit alleine 17 Maßnahmen. Im Jahr Tab. 1) ausgewiesen werden. Das Bundes- 2015 waren in 22 NATUREG-Planungs- land Hessen hat eine hohe Verantwortung räumen insgesamt 72 Maßnahmen vorgese- für den Erhalt dieser Spezies, da hier mehr hen. Aus verwaltungsökonomischen Grün- als 10% des gesamtdeutschen Bestandes den wurde in vielen Fällen nicht zwischen brüten (Werner et al. 2014). Nach Angaben Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbün- dieser Autoren hat sich der Erhaltungszu- deln bzw. Maßnahmenkomplexen unter- stand der Art im Verlauf der letzten sechs schieden. Jahre verschlechtert. Auffällig ist ein deutliches Süd-Nord- Der rechtliche Schutz der Art ist in Gefälle der geplanten Maßnahmen inner- Hessen durch die Natura 2000-Verordnung halb Hessens. Der Regierungsbezirk Darm- aus dem Jahr 2007 (Büschel et al. 2013) stadt hat mit 19 Gebieten und Planungs- gewährleistet. Die Verordnung wurde 2016 räumen den Löwenanteil der geplanten novelliert. Anstelle einer zentralen Landes- Maßnahmen. Im Regierungsbezirk Gießen verordnung traten am 1. Dezember 2016 wurden bis zum Stichtag 10. Februar 2015 drei Verordnungen auf Regierungsbezirks- zwei Gebiete mit allerdings 23 Maßnahmen ebene in Kraft. Die Erhaltungsziele für den beplant; im Regierungsbezirk Kassel wurde Grauspecht änderten sich allerdings im bis dato nur ein Gebiet beplant (s. Tab. 1 Rahmen des Novellierungsverfahrens nicht. und 2).

5 Tabelle 1: Natura 2000-Gebiete und Planungsräume mit Vorkommen von Picus canus in Hessen. Aufgeführt sind die Maßnahmen [n] zur Erzielung günstiger Erhal- tungszustände für die Art, die im NATUREG dokumentiert sind (Stand Februar 2015). Es wird nicht zwischen Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündeln unter- schieden.

Natura 2000-Gebiete und Planungsräume mit Vorkommen des Grauspechtes RP Schutzgebiet / Teilgebiet / Planungsraum Maß- Gebietstyp [NATUREG] nahmen [n] GI Hörre bei Herborn und Lemptal 17 NSG, VSG DA Rheintal und Engweger Kopf mit Teilen des 8 FFH, NSG, VSG VSG Weinberge zwischen Rüdesheim und Lorchhausen DA Luderbachaue von Dreieich 4 FFH, NSG DA Mönchbruch von Mörfelden und Rüsselsheim und Gundwiesen von Mörfelden 4 FFH, NSG, VSG DA NSG Schwarzbruch und NSG Pechgraben 4 FFH, NSG bei Seligenstadt GI Hauberge bei Haiger 4 FFH, VSG DA Bruchköbel 3 FFH DA Heidelandschaft westlich Mörfelden-Walldorf 3 FFH, VSG mit angrenzenden Flächen DA Hirzwald bei Mittelbuchen 3 FFH DA Untere Gersprenz / Untere Gersprenzaue –3FFH, NSG, VSG TR Süd DA NSG Nieder-Rodener Lache 3 FFH, NSG, VSG DA Kühkopf-Knoblochsaue 2 FFH, NSG, VSG DA Rettbergsaue bei Wiesbaden 2 FFH, NSG, VSG DA Schwanheimer Düne 2 FFH, NSG DA Hirschkäfergebiete bei Jossa 2 FFH, VSG DA Mark- und Gundwald zwischen Rüsselsheim 2 FFH, VSG und Walldorf DA Am Berger Hang 1 FFH, NSG DA Mainmündung / Ginsheimer Altrhein 1 FFH, NSG, VSG mit Riedloch von Trebur DA Wald bei Groß-Gerau Teilraum C 2 1 FFH, NSG, VSG GI Franzosenwiesen und Rotes Wasser 1 FFH, NSG, VSG GI Grünlandkomplexe von Herbornseelbach 1 FFH, VSG bis Ballersbach und Aar-Aue KS Hoher Keller 1 FFH, VSG

6 Die hier dokumentierte Verteilung an (und Teilpläne) mit Maßnahmen für den Maßnahmen entspricht allerdings nicht der Grauspecht in den drei Regierungsbezirken regionalen Verbreitung der Art in Hessen. , Kassel und Gießen (s. Tab. 1). Ziel der Mittelfristigen Maßnahmen- planung ist die Konkretisierung ausdiffe- 4 Landesweites Artenhilfskonzept renzierter Maßnahmen auf der Fläche (AHK) und Bewirtschaftungspläne (Kuprian 2005). Der MMP bietet die Pla- nungsgrundlage für den Vertragsnaturschutz Landesweite Artenhilfskonzepte (oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen auch Artenschutzprogramme) wurden und wie auch im Wald. Der MMP bietet ebenso werden in Hessen vorrangig für solche eine fachlich begründete Flächenkulisse für Natura 2000-Arten erstellt, die sich landes- Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen (Kup- weit oder zumindest überregional in einem rian & Stühlinger 2010). Allerdings be- ungünstigen Erhaltungszustand (Zustand schränken sich die planerischen Aussagen „rot“ oder „gelb“) befinden (Kuprian & der Mittelfristigen Maßnahmenpläne der Stühlinger 2010). Die Artenhilfskonzepte Natura 2000-Gebiete in aller Regel auf Maß- bieten die fachliche Grundlage für die nahmen innerhalb der Gebietsgrenzen. Erreichung „günstiger Erhaltungszustände“ (Kuprian & Stühlinger 2010). Das Arten- hilfskonzept für den Grauspecht, der nicht 5 Typische Maßnahmen nur in Vogelschutz- und FFH-Gebieten in den hessischen Schutzgebieten vorkommt, wurde im Jahr 2014/15 erstellt (Heuk & Hormann 2016). Alle hessischen Die Avifauna von Hessen (1997) macht Artenhilfskonzepte beinhalten eine ausführ- zu Schutzmaßnahmen folgende Aussagen: Mit liche Situationsanalyse der Populationen der Vernichtung von Feldgehölzen und ex- (Populationsgröße, Vernetzungsgrad, aktu- tensiv bewirtschafteten Streuobstwiesen ge- elle Hauptgefährdungen etc.) und definieren hen wichtige Lebensräume des Grauspechtes konkrete, flächenbezogene Schutz- und Ent- verloren. Günstig auswirken würden sich auf wicklungsmaßnahmen für alle bestehenden den Grauspecht Erhalt und Rückgewinnung Habitate (Kuprian & Stühlinger 2010). natürlicher und naturnaher Auwälder (Abb. Die Maßnahmen werden so beschrie- 2), Steigerung des Laubholzanteils und län- ben, dass sie als konkrete Empfehlung von gere Umtriebs-Zeiten in bewirtschafteten Wäl- den zuständigen Fachbehörden oder sonsti- dern sowie mehr Waldflächen, die der natür- gen lokalen Akteuren genutzt werden und lichen Sukzession überlassen bleiben. Der Ver- unmittelbar in Mittelfristige Maßnahmen- zicht auf die Düngung von Wiesen, vor allem pläne einfließen können (Kuprian & in der Nähe von Gehölzen und Waldrändern, Stühlinger 2010). So geschehen für mitt- ermöglicht ein reiches Insektenleben (Amei- lerweile 22 Mittelfristige Maßnahmenpläne sen) und erleichtert so den Nahrungserwerb.

Tabelle 2: Regionale Verteilung der für Grauspechte in Hessen relevanten Erhaltungsmaß- nahmen und NATUREG-Planungsräume (Stand 10. Februar 2015).

Regionale Verteilung der Planungsräume und Maßnahmen im Jahr 2015 Regierungs-Bezirk Maßnahmen [n] Planungsräume [n] Darmstadt 48 19 Gießen 23 2 Kassel 11 Gesamt 72 22

7 Tabelle 3 führt die wesentlichen in b Klar dominierend sind Maßnahmen im NATUREG hinterlegten Erhaltungs- und Wald, die darauf ausgerichtet sind, den Entwicklungsmaßnahmen für den Grau- Anteil an Altholz, Totholz, Horst- und specht in den hessischen Schutzgebieten auf. Höhlenbäumen zu bewahren oder zu Bislang finden sich in NATUREG 24 erhöhen oder die Umtriebs-Zeiten zu verschiedene Maßnahmen und Maßnah- ändern (ältere naturnähere Wälder). In menkomplexe, deren Aussagekraft aller- diesen Bereich fallen 34 von 71 geplanten dings variiert. Während ein Teil der bei Maßnahmen (48%). der Dateneingabe gewählten Maßnahmen b An zweiter Stelle rangieren Maßnahmen, (u. a. Altholzanteile belassen, Belassen von die zu einer Strukturanreicherung im Horst- und Höhlenbäumen, Totholzanteile Wald und an den Waldrändern führen belassen) präzise und aussagekräftig ist oder den Anteil an standortgerechten, und auch den Maßnahmenvorschlägen des heimischen Bäumen zu Lasten nicht hei- AHK (Heuk & Hormann 2016) entspricht, mischer Gehölze erhöhen. Der Bereich sind andere Maßnahmen, wie z. B. „Natur- macht mit 16 Maßnahmen rund 23% nahe Waldnutzung“, „Artenschutzmaßnah- aller Maßnahmen aus. me Vögel“ oder „Ordnungsgemäße Forst- b Sieben Maßnahmen betreffen Nicht- wirtschaft“ mit Blick auf die Aussagekraft Wald-Lebensraumtypen (rund 10%). der Bezeichnung nicht optimal gewählt. Bei Sechs dieser Maßnahmen beinhalten die Betrachtung des vollständigen NATUREG- Mahd oder Entbuschung bzw. Entkusse- Datensatzes mit all seinen Eingabefeldern ist lung von Waldwiesen oder waldnahen jedoch in aller Regel erkennbar, was genau Grünländern und Magerrasen. In einem in der Fläche umgesetzt wird. Fall ist Streuobst (Abb. 3) Gegenstand Trotz der enthaltenen Defizite ist die des Managements. Tabelle informativ und zeigt folgende wich- Die restlichen 14 Maßnahmen (rund tige Tendenzen: 20% aller Maßnahmen) lassen sich teilweise

Abb. 2: Waldhabitat im Natura 2000-Gebiet NSG Kühkopf-Knoblochsaue (Foto: Sibylle Winkel).

8 Tabelle 3: Darstellung der in hessischen Naturschutz- und Natura 2000-Gebieten für den Grauspecht geplanten und durchgeführten Maßnahmen (Stand: Februar 2015), inkl. Anzahl der Maßnahmen [n]. Es wurde nicht zwischen Einzelmaßnahmen und Maßnahmen-Komplexen unterschieden.

Schutzmaßnahmen für Grauspechte (Picus canus) in hessischen Schutzgebieten Maßnahmen / Maßnahmenkomplexe Anzahl [n] (NATUREG Stand Februar 2015) Altholzanteile belassen 16 Belassen von Horst- und Höhlenbäumen 9 Ordnungsgemäße Forstwirtschaft 7 Rücknahme der Nutzung des Waldes 4 Förderung der Naturverjüngung standortgerechter heimischer Baumarten 4 Totholzanteile belassen 3 Mahd mit bestimmten Vorgaben 3 Entbuschung / Entkusselung (tlw. mit bestimmtem Turnus) 3 Schaffung ungleichaltriger Bestände 2 Schaffung / Erhalt von Strukturen im Wald 2 Naturnahe Waldnutzung 2 Förderung von Nebenbaumarten / bestimmten Baumarten 2 Erhöhung der Umtriebszeiten 2 Baumartenzusammensetzung / Entwicklung standorttypischer Waldgesellschaften 2 Gehölzpflege 1 Anlage von Waldinnen- und Außenmänteln und -säumen sowie Lichtungen 1 Aufforstung standortgerechter heimischer Baumarten mit autochthonem Material 1 Entnahme / Beseitigung nicht heimischer / nicht standortgerechter Gehölze 1 Artenschutzmaßnahmen „Vögel“ 1 Gelenkte Sukzession 1 Sukzession 1 Neuanlage und Erhalt von Streuobstbeständen / Obstbaumreihen 1 Rückbau naturferner Nutzungstypen 1 Nutzungen ohne Maßnahmenfestlegung 1

9 infolge mangelnder Konkretisierung nur 6 Maßnahmenzuwachs seit 2011 schwer einer dieser Kategorien zuordnen. Offene Flächen im Wald (Waldwiesen) Tabelle 4 zeigt die in NATUREG do- oder an Waldhabitate angrenzende Flächen kumentierten Maßnahmen für den Grau- (z. B. Streuobstwiesen oder Magerrasen), die specht in den Jahren 2011 bis 2014. Über die der Nahrungssuche des Grauspechtes die- vier beobachteten Jahre ist eine deutliche nen, betreffen ein Zehntel der geplanten Steigerung erkennbar. Vom Jahr 2011 zu Maßnahmen und sind daher bei der Maß- den Folgejahren ist etwa eine Verdrei- nahmenplanung eher unterrepräsentiert. fachung an dokumentierten Maßnahmen Nicht explizit vorgesehen sind bislang erkennbar. Die Anzahl in der jährlichen folgende im AHK genannte Maßnahmen: Pflegeplanung vorgesehener Maßnahmen b Erhalt und Entwicklung von Auenwald zugunsten des Grauspechtes ist auch in b Entwicklung von Hutewäldern (v.a. an Abb. 4 dargestellt. südexponierten Stellen) Es ist festzuhalten, dass die zunehmen- b Maßnahmen zum Ameisenschutz de Zahl an Natura 2000-Maßnahmenplänen Das Fehlen der hier genannten Maß- in Hessen erwartungsgemäß auch zu einer nahmen ist allerdings leicht zu erklären. Das steigenden Zahl an Maßnahmen-Festlegun- Artenhilfskonzept Grauspecht lag den hes- gen führt, die in den NATUREG-Planungs- sischen Maßnahmenplanern zum Zeitpunkt journalen der Mittelfristigen Maßnahmen- der NATUREG-Auswertung im Februar pläne dokumentiert sind. 2015 noch nicht vor. Künftige Auswertun- Mit der so verbesserten Planungsgrund- gen werden daher diese Lücken vermutlich lage steigt kontinuierlich auch der Kennt- nicht mehr aufweisen. nistand, der regionale, fachliche wie auch

Abb. 3: Streuobstwiesen mit altem Baumbestand am Auberg in Steinau-Marborn (Foto: Sibylle Winkel).

10 finanzielle Schwerpunktsetzungen möglich schen Verwaltungspraxis stellt sie eine enor- macht und auch planerische Defizite erken- me Herausforderung dar. Durchschnittlich nen lässt. Allerdings ist eine Festlegung einer mehr als 12 Maßnahmen und Maßnah- Maßnahme in einem Planungsjournal noch menbündel pro Planungsraum wurden im nicht gleichbedeutend mit der Umsetzung Jahr 2013 jährlich in den 763 hessischen der Maßnahme im Schutzgebiet. Naturschutzgebieten (NSG), den 583 FFH- und 60 VSG durchgeführt (Kuprian & Märker 2014). Mit der Erstellung weite- 7 Vollzugs- und Durchführungs- rer Mittelfristiger Maßnahmenpläne und kontrolle der Festlegung neuer Planungsräume (auch außerhalb von Schutzgebieten) erhöht sich Die Vollzugs- bzw. Durchführungs- die Gesamtzahl an Maßnahmen stetig. Im kontrolle überprüft, ob die Maßnahmen August 2013 waren in NATUREG 11179 wie geplant realisiert wurden. In der hessi- Maßnahmen gebucht (Kuprian & Märker

Tabelle 4: Gesamtzahl [n] sowie prozentuale Steigerung gegenüber 2011 (100%) der in NATUREG (2011–2014) dokumentierten Maßnahmen in Hessen. Stand: Feb. 2015. Es wurde nicht zwischen Einzelmaßnahmen und Maßnahmenkomplexen bzw. Maßnahmenbündeln differenziert.

Zuwachs an Maßnahmen für den Grauspecht in hessischen Schutzgebieten NATUREG-Auswertung 2011 bis 2014 Maßnahmen [n] in hessischen FFH-Gebieten 2011 2012 2013 2014 Grauspecht 9 26 28 26 (Picus canus) (100%) (289%) (311%) (289%)

Abb. 4: In der jährlichen Pflegeplanung hessischer Schutzgebiete vorgesehene Anzahl von Maßnahmen zum Schutz des Grauspechts im Zeitraum von 2011 bis 2014.

11 2014). Im August 2015 betrug die Zahl Tabelle 5 und Abb. 5 zeigen in zusam- bereits 14002 Maßnahmen. mengefasster und gekürzter Form die amt- Diese große Zahl an Einzelmaßnahmen lichen NATUREG-Einträge zum Umset- erfordert ein standardisiertes, relativ ein- zungsstand von Maßnahmen zugunsten des faches, reproduzierbares und statistisch Grauspechtes über den Betrachtungszeit- leicht auswertbares (Eingabe-) Verfahren. raum 2011 bis 2014. NATUREG bietet im „Fachmodul Maß- Die Ergebnisse der Durchführungs- nahmenplanung“ hierfür ein geeignetes Tool kontrolle sind noch nicht befriedigend. Mit (Werkzeug). Ausnahme des Jahres 2012 übersteigt zwar

Tabelle 5: Darstellung des Anteils an Grauspecht-Maßnahmen, die vollständig, teilweise oder (noch) nicht umgesetzt wurden. Dargestellt ist auch der Anteil an Maßnahmen, zu dem keine Angaben zur Umsetzung vorliegen (keine Angabe) sowie der geprüften Maßnahmen ohne weitere Veranlassung. Ausgewertet wurden hierfür die aus der Mittelfristigen Maßnahmenplanung abgeleiteten Jahrespflegepläne (Maßnahmen- journale) der Jahre 2011 bis 2014 im NATUREG-Fachmodul Maßnahmenplanung (Stand: Februar 2015).

NATUREG Vollzugs- und Durchführungskontrolle Maßnahmen für den Grauspecht in hessischen Schutzgebieten vollständig teilweise nicht keine geprüft, keine umgesetzt umgesetzt umgesetzt Angabe Veranlassung 2011 50220 2012 10223 0 2013 43218 1 2014 10 1014 1

Abb. 5: Anzahl vollständig (vollst.), teilweise (tlw.) oder nicht umgesetzter Maßnahmen zum Schutz des Grauspechts über die Jahre 2011 bis 2014 sowie Anzahl von Maßnahmen ohne Angabe (k. A.).

12 der Anteil der vollständig und teilweise um- kumentation der Umsetzungsstände er- gesetzten Maßnahmen den Anteil der nicht kennbar. Positiv ist dagegen der wachsende umgesetzten Maßnahmen. Der Anteil von Anteil vollständig umgesetzter Maßnah- Maßnahmen, zu denen keine Angabe vor- men zu werten. liegt, dominiert aber seit 2012 und schwächt die Aussagekraft der Daten. Erfreulich ist lediglich, dass der Anteil der komplett 9 Ausblick umgesetzten Maßnahmen im Jahr 2014 er- kennbar höher als in den Vorjahren ist. In Mit Vogelschutzgebiets-Ausweisungen, der Tendenz steigt der jährliche Umset- einem landesweiten Artenhilfskonzept, zungsstand bei gleichbleibender Anzahl einer zunehmenden Anzahl an Mittelfristi- geplanter Maßnahmen über die Jahre hin- gen Maßnahmenplänen und einer wach- weg an. senden Zahl an umgesetzten Schutzmaß- Mindestens ebenso wichtig wie Durch- nahmen wurden alle Schritte unternommen, führungskontrollen sind im Natur- und um eine Verbesserung des Erhaltungszu- Artenschutz Wirkungskontrollen, die den standes der Art in die Wege zu leiten. Ob die Erfolg oder auch Misserfolg von Maßnah- Trend-wende beim Grauspecht wirklich er- men erfassen und darstellen (Scholz 2001). reicht werden kann, muss das künftige NATUREG sieht die Möglichkeit von Wir- Monitoring zeigen. Bis dahin müssen die kungskontrollen grundsätzlich vor. Zum Anstrengungen zum Schutz der Art weiter Zeitpunkt der Datenentnahme für die vor- verstärkt und auf einem hohen Niveau liegende Zusammenfassung liegen aber noch gehalten werden. zu wenige Datensätze vor, um Aussagen Mit der Erstellung von Mittelfristigen treffen zu können. Maßnahmenplänen für Vogelschutzgebiete ab 2017 werden die Planungsdefizite in we- nigen Jahren behoben sein. Dies gilt ins- 8 Fazit und Bewertung besondere für die großen mittel- und nord- hessischen Vogelschutzgebiete. Damit wird Der Bestandsrückgang von Picus canus das derzeit noch auffällige Süd-Nord-Ge- und der landesweit ungünstige Erhaltungs- fälle der geplanten Maßnahmen innerhalb zustand machen es erforderlich, die Popula- Hessens zumindest mittelfristig der Ver- tionen in den Schutzgebieten zu fördern. Ent- gangenheit angehören. sprechende Maßnahmen sind von behörd- licher Seite konzipiert worden und werden in zunehmendem Maße umgesetzt. Die Vertei- 10 Literatur lung und Dichte der Maßnahmen in den hes- sischen Regionen entspricht nicht der natür- Breitschwert (1997): Grauspecht (Picus lichen Verbreitung der Art im Land. Nord- canus, Gmelin 1788) in: Hessische hessen und Teile Mittelhessens sind bis heute Gesellschaft für Ornithologie bei der Maßnahmenplanung unterrepräsen- und Naturschutz (Hrsg. 1993 – tiert. 2000): Avifauna von Hessen. – 3. Liefe- Dies ist durch die Fokussierung der rung. Echzell. hessischen Naturschutzverwaltung auf den Büschel, W., J. Busse, G. Fuchs, M. Abschluss der FFH-Maßnahmenplanung Kuprian, M. Lenz & T. Petsch (2013): bis zum Jahresende 2016 bedingt. Dadurch Leitfaden für die Erarbeitung und hat sich zwangsläufig die Erstellung von Umsetzung der Maßnahmenplanung in Maßnahmenplänen für viele große nord- Natura 2000- und Naturschutzgebie- und mittelhessische Vogelschutzgebiete ver- ten, http://natura2000.eea.europa.eu/# zögert. Defizite – wenn auch mit abneh- Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke mender Ten-denz – sind auch bei der Do- et al. (2014): Atlas Deutscher Brut-

13 vogelarten. Atlas of German Breeding Birds. S. 366 – 367. – Stiftung Vogel- monitoring Deutschland und Dachver- band Deutscher Avifaunisten, Münster. Hessisches Ministerium für Umwelt, Ländlichen Raum und Ver- braucherschutz (Hrsg. 2007): Artenschutz im Lebensraum Wald. – Reihe Natura 2000 praktisch in Hessen. Wiesbaden, 2007. Heuk, C. & M. Hormann (2015): Artenhilfskonzept für den Grauspecht (Picus canus) in Hessen. – Gutachten der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Kuprian, M. (2005): Die Natura 2000-Maß- nahmenplanung in Hessen. Natursch. u. Biol. Vielfalt 26: 69 – 91. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. Kuprian, M. & N. Märker (2014): Umset- zung und Wirkung von Maßnahmen in hessischen Naturschutz- und FFH- Gebieten – erste Ergebnisse einer NA- TUREG-Stichprobenauswertung. Jahr- buch Naturschutz in Hessen 15: 81 – 86. Kuprian, M. & P. Stühlinger (2010): NATURA 2000 in Hessen. Eine Zwischenbilanz. Jahrbuch Naturschutz in Hessen 13: 4 – 11. Scholz, R. W. (2001): Erfolgskontrolle von Umweltmaßnahmen: Perspektiven für ein integratives Umweltmanagement. Hrsg.: Roland W. Scholz. Springer Manuskript eingereicht am 29.03.2016, Verlag Berlin Heidelberg New York. angenommen am 31.03.2016 Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel Hessens in Raum und Anschriften der Verfasser: Zeit. Brutvogelatlas. Seite: 264 – 265. Dr. Matthias Kuprian & Nico Märker, Hrsg.: Hessische Gesellschaft für Hessisches Ministerium für Umwelt, Ornithologie und Naturschutz Klimaschutz, Landwirtschaft und (HGON), Echzell. Verbraucherschutz, Werner, M., G. Bauschmann, M. Mainzer Straße 75, Hormann, D. Stiefel, J. Kreuziger, D-65189 Wiesbaden, M. Korn & S. Stübing (VSW & E-Mail: [email protected], HGON) (2014): Rote Liste der be- E-Mail: [email protected] standsgefährdeten Brutvogelarten Hessens, 10. Fassung, Stand Mai 2014. Sibylle Winkel, – Hessisches Ministerium für Umwelt, Pommernstraße 7, Klimaschutz, Landwirtschaft und D-63069 Offenbach am Main, Verbraucherschutz (Hrsg.); Wiesbaden. E-Mail: [email protected]

14 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 15 –24 (2017)

Die Zaunammer (Emberiza cirlus) im Unteren Rheingau: Anhaltende Ausbreitung und Zunahme der Populationsdichte neben der Zipp- und Goldammer bis ins Jahr 2015 von Ingolf Schuphan, Aachen Keywords: Emberiza cirlus, Ausbreitung, Bestand 2015, Unterer Rheingau, Hessen

Zusammenfassung Summary

Die unerwartet im Jahr 2010 begonne- The unexpected settlement of the Cirl ne Zaunammer-Einwanderung im Unteren Bunting in the vineyard-hillsides of Rüdes- Rheingau führte zu einer sich steigernden heim till Assmannshausen (Upper Middle Populationszahl von 31 territorial reagieren- Rhine Valley) continued, which started in den Zaunammer-Männchen (M.) im Jahr the year 2010. The spontaneous expansion 2015 in den Weinbergen zwischen Rüdes- grew up in the year 2012 to eleven, in heim und Assmannshausen. Neben einer 2013 to fifteen territorial reacting males Verdichtung des ursprünglich besiedelten and reached twenty-four males in the Kerngebietes findet gegenwärtig eine Aus- following year 2015. An insect larvae carry- weitung der Population in Richtung Osten, ing Cirl Bunting accompanied a Rock Bunt- in die flacheren Weinbergbereiche, statt. Im ing to its nest. After feeding, the Cirl Jahr 2012 wurden 11 territoriale M. ermit- Bunting begun to sing nearby. A male telt, dann waren es 15 in 2013, im Jahr darauf Yellowhammer suddenly attacked the Cirl bereits 24 und dann 31 in 2015. Eine Ver- Bunting ǩ, singing near the nest location dichtung der Population in Richtung NW of the Yellowhammer. A possible competi- nach Assmannshausen in die Weinberg- tion between Yellowhammer and Cirl Bunt- Steillagen erfolgte nicht. Der Bestand der ing will be observed in future intensively. Zippammer hält sich etwa bei 20 territoria- len M. Im Jahr 2015 wurden nur fünf Gold- ammer-M. registriert, im Gegensatz zu elf 1 Einleitung im Jahr 2013. Ein futtertragendes Zaun- ammer-M. begleitete ein futtertragendes Die im Jahr 2010 begonnene spontane, Zippammer-W.zum Neststandort der Zipp- völlig unerwartete Zaunammer-Besiedelung ammer. Nach der Fütterung sang das Zaun- der Weinberghänge von Rüdesheim bis ammer-M. in unmittelbarer Nähe. Es wurde Assmannshausen setzte sich über die Jahre heftig von einem Goldammer-M. attackiert, zunehmend bis 2015 fort. Die abrupte Ein- weil sich zufällig nur ca. 8 m entfernt vom wanderung in diesem begrenzten Gebiet Zippammer-Neststandort ein Goldammer- begann 2010 (Schuphan & Flehmig 2013). Nistplatz befand. Der mögliche Einfluss der Sie kann deshalb eindeutig als „abrupt“ be- Zaunammer auf die Goldammerpopulation legt werden, weil dieses Gebiet über soll verstärkt verfolgt werden. Populations- Jahrzehnte auf Grund populationsdynami- genetische Untersuchungen zur Klärung der scher Untersuchungen an der dortigen Herkunft der Zaunammern sind in Arbeit. Zippammer-Population unter Kontrolle stand (Schuphan 1972, 2011). In früheren Jahrzehnten waren sehr sporadisch immer schon mal einzelne territorial reagierende Zaunammer-M. oder gar Einzelbruten in

15 den Weinbergen des gesamten Rheingaus der Wege längere Zeiten verbracht werden nachgewiesen worden (Schuphan & Fleh- mussten. Bei Fangaktionen entstanden ent- mig 2013). Die damals besetzten, bis zu sprechend noch längere Zeiten für die Sicht- 15 km weiter vom jetzigen Zentrum ent- oder Gesangserfassung aller drei Ammern. fernten Territorien, sind bislang jedoch Wenn der Fang – meist wegen witterungsbe- nicht besiedelt; vielmehr nimmt die Dichte dingter Ursachen (Sonne, Wind, Regen) – im Kerngebiet bei Rüdesheim weiter zu. nicht gelang, war aber das entsprechende Insbesondere die Weinbergrandgebiete, Revier bekannt und konnte erneut für die Weinhänge/-terrassen aufsteigend zum be- beabsichtigte Beringung aufgesucht werden. grenzenden Trockenwald (Niederwald) hin Die sicher unberingten Ammern wurden sind dicht besiedelt. Die Herkunft der ein- ebenso wie die fraglich unberingten notiert. gewanderten Zaunammern ist noch unge- Die methodischen Einzelheiten, u. a. die klärt. Populationsgenetische Untersuchun- GPS geführte Dokumentation der abge- gen zur Klärung dieser Frage sind in Arbeit. suchten Strecken und die Beschreibung des Hier wird die gegenwärtige Situation der Gebiets, sind in früheren Arbeiten ausführ- Zaunammer, im Vergleich zu den Popula- lich dargestellt (Schuphan 2011 und 2014). tionen der Zipp- und Goldammer darge- Die an das Kerngebiet angrenzenden Ge- stellt, in Fortsetzung der Situation von 2013 biete ab Geisenheim bis 15 km Richtung (Schuphan 2014). Osten (Richtung Wiesbaden bis Kiedrich) und 15 km Richtung Norden (Rheinkurve hinter „Binger Loch“ bis Landesgrenze 2 Material und Methoden Lorchhausen) wurden durch den Autor und Mitarbeiter der HGON 1 mehrfach ohne Das Gebiet zwischen Rüdesheim und Erhalt von Zaunammer-Nachweisen began- Assmannshausen (Kerngebiet) wurde im gen. Jahr 2015 von März bis in den Juni hinein Die Ausweitung des Besiedlungsge- systematisch ganztägig mit Hilfe der Klang- biets nach Osten und Zunahme der territo- attrappe (KA) für die Bestandsaufnahmen rial auf die KA reagierenden Zaunammer- und Farbberingung nach Zaun- und Zipp- M. ließ zeitlich nicht mehr zu, neben den ammern abgesucht. Die durch die Wein- territorial reagierenden Zippammern auch berge führenden Wege wurden alle 200 bis möglichst alle Zaunammer-M. zu fangen 300 m mit Hilfe der KA alternierend auf und zu beringen. Denn alle zu fangen Zipp- und Zaunammer-Vorkommen über- und zu beringen ist auf Grund der unter- prüft. Bei positiver Reaktion wurde intensiv schiedlichen Reaktion auf die KA hin, versucht, Freisicht auf die Beine der sehr aufwendig und schien auch nicht Ammern zu bekommen, um Unberingte zu mehr nötig, da durch die umfassende erkennen und Farbberingte zu identifizie- Beringung des Bestandes 2013 gezeigt wur- ren. Dies bedarf in der Regel einiger Geduld. de, dass die im Vorjahr ohne Beringung er- Dadurch prägte sich das spezifische indivi- haltene Bestandszahl mit der durch Berin- duelle Verhalten jedes einzelnen territorial gung erhaltenen sehr gut übereinstimmte reagierenden M. gut ein. Teilweise gelingt es (Schuphan 2014). Auch die erhaltenen nicht, die Freisicht auf die Beine zu bekom- Erfahrungen während der vorhergegan- men, z. B. wenn die Ammer kontinuierlich genen zwei Jahre über die sehr unter- anfängt zu singen und die Sicht auf die Beine schiedlichen Verhaltensmerkmale der terri- nicht freigibt. Während dieser intensiven ak- torial reagierenden Zaunammern waren von tiven Erkundung von Zaun- und Zippam- mer im Verbund wurden die nebenher beob- achteten Goldammern mit kartiert. Diese 1 HGON = Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, B. Flehmig (federführend), Goldammer-Erfassung ist somit kaum we- I. Hausch, R. Kandler, H.-J. Böhr, H. und G. Trost, niger gründlich, weil in allen Abschnitten Dreesmann, Linhart, M. Bücker, K. Hegar, M. Sacher

16 großem Nutzen für die Unterscheidung 3 Ergebnisse der Revierinhaber. Zum Beispiel fliegen einige Individuen „zackig“ und tief un- Die über das Jahr 2013 (Schuphan mittelbar auf die KA zu oder aber nur hoch 2014) fortgesetzten Untersuchungen bis im Bogen vorbei, manche schleichen auf 2015 zeigen eindeutig eine Verdichtung des dem Boden heran oder andere antworten Kernpopulationsgebietes mit Zaunammern. von der Ferne erst einmal mit Gesang. Darüber hinaus ist eine Erweiterungsten- Dieser beinhaltet charakteristische, indivi- denz nach Osten in flachere Weinberg- duelle Gesangsmotive, die teilweise un- gebiete erkennbar. Im Kerngebiet grenzen terschiedlich „hart-aggressiv“ vorgetragen verteidigte Reviere in Abständen von 200 bis werden und als Kennmerkmal dienen 300 m aneinander. Solche eng aneinander können. Da knapp die Hälfte der 31 terri- gereihten Reviere konnten bereits im Jahr torial reagierenden Zaunammern im Jahr 2013 nach Farbberingung aller territorial 2015 individuell markiert, weitere durch reagierenden Zaunammer-M. einwandfrei erfolglose Fangversuche mit Anlockung belegt werden (Schuphan 2014). Eine ver- durch die KA gut bekannt waren, sind stärkte Ausdehnung und Populationsver- Doppelzählungen geringer einzuschätzen dichtung in die nordwestlich gelegenen stei- als die Zahl übersehener Individuen. Dies len Weinbergterrassen, den typischen Le- auch deshalb, weil während der Anlock- bensraum der Zippammer, ist vorerst nicht ung und dem Aufenthalt in Netznähe an- erkennbar. Die Ergebnisse der Bestands- dere Revierinhaber in der Ferne sangen ermittlungen für Zaun-, Zipp- und Gold- und sich und ihren Standort zu erkennen ammer sind für den Rüdesheimer Berg in gaben. Die ermittelten Bestandszahlen sind Abb. 1 und daran anschließend für den Ass- geschätzt mit einem Fehler von ±10% mannshäuser Berg in Abb. 2 dargestellt. behaftet. Diese Annahme wird hergeleitet Die Details zu jedem Zaunammer- aus den Daten der wiederholten Begehun- Nachweis enthält die Tab. 1. Die ebenfalls gen. im Detail vorliegenden Daten der Zipp- Die Begehung der Schutzgebiete sowie ammer sind hier nicht dargestellt. Die Daten Fang und Markierung der Zippammern er- werden aber summarisch vergleichend über folgte auf Basis der artenschutzrechtlichen drei Jahre in der Tab. 2 gezeigt. Ausnahmegenehmigungen der Unteren Na- Wie aus Tab. 2 ersichtlich, ist eine er- turschutzbehörde des Rheingau-Taunus- hebliche Zunahme der Zaunammer-Revier- kreises (FD III 2-17-53-07/221-mb) und der dichte seit 2013 erkennbar. Im Jahr 2013 Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, wurden 15 territorial reagierende Zaunam- Rheinland-Pfalz und Saarland (AZ 6.4 vom mern nachgewiesen, im nächsten Jahr waren 11.07.2012). es 24 und im Jahr 2015 dann 31. Letztere Für Unterstützung meiner Arbeit, Er- Nr. 31 ist nicht mehr in Abb. 1 verzeichnet, teilung der Beringungserlaubnisse, Ausnah- wie Nr. 14 bereits nur am Rande, sondern megenehmigungen für Blutprobenentnah- weiter im Osten zu finden. Sie wurde dort me und zum Begehen und Befahren von ohne KA in den Bäumen eines Vorgartens Schutzgebieten sowie für wichtige Hilfe vor auf der „Windeck“, 1,5 km NO von Nr. 14 Ort sage ich Dank der Unteren Natur- verhört. Die territorial reagierenden Zipp- schutzbehörde des Rheingau-Taunus-Krei- ammern zählen über die drei Jahre recht ses, Bad Schwalbach. konstant um 20 territoriale M. Von den Als Kartengrundlage der Abb. 1 wurde Goldammern wurden im Jahr 2013 noch 12 die „Topographische Karte 1:25 000, 6013 erfasst, im Jahr 2015 dann nur fünf M. Bingen am Rhein, Rheinland-Pfalz“ des Lan- (Tab. 2). Diesem Rückgang der Goldammer desamtes für Vermessung und Geobasisin- soll 2016 besondere Aufmerksamkeit ge- formation Rheinland-Pfalz, 2. Auflage 2010 schenkt werden, indem zusätzlich auch die benutzt. KA zum Nachweis eingesetzt werden soll.

17 18 aunammer; Kreis rot = Zippammer; Ellipse grün = Goldammer. Bestandsermittlung der Zaunammer im Jahr 2015: Karo blau = Z Abb. 1 und 2:

19 Tabelle 1: Zaunammer-Bestand Rüdesheimer-Assmannshäuser Berg Jahr 2015, Detaildaten von Abb. 1–2: Al = Aluminiumring der Vogelwarte Helgoland, (r) = rechts.

Zaun- Geschlecht Farbring-Kombination Datum Bereich ammer- M. =Männchen, Nr. W. =Weibchen ( 1 ) M. unberingt 08.03.15 Rüdesheimer Berg (RB) Hinterhaus ( 2 ) M. weiß Al, rot-blau (r) 08.03.15 RB Hinterhaus (beringt am 16.04.13) + W. ( 3 ) M. unberingt ? 08.03.15 östlich Ramstein ( 4 ) M. unberingt ? 08.03.15 westlich Ramstein 03.06.15 Madonna ( 5 ) M. unberingt 08.03.15 Katerloch ( 6 ) M. unberingt ? 08.03.15 oberes Rondell, unberingt 02.06.15 westlich Leingipfel ( 7 ) M. beringt grün Al, weiß-rot (r) 09.03.15 Torculorum 12.05.15 ( 8 ) M. M. unberingt 09.03.15 östlich Torculorum ( 9 ) M. rot-rot, rot-Al (r) 09.03.15 unterhalb Jugendherberge (beringt am 13.03.14) ( 10 ) M. beringt grün-Al, grün (r) 09.03.15 Brahmsweg ( 11 ) M. beringt grün-Al, blau-rot (r) 09.03.15 östlich vom Rebhaus ( 12 ) M. beringt grün-Al, schwarz-rot (r) 11.04.15 Assmannshäuser Berg (AB) Schulgebäude de 13 ) M. unberingt ? 11.04.15 AB, westlich der Schule ( 14 ) M. unberingt + W. 11.05.15 Eibingen M. beringt grün-Al (r) 12.05.15 Eibingen ( 15 ) M. unberingt 11.05.15 neben großer Wasserrinne M. + W. Fang misslingt 12.05.15 ( 16 ) M. unberingt 11.05.15 neben Hohlweg Fang misslingt 12.05.15 Revierstreit mit M. (s. Nr. 9) ( 17 ) M. unberingt 11.05.15 unter der Seilbahn beringt grün-Al, grün-gelb (r) 12.05.15 ( 17a ) W. (W. v 17) beringt grün-Al, weiß-gelb (r) 12.05.15 unter der Seilbahn ( 18 ) M. unberingt ? 12.05.15 Burgruine Ehrenfels ( 19 ) M. unberingt 02.06.15 Katerloch ( 20 ) M. + W. unberingt ? 02.06.15 Leingipfel ( 21 ) M. unberingt 03.06.15 westlich der Seilbahn ( 22 ) M. beringt grün-Al, weiß-weiß 03.06.15 Drachenstein ( 23 ) M. beringt grün-Al, weiß-rot 03.06.15 Weg zum Rebhaus ( 24 ) M. beringt grün-Al, gelb-weiß 03.06.15 Rebhaus

20 Tabelle 1: Fortsetzung

Zaun- Geschlecht Farbring-Kombination Datum Bereich ammer- M. =Männchen, Nr. W. =Weibchen ( 25 ) M. unberingt ? 03.06.15 Waldrand oberhalb Katerloch ( 26 ) M. unberingt ? 03.06.15 unterhalb Rossel ( 27 ) M. unberingt ? 03.06.15 Sackgasse westlich der Burgruine Ehrenfels ( 28 ) M. mit Futter + W. unberingt 04.06.15 AB 3. Weg (von unten) ( 29 ) M. unberingt 04.06.15 AB 6. Weg (von unten) ( 30 ) M. unberingt 04.06.15 AB 2. Weg (von unten) ( 31 ) M. unberingt 04.06.15 RB Windeck

Tabelle 2: Vergleich der Bestandsdaten von Zaun-, Zipp- und Goldammer für die Jahre 2015 bis zurück ins Jahr 2013, in Klammern ( ) Beringung ungewiss, da Beine nicht frei sichtbar; * Zippammer-Zahlen nur Gebiet Rüdesheim bis Assmannshausen (ohne Assmannshausen-Eckersteinkopf-Höllenberg).

Jahr 2015 2014 2013 Ammernart Individuen davon Individuen davon Individuen davon gesamt farbig gesamt farbig gesamt farbig beringt beringt beringt Zaunammer 31 12 (9) 24 12 (1) 15 13 (Emberiza cirlus) Zippammer 24* 12 (6) 19* 10 (2) 21* 10 (4) (Emberiza cia) Goldammer 5–10 – 11 – (Emberiza citrinella)

4 Diskussion lagen in dichtem Abstand Zaunammern kartieren und zum Teil auch beringen. Die Während in früheren Jahrzehnten die Abstände von den jeweiligen Beringungs- sporadisch festgestellten Zaunammern im plätzen betrugen nur 200 bis 300 m. Die dor- Rheingau immer wieder verschwanden, hat tige Population erreichte im Jahr 2010 eine sich jetzt innerhalb von fünf Jahren, auf Größe von ca. 300 Zaunammer-Revieren begrenztem Raum, eine Population fest (Janz 2011b). Die Analysen, ob eventuell etabliert. Die Dichte hat ähnliche Ausmaße die Einwanderung im Rheingau aus dieser erreicht wie in der Pfalz um Bad Dürkheim Pfälzer Population stammt, sind noch nicht (Janz et al. 2008, Janz 2011a, 2011b). Dort abgeschlossen. Die Details dazu und ob konnte im Jahr 2013 der Autor im Über- ein Zusammenhang mit der Klimaerwär- gangsbereich der Weinberge zum Rand mung bestehen könnte, wurden bereits in des Pfälzerwalds, aber auch in mit Busch- der vorangegangenen Arbeit abgehandelt Baumgruppen durchmischten Weinberg- (Schuphan 2014). Ähnlich wie bei der

21 Abb. 3 und 4: Singendes Zaunammer-M. wird in Nähe eines Gold- und auch Zippammer- Neststandortes von dem Goldammer-M. angegriffen. Kurz vorher war es als Fütterungshelfer an einem benachbarten Zippammer-Neststandort aktiv. Auf der selben Ast-Stelle hatte das Goldammer-W. seinen Anflugplatz.

22 Zippammer in den meisten Vorkommens- Zahlen durchaus möglich und soll mit er- gebieten neigt auch die Zaunammer offen- höhtem Aufwand in den nächsten Jahren sichtlich zu einer geklumpten Populations- geprüft werden. Dabei ist zu berücksich- bildung wie hier und insbesondere in der tigen, dass überregional wohl die Goldam- Pfalz. Mehr abseits liegende günstige Rand- mer-Bestände zurückgehen, bereiche werden zwar besiedelt, aber be- Aus der Literatur sind Interaktionen vorzugt scheinen doch oft zentrale, dann von Zaun- und Zippammer am Rüdeshei- sogar auch unvorteilhafte Kleinhabitate ge- mer Berg (RB), sowie Bastarde von Zaun- wählt zu werden, oft begleitet von lang- und Zippammer bzw. Goldammer in der andauernden Revierkämpfen. Eindeutig ist Pfalz beschrieben worden (Heseler 1966, aber auch eine Ausweitung in die flacheren Groh 1975). Auf dem RB begleitete am Weinbergbereiche nach Osten zu verzeich- 08. Mai 2014 ein futtertragendes Zaunam- nen. Da in dieser Richtung größere, aus- mer-M. ein futtertragendes Zippammer-W. geräumte Weinberganlagen dominieren, wird zum Brutplatz. Die Beobachtung dieses sich zukünftig wohl überwiegend die Aus- Zippammer-W. erfolgte bereits längere Zeit dehnung entlang der oberen Weinberg- aus dem Auto heraus im Abstand von hänge am Waldrand und im unteren Hang- ca. 12 m über eine Zeitspanne von zwei bereich von Weinbergen bzw. Hausgärten Stunden. Nach dem Füttern und Abflug bewegen, wie die ersten Nachweise bereits verschwand sofort das Zaunammer-M. im aufzeigen. Brombeer-Gestrüpp des Brutplatzes, kam Der Populationsausweitung der Zaun- ohne die Schmetterlingslarven im Schnabel ammer steht die im Jahr 2015 beobachtete heraus und sang dann in der Nähe auf einem Verringerung des Goldammer-Bestands ge- Rosenzweig. Dann, völlig unerwartet, wur- genüber. Ob tatsächlich die hohe Zaunam- de es von einem Goldammer-M. im Sturz- mer-Dichte Einfluss auf die Goldammer- flug angegriffen (Abb. 3). Kurz vorher beob- Population hat, scheint nach den jetzigen achtete und fotografierte ich, auf demselben

Abb. 5: Habitat mit dicht benachbarten (ca. 8 m) Zippammer- (1) und Goldammer- (2) Neststandorten; x = Singplatz des Zaunammer-M. (Abb. 3), welches als Bruthelfer am Brutplatz 1 der Zippammer tätig war, danach bei x sang und dann vom Gold- ammer-M. angegriffen wurde.

23 Ast sitzend, ein Goldammer-W. (Abb. 4). Es (Emberiza c. cia L.). Diplomarbeit stellte sich heraus, dass es in der unmittel- Naturwissenschaftliche Fakultät, baren Nähe ebenfalls seine Brut fütterte Johannes Gutenberg-Universität . (Abstand der zwei Nistplatzstandorte nur http://www.hgon.de/service/downloads/ ca. 8 m, s. Abb. 5). Während im weiteren Schuphan, I. (2011a): Habitat-Strukturen Verlauf das Goldammer-M. fast ebenso und populationsdynamische Parameter häufig fütterte wie das W., beobachtete ich einer Population der Zippammer am Zippammer-Neststandort während knapp (Emberiza cia): Nutzbare Basisdaten zwei Stunden kein Zippammer-M., jedoch für zukünftige Zippammer –Manage- eines entfernter ohne Futter. Das Zaunam- mentpläne. Vogelwarte 49: 65 – 74. mer-M. erschien noch einmal ohne Futter. Schuphan, I. (2011b): Die Zippammer Wegen des fast undurchdringlichen Brom- (Emberiza cia) eine große Klimaunter- beergestrüpps (s. Abb. 5) verbot sich eine schiede ertragende Vogelart. Vogel- Nester-Nachsuche, beginnender stürmischer warte 49: 129 – 136. Regen gegen Abend beendete eine weiter- Schuphan, I. (2014): Die Zaunammer führende Beobachtung. Allem Anschein (Emberiza cirlus) im Wettstreit um nach war das Zaunammer-M. hier als den Lebensraum der Zippammer Helfer tätig und nicht Partner des Zipp- (Emberiza cia) und der Goldammer ammer-W. (Emberiza citrinella) am Oberen Diese Interaktionen zwischen den drei Mittelrhein: Unerwartete Besiedlung Ammerarten zeigen auf, dass die Einwan- des Unteren Rheingaus. Vogelwarte derung der Zaunammer in dieses Areal 52: 13 – 18. durchaus langfristig Einfluss auf die vor- Schuphan, I. & B. Flehmig (2013): handenen beiden Arten haben könnte. Ausbreitung der Zaunammer (Emberiza cirlus) im traditionellen Populationsgebiet der Zippammer 5 Literatur (Emberiza cia) im Unteren Rheingau zwischen Rüdesheim und Assmanns- Groh, G. (1975): Zur Biologie der Zaun- hausen. Vogel & Umwelt 20: 1 – 13. ammer (Emberiza cirlus) in der Pfalz. Mitt. Pollichia 63: 72 – 139. Heseler, U. (1966): Zur Ethologie der Zaunammer (Emberiza cirlus)– Beobachtungen an einem hessischen Brutplatz. Luscinia 39: 69 – 71. Janz, U. (2011a): Ergebnisse der Arbeits- gruppe Zaunammer-Monitoring: Bestand und Verbreitung der Zaun- ammer (Emberiza cirlus) in Rheinland- Pfalz 2009. Fauna und Flora in Rhein- Manuskript eingereicht am 30.04.2016; land-Pfalz, Beiheft 42: 151 – 157. angenommen am 14.07.2016 Janz, U. (2011b): Ein Vogel der Pfalz: Die Zaunammer. Der Falke 58: 451 – 453. Janz, U., V. Platz & M. Post (2008): Anschrift des Verfassers: Bestand und Verbreitung der Prof. Dr. Ingolf Schuphan, Zaunammer (Emberiza cirlus) in Institut für Pflanzenphysiologie (Bio III), Rheinland-Pfalz. Fauna und Flora in RWTH Aachen University, Rheinland-Pfalz 11: 357 – 375. Worringerweg 1, Schuphan, I. (1972): Zur Biologie und D-52074 Aachen, Populationsdynamik der Zippammer E-Mail: [email protected]

24 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 25 – 32 (2017)

Zum Bruterfolg des Rotmilans (Milvus milvus) in Hessen von Michael Hoffmann, Rosenthal, Christian Gelpke, Fritzlar, Christoph Böhmer, Mörlenbach, Gerd Bauschmann, Frankfurt am Main und Stefan Stübing, Bad Nauheim Keywords: Milvus milvus, Bruterfolg, EU-Vogelschutzgebiete, Hessen

Zusammenfassung the 1975 to 1997 period, the proportion of unsuccessful breeding attempts has in- Der Bruterfolg und der Anteil erfolgrei- creased while the results for successful cher Brutpaare des Rotmilans wird für ver- breeding attempts as well as the results for schiedene hessische Probeflächen zusammen- all breeding pairs remained unchanged. fassend dargestellt. Beide Aspekte schwan- Particularly serious in this respect is the fact ken in den letzten etwa zehn Jahren deutlich, that the majority of the results discussed sind aber als ungünstig einzustufen. So liegt here were obtained in Special Protection der Anteil erfolgreicher Bruten bei nur Areas under the EU Birds Directive, with knapp 70 Prozent. Der Bruterfolg beträgt the red kite being one of the endangered lediglich 0,9 Juv pro besetztem Rotmilan- species such sites are designed to protect. revier, je begonnener Brut zwischen 1,2 und 1,4 Juv und bei 1,9 Juv pro erfolgreicher Brut. Im Vergleich mit dem Zeitraum 1975 1 Einleitung bis 1997 ist der Anteil erfolgloser Bruten angestiegen, das Ergebnis der erfolgreichen Die geringen Werte zum Bruterfolg des Bruten sowie aller Brutpaare hingegen un- Rotmilans in Hessen in der Arbeit von verändert geblieben. Als besonders schwer- Gelpke et al. (2015) nehmen wir zum An- wiegend ist der Umstand einzustufen, dass lass, weitere Daten zum Bruterfolg der Art der überwiegende Anteil der hier dargestell- in unserem Bundesland zusammenzustellen. ten Ergebnisse aus EU-Vogelschutzgebieten Die aufgeführten Ergebnisse wurden im Rah- stammt, in denen der Rotmilan als maßgeb- men der Grunddatenerhebungen (GDE) liche Art geschützt werden soll. oder des Schutzgebietsmonitorings in hes- sischen EU-Vogelschutzgebieten, in denen der Rotmilan als maßgebliche Vogelart be- Summary nannt ist, sowie im Rahmen von zwei wis- senschaftlich-ehrenamtlichen Brutbestands- A summary overview is given of the kontrollen erfasst. breeding success and the proportion of Im Unterschied zu den Ergebnissen von successful breeding pairs of the red kite for Gelpke et al. (2015) liegen hier aufgrund der a variety of survey sites in the federal state of systematischen Erfassung auch Angaben zur Hesse. While both parameters have seen Anzahl erfolgloser Paare vor, so dass sich significant fluctuation over the past decade, auch die durchschnittliche Jungvogelzahl overall their status must be considered pro begonnener Brut errechnen lässt. unfavourable. Only 70% of all breeding attempts were successful. Breeding success is as low as 0.9 juveniles per occupied red 2 Untersuchungsgebiete und Methoden kite territory, between 1.2 and 1.4 juveniles per breeding attempt, and 1.9 juveniles per Beginnend mit einer Horstsuche im successful breeding attempt. Compared to Winterhalbjahr wurden eine Revierkartie-

25 rung des Rotmilans durchgeführt und die 3 Ergebnisse dabei erfassten Horste mehrfach bis zum Flüggewerden der Jungvögel kontrolliert. Die Ergebnisse der Erfassung in ausge- Um die Störungen für die Rotmilanpaare wählten hessischen EU-Vogelschutzgebie- so gering wie möglich zu halten, wurde ten sind in der Tabelle 1 zusammenfassend keine direkte Kontrolle der Horste mittels dargestellt. Tabelle 2 führt weiterhin vor- Besteigung der Horstbäume durchgeführt, liegende, großräumige und systematische sondern die Brutplätze aus der Entfernung Bruterfolgskontrollen von Christian Gelpke mittels Spektiv beobachtet. Daraus resultiert und Christoph Böhmer auf. Im Unterschied eine im Vergleich zu direkten Kontrollen zu den von Gelpke et al. (2015) dargestell- des Bruterfolges geringere Anzahl festge- ten Bruterfolgen liegen hier aufgrund der sy- stellter Jungvögel, da einzelne Jungvögel stematischen Erfassung auch Angaben zur leicht übersehen werden können. Dies gilt Anzahl erfolgloser Paare vor, so dass sich jedoch auch für die überwiegende Zahl der auch die durchschnittliche Jungvogelzahl zum Vergleich herangezogenen Studien, so pro begonnener Brut errechnen lässt. Für dass durchaus eine unmittelbare Vergleich- die Angaben in Gelpke et al. (2015) wurden, barkeit gegeben ist. mit Ausnahme des Jahres 2007, überpropor- Generell sollte der Bruterfolg möglichst tional nur erfolgreiche Paare gemeldet, so zu Beginn der Ästlingszeit ermittelt werden. dass dort allein die Zahl flügger Jungvögel Darüber hinaus empfiehlt sich auch eine pro erfolgreicher Brut berechnet wurde. Nachsuche im engeren Horstbereich ein bis Zusammenfassend ergeben sich somit zwei Wochen nach dem Ausfliegen der 0,9 Juv/besetztem Rotmilanrevier, zwischen Jungvögel, um die in dieser Zeit besonders 1,2 und 1,4 Juv/begonnener Brut und 1,9 hohe Prädationsrate (vor allem durch den Juv/erfolgreicher Brut (s. Tab. 1 und Tab. 2). Habicht) zu berücksichtigen. Die Übereinstimmung zwischen den Ergeb-

Abb. 1: Korrektur der Abb. 2 in Gelpke et al. (2015) zur Verteilung der Jungvogelzahl er- folgreicher Brutpaare des Rotmilans in den Jahren von 2007 bis 2014 in Hessen (n = 37, 67, 40, 13 und 29 Brutpaare) mit nun korrekter Legende (hellgrün = 1 Juv, lindgrün = 2 Juv, dunkelgrün = 3 Juv und schwarzgrün 4 Juv).

26 nissen der Untersuchungen in den EU- bis 2014 einen Mittelwert von 1,9 Juv an. Vogelschutzgebieten und den ehrenamtlich Auch dieser Wert stimmt sehr gut mit den erhobenen Daten ist dabei sehr hoch. hier vorgestellten Ergebnissen überein. In Gelpke et al. (2015) geben für weitere der Abb. 1 von Gelpke et al. (2015) war für 150 erfolgreiche Bruten in den Jahren 2010 das Jahr 2010 in Abb. 1 ein Fehler enthalten,

Tabelle 1: Ergebnisse der Brutbestands- und Bruterfolgskontrollen zum Rotmilan in hessi- schen EU-Vogelschutzgebieten; * = Differenzen zwischen Gesamtzahl und der Summe erfolgreicher und nicht erfolgreicher Bruten ergeben sich in Fällen, in denen nicht alle Paare auf den Bruterfolg hin untersucht werden konnten; Bp = Brutpaar, Juv = Jungvögel; eine Berechnung der Siedlungsdichte ist aufgrund der z. T. unvollständigen Erfassung nicht möglich.

Gebiet Jahr Brutpaare Juv/Bp Juv/ Bemerkungen (Bearbeitung)/Größe (erfolgreich/ erfolg- nicht reichem erfolgreich) – Bp Anzahl Juv Burgwald (Planwerk & 2005 12 (12/0) – 26 2,2 2,2 BFF 2009) Burgwald 2014 15 (7/8) – 11 0,7 1,6 Prädation durch (Lösekrug et al. 2015) Habicht an 7 Horsten, dadurch an 5 Horsten Totalausfall Rendaer Höhe 2008 4* (2/1) –3 1,0 1,5 (BÖF 2009) Hessisches 2009 28* (21/4) – 46 1,8 2,2 Rothaargebirge (PNL 2010) Vogelsberg 2010 47 (37/10) – 66 1,4 1,8 (PNL 2011) Meißner (BÖF & 2010 5 (1/4) –3 0,6 3,0 2 der 3 Juv durch FENA 2010) Habicht erbeutet Hauberge Haiger 2014 2 (1/1) –3 1,5 3,0 (Thorn & Bausch- mann 2015) Hoher Westerwald 2014 9* (4/4) –8 1,0 2,0 (Baumann et al. 2015) Hessische Rhön 2015 41 (37/4) – 74 1,8 2,0 (Lösekrug et al. 2016a) Riedforst 2016 5 (0/5) –0 0 0 Schlechtes Mäusejahr/ (Lösekrug et al. 2016) mehrere Starkregen- und Sturmereignisse während der Brutzeit Knüll 2016 16 (11/5) – 16 1,0 1,5 (Lösekrug et al.2016b) – 269 km2 Summe 184 (133/46) 1,4 1,9 – 256

27 der an dieser Stelle berichtigt werden soll. Tab. 2). Es zeigt sich, dass in den EU- Statt der angegebenen 1,6 Jungvögel lag der Vogelschutzgebieten (s. Tab. 1) lediglich in Wert für dieses Jahr bei 2,0 Jungvögeln pro drei der elf Untersuchungen ein Bruterfolg erfolgreiche Brut. Zudem war die Legende pro begonnener Brut (Fortpflanzungsziffer) der Abb. 2 in Gelpke et al. (2015) ver- erreicht wird, der mit mindestens 1,8 tauscht, die korrekte Darstellung wird hier Jungvögeln im Mittelfeld der Angaben für nachgeholt. Deutschland in den Jahren 1987 bis 2005 liegt (Aebischer 2009). Die anderen acht Ergebnisse liegen im Bereich des bundes- 4 Diskussion weiten Minimalwertes für diese Zeitspanne von 1,5 Jungvögeln oder sogar deutlich dar- Die Ergebnisse von Böhmer zeigen bei- unter. Insgesamt brachten die 179 Paare mit spielhaft, wie stark Bruterfolg und auch der begonnener Brut 256 Junge zum Ausfliegen, Anteil erfolgreicher Paare zwischen ver- was einer Fortpflanzungsziffer von 1,4 Juv schiedenen Jahren schwanken können (s. pro begonnener Brut entspricht. In der

Tabelle 2: Ergebnisse der Brutbestands- und Bruterfolgskontrollen zum Rotmilan in wei- teren großflächigen, systematisch untersuchten Gebieten (Bp = Brutpaar, Rp = Revier verteidigendes Paar ohne Brut, REV = unverpaarter Reviereinzelvogel, Juv = Jungvögel; x = keine Berechnung möglich); * die 16 Brutpaare aus Gelpke (2016), deren Bruterfolg unbekannt blieb, sind hier nicht berücksichtigt.

Gebiet Jahr Brutpaare Weitere Juv Juv/ Juv/ Juv/ Flächen- (erfolgreich/ Rp/REV Rev Bp erfolg- größe/ nicht erfolg- reiches Bearbeiter reich) Bp Schwalm- 2007 63 (37/26) 12 75 1,0 1,2 2,0 900 km2/ Eder- Gelpke Kreis (2008) Main- 2016 39 (23 Bp 6 26 x 0,9 1,9 Gelpke Kinzig- erfolgreich, (2016) Kreis davon gewertet 14 mit Anzahl Juv/ 9 erfolglose) TK 6318 2011 7 (5/2) 590,7 1,3 1,8 130 km2/ Böhmer TK 6318 2012 9 (9/0) 4 18 1,4 2,0 2,0 130 km2/ Böhmer (2012) TK 6318 2013 9 (0/9) 40000130 km2/ Böhmer TK 6318 2014 8 (4/4) 550,4 0,6 1,3 130 km2/ Böhmer TK 6318 2015 12 (12/0) 3 20 1,3 1,7 1,7 130 km2/ Böhmer TK 6313 2016 9 (9/0) 4 16 1,2 1,8 1,8 130 km2/ Böhmer Summe 156 (90/50) 43 169 0,92* 1,2* 1,9*

28 Untersuchung von Gelpke (2008) lag dieser kommen Nahrungsmangel, extreme Wetter- Wert bei 1,2 Jungen (63 Brutpaare mit 75 ereignisse, Störungen im Horstumfeld durch Juv) und bei Böhmer bei 1,3 Jungvögeln Forstarbeiten, Freizeitnutzung, Prädation (54 begonnene Bruten mit 68 Jungen). und Verluste von Altvögeln (z. B. durch Zusammen ergeben sich für alle erfassten Kollision mit Windenergieanlagen, Vergif- 319 begonnenen Bruten 425 Junge und da- tung oder im Straßenverkehr) infrage. Für mit eine Fortpflanzungsziffer von nur 1,3. alle diese Faktoren gibt es Belege, doch kei- Dieser Wert ist sehr niedrig. In drei von 25 ne systematischen Untersuchungen, die eine europäischen Regionen liegt der Wert unter Quantifizierung der einzelnen Aspekte er- 1,3 (Wales, Andalusien und Champagne- möglichen würden (Gelpke & Hormann Lorraine), sonst schwanken die Werte zwi- 2012). Insgesamt kommt dem hohen Anteil schen 1,3 und 2,0 (Aebischer 2009). Im Ver- erfolgloser Bruten von 30% und dem ge- gleich mit der bundesweiten Fortpflan- ringen Erfolg erfolgreicher Paare eine glei- zungsziffer von 1,7 bei 10556 Bruten chermaßen hohe Bedeutung für die mittel- (Mammen 2007) ist der hessische Wert etwa und langfristige Bestandssituation des Rot- 20 Prozent geringer. milans in Hessen zu. Der relativ geringe Bezogen allein auf die erfolgreichen 223 Bruterfolg erfolgreicher Paare lässt als Ur- Bruten ergeben sich im Durchschnitt 1,9 sachen Nahrungsmangel und Prädation ver- Jungvögel. Auch dieser Wert ist sehr gering. muten. Beide Faktoren wurden bei den Nach Aebischer (2009) ziehen erfolgreiche Untersuchungen in den EU-Vogelschutz- Paare durchschnittlich zwischen 1,6 und 2,4 gebieten mehrfach auffallend deutlich. Junge auf, in Deutschland lag der Wert zwi- Ein Aspekt bei der Bewertung des ge- schen 1987 und 2005 nur in einem Jahr ringen Bruterfolges muss besonders betont knapp unter 2,0 und im Mittel von 8326 werden: Der größte Anteil der hier vorge- Bruten bei 2,1. Damit liegt der hessische stellten Ergebnisse stammt aus EU-Vogel- Wert gut zehn Prozent unter dem bundes- schutzgebieten, in denen der Rotmilan ein weiten Ergebnis. maßgebliches Schutzgut ist. Dass gerade in Der Anteil erfolgreicher Bruten lag bei diesen Rotmilan-Schwerpunkten, die auch knapp 70 Prozent (223 von insgesamt 319 als Spenderpopulationen für umliegende Bruten), knapp ein Drittel der Bruten waren Regionen wirken sollen, der Bruterfolg so somit erfolglos. Bundesweit waren immer- gering ist, ist als äußerst bedenklich zu be- hin 81% der Bruten erfolgreich. Werden werten. Ohne Zweifel müssen die Anstren- auch anwesende Revierpaare oder revierhal- gungen beim Schutz der Art durch eine tende Einzelvögel konsequent erfasst, liegt Verbesserung des Nahrungsangebotes, wie deren Anteil an der Population bei 21,6% dies aktuell im „Rhönprojekt“ des Bundes- (43 Revierpaare von insgesamt 199 besetzten programms Biologische Vielfalt und im Revieren, s. Tab. 2). Der Bruterfolg pro be- „Vogelsbergprojekt“des NABU durchgeführt setztem Revier sinkt dann auf nur 0,9 wird, auch andernorts intensiviert werden. Jungvögel. 331 Bruten in verschiedenen hessischen Untersuchungsgebieten in den Jahren 1975 5 Literatur bis 1997 waren zu knapp 78 Prozent erfolg- reich und ergaben 1,5 Junge pro begonnener Aebischer, A. (2009): Der Rotmilan. Ein und 1,9 pro erfolgreicher Brut (Norgall faszinierender Greifvogel. Haupt; 2000). Somit ist im Vergleich der Anteil er- Bern, Stuttgart, Wien. folgloser Bruten angestiegen, das Ergebnis Baumann, B., B. Demant & M. Werner der erfolgreichen Bruten sowie aller Brut- (2015): SPA-Monitoring-Bericht für paare ist hingegen unverändert. das EU-Vogelschutzgebiet 5013–450 Als Ursachen für den hohen Anteil „Hoher Westerwald“ (Kreise Lahn- von knapp einem Drittel erfolgloser Bruten Dill und Limburg-Weilburg, Hessen). –

29 Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- Rotmilane (Milvus milvus) anhand von warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Telemetrie-Untersuchungen. – Vogel & Saarland. Gießen. 93 S. Umwelt 21: 149 – 180. BÖF Büro für angewandte Ökologie Lösekrug, R.-G., B. Baumann, B. und Forstplanung (2009): Grund- Demant, A. Happel, M. Hoffmann, datenerhebung zum Vogelschutzgebiet H.-O. Thorn & G. Bauschmann 4926–402 „Rendaer Höhe“. – Gutach- (2016a): SPA-Monitoring-Bericht für ten im Auftrag des RP Kassel. das EU-Vogelschutzgebiet 5425–401 BÖF & FENA Hessen-Forst, Service- „Hessische Rhön“ (Landkreis Fulda). zentrum Forsteinrichtung und Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- Naturschutz (2010): Grunddaten- warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und erhebung zum Vogelschutzgebiet Saarland. Gießen. 132 S. 4725–401 „Meißner“. – Gutachten im Lösekrug, R.-G., B. Baumann, B. Demant, Auftrag des RP Kassel. A. Happel, M. Hoffmann, H.-O. Böhmer, C. (2012): Der Rotmilan (Milvus Thorn & M. Hormann (2016 b): milvus) – Eine aktuelle Bestandsauf- SPA-Monitoring-Bericht für das EU- nahme im Brutjahr 2012 aus dem Vogelschutzgebiet 5022–401 „Knüll“ oberen Weschnitztal. – Collurio, Zeit- (Schwalm-Eder-Kreis, Hessen). – schrift für Vogel- und Naturschutz in Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- Südhessen Nr. 29 (2011), S. 102 – 120. warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Gelpke, C. (2008): Untersuchungen zur Saarland. Gießen, 97 S. Reproduktion von Rot- und Schwarz- Lösekrug, R.-G., M. Hoffmann, A. milan (Milvus milvus, M. migrans) in Happel & M. Hormann (2015): einem nordhessischen Untersuchungs- SPA-Monitoring-Bericht für das gebiet unter Berücksichtigung der land- EU-Vogelschutzgebiet 5018–401 wirtschaftlichen Nutzung. – Unveröff. „Burgwald“ (Kreise Marburg-Bieden- Diplom-Arbeit, FH Osnabrück. kopf und Waldeck-Frankenberg, Gelpke, C. (2016): Rotmilanvorkommen Hessen). – Gutachten der Staatlichen im Main-Kinzig-Kreis – Ergebnisse Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- zur Verteilung der Rot- und Schwarz- land-Pfalz und Saarland. Gießen. 76 S. milanvorkommen im Main-Kinzig- Lösekrug, R.-G., M. Hoffmann & M. Kreis im Untersuchungsjahr 2016. – Hormann (2016): SPA-Monitoring- Unpubliziertes Gutachten im Auftrag Bericht für das EU-Vogelschutzgebiet des HGON-Arbeitskreises Main-Kinzig. 4823–401 „Riedforst bei Melsungen“ Gelpke, C. & M. Hormann (2012): Arten- (Kreise Schwalm-Eder, Werra- hilfskonzept für den Rotmilan (Milvus Meissner und Kassel, Hessen). – Gut- milvus) in Hessen. – Gutachten im achten der Staatlichen Vogelschutz- Auftrag der Staatlichen Vogelschutz- warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Gießen, 62 S. Saarland. Mammen, U. (2007): Der Rotmilan als Gelpke, C. & S. Stübing (2009): Brutbe- prioritäre Art des Vogelschutzes in stand und Reproduktion des Rotmilans Deutschland und Mitteleuropa. – (Milvus milvus) auf einer Unter- Vortrag am Artenschutzsymposium suchungsfläche von 900 km² in Nord- Rotmilan vom 10. –11.10.2007 in hessen 2007 unter Berücksichtigung Schneverdingen. der Landnutzung. – Inform.dienst Norgall, A. (2000): Rotmilan Milvus Naturschutz Niedersachs. 3: 168 – 175. milvus. – In: Hessische Gesellschaft Gelpke, C., S. Stübing & S. Thorn (2015): für Ornithologie und Natur- Aktuelle Ergebnisse zu Bruterfolg, schutz (2000): Avifauna von Hessen, Raumnutzung und Zugwege hessischer 4. Lieferung. – Echzell.

30 Planwerk & BFF (2009): Grunddaten- erhebung des EU-Vogelschutzgebietes 5018–401 „Burgwald“ (Kreise Marburg-Biedenkopf und Waldeck- Frankenberg). – Gutachten im Auftrag des RP Gießen. PNL Planungsgruppe für Natur und Landschaft (2010): Grunddatener- hebung für das EU-Vogelschutzgebiet 4917–401 „Hessisches Rothaar- gebirge“. – Gutachten im Auftrag des RP Kassel. PNL (2011): Grunddatenerhebung für das EU-Vogelschutzgebiet 5421–401 „Vogelsberg“. – Gutachten im Auftrag des RP Gießen. Thorn, H.-O. & G. Bauschmann (2015): SPA-Monitoring-Bericht für das EU-Vogelschutzgebiet 5115–401 „Hauberge bei Haiger“ (Kreise Lahn- Dill und Marburg-Biedenkopf, Manuskript eingegangen am 10.05.2017, Hessen). – Gutachten der Staatlichen angenommen am 11.05.2017 Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- land-Pfalz und Saarland. Gießen. 72 S. Anschriften der Verfasser: Michael Hoffmann, Forsthaus Rosenthal, D-35119 Rosenthal, E-Mail: [email protected] Christian Gelpke, Am Grauen Turm 1, D-34560 Fritzlar, E-Mail: [email protected] Christoph Böhmer, Marienstraße 11, D-69509 Mörlenbach, E-Mail: [email protected] Gerd Bauschmann, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Stefan Stübing, Am Eichwald 27, D-61231 Bad Nauheim, E-Mail: [email protected]

31 Rotmilan aus Kleinalmerode, Nordhessen (Foto: C. Gelpke, 2.6.2014).

Weiblicher Rotmilan aus Singlis, Nordhessen (Foto: C. Gelpke, 13.3.2013).

32 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 33 – 42 (2017)

Langzeit-Monitoring des Neuntöters (Lanius collurio) im Landkreis Offenbach – Ergebnisse einer Untersuchung auf einer Probefläche bei Mühlheim-Lämmerspiel über mehr als 30 Jahre von Peter Erlemann, Obertshausen Keywords: Lanius collurio, Brutbestand, Monitoring, Mühlheim am Main, Hessen

Zusammenfassung conditions. On other long term investigated areas in North- and Ober-Hesse the num- Die Ergebnisse langjähriger Untersu- ber of breeding pairs remained stable. chungen zum Bestand des Neuntöters auf The threat status is described. The einer Probefläche bei Lämmerspiel im Kreis future development of the population is Offenbach in Südhessen werden vorgestellt. mainly influenced by negative factors: Loss Nach einer Periode mit für die Art of habitat, increased food shortage, losses typischer Bestandsfluktuation hat seit dem during migration but also climate changes. Jahr 2006 ein leichter kontinuierlicher Be- Further investigations on the development standsanstieg stattgefunden. Dies lässt sich of the population are necessary. In the nicht eindeutig mit den Witterungsbedin- future optimal habitats are probably of gungen in Verbindung bringen. Auf weite- great importance for the species. ren langjährig untersuchten Probeflächen in Nord- und Oberhessen sind die Brutvor- kommen weitgehend stabil geblieben. 1 Einleitung Der Gefährdungsstatus wird darge- stellt. Die zukünftige Bestandsentwicklung Der Neuntöter gilt als ein Brutvogel dürfte überwiegend negativen Faktoren un- offener bis halboffener Landschaften. Hier terliegen: Lebensraumverluste, zunehmen- besiedelt er vorwiegend Grünland, das mit der Nahrungsmangel und Verluste auf dem Hecken durchzogen und dornigem Ge- Zug, aber auch Klimaveränderungen. Wei- büsch durchsetzt ist. Im Kreis Offenbach tere Untersuchungen zur Bestandsentwick- sind nur noch wenige solcher Lebensräume lung sind nötig. Dem Erhalt und der Ent- vorhanden (Erlemann 2001). Dazu zählt wicklung von Optimallebensräumen könnte die von der Flurbereinigung verschont ge- in Zukunft eine große Bedeutung für die Art bliebene, östlich an den Mühlheimer Stadt- zukommen. teil Lämmerspiel grenzende freie Land- schaft, die nach menschlichem Ermessen optimale Habitate für den Neuntöter auf- Summary weist. Auf der gesamten Fläche wird seit 1983 The results of long term investigations alljährlich der Brutbestand des Neuntöters on the number of Red-backed Shrikes in a ermittelt. In erster Linie soll die Anzahl der sample area close to Lämmerspiel in the besetzten Reviere festgestellt werden. Fra- district of Offenbach in southern Hesse gen nach dem Neststandort oder Bruterfolg are presented. After a period with partly spielten in der vorliegenden Untersuchung distinct deviations the number of Red- nur eine untergeordnete Rolle. Über die backed Shrikes increased since 2006. This Bestandsentwicklung bis zum Jahr 1997 cannot definitely be correlated with weather wurde bereits berichtet (Erlemann 1998).

33 Mit diesem Beitrag soll der weitere 2 Untersuchungsgebiet Verlauf aufgezeigt werden. Dies erfolgt auch unter dem Gesichtspunkt, dass in Hessen Das knapp 100 ha große Untersu- nur sehr wenige, langjährige Untersuchun- chungsgebiet liegt östlich des Mühlheimer gen dieser Art vorliegen. Vergleichbar sind Stadtteils Lämmerspiel. Im Westen reicht es lediglich die Erfassungen im Landkreis Wald- bis an die Ortsbebauung und die Hausener eck-Frankenberg (Lübcke & Lay 2016) und Straße, im Norden und Osten an ein ge- eigene Untersuchungen im Landkreis Mar- schlossenes Waldgebiet. Ein schmaler Wald- burg-Biedenkopf (Erlemann 1989, 1990). streifen begrenzt das Untersuchungsgebiet im Süden. Etwa in der Mitte verläuft die Stein- heimer Straße und teilt die Fläche in ein nördliches und südliches Gebiet. Zudem verläuft ein überwiegend geschotterter Feldweg von Nord nach Süd. Dieser wird häufig von Spaziergängern und Hundehal- tern genutzt. Zu Beginn der Untersuchungen befan- den sich im Gebiet vier vereinzelt liegende Freizeitgärten mit Beerensträuchern und Gemüseanbau für den Eigenbedarf. Auf Anordnung der Unteren Naturschutz- behörde des Kreises Offenbach mussten in den 1990er Jahren die baulichen Anlagen beseitigt und die Gartennutzung eingestellt werden. Nahezu das gesamte Areal besteht aus Grünland, das überwiegend extensiv als Mähwiese genutzt wird. Daneben finden sich größere Flächen, die als Grünland- brache zu bezeichnen sind. Nur auf einer Parzelle findet ackerbauliche Nutzung statt. Vorwiegend im südlichen Teil des Gebietes befinden sich alte Obstgehölze. Sie stehen weit zerstreut, werden nicht mehr gepflegt und unterliegen keiner Nutzung. Dies führt dazu, dass ein Großteil der Bäume abgängig ist. Erst in den letzten Jahren wurden mehrere neue Obstbäume angepflanzt. Weitere Baumarten sind meist einzeln stehende Eichen, Birken und Wei- den. Auf brachliegendem Grünland und un- genutzten Parzellen haben sich Hecken und Gebüsche entwickelt. Dominierend sind Abb. 1: Karte des Untersuchungsgebietes. Brombeeren, daneben kommen Weißdorn, Gelbe und orange Linie: Schwarzdorn und Heckenrose vor. Der Ge- Gemarkungsgrenze. (Quelle: hölzbestand ist locker über das Untersu- Bürger Gis, Kreis Offenbach). chungsgebiet verteilt.

34 Die Blüten der zahlreichen Sträucher, 4 Ergebnisse Stauden und Blumen stellen ein umfangrei- ches Nahrungsangebot für Insekten dar, die Die seit 1983 durchgeführten Untersu- dem Neuntöter als Nahrung dienen. Er- chungen zeigen eine deutlichen Schwankun- kenntnisse über Arteninventar und Häufig- gen unterworfene Bestandsentwicklung, wie keit liegen bisher nicht vor. Im Sommer sie für den Neuntöter typisch ist. In vier werden die in aufgelockerten Bracheflächen Zeitabschnitten kam es zu deutlichen Rück- lebenden und ausschwärmenden Rasen- gängen, diesen stehen drei auffällige Be- ameisen intensiv gejagt. standszunahmen gegenüber. Nach im Mittel 8,3 besetzten Revieren in den 1980er Jahren lag die Zahl mit 7,7 im 3 Methode Zeitraum von 1991 bis 2000 niedriger. Nach der Jahrtausendwende setzte eine Bestands- Das Untersuchungsgebiet wurde zu zunahme auf im Mittel zehn besetzte Reviere Beginn der Erfassungen ab Ende Mai bis ein. Für den Zeitraum 2011 bis 2016 beträgt Mitte Juli meist zweimal kontrolliert. Neben deren durchschnittliche Anzahl 9,4 Reviere. der Feststellung besetzter Reviere erfolgte Die Siedlungsdichte schwankte zwischen 0,5 eine weitere Begehung, um die Anzahl der Rev./10 ha in den Jahren 1991 und 1998 und Brutpaare und deren Bruterfolg festzustel- 1,7 Rev. im Jahr 2015. Im Mittel erreichten len. Mit der Beschränkung, lediglich die die Werte 0,8 bis 0,9 Reviere/10 ha. Langfris- besetzten Reviere zu ermitteln, erfolgte vor- tig ist für den Untersuchungszeitraum eine wiegend in den letzten 15 Jahren zumeist Bestandszunahme festzustellen. nur eine intensive Kontrolle des gesamten Ein Vergleich mit der Häufigkeit in Gebietes. Nach den Erfahrungen aus frühe- früherer Zeit ist nicht möglich, da nur all- ren Jahren konnte in von Männchen besetz- gemeine Angaben vorliegen. Nach Zilch ten Revieren in der Regel auch von Bruten (1946) war der Neuntöter in der Stadt Of- ausgegangen werden. fenbach vielerorts vertreten, und Schläfer

Abb. 2: Aspekte des abwechslungsreich strukturierten Untersuchungsgebietes mit Mäh- wiesen, Grünlandbrache, Hecken und Obstgehölzen (Foto: P. Erlemann, 7.9.2016).

35 (1962) zufolge war die Art überall dort an- 91000 bis 160000 Reviere ermittelt. Dies ent- zutreffen, wo natürliche Hecken vorhanden spricht gut 1% des europäischen Bestandes waren. (Gedeon et al. 2014). Für Hessen werden 9000 bis 12000 Reviere angegeben. In diesem Bundesland waren seit den 1970er Jahren 5 Diskussion zum Teil deutliche Zunahmen zu verzeich- nen, die mit wärmeren Sommern und Im Rahmen der Kartierungen für den Biotopverbesserungen begründet werden. Atlas deutscher Brutvogelarten (ADEBAR*) Seit der Jahrtausendwende hat hingegen in den Jahren 2005 bis 2009 wurden in Deutschland mit einer großen Bandbreite *ADEBAR = Atlas deutscher Brutvogelarten

18

16

14

12

10

Reviere 8

6

4

2

0 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Abb. 3: Bestandsentwicklung vom Neuntöter von 1983 bis 2016 bei Mühlheim-Lämmerspiel (Erlemann 1998, ergänzt).

20 20 18 18 16 16 14 14 12 12 10 10 8 8 °Celsius °Celsius 6 6 4 4 2 2 0 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Mai Mittelwert 1961 – 1990 Juni Mittelwert 1961 –1990

Abb. 4: Monatliches Temperaturmittel im Abb. 5: Monatliches Temperaturmittel im Mai von 2006 bis 2016. Juni von 2006 bis 2016.

36 wieder ein leichter Bestandsrückgang einge- Jahren zum Teil deutlich übertroffen, und setzt (Stübing et al. 2010). überwiegend fielen die meisten Nieder- Die Ursachen für Bestandsschwankun- schläge im Juni. Deutliche Abweichungen gen beim Neuntöter sind vielfältig. Für das nach unten gab es lediglich in den Jahren Brutgebiet, also auch die hiesige Region, 2008 und 2015. Somit kann eher von ungün- werden Habitatverluste in Form der Besei- stigen Witterungsbedingungen in der Phase tigung von Hecken und damit Verlust von der Jungenaufzucht ausgegangen werden. Nistmöglichkeiten, Verlust von Brachen, in- Ein möglicher Einfluss von trocken- tensive Grünlandnutzung und Nahrungs- warmer Witterung im Mai und Juni auf mangel infolge von Pestizideinsatz in der einen höheren Brutbestand ist als Ursache Landwirtschaft genannt (z. B. Bauer & für die Zunahme im Zeitraum 2006 bis 2016 Berthold 1996, Erlemann 1985, Lübcke nicht grundsätzlich zu erkennen. Betrachtet & Lay 2016). Weitere Faktoren sind die man das Jahr 2008, so lagen die Tempe- klimatischen Verhältnisse auf dem Zug in die raturen deutlich über und die Niederschläge Brutgebiete und letztlich die Witterungs- deutlich unter den langjährigen Mittelwer- bedingungen während der Brutzeit. So kann ten. Dies führte zu keiner Zunahme im fol- trockenwarme Witterung im April und Mai genden Jahr. Ähnlich waren die Witterungs- bei südöstlichen Wetterlagen zu vermehr- verhältnisse im Jahr 2015. Mit 17 besetzten tem Vorkommen in den Brutgebieten führen Revieren wurde hier der bis dahin höchste (Erlemann 1990). Schlechtwetterlagen in Wert ermittelt, was eventuell als Folge der Südosteuropa können hingegen eine spätere trockenwarmen Witterung gesehen werden Ankunft im Brutrevier als auch geringere kann. Bestandzahlen bewirken. Eine weitere Zunahme erfolgte jedoch Kühles und niederschlagreiches Wetter nicht. Die extrem starken Niederschläge im von Mai bis Juli wiederum beeinträchtigt Mai und Juni 2016 dürften wesentlich mit den Bruterfolg entscheidend. dazu beigetragen haben. Wie in Abb. 3 dargestellt, kam es zwi- Insgesamt ist im Untersuchungsgebiet schen den Jahren von 1983 bis 2005 zu deut- (noch) kein direkter Zusammenhang zwi- lichen Bestandsschwankungen. Dass dies schen dem Klimawandel und dem Brut- mit den beiden genannten Faktoren im bestand des Neuntöters erkennbar. Wirken Zusammenhang steht, ist nicht eindeutig sich in weiten Teilen seines Verbreitungs- nachvollziehbar. Von diesen Werten ausge- areals auf der einen Seite die Faktoren hend, ist ein positiver Einfluss auf die Fak- Lebensraumverlust, Witterung und Nah- toren Revierbesetzung, Paarbildung und rungsmangel negativ auf die Vorkommen Brutverlauf anzunehmen. aus, so kommen die Verluste auf dem Ab dem Jahr 2006 wurden regelmäßig Zug und in den Überwinterungsgebieten mindestens 10 besetzte Reviere ermittelt hinzu. und 2015 ein auffälliges Maximum erreicht. Als Südostzieher überqueren unsere Der Blick auf die mittleren Temperaturen Neuntöter das östliche Mittelmeer und im Mai zeigt, dass der langjährige Mittel- gelangen dort nach Ägypten. Hier stehen wert aus dem Zeitraum 1961 bis 1990 nur mehrere hundert Kilometer lange, fünf zweimal unterschritten wurde. Die Monats- Meter hohe Fangnetze an der Küste, wie die mittel im Juni hingegen erreichten einmal Recherchen eines bayerischen Fernsehteams den langjährigen Mittelwert, ansonsten ans Licht brachten. Nach Schätzungen von lagen die Temperaturen darüber (Abb. 4 Experten kommen darin jährlich bis zu 10 und 5). Millionen Zugvögel zu Tode (www.nabu.de, Die Summen der Niederschläge in den www.deutschlandradiokultur.de). Wie viele Monaten Mai und Juni im Zeitraum 2006 Neuntöter mögen darunter sein? bis 2016 zeigt Abb. 6. Demnach wurde der Die Bestandsentwicklung auf der Pro- Mittelwert von rund 132 mm in sieben befläche bei Lämmerspiel zeigt langfristig

37 einen positiven Trend. Ein wesentlicher untersucht. Auf dieser Fläche wurde ab Grund hierfür ist in der unverändert guten 2013 eine deutliche Zunahme bis zum Jahr bis sehr guten Habitatqualität zu sehen. 2015 ermittelt (Lübcke & Lay 2016). Dies Offen bleibt, ob die Zunahme in den letz- entspricht der Situation bei Lämmerspiel. ten 12 Jahren auch mit den Witterungs- Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die bedingungen im Zusammenhang steht. Untersuchungen auf einem großen Land- Schließlich lagen diese Jahre z. B. bei den schaftsausschnitt erfolgten und die kleine monatlichen Temperaturmitteln im Mai Probefläche bei Lämmerspiel ganz wesent- und Juni in der Regel über den langjähri- lich optimale Lebensräume aufweist. Die gen Durchschnittswerten seit 1961. Mög- hier maximal erreichte Siedlungsdichte von licherweise könnte aber auch die Aufgabe 1,7 Rev./10 ha liegt knapp unter dem Mit- der Kleingartennutzung zu der positiven tel von 1,8 Rev./10 ha auf Flächen von Entwicklung des Brutbestandes beigetragen 50–99 ha (Bezzel 1993). Auf einer weite- haben. ren, langjährig untersuchten 12 qkm-Pro- Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen ist befläche in Rosenthal (Kreis Waldeck- in Nordhessen der Bestand auf einer 33 qkm Frankenberg) ist der Bestand des Neun- großen Probefläche auf dem MTB Bad töters von 1995 bis 2015 mit arttypischen Wildungen im Kreis Waldeck-Frankenberg Schwankungen stabil geblieben (Lübcke & von 1984 bis 1996 kontinuierlich angestie- Lay 2016). gen. Bis zum Jahr 2003 folgte ein ebenso Die Ergebnisse eigener langjähriger deutlicher Rückgang. In den beiden fol- Untersuchungen in Oberhessen in den Ge- genden Jahren hat sich der Bestand wieder markungen der Städte Kirchhain, Stadt- deutlich erholt. Ab dem Jahr 2007 wurde allendorf und Neustadt im Landkreis Mar- nur noch ein Teilbereich von 10 qkm burg-Biedenkopf zeigen unterschiedliche

250

225

200

175

150

125

100

75 Millimeter Niederschläge 50

25

0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Mai Juni Mittel Mai und Juni 1961 – 1990 Summe Mai und Juni

Abb. 6: Monatssummen der Niederschläge Mai und Juni in den Jahren 2006 bis 2016 und langjähriges Mittel im Zeitraum 1961 bis 1990. (Datengrundlage: http://www.wetterkontor.de/de/wetter/deutschland/monatswerte-station.asp; Messstation Offenbach).

38 Verläufe. So ist die Zahl besetzter Reviere weise deutlich unter 100 besetzten Revie- bis zur Mitte der 1980er Jahre auf der ren als „Gefährdet“ angegeben (Erlemann Probefläche (PF) Langenstein (12,75 qkm) 2001). Hierfür war von Bedeutung, dass stark zurückgegangen und der Neuntöter ein Großteil der Population Schonungen fast völlig verschwunden. Hier kam es im und Waldränder besiedelt hat und unklar Jahr 1989 nach großräumiger trockener blieb, wie die Bestandsentwicklung nach und warmer Wetterlage zu einer deutlichen dem Aufwachsen der Schonungen verlaufen Bestandszunahme (Erlemann 1990). Auf würde. Inzwischen sind diese Auf- der PF Stausebach (6 qkm) ist der Be- forstungen längst als Bruthabitate für den stand hingegen weitgehend stabil geblieben Neuntöter ausgefallen. Nach im Mittel 74 (Abb. 7). Revieren im Zeitraum 1985 bis 1998 Nach dem deutlichen Anstieg bis Mitte schwanken die Angaben zwischen 2010 der 1990er Jahre wurde auf der PF Stause- und 2015 von 62 bis 72 Revieren (Erle- bach und einer weiteren PF bei Neustadt mann et al. 2011 bis 2016). Daraus ergibt (85 ha) eine teilweise stark schwankende sich ein jährliches Mittel von 66 Revieren Zahl besetzter Reviere ermittelt. Diese Er- und somit ein um 10% niedriger Bestand. gebnisse lassen keinen eindeutigen Trend Somit ist die Einstufung „Gefährdet“ wei- erkennen, sie weisen auf ein stabiles Vor- terhin zutreffend. kommen hin. Als „Gefährdet“ wird der Neuntöter Die geschilderten Erkenntnisse lassen auch in der Roten Liste für den Landkreis die Frage nach dem Gefährdungsstatus des Waldeck-Frankenberg in Nordhessen auf- Neuntöters aufkommen. In einer ersten geführt (Lübcke & Lay 2016). Roten Liste für das Gebiet von Stadt und Für Hessen wurde der Bestand des Kreis Offenbach wird die Art mit jahr- Neuntöters Mitte der 1990er Jahre mit 5500

20

18

16

14

12

10 Reviere 8

6

4

2

0 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Langenstein Stausebach Neustadt

Abb. 7: Ergebnisse langjähriger Untersuchungen zur Bestandsentwicklung vom Neuntöter auf drei Probeflächen im Landkreis Marburg-Biedenkopf 1978–2016; 2014 keine Erfassung (eigene Beob.).

39 bis 7400 Brutpaaren angegeben (Erlemann noch optimalen Lebensräumen, so wie ihn 1997), und die Art war in der Roten Liste die PF bei Lämmerspiel darstellt, erhöhte auf der Vorwarnliste eingestuft. Zehn Jahre Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es ist später wurde der Neuntöter mit einer Be- durchaus möglich, dass solche Flächen in standsangabe von 5000 – 8000 Revieren als Zukunft an Bedeutung für die Art gewinnen ungefährdet von der Roten Liste gestrichen. werden. Dies wurde mit stabilen und teilweise deut- Ein Blick auf die Bestandssituation in lichen Bestandszunahmen von Beginn der Deutschland zeigt, dass die Kartierungen 1980er bis Ende der 1990er Jahre begründet, für ADEBAR in den Jahren 2005 bis 2009 doch kam es seit der Jahrtausendwende stel- zu der recht großen Bandbreite von 91000 – lenweise wieder zu spürbaren Rückgängen 160000 Revieren führten. Die Bestandsent- (HGON & VSW 2006). wicklung wird nach fluktuierenden Anzah- Demgegenüber führten die Kartierun- len zwischen 1990 und 2009 als seit Ende der gen für den Brutvogelatlas ADEBAR zu 1990er Jahre rückläufig angegeben (Gedeon 9000 bis 12000 Revieren in Hessen, und es et al. 2014). Die ADEBAR-Kartierungen wird auf leicht rückläufige Bestände verwie- führten letztlich zu einem Ergebnis, das sen (Stübing et al. 2010). Es wird deutlich, gegenüber den Bestandsschätzungen in den dass durch die starken Bestandsschwan- bundesweiten Roten Listen aus den Jahren kungen innerhalb weniger Jahre kurzfristige 1995 bis 2005 eine vergleichbare Größen- Bewertungen erheblich beeinflusst werden ordnung erreicht. Der Neuntöter war je- können. Unter diesem Gesichtspunkt sowie doch keiner Gefährdungskategorie zuge- aufgrund der allerdings auf weitgehend ordnet, auch nicht in der aktuellen Roten lokalen Angaben basierenden Annahme Liste der Brutvögel Deutschlands (Grüne- einer fortgesetzten oder verstärkten Be- berg et al. 2016). standsabnahme wurde der Neuntöter wie- Die zukünftige Bestandsentwicklung der in die Vorwarnliste aufgenommen (VSW unterliegt sicher mehreren, teilweise sehr & HGON 2014). Zudem sind in der Be- wahrscheinlich zunehmend stärker wirken- wertung des Erhaltungszustandes der Brut- den Faktoren: vogelarten Hessens aufgrund starker Be- b Lebensraumverluste, standsrückgänge in den letzten Jahren die Zukunftsaussichten mit ungünstig bis un- b Aufgabe der Beweidung von halboffenem zureichend bewertet worden (Werner et al. Grünland, 2014). b Nahrungsmangel infolge massiven unge- Lübcke & Lay (2016) merken an, dass bremsten Einsatzes von Herbiziden und bei einer erneuten Aktualisierung der Roten Pestiziden in der Landwirtschaft, Liste für Hessen geprüft werden sollte, ob der Neuntöter in die Kategorie „Gefährdet“ b Verluste auf dem Zug und aufgenommen werden muss. Dabei darf kei- b Klimaerwärmung. nesfalls die Situation des Neuntöters nach Bestandserfassungen in vergleichsweise op- In welche Richtung die Entwicklung timalen Habitaten beurteilt werden. führen wird, ist fraglich. Während auf der Zweifellos haben Untersuchungen auf einen Seite die negativen Faktoren deutlich großen Landschaftsausschnitten eine höhere überwiegen, ist ungewiss, ob es als Folge der Aussagekraft. Es ist zu befürchten, dass Klimaerwärmung zu verstärkten Einflügen weite Teile der offenen, vom Neuntöter be- nach Mitteleuropa kommen wird und die siedelten Landschaften infolge von Nut- Aussichten auf hohe Bruterfolge steigen zungsänderungen sowie fehlendem Nah- werden. Weitere Untersuchungen zur Be- rungsangebot auf ausgeräumten Fluren standsentwicklung auf repräsentativen Pro- ohne Blüten und Insekten nicht mehr be- beflächen sind auf jeden Fall wichtig und siedelt werden können. Daher sollten den erforderlich.

40 6 Literatur vember 2015. – Berichte zum Vogel- schutz 52: 19 – 67. Bezzel, E. (1993): Kompendium der Vögel Hessische Gesellschaft für Ornitho- Mitteleuropas. Passeres – Singvögel. – logie und Naturschutz (HGON) & Wiesbaden. Staatliche Vogelschutzwarte für Erlemann, P. (1989): Bestandsentwicklung Hessen, Rheinland-Pfalz und und Habitatansprüche des Neuntöters Saarland (VSW) (2006): Rote Liste (Lanius collurio) auf zwei Probe- der bestandsgefährdeten Brutvogel- flächen im Landkreis Marburg- arten Hessens – 9. Fassung, Stand Juli Biedenkopf. – Vogelk. Jahresber. 2006. – Vogel & Umwelt 17: 3 – 51. Marburg-Biedenkopf 7: 172 – 179. Lübcke, W. & M. Lay (2016): Langzeit- Erlemann, P. (1990): Ungewöhnlich starke untersuchungen zum Brutbestand Bestandszunahme des Neuntöters des Neuntöters (Lanius collurio) (Lanius collurio) nach trockenwarmer im Kreis Waldeck-Frankenberg. – Witterung im Mai. – Vogelk. Jahresber. Vogelkundliche Hefte Edertal Marburg-Biedenkopf 8: 161 – 163. 42: 31 – 39. Erlemann, P. (1997): Neuntöter – Lanius Schläfer, W. (1962): Die Vögel des collurio. – In: Hessische Gesellschaft Kreises Offenbach. – Staatsexamens- für Ornithologie und Naturschutz arbeit. (Hrsg.) (1993 – 2000): Avifauna von Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen. – Echzell. Hessen, Rheinland-Pfalz und Erlemann, P. (1998): Anmerkungen zur Saarland (VSW) & Hessische Bestandsentwicklung vom Neuntöter Gesellschaft für Ornithologie (Lanius collurio). – Ornithol. Jahresber. und Naturschutz (HGON) (2014): Arb.Kr. Rodgau und Dreieich der Rote Liste der bestandsgefährdeten HGON 14: 129 – 134. Brutvogelarten Hessens. 10. Fassung, Erlemann, P. (2001): Vogelwelt von Stadt Stand Mai 2014. – Hessisches und Kreis Offenbach. – Neu-Isenburg. Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Erlemann, P., M. Greve & A. Zaigler Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2011 – 2016): Ornithologische (HMUKLV). Sammelberichte 2010 – 2015 für das Stübing, S, M. Korn, J. Kreuziger & Gebiet von Stadt und Kreis Offenbach. M. Werner (2010): Vögel in Hessen. – Ornithol. Jahresber. Arb.Kr. Offen- Die Brutvögel Hessens in Raum bach der HGON 27 – 32. und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell. Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Werner, M., G. Bauschmann, M. Mitschke, C. Sudfeldt, W. Hormann & D. Stiefel (2014): Eikhorst, S. Fischer, M. Flade, Zum Erhaltungszustand der S. Frick, I. Geiersberger, B. Koop, Brutvogelarten Hessens. – Vogel & M. Kramer, T. Krüger, N. Roth, Umwelt 21: 37 – 69. T. Ryslavy, S. Stübing, S. R. Zilch, A. (1946): Die Vögel der Um- Sudmann, R. Steffens, F. Vökler & gebung von Offenbach/Main. – K. Witt (2014): Atlas Deutscher Unveröffentlichtes Manuskript mit Brutvogelarten. Atlas of German Ergänzungen bis 1956. Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitor- ing Deutschland und Dachverband Internet: www.nabu.de/tiere-undpflanzen/ Deutscher Avifaunisten. – Münster. voegel/zugvogelschutz/aegypten/15708.html Grüneberg, C., H.-G. Bauer, H. Haupt, Internet: www.deutschlandradiokultur.de/ O. Hüppop, T. Ryslavy & P. Südbeck vogeltod-in-aegypten-eine-voellige- (2016): Rote Liste der Brutvögel katastrophe.1777.de.html?dram:article_id= Deutschlands, 5. Fassung, 30. No- 246322

41 Neuntöter-Männchen (Lanius collurio) auf dem Ansitz (Foto: Peter Erlemann, 2.5.2016).

Manuskript eingereicht am 12.12.2016, angenommen am 22.02.2017

Anschrift des Verfassers:

Peter Erlemann, Gräfenwaldstraße 30, D-63179 Obertshausen, E-Mail: [email protected]

42 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 43 – 48 (2017)

Bestandsentwicklung der Feldlerche (Alauda arvensis) in Hessen – Vergleich zweier landesweiter Kartierungen in den Jahren 1998 und 2015 von Stefan Stübing, Bad Nauheim und Leo Meier, Frankenbach Keywords: Alauda arvensis, Bestandsentwicklung, Probeflächen, Hessen

Zusammenfassung thology and Nature Conservation, HGON) a comparative survey was carried out on 50 Eine von der Hessischen Gesellschaft sampling sites in 1998, when the Eurasian für Ornithologie und Naturschutz e. V. skylark had been declared “Bird of the (HGON) koordinierte Vergleichsunter- Year”, and 2015 respectively. The survey suchung auf 50 Probeflächen in den Jahren showed that there had been a 44.4% decline 1998, als die Feldlerche „Vogel des Jahres“ in skylark territories. In the year 2015 war, und 2015 ergab eine Abnahme der survey, very high densities of more than erfassten Feldlerchen-Reviere um 44,4 Pro- ten territories per 10 ha could no longer be zent. Sehr hohe Dichten von mehr als zehn found while for the first time there were no Revieren pro 10 ha wurden nirgendwo mehr records for the species on some of the sites. festgestellt, jedoch gab es erstmals Flächen According to land-use data, nowhere had ganz ohne Vorkommen der Art. Nach den cropping changed so substantially as to be Angaben zur Nutzung der Flächen hat sich able to explain the severe decline in the keine Kultur derart deutlich verändert, dass skylark population. Similarly, long-term dies die massive Abnahme der Feldlerchen- monitoring of sites as part of the census of zahlen erklären könnte. Auf den langjährig common breeding birds has shown that the bearbeiteten Probeflächen des Monitorings skylark population declined by close to häufiger Brutvögel ist der Bestand der Feld- one third between 1998 and 2015. Overall it lerche zwischen den Jahren 1998 und 2015 can reasonably be assumed that the federal ebenfalls um knapp ein Drittel zurückge- state of Hesse has lost approximately gangen. Insgesamt ist davon auszugehen, 200,000 skylark pairs between 1998 and dass in Hessen zwischen 1998 und 2015 etwa 2015. These data as well as the census results 200000 Feldlerchenpaare verloren gegan- for other species of open habitats show that gen sind. Wie dieser Befund und die Ergeb- the agri-environmental measures under- nisse zu den anderen Offenlandarten zeigen, taken are in no way sufficient to reverse this sind die ergriffenen Agrarumweltmaßnah- trend. To the contrary, the programmes men keinesfalls ausreichend, um eine Trend- implemented to date have not even been wende herbeizuführen. Im Gegenteil konn- successful in halting the decline of these ten die bislang durchgeführten Programme species. nicht einmal den Rückgang dieser Arten aufhalten. 1 Einleitung und Dank

Summary Im Jahr 1998 wurde die Feldlerche we- gen des deutlichen Rückgangs ihres Brut- Under the coordination of the Hessi- bestandes in Deutschland zum „Vogel des sche Gesellschaft für Ornithologie und Jahres“ gewählt. Anlässlich dieser Wahl Naturschutz e.V. (Hessian Society for Orni- wurden in Hessen im Rahmen eines Kartie-

43 rungsaufrufes der HGON vielerorts Pro- der, Heinz-G.; Schwan, Egon; Seipl, Maria; beflächen nach einheitlicher Methode bear- Sieper, Günter; Stein, Mathias; Steinhauer, beitet. Auf 50 dieser Flächen erfolgte im Marion; Steinhauser, Herbert; Stübing, Jahr 2015 eine methodisch identische Wie- Stefan; Tecklenburg, Hans H.; Ulrich, Paul; derholung der Kartierung. Über die Ergeb- van Krüchten, Heidelinde u. Bernd; Vogt, nisse dieser Erfassung soll hier berichtet Horst und Wanke, Dietmar. Und ebenfalls werden. ein herzliches Dankeschön an Gerd Bausch- Ganz herzlich ist den Mitarbeiterinnen mann, Matthias Korn und Josef Kreuziger und Mitarbeitern zu danken, die diesen für die kritische Durchsicht des Manu- wichtigen Vergleich möglich gemacht haben: skriptes. Bauer, Karl Randolf; Baurmeister, Jochen; Brauneis, Jörg; Brauneis, Wolfram; Brendel, Hans; Care, Willi; Conz, Oliver; Dröse, 2 Untersuchungsgebiete und Methode Stefan; Emmes, Helmut; Fehlow, Matthias; Fehse, Claus; Feldmeier, Yoshimune; Die Erfassung folgte exakt der im Jahr Fingerling, Ludwig; Fischer, Klemens; 1998 angewendeten Methode. Die Unter- Friedrich, Herbert; Gath, Anke; Göbel, suchungsgebiete wurden mit einer Größe Dieter; Hardt, Gerd; Heimer, Wolfgang; von ungefähr 50 ha (etwa 700 x 700 m), Hennes, Rolf; Jobst, Franz-Josef; Jung, möglichst quadratischer Form mit geraden Judith; Jürgens, Dietmar; Kettner; Reinhold; Grenzlinien und der Vorgabe, dass mög- Kissel, Holger; Klübenspies, Leo; Koller, lichst gleichförmige, zu mindestens 90% Wolfgang; Korn, Matthias; Kürschner, Win- einheitlich entweder als Acker- oder als fried; Kurth, Simone; Lang, Karl Heinz; Grünland genutzte Flächen abgegrenzt wer- Lehmann, Sarah; Linhart, Peter; Menius, den sollten, ausgewählt. Hans-Joachim; Muth, Ferdinand; Nacht- Um die Erst- und Zweitbruten erfas- mann, Günther; Neubacher, Daniel; sen zu können, wurden jeweils zwei Oeppert, Tilman; Pastohr, Mandy; Paul, Kartierungsphasen durchgeführt. Je Block Ulrich; Penner, Erwin; Peter, Franz; Roh- waren zwei vollständige Kontrollen not- leder, Gerrit; Rösler, Ingo; Schäfer, Stephan; wendig. Diese sollten in den frühen Mor- Schaub, Horst; Schmall, Wolfgang; Schnei- gen- und Vormittagsstunden (von Sonnen-

Abb. 1: Entwicklung des Feldlerchenbestandes (Anzahl Reviere) auf der Gesamtfläche von 2600 ha im Vergleich der Jahre 1998 und 2015.

44 aufgang bis etwa 11 Uhr) bei möglichst 2,0 Reviere zurück. Dabei ist vor allem die guten Wetterbedingungen (geringe Luft- Zahl von Flächen mit Dichten von mehr als bewegung, kein Niederschlag, angenehme drei Revieren pro 10 ha zurückgegangen. Temperaturen, leichte Bewölkung) erfolgen. Ehemals sehr hohe Dichten von mehr als Der erste Block (Erstbrut) wurde für zehn Revieren pro 10 ha konnten 2015 nicht den Zeitraum vom 10. April bis 15. Mai, der mehr ermittelt werden. Hingegen gab es zweite vom 5. Juni bis 5. Juli (Zweitbrut) zwei Flächen, auf denen keine Feldlerchen definiert. Die Probeflächen wurden durch mehr vorkamen, was 1998 nicht der Fall war etwa halbstündige Kontrollen der Umge- (s. Abb. 2). bung von einem gute Übersicht bietenden Auf 39 der Flächen, also in knapp 80% Punkt mit Eintragen der im Anschluss an der Fälle, nahm der Bestand um mehr als die Singflüge festgestellten Landeplätze 10% ab und nur in drei Gebieten (sechs (~ Revierzentren) in eine Gebietskarte be- Prozent) um mehr als 10% zu. Auf 22 der arbeitet. Die Untersuchungsgebiete sollten 39 Flächen wurden sogar Abnahmen zwi- mit etwa fünf solcher Kontrollpunkte und schen 50 und 100% festgestellt. In nur acht einem Aufwand von etwa 2,5 Stunden ab- Gebieten (15,7%) wird der Bestand auf- gedeckt werden. grund der nur geringen Änderungen von +/- zehn Prozent als ungefähr gleichblei- bend eingestuft (s. Abb. 3). 3 Ergebnisse Für einen Flächenanteil von 1940 ha (ca. 75 %) wurden von den Kartierern Die Erfassungen wurden in 50 der detaillierte Angaben zur Ackernutzung schon im Jahr 1998 kontrollierten Probe- aufgezeichnet. Demnach hat sich keine flächen im Jahr 2015 erneut durchgeführt. Kultur derart deutlich verändert, dass dies Auf der dabei insgesamt erfassten Fläche die massive Abnahme der Feldlerchen- von 2600 ha nahm der Bestand von 930 zahlen erklären könnte. Der (insgesamt ge- Feldlerchen-Revieren auf 517 Reviere und ringe) Anteil an Roggen-Äckern hat sich somit um 44,4 Prozent ab (s. Abb. 1). Die in den Probeflächen zwischen den beiden Dichte ging auf der Gesamtfläche von Erfassungen mehr als halbiert. Leichte durchschnittlich 3,6 Revieren pro 10 ha auf Abnahmen gab es bei Gerste und Rüben,

Rev./10 ha Abb. 2: Vergleich der Dichtewerte in den Probeflächen zwischen 1998 (hellgrün) und 2015 (dunkelgrün); y-Achse: Anzahl der Probeflächen.

45 während der insgesamt massiv dominieren- nigen kleinen, südhessischen Kreisen (Main- de Weizen weiter zunahm und sich die Taunus-Kreis, Kreis Offenbach) gibt es nur Rapsanbaufläche, ursprünglich aber mit noch sehr geringe Vorkommen. Ein Ver- nur geringem Anteil vertreten, mehr als schwinden auf Gemarkungsebene wird verdoppelte. Abb. 4 zeigt die Veränderun- nicht mehr ausgeschlossen. Die wenigen gen im Detail. Fälle von deutlichen Bestandszunahmen Der Rückgang ist daher offenbar flächig stammen aus Bereichen, in denen sich in der und nicht auf besondere Umstände in ein- Zeit zwischen den Kartierungen Bioanbau- zelnen Probeflächen zurückzuführen. In ei- betriebe etabliert haben.

Abb. 3: Bearbeitete Probeflächen, sortiert nach der prozentualen Abnahme jeder Fläche (–100 = Abnahme um 100 %, Bestand somit erloschen).

Abb. 4: Veränderungen der Anbaufläche verschiedener Kulturen auf 1940 ha im Vergleich der Jahre 1998 und 2015 (y-Achse = Hektarzahl).

46 4 Diskussion abnehmende Landvogelart Europas gilt (Laux et al. 2017), aber auch bei Samen- Auf den langjährig bearbeiteten Probe- fressern wie Stieglitz oder Bluthänfling und flächen des Monitorings häufiger Brutvögel Insektenfressern wie dem Sumpfrohrsänger. des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten Auch Turmfalke und Mäusebussard haben (DDA) und der Hessischen Gesellschaft ihren Bestand in Hessen nach den Ergeb- für Ornithologie und Naturschutz (HGON) nissen des Monitorings häufiger Arten seit ist der Bestand der Feldlerche zwischen den 1994 annähernd halbiert (Bestandstrends Jahren 1998 und 2015 ebenfalls um knapp HGON). Diese hessischen Ergebnisse sind ein Drittel zurückgegangen (s. Abb. 5). Auch nicht auf unser Bundesland beschränkt, im wenn der Rückgang in den nur in den beiden Gegenteil spiegeln sie die bundesweite Situ- Vergleichsjahren erfassten Flächen dem- ation wider (Gedeon et al. 2014). Insgesamt gegenüber mit 44,4 Prozent etwas umfang- ist daher die Entwicklung des Teilindikators reicher ist, belegen auch diese Ergebnisse die „Agrarland“ in Deutschland, der aus der massive Abnahme der Art in Hessen. Bestandsentwicklung typischer Acker- und Dem Trend nach hat sich der Bestand Offenlandvogelarten gewonnen wird, so un- der Feldlerche in Hessen zwischen 1994 und günstig wie bei keiner der anderen erfassten 2005 sogar halbiert (s. Abb. 5). Seither haben Lebensräume (u. a. Wälder, Siedlungen und sich nur noch geringfügige Veränderungen Binnengewässer; Wahl et al. 2017). Gründe ergeben. Für die Jahre ab 2005 wurde ein für diese drastische Entwicklung sind in der landesweiter Bestand von etwa 200000 gravierenden Intensivierung der landwirt- Revieren berechnet (Stübing et al. 2010). schaftlichen Nutzung in all ihren Facetten Demnach gab es im Jahr 1994 vermutlich zu sehen (Zusammenfassung s. Börnecke noch etwa 400000 Reviere, so dass seither 2017). etwa 200000 Feldlerchenpaare verloren ge- Insofern ist festzuhalten, dass die bis- gangen sind. lang für die Tier- und Pflanzenarten im Ähnlich dramatische Abnahmen sind Ackerland ergriffenen Schutzmaßnahmen von vielen weiteren Vogelarten des Acker- bzw. Agrarumweltmaßnahmen keinesfalls landes bekannt, nochmals deutlich gravie- ausreichend sind, um eine Trendwende her- render beim Rebhuhn, das als am stärksten beizuführen. Im Gegenteil konnten die bis- Index

Abb. 5: Bestandsentwicklung der Feldlerche in Hessen nach Ergebnissen des Monitorings häufiger Brutvögel.

47 lang durchgeführten Programme nicht ein- Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. mal den Rückgang dieser Arten aufhalten. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Um die Attraktivität der Agarumweltmaß- Brutvögel Hessens in Raum und Zeit. nahmen so weit zu verbessern, dass spür- Brutvogelatlas. – Echzell, S. 320 – 321. bare Erfolge zu verzeichnen sind, sind neben Wahl, J., R. Dröschmeister, C. König, einer verbesserten Honorierung durchzu- T. Langgemach & C. Sudfeldt führender Maßnahmen auch eine gezielte (2017): Vögel in Deutschland – Motivation und Beratung der Landwirte Erfassung rastender Wasservögel. – durch speziell geschulte Biodiversitätsbera- DDA, BfN, LAG VSW, Münster. ter erforderlich. Eine deutliche Verbesse- rung der Bestandssituation wird durch die biologische Landbewirtschaftung ermög- licht, wie aus Hessen nicht nur die hier vor- liegende Erfassung mit deutlichen Zunah- men im Bereich von Biobetrieben, sondern auch die kontinuierlich zunehmenden Be- stände der Feldlerche auf dem Gelände der Domäne Frankenhausen im Landkreis Kassel nach der Umstellung auf einen Bio- betrieb belegen (Ha. Haag schriftl.).

5 Literatur

Börnecke, S. (2017): Wir sind dann mal weg – Die (un)heimliche Artenerosion: Eine agroindustrielle Landwirtschaft dezimiert unsere Lebensvielfalt. – Dossier und Bestandsaufnahme im Auftrag von Martin Häusling, MEP. Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke, C. Sudfeldt, W. Eikhorst, S. Fischer, M. Flade, S. Frick, I. Geiersberger, B. Koop, M. Kramer, T. Krüger, N. Roth, T. Ryslavy, S. Stübing, S. R. Sud- mann, R. Steffens, F. Vökler & K. Witt (2014): Atlas Deutscher Manuskript eingereicht am 10.05.2017, Brutvogelarten. Atlas of German angenommen am 11.05.2017 Breeding Birds. – Stiftung Vogel- monitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten, Anschriften der Verfasser: Münster. S. 446 – 449. Stefan Stübing, Laux, D., M. Herold, F. Bernshausen & Am Eichwald 27, M. Hormann (2017): Artenhilfs- D-61231 Bad Nauheim, konzept Rebhuhn (Perdix perdix) in E-Mail: [email protected] Hessen. – Gutachten der Staatlichen Vogelschuzwarte für Hessen, Rhein- Leo Meier, land-Pfalz und Saarland. – Hungen, Im Grund 7, 85 S. D-35444 Biebertal-Frankenbach

48 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 49 – 58 (2017)

Bestandsentwicklung der Feldlerche (Alauda arvensis) am Flughafen Frankfurt/Main von Thorsten Haver & Jürgen Ebert, Frankfurt am Main Keywords: Alauda arvensis, Bestandsentwicklung, Flughafen Frankfurt/Main

Zusammenfassung difference are mainly due to the different method with a higher amount of unattrac- Im Jahr 2000 wurde eine Studie zur tive sites. Thus this study shows no con- Brutbestandsdichte der Feldlerche (Alauda siderable decline of the population of arvensis) auf dem Gelände des Flughafens skylarks. The grassland of Frankfurt Air- Frankfurt/Main mit dem Ergebnis einer port (FRA) stays an important habitat for hohen Dichte durchgeführt. Aufgrund des skylarks. allgemeinen Trends einer weiteren Bestands- abnahme dieser Art auf landwirtschaftlichen Flächen wurde im Frühjahr 2016 die Be- 1 Einführung standsentwicklung am Flughafen Frankfurt/ Main mit Hilfe der Revierkartierung erneut Die Feldlerche ist ein Singvogel mit untersucht. Die Ergebnisse zeigen mit einer Kopf-Schwanz-Länge von 18 cm durchschnittlich 5,6 Revieren pro 10 Hektar (Pätzold 1983). Ihre Verbreitung reicht – statt 7 in 2000 – eine nur marginal niedri- heute von Mitteleuropa und Vorderasien bis gere Dichte. Ursachen dafür sind vor allem Innerasien, wobei auch ihre ursprüngliche methodisch bedingt, da auch unattraktivere Heimat in den Steppengebieten Innerasiens Areale des Flughafens untersucht wurden. liegt (Schön 1999). Die Feldlerche gilt als Somit konnte in dieser Studie kein erheb- Kulturfolger. Erst mit Zunahme der Land- licher Bestandsrückgang der Feldlerche fest- wirtschaft – vor allem des Ackerbaus – gestellt werden. Demnach bleibt der Flug- konnte die Art nach Westeuropa und da- hafen Frankfurt/Main ein bedeutender Le- mit auch nach Deutschland einwandern bensraum für die Feldlerche. (Pätzold 1983). Hier findet die Feldlerche, insbesondere auf Grünlandflächen und in Ackerbaugebieten mit vornehmlich Getrei- Summary deanbau, die präferierten Habitatbedingun- gen vor (Handke & Handke 1982, Fuller A study on the density of breeding et al. 1995). Ebenfalls werden geeignete Le- skylarks (Alauda arvensis) was performed bensraumeigenschaften in küstennahen Re- in the year 2000 at Frankfurt Airport (FRA). gionen auf Feucht- und Salzwiesen erreicht It showed a high density of territories. (Delius 1963, 1965). Geeignete Habitat- However, the population of Skylarks de- bedingungen für die Feldlerche zeichnen clines in agricultural landscapes. Therefore, sich vor allem durch weite offene Land- a consecutive study on the population of schaften möglichst extensiver Nutzung und skylarks at Frankfurt Airport (FRA) was mit wenigen vertikalen Strukturen aus. Aus performed in 2016 using the territory mapp- diesen Gründen wird die Art auch aus öko- ing method. The results of this study show logischer Sicht zu den Vögeln der weiträu- 5.6 territories of breeding skylarks per 10 mig offenen Landschaften gezählt. hectares. This is nearly the same density Im Zuge der Intensivierung der Land- compared to the year 2000. Reasons in the wirtschaft kam es zu einer Reihe von Ver-

49 änderungen wie Flurbereinigungen, Zusam- Dichte von 5,5 Revieren pro 10 ha ermittelt. menlegung von Ackerflächen, starker Dün- Henning et al. 2003 konnten mit den er- gung und intensivem Herbizideinsatz. Wie zielten Ergebnissen die herausragende Be- auch andere Arten der Wiesenvögel erlitt deutung der Grünflächen des Flughafens die Feldlerche durch diese Veränderungen Frankfurt/Main zeigen. Es wird vor allem starke Bestandseinbrüche (Busche 1989). auf die hervorragend ausgeprägten Habitat- Schon Bauer & Berthold 1996 erklärten parameter hingewiesen: trockener Sand- den einst sehr häufigen Vogel für gefährdet. boden und niedrige Vegetation in Kom- In der Roten Liste der Bundesrepublik bination mit geringer Bodendeckung auf Deutschland wird die Art als gefährdet (Kate- einigen Flächen, die zusätzlich Nahrungs- gorie 3) eingestuft. In Hessen wird sie in der suche und Nestanlage begünstigt. Vorwarnliste (Kategorie V) geführt (Grüne- Wird allerdings die Gesamtpopulation berg et al. 2015, VSW & HGON 2014). der Feldlerche in Hessen bzw. in Deutsch- Die besonderen Habitatansprüche der land betrachtet, so zeigt sich immer noch ein Feldlerche wie auch anderer Agrarvögel stark rückläufiger Trend in den Bestands- werden zunehmend durch die intensive zahlen dieser Art (Stübing & Meier 2017). landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr Ob dieser Trend auch in für die Feldlerche erfüllt. Somit ist die Feldlerche auf lebens- geeigneten Habitaten zu beobachten ist, raumverbessernde Maßnahmen oder geeig- soll diese Studie klären. Aus diesem Grund nete Ersatzlebensräume angewiesen. Erstere wurde die im Jahr 2000 durchgeführte können durch Maßnahmen in der Land- Untersuchung zur Bestandssituation im Jahr wirtschaft erreicht werden. Hier kommen 2016 wiederholt. Dabei wurde die Bestands- vor allem so genannte Lerchenfenster oder entwicklung seit dem Jahr 2000 unter Be- doppelte Reihenabstände bei der Einsaat rücksichtigung auch der neuen Landebahn von Getreide in Betracht (Fuchs & Stein- Nordwest erfasst. bachinger 2008, Oberwelland & Nott- meyer-Linden 2009, Sacher & Bausch- mann 2011). Geeignete Ersatzlebensräume 2 Methoden stellen große, weitestgehend offene und mög- lichst extensiv genutzte Grünländereien dar. 2.1 Datenbestand Diese Habitatbedingungen sind bei den Grünländereien mitteleuropäischer Flughä- Bereits im Jahr 2000 wurde eine Unter- fen gegeben. Aus Flugsicherheitsgründen suchung des Vorkommens der Feldlerche finden sich hier im Rollfeld kaum vertikale am Flughafen Frankfurt/Main von Henning Strukturen. Die Grünflächen unterliegen et al. 2003 durchgeführt. Der Datenbestand einer extensiven Bewirtschaftung. Beson- liegt dieser Studie zu Grunde und dient ders die zusammenhängenden Grünflächen der Einschätzung der Bestandsentwicklung des Vor- und Rollfeldes des Flughafens der Feldlerche auf dem Flughafengelände. Frankfurt/Main sind von solch einer bedeu- So konnten durch direkten Vergleich Rück- tenden Größe, wie es in den landwirtschaft- schlüsse auf Zu- oder Abnahmen im Be- lichen Gebieten in Deutschland kaum mehr stand gezogen werden. zu finden ist. Schon im Jahr 2000 wurde in Teilbe- reichen der Grünflächen des Flughafens eine 2.2 Datenerfassung Studie zur Feldlerchendichte durchgeführt (Henning et al. 2003). Die Ergebnisse zei- Für die Erfassung der Daten zur Feld- gen einen im Vergleich mit der Literatur lerchendichte auf dem Vor- und Rollfeld des sehr guten Bestand. Für das Parallelbahn- Flughafens wurde das Gelände in drei große system wurde eine Dichte von 8,5 und für Bereiche eingeteilt. Es handelt sich um das den Bereich der Startbahn 18 West eine Parallelbahnsystem, die Startbahn 18 West

50 sowie um die Landebahn Nordwest. Dieser Erhebungen wurden im Abstand von sieben Einteilung liegen unterschiedliche Habitat- Tagen an angegebenen Terminen im Jahr elemente sowie die Existenzdauer der 2016 durchgeführt (s. Tab. 1). Der Beginn Flächen zugrunde. So ist das Parallelbahn- der Erhebungen erfolgte mit Sonnenauf- system das älteste Grünland am Flughafen gang an unterschiedlichen Stellen, so dass (Ursprungsflächen von 1936), das die wei- die verschiedenen Bereiche auch zu wech- testen offenen Flächen beherbergt und in selnden Tageszeiten befahren wurden. Eine weiten Teilen einem im landwirtschaftlichen Erhebungsfahrt umfasste jeweils das ge- Rahmen extensiv bewirtschafteten Grün- samte Kartiergebiet und dauerte ca. vier land am nächsten kommt. Die Flächen der Stunden. Startbahn 18 West sind hingegen rings her- um von Wald umgeben, so dass hier verti- kale Strukturen zum Tragen kommen. Das 2.3 Datenauswertung Grünland ist jünger (Inbetriebnahme 1984) und weist zu großen Teilen andere Pflanzen- Nach der Erfassung der Feldlerchen auf gesellschaften auf (vornehmlich Heide und dem Flughafengelände fand die Datenaus- Magerrasen). Die Landebahn Nordwest wertung mittels Google Earth Pro (Google beherbergt das jüngste Grünland seit der Earth Version 7.3.0; Google Inc.) und Excel Inbetriebnahme im Jahr 2011. Auch hier statt. Dazu wurden die erhobenen Da- ist teilweise Wald an die Grünflächen an- tenpunkte (revieranzeigendes Verhalten) in schließend. Es hat sich noch keine vollstän- die digitale Karte eingetragen. Nachdem dig geschlossene Vegetationsschicht gebil- alle sechs Begehungen in diese Karte aufge- det. Vegetationssoziologisch setzen sich die nommen waren, konnten die Reviere abge- Grünlandflächen des Flughafens im Wesent- grenzt werden. Dabei bildeten mindestens lichen zusammen aus Elementen der annu- drei Nachweise revieranzeigenden Verhal- ellen Ruderalgesellschaften (Sisymbrietalia), tens ein Revier. Ebenfalls mittels Google der Sandmagerrasen (Thero-Airetalia, Cory- Earth wurde zum Schluss eine Karte mit den nephoretalia), Sandtrockenrasen (Koelerio- Revieren der Feldlerche erstellt. Corynephoretea) sowie der Borstgrasrasen und Heiden (Nardo-Callunetea) (Malten et al. 2005). 3 Ergebnisse Die Datenerfassung selbst wurde in den gesamten Grünflächen des Vor- und Roll- 3.1 Vorkommen am Flughafen feld abzüglich der das Grünland zerschnei- Frankfurt/Main denden Rollbahnen durchgeführt (gesamt 611 ha, davon 336 ha Parallelbahnen, 133 ha Die Untersuchung auf den Grün- Startbahn 18 West und 142 ha Landebahn flächen des Vor- und Rollfeldes des Flug- Nordwest). Die Methode zur Erfassung hafens Frankfurt/Main ergab eine Gesamt- der Feldlerchen war die Revierkartierung zahl kartierter Feldlerchen (singende (Bibby et al. 1995, Südbeck et al. 2005). Es Männchen und Individuen mit revieran- wurden revieranzeigende Verhaltensweisen zeigendem Verhalten in Bodennähe ohne der einzelnen Individuen registriert und in Gesang) von 1705 Feldlerchen aufgeteilt einer Karte vermerkt. Die laut Südbeck et al. auf sechs Begehungen. Im Durchschnitt 2005 empfohlene Begehungshäufigkeit wur- wurden dabei pro Begehung 284 Feld- de verdoppelt, um bei der Größe der zu un- lerchen mit revieranzeigendem Verhalten tersuchenden Fläche die Ergebnisse der erfasst. Es ist ein Anstieg der Anzahl erfas- Kartierung zu verbessern. Dabei wurde den- ster Individuen bis zur dritten und vier- noch die Problematik von Revierverschie- ten Begehung zu erkennen. Anschließend bungen beachtet und nicht später als Mitte nimmt die Anzahl kartierter Feldlerchen Mai kartiert (Südbeck et al. 2005). Die wieder ab (Tab. 1).

51 Aus den Einzelnachweisen kartierter 229 Brutrevieren auf. Dies entspricht etwa Feldlerchen ergab sich eine gesamte Revier- sieben (6,8) Revieren/10ha (s. Abb. 1). Auf anzahl von 364 Brutrevieren auf den Grün- den Flächen der Startbahn 18 West sowie der flächen des Flughafens. Bezogen auf die Landebahn Nordwest sind die Revieran- gesamte Untersuchungsfläche ergeben sich zahlen nahezu identisch und liegen bei 68 dabei fast sechs Reviere pro zehn Hektar Revieren (Startbahn) (s. Abb. 2) und 67 Re- Fläche. Betrachtet man die drei Teilflächen vieren (Landebahn) (s. Abb. 3). Bezogen auf des Flughafengeländes einzeln, so weist das zehn Hektar sind es in beiden Fällen etwa Parallelbahnsystem die höchste Anzahl mit fünf (5,2 und 4,7) Reviere.

Tabelle 1: Anzahl der bei den einzelnen Begehungen des Flughafens Frankfurt/Main erfassten Feldlerchen. Lfd. Nr. Datum der Begehung Individuenzahl 1 30.03.2016 286 2 08.04.2016 301 3 18.04.2016 327 4 26.04.2016 324 5 04.05.2016 215 6 12.05.2016 252 gesamt 1705 ɂ 284

Abb. 1: Lage der Feldlerchenreviere (rote Umrandungen) im Teilbereich Parallelbahnsystem des Flughafens Frankfurt/Main.

52 Abb. 2: Lage der Feldlerchenreviere (rote Umrandungen) im Teilbereich Startbahn 18 West des Flughafens Frankfurt/Main.

Abb. 3: Lage der Feldlerchenreviere (rote Umrandungen) im Teilbereich der Landebahn Nord- west des Flughafens Frankfurt/Main.

53 3.2 Bestandsentwicklung den Verlauf des Brutgeschäftes erklären. Der im Vergleich zu 2000 Zug der Feldlerche reicht bis Ende März (Bornholdt 1993), kann in Einzelfällen Im Jahr 2000 wurde das Vorkommen aber auch bis Mitte Mai nachgewiesen wer- der Feldlerche auf dem Flughafen in Teil- den (Glutz von Blotzheim 1985). Wäh- bereichen der Parallelbahnen sowie der rend der ersten beiden Begehungen konnten Startbahn 18 West erfasst. Für die Teilbe- weniger Individuen nachgewiesen werden reiche der Parallelbahnen konnte eine als bei den folgenden zwei Begehungen. Dichte von 8,5 Revieren und für die Teil- Somit kann davon ausgegangen werden, bereiche der Startbahn 18 West eine Dichte dass zu Beginn dieser Studie das Zugge- von 5,5 Revieren pro 10 Hektar Fläche er- schehen noch nicht vollständig abgeschlos- mittelt werden (Henning et al. 2003). Im sen war. Dennoch beginnen die Männchen Durchschnitt lag die Dichte demnach bei in dieser Phase mit dem Besetzen der 7 Revieren im Jahr 2000 (s. Tab. 2). Bei den Territorien. Dieses Verhalten hatte schließ- Untersuchungen dieser Studie konnten für lich seinen Höhepunkt während der dritten die Parallelbahnen (gesamtes Areal) eine und vierten Begehung. Die Weibchen begin- Dichte von 6,8 Revieren sowie für die nen nach der Fertigstellung des Nestes und Startbahn 18 West (ebenfalls gesamtes Areal) der daran anschließenden Eiablage mit dem eine Dichte von 5,2 Revieren pro 10 Hektar Brüten (Delius 1963). Dies ist anhand der festgestellt werden. Zusätzlich wurde in die- niedrigeren Nachweiszahlen während der ser Studie noch das gesamte Areal der Lande- fünften und sechsten Begehung zu erkennen. bahn Nordwest (4,7 Reviere/10 ha) erfasst. Bei der Revieranzahl zeigt sich ein Brut- Der Durchschnitt bei dieser Studie liegt bestand von 5,6 Revieren/10 ha kartierter nun bei 6 Revieren pro 10 Hektar (s. Tab. 2). Fläche im Schnitt für das gesamte Flug- hafengelände. Dabei kam der Bereich der Parallelbahnen auf eine Dichte von 6,8 4 Diskussion Revieren, die Startbahn 18 West auf eine Dichte von 5,2 und für die Landebahn Im Jahr 2016 wurde eine Untersuchung Nordwest konnte eine Dichte von 4,7 Re- zur Bestandsdichte der Feldlerche auf den vieren/10 ha nachgewiesen werden. Im Ver- Grünflächen des Flughafens Frankfurt/ gleich mit anderen Grünländereien liegt Main mit Hilfe der Revierkartierung durch- dieser Wert im mittleren Bereich. Die geführt. Die Ergebnisse zeigen im Gesamten höchsten Dichten der Feldlerche wurden ca. 1700 kartierte Feldlerchen. Durch- mit 16,2 (Busche 1982), 14 (Davies 1981) schnittlich ergeben sich pro Begehung 284 und 13,4 Revieren/10 ha (Gloe in Glutz Individuen. Unterschiede in der nachgewie- von Blotzheim 1985) auf küstennahen senen Anzahl lassen sich vor allem durch Salz- und Marschländern nachgewiesen. Auf

Tabelle 2: Vergleich der Revierdichte der Feldlerche in den Teilbereichen des Flughafens Frank- furt/Main über die Jahre 2000 und 2016. Teilbereich Revierdichte in 2000 Revierdichte in 2016

Parallelbahnen 8,5 6,8 Startbahn 18 West 5,5 5.2 Landebahn Nordwest 0* 4,7 ɂ 76 *Landebahn Nordwest im Jahr 2000 noch nicht existent

54 extensiv genutztem Wiesen- und Weideland nahmen unterstützte Drainage gefördert. in den küstennahen Grünländereien des Nicht zuletzt führt die extensive Bewirt- Tieflandes werden Dichten zwischen 11 und schaftung ohne Düngereinsatz an vielen 8 Revieren/10 ha erreicht (Busche 1982). Im Stellen zu einer kargen Vegetationsschicht. extensiv genutzten Grünland des küstenfer- In diesem Zusammenhang sind auch die nen Binnenlandes kommen hohe Feldler- Gefährdungsfaktoren zu frühe und zu häu- chendichten nur noch lokal vor und liegen fige Schnitte (Baldwin 2002) nicht vor- maximal bei 8,5 Revieren pro 10 ha. handen. Auf den überwiegenden Flächen In Studien auf anderen Flughäfen wur- des Flughafens erfolgt lediglich eine Mulch- den 4,5 (Flughafen Zürich-Klothen; Gries- mahd pro Jahr im Spätsommer/Herbst auf ser & Hegelbach 1999) und 2,1 Reviere/ ca. 20 cm Schnitthöhe. 10 ha (Berlin/Tempelhof; Ebenhöh 1978) Hervorzuheben ist auch die Vielgestal- gefunden. Somit liegen die erreichten Feld- tigkeit des Flughafengeländes, die großräu- lerchendichten im Vergleich mit anderen mig kaum auffällt. Bei genauerer Betrach- Flughäfen in einem verhältnismäßig hohen tung ausgewählter Bereiche ergeben sich Bereich und im Vergleich mit binnenländi- jedoch kleinräumig deutliche Unterschiede schem Grünland in einem sehr guten sowohl in der Bodenfeuchte als auch in der Bereich. Beschaffenheit der Vegetation (Deckungs- Damit zeigt sich auch die hohe Bedeu- grad, Höhe, Pflanzengesellschaft). In diesem tung des Grünlandes auf Flughäfen, hier ins- Zusammenhang lassen sich auch die Unter- besondere des Flughafens Frankfurt/Main, schiede der Revierdichte in den Teilbe- als ein sehr wichtiges Habitat für die Feld- reichen des Flughafengeländes erklären. Die lerche. Auf dem Flughafengelände findet gute Ausprägung der Habitatparameter ge- sich extensives Grünland von besonders ringe Vegetationshöhe, Verfügbarkeit vege- großer, zusammenhängender Fläche. Es tationsfreier Flächen mit offenem und zeigte sich bei der Kartierung, dass sogar trockenem Boden sowie reich strukturierte die versiegelten Rollbahnen zwischen den Vegetation unterscheidet sich in den Grünflächen von den Feldlerchen genutzt Flächen. Im Parallelbahnsystem befindet werden. Dies konnten auch Henning et al. sich das älteste und damit am besten aus- (2003) schon nachweisen. Zudem stimmen geprägte extensive Grasland, weshalb auch die Vegetationstypen sowie das Fehlen von hier die höchsten Feldlerchendichten zu fin- vertikalen Strukturen mit den Habitatan- den sind. Dagegen sind die Grünflächen der sprüchen der Feldlerche überein. Die Art erst 2011 in Betrieb genommenen Lande- bevorzugt für die Nestanlage eine karge bahn Nordwest noch vergleichsweise jung. Vegetation mit offenen Stellen (Pätzold Hier ist noch eine insgesamt sehr niedrige 1983). Idealerweise beträgt die Vegetations- und karge Vegetationsschicht ausgeprägt, höhe an einem Neststandort 15 bis 20 cm die weniger Nahrungsversorgung bietet. und weist eine Bodenbedeckung von 20 bis Dadurch kommt es zur geringsten Dichte 50 Prozent auf (Jenny 1990a, 1990b). Auf dieser Studie im Bereich der Landebahn feuchten Böden und in der Nähe vertikaler Nordwest. Im Vergleich mit den Parallel- Strukturen (Bäume, Sträucher, technische bahnen zeigt auch der Bereich der Startbahn Strukturen) ist die Revierdichte geringer. 18 West eine verringerte Dichte der Feld- So ist die hohe Feldlerchendichte auf dem lerchenreviere. Hier ist der Einfluss vertika- Flughafengelände durch eine sehr gute Aus- ler Strukturen in Randbereichen entgegen prägung der benötigten Habitatparameter Schäfer (2001) deutlich zu erkennen. Die zu erklären. Aus Gründen der Flugsicher- Feldlerche meidet den Randbereich der an heit (Hindernisfreiheit) finden sich nur den Wald angrenzenden Grünflächen. Auf die notwendigsten vertikalen Strukturen im der westlichen Seite der Startbahn zeigt sich Rollfeld. Des Weiteren wird ein trockener zudem, dass die dort großflächig vorhande- Sandboden durch eine mit technischen Maß- ne Heide die Habitatqualität für die Feld-

55 lerche zu schmälern scheint. Die Heide bil- Busche, G. (1982): Zur Reviererfassung bei det hier dichte, krautige und kaum durch- der Feldlerche nach der Kartierungs- dringbare Teppiche aus. methode. – Vogelwelt 103: 71 – 73. Dies schlägt sich auch bei dem Vergleich Busche, G. (1989): Drastische Bestandsein- mit dem Jahr 2000 nieder. In der vorliegen- bußen der Feldlerche Alauda arvensis den Studie wurde das gesamte Flughafen- auf Grünlandflächen in Schleswig- areal untersucht und nicht nur ausgewählte Holstein. – Vogelwelt 110: 51 – 59. Bereiche, wie es Henning et al. (2003) Davies, S. (1981): Skylarks at Gibraltar durchgeführt hatten. Dadurch ergibt sich, Point, Lincolnshire. – Ring. & Migr. dass ein deutlich höherer Anteil an Rand- 3: 173 – 179. bereichen, nämlich im Areal der Startbahn Delius, J. D. (1963): Das Verhalten der 18 West die für die Feldlerche unattraktivere Feldlerche. – Zeitschrift für Tier- westliche Seite sowie die jungen Flächen der psychologie 20: 297 – 348. Landebahn Nordwest, mit erfasst wurden. Delius, J. D. (1965): A population study In der mittleren Revierdichte spiegeln sich of skylarks Alauda arvensis. – Ibis diese Einflüsse wider. Da der Unterschied 107: 444 – 492. dennoch nur sehr gering ausfällt, kann in Ebenhöh, H. (1978): Sommervögel des Bezug auf die Bestandsentwicklung ge- Tempelhofer Flugfeldes 1977. – schlossen werden, dass die Feldlerche auf Orn. Ber. f. Berlin (West) 3: 62 – 64. dem Flughafen Frankfurt/Main keinen er- Fuchs, S. & K Stein-Bachinger (2008): heblichen Bestandsrückgang zu verzeichnen Naturschutz im Ökolandbau – Praxis- hat. handbuch für den ökologischen Acker- Der Feldlerchenbestand auf dem Flug- bau im nordostdeutschen Raum. – hafen stellt einen für die Region und auch Bioland Verlags GmbH; Mainz, 144 S. weit darüber hinaus bedeutenden Bestand Fuller, R. J., D. W. Gregory, D. W. auf sehr großer zusammenhängender Fläche Gibbons, J. H. Marcjant, J. D. dar. Zusammenfassend lässt sich festhalten, Wilson, S. R. Baillie & N. Carter dass der Flughafen Frankfurt/Main als ein (1995): Population declines and range Rückzugsgebiet für die Feldlerche und concentrations among lowland farm- ebenfalls auch andere Kleinvogelarten des land birds in Britain. – Conservation Offenlandes betrachtet werden kann. Biology 9: 1425 – 1441. Glutz von Blotzheim, U. N. Ed. (1985): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. 5 Literatur Passeriformes (1. Teil) Alaudidae – Hirundinidae. – Wiesbaden Baldwin, P. (2002): Wenn’s den Wiesen- S. 229 – 281. vögeln zu grün wird. – Vogel & Luft- Griesser, M. & J. Hegelbach (1999): verkehr 22: 37 – 45. Territorialität und Brutbiologie der Bauer, H.-G. & P. Berthold (1996): Die Feldlerche Alauda arvensis in extensiv Brutvögel Mitteleuropas – Bestand und bewirtschafteten Wiesen des Flug- Gefährdung. – Aula Verlag Wiesbaden. hafens Zürich. – Ornithol. Beobachter Bibby, C. J., N. D. Burgess & D. A. Hill 96: 73 – 82. (1995): Methoden der Feldornitho- Grüneberg, C., H. G. Bauer, H. Haupt, logie. – Bestandserfassung in der O. Hüppop, T. Ryslavy & P. Südbeck Praxis. Neumann Verlag Radebeul. (2015): Rote Liste der Brutvögel Bornholdt, G (1993): Feldlerche – Deutschlands, 5. Fassung, 30. Novem- Alauda arvensis. – In: Hessische ber 2015. Berichte zum Vogelschutz Gesellschaft für Ornithologie 52: 19 – 67. und Naturschutz (Hrsg., 1993 – Handke, K. & U. Handke (1982): Die 2000): Avifauna von Hessen. Echzell. Avizönose einer oberrheinischen

56 Agrarlandschaft. – Anz. orn. Ges. Bevorzugt die Feldlerche (Alauda Bayern 21: 137 – 151. arvensis) Störstellen im Kümmer- Haupt, H., G. Ludwig, H. Gruttke, M. wuchs? – Journal für Ornithologie Binot-Hafke, C. Otto & A. Pauly 140: 87 – 91. (2009): Rote Liste gefährdeter Tiere, Stübing, S. & L. Meier (2017): Bestands- Pflanzen und Pilze Deutschlands; entwicklung der Feldlerche (Alauda Band 1: Wirbeltiere. – Bundesamt für arvensis) in Hessen – Vergleich zweier Naturschutz, Bonn-Bad Godesberg; Kartierungen in den Jahren 1998 und Naturschutz und Biologische Vielfalt 2015. – Vogel & Umwelt 22: 43 – 48. 70 (1) 386 S. Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, Henning, F. W., B. Petri, V. Wolters K, Gedeon, T. Schikore, (2003): Zur Feldlerchendichte auf dem K. Schröder & C. Sudfeld (2005): Flughafen Frankfurt Main. – Vogel & Methodenstandards zur Erfassung der Luftverkehr 23: 53 – 61. Brutvögel Deutschlands. – Radolfzell. Jenny, M. (1990 a): Populationsdynamik VSW & HGON (Staatliche Vogel- der Feldlerche Alauda arvensis in schutzwarte für Hessen, Rhein- einer intensiv genutzten Agrarland- land-Pfalz und Saarland & Hessi- schaft des schweizerischen Mittel- sche Gesellschaft für Ornitho- landes. – Ornitholog. Beobachter logie und Naturschutz) (2014): 87: 153 – 163. Rote Liste der bestandsgefährdeten Jenny, M. (1990b): Territorialität und Brutvogelarten Hessens. (10. Fas- Brutbiologie der Feldlerche Alauda sung/Mai 2014). – Hrgb. Hessisches arvensis in einer intensiv genutzten Ministerium für Umwelt, Klima, Agrarlandschaft. – Journal für Landwirtschaft und Verbraucher- Ornithologie 131: 241 – 265. schutz, Wiesbaden. Malten, A., D. Bönsel, G. Zizka (2005): Erfassung von Flora, Fauna und Vegetation auf dem Flughafen Frankfurt am Main. – Arbeitsgruppe Biotopkartierung, Forschungsinstitut Senckenberg, 116. S., unveröff. Oberwelland, C. & K. Nottmeyer- Linden (2009): Praktische Schutz- maßnahmen für Feldvögel. – Natur in NRW 3/09: 31 – 33. Pätzold, R. (1983): Die Feldlerche. – Neue Brehm Bücherei. A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt . Sacher, T. & G. Bauschmann (2011): Artenhilfskonzept für die Grauammer (Miliaria calandra) in Hessen. – Gut- Manuskript eingereicht am 09.03.2017, achten der Staatlichen Vogelschutz- angenommen am 18.04.2017 warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland; Reichelsheim, 144 S. + 9 S. Anhang. Anschrift der Verfasser: Schäfer, T. (2001): Die Feldlerche Alauda Thorsten Haver & Jürgen Ebert, arvensis als Brutvogel halboffener Land- Fraport AG, schaften. – Vogelwelt 122: 257 – 263. Wildlife Management, Schön, M. (1999). Zur Bedeutung von D-60547 Frankfurt am Main Kleinstrukturen im Ackerland: E-Mail: [email protected]

57 Die Feldlerche benötigt schütter bewachsenen Boden, auch zum Sandbaden (Foto: Alfred Limbrunner).

58 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 59 – 66 (2017)

Zum Brutbestand des Kiebitzes (Vanellus vanellus) in Hessen 2016 von Stefan Stübing, Bad Nauheim und Matthias Werner, Frankfurt am Main Keywords: Vanellus vanellus, Brutbestand, 2016, Bestandsentwicklung, Hessen

Zusammenfassung des Kiebitzes und der anderen Wiesenvogel- arten vor allem im Wetteraukreis entwickel- Der Kiebitz zählt in Hessen zu den ten sich in den letzten Jahren in verschie- besonders bestandsbedrohten Vogelarten. denen weiteren Landkreisen in Hessen Im Vergleich zum Vorkommen in den Kiebitzschutzprojekte. Während eines 1970er Jahren ist mit dem Bestand von etwa Workshops am 21.11.2016 in der Staatlichen 300 Paaren in den letzten zehn Jahren (2016 Vogelschutzwarte in Frankfurt wurden die wurden 289 bis 300 Paare gemeldet) ein dabei gewonnenen Erfahrungen zusammen- Rückgang um etwa 90 Prozent festzustellen. getragen und diskutiert. In diesem Rahmen In den letzten Jahren scheint der Bestand wurden auch die aktuellen Bestandszahlen aufgrund vielfältiger Schutzmaßnahmen dargestellt. Diese Angaben sollen hier zu nicht weiter abzunehmen, doch gibt der einem landesweiten Bestandsüberblick zu- nach wie vor geringe Bruterfolg großen sammengeführt werden. Die Einzelmeldun- Anlass zur Sorge. Zukünftige Schutzmaß- gen sind im Internetportal www.ornitho.de nahmen müssen daher unbedingt auch einen dokumentiert. ausreichenden Bruterfolg ermöglichen. Ein herzliches Dankeschön allen Betei- ligten, ohne die ein derart detaillierter und vollständiger Überblick nicht möglich ge- Summary wesen wäre. Die Mitarbeiter, Melder und Koodinatoren aus den einzelnen Landkrei- The Northern Lapwing is one of the sen sind Tabelle 1 zu entnehmen. most endangered bird species in the federal state of Hesse. Since the seventies a dramatic decline of 90% of the breeding population 2 Ergebnisse was detected. Recently about 300 pairs are breeding in Hesse (2016: 289 to 300 Die aktuelle Situation in den hessischen breeding pairs were recorded). In the last Landkreisen im Vergleich zur besonders ten years the breeding population seem to umfassenden Erfassung im Rahmen der Kar- stabilize, most probably because conserva- tierungen zum Atlas Deutscher Brutvogel- tion measures and projects has been going arten (ADEBAR) in den Jahren 2005 bis on for several years in the most important 2009 ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Dabei regions. Breeding success is in general still ist zu berücksichtigen, dass der tatsächliche low. Therefore, future conservation efforts Gesamtbestand innerhalb der einzelnen should even more focus on a sufficient Jahre von 2005 bis 2009 deutlich niedriger breeding success. liegt als die Summe von 349 bis 383 Revieren über den fünfjährigen Zeitraum (Stübing et al. 2010). 1 Einleitung, Fragestellung und Dank Der Gesamtbestand im Jahr 2010 lag nach einer Umfrage unter den Regional- Neben den schon langjährig durchge- koordinatoren der HGON bei etwa 300 führten, intensiven Maßnahmen zum Schutz Revieren (Stübing & Bauschmann 2011).

59 Tabelle 1: Bestand des Kiebitzes in den hessischen Landkreisen 2005 bis 2009 nach Angaben von Stübing et al., zusammen gefasst im Artenhilfskonzept (AHK) für den Kiebitz (Stübing & Bauschmann 2011) sowie im Jahr 2016 (Workshop Kiebitzbetreuer/in der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland [VSW] am 21.11.2016; Quelle: www.ornitho.de). Reihenfolge der Landkreise von Nord nach Süd. Bp = Brutpaare, Rev = Reviere.

Landkreis Anzahl Bp/Rev Anzahl Bp/Rev 2016 (Abk.) 2005 – 2009 (Quelle)/Bemerkungen Kassel (KS) 8 (2004/05) 2 (H. Haag mdl.) Waldeck-Fran- 0 – 1 (2006 – 08) 0 (W. Lübcke mdl.) kenberg (KB) Schwalm-Eder 10 – 12 (2004/05) 6 – 8: letzter Restbestand von im Jahr 1994 noch 120 Bp (HR) konzentriert sich auf den Raum Wabern-Borken- Haarhausen; 2016 erstmals seit Jahren wieder Bruterfolg durch Einsatz eines Schutzzaunes im HGON- Projektgebiet Ehemalige Schlämmteiche nördlich von Wabern (3 Bp, davon 2 mit 8 juv., die z. T. flügge wurden; 1 Bp mit 2 juv. Zuckerfabrik Wabern [C. Gelpke, M. Gunia, A. Krüger-Wiegand, B. Meise, M. Weinmeister]) Werra-Meißner ca. 10 0?: im VSG Rendaer Höhe als wohl letztem Brutplatz (ESW) kein Vorkommen mehr (zuletzt hier 2 kurzzeitig balzende Paare im April 2014; W. Brauneis) Hersfeld- ca. 10 3: NSG Rhäden von Obersuhl: 1 Bp mit 3 juv, zudem Rotenburg 2 erfolglose Paare (T. Sacher); zudem Aprilbeobachtung (HEF) in der Fuldaaue bei Bebra (A. Werner) Marburg- 10 – 15 22 Bp, 6 Brutverdachte im Amöneburger Becken und Biedenkopf (2002/03) Lahntal sowie nördlich von Stadtallendorf (A. Trepte, (MR) M. Sommerhage, U. Mothes-Wagner, G. Wagner): Erfolgreiche Bruten konnten fast ausschließlich im Bereich eines Prädatorenschutzzaunes ermittelt werden, 11 der übrigen 16 Paare waren erfolglos. Erfreulich ist, dass keine Verluste durch landwirtschaftliche Tätigkeiten entstanden sind (Sommerhage 2016) Lahn-Dill 14 – 19 3: letztes Brutgebiet im NSG Aartalsperre mit zwar regel- (LDK) (2005 – 07) mäßigem Schlupferfolg auf den Inseln, aber dann Jungenverlust durch Prädation nach Abwanderung in die Uferbereiche (W. Schindler) Gießen (GI) 25 (2009) s. Wetterau Wetterau 100 – 120 124: Ganz überwiegend Bruten in Schutzgebieten in (FB) (2006 – 2010) beweidetem Feuchtgrünland und an Wasserflächen bzw. auf Inseln in Wasserflächen (R. Eichelmann, AK Wiesenvogelschutz, W. Schmidt, J. Tiefenbach, S. Stübing u. a.); Bruterfolg meist gering, aber in einem Schutzzaunareal sehr hoch mit 18 Brutpaaren, davon mindestens 12 erfolgreich mit mind. 32 geschlüpften Jungen, von denen wohl mehr als 28 flügge wurden (tatsächlicher Wert mit Umfeld eher 15 erfolgreiche Paare mit > 32 juv., also 1,8 juv/Paar bzw. 2,1 juv/erfolgreiches Paar; Stübing & Bauschmann in diesem Band) Vogelsberg (VB) ca. 5 0: M. Georg (mdl.)

60 Tabelle 1: Fortsetzung

Landkreis Anzahl Bp/Rev Anzahl Bp/Rev 2016 (Abk.) 2005 – 2009 (Quelle)/Bemerkungen Fulda (FD) 3 – 4 0: letzter, langjährig besetzter Brutplatz von 1 Bp im Indu- striegebiet Hünfeld zuletzt 2014 genutzt und nach Baumaß- nahmen ab 2015 aufgegeben (Frau Hempel, RP Kassel, mdl.) Main-Kinzig 15 7 – 9: 1 – 2 Bp auf HGON-Schutzfläche und 2 – 3 Bp (MKK) auf Maisäckern in der Kinzigaue Langenselbold mit zu- sammen 8 juv. sowie 4 Bp mit 1 juv. auf Maisäckern bei Hasselroth (Sauerbrei 2016) Limburg- 4 0: F. Muth u. A. Reifenberg (mdl.) Weilburg (LM) Rheingau- 0 0: J. Reufenheuser (mdl.) Taunus/ Wiesbaden (RÜD/WI) Main-Taunus ca. 10 0; 2 – 3 Bp letztmals im Jahr 2013 (M. Orf mdl.) (MTK) Hochtaunus 00 (HG) Frankfurt 0 0 (zuletzt 1 Bp mit 4 juv auf einem offenbar prädatoren- am Main (F) freien Erdbeerfeld zwischen Bundesstraßen und BAB 5 im Jahr 2012; S. Stübing) Offenbach 3 (2008) 4: 1 Bp mit 1 juv und 1 P. auf Äckern westlich von (OF) Rödermark, 1 Bp mit 2 juv (mindestens einer wird flügge) östlich von Rödermark (M. Greve) sowie 1 Bp mit 4 juv auf Sportplatz nördlich Rödermark (R. Werner, P. Erlemann) Groß-Gerau ca. 75 82: insgesamt konnten 67 juv. festgestellt werden (H. Theiß, (GG) (2008 – 2010) M. Werner; Details s. Werner et al. in diesem Band) Darmstadt ca. 5 5 – 8: nördlich von Arheiligen auf (Brache-) Äckern Altkreis (DA) (H. Hauck) Darmstadt- ca. 30 (2008) 19 – 23: 10 bis 12 Bp im Bereich Hergershäuser Wiesen Dieburg (DA) und „Auf dem Sand“ (H. Ulrich); weiterhin 1 Bp zwischen Langstadt und Kleestadt (R. Zemke) und 3 – 4 Rev. im NSG Reinheimer Teich, an der Semme bei Lengfeld 5 – 6 Rev. mit nur 1 erfolgreichen Bp (W. Heimer) Bergstraße (HP) 12 (2006) 6: Einhäuser Bruch (B. Reif mdl.) Odenwald 0 (ERB) 0 Summe 349 – 383 289 – 300

Aktuell liegen aus dem Jahr 2016 Meldun- in der Wetterau (Wetteraukreis und Land- gen von 290 bis 300 Paaren vor, so dass durch kreis Gießen; etwa 124 Paare/Reviere) und die umfangreichen Maßnahmen im Wiesen- die Ackerbrutplätze im Kreis Groß-Gerau vogelschutz zumindest annähernd eine Sta- (etwa 82 Paare/Reviere) beherbergen zusam- bilisierung auf allerdings sehr niedrigem Ni- men 206 Paare und somit etwa zwei Drittel veau erreicht werden konnte. Die Bestände des hessischen Vorkommens (s. Abb. 1).

61 3 Diskussion 2000 Kiebitzpaare in Hessen. Auch der Vergleich der Gitterfeld-Frequenz zwischen Nach den vorliegenden Ergebnissen den Jahren um 1980 mit 346 besetzten (s. Abb. 2) ist der Kiebitzbestand in Hessen Gitterfeldern und den Ergebnissen 2016 (38 in den letzten zehn Jahren annähernd stabil, Gitterfeldern) ergibt einen Rückgang von was sicher eine Folge der sehr umfangrei- 89 Prozent (s. Abb. 3; Stübing & Bausch- chen Schutzbemühungen in vielen Gebieten mann 2011). ist, vor allem in den zahlreichen Feucht- Besonders besorgniserregend ist neben gebieten der Wetterau. Hier hat sich der Be- der geringen Bestandsgröße der über viele stand infolge intensiver Schutzmaßnahmen Jahre sehr geringe Bruterfolg der Art in seit dem Tiefstand im Jahr 2000 sogar wie- Hessen. Als Ursache dafür sind große Ver- der mehr als verdoppelt (Eichelmann et al. luste im Rahmen landwirtschaftlicher Nut- 2010). zung, aber auch eine sehr hohen Prädations- Gemessen an der Verbreitung der Art rate durch Bodenprädatoren bekannt. Vögel in den 1970er Jahren mit mehr als 2000 spielten in verschiedenen Untersuchungen Paaren (s. Abb. 2 und 3, Behrens et al. 1985, als Prädatoren hingegen keine nennenswerte Behrens 1975, 1980) stellt das aktuelle Rolle (Stübing & Bauschmann 2011, Vorkommen allerdings nur einen Anteil von Werner et al. 2017). Erst in den letzten gut zehn Prozent dar. Dabei ist zu berück- Jahren konnte der Bruterfolg in verschiede- sichtigen, dass seinerzeit nur ein Bruchteil nen Projekten durch gezielte Schutzmaß- der heute aktiven Beobachterzahl tätig war, nahmen gegenüber den Bodenprädatoren, so dass diese Ergebnisse sicherlich vielerorts vor allem den Einsatz von Schutzzäunen, unvollständig waren und der tatsächliche deutlich verbessert werden. Bestand sicherlich deutlich höher lag. Selbst Noch deutlicher wird die äußerst kriti- Ende der 1980er Jahre, also vor lediglich sche Bestandssituation des Kiebitzes im 30 Jahren, brüteten noch etwa (mindestens) Vergleich mit dem aktuellen Vorkommen

Abb. 1: Kiebitz-Bestand und Bruterfolg in den hessischen Landkreisen im Jahr 2016, sortiert nach der Größe des Brutvorkommens (Ergebnisse des Kiebitzworkshops der Staat- lichen Vogelschutzwarte am 21.11.2016 sowie Tabelle 1; im Kreis GG bezieht sich die Zahl der Jungvögel nicht auf geschlüpfte Ind., sondern auf relativ große Junge).

62 Abb. 2: Entwicklung des Kiebitz-Bestandes in Hessen anhand der Ergebnisse weitgehend vollständiger Erfassungen (Stübing & Bauschmann 2011, ergänzt).

Abb. 3: Brutverbreitung des Kiebitzes in Hessen um das Jahr 1980 (links; Behrens et al. 1985) und 2016 (Darstellung der Meldungen mit Brutzeitcode auf www.ornitho.de).

63 des Weißstorches (Ciconia ciconia). Der kommen konnte regelmäßig die Umsied- Bestand dieser in der Bevölkerung weithin lung zwischen nahegelegenen Brutvor- bekannten Flaggschiffart des Naturschutzes kommen innerhalb einer Brutsaison oder die war Mitte der 1980er Jahre mit nur noch Aufgabe von Brutplätzen mit Umsiedlung einem Brutpaar in unserem Bundesland zu anderen Vorkommen im Umfeld, z. B. praktisch erloschen. Aufgrund verschiede- durch Austrocknung von anfangs geeigne- ner Ursachen, die zu großen Teilen auch im ten Brutplätzen, beobachtet werden. Aus Winterquartier zu suchen sind, hat der Be- diesen Nachweisen lässt sich schlussfolgern, stand aber seither auf knapp 500 Brutpaare dass der Gesamtbestand durch die bislang mit 1081 ausgeflogenen Jungvögeln im Jahr angewendete Wertung der Höchstzahlen 2016 zugenommen (K. Hillerich für die pro Gebiet systematisch überschätzt wird, Arbeitsgruppe Weißstorch-Beringung in weil ein gewisser Anteil der Population in- Hessen schriftl.). folge der Umsiedlungen mehrfach gewertet Trotz ihrer geringen Anzahl kommt der wird. Um diese Fehlerquelle zu berücksich- hessischen Kiebitzpopulation im Hinblick tigen, schlagen wir vor, dass neben den üb- auf den in Mitteldeutschland überall gerin- lichen Kontrollen zukünftig landesweit gen Brutbestand, aber auch die Verbindung Synchronerfassungen jeweils in der 2. April- zwischen den nord- und süddeutschen Vor- und 2. Maidekade erfolgen und drei Zahlen kommen, eine besondere Bedeutung zu als Ergebnis der Bestandserhebung weiter- (s. Abb. 5). geleitet werden sollten: 1. Bestand Mitte April, 2. Bestand Mitte Mai, 3. Höchstzahl der im Gebiet gleichzeitig anwesenden 4 Empfehlungen für die zukünftige Paare/Reviere. Eine weitere Fehlerquelle bei Bestandserfassung der Bestandserfassung ist das regelmäßige Vorkommen intensiv balzender, aber unver- Während der intensiven Bestandserfas- paarter und daher ohne Reproduktion blei- sungen der letzten hessischen Kiebitzvor- bender Männchen. Zukünftig sollten die Er-

Abb. 4: Vergleich der Bestandsgrößen und des Reproduktionserfolgs von Kiebitz (ge- schlüpfte juv.) und Weißstorch (flügge juv.) in Hessen im Jahr 2016 (K. Hillerich schriftl.).

64 gebnisse daher weiterhin möglichst unter- Behrens, H. (1980): Die Brutvorkommen schieden werden in Brutpaare (also Männ- der Limikolen in Hessen 1977 und chen und Weibchen gemeinsam anwesend) 1978. – Vogel und Umwelt 1: 78– 84. und Reviere (mit unverpaarten Männchen). Behrens, H., K. Fiedler, H. Klamberg & K. Möbus (1985): Verzeichnis der Vögel Hessens. – Frankfurt/Main. 5 Literatur Eichelmann, R., J. Tiefenbach, U. Heckert & AG Wiesenvogelschutz Behrens, H. (1975): Zur Brutverbreitung in der Wetterau (2010): Umsetzung der Limikolen in Hessen 1974 und von Maßnahmen zum Schutz von Wie- 1975. – Luscinia 42: 191 – 198. senlimikolen in der Wetterau/Hessen. –

b n ≤ 32 b 32 < n ≤ 64 b 64 < n ≤ 100 b 100 < n ≤ 169 b n > 169

Abb. 5: Brutverbreitung des Kiebitzes in Deutschland im Jahr 2016 nach www.ornitho.de.

65 Vortrag auf dem Expertenworkshop Uferschnepfe 2010, Echzell. Sauerbrei, R. (2016): Ein gutes Jahr für den stark gefährdeten Kiebitz. – HGON-Mitgliederinfo Dezember 2016: 43. Sommerhage, M. (2016): Untersuchung der Kiebitz-Population im Landkreis Marburg-Biedenkopf (Hessen) im Jahr 2016. – Bericht im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt „Der Sympathieträger Kiebitz als Botschafter: Umsetzung eines Arten- schutz-Projektes zur Förderung des Kiebitzes in der Agrarlandschaft“ , NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe, Wetzlar, 19 S. Stübing, S. & G. Bauschmann (2011): Artenhilfskonzept Kiebitz in Hessen. – Manuskript eingereicht am 04.05.2017, Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- angenommen am 09.06.2017 warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. – Bad Nauheim. Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & Anschriften der Verfasser: M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Stefan Stübing, Die Brutvögel Hessens in Raum und Am Eichwald 27, Zeit. Brutvogelatlas. Hrsg.: Hessische D-61231 Bad Nauheim, Gesellschaft für Ornithologie und E-Mail: [email protected] Naturschutz, Echzell. Werner, M., H. Theiss, P. Pohlmann & Dr. Matthias Werner, J. Kilian (2017): Ein Funke Hoffnung Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, für den Kiebitz? – Ergebnisse eines Rheinland-Pfalz und Saarland, Schutzprojektes auf Ackerflächen Steinauer Straße 44, in Südhessen. – Vogel & Umwelt D-60386 Frankfurt am Main, 22: 81 – 96. E-Mail: [email protected]

66 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 67 – 80 (2017)

Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen für den Kiebitz (Vanellus vanellus) in Hessen von Stefan Stübing, Bad Nauheim und Gerd Bauschmann, Frankfurt am Main Keywords: Vanellus vanellus, Schutzmaßnahmen, Gelegeschutz, Prädation, Hessen

Zusammenfassung Die Ursache dafür ist offenkundig die massive Prädation von Gelegen und Jung- Die vorliegende Arbeit stellt das Er- vögeln durch Bodenprädatoren, vor allem gebnis einer im Jahr 2016 in ausgewählten Fuchs und Waschbär. Im Rahmen der Gebieten durchgeführten Überprüfung der Untersuchung wurde dies durch den äußerst Umsetzung und Wirksamkeit der im Arten- geringen Bruterfolg trotz optimaler Lebens- hilfskonzept (AHK) für den Kiebitz vorge- raumbedingungen in den NSG Mittlere schlagenen Maßnahmen dar. Es zeigt sich, Horloffaue und Bingenheimer Ried doku- dass viele der dort genannten Maßnahmen mentiert. Raben- oder Greifvögel und auch stellenweise mit großem Erfolg umgesetzt der in diesem Zusammenhang aktuell immer wurden, erforderlich ist nun eine Auswei- wieder genannte Weißstorch spielen hinge- tung auf weitere Landesteile. gen nach zahlreichen Ergebnissen und auch Die zum Erhalt der Art grundlegend den Monitoringuntersuchungen in Hessen wichtige, großräumige Extensivierung der keine Rolle. Somit kommt dem Gelege- Grünlandnutzung mit einem Nutzungs- schutz mit Elektrozäunen zumindest als mosaik von beweideten und gestaffelt ge- Überbrückungsmaßnahme bis zum Aufbau mähten Flächen sowie einer flächigen Ver- ausreichender Bestandsgrößen eine außer- nässung und der Anlage einer Vielzahl von ordentlich große Bedeutung zu. Diese Stillgewässern mit Brutinseln wurde lan- Feststellung wurde durch die sehr guten desweit betrachtet bisher nur im Wetterau- Brutergebnisse in den gezäunten Bereichen kreis über die letzten Jahrzehnte im erfor- am Flugplatz Reichelsheim im Rahmen der derlichen Umfang durchgeführt. Das Feh- Untersuchung sowie die Erfolge im Kreis len entsprechend großflächiger Maßnah- Groß-Gerau bestätigt. In diesem Zusam- men in den anderen Landkreisen ist die menhang ist auch eine Betrachtung der ge- Ursache dafür, dass umfangreiche Brut- zielten Bejagung der Bodenprädatoren not- bestände der Art allein in der Wetterau und wendig, doch sind dabei der hohe Aufwand zusätzlich auf dem Lebensraumtyp Acker und auch mögliche Konkurrenzverschie- im Hessischen Ried vorkommen. In den bungen (starke Fuchsbejagung kann zur Zu- anderen Landesteilen sind nur noch Relikt- nahme der sonst durch den Fuchs „kontrol- vorkommen der ehemals fast flächigen lierten“ Bestände der kleineren Arten wie Verbreitung vorhanden. Als Erfolg dieser z. B. Mink führen) zu berücksichtigen. Maßnahmen hat sich der Brutbestand des Kiebitzes in der Wetterau, bei gleichzeitig deutlichem Rückgang in den meisten an- Summary deren Landesteilen, seit dem Tiefstand im Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Nun ist The present study presents the results er seit Jahren etwa stabil. Allerdings ist of an assessment of the implementation and selbst dort und in den besten Brutgebieten effectiveness of proposed measures as part der Art kein ausreichender Bruterfolg nach- of the species action plan (Artenhilfskon- weisbar. zept, AHK) for the Northern Lapwing. The

67 assessment was conducted in selected areas 100% und lag 2013 nur noch bei 47,5%, in 2016. Many of the measures listed in also inzwischen 52,5% unterhalb des für the action plan have evidently been very das Jahr 2020 angestrebten Ziels (Hessi- successful in some areas and should now sches Statistisches Landesamt 2016, s. be rolled out in other areas of the federal Bauschmann & Stübing 2011). state. Alle vier in Hessen heimischen Wiesen- Taking a state-wide view, large-scale limikolen Bekassine (Gallinago gallinago), habitat improvements to the extent ne- Großer Brachvogel (Numenius arquata), cessary have only been implemented in the Kiebitz (Vanellus vanellus) und Ufer- Wetterau district. As a result, significant schnepfe (Limosa limosa) werden als „vom Lapwing populations can now only be Aussterben bedroht“ auf der aktuellen found in this district as well as in the Roten Liste der bestandsgefährdeten Brut- “arable land” habitat type in the Hessian vögel Hessens geführt (VSW & HGON Ried. But even there, in the most favourable 2016). Alle vier Arten weisen einen un- breeding areas for the species, evidence of günstig-schlechten Erhaltungszustand auf sufficient breeding success could not be (Werner et al. 2014). obtained as the populations are under Folgerichtig wurden für diese Arten pressure from predation of eggs and young von der Staatlichen Vogelschutzwarte für birds by ground-dwelling predators (pri- Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland spe- marily foxes and raccoons). In contrast, zielle Artenhilfskonzepte (AHK) erstellt based on numerous studies as well as mo- und deren Umsetzung betreut (s. Bausch- nitoring programmes in Hesse, corvids and mann 2010). In diesen AHK wurden nicht birds of prey or the recently frequently nur die Bestandsentwicklung und die aktu- mentioned White Stork are considered elle Bestandssituation dargestellt, sondern irrelevant as predators. Therefore, the use of auch allgemeine und für eine Auswahl der electric fences for the protection of nests wichtigsten Gebiete spezielle Schutzem- is of major importance, at least as a tran- pfehlungen benannt. Für den Großen sitionary measure until such time as suffi- Brachvogel konnte bereits 2008 ein erstes cient population sizes have been reached. AHK vorgelegt werden, das dann nach Er- probungen der vorgeschlagenen Maßnah- men in 2011 überarbeitet wurde (Bausch- 1 Einleitung, Fragestellung und Dank mann, Stübing & Hillig 2011). Für die Uferschnepfe wurde 2010/2011 ein AHK Der Schutz von Feuchtgrünland und erstellt (Stübing & Bauschmann 2011c), Feuchtgebieten hat im hessischen Natur- für die Bekassine 2011 (Stübing & Bausch- schutz aufgrund des im Landesmaßstab mann 2011b). Für den Kiebitz wurden 2009 seltenen Vorkommens dieser Lebensräume bereits konkrete Maßnahmenvorschläge und der Vielzahl besonders bedrohter Tier- formuliert, die dann 2010 in verschiedenen und Pflanzenarten traditionell einen großen Gebieten umgesetzt wurden. Erste Erfolgs- Stellenwert. Seit Jahren verschlechtert sich kontrollen wurden 2011 durchgeführt und die Situation der Wiesenvögel ebenso wie die Maßnahmen auf ihre Praxistauglichkeit die anderer Offenlandvogelarten jedoch überprüft. Die Ergebnisse aller drei Bear- dramatisch, was sich auch im Indikator beitungsschritte sind in Stübing & Bausch- „Artenvielfalt“ der Nachhaltigkeitsstrategie mann (2011a) zusammengefasst. Hessens widerspiegelt. Hier entfernt sich Die Umsetzung der im AHK für den der Indikatorwert für Agrarvögel, der Aus- Kiebitz als noch am weitesten verbreitete kunft über die Auswirkungen der Land- Wiesenvogelart in Hessen benannten Maß- nutzung auf die Landschaftsqualität und Ar- nahmen wurden nun im Jahr 2016 mit fünf- tenvielfalt der heimischen Tier- und Pflan- jährigem zeitlichem Abstand auf ihre Wirk- zenwelt gibt, immer weiter vom Zielwert samkeit hin überprüft, indem in ausgewähl-

68 ten Gebieten Erfassungen des Brutbestandes weils dargestellten Rahmenbedingungen und des Reproduktionserfolges erfolgten. statt: Ein herzliches Dankeschön allen Betei- b Flugplatz Reichelsheim (Wetteraukreis): ligten, ohne die die umfangreichen und Optimale Lebensraumbedingungen, zu- interessanten Maßnahmen und Ergebnisse sätzlich Gelegeschutz mittels Elektro- nicht möglich gewesen wären: W. Schmidt, zaun Forstamt Nidda, R. Eichelmann, A. E. b NSG Kist von Berstadt und benachbarte Heinrich und T. Mattern von der UNB Kreuzquelle (Wetteraukreis): Günstige Wetteraukreis, dem AK Wiesenvogelschutz Lebensraumbedingungen, zusätzlich Ge- Wetterau für die langjährige Überwachung legeschutz mittels Elektrozaun der Bestandssituation, der Firma Herzber- b NSG Mittlere Horloffaue und NSG ger für die zahllosen praktischen Arbeiten Bingenheimer Ried (Kreis Gießen, sowie C. Gelpke, M. Gunia, A. Krüger- Wetteraukreis): Optimale Lebensraum- Wiegand und M. Weinmeister für die her- bedingungen, keine zusätzlichen Maß- vorragende Betreuung eines der letzten nahmen (s. Abb. 1) nordhessischen Brutgebiete in Wabern. b HGON-Projekt Schlämmteiche bei Wabern: Optimale Lebensraumbedin- gungen, zusätzlich Gelegeschutz mittels 2 Untersuchungsgebiete und Elektrozaun Methoden Im Vergleich dazu wurden Kontrollen in im Hinblick auf die Lebensraumbedin- Die detaillierten Untersuchungen zum gungen günstigen bis sehr günstigen Ge- Brutbestand und Bruterfolg des Kiebitzes bieten ohne Maßnahmenumsetzung durch- fanden in folgenden Gebieten mit den je- geführt (NSG Mähried Staden, Kuhweide

Abb. 1: Ideales Beispiel für gelungenen Lebensraumschutz – großflächige Flachwasser- bereiche und zahlreiche Inseln umgeben von beweidetem Grünland im NSG Bingenheimer Ried (Foto: UNB Wetteraukreis).

69 und Viehtriebsweg im NSG Mittlere Hor- genannt (s. Tab. 1). Es zeigt sich, dass die loffaue in den Kreisen Wetterau und Gießen Umsetzungsrate bei dieser Art insgesamt sowie Rückhaltebecken Schwalmstadt im sehr hoch ist. Schwalm-Eder-Kreis). Alle Gebiete wurden in der Ansied- lungsphase wöchentlich kontrolliert, um die 3.2 Brutbestand und Bruterfolg vorkommenden Bestände zu erfassen. Nach in den ausgewählten Gebieten Abschluss der Ansiedlung wurden nur noch der Wetterau 2016 Gebiete mit tatsächlichen Vorkommen wei- terhin in wöchentlichem Rhythmus erfasst, Folgende Ergebnisse zum Kiebitzbe- um neben der Anzahl der Brutpaare bzw. stand und Bruterfolg konnten in den Ge- Reviere auch den Bruterfolg dokumentieren bieten erfasst werden: zu können. b Flugplatz Reichelsheim (Wetteraukreis): Optimale Lebensraumbedingungen, zu- sätzlich Gelegeschutz mittels Elektro- 3 Ergebnisse zaun. – Hier siedelten sich 18 Brutpaare an, wovon mindestens 12 erfolgreich mit 3.1 Maßnahmenempfehlungen mind. 32 geschlüpften Jungen waren. Von im AHK diesen wurden mehr als 28 Juv flügge. Der tatsächliche Wert einschließlich der Im Artenhilfskonzept wurden für den Wiesen im Umfeld lag eher bei 15 erfolg- Kiebitz gebietsbezogen folgende priorisier- reichen Paaren und mehr als 32 Juv, also ten Erfordernisse für Schutzmaßnahmen 1,8 Juv/Paar bzw. 2,1 Juv/erfolgreiches

Abb. 2: Lage des Untersuchungsgebietes Reichelsheim mit Stillgewässern und Inseln sowie Verlauf des Elektrozaunes (blau) und anwesenden Kiebitzpaaren (rot = brütend, gelb = verpaart, Kreis = unverpaart) am 18.04.2016 (Kartenhintergrund für alle Luftbilder: NATUREG-Viewer).

70 Tabelle 1: Raumbezogene, priorisierte Schutzerfordernisse für den Kiebitz in Hessen im AHK (grün = umgesetzt). Raum und Maßnahme Priorität Bemerkung Wetterau Errichtung eines permanenten Drahtzaunes 1. Nach Vorbild der Trappenschon- in der südlichen Gebietshälfte des gebiete in Brandenburg; bei NSG Bingenheimer Ried in Verbindung Erfolg Übertragung auf andere mit der Rinderhaltung Gebiete Beweidung auch innerhalb gezäunter 1. 2010 Verlassen des gezäunten Bereiche (eine Beweidung zunächst auch Bereichs nach Brutverlust infolge gegenüber Rindern gezäunter Bereiche aufgewachsener Vegetation sollte unterlassen werden, da die sich dort einstellenden Rinderkonzentrationen zu Gelegeverlusten führen können) Neuanlage von Flachgewässern und Blänken 1. Umsetzung im Winter 2016/17 im Nordteil des Bingenheimer Riedes zur flächigen, längeren Wasserhaltung Neuanlagen von Gewässern mit Inseln als 1. gegenüber Bodenprädatoren relativ sichere Brutplätze Ausweitung der Schutzbemühungen auf 1. Auf Äckern offenbar deutlich Ackerflächen („Kiebitzäcker“, Anlage geringerer Prädationsdruck von Fehl- und Feuchtstellen, lichte Reihe) Weitere Minimierung der Verluste durch 2. Kein Schusswaffengebrauch in Bodenprädatoren durch gezielte Bejagung NSG, nur Fallenjagd; idealer- weise durch ausgebildete Mitar- beiter der Naturschutzwacht Reduktion der Röhrichtbestände zugunsten 2. von feuchten/nassen Weideflächen Hessisches Ried Fortführung des Gelegeschutzes auf Acker- 1. Nach den Ergebnissen des Jahres flächen 2010 zentral! Anlage von Flachgewässern und Blänken 1. in Kiebitzbrutgebieten Wo nötig Prädatorenkontrolle durch Schutz- 2. Mittlerweile ebenfalls zentraler zäune Bestandteil der Schutzmaßnahmen Schwalm-Eder-Kreis Weiterführung/Vergrößerung der Lebens- 1. Schlämmteiche Wabern; im Bereich raum verbessernden Maßnahmen der Schwalmaue noch keine Umsetzung Maßnahmen zu Minimierung von Verlusten 1. Prioritär im Bereich der Schlämm- durch Prädation (Abzäunung) teiche Niedermöllrich Abstimmung Betriebsleitung Zuckerfabrik 2. Wabern zur Optimierung der Brutplätze Lahn-Dill-Kreis Weiterführung der durchgeführten 1. Maßnahmen

71 Abb. 3a und b: Ergebnisse im Gebiet Reichelsheim; oben anwesende Kiebitzpaare am 11.05.2016 (rot = brütend, gelb = verpaart, Kreis = unverpaart, grüne Zah- len = Küken) sowie Gesamtergebnis der flüggen Jungvögel (unten; grün = flügge, weiß = vermutlich nicht flügge).

72 Abb. 4a und b: Sehr geringer Aktionsradius der festgestellten Kiebitzfamilien (oben) und als Ursache die sehr ausgedehnten, leicht bewachsenen Schlammflächen als ergiebiger, optimaler Nahrungsraum der Jungen (unten) (Foto: S. Stübing).

73 Paar. Die Elektrozäunung wurde auf war. Die Nester der Weibchen lagen auf einer Fläche von 6,5 ha durchgeführt, den Inseln vor dem Beobachtungsstand wobei sich die Kiebitzpaare auf einer im Osten, was die hohe Attraktivität Teilfläche von nur 3 ha konzentrierten, in von Inseln als Brutplätzen bestätigt. Da der durch ausgedehnte Schlammflächen die Lebensraumbedingungen in diesem und eine Ansammlung von insgesamt Gebiet nach wie vor außerordentlich sieben Inseln hervorragende Brut- und günstig sind, ist als Ursache für die stark Aufzuchtsbedingungen gegeben waren. nachlassende Attraktivität für den Kie- Unter diesen idealen Bedingungen fand bitz ein hoher Druck durch die in ver- die Jungenaufzucht sehr kleinräumig schiedenen Arten vorkommenden Bo- statt, so dass keine der beobachteten denprädatoren (Fuchs, Waschbär, Mink) Familien in Bereiche außerhalb des Zau- wahrscheinlich (s. Abb. 7). nes abwandern musste. Die Abbildun- Im NSG Mittlere Horloffaue waren hin- gen stellen dieses Gebiet und die gegen, wie in den letzten Jahren, etwa Entwicklung des Brutbestandes aus- 28 Kiebitzpaare und -reviere anwesend, zugsweise dar (s. Abb. 2, 3a und b, 4a doch erfolgten zahlreiche Umsiedlungen und b). und Nachgelege. Insgesamt gelangen nur b NSG Kist von Berstadt und benachbarte vier Nachweise von Bruten mit frisch ge- Kreuzquelle (Wetteraukreis): Günstige schlüpften Jungvögeln. Die insgesamt er- Lebensraumbedingungen, zusätzlich Ge- fasste Zahl von sieben Küken stellt einen legeschutz mittels Elektrozaun – in die- Schlupferfolg von 0,2 Juv pro Paar dar. sem in den meisten Jahren regelmäßig Zwar konnten aufgrund der Gebiets- und von bis zu acht Kiebitzpaaren besie- größe vermutlich nicht alle Jungvögel er- delten Gebiet gab es im Jahr 2016 nur fasst werden, doch belegt das sehr geringe zwei bis drei Paare ohne Bruterfolg. Die Ergebnis eindeutig, dass auch in Ge- Ursachen dafür sind unklar, vermutlich bieten, die im Hinblick auf Größe, fanden schon vor der Errichtung des Wasserstand und Pflege für den Kiebitz Schutzzaunes Störungen durch Boden- als optimal einzustufen sind, ohne spe- prädatoren statt. Im Bereich der benach- zielle Maßnahmen zum Gelegeschutz nur barten Kreuzquelle war die Vegetation minimale und zum Bestandserhalt kei- zu hoch, um für eine Kiebitzansiedlung nesfalls ausreichende Bruterfolge erzielt attraktiv zu sein. werden. b NSG Mittlere Horloffaue und NSG Die Verteilung der Vorkommen in diesem Bingenheimer Ried (Kreis Gießen und Gebiet zeigen die beiden folgenden Wetteraukreis): Optimale Lebensraum- Abbildungen 5 a und b. bedingungen, keine zusätzlichen Maß- b Im ebenfalls untersuchten NSG Mähried nahmen – beide Gebiete waren während von Staden wurden keine Bruten beob- der Erstellung des AHK jeweils von mehr achtet. Dort waren infolge geeigneter als 20 bis 30 Kiebitzpaaren besiedelt, doch Lebensraum verbessernder Maßnahmen ist im NSG Bingenheimer Ried ein anhal- zwar bis zu drei balzende Paare anwe- tender Rückgang festzustellen. Im Jahr send, doch wanderten diese aufgrund der 2016 schwankte der Bestand dort sehr regelmäßigen Anwesenheit von Fuchs stark. Mitte April, zur Hauptbrutzeit, und Waschbär nach mehreren Umsied- waren zeitweise nur drei Reviere besetzt. lungen in den Schutzzaun im nahegelege- Maximal balzten später bis zu 12 Männ- nen Gebiet Reichelsheim ab. chen nach Umsiedlung aus anderen Ge- b HGON-Projektfläche bei Wabern bieten, Bruterfolg konnte jedoch nicht (Schwalm-Eder-Kreis): In dem gezielt beobachtet werden. Als Besonderheit ist auch für den Kiebitz geschaffenen Le- hier ein Kiebitzmännchen zu nennen, das bensraum im Bereich ehemaliger, zwi- gleichzeitig mit zwei Weibchen verpaart schenzeitlich durch Gehölzsukzession

74 zugewachsener Schlämmteiche des Kies- paare an. Allerdings gab es hier kaum werks Niedermöllrich siedelten sich nach Bruterfolg, was auf den Einfluss von Prä- umfangreichen Maßnahmen (Abb. 6) in datoren zurückgeführt wird. Zur Brutzeit den letzten Jahren bis zu drei Kiebitz- 2016 wurde auch dieses Gebiet mit einem

Abb. 5a und b: Brutbestand des Kiebitzes im NSG Mittlere Horloffaue an zwei ausge- wählten Beobachtungstagen (rot = brütend, gelb = verpaart, Kreis = unver- paart, grüne Zahlen = Küken).

75 Abb. 6: Maßnahmenflächen im Bereich der ehemaligen Schlämmteiche bei Wabern. Die Flächen, auf denen die Gehölze zurückgenommen und Wasserflächen angelegt wur- den, sind in der Mitte im Vordergrund zu sehen (Foto: C. Gelpke).

Abb. 7: Beispielhafter Beleg der Prädation eines Kiebitzgeleges durch einen Waschbär im NSG Mittlere Horloffaue (Foto: G. Bauschmann).

76 Elektrozaun geschützt, so dass von den siedlung verhindert haben, ist die Ursache drei anwesenden Kiebitzpaaren mit Gele- für den ausbleibenden Erfolg im NSG Kist gen mindestens zwei Gelege schlüpften. unklar. Vermutet werden Störungen durch Mindestens sechs Küken wurden flügge, Prädatoren vor der Errichtung des Elektro- was dem besten dokumentierten Bruter- zaunes, so dass die hier brutwilligen Kie- folg in Nordhessen in den letzten fünf bitze schon abgewandert waren. Jahren entspricht. Im Rückhaltebecken Diese beiden Beispiele zeigen, dass das Treysa gelang seit 2010 kein Brutnach- Ausbringen von Schutzzäunen nur in Ge- weis mehr. Hier ist das eigentlich sehr bieten erfolgversprechend ist, in denen auch gut geeignete Gelände (Stübing 1994) die Lebensraumeigenschaften ideal ausge- zweifellos zu trocken, um für Bruten prägt sind und noch Kiebitze brüten und attraktiv zu sein. dass die Errichtung der Zäune zeitig erfol- gen sollte. In den NSG Mittlere Horloffaue und 3.3 Wirksamkeit der durchgeführ- Bingenheimer Ried wurden zwar umfang- ten Maßnahmen reiche, für den Kiebitz optimale Lebens- raummaßnahmen durchgeführt, doch kam Im Fall des Gebietes bei Reichelsheim es aufgrund der umfangreichen Prädation konnte angesichts der hohen Bestands- der Gelege nur zu minimalem Aufzuchts- dichte, des umfangreichen Schlupferfolges erfolg. Während im NSG Mittlere Horloff- und der fast verlustfreien Aufzucht der aue zumindest sieben Jungvögel von vier Jungen ein optimales Ergebnis erzielt wer- Familien beobachtet wurden, was angesichts den, wie es selbst in den besten Brutgebieten der insgesamt 28 anwesenden Paare und der Art in der Wetterau seit vielen Jahren Reviere jedoch als minimales Ergebnis an- nicht mehr beobachtet wurde. Grundlage zusehen ist, war das NSG Bingenheimer dafür war das ideale Zusammenspiel zwi- Ried zeitweise kaum als Brutplatz genutzt. schen der Gestaltung des Gebietes mit insge- Mitte April wurden nur drei Paare festge- samt sieben Brutinseln und sehr ausgedehn- stellt, maximal waren es im Mai etwa 12 ten Flachwasser- sowie Schlammuferzonen Paare. Die Ursache für diese offenbar sehr mit großem Nahrungsangebot für die Jung- geringe Attraktivität lag offensichtlich in und Altvögel sowie die erfolgreiche Gelege- der regelmäßigen Frequentierung durch schutzmaßnahme durch das Einzäunen des Füchse und Waschbären sowie Mink, aber Gebietes. Hinzu kommen die großflächig auch in der ungünstigen Vegetationsstruktur extensiv genutzten Feuchtwiesenbereiche in Teilen des Gebietes. im Umfeld, die eine Ansiedlung in dieser Größenordnung erst möglich gemacht haben. 3.4 Empfehlungen Auch im Fall der ehemaligen Schlämm- teiche bei Wabern hat, wie auch im Acker- Zusammenfassend ergeben sich aus den land Südhessens in den letzten Jahren (s. Untersuchungen im Jahr 2016 folgende Werner et al. 2017), die Umzäunung erst- Empfehlungen: mals seit Jahren in Nordhessen zu einem In Gebieten mit optimaler Lebens- guten bis sehr guten Bruterfolg geführt. raumausstattung für den Kiebitz und genü- In den beiden anderen Gebieten der gend Raum für das Vorkommen größerer Wetterau, in denen ebenfalls Schutzzäune Brutbestände (z. B. NSG Bingenheimer ausgebracht wurden (NSG Kist von Ber- Ried oder NSG Mittlere Horloffaue mit stadt und angrenzende Kreuzquelle) war weitläufigen Grünland- und Flachwasser- hingegen kein Bruterfolg feststellbar. Wäh- bereichen, aber auch die ausgedehnten rend im Bereich der Kreuzquelle die hohe Ackerflächen im Hessischen Ried) ist die Grünland- und Ruderalvegetation eine Be- Sicherung eines ausreichenden Bruterfolges

77 besonders wichtig. D i e s k a n n d e r z e i t tuell gegebenen Situation mit der Konzen- offenbar allein durch den Ein- tration wesentlicher Anteile des landeswei- satz von Schutzzäunen gegen- ten Brutvorkommens auf wenige größere über Bodenprädatoren erreicht Gebiete entscheidet sich hier die Zukunft w e r d e n (Raben- und Greifvögel oder des Kiebitzes als Brutvogel in Hessen! auch der Weißstorch spielen hingegen als Gebiete mit kleinräumig günstiger Le- Prädatoren keine nennenswerte Rolle). bensraumausstattung sollten gleichermaßen Neben den in der Betreuung personalinten- im Hinblick auf eine Vergrößerung des zur siven Elektroknotenzäunen (tägliche Kon- Verfügung stehenden Habitats als auch auf trolle, regelmäßiges Ausmähen) sollte auch den erforderlichen Schutz gegenüber Präda- die Möglichkeit der Errichtung von Fest- toren entwickelt werden. Besonders große zäunen in Betracht gezogen werden. Die Bedeutung kommt breiten, schlammigen Zäune sollten unten in den Boden eingelas- und wenig bewachsenen Uferzonen zur sen werden und oben mit ein oder zwei Aufzucht der Jungen, Inseln als Brutplatz Elektrolitzen versehen sein. Dadurch soll und der Möglichkeit eines Wasserstands- ein Untergraben und ein Übersteigen ver- managements zur Schaffung optimaler Auf- hindert werden. Außerdem hätte ein Fest- zuchtsflächen zu. zaun mit nur oben angebrachten Elektro- In verschiedenen, derzeit nur wenig ge- litzen den Vorteil, dass bei Überschwem- eigneten Bereichen bestehen günstige Vor- mungen auch weiterhin Strom auf dem aussetzungen für die Anlage von Kiebitz- System liegt und nicht die Energie ins lebensräumen nach dem sehr erfolgreichen Wasser abgeleitet wird. Eine Kombination Beispiel im Bereich des Flugplatzes mit dem Weidezaun und natürlich auch Reichelsheim. Dies gilt z. B. für das Rück- Weidetieren hätte eine deutlich höhere haltebecken Treysa, aber auch Flächen in Akzeptanz in der Bevölkerung. In der ak- den Auen von Eder und Fulda, Kinzig sowie

Abb. 8: Elektrozaun zum Schutz der Kiebitzbruten im Untersuchungsgebiet am Flugplatz Reichelsheim (im Hintergrund) (Foto: S. Stübing).

78 Rhein und Main. Wie das Beispiel Reichels- Stübing, S. & G. Bauschmann (2011 c): heim zeigt (s. Abb. 8), können schon relativ Artenhilfskonzept für die Ufer- kleinflächige Maßnahmen zu einem sehr schnepfe (Limosa limosa) in Hessen. großen Bruterfolg führen, so dass solche Gutachten der Staatlichen Vogel- und ähnliche Vorhaben an möglichst vielen schutzwarte für Hessen, Rheinland- Stellen umgesetzt werden sollten. Pfalz und Saarland; Bad Nauheim. Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel Hessens in Raum und 4 Literatur Zeit. Brutvogelatlas. Hrsg.: Hessische Gesellschaft für Ornithologie Bauschmann, G. (2010): Erarbeitung von und Naturschutz e.V., Echzell. Artenhilfskonzepten für bedrohte S. 176 – 177. Vogelarten. – In: Hessisches Ministe- Werner, M., G. Bauschmann, M. Hor- rium für Umwelt, Energie, Land- mann & D. Stiefel (2014): Zum wirtschaft und Verbraucher- Erhaltungszustand der Brutvogelarten schutz (HMUELV, Hrsg.), NATURA Hessens. – Vogel & Umwelt 21: 37 – 69. 2000 praktisch in Hessen: Artenschutz Werner, M., H. Theiss, P. Pohlmann & in Vogelschutzgebieten; S. 28 – 31. J. Kilian (2017): Ein Funke Hoffnung Bauschmann, G. & S. Stübing (2011): für den Kiebitz? Ergebnisse eines Nationale Nachhaltigkeitsstrategie Schutzprojektes auf Ackerflächen in „Perspektiven für Deutschland“: Südhessen. – Vogel & Umwelt Nachhaltigkeitsindex der Artenvielfalt 22: 81 – 96. in Hessen. – Der Falke 58: 329 – 331. VSW & HGON (Werner, M., G. Bausch- Bauschmann, G., S. Stübing & F. Hillig mann, M. Hormann, D. Stiefel, (2011): Artenhilfskonzept Großer J. Kreuziger, M. Korn & S. Stübing) Brachvogel in Hessen. – Gutachten der (2016): Rote Liste der bestandsgefähr- Staatlichen Vogelschutzwarte für deten Brutvogelarten Hessens, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. 10. Fassung, Stand Mai 2014; Wies- Frankfurt am Main. baden (HMUKLV). Hessisches Statistisches Landesamt (2016): Nachhaltigkeitsstrategie Hessen, Ziele und Indikatoren – Fortschrittsbericht 2016. – Wiesbaden. Stübing, S. (1994): Wiesenvogelschutz in Manuskript eingereicht am 04.05.2017, Hessen – Projektgebiet Schwalmaue. – angenommen am 09.06.2017 Gutachten im Auftrag der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V., Echzell. Anschriften der Verfasser: Stübing, S. & G. Bauschmann (2011 a): Stefan Stübing, Artenhilfskonzept Kiebitz in Hessen. – Am Eichwald 27, Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- D-61231 Bad Nauheim, warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und E-Mail: [email protected] Saarland; Bad Nauheim. Stübing, S. & G. Bauschmann (2011 b): Gerd Bauschmann, Artenhilfskonzept Bekassine in Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Hessen. – Gutachten der Staatlichen Rheinland-Pfalz und Saarland, Vogelschutzwarte für Hessen, Steinauer Straße 44, Rheinland-Pfalz und Saarland; Bad D-60386 Frankfurt am Main, Nauheim. E-Mail: [email protected]

79 Kiebitze leben in der Wetterau vorzugsweise auf feuchtem Grünland (Foto: A.Limbrunner).

80 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwelt 22: 81– 96 (2017)

Ein Funke Hoffnung für den Kiebitz? Ergebnisse eines Schutzprojektes auf Ackerflächen in Südhessen von Matthias Werner, Frankfurt am Main, Heidemarie Theiß, Mörfelden-Walldorf, Peter Pohlmann, Darmstadt und Johannes Kilian, Groß-Gerau Keywords: Vanellus vanellus, Ackerbruten, Brutpopulation, Bruterfolg, Schutz, Kreis Groß-Gerau, Hessen

Zusammenfassung deren Neststandorte. Der örtliche Landwirt wird umgehend informiert. Bei Gefährdung Im vorliegenden Beitrag werden die durch einen landwirtschaftlichen Bewirt- Ergebnisse eines Schutzprojektes für den schaftungsschritt wird das Gelege markiert Kiebitz in den Ackerlandschaften Südhes- und/oder durch den Landwirt ausgespart. sens vorgestellt. Das Projekt wurde durch Bei kolonieartigen Ansiedlungen konnte die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, häufig über freiwillige Vereinbarungen, z. T. Rheinland-Pfalz und Saarland in Koopera- finanziell unterstützt durch die hessischen tion mit anderen Fachbehörden etabliert Agrarumweltprogramme HIAP*) bzw. und läuft mittlerweile seit sieben Jahren. HALM**) eine verzögerte Einsaat oder eine Die Brutpopulation im Kreis Groß-Gerau Nutzung als „Schwarzbrache“ erreicht wer- konnte während dieser Zeit mit 70–90 Brut- den. paaren zumindest konstant gehalten wer- Die Kooperationsbereitschaft der ört- den, nachdem vorher ein dramatischer Rück- lichen Landwirte zum Schutz der Kiebitze gang der in Hessen vom Aussterben bedroh- war in der Regel groß. Der ehrenamtlich ten Art zu verzeichnen war. Die durch- geleistete Zeitaufwand, den die örtlichen schnittlichen Bruterfolge lagen in den ein- „Kiebitz-Betreuer“ als Ortsbeauftragte für zelnen Jahren bei mindestens 0,2 bis 1,5 Vogelschutz der Vogelschutzwarte bzw. Ak- größeren Jungvögeln pro Brutpaar. Die Zahl tive aus den Reihen von NABU und HGON der tatsächlich flügge gewordenen Jung- getragen haben, liegt bei mehr als 700 „Ehren- vögel konnte nicht immer ermittelt werden, amts-Stunden“ pro Jahr. Allgemeine Schluss- so dass die hier angegebenen Jungvogel- folgerungen für den Erfolg von Schutzmaß- zahlen als Mindest-Bruterfolg zu verstehen nahmen in Kiebitz-Vorkommensgebieten sind. werden abschließend formuliert. Durch den Einsatz eines Elektrozaunes zur Abwehr von Bodenprädatoren wurde Summary der Bruterfolg einer kolonieartigen Ansied- lung in einem Teilgebiet zudem deutlich ver- In this article the results of a conserva- bessert. In dem eingezäunten Areal erbrüte- tion project of Northern Lapwing in an ten 2015 alleine zehn Paare mindestens 30 agricultural area of southern Hesse are pre- Jungvögel und 2016 zehn Paare mindestens sented. The project was established through 28 Jungvögel. the “Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Die Kiebitze im Hessischen Ried brü- Rheinland-Pfalz und Saarland” (bird con- ten nahezu ausschließlich auf feuchten Äckern. Der Schutz der Gelege funktioniert über ein Netzwerk von sog. „Kiebitz-Be- *) HIAP = Hessisches integriertes Agrarumwelt- programm (2007–2014) treuern“. Diese melden der Landwirt- **) HALM = Hessisches Programm für Agrarumwelt- schaftsverwaltung brütende Kiebitze bzw. und Landschaftspflege-Maßnahmen (ab 2015)

81 servation observatory of the federal states) 1 Einleitung in cooperation with other authorities and has been going on for seven years now. Der früher weit verbreitete Kiebitz ist In the past a dramatic decline was de- heute in Hessen vom Aussterben bedroht tected so that the species is in danger of (Rote Liste Hessen 1, Werner et al. 2014). extinction in Hesse. The breeding popula- Von deutlich mehr als 2000 Brutpaaren vor tion of Lapwing in the district of the 1987 ist der Bestand auf aktuell 250–300 “Landkreis Groß-Gerau” could be stabi- Brutpaare zusammengebrochen. Die aktu- lized recently at a level of 70 to 90 breeding ellen Vorkommen beschränken sich vor- pairs. The average breeding success in the nehmlich auf die süd- und mittelhessischen years of the study ranges between at least Niederungslagen (Stübing et al. 2010). Zwei 0.2 to 1.5 older chicks per pair. Breeding Regionen – die Wetterau und das Hessische rsp. fledging success could not always be Ried – beherbergen drei Viertel des hessi- determined in detail. Registrated older schen Brutpaarbestandes (Stübing & Wer- chicks are therefore minimum numbers. ner 2017). By using an electric fence against Angesichts der dramatischen Entwick- ground living predators it was possible to lung der Bestände hat das Land Hessen un- raise the breeding success of a colony-like ter Federführung der Staatlichen Vogel- settlement to an extraordinary extent. In schutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz 2015 und 2016 ten breeding pairs raised und Saarland ein Artenhilfskonzept erstellt 30, respectively 28 chicks in the fenced area. (Stübing & Bauschmann 2011) und ver- The Lapwings in the region “Hessisches sucht in allen Schwerpunktregionen in Zu- Ried” breed almost exclusively on wet sammenarbeit mit den ehrenamtlich tätigen agricultural fields. The protection of Natur- und Vogelschützern die Bruterfolge clutches is realized through a network of der Kiebitze zu verbessern. Während in der enthusiastic so-called “Lapwing-Carers”. Wetterau bereits seit Jahren vielfältige These people are responsible for certain Maßnahmen stattfinden und viele Kiebitze areas and report to the local agricultural mittlerweile wieder auf (wieder-)vernäss- authority (“Fachgebiet Landschaftspflege”) tem, extensiv beweidetem Grünland brüten in case of nestbuilding or breeding activities. (Stübing & Bauschmann 2017), ist der The farmer gets informed immediately. If Kiebitz in Südhessen, insbesondere im cultivation constitutes a threat, the nest is Hessischen Ried, nahezu ausschließlich ein marked and/or the nest will be spared. In Brutvogel feuchter Ackerstandorte. the case of colony-wise settlements on one Da hier viele der Nester in der Ver- field an agreement with the farmer could gangenheit bereits während der Bebrütungs- often be reached. The ground preparation phase – insbesondere auch durch die land- for seeding and sodding was prolonged. If wirtschaftliche Bewirtschaftung – verloren a contract was needed, this was supported gingen, hat die Staatliche Vogelschutzwarte by the Hessian agri-environmental pro- 2010 für den südhessischen Kreis Groß- grams HIAP and HALM. Gerau ein Schutzprojekt ins Leben gerufen. In general the farmers’ willingness to Die Ergebnisse dieses Projektes, das mittler- cooperate was high. The time spent by all weile sieben Jahre intensiv verfolgt wird, volunteers together on the project amounts sollen hier zusammengefasst werden. to about 700 hours per year. “Lapwing- Carers” are generally persons authorized by the bird conservation observatory and/or 2 Untersuchungsgebiet organized in the regional NGO’s NABU und methodisches Vorgehen and HGON. General deductions for the success of similar Lapwing-projects will be Das Projekt zum Schutz des Kiebitzes drawn at the end of the paper. im Kreis Groß-Gerau wird im Wesentlichen

82 Abb. 1: Übersichtskarte zur Lage der Kiebitz-Vorkommensgebiete im Kreis Groß-Gerau (Gebietsnamen siehe Tabelle 1).

83 von Seiten der Fachbehörden durch die In einem ersten Projektschritt wurden Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, im Jahr 2010 alle Teilgebiete, wo noch Rheinland-Pfalz und Saarland, die Untere Kiebitz-Vorkommen bekannt waren, ab- Naturschutzbehörde des Kreises Groß- gegrenzt (s. Abb 1). Für alle Teilgebiete Gerau sowie die Landwirtschaftsverwaltung wurden Kiebitz-Betreuer benannt. Diese (Fachgebiet Landschaftspflege des Land- Aufstellung der Vorkommensgebiete und rates des Kreises Darmstadt-Dieburg) ge- Betreuer wurde in den Folgejahren fort- tragen. In NATURA 2000-Gebieten wird während aktualisiert und fortgeschrieben. das Projekt durch die Maßnahmenplanung Die lokalen Betreuer der Kiebitz-Vor- des Regierungspräsidiums Darmstadt unter- kommen sind gehalten, bei bevorstehender stützt. oder erfolgter Eiablage auf Ackerflächen (ins- Von Seiten des Ehrenamtes erfolgt die besondere „Drehen“ von Nestmulden bzw. Koordination des Projektes durch die Kreis- Kiebitzen auf Gelegen) die Niststandorte beauftragte für Vogelschutz der Staatlichen auf Karten zu verorten und dem Sachge- Vogelschutzwarte in Zusammenarbeit mit biet Landschaftspflege mitzuteilen. Dieses ihren Ortsbeauftragten für Vogelschutz recherchiert und informiert sehr kurzfristig bzw. Kiebitz-Betreuern aus den Reihen der den betreffenden Eigentümer bzw. Pächter Naturschutzverbände NABU und HGON. der Fläche und klärt ab, ob möglicherweise Der Erfolg der Schutzmaßnahmen ist natür- ein das Nest bzw. die Nester gefährdender lich auch unmittelbar abhängig von der Bewirtschaftungsschritt ansteht. Kooperationsbereitschaft und Mitarbeit der Sollte dies der Fall sein, werden die Ge- örtlichen Landwirte. lege in Bewirtschaftungsrichtung mit dünnen

Abb. 2: Unbestellter Acker mit Markierung eines Kiebitz-Geleges (Foto: Peter Skrabek).

84 Stöcken fünf Meter vor und nach dem Nest Bei deutlich verzögerter Maiseinsaat kann markiert (s. Abb. 2), so dass der jeweilige über die hessischen Agrarumweltprogramme Bewirtschafter Rücksicht auf die Nester (früher HIAP,jetzt HALM) pro Woche eine nehmen kann. Bei Neueinsaat vorher un- Ertragsminderung von 50 € pro ha gewährt bestellter Äcker (z. B. Mais) wird i. d. R. ver- werden, bei Schwarzbrachen liegt der Höchst- sucht, über eine verzögerte Einsaat den satz der Förderung derzeit bei 710 € pro Schlüpferfolg der Kiebitzpaare sicherzu- Hektar. In den zurückliegenden Jahren hat stellen. in den allermeisten Fällen eine sehr gering- Wenn die Kiebitzgelege wenige Tage fügige Verschiebung der Bodenbearbeitung vor dem Schlüpfen sind, kann i. d. R. mit bzw. des Einsaat-Termins genügt, um den dem Bewirtschafter ein um wenige Tage ver- Kiebitzen ein Schlüpfen zu ermöglichen. Bei zögerter Einsaat-Termin vereinbart werden. nur einem Gelege auf der Fläche wurde das

Abb. 3: Mit Elektrozaun eingezäunter Kiebitz-Acker in Groß-Gerau /Wallerstädten (Foto: Heidemarie Theiß).

85 Gelege oftmals bei der Bearbeitung einfach lichen Mitarbeitern nicht immer möglich, umfahren oder ausgespart. eine entsprechend zeitintensive Suche Alle in den Kiebitz-Teilgebieten wirt- durchzuführen. Die in Kapitel 3 angeführ- schaftenden Landwirte werden jährlich über ten Jungvogelzahlen sind daher als Mindest- die Bedeutung der örtlichen Kiebitz-Vor- angaben für den Bruterfolg zu verstehen. kommen informiert und über möglicher- Die hier erprobte Vorgehensweise wur- weise anstehende Schutzmaßnahmen in de in den letzten Jahren auch auf andere be- Kenntnis gesetzt. nachbarte Landkreise (insbesondere Darm- Seit 2013 wird in jedem Jahr ein grö- stadt-Dieburg) erweitert. ßerer „traditioneller“ Kiebitz-Acker mit rd. 8–10 Nestern mit einem Elektrozaun zum Schutz gegenüber Bodenprädatoren einge- 3 Ergebnisse und Diskussion zäunt(s. Abb.3).AneinzelnenNesternaußer- halb des Elektrozauns werden zusätzlich Die Ergebnisse (Brutpaar- und Jung- stichprobenartig Wildkameras zur Verfol- vogelzahlen) aus den einzelnen Teilgebieten gung des Brutverlaufs und möglicherweise sind Tab. 1 zu entnehmen. Die zusammen- Dokumentation von Prädatoren aufgestellt. gefassten Gesamtergebnisse für den Kreis Die örtlichen Kiebitzbetreuer sind auf- Groß-Gerau aus dem Zeitraum 2010 bis gerufen, den Brutverlauf zu verfolgen und – 2016 werden in Abb. 4 dargestellt. wenn möglich – neben dem Schlüpferfolg auch die Zahl der wahrscheinlich flügge gewordenen Jungvögel zu dokumentieren. 3.1 Brutbestand, Bestands- Da die Jungen führenden Kiebitze allerdings entwicklung und Verbreitung in vielen Bereichen ihren Nachwuchs z. T. im Landkreis Groß-Gerau auch über relativ weite Strecken von den Brutplätzen weg, auch in Flächen mit höhe- Die Brutpopulation des Kiebitzes im rer Deckung, führen, sind die Anzahlen Kreis Groß-Gerau ist zwar seit Mitte der größerer Jungvögel nicht in jedem Fall zu 1970er Jahre von 400–500 Paaren auf nun- ermitteln. Zudem war es den ehrenamt- mehr 70–90 (58–89) Paare um mehr als

120 Brutpaare (BP) Mindestzahl größerer Jungvögel (JV) 100

80

60

40

20

0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Abb. 4: Jährliche Brutpaar- und Jungvogelzahlen des Kiebitzes im Kreis Groß-Gerau.

86 Tabelle 1: Kiebitzschutz-Projekt im Kreis Groß-Gerau: Ergebnisse 2010 bis 2016. Kiebitz- KreisGroß-Gerau– Betreuer BP BP BP BP BP BP BP Teilgebiet Gebietsname 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 1 GernsheimAllmendfeld/ W.Pfortner,F.Gröhl, 20 24 10 10 14 57 Fängenhoffeld N.Schütze,T.Röder 2 Biebesheim/ W.Pfortner,F.Gröhl, 0 10 10340 UmfeldGroßeBütt N.Schütze,T.Röder 3 Südwestl.Stockstadt W.Pfortner,F.Gröhl, 20020013 N. Schütze, T. Röder 4 Leeheim/Erfelden H.Zettl 4557540 Umfeld Michelried 5a Südl.Wolfskehlen H.Schaffner,F.Gröhl, 0000202 Altneckar N.Schütze 5b Südl.Crumstadt F.Gröhl 0952010 6a Wolfskehlen/ F.Gröhl, 000000 AufdemWasen K.-H.Wendlandt 6b Dornheim/ K.-H.Wendlandt 0000000 Datterbruch 6c Dornheim/ K.-H.Wendlandt, 4333400 Wolfskehlen/ H.Schaffner,F.Gröhl Scheidgraben 7 Geinsheim W.Henning 12 18 4 17 13 12 13 Hinter der Wächterstadt 8a Wallerstädten/ J.Kilian,N.Drodt, 10 10 9 25 6 20 22 Teichwiesen W.Hartmann 8b Dornheim-Wallerstädten/ W.Henning 2001369 Rhein-Altmäander / Große Lache 8c Dornheim/südliche K.-H.Wendlandt 0000000 Teichwiesen (auch Hochgestade) 8d Rheinmäander/ H.Zettl 3000054 Umfeld Weißer Turm 9 Westl.Geinsheim/ W.Henning 3091479 Mittelsütters Nördl. G. Osterforch Wolfwinkel 10a Nördl.Hessenaue W.Henning ?000000 10b Umfeldsüdl.Hessenaue W.Henning 2310401 11 Nördl.Astheim/ H.Mundschenk, 103 –40540 UmfeldMersheimerHof F.Mendel 12 Groß-Gerau/ P.Skrabek 4410004 Umfeld Endlache / Klärteiche 13a Nauheimsüdl. G.Volkmann,H.Melchior 10 313330, Hegbachsee J.Kilian,T.Rehn 13b Nauheim/ G.Volkmann, 0000000 Schwarzbachwiesen H.Melchior 14 Büttelborn/ M.Werner, 1033000 Bruchwiesen O.Ruschitschka 15 Worfelden H.Theiß 0000000 Summe 78 89 52 74 66 71 84

87 80% zurückgegangen (1974: mind. 420 BP, Insgesamt ist festzustellen, dass es be- 1995: ca. 125–135 BP, 2010–2017: 70–90 sonders in nassen Jahren i. d. R. deutlich BP; nach Daten ornithologischer Arbeits- höhere Bruterfolge gibt als in trockenen kreise Groß-Gerau NABU/HGON, Graf (vgl. 2011 und 2014). Auch bei Starknie- 2000). Während des zurückliegenden Sie- derschlägen und gleichzeitig auftretenden ben-Jahreszeitraums konnte die Kiebitz- Kältephasen wurden keine bedeutsamen Population im Landkreis aber durch die Jungvogelverluste festgestellt. Vielmehr Schutzmaßnahmen annähernd stabil gehal- schienen die positiven Effekte der starken ten werden. Einzelne Vorkommensgebiete Regenfälle auf Habitatausstattung und Nah- im Landkreis wurden in den letzten Jahren rungsverfügbarkeit die negativen Effekte, allerdings auch komplett aufgegeben. Hier- z. B. die potentielle Gefahr der Flutung von bei handelt es sich insbesondere um Bereiche Gelegen bzw. von Jungvogelverlusten durch mit sehr kleinen Populationen, Bereiche mit Kälte und Nässe, deutlich zu überwiegen. sehr intensiver Landwirtschaft (zunehmend Auffällig waren z. T. auch die Unter- auch Folienanbau und Foliengewächs- schiede hinsichtlich des Bruterfolges zwi- häuser) und/oder Gebiete, die sich in den schen einzelnen Teilgebieten im Landkreis östlichen Randlagen des Landkreises befin- innerhalb eines Jahres. In sehr offenen, eher den. Es hat also eine deutliche Konzentra- strukturarmen, z. T. auch zerschnittenen Be- tion der Vorkommen auf die Kernbereiche reichen waren die Bruterfolge in Einzel- des Hessischen Rieds gegeben. Die früher fällen höher als in anderen Teilgebieten. Dies bestehenden Kontakte der Riedpopulation dürfte als Indiz dafür zu werten sein, dass über punktuelle Vorkommen, z. B. längs die Dichte an Bodenprädatoren wie Fuchs des Mühlbachs, in den Landkreis Darm- und Marder 1) auch im Hessischen Ried ein stadt-Dieburg (Achse Worfelden, Gräfen- entscheidender Faktor für die Überlebens- hausen bis hin zu den Vorkommen in der rate von jungen Kiebitzen ist. Diese Hypo- unteren Gersprenzaue), sind damit weitge- these wird ferner durch die Tatsache unter- hend erloschen (Stübing & Werner 2017). mauert, dass in Teilgebieten, in denen durch Absprache mit der Landwirtschaft der Schlüpferfolg von Gelegen sichergestellt 3.2 Bruterfolge und Prädation wurde, die Kiebitze in der Vergangenheit häufig innerhalb der ersten Woche ihre Die Bruterfolge der Kiebitz-Gesamt- Küken verloren. Dass hier (zumindest in population im Kreis Groß-Gerau schwank- manchen Jahren) von Seiten der Boden- ten zwischen den einzelnen Jahren deutlich. prädatoren ein hoher Druck auf die Kiebitz- Sie lagen kreisweit zwischen 0,2 und 1,5 Population besteht, wird auch eindrucksvoll größeren Jungvögeln pro Brutpaar, wobei durch die Tatsache belegt, dass nach Einzäu- die Angaben als Mindestangaben zu verste- nung eines der wichtigsten „Kiebitz-Äcker“ hen sind. Da in allen Vorkommensgebieten im Kreis Groß-Gerau mit einem Elektro- im Landkreis mittlerweile Absprachen zum zaun der Bruterfolg massiv nach oben gegan- Gelegeschutz zwischen Bewirtschaftern gen ist. Im Jahr 2015 erbrüteten allein auf und Naturschutz stattfinden, wurden die dem eingezäunten Acker bei Groß-Gerau- Verluste von Nestern durch die Landwirt- Wallerstädten zehn Paare mind. 30 Junge und schaft wirksam minimiert. Bei nahezu jeder 2016 zehn Paare mind. 28 Jungvögel. Der Brutansiedlung im Betrachtungsgebiet er- effektive Einsatz des Elektrozaunes seit 2013 folgte eine Information des Eigentümers ist auch aus Abb. 4 ersichtlich (das Jahr 2014 bzw. Bewirtschafters der Fläche. Die Zahl war aufgrund anhaltender Trockenheit ein der jährlich durch das Fachgebiet Land- allgemein schwieriges Jahr für die Kiebitze). schaftspflege getroffenen Absprachen und ggf. notwendigen Verträge sind Tabelle 2 1) Der Waschbär tritt im Hessischen Ried als Prädator zu entnehmen. bisher nur selten auf

88 Tabelle 2: Im Rahmen des Kiebitzschutz-Projektes im Landkreis Groß-Gerau getroffene Absprachen und Bewirtschaftungsverträge gemäß Hessischem Integriertem Agrar- umweltprogramm (HIAP) bzw. Hessischem Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflegemaßnahmen (HALM). Jahr Absprachen / Bewirtschaftungsverträge /Agrarumweltmaßnahmen 2010 18 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege angesprochen, HIAP 2010: 4 Verträge für 11 ha Acker und 3,3 ha Wiesenflächen 2011 11 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege schriftlich benachrichtigt (E-Mail/FAX), daneben ca. 8 weitere, persönlich oder telefonisch im Gespräch; nicht erfasst sind Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HIAP 2011: 12,08 ha verzögerte Maisaussaat um 4–10 Wochen (4 Betriebe) 2012 3 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege schriftlich benachrichtigt (E-Mail/FAX), ca. 5 weitere, persönlich oder telefonisch im Gespräch; nicht erfasst sind Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HIAP 2012: 2,4 ha verzögerte Maisaussaat um 6 Wochen (1 Betrieb) 2013 4 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege schriftlich benachrichtigt (E-Mail/FAX), daneben ca. 5 weitere, persönlich oder telefonisch im Gespräch; nicht erfasst sind Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HIAP 2013: 6,1 ha verzögerte Maisaussaat um 4 Wochen (1 Betrieb), 2,4 ha verzögerte Maisaussaat um 8 Wochen (1 Betrieb) 2014 Keine Anschreiben erforderlich, ca. 5 Landwirtschaftsbetriebe im persönlichen- oder telefonischen Gespräch durch das Fachgebiet Landschaftspflege benach- richtigt; zusätzliche Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HIAP 2014: 2,4 ha verzögerte Maisaussaat um 10 Wochen (1 Betrieb) 2015 Keine Anschreiben erforderlich, ca. 5 Landwirtschaftsbetriebe im persönlichen- oder telefonischen Gespräch durch das Fachgebiet Landschaftspflege benach- richtigt; zusätzliche Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HALM 2015: 1,2 ha Schwarzbrache (1 Betrieb) 2016 4 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege schriftlich benachrichtigt (E-Mail/FAX), daneben ca. 5 weitere, persönlich oder telefonisch im Gespräch; nicht erfasst sind Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HALM 2016: 1,2 ha Schwarzbrache (1 Betrieb) 2017 7 Landwirtschaftsbetriebe wurden durch das Fachgebiet Landschaftspflege schriftlich benachrichtigt (E-Mail/FAX), daneben ca. 5–10 weitere, persönlich oder telefonisch im Gespräch; nicht erfasst sind Absprachen vor Ort zwischen Kiebitzbetreuern und Bewirtschaftern HALM 2017: 1,2 ha Schwarzbrache (1 Betrieb), 1,8 ha verzögerte Maisaussaat um 5 Wochen (1 Betrieb) alle weiteren: Gelege bei Bearbeitung ausgespart – nicht erfasst sind Kiebitzmaßnahmen ohne HALM.

89 In einigen Jahren konnten die Kiebitz- von der „Stärke“ der Kolonie von insgesamt Betreuer sogar den Eindruck gewinnen, dass 20–25 Paaren in diesem Bereich profitier- die Kiebitze regelrecht darauf warteten, ten. dass der Elektrozaun aufgestellt wird. Die Auf den Wildkameras konnten in den Kiebitze balzten zwar häufig, das Anlegen zwei Jahren, seitdem sie in den Brutgebieten der Nester erfolgte aber sehr plötzlich we- eingesetzt werden, erfreulicherweise keine nige Tage nach dem Aufstellen des Zaunes. Prädatoren dokumentiert werden. Da die Offensichtlich realisieren die Vögel sehr Kameras allerdings erst an sechs Nestern schnell, dass sie innerhalb des Zaunes Ruhe (2016: vier und 2017: zwei) zum Einsatz vor Bodenprädatoren, insbesondere in der kamen, ist zur Zeit noch nicht klar, ob die Nacht, haben. Ergebnisse als repräsentativ einzuschätzen Die hohen Bruterfolge innerhalb des sind. Da zumindest 2016 die Bruterfolge – Elektrozaunes belegen aber auch, dass mög- auch außerhalb der eingezäunten Bereiche liche Prädatoren aus der Luft, wie z. B. – relativ gut waren, könnte möglicherweise Greif- oder Rabenvögel oder der zuletzt bei auch die in diesem Jahr sehr ausgeprägte der Jägerschaft intensiv diskutierte Weiß- Fuchs-Räude Auswirkungen auf die Fuchs- storch, zur Zeit im Kreis Groß-Gerau nur population und somit auf den Prädations- sehr geringen bzw. keinen Einfluss auf den druck gehabt haben. Die Bodenprädatoren Bruterfolg beim Kiebitz besitzen. werden in diesem Bereich zudem relativ Die Berichte der ehrenamtlichen Kie- intensiv bejagt. bitz-Betreuer belegen hier eindeutig, dass trotz hoher Weißstorchdichten oder sogar Weißstorch-Kolonie-Ansiedlungen im di- 3.3 Zukunft der Kiebitze rekten Umfeld der Brutvorkommen die im Kreis Groß-Gerau Kiebitze keine Probleme mit Weißstörchen hatten. Überfliegende Rohrweihen, Milane Der Kiebitz wird in den Ackerland- oder Mäusebussarde wurden, insbesondere schaften des Hessischen Rieds (und anderen im Bereich der lockeren Kiebitz-Kolonien, Agrarlandschaften Hessens) nur zu halten effektiv und problemlos vertrieben. Gegen- sein, wenn es dem Natur- und Vogelschutz über den Weißstörchen zeigten die Kiebitze in Kooperation mit der Landwirtschaft ge- kaum aggressives Verhalten, häufig sogar lingt, die Bruterfolge der landesweit vom Desinteresse, was auf eine vernachlässig- Aussterben bedrohten Art längerfristig bare Rolle als Prädator von Jungvögeln deutlich zu verbessern. hinweist. Die Bemühungen im Kreis Groß-Gerau Die nahezu täglichen Vor-Ort-Erfah- zeigen, dass dies bei einer intensiven Be- rungen der Kiebitzbetreuer zeigen aber treuung von größeren Schwerpunktvor- auch, dass je größer die kolonieartigen An- kommen gelingen kann, aber gleichzeitig siedlungen waren, desto effektiver sich die eines sehr hohen Aufwandes bedarf. „Der Abwehr von Feinden aus der Luft darstellte. Kampf um jedes Gelege und jedes Ei“ ist Häufig überflogen Rohrweihen, die in rela- erfolgreich, sobald die ehrenamtlichen tiver Nähe zu größeren Kiebitzgebieten Kiebitz-Betreuer die Früchte ihrer aufwän- brüteten, diese Areale gar nicht mehr, da digen Arbeit in Form von jungen Kiebitzen diese bei Überflug regelmäßig und über sehen – weil die Absprachen zwischen größere Strecken „verprügelt“ wurden; Naturschutz- und Landwirtschaftsverwal- Junggesellentrupps von Rabenkrähen an tung bzw. bewirtschaftenden Landwirten einer nahen Biogasanlage mieden die Kolo- schnell und effizient getroffen werden und nieareale aus diesen Gründen ebenso. Die sich über die Jahre eine vertrauensvolle, von Kiebitz-Paare im direkten Umfeld des ein- Routine geprägte Zusammenarbeit zwi- gezäunten Bereichs hatten häufig auch schen lokalen Kiebitz-Betreuern und Land- höhere Bruterfolge, da auch diese Paare wirten einstellt.

90 Im vorliegenden Projekt hat sich ne- lich bis dahin angewachsene Brutpopulation ben den direkten Absprachen zum Schutz eine weniger intensive Betreuung benötigt. vor bewirtschaftungsbedingten Gelege-Ver- Die wichtigsten Kiebitz-Gebiete liegen lusten das Einzäunen von „traditionellen“ traditionell in den feuchten Senken ehema- Kiebitz-Äckern mit Elektrozaun (zum liger Rhein- oder Altneckarmäander, die Schutz vor Bodenprädatoren) als besonders nur schwierig und in engen Zeitfenstern zu effizient erwiesen, um kurzfristig zu einer bearbeiten sind. Hier sind es häufig die um deutlichen Erhöhung des Bruterfolges bei- den 20. April eingesäten Mais-Äcker, die zutragen. Die Bruterfolge innerhalb der den Kiebitzen ein Vorkommen ermög- eingezäunten Fläche lagen in den letzten lichen. Nicht selten bleiben auf diesen Jahren häufig mindestens drei- bis zehnmal Ackerflächen bei hohem Grundwasser- so hoch wie außerhalb, wobei regelmäßig stand und nach Starkniederschlägen Pfüt- Bruterfolge von 2,8 – 3,0 Jungvögeln pro zen und Flutmulden stehen (s. Abb. 5). Brutpaar erzielt wurden. Diese nassen Äcker sind in der Regel die Nach den bisherigen Erfahrungen mit essentiellen Brutstätten der Kiebitze im den Elektrozäunen könnte mit weiteren Kreis Groß-Gerau. Falls es hier keine Zäunen an den vier bis fünf wichtigsten wirksamen Absprachen mit den Land- „traditionellen“ Kiebitz-Äckern der Ge- wirten gibt, kann es sehr schnell passieren, samtbruterfolg der Kiebitze im Hessischen dass die Bewirtschaftung bzw. Einsaat die Ried schnell und effektiv weiter verbessert zumeist seit Ende März/Anfang April be- werden, in der Hoffnung, dass nach einem brüteten Erstgelege zerstört. Der Brut- Zeitraum von etwa zehn Jahren die hoffent- erfolg der Nachgelege, die dann gezeitigt

Abb. 5: Die wichtigsten Kiebitz-Gebiete liegen traditionell in den feuchten Senken ehema- liger Rhein- oder Altneckarmäander (Foto: Heidemarie Theiß).

91 werden, ist meist deutlich geringer als die gemeine Schussfolgerungen zusammenfas- der Erstgelege, zumal die Nachgelege häu- sen: fig nur noch zwei Eier (statt vier Eier im b Für jedes Kiebitz-Schwerpunktvorkom- Erstgelege) umfassen. men sollten mind. ein bis zwei Kiebitz- Neben tiefliegenden, nassen Maisäckern Betreuer benannt werden, so dass insge- haben sich auch Rüben, Zwiebel, Schnitt- samt ein Netzwerk von ehrenamtlichen lauch und verschiedene Kräuter als für Betreuern entsteht. Das Netzwerk sollte Kiebitz-Bruten geeignete Kulturen erwie- zentral koordiniert werden. Es sollte re- sen. Früher waren auch häufiger Getreide- gelmäßig Treffen für einen Erfahrungs- äcker Brutplätze von Kiebitzen. Hierbei ist austausch der Ergebnisse organisiert wer- allerdings der Einsaat-Zeitpunkt und bei den. Im Landkreis Groß-Gerau treffen Wintergetreide auch die Strenge des Win- dich die Ortsbeauftragten für Vogel- ters entscheidend, wie „grün“ die Fläche im schutz der Vogelschutzwarte bzw. Kie- frühen Frühjahr erscheint. bitz-Betreuer zweimal jährlich (vor und Wenn die Flächen nur „zaghaft grün“ nach der Saison) mit den Vertretern der und noch nicht zu dicht bewachsen sind, Unteren Naturschutzbehörde und dem können auch diese Kulturen von Kiebitzen Sachgebiet Landschaftspflege des Land- angenommen werden. rates Darmstadt-Dieburg. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr b Die Information von auf Äckern brüten- für die Kiebitz-Brutpopulation ist das zu- den Kiebitzen muss sehr schnell (in ein nehmende Vordringen des Spargel- und bis drei Tagen) über die Landwirtschafts- Erdbeeranbaus (und z. T. auch Himbeer- verwaltung an den jeweiligen Bearbeiter Anbau) auch auf die zumeist schweren gelangen, damit entsprechende Abspra- Böden des Hessischen Rieds. Die Anlage der chen getroffen werden, um bewirtschaf- Kulturen, die hier immer unter Folienab- tungsbedingte Gelege-Verluste zu mini- deckung und zunehmend sogar in Folien- mieren. Gewächshäusern angelegt werden, führt zu b Die Ansprache der Landwirte über die Lebensraumverlusten, da durch die Anlage Landwirtschaftsverwaltung hat sich im dieser Kulturen größere Bewirtschaftungs- Kreis Groß-Gerau sehr bewährt; ebenso schläge für die Art entwertet werden. Die vor der Saison erstellte Flurstücks- und Folien-Tunnel und -Gewächshäuser werden Nutzerzuordnungen für Kiebitz-Schwer- als „Bauwerke“ wahrgenommen, zu denen punkträume, die in der Landwirtschafts- die Offenlandart Kiebitz Sicherheitsab- verwaltung vorgehalten werden, um eine stände einhält. Die intensive Ernte während schnelle Ermittlung der Bearbeiter der der Brutzeit – beim Spargel ein bis zwei Flächen zu ermöglichen. Mal täglich – wobei sich häufig mehr als b Im vorgestellten Projekt haben sich alle zehn Personen gleichzeitig über längere angesprochenen Landwirte als sehr ko- Zeiträume auf dem Acker aufhalten, bringt operativ erwiesen (es gab nur zwei Fälle, zusätzlich auch für die umliegenden Äcker wo im Jahr 2010 und im Jahr 2012 jeweils erhebliche Störungen mit sich, die sich ein Acker mit zehn markierten Gelegen während der Brutzeit gravierend auswirken durch den Landwirt ohne Rücksicht auf können. Im vorliegenden Projekt konnte die Gelege bearbeitet wurde; zudem eini- in zwei Kiebitz-Schwerpunkträumen fest- ge Verluste, wo die Information nicht gestellt werden, dass nach Anlage eines schnell genug den tatsächlichen Bearbei- größeren Spargelackers bzw. von mehreren ter der Fläche erreichte). großen Folientunneln diese Areale und ihr b Je länger die Schutzbemühungen in einem direktes Umfeld von den Kiebitzen gemie- Teilgebiet laufen, um so routinierter ist den werden. der Umgang der Beteiligten mit dem Aus den Erfahrungen des Projektes im Kiebitzschutz; ein Vertrauensverhältnis Kreis Groß-Gerau lassen sich folgende all- zwischen den lokalen Kiebitz-Betreuern

92 und den Landwirten ist für den Erfolg Folgende Ortsbeauftragte bzw.„Kiebitz- der Schutzmaßnahmen sehr förderlich. Betreuer“, die durch die Weitergabe ihrer b Die Attraktivität der „Kiebitz-Äcker“ ist Beobachtungen, Verortung von Nestern, Ab- deutlich erhöht, wenn sich Pfützen oder sprachen mit Landwirten sowie Elektro- Flutmulden auf den Äckern befinden. zaun-Aufbau und Elektrozaunbetreuung be- Diese haben für die Habitatausstattung sonders zum Erfolg des Projektes beigetra- offensichtlich eine besondere Bedeutung gen haben, seien hier namentlich genannt: (z. B. hohe Nahrungsverfügbarkeit an den Heinz Arndt, Karl-Heinz Benz, Nor- Rändern der Pfützen für Küken, ebenso bert Drodt, Frank Gröhl, Walter Hartmann, bevorzugte Sonnenplätze). Wolfgang Henning, Erwin Hinterthür (†), b Das Einzäunen von „traditionellen“ Barbara und Johannes Kilian, Alfred Kiebitz-Äckern zur Abwehr von Bo- Kunert, Helmut Lunz, Wolfgang Mayer, denprädatoren hat sich als sehr effizient Holger Melchior, Ferdinand Mendel, Ernst erwiesen. Es werden hier regelmäßig Müller, Hans Mundschenk (†), Werner Pfort- zehnfach so hohe Bruterfolge erzielt ner, Torsten Rehn, Thorsten Röder, Ortwin als in den Bereichen, wo „nur“ Abspra- Ruschitschka, Hans Schaffner, Armin chen mit den Landwirten getroffen Schneider, Natascha Schütze, Peter Skra- werden (Cimiotti et al. 2017). In Ein- bek, Gernot Volkmann (†), Brigitte und zelfällen treten an den Elektrozäunen Karl-Heinz Wendlandt sowie Herbert Zettl. Probleme auf besonders mit Rehen. Nach vorsichtigen Berechnungen des Daher sollten die Elektrozäune z. B. Zeitaufwandes, der im Rahmen dieses Pro- mit einem durchgängigen Band ober- jektes von ehrenamtlichen Naturschützern halb der Litzen besser sichtbar gemacht getragen wurde, kommen hier alleine mehr werden. Auf eine rechtzeitige, „kiebitz- als 700 „Ehrenamts-Stunden“ pro Jahr zu- gerechte“ Bearbeitung des Ackers als sammen. Schwarzbrache vor der Brutzeit ist zu Das Projekt wurde im Jahr 2016 durch achten. das NABU-Förderprojekt „Der Sympathie- träger Kiebitz als Botschafter: Umsetzung eines Artenschutz-Projektes zur Förderung 4 Dank des Kiebitzes in der Agrarlandschaft“ (www.kiebitzschutz.de) unterstützt. Das In dem vorgestellten Schutzprojekt NABU-Projekt wird gefördert durch das haben sich sehr viele Menschen über einen Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des langen Zeitraum von bislang sieben Jahren Bundesministeriums für Umwelt, Natur- intensiv engagiert, um den Kiebitzen im schutz, Bau und Reaktorsicherheit, des Kreis Groß-Gerau wieder zu einem besse- Ministeriums für Energiewende, Landwirt- ren Bruterfolg zu verhelfen. Insgesamt ha- schaft, Umwelt und ländliche Räume des ben mind. 60 Personen – und damit an- Landes Schleswig-Holstein und der Hanns nähernd so viele Personen wie Kiebitz-Brut- R. Neumann Stiftung. paare im Kreisgebiet – in diesem Projekt mitgearbeitet (Abb. 6). Unser herzlicher Dank gilt daher allen am Projekt Beteiligten, insbesondere den Ortsbeauftragten für Vogelschutz der Staat- lichen Vogelschutzwarte bzw. örtlichen „Kiebitz-Betreuern“ aus den Reihen von NABU und HGON, den sehr engagierten Mitarbeitern der Natur- und Landwirt- schaftsverwaltung und den vielen kooperie- renden Landwirten.

93 Abb. 6: Der Aufbau eines Elektrozauns zum Schutz der Kiebitz-Bruten vor Bodenpräda- toren erfordert viele ehrenamtliche Helfer (Foto: Johannes Kilian).

5 Literatur Stübing, S. & G. Bauschmann (2017): Zur Wirksamkeit von Schutzmaßnah- Cimiotti, D., H. Hötker, M. Avé, men für den Kiebitz (Vanellus vanellus) U. Bähker, H. Böhner, B. Hönisch, in Hessen – Ergebnisse einer Studie O. Kapoun, J. Kilian, T. Laumeier, 2016. – Vogel & Umwelt 22: 67 – 80. U. Mäck, J. Melter, A. Reinhard, Stübing, S. & M. Werner (2017): Zum N. Röder, M. Sommerhage, J. Sohler Brutbestand des Kiebitzes (Vanellus & H. Theiß (2017): Schutzmaßnahmen vanellus) in Hessen 2016. – Vogel & für den Kiebitz in der Agrarlandschaft Umwelt 22: 59 – 66. – Ergebnisse der Feldversuche 2016. – Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Bericht im Rahmen des Kiebitz-Pro- Werner (2010): Vögel in Hessen. Die jektes im Bundesprogramm Biolo- Brutvögel Hessens in Raum und Zeit. gische Vielfalt. Bergenhusen. Brutvogelatlas, S. 176 – 177 (Hrsg. Graf, R. (2000): Kiebitz (Vanellus vanellus HGON). – Echzell. Linné 1758). – In: Hessische Gesell- Werner, M., G. Bauschmann, M. Hor- schaft für Ornithologie und mann & D. Stiefel (2014): Zum Er- Naturschutz e.V. (Hrsg.): Avifauna haltungszustand der Brutvogelarten von Hessen, 4. Lieferung. – Echzell. Hessens. – Vogel & Umwelt 21: 37 – 69. Stübing, S. & G. Bauschmann (2011): Werner, M., G. Bauschmann, M. Hor- Artenhilfskonzept für den Kiebitz mann, D. Stiefel & J. Kreuziger, (Vanellus vanellus) in Hessen. – M. Korn, S. Stübing [Staatliche Gutachten der Staatlichen Vogelschutzwarte & HGON] Vogelschutzwarte für Hessen, (2016): Rote Liste der bestandsge- Rheinland-Pfalz und Saarland. fährdeten Brutvogelarten Hessens, Bad Nauheim. 118 S. + 29 S. Anhang. 13. Fassung, Stand Mai 2014.

94 Manuskript eingereicht am 04.05.2017, angenommen am 30.06.2017

Anschriften der Verfasser: Dr. Matthias Werner, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Heidemarie Theiß, Kreisbeauftragte für Vogelschutz der Staatlichen Vogeschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Seegasse 11, D-64546 Mörfelden-Walldorf, E-Mail: [email protected] Peter Pohlmann, Landrat Landkreis Darmstadt-Dieburg, Fachgebiet Landschaftspflege 411.3, Postfach, D-64276 Darmstadt, E-Mail: [email protected] Johannes Kilian, Ortsbeauftragter für Vogelschutz der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Am Schlag 4, D-64521 Groß-Gerau, E-Mail: [email protected]

95 Kiebitzgelege auf einem Acker (Foto: H.-O. Thorn).

Wenige Stunden alte Kiebitzjunge (Foto: A. Limbrunner).

96 Persönliches

Ehrenplaketten des Landes Hessen in Gold an eine langjährig verdiente Faunistin und drei Faunisten anlässlich des 24. Hessischen Faunistentags von Christian Hey, Wiesbaden und Albert Langsdorf, Wetzlar

Einleitung Abitur und Wehrdienst studierte er Biologie und Germanistik in Marburg und Gießen, Im Rahmen des 24. Hessischen Fauni- Titel seiner Prüfungsarbeit war „Zur Öko- stentags am 25. März 2017 wurden in der logie und Brutbiologie der Wacholder- Naturschutz-Akademie in Wetzlar vier Eh- drossel“. Und er ist der Natur konsequent renplaketten des Landes Hessen in Gold treu geblieben. verliehen. Es handelt sich bei den Geehrten Zu Beginn der 1980er Jahre koordinier- um eine langjährig verdiente Faunistin und te er die Anlage eines Freilandlabors und lei- drei Faunisten, nämlich Herrn Wolfgang tete Lehrerfortbildungen im Fach Biologie. Lübcke, Herrn Dr. Franz Malec, Frau Sieg- Als Dezernent beim Regierungspräsi- linde Nitsche und ihren Ehemann, Herrn dium Kassel im Schuldienst übernahm Lothar Nitsche. Wolfgang Lübcke die Koordinationsaufgabe für Umwelt- und Gesundheitserziehung so- Wolfgang Lübcke ist schon seit mehr wie für die Museumspädagogik. als einem halben Jahrhundert Ornithologe Er war Vorsitzender des NABU Edertal und Naturschützer. Schon 1952 leitete er und später in weiteren NABU-Gruppen ak- eine Gruppe der Naturschutzjugend. Nach tiv. Er war aber auch Mitglied des geschäfts-

Ehrung des Ehepaars Lübcke durch Abteilungsleiter Dr. Hey (Foto: Linda Schritz).

97 führenden Vorstands der HGON und auch ums für Landwirtschaft, Forsten und Natur- im Landesnaturschutzbeirat tätig. schutz, zwei Jahre später den Kreisnatur- Zudem war Wolfgang Lübcke lange in schutzpreis und die Theodor-Heuss-Me- der Kommunalpolitik aktiv und hat sich daille. dort im Sinne des Naturschutzes auch poli- Der NABU Deutschland hat ihm im tisch eingebracht. Jahr 2002 die goldene Ehrennadel verliehen. In mehr als hundert Publikationen hat Im Jahr 2003 erhielt er durch den damaligen er sein Naturschutzwissen aufgezeichnet, Umweltminister Wilhelm Dietzel das weitergegeben und sich damit einen überre- Bundesverdienstkreuz. gionalen Namen gemacht. Mit seinen or- nithologischen Beobachtungen, seinen Auf- Dr. Franz Malec ist Paläontologe und zeichnungen und Veröffentlichungen hat er Zoologe. Er hat an der Johann-Wolfgang- dafür gesorgt, dass sein Wissen erhalten Goethe Universität in Frankfurt studiert. Im bleibt. Und er hat andere mitgezogen und Rahmen seines ersten Projektvertrages als begeistert! Nicht zuletzt durch sein konse- wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deut- quentes und langjähriges Engagement ist schen Forschungsgesellschaft untersuchte er seine Heimatgemeinde Edertal zum belieb- die fossile Kleinsäugerfauna der Mosbacher ten und bekannten Treffpunkt für Natur- Sande bei Wiesbaden. Später promovierte und Vogelfreunde aus ganz Europa gewor- Franz Malec über Kleinsäuger und ist dem den. Thema bis heute treu geblieben. Die Leistungen von Wolfgang Lübcke Schmetterlinge, Schwebfliegen, Waffen- sind natürlich nicht unbeachtet geblieben. und Raubfliegen, Faltenwespen sind weitere Bereits 1989 erhielt er die Ehrenplakette in Interessensgebiete, denen er sich wissen- Bronze des damaligen Hessischen Ministeri- schaftlich zuwandte und zu denen er im

Dr. Hey überreicht die Ehrenplakette an Dr. Franz Malec sowie einen Blumenstrauß an dessen Frau (Foto: Linda Schritz).

98 Ausland, aber auch in Hessen, viele Jahr- Sieglinde Nitsche hat sich schon früh zehnte lang forschte und forscht. für die Natur interessiert. Sie hat einige Jahre Dr. Malec wurde in den 1970er Jahren als Lehrerin gearbeitet. Nach der Geburt Kurator der zoologischen Sammlungen des ihrer Kinder hat sie zwar ihre Berufstätig- Naturkundemuseums Kassel, Mitte der keit beendet, aber ihr ehrenamtliches En- achtziger übernahm er dann die Leitung gagement für den Naturschutz bis heute des Naturkundemuseums im Ottoneum in weitergeführt und intensiviert. Kassel. Ausstellungen und Waldlehrpfade wur- Mit der Faunistischen Landesarbeitsge- den von ihr entwickelt, sie hat an Kartie- meinschaft Hessen und dem Faunistentag ist rungen mitgearbeitet und neben ihrer er seit den Anfängen eng verbunden. Seine Familienaufgabe Kartierungsergebnisse in Erkenntnisse und Forschungsergebnisse Datenreihen, sowie in Skizzen und Kar- wurden in unzähligen Aufsätzen dokumen- ten für Veröffentlichungen zusammenge- tiert und haben immer wieder dazu beigetra- stellt. gen, Wissenschaft und praktischen Natur- Die vielen Beiträge und Aufsätze, die schutz einander näher zu bringen, wie zum ihr Mann Lothar oder beide gemeinsam ver- Beispiel durch die Mitarbeit an Roten öffentlicht haben, sind durch ihr Lektorat Listen. gegangen. Zu nennen sind hier beispiels- weise die Rote Listen der Orchideen in Sieglinde und Lothar Nitsche ist ver- Hessen und die Verbreitung der Farn- und mutlich das älteste „Naturschutz-Einsatz- Blütenpflanzen Ostdeutschlands. team“ in Hessen. Die Begeisterung für den Lothar Nitsche hat sich ebenfalls schon Naturschutz haben die Beiden ein gemein- sehr früh für die Natur begeistert. Schon sames Leben lang geteilt! vor seinem Schulabschluss hatte er bereits

Urkunde und Ehrenplakette für Sieglinde und Lothar Nitsche (Foto: Linda Schritz).

99 die Jägerprüfung – das sogenannte „grüne Gesellschaft für Naturkunde und Natur- Abitur“ in der Tasche. wissenschaften“ in der Tradition des „Ver- Nach der Forstausbildung war er in ver- eins für Naturkunde zu Kassel“. schiedenen Revieren im Regierungsbezirk Die Nitsches waren und sind in vielen Kassel im Einsatz. Mitte der 1960er Jahre Redaktionen naturkundlich ausgerichteter gründete er die Vogelschutzgruppe Arol- Schriften tätig, unter anderem bei sen und war danach im Deutschen Bund b der Schriftenreihe „Naturschutzgebiete in für Vogelschutz (der heute NABU heißt) Hessen“, aktiv. b der Zeitschrift „Vogel und Umwelt“ und Lothar Nitsche war ehrenamtliches b den Schriftenreihen „Naturschutz in Hes- Mitglied des Naturschutzbeirates beim sen“ und „Naturschutz in Nordhessen“. Landkreis Kassel. Dienstlich wurde er spä- ter zum Regierungspräsidium Kassel ver- setzt und war dort unter anderem für die Aus den vielfältigen Aktivitäten der vier Ausweisung von Schutzgebieten und die Geehrten können hier nur kleine Aus- Erstellung von Pflegeplänen zuständig. schnitte dargestellt werden. Alle haben blei- Auch seine vielfältigen Tätigkeiten sind bende und wertvolle Werke geliefert, auf die nicht unbeachtet geblieben. 1986 wurde ihm nachfolgende Generationen von Faunistin- der Naturschutzpreis der Stadt Kassel ver- nen und Faunisten zurückgreifen werden. liehen. Für ihr unermüdliches und hoffentlich noch Nach seinem Eintritt in den Ruhestand lange andauerndes Engagement für den weiteten Sieglinde und Lothar Nitsche ihr Naturschutz in Hessen wurden im Namen Ehrenamt kontinuierlich aus. Sie organisier- der Landesregierung die vier Ehrenplaket- ten und gründeten die „Nordhessische ten in Gold übergeben.

Laudatoren und Geehrte (von links): Albert Langsdorf, Dr. Frank Malec mit Frau, Lothar und Sieglinde Nitsche, Dr. Christian Hey,Frau Lübcke und Wolfgang Lübcke (Foto: Linda Schritz).

100 Manuskript eingegangen am 05.04.2017, angenommen am 19.04.2017

Anschriften der Verfasser: Dr. Christian Hey, Abteilung IV: Klimaschutz, nachhaltige Stadtentwicklung, biologische Vielfalt Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Mainzer Straße 80, D-65189 Wiesbaden, E-Mail: [email protected] Albert Langsdorf Naturschutz-Akademie Hessen, Friedenstraße 26, D-35578 Wetzlar, E-Mail: [email protected]

101 Erinnerung an Hans Ludwig (1929 bis 2016) von Stephan Schäfer, Bensheim

Im Jahr 2001 erschien unter dem Titel schichte war so etwas wie seine Lebensge- „Die kleine Riedgeschichte“ eine schmale schichte. Geboren am 2. April 1929, im selben Broschüre, herausgegeben vom Umweltamt Jahr, als der Generalkulturplan für das Hes- des Kreises Bergstraße. Mitverfasser und we- sische Ried beschlossen wurde, mit dem aus sentlicher Anreger war der Lorscher Hans der nassen Riedlandschaft profitables, trocke- Ludwig. Es war sein Thema: die Riedge- nes Acker- und Siedlungsland werden sollte.

Hans Ludwig im Gespräch mit dem ehemaligen Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Dr. Klaus Richarz (links), und dem Vorsitzenden des NABU-Landesverbandes Hessen, Gerhard Eppler (rechts), während des 75-jährigen Jubi- läums der Staatlichen Vogelschutzwarte im September 2012 (Foto: Archiv VSW).

Als ums Jahr 1934 der Reichsarbeits- Der Junge musste nur zugreifen, um das dienst mit Schippen und Loren anrückte, Anschauungsmaterial für den Naturkunde- um die Entwässerungsgräben auszuheben, unterricht in die Volksschule zu liefern. Zum spürte der junge Hans noch nichts von den Erschrecken seiner Lehrer waren das schon langfristigen Folgen des Generalkulturplans mal ausgewachsene Ringelnattern. Hans für die ursprüngliche Riednatur. Noch wim- spürte die verborgenen Nester der Riedvögel melte es in zahllosen Rieden und Wasser- mit ihren Nestjungen auf. Er lernte ihre Rufe löchern von Leben. Der Junge entdeckte auf und Stimmen. Die Jugenderlebnisse haben seinen Streifzügen noch eine artenreiche ihn geprägt bis in seine letzten Lebensjahre, Natur, wie sie heute unvorstellbar ist. als er altersbedingt nicht mehr wie früher Wiesen- und Wasservögel, Frösche und draußen sein konnte, seinen Besuchern be- Schlangen, Fische in den Gräben allüberall. geistert und stundenlang davon erzählte.

102 Sie waren das Motiv für sein Engage- Väter der Vogelforschung aus der Mitte des ment, die verbliebenen Reste der alten Ried- 19. Jahrhunderts, regten ihn zu Vergleichen landschaft in unsere Zeit zu retten. Es war mit der heutigen Lage an. So war er etwa ein Kampf, den er mit vielen Rückschlägen fasziniert von den Massen an Feldlerchen in führen musste, als nach dem Krieg Wirt- der damaligen Dreifelderwirtschaft, die man schaftswachstum, industrielle Landwirtschaft fing und auf den Märkten verkaufte. Nicht und schneller Geldgewinn zur herrschenden zuletzt wurde Hans Ludwig so zum Chro- Lehre geworden waren und die Natur wenig nisten der gewaltigen Veränderungen in oder gar nicht zählte. Landschaft und Natur unserer Region. Zeichenhaft für den Naturschützer Hans Unvergessen ist auch der Vogelpfleger Ludwig wurde die Sorge um die Wiesen der Hans Ludwig. Seine Liebe und Nähe zur Weschnitzinsel bei Lorsch mit einem der letz- Vogelwelt fand sichtbaren Ausdruck in der ten hessischen Brutvorkommen des Großen Haltung und Aufzucht der Waldvögel. Im Brachvogels. Obwohl zum Naturschutz- Vorstand des Verbandes der Waldvogel- gebiet erklärt, konnte der Niedergang nicht pfleger setzte er sich für die natur- und tier- aufgehalten werden. Hans gab dennoch den gerechte Vogelhaltung ein, deren Wert für Kampf nicht auf. Er wusste, dass er für eine Wissenschaft und Vogelschutz er immer be- wichtige und gute Sache einstand. Fast 50 sonders betonte. Die Lorscher erinnern sich Jahre übte er in diesem Sinn auch das Ehren- noch an manche Anekdoten, etwa wenn amt des Ortsbeauftragten für Vogelschutz Hans mit seiner Dohle oder einer Krähe auf aus. Auch davon und von seiner Tätigkeit als der Lenkstange durchs Städtchen radelte. In Beringer für die Vogelwarte Helgoland er- den Volieren seines Gartens haben im Laufe zählte er gern. Wer ihm zuhörte, konnte er- der Jahre viele große und kleine Vogelarten leben, wie eine tiefe Naturverbundenheit ein ihre Nester gebaut und die Jungen aufgezo- Menschenleben tragen und bereichern kann. gen. Wegen ihrer Intelligenz hat sich Hans Viele unter uns Jüngeren haben ihm für diese besonders für die Rabenvögel interessiert. Er Erfahrung zu danken. hat viele von ihnen gepflegt und konnte auf- War einmal der Forschertrieb im jungen zeigen, dass die Rabenvögel keine „Schäd- Hans geweckt, so ließ er ihn nicht mehr los. linge“ sind und nur Unwissen und Egoismus Der Vogelkunde galt sein Interesse. Er stu- sie dazu erklären. Wer im Übrigen erlebt hat, dierte die Vogelbücher, derer er habhaft wer- mit welcher Sorgfalt der schwere Mann – den konnte, las Fachartikel, ging zu Fach- Hans war gelernter Betriebsschlosser und vorträgen. Er wurde Mitglied in der Deut- Vorarbeiter im Mannheimer Benz-Werk – schen Ornithologen-Gesellschaft und erwarb einen so leichten, zarten Vogelkörper in möglichst alle Neuerscheinungen. So trug er seine Obhut und Hand nahm, konnte davon in vielen Jahren eine Fachbibliothek zusam- nur gerührt sein. men, wie es kaum eine zweite gibt. Aus ihr Hans hörte gern barocke Musik. Wenn schöpfte er sein reiches Fachwissen, das er in es in der Lorscher St. Nazarius-Kirche ein seinen zahlreichen Publikationen und Vorträ- Konzert mit Werken der alten Meister gen einbrachte. So schrieb er z.B. den Basis- Händel, Bach, Haydn und andere gab, fand artikel zum jeweiligen Vogel des Jahres für die man ihn dort als aufmerksamen Zuhörer. Jahreshefte des „Collurio“. Auch den Beitrag Vielleicht waren es die vielfältigen reichen zum Jahresvogel 2016, dem Stieglitz, hatte er Harmonien, die Vielstimmigkeit und Bewe- schon angefangen. Am lebendigsten aber war gung, die in dieser Musik zum Ausdruck Hans, wenn er sein vogelkundliches Wissen kommen, die ihm gefielen und die ihn anzo- mit dem reichen Schatz seiner persönlichen gen, hatte er doch von klein auf gelernt, auf Erfahrungen und Erlebnisse verband. das vielstimmige Leben in der Riednatur zu Mit dem Alter wuchs sein Interesse am hören. Historischen der Vogelkunde. Besonders die Leid blieb Hans Ludwig nicht erspart. Berichte des „alten Naumann“, einem der Als 16Jähriger wurde er noch im Frühjahr

103 1945 in den sinnlosen „Endkampf“ des Hitler-Regimes geschickt und musste die Schrecken des Krieges erfahren. Das machte ihn zum entschiedenen Kämpfer für Frieden und Verständigung, der allen ideologischen Aufrüstungen widerstand. Als gewählter Sprecher seiner Arbeitskollegen setzte er sich freimütig für deren berechtigte Interessen ein und erwarb sich dafür bis heute ihre Hoch- achtung. Die letzten Jahre waren überschattet vom Nachlassen seiner körperlichen Kräfte. Es bedrückte ihn, dass er die Vogelstimmen nicht mehr hörte und ihm die Bewegungen zunehmend schwerer fielen, so dass er kaum noch nach draußen gehen konnte. Mehr noch betrauerte er den Verlust an Artenvielfalt in der Natur, den Rückgang ehemals häufiger Vogelarten und den Schwund der natürlichen Lebensräume. Er nahm wahr, dass es das ganzheitliche Verständnis von Vogelschutz, wie er es noch verkörperte, heute in der Weise kaum mehr gibt. Ein Lichtblick und eine Hoffnung war es aber für ihn, dass er noch die Präsentation der Pläne zur Wiedervernässung der Lorscher Wiesen erleben durfte, ein Ziel, für das er Jahrzehnte gearbeitet hat. Hans Ludwig entschlief im Bewusstsein, dass ihm ein langes Leben beschieden war, reich an Erfahrungen und Anerkennung, reich auch an vielen schönen Erlebnissen. Umsorgt von seiner Familie und betrauert von den vielen Freunden und Mitstreitern verschied er gegen 4 Uhr in der Frühe des 28. Januars 2016 in seinem Haus in Lorsch. Er wurde 86 Jahre alt.

Manuskript eingegangen am 10.02.2016, angenommen am 11.02.2016

Anschrift des Verfassers: Stephan Schäfer, Kreisbeauftragter für Vogelschutz, Ludwigstraße 36, D-64625 Bensheim, E-Mail: [email protected]

104 Ehemaliger Naturschutzabteilungsleiter Dr. Eberhard Faust verstorben von Klaus-Ulrich Battefeld, Wiesbaden

Dr. Eberhard Faust mit seinem Jagdterrier (Foto: Thomas Hönig).

Der ehemalige Leiter der hessischen Na- gefangenschaft verschont. Mehrere Verlet- turschutzverwaltung, Dr. Eberhard Faust, zungen aus dieser Zeit zeichneten ihn bis ans verstarb am 22. Juni 2016 im Alter von 91 Lebensende. Faust studierte Forstwissen- Jahren in seinem Geburtsort Braunfels. schaften und legte 1949 seine Prüfung als Dr. Faust wuchs in Leun und Braunfels Diplom-Forstwirt ab, im Jahr 1952 die auf und legte 1943 in Gießen seine Reife- Große forstliche Staatsprüfung. Nach einem prüfung ab. Wie viele seiner Zeitgenossen halben Jahr als freiberuflicher Forsteinrich- blieb auch er nicht von Weltkrieg und Kriegs- ter verlegte Dr. Eberhard Faust am 1. Januar

105 1953 auch beruflich seine Wirkungsstätte an für Forstbenutzung der Albert-Ludwigs- den Geburtsort Braunfels zurück und über- Universität Freiburg über „Auswirkungen nahm bis 1973 die Leitung des Fürstlich der Mechanisierung auf Betriebsführung Solms-Braunfels’schen Forstbetriebs. In die- und Wirtschaftlichkeit eines Forstbetriebes: ser Zeit promovierte Faust 1964 am Institut dargestellt am Beispiel der Fürst zu Solms-

Dr. Faust-Eiche im Wald bei Braunfels/Lahn-Dill-Kreis (Foto: Werner Schindler).

106 Braunfels’schen Forstverwaltung“. Im Jahr Position der Naturschutzverbände bis hin 1972 wurde Faust der erste Träger des Karl- zu Beiräten und einem Verbandsklagerecht, Abetz-Preises der Universität Freiburg. Mit die Einrichtung des Naturschutzzentrums diesem Preis werden jeweils hervorragende „NZH“ in Wetzlar, dessen vierzigjähriges Beiträge zur Wirtschaftlichkeit privater Jubiläum er um wenige Tage nicht mehr Forstbetriebe ausgezeichnet. Der Preis ist erlebte, und die Stiftung Hessischer Natur- nach dem Freiburger Forstökonomie-Pro- schutz, die ebenfalls bald ein vierzigjähriges fessor Karl Abetz (1896 – 1964) benannt und Jubiläum feiern wird. Die Biotopsiche- soll auch dessen herausragende Verdienste rungs- und Entwicklungskonzeption, das würdigen. Die mit 10000,-- DM dotierte Investitionsprogramm Naturschutz, die Auszeichnung hatte Max Willibald Erbgraf Ausweisung von mehr als 300 Natur- von Waldburg zu Wolfegg und Waldsee schutzgebieten, die Umsetzung des Was- 1971 gestiftet. hingtoner Artenschutzübereinkommens in Faust schied auf eigenen Wunsch 1973 Hessen, die naturschutzrechtliche Ein- aus dem Privatforstdienst aus. In diesem griffsregelung, Auenverbünde und erste Jahr vollzog er einen grundlegenden Para- großräumige Vernetzungskonzepte sind in digmenwechsel: Er übernahm im Quer- dieser Zeit prägende Neuerungen. Nicht zu einstieg als „Landforstmeister z. A.“ die vergessen, dass auch die Gründung der hes- Leitung des für Naturschutz und Natur- sischen Naturschutzzeitschrift „Vogel und parke zuständigen Referats im damaligen Umwelt“ im Jahr 1980 in die Ära Faust fällt. Hessischen Ministerium für Landwirtschaft Als gelernter Forstmann war er im spä- und Umwelt. Im Jahr 1985 umfassten teren Berufsleben professioneller Manager Naturschutz und Landschaftspflege bereits sowohl in der Ökonomie als auch der Öko- eine ganze Referatsgruppe, deren Leitung logie. Faust innehatte. 1986 wechselte diese Mit Dr. Eberhard Faust ist ein höchst Gruppe unter dem ersten hessischen Grü- humorvoller und liebenswerter Mensch von nen Umweltminister Joschka Fischer in das uns gegangen. Das Naturdenkmal Nr. 180 neu gebildete Ministerium für Umwelt und des Lahn-Dill-Kreises, die über 400-jährige Energie, kurze Zeit später wurde Faust stell- Dr. Faust-Eiche, wird hoffentlich auch dazu vertretender Abteilungsleiter. Nach dem beitragen, ihn in Erinnerung zu behalten. Ende der ersten rot-grünen Koalition in Hessen wurde Dr. Faust schließlich Leiter der Abteilung Naturschutz und Land- schaftspflege bis zum Jahr 1989. Hoch effizient und „mit allen Wassern Manuskript eingereicht am 08.11.2016, gewaschen“ nutzte Faust seine Manage- angenommen am 23.12.2016 menterfahrungen und sein weit gespanntes Netzwerk, um 16 Jahre lang prägend den Naturschutz in Hessen zu gestalten. In die- Anschrift des Verfassers: ser Zeit stieg das Volumen des hessischen Klaus-Ulrich Battefeld, Naturschutzhaushalts von 125000 DM auf Referat IV 4A „Artenschutz, Naturschutz 18 Mio. DM, und das Hessische Natur- bei Planungen Dritter, schutzgesetz wurde 1981 erlassen. Dr. Eber- Landschaftsplanung, Naturschutzrecht“ hard Faust pflegte in dieser Boom-Phase des Hessisches Ministerium für Umwelt, hessischen Naturschutzes eine kongeniale Klimaschutz, Zusammenarbeit mit dem damaligen prä- Landwirtschaft und Verbraucherschutz, genden Vorsitzenden des Landesnatur- Mainzer Straße 80, schutzbeirates, Willy Bauer. D-65189 Wiesbaden, Bleibende Ergebnisse aus der Schaffens- E-Mail: periode von Dr. Faust sind eine Stärkung der [email protected]

107 Neue Literatur

Dietzen, C., T. Dolich, T. Grunwald, mit einem Team von 23 weiteren Ornitho- P. Keller, A. Kunz, M. Niehuis, logen, die seit Jahrzehnten in Rheinland- M. Schäf, M. Schmolz & M. Wagner Pfalz avifaunistisch tätig sind und daher (2014): Die Vogelwelt von Rheinland- „Land und Vögel“ sehr gut kennen. Pfalz. Band 1. Allgemeiner Teil. – Allein dieser „Allgemeine Teil“ besteht aus Fauna und Flora in Rheinland-Pfalz, mehr als 800 Seiten, in denen sehr umfang- Beiheft 46. GNOR-Eigenverlag, reich die „Historie der Vogelforschung“, die Landau. 864 S., 470 Farbfotos, „naturbedingte Beschaffenheit“ sowie be- 331 farbige Karten und Diagramme, reits zusammenfassende Betrachtungen zur 55 Tabellen. – Bezug: GNOR, „Vogelwelt in Rheinland-Pfalz“ vorgelegt Osteinstraße 7 – 9, 55118 Mainz werden. Die „Historie der Vogelforschung“ oder per E-Mail: [email protected]. startet bereits im 11. Jahrhundert bei Hilde- ISBN 978-3-9807669-9-9. gard von Bingen und beschreibt die Arbeits- schwerpunkte von über 130 Ornithologen, die sich bis heute in Rheinland-Pfalz und teils auch darüber hinaus sehr verdient ge- macht haben. Bei der „naturbedingten Be- schaffenheit“ werden Geologie, Naturräume und Klima dargestellt sowie darauf basierend eine umfangreiche Beschreibung der Vogel- fauna dieser Naturräume gegeben und dabei auch die für Vögel besonders bedeutsamen Gebiete im Land vorgestellt. Im sehr umfangreichen Teil „Vogelwelt in Rheinland-Pfalz“ werden alle Vogelerfas- sungsprogramme vorgestellt, mittels derer teils seit Jahrzehnten eine enorme, kaum bewältigbare Summe von Daten von wohl mehr als 2000 in der Danksagung genannten Beobachtern erhoben und zusammen gestellt wurde, die als Basis dieser Avifauna dienen. Auffällig und etwas schade ist aber, dass hier die aktuellen DDA-Monitoringprogramme nicht erwähnt sind, da sie sich offensichtlich in Rheinland-Pfalz (noch) nicht etabliert haben. Weiterhin erfolgt eine Beschreibung der „Avizönosen in Rheinland-Pfalz“ unter dem Nachdem bereits 1977 im Gründungsjahr Blickwinkel des Status der Arten (Brutvogel- der Gesellschaft für Naturschutz und Orni- gemeinschaften, regelmäßige bzw. unregel- thologie Rheinland-Pfalz e.V. (GNOR) ein mäßige Durchzügler und Wintergäste sowie wesentliches Ziel die Erstellung einer Avi- Neozoen). Abschließend wird die erstmals fauna von Rheinland-Pfalz war, hat es doch wieder seit 1990 (!) aktualisierte Rote Liste fast 40 Jahre gedauert, bis nun als erster der Brutvögel dargestellt mit umfangreichen Band der „Allgemeine Teil“ dieses in mehre- Erläuterungen zu Gefährdungsursachen und ren Bänden konzipierten Werkes vorgelegt Schutzmaßnahmen. Der Band endet mit wurde. Bearbeitet wird diese Avifauna unter einem voluminösen Literaturverzeichnis mit der Regie von Christian Dietzen zusammen knapp 1900 Zitaten.

108 Insgesamt ist dieses sehr informative Werk mit einer Vielzahl hervorragender Farbfotos von Vögeln und Lebensräumen aus Rhein- land-Pfalz plakativ gestaltet und lässt sich vor allem durch das zweispaltige Layout sehr gut lesen. Analoges gilt für die Vielzahl an Karten, Grafiken und Tabellen, die die Aus- sagen im Text anschaulich untermalen. Wenn überhaupt etwas zu bemängeln ist, dann, dass die stellenweise dunkel (graublau) unterlegten Passagen ggf. etwas zu dunkel sind und der Text dort etwas schwerer lesbar ist. Hier wäre eine etwas hellere Schattierung lesefreundlicher gewesen. Dieser zudem nur an wenigen Stellen auftretende „Makel“ kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass dieses Werk sowohl von seiner Masse als auch seiner Klasse im obersten Bereich der Avifaunen rangiert und damit ein sehr hochwertiges Werk gelungen ist. Auch wenn für „Nicht-Rheinland-Pfälzer“ sicherlich die Menge an Details teils erschlagend sein kann, wird man sehr vieles an Erkenntnissen finden, was auch über die Grenzen dieses Bundeslandes hinaus Bedeutung besitzt. Dieses Buch kann daher, auch aufgrund eines günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses, der gesamten vogelkundlich interessierten Leser- schaft im deutschsprachigen Raum uneinge- schränkt empfohlen werden. Auch wenn mit der nun begonnenen Avifauna wieder einmal die Binsenweisheit „Gut Ding braucht Weil“ bestätigt wurde, bleibt zu hoffen, dass das nicht für die restlichen Bände gilt.

Josef Kreuziger

109 Dietzen, C., T. Dolich, T. Grunwald, Dietzen, C., H.-G. Folz, T. Grunwald, P. Keller, A. Kunz, M. Niehuis, P. Keller, A. Kunz, M. Niehuis, M. Schäf, M. Schmolz & M. Wagner M. Schäf, M. Schmolz &M. Wagner (2015): Die Vogelwelt von Rheinland- (2016): Die Vogelwelt von Rheinland- Pfalz. Band 2. Entenvögel bis Pfalz. Band 3. Greifvögel bis Specht- Storchenvögel (Anseriformes – vögel (Accipitriformes – Piciforms). – Ciconiiformes). – Fauna und Flora in Fauna und Flora in Rheinland-Pfalz, Rheinland-Pfalz, Beiheft 47. GNOR- Beiheft 48. GNOR-Eigenverlag, Eigenverlag, Landau. 642 S., 225 Fotos, Landau. 896 S., 300 Fotos, 391 farbige Karten und Diagramme, 547 farbige Karten und Diagramme, 26 Tabellen. – ISBN 978-3-946121-00-8. 32 Tabellen. – ISBN 978-3-946121-01-5.

Nachdem 2014 bereits der „Allgemeine Teil“ bietskenntnis einfließen konnte. In diesen als Band 1 der ersten Avifauna von Rhein- zwei Bänden werden auf insgesamt etwa land-Pfalz erschienen ist, wurden in schnel- 1500 stolzen Seiten alle 222 wildlebenden ler Reihenfolge in den beiden darauf folgen- Nicht-Singvogelarten dargestellt zzgl. wei- den Jahren zwei weitere Bände vorgelegt, terer gut 30 Arten, die als Gefangenschafts- in denen die Non-Passerifomes bearbeitet flüchtlinge eingestuft sind. Darüber hinaus sind, die daher folgend gemeinsam bespro- sind an entsprechender Stelle kleine Sonder- chen werden sollen. kapitel eingebaut wie „Hybridisierung von Federführend bearbeitet wird dieses Werk Vögeln in Rheinland-Pfalz“ bei den Wasser- von Christian Dietzen mit Unterstützung vogelarten, „Limikolenrastplätze in Rhein- weiterer „Mitarbeiter“, allesamt landesweit land-Pfalz“ oder „Ackerlimikolen auf dem renommierte Ornithologen und Avifauni- Ober-Hilbersheimer Plateau“, die über die sten, so dass hier kompetenter ornithologi- reinen Artkapitel hinaus bereits vertiefende scher Sachverstand gepaart mit lokaler Ge- ökologische Analysen beinhalten. Abge-

110 schlossen werden die Bände mit zusammen auf Basis der TK 25 zeigen und sehr über- etwa 2650 Literaturzitaten. sichtlich sind. Jedes Artkapitel besteht, wie es sich für eine Wenn man überhaupt etwas kritisieren will, „ordentliche“ Avifauna gehört, bei den dann hätten manche Balkendiagramme, wie Brutvögeln aus einer Beschreibung des z. B. zur Verweildauer des Mittelsägers oder Lebensraumes, der Brutverbreitung sowie zur Hangexposition der Horststandorte des der Bestandsentwicklung. Für Zug- und Schwarzstorches, ggf. etwas kleiner darge- Rastvögel erfolgt eine Darstellung des stellt werden können, hingegen die Legen- Lebensraumes, der Rastgebiete und des den mancher Abbildungen ggf. etwas Rastbestandes sowie dessen Entwicklung größer, was dem Gesamtwerk aber kaum wie auch des jahreszeitlichen Auftretens Abbruch tut. Zudem wurden kaum redak- sowie der Ringfunde, soweit verfügbar. Bei tionelle Fehler gefunden, so dass auch aus den Seltenheiten werden alle Vorkommen formaler Sicht eine stringente und ordent- dargestellt, wobei nur die durch die ent- liche Bearbeitung erfolgt ist. Etwas schade sprechenden Seltenheitenkommissionen an- ist auch, dass sich die DDA-Monitoring- erkannten Nachweise berücksichtigt wur- programme, insbesondere der häufigen den. Arten, wohl nicht etabliert haben, da zu Darüber hinaus folgen Angaben zur Bio- den häufigen Arten, wie Ringeltaube oder logie der Art (Fortpflanzung, Verhalten, Er- Buntspecht, offensichtlich nur „exemplari- nährung) sowie zu Gefährdung und Schutz, sche“ Punkt-Stopp-Zählungen bzw. Linien- jedoch nur, wenn zu dieser Art auch kon- taxierungen im Wesentlichen aus zwei Ge- krete und aussagekräftige Daten aus Rhein- bieten verfügbar waren. Hier ist abzuwar- land-Pfalz vorliegen. Dies gilt auch für die ten, wie sich dies in den späteren Bänden der Beschreibung der besiedelten Lebensräume, Singvögel manifestieren wird, auch wenn so dass diese Aspekte immer lokalspezifisch man dies natürlich nicht den Autoren der und daher interessant bleiben und nicht, wie Avifauna ankreiden kann. teils in anderen Avifaunen praktiziert, zu ei- So bleibt unter dem Strich, trotz dieser ner pauschalen handbuchartigen Darstel- beiden marginalen Kritikpunkte, ein insge- lung verkommen. Da tatsächlich immer nur samt vorbildhaftes Werk, das auch aufgrund das dargestellt wird, was für die jeweilige Art des günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses wichtig und relevant ist und wozu kon- uneingeschränkt zu empfehlen ist und das krete Daten vorliegen, besitzen die einzel- zudem starken Appetit auf die noch aus- nen Artkapitel sehr unterschiedliche stehenden Singvogelbände macht. Bleibt Längen. „Sieger“ ist hier der Weißstorch mit nur zu hoffen, dass Christian Dietzen und 30 Seiten, gefolgt von Uhu, Graureiher, seinen Mitarbeitern nicht die Puste ausgeht, Kormoran und Wanderfalke mit jeweils so dass diese Avifauna baldmöglichst abge- mehr als 20 Seiten. schlossen werden kann. Ich freue mich Wie bereits angeklungen, muss die Avifauna schon darauf! als sehr gelungen bezeichnet werden, da sie alles beinhaltet, was eine moderne Avifauna Josef Kreuziger zu zeigen hat: Fachlich fundierte Auswer- tungen gepaart mit einer plakativen Darstel- lung ergänzt durch erläuternde, aber nicht zu lange Texte, die zudem bei allen Arten durch eine Vielzahl hervorragender Fotos der Vogelarten, aber auch zu typischen Ge- bieten und Lebensräumen in Rheinland- Pfalz geziert werden. Dies gilt auch für die Verbreitungskarten, die entweder punktge- naue oder halbquantitative Darstellungen

111 Schmidt, Thomas (2016): Entdecke die weckt. Ausgewählt wurden vom Autor Störche. 48 Seiten, zahlreiche Farb- außer Weiß- und Schwarzstorch: Sattel-, fotos, Format 20,7 x 28 cm, Hardcover. Abdims-, Riesen-, Wald-, Klaffschnabel- Natur und Tier-Verlag GmbH, 48157 und Schwarzschnabelstorch sowie Nimmer- Münster. – ISBN 978-3-86659-284-1. satt und Marabu; aus der Reiherfamilie sind es Grau-, Silber-, Löffelreiher und Rohr- dommel. Für alle Arten wird in Kurztexten auf ihre Biologie, Lebensraumansprüche und Beson- derheiten eingegangen. Auf die Angabe eini- ger grundlegender, weiterführender Litera- tur ist offenbar bewusst verzichtet worden. Zu dem spannenden Thema Pfeilstörche gibt es z. B. eine überarbeitete und erwei- terte Schrift von Ragnar Kinzelbach: Das neue Buch vom Pfeilstorch. Etwas ausführlicher ist das Phänomen Stor- chenzug dargestellt. Dazu würde man sich eine verbesserte Übersichtskarte wünschen, ebenso die Berücksichtigung Spaniens als zunehmend frequentiertes Überwinterungs- quartier mit der Folge einer erstaunlichen Bestandszunahme bei uns in Deutschland. In Kombination zwischen den eindrucks- vollen Fotos und den gut verständlichen Texten wird hier schon im frühen Kindes- alter – also in einem Lebensabschnitt mit besonders intensiver Aufnahmebereitschaft Eingedenk des Slogans, nach dem der Storch – für die Bedeutung des Arten- und Biotop- als Zugpferd des Naturschutzes gilt, hat schutzes geworben. der obige Verlag ein Storchenbilderbuch Rudolf Roßbach herausgebracht, mit dem unsere Jugend- lichen schon im Vorschulalter für den Arten- und Umweltschutz begeistert werden sol- len, also dann, wenn sie noch nicht durch sportliche oder andere Aktivitäten abgelenkt und zeitlich in Anspruch genommen sind. Anders als sonst liegt die Thematik hier nicht beim Weißstorch allein, sondern es werden auch noch neun weitere Storchen- arten sowie vier Reiherarten im Überblick vorgestellt. Es handelt sich um eine anspre- chende Kindersachbuch-Reihe (30 weitere Titel), mit der das gelesene – oder vorgele- sene – Wissen am Ende des Buches mit einer Fragenliste kontrolliert und dadurch spie- lend vertieft werden kann. Durch z. T. großformatige Farbfotos, in die die Texte eingefügt sind, wird schon beim ersten Ansehen geschickt das Interesse ge-

112 Schmidt, Thomas (2017): Entdecke die Mühe gegeben hat, die verschiedenen Ge- Finken. 56 Seiten, 70 Farbfotos, sänge und Laute der Finken lautmalerisch zahlreiche Zeichnungen, zu imitieren. Das stellt sich als besonders Format: 20,7 x 28 cm, Hardcover. hilfreich dar für Kinder, die nachsingen wol- Natur und Tier-Verlag, Münster. len, aber auch für Erwachsene, denen die ISBN 978-3-866559-301-5. vielen Unterscheidungen unbekannt sind und so eine bessere Vorstellung bekommen können. Der Autor erzählt von Dialekten der Vögel, von ihren Strophen im Familien- leben etc. Viele Fachbegriffe wie, z. B. Teilzieher oder Bürzel, oder für Kinder eventuell neue Worte, wie Bucheckern werden eingeführt und kindgerecht erklärt. Sehr praxisnah, also auch leicht umsetzbar, ist der Verweis auf weitere Bücher, auf’s Internet und vor allem, wie und wo die Liebe für Tiere und Pflanzen bei der jungen Generation geweckt werden kann, z. B. durch geführte Wanderungen, durch ein Fernglas oder ein Bestimmungsbuch. Die Hinweise, dass Pflanzenschutzmittel wichtige Futterpflanzen zunichte machen und damit auch die Nahrung einzelner Finken gefährlich schmälern, sind hochak- tuell und schärfen die Aufmerksamkeit des Lesers und Zuhörers. Nicht zu oft, aber hin und wieder und umso erfrischender, sind die Kommentare der Eule Xabi. Das Buch „Entdecke die Finken“ ist ein Im Kapitel der Finken in anderen Erdtei- Band aus der „Reihe mit der Eule“ inklusive len wird zwar die Struktur der 4 Unter- eines großen Finkenquizes. Der erste Ein- familien erwähnt, jedoch vermisst man druck stimmt. Mit wunderschönen, farb- Beispiele zu diesen Familien. Was sind Or- intensiven Illustrationen lockt das Buch, es ganisten, welche Beispiele gibt es für Klei- aufzuschlagen, darin zu blättern, es anzu- dervögel? schauen und zu lesen. Bei der Gliederung gehört meines Erachtens Dem Stellenwert dieser Vogelfamilie, die das Kapitel, in dem es um Finken in anderen eine Rolle in einigen Kinderliedern spielt, Erdteilen geht, nicht an den Anfang, son- wird hier angemessen Rechnung getragen. dern eher ans Ende vor die Portraits. Es gibt Berührungspunkte zu jungen und Empfehlenswert wäre auch ein Hinweis, ab älteren, zu allen Menschen, da die Finken wie viel Jahren das Buch für Kinder geeignet überall in Stadt, Land, Gebirge und sogar in ist. der Wüste vorkommen. Mein Fazit: Die Faszination des Autors über Das Buch ist in einer schönen, natürlichen das, was er schreibt, ist in seinen Worten und gut verständlichen Sprache geschrieben, und in den Bildern spür- und erlebbar. Es bei der der Erzähler in Ich-Form den Leser ist eine Begeisterung für die Schönheit der in Du-Form anspricht, sodass das Vorlesen Natur und die Artenvielfalt. Selbst nicht klingt, als würde man es frei erzählen. erklärte Vogel-Fans kann dieses Buch fes- Auffallend ist, dass der Autor sich sehr viel seln, und der Leser entdeckt immer wieder

113 Passagen, die ihn staunen lassen. Das Buch lädt ein, immer wieder reinzuschauen und Abschnitte zu lesen, was wegen der über- sichtlichen Struktur und Gliederung sehr gut möglich ist. Für ein Alter von 6 bis 99 Jahren ist dieses Buch gut geeignet, um vor allem unsere Jugendlichen für den Natur- und Vogelschutz zu gewinnen. Anja Blum

114 Manuskriptrichtlinien

1. Manuskripte bitte in deutscher Sprache, mit vorangestellter deutscher und englischer Zusammenfassung an die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland als elektronische Vorlage einreichen. 2. Bitte keine Formatierung, d. h. keine Silbentrennung, kein Blocksatz, keine Versalien, Kapitälchen, Kursivschrift, kein Fettdruck, keine Unterstreichungen, o. ä. 3. Text, Abbildungen und Tabellen bitte in separaten Dateien vorlegen. 4. Digitale Fotos müssen unbearbeitet und in einer Mindestauflösung von 300 dpi zur Verfügung gestellt werden. Sie müssen frei von Rechten Dritter und mit dem Namen des Fotografen versehen sein. 5. Bei der Verwendung von Karten und Luftbildern (auch aus dem Internet) sind die jewei- ligen Lizenzbedingungen zu beachten. In der Regel ist die Nutzung kostenpflichtig. Bei der Verwendung des NATUREG-Viewers als Luftbildgrundlage liegt das Copyright beim hessischen Umweltministerium, das daher genannt werden muss. 6. Literaturzitate (Beispiele).

Aus Zeitschriften: Stübing, S., J. Heckmann & H.-J. Roland (2013): Seltene Vogelarten in Hessen 2005 bis 2010. – Vogel & Umwelt 20: 15 – 78.

Aus der „Avifauna von Hessen“: Norgall, A. (2000): Rotmilan – Milvus milvus. – In: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (Hrsg., 1993 – 2000): Avifauna von Hessen. Echzell.

Bücher: Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel Hessens in Raum und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell.

Aus dem Internet: Conz, O. (2006): 20. Mai 2006, Landkreis: Main-Taunus-Kreis, Zwergohreule. – URL: http://www.hgon.de/voegel/beobachten/hgon-birdnet/?tx_hgon%5bseite%5d=1012

(Stand: 07.11.2017)

Redaktionsschluss für Band 23 ist der 1. Mai 2018

115 Neuauflagen von Rote Listen in Hessen

Rote Listen sind Verzeichnisse ausgestorbe- ber hinaus dienen sie der Information der ner, verschollener und auch in unterschied- Öffentlichkeit, zeigen auch Forschungsbe- licher Weise gefährdeter Tier- und Pflanzen- darf auf und dienen ebenfalls der Erfolgs- arten bzw. Biotoptypen oder auch Artgesell- kontrolle von Maßnahmen des Natur- schaften. Sie geben damit Auskunft über Ge- schutzes. Basis zur Erstellung neuer Roter fährdungskategorien der jeweilig betrachte- Listen ist die Bewertung der Gefährdung an- ten Arten oder deren Gesellschaften. hand eines Kriteriensystems bestehend aus In Hessen gibt es seit nunmehr über 30 Jah- der heutigen Verbreitung und Bestands- ren Rote Listen zu gefährdeten Tier- und größen, der Abschätzung einer kurz und Pflanzenarten. Sie sind seitdem zu wichtigen langfristigen Bestandsentwicklung sowie der Instrumenten des Naturschutzes geworden Zuordnung von Risikofaktoren. und dienen damit auch der Erhaltung der In Hessen wurden bisher 27 Rote Listen zu biologischen Vielfalt. Sie besitzen keine Ge- verschiedenen Artengruppen erstellt und setzeskraft, sondern haben eher den Charak- vom Hessischen Umweltministerium her- ter eines wissenschaftlichen Gutachtens, das ausgegeben. Einige davon sind inzwischen in der Regel von ehrenamtlichen Experten vergriffen, andere wurden wieder neu auf- in Zusammenarbeit mit dem behördlichen gelegt. Zu letzteren gehört die gemeinsam Naturschutz erstellt werden. Rote Listen von der Staatlichen Vogelschutzwarte und bieten damit Argumentations- und Entschei- der HGON erarbeitete „Rote Liste der be- dungshilfen bei umwelt- und raumrelevan- standsgefährdeten Brutvogelarten Hessens ten Planungen, sind Anregung für Gebiets- (10. Fassung, Stand Mai 2014)“, die 2016 er- schutz- und Artenschutzmaßnahmen; darü- schienen ist.

116 Ebenfalls in Neuauflagen erschienen sind die Rote Liste der Fische und Rundmäuler (2014) und die Rote Liste der Steinfliegen (2015).

Die verfügbaren hessischen Rote Listen kön- nen in Schriftform beim Regierungspräsi- dium Gießen bezogen werden (E-Mail: [email protected]). Es besteht aber auch die Möglichkeit zum Download im NATUREG-Viewer (http://natureg.hessen.de/Main.html) unter dem Pfad: Informationsmaterial/Downloadbereich >Rote Liste Hessen.

117 Notizen

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Bezug:

Das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert die Herausgabe dieser Zeitschrift durch die Übernahme der Druckkosten. In Aner- kennung der Leistungen der Kreis- und Ortsbeauftragten für Vogelschutz und als Würdigung des ehrenamtlichen Naturschutzes und der Naturschutzarbeit in Hessen wird die Zeitschrift seit 2015 kostenlos abgegeben. Allerdings ist die Auflage gedeckelt. Daher bieten wir sowohl die Zeitschrift als auch die einzelnen Artikel zusätzlich als papierlose Variante als sogenann- tes PostDocumentFile (pdf) an. Falls Sie Interesse haben, können Sie die Jahrgänge von der Homepage der Staatlichen Vogelschutzwarte herunterladen. Bei dort aktuell noch nicht verfügbaren Artikeln wenden Sie sich bitte an die Staatliche Vogelschutzwarte.

Der Schriftentausch erfolgt durch die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Institut für angewandte Vogelforschung, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected], Internet: www.vswffm.de Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Mainzer Straße 80 65189 Wiesbaden www.hmulv.hessen.de

Inhaltsverzeichnis Seite Berichte: KUPRIAN, M., N. MÄRKER & S. WINKEL: Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz des Grauspechtes (Picus canus) in hessischen Naturschutz- und Natura 2000-Gebieten – Ergebnisse einer NATUREG-Auswertung ...... 3 SCHUPHAN, I.: Die Zaunammer (Emberiza cirlus) im Unteren Rheingau: Anhaltende Ausbreitung und Zunahme der Populationsdichte neben der Zipp- und Goldammer bisinsJahr2015 ...... 15 HOFFMANN, M., C. GELPKE, C. BÖHMER, G. BAUSCHMANN & S. STÜBING: Zum Bruterfolg des Rotmilans (Milvus milvus)inHessen ...... 25 ERLEMANN, P.: Langzeit-Monitoring des Neuntöters (Lanius collurio) im Landkreis Offen- bach – Ergebnisse einer Untersuchung auf einer Probefläche bei Mühlheim-Lämmer- spiel über mehr als 30 Jahre ...... 33 STÜBING, S. & L. MEIER: Bestandsentwicklung der Feldlerche (Alauda arvensis) in Hessen – Vergleich zweier landesweiter Kartierungen in den Jahren 1998 und 2015 ...... 43 HAVER, T. & J. EBERT: Bestandsentwicklung der Feldlerche (Alauda arvensis) am Flughafen Frankfurt/Main ...... 49 STÜBING, S. & M. WERNER: Zum Brutbestand des Kiebitzes (Vanellus vanellus) inHessen2016 ...... 59 STÜBING, S. & G. BAUSCHMANN: Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen für den Kiebitz (Vanellus vanellus)inHessen ...... 67 WERNER, M., H. THEISS, P.POHLMANN & J. KILIAN: Ein Funke Hoffnung für den Kiebitz? Ergebnisse eines Schutzprojektes auf Ackerflächen in Südhessen...... 81

Persönliches HEY, C. & A. LANGSDORF: Ehrenplaketten des Landes Hessen in Gold an eine langjährig verdiente Faunistin und drei Faunisten anlässlich des 24. Hessischen Faunistentags . . . 97 SCHÄFER, S.: Erinnerung an Hans Ludwig (1929 bis 2016) ...... 102 BATTEFELD, K.-U.: Ehemaliger Naturschutzabteilungsleiter Dr. Eberhard Faust verstorben . . . 105 Neue Literatur ...... 108 Manuskriptrichtlinien ...... 115

Preise der neuen Literatur Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz 1 ...... € 44,90 Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz 2 ...... € 44,90 Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz 3 ...... € 44,90 EntdeckedieStörche ...... € 12,80 EntdeckedieFinken...... € 12,80