Selbstbehauptung. Der Schriftsteller Und Filmemacher Oskar Roehler
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1 Hörspiel Feature Radiokunst Freistil Selbstbehauptung Der Schriftsteller und Filmemacher Oskar Roehler Von Thomas David Produktion: WDR 2020 Redaktion Dlf: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 04.07.2021, 20:05-21:00 Uhr Regie: Philippe Brühl Es sprach: Louis Friedemann Thiele Technische Realisation: Gerd Nesgen Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 2 Musik (Talking Heads: «Born Under Punches») Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Roehler: Tschuldigung, dieses banale Zeug nimmst Du jetzt auf? Mein Gott, das ist doch jetzt wirklich... Musik (Talking Heads: «Born Under Punches») Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Roehler: Das ist doch keine Regieanweisung, das ist doch Quatsch. Das mein ich jetzt ernst. Ne, nimm das nicht... Das ist wirklich.... Da komm ich mir total lächerlich vor, wenn ich das irgendwie... [Hantieren, Umbauten.] Roehler: Das kann ich nicht autorisieren. Es tut mir leid. Das autorisier ich nicht. Ich mach doch nicht so banale Anweisungen, die dann irgendwo im Rundfunk kommen oder... Das kann ich auf gar keinen Fall... Das mach ich nicht... Das funktioniert so überhaupt nicht. Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Roehler: Wir können irgendwie nen Gespräch führen. Aber ich sag doch nich hier, dass er die Unterhose zudecken soll und das kommt dann irgendwie ins Radio. Das mach ich nicht. Das tut mir leid. Dazu sind wir nicht bestellt worden, das tut mir wirklich leid. I don’t do. Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Roehler: Wenn ich «Bitte» sage und die Szenen laufen, dann kannst du von mir aus, wenn die Produktion das erlaubt, von mir aus das Ding anschalten. Wenn die Bavaria das erlaubt. Dann kannst Du was nehmen von den Schauspielern, nachdem ich «Bitte» gesagt habe. Aber nicht, wenn ich irgendwelche vollkommen trivialen Anweisungen gebe... Roehler: Wenn die Szene läuft. Dann habt Ihr ja viel mehr, wie die Schauspieler... Masucci: Jetzt mach endlich den Scheiß! Und mach endlich die Scheiße hier! Moderation Selbstbehauptung. Der Schriftsteller und Filmemacher Oskar Roehler. Moderation Feature von Thomas David. Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Mario Striehn: Gut, dann gehen wir auf Anfang zum Drehen. Ruhe zum Drehen! Roehler: Jetzt könnt Ihr, jetzt könnt Ihr aufnehmen. Mario Striehn: Achtung, Ruhe zum Drehen! Und leise. Stehenbleiben. Erzähler September 2019. Eine Halle auf dem Gelände der Münchner Bavaria. Oskar Roehler dreht «Enfant Terrible», seinen neuen Film. 2 3 Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Mario Striehn: Ton ab. Tontechniker: Läuft. Mario Striehn: Okay. Roehler: Weil ich will uns nur schützen davor, dass wir irgendwelchen Scheißdreck da hier übern Äther geht. Tontechniker: Ton läuft. Assistentin: Nur Kamera A. Roehler: Ruhe! [Synchronklappe] Roehler: Und bitte..... RUHE! Erzähler Scheinwerfer, farbiges Licht. Ein in türkisfarbigem Neon erstrahlendes Doppelbett. Zwei nackte Männer, die sich zwischen zerwühlten Laken in den Armen liegen. Weiter vorn ein frei im Raum stehendes Toilettenbecken. Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Masucci: [Schluchzen] Roehler: Danke. Und jetzt gleich nochmal auf Anfang... Erzähler Schemen im Dunkeln, die Mitglieder der Filmcrew und ein kleines Filmteam des Bayerischen Rundfunks, das Aufnahmen von den Dreharbeiten macht. Oskar Roehler, der am Rand der Szene im Halbschatten steht. Völlige Wachheit, nervöse Konzentration. «Enfant Terrible» ist sein vierzehnter Kinofilm. Roehlers Hommage an Rainer Werner Fassbinder, Roehlers künstlerische Auseinandersetzung mit der zerstörerischen Kraft von Fassbinders Genie. Ich stehe im Dunkeln, das Mikrofon in der Hand. Atmo (Dreharbeiten «Enfant Terrible») Roehler: Danke. Mario Striehn: Danke, aus. [Hantieren. Umbauten. Small Talk] Roehler: Jetzt könnt Ihr aufnehmen, wenn Ihr wollt. [Hantieren. Umbauten.] Roehler: Stellt Ihr mal die Toilette hierhin, bitte. Erzähler «Enfant Terrible» ist Oskar Roehlers Begegnung mit der im Juni 1982 verstorbenen Filmikone, der Lichtgestalt des deutschen Nachkriegskinos, als die Fassbinder bis in 3 4 die Gegenwart leuchtet. Dem Übervater des neuen deutschen Films. «Enfant Terrible» ist Oskar Roehlers Begegnung mit sich selbst. Musik (Einstürzende Neubauten: «Sehnsucht») Sehnsucht kommt aus dem Chaos. Kommt aus dem Chaos. Is die einzje Energie. Atmo («Gentleman» ) Corinna: Ham wir keine Drogen, oder was? Frank: Kein Problem. Musik (Einstürzende Neubauten: «Sehnsucht») Sehnsucht. Atmo («Gentleman») Roehler: Na, haste sie schon gefickt, du dämliches Arschloch? Frank: Was machst du hier? Atmo («Silvester Countdown») Romeo: Was hältste denn davon, wenn ich dir jetzt eine reinhauen würde? Julia: Mach doch. Dann biste mich los. Romeo: Dann wär die Scheiße endlich vorbei. Atmo (Gentleman») Roehler: Du bist echt nen Idiot. Ich hätte fünf Minuten gebraucht, dann hätt ich abgelaicht und wär abgehauen. Frank: [schlägt] Roehler: [schreit] Atmo (Silvester Countdown») Romeo: Du denkst wohl, ich würd mir vor so ner Nutte wie dir die Blösse geben. Hau dir doch selber in die Fresse, machs dir doch selber. Fick dich selber. Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Dabei hatte alles ganz gut angefangen. Musik (Einstürzende Neubauten: «Sehnsucht») Lesung (Roehler: Selbstverfickung») Es hatte Preise für Filme gehagelt. Er hatte einen Klassiker aus dem Ärmel geschüttelt. Eine Droge für alle, die depressiv, über fünfzig und weiblich waren. Musik (Einstürzende Neubauten: «Sehnsucht») Sehnsucht, Sehnsucht Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Einer der großen Produzenten des Landes war auf ihn aufmerksam geworden und wollte mit ihm einen großen Film machen. 4 5 Atmo Roehler (durch Gegensprechanlage): Hallo. Th.David: Hi, Thomas hier. Roehler: Versuch mal, ob das klappt mit dem Drücken. [Rütteln an Tür] Erzähler Seitdem ich Oskar Roehler im März 2006, wenige Wochen nach dem Kinostart der von Bernd Eichinger produzierten Houellebecq-Verfilmung «Elementarteilchen» zum ersten Mal in seiner Berliner Wohnung besucht habe, hat er fünf weitere Filme gedreht und drei Romane veröffentlicht. Mit «Herkunft», «Mein Leben als Affenarsch» und der radikal selbstironischen, Satire «Selbstverfickung», die vom Glanz und Elend eines in die Jahre gekommenen Filmregisseurs handelt, hat sich der 1959 als Sohn der Schriftstellerin Gisela Elsner und des Lektors Klaus Roehler geborene Regisseur auch als Schriftsteller einen Namen gemacht. Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Aus dem großen, prestigeträchtigen Film wurde, sehr zur Enttäuschung des Produzenten, der so große Stücke auf ihn hielt, leider nur Mittelmaß. Auf der Berlinale wurde er sogar verrissen. Der Produzent wandte sich von ihm ab. Und damit begann auch schon sein unaufhaltsamer Abstieg in die Niederungen des Arthouse-Kinos. O-Ton (Roehler) [In der Küche] Weißt Du, das schriftstellerische Werk, das ist.... Das muss ich Dir ehrlich sagen, das fordert mir einen immer größeren Respekt ab. [Hantieren in Küche]. Es wird dir ja nichts geschenkt. Beim Film wird dir ja wahnsinnig viel geschenkt. O-Ton (Roehler) Ich komm ja aus dem Narrativen. Ich hab viele Filme gemacht, ich hab Drehbücher geschrieben, da erzählt man. Und das Erzählen von Szenen und Figurenkonstellationen innerhalb von Szenen, das fällt mir sehr leicht. Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Die Filme wurden gedreht und verschwanden schnell wieder aus dem Wust des Kinomarkts. Er war ein als Enfant terrible getarnter staatlich subventionierter Filmbeamter, der sehr gut bezahlt wurde. O-Ton (Roehler) [In der Küche] Du schreibst nen Drehbuch und wenn du tolle Schauspieler hast oder nen paar gute Einfälle... Aber es wird dir ja überhaupt nichts geschenkt, wenn du son Buch schreibst. Und das ist mir beim letzten Mal erschreckend klar geworden. 5 6 O-Ton (Roehler) Ich kann immer was erfinden, kann immer leichtfertig irgendwelche Skizzen hinwerfen, und da kann sogar nen Film draus entstehen. Aber nen Buch zu schreiben, das ist für mich mittlerweile... Klingt vielleicht merkwürdig, das ist ne ganz profunde Geschichte. Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Was hatte man erreicht? Hatte am Ende all die Mühsal nichts gebracht als schlechte Leberwerte und permanente Übelkeit, die von einer möglichen Gastritis kam? O-Ton (Roehler) Die Frage ist durchaus berechtigt. Weil ich beispielsweise mich auch oft selber frage, warum oder ob ich überhaupt noch Filme machen soll. Weil das ist für mich, sagen wir mal, zu 95 Prozent obsolet geworden. Weil das auch son Vorgang ist, der mich künstlerisch auch gar nicht so fordert. Erzähler Anfang Juni 2019, etwa zwei Monate vor Beginn der Dreharbeiten von «Enfant Terrible», sitzt Oskar Roehler zu Hause in Berlin an einem Tisch und spricht über sein künstlerisches Selbstverständnis. O-Ton (Roehler) Also hättest Du mich jetzt gefragt: «Wieso machst Du überhaupt noch Filme?» Dann hätte ich wahrscheinlich geantwortet: «Weiß ich selber nicht, ich mach vielleicht auch bald keine mehr.» Erzähler Er erzählt von der bevorstehenden Arbeit an seinem neuen Film. Von der Arbeit an «Der Mangel», seinem Ende 2018 fertiggestellten vierten Roman. Lesung (Roehler: «Selbstverfickung») Hätte er damals, mit Anfang dreißig, schon gewusst, was er heute wusste, nämlich dass es überhaupt keinen Sinn hatte, sich anzustrengen, dann hätte er viel Energie gespart, die er heute brauchen könnte und nicht mehr hatte. O-Ton (Roehler)