Prolog I: Dr. Ludwig Frank – Idealist, Visionär und Kämpfer für den Frieden1

MICHAEL BERGER, /POTSDAM/NIZZA

»Die deutsche Volkszukunft verlor einen ihrer stärksten und notwendigsten Führer. ... Die deutsche Sozialdemokratie verlor in ihm einen ihrer unbefangensten und fä- higsten Köpfe, ihrer stärksten Charaktere, die badische ihr Haupt. Mehr als die Partei verlor das deutsche Volk. ... Als er die Grenze überschritten hatte, warf ihn eine fran- zösische Kugel nieder, und in raschem Schmerz schloss sich für immer der Mund, der ein Prediger staatlicher Freiheit und deutscher Kultur gewesen ist.« (Theodor Heuss in »Die Hilfe« vom 17. September 1914)

Ludwig Frank und seine Bedeutung für die Sozialdemokratie und Friedens- bewegung im späten Kaiserreich

Wie viele deutsche Juden zog auch der Rechtsanwalt Dr. Ludwig Frank 2 aus im August 1914 ins Feld. Der 40jährige Frank meldete sich, obwohl sein Landsturmjahrgang noch nicht hätte ausrücken müssen, freiwillig zum Kriegsdienst. Ludwig Frank war nicht nur eine der profiliertesten Politikerper- sönlichkeiten der Stadt Mannheim, er war einer der bedeutendsten Politiker der deutschen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg. Als Gründer der Arbei- terjugend und Reichstagsabgeordneter der SPD – Frank war von 1907 bis zu seinem Tode 1914 Abgeordneter des 11. badischen Reichstagswahlkreises – kämpfte er für eine Verbindung der Arbeiterschaft mit der bürgerlichen Linken. Franks historische Bedeutung lag in seinem Bemühen, die Sozialdemokratie aus ihren erstarrten Strukturen und damit aus der Isolierung zu führen sowie die seit der Reichsgründung immer stärker werdende Kluft zwischen Nation und Arbei- terbewegung zu überwinden.3 Frank ließ sich dabei vom Modell des französi- schen Sozialisten Jean Jaurès4 leiten, obwohl er Jaurès Strategie anfangs skeptisch gegenüberstand. Auch Ludwig Frank gehörte in den ersten Jahren dem linken

1 Aus der Reihe der hierzu erschienenen Monografien und Arbeiten sei exemplarisch hingewiesen auf Karl Otto Watzinger, Ludwig Frank. Ein deutscher Politiker jüdischer Herkunft, Sigmaringen, 1995; Hedwig Wachenheim, Ludwig Frank, in: Mannheimer Hefte 1964, H. 2, 28 ff.; Gerhard Widder/Professor Dr. Alex Möller, Ludwig Frank. Ein Mahner für den Frieden, Bonn, 1984; Mi- chael Berger, Eisernes Kreuz und Davidstern, 136-137; Michael Berger/Gideon Römer-Hillebrecht, Juden und Militär in Deutschland, 116-131. 2 Dr. Ludwig Frank, geb. am 23.05.1874 in Nonnenweier (Schwanau) bei als zweiter Sohn des Handelsmannes Samuel Frank (1814-1915) und der Fanny geb. Frank (1837-1926), gefallen am 03.09.1914 bei Nossoncourt südwestlich Baccarat. 3 Gerhard Widder/Professor Dr. Alex Möller, Ludwig Frank, 6-7. 4 Jean Jaurès (1859-1914), französischer sozialistischer Politiker revisionistischer Richtung, langjäh- riges Mitglied des französischen Parlaments, insbesondere wegen seiner pazifistischen und um Ver- ständigung mit Deutschland bemühten Haltung von französischen Nationalisten angegriffen, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges ermordet.

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Flügel der Partei an. Er war begeisterter Anhänger August Bebels, auf dem Ams- terdamer Sozialistenkongress im Jahre 1904 sah man ihn als ständigen Begleiter Rosa Luxemburgs .5 Doch schon seine Briefe aus machen deutlich, wie stark ihn Jaurès als Redner beeindruckte: »Viele deutsche Parteigenossen lauschten fast zwei Stunden lang seiner Rede, von denen ich weiß, daß sie seine französische Sprache nicht verstanden – und doch sah ich auf ihren vor Erregung geröteten Gesichtern alle Anzeichen tiefinnerlicher Teilnahme, [...] Ob seine po- litische Taktik, seine ›neue Methode‹ für das französische Proletariat der richtige Weg ist, – weiß ich nicht, ich glaube es nicht, – aber er ist ein Könner, ein Willens- mensch, und auch die besten Theorien können das Talent nicht überflüssig machen.«6 Franks »Bekehrung« ging von Jaurés Rede in Amsterdam aus.7 Zusam- men mit dem Karlsruher Sozialdemokraten Wilhelm Kolb 8 schuf er das erste so- zialliberale Bündnis der deutschen Geschichte, eine Koalition aus National-, Linksliberalen, bürgerlichen Demokraten sowie Sozialdemokraten, die seit 1905 die Politik im Badischen Landtag bestimmte.9 Ludwig Frank war viel mehr als der bedeutendste Politiker der SPD nach Au- gust Bebel ,10 er war der größte Hoffnungsträger für eine demokratisch-parlamen- tarische Ordnung in Deutschland. Wie kaum ein anderer seiner Genossen verfüg- te er über ein Charisma und eine Rednergabe, mit der er seine Zuhörer mitreißen konnte. Wenn er sprach, fühlte man sich an Friedrich Hecker und Ferdinand Lassalle11 erinnert. In vielen Reden berief sich Ludwig Frank auf Ferdinand Las- salle, auch war die äußere Ähnlichkeit mit dem prominenten Arbeiterführer auf- fällig. In einem Brief vom 5. Dezember 1906 schrieb Theodor Heuss12 an seine spätere Frau Elly Knapp: »Haben Sie Lassalle im Zylinderhut verwischen können (Ludwig Frank )?« Elly Knapp antwortete am 6. Dezember: »Den Lassalle haben wir wirklich durch den reinsten Zufall mitten in der Stadt verwischt. Er nahm

5 Rosa Luxemburg (1870-1919), führende Vertreterin des linken Flügels in der SPD, wegen ihrer Opposition gegen den Krieg zwischen 1915 und 1918 mehrfach inhaftiert, 1918 Mitgründerin der KPD, von Freikorpsmitgliedern ermordet. 6 Ludwig Frank, Briefe aus Amsterdam, Offenburg, 1904, 30-31. 7 Hedwig Wachenheim, Die deutsche Arbeiterbewegung 1844-1914, 2. Aufl., Opladen, 1971, 460. 8 Wilhelm Rudolf Kolb (1870-1918), seit der Verlegung des »Volksfreund« von Offenburg nach im Jahre 1899 Redakteur dieser sozialdemokratischen Zeitung, 1899-1908 Stadtverord- neter, seitdem Stadtrat in Karlsruhe, als MdL seit 1905 Fraktionsvorsitzender, neben Ludwig Frank der führende Revisionist in der badischen SPD. 9 Gerhard Widder/Professor Dr. Alex Möller, Ludwig Frank, 7. 10 (1840-1913), Mitgründer und Führer der Sozialdemokratischen Partei, 1871-1881 und 1883-1913 MdR. 11 , (1825-1864), Mitgründer der deutschen Arbeiterbewegung, 1863 1. Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, hoffte, mit Hilfe des allgemeinen, gleichen Wahlrechts die Macht im Staat erobern zu können, um eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. 12 Theodor Heuss (1884-1963), schloss sich nach dem Studium der Kunstgeschichte und Volkswirt- schaft dem Kreis um an, 1905-1912 Redakteur der »Hilfe«. Trat 1903 der Frei- sinnigen Vereinigung (ab 1910 Fortschrittliche Volkspartei), 1918 der Deutschen Demokratischen Partei (ab 1930 Deutsche Staatspartei) bei, 1924-1928 und 1930-1933 MdR. 1920-1933 Studienleiter bzw. Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin. 1933-1945 zur Einschränkung seiner poli- tisch-publizistischen Tätigkeit gezwungen. 1945-1949 MdL (Demokratische Volkspartei), 1945/46 Kultusminister in Württemberg-Baden, 1948 Vorsitzender der FDP, 1948/49 Mitglied des Parla- mentarischen Rates, 1949-1959 erster Bundespräsident.

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