»Es ist zu beweisen, daß Brahms, der Klassizist, der Akademische, ein großer Neuerer, ja, tatsächlich ein großer Fortschrittler im Bereich der musikalischen Sprache war«

Arnold Schönberg in seinem berühmten Vortrag „Brahms, der Fortschrittliche“ (1933)

Do, 12.11.2015 | So, 15.11.2015 | Hamburg, Laeiszhalle Fr, 13.11.2015 | Lübeck, Musik- und Kongresshalle

DAS ORCHESTER DER

14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 1 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 2 ndr.de/ndrkultur unter Frequenzen Weitere 88,0 auf Lübeck In 99,2 auf Hamburg In Das NDR Sinfonieorchester auf NDRKultur auf Das NDRSinfonieorchester a onasozr |sntg |1.0 Uhr 11.00 | sonntags | Sonntagskonzert Das Uhr 20.00 | montags | Sinfonieorchester NDR Regelmäßige Sendetermine: Hören und genießen 22.10.15 10:36

Foto: Nicolajj| Lund | NDR 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 3 Johannes Brahms Johannes (1833 – 1897) Brahms Johannes Solist: Dirigent: auf NDRKulturgesendet. wirdam03.01.2016um11Uhr Das Konzert Andreas Grünkorn Allegretto grazioso IV. Andante III. Allegro appassionato II. Allegro nontroppo I. (1878/1881) Nr. undOrchester Klavier für Konzert 2B-Durop.83 um 18.45 Uhr und am 15.11.2015 um 9.45 Uhr im Großen SaalderLaeiszhalle um 18.45Uhrundam 15.11.2015um9.45UhrimGroßen zumUmzug in die Elbphilharmonieam12.11.2015 NDR Sinfonieorchesters des undInteressenten Abonnenten für Informationsveranstaltungen 2Stunden ca. Pause: inkl. Konzerts Dauer des Rondo alla Zingarese. Presto IV. Andante con moto III. Intermezzo. Allegro manontroppo –Trio. Animato II. Allegro I. (1937) von ArnoldSchönberg in derOrchesterfassung op.25(1861) g-Moll Klavierquartett Pause VolodosArcadi Eschenbach Christoph Lübeck, Musik-undKongresshalle Lübeck, 13.NovemberFreitag, 2015,19.30Uhr Saal Großer Laeiszhalle, Hamburg, 15.NovemberSonntag, 2015,11Uhr 12.November 2015, 20Uhr Donnerstag, Solo-Violoncello Klavier 22.10.15 10:36 3 Christoph Eschenbach Arcadi Volodos Dirigent Klavier

Christoph Eschenbach, ehemaliger Chefdirigent Als Arcadi Volodos mit atemberaubendem des NDR Sinfonieorchesters, ist seit 2010 Mu- Klavierspiel und eigenen Arrangements die sic Director des National Symphony Orchestra Konzertsäle dieser Welt eroberte, beeindruckte in Washington D.C. sowie des dortigen John F. zunächst seine schier grenzenlose Virtuosität. Kennedy Center for the Performing Arts. Zu den Doch diese ist lediglich ein Ausdrucksmittel Höhepunkten der Spielzeit 2015/16 gehören und paart sich mit einzigartigem Empfi nden zwei große internationale Tourneen: mit dem für Zeit, Klangfarben und Poesie. Ob Schubert, National Symphony Orchestra durch Europa Schumann, Brahms oder Rachmaninow – für sowie mit den Wiener Philharmonikern durch alle seine Interpretationen gilt, was ein Kritiker Asien. Darüber hinaus ist Eschenbach wieder unlängst über seine mit Preisen überhäufte Gast bedeutender Orchester, darunter das Einspielung mit Werken Federico Mompous New York Philharmonic, Orchestre de Paris, schrieb: „Volodos bringt die ‚Musik des Schwei- Leipziger Gewandhausorchester, WDR Sinfonie- gens’ mit atemberaubend gefühlvollem An- orchester, DSO Berlin, Orchestre National de schlag und unglaublichen Klangfarben zum France, London Philharmonic Orchestra, Royal Schwingen und berührt dabei das Innerste Stockholm Philharmonic, die Filharmonica jedes Zuhörers.“ della Scala oder die Bamberger Symphoniker. 2014 einen Grammy Award. Im Oktober 2015 bei den Salzburger Festspielen. In der vergan- Wie jedes Jahr kehrt er auch ans Pult bedeu- erschien eine weitere Hindemith-Aufnahme 1972 in St. Petersburg geboren, studierte genen Saison war Volodos Artist in Residence tender Orchester in Asien zurück. Im Opern- mit dem NDR Sinfonieorchester. Volodos zunächst Gesang und Dirigieren am am Konzerthaus Berlin, wo er in Klavierabenden, repertoire bereitet er eine Produktion für die dortigen Konservatorium, ehe er sich ab 1987 Kammermusik und verschiedenen Klavier- Saisoneröffnung der Mailänder Scala 2016 vor. Von George Szell und Herbert von Karajan ganz dem Klavierspiel widmete und seine pia- konzerten mit dem Konzerthausorchester u. a. Die Weitergabe seiner großen künstlerischen gefördert, war Eschenbach von 1982 bis 1986 nistische Ausbildung am Moskauer Konservato- unter Ivan Fischer zu hören war. Erfahrung liegt Eschenbach besonders am Chefdirigent und künstlerischer Leiter des rium bei Galina Egiazarowa sowie in Madrid und Herzen. So hält er regelmäßig Meisterkurse ab Tonhalle-Orchesters Zürich, musikalischer Paris fortsetzte. Seit seinem New York-Debüt im Seit seinen legendären Recital-Debüts „Arcadi und leitet Orchesterakademien wie die des Direktor des Ravinia Festivals (1994 – 2003), Jahre 1996 arbeitet er mit den weltweit füh- Volodos Live at Carnegie Hall“ und „Piano Schleswig Holstein Musik Festivals, die Kronberg künstlerischer Leiter des Schleswig-Holstein renden Orchestern, darunter die Berliner und Transcriptions“ wurden fast all seine Aufnahmen Academy oder die Manhattan School of Music. Musik Festivals (1999 – 2002), künstlerischer Münchner Philharmoniker, die Staatskapelle mit zahlreichen internationalen Auszeichnun- Als Pianist setzt er die Zusammenarbeit mit Leiter des Orchestre de Paris (2000 – 2010) Dresden, das Philharmonia Orchestra London, gen bedacht. Zu seiner Diskographie gehören Matthias Goerne fort, mit dem er die Lieder- und des Philadelphia Orchestra (2003 – 2008). Concertgebouworkest Amsterdam, Gewand- neben der mit dem Gramophone Award 2014 zyklen von Schubert auf CD eingespielt und Er ist Ritter der Légion d’Honneur, Offi zier hausorchester Leipzig, Orchestre de Paris, und dem 2014 ausgezeichneten weltweit aufgeführt hat. des französischen Nationalverdienstordens, Boston Symphony oder New York Philharmonic Einspielung „Volodos plays Mompou“ Aufnahmen Commandeur des „Ordre des Arts et des Lett- Orchestra. Er spielte unter Dirigenten wie der Klavierkonzerte Nr. 3 von Rachmaninow Christoph Eschenbach kann als Dirigent und res“, Träger des deutschen Bundesverdienst- Lorin Maazel, James Levine, Zubin Mehta, Seiji und Nr. 1 von Tschaikowsky mit den Berliner Pianist auf eine beeindruckende, vielfach kreuzes und Gewinner des „Leonard Bernstein Ozawa, Valery Gergiev, oder Philharmonikern unter James Levine und ausgezeichnete Diskographie zurückblicken. Award“. 2015 wurde er als Pianist und Dirigent Myung-Whun Chung. Daneben gibt er regelmä- Seiji Ozawa sowie die Einspielungen „Schubert: Seine Hindemith-Einspielung mit der Geigerin mit dem renommierten Ernst-von-Siemens- ßig Klavierabende in Metropolen wie London, Solo Piano Works“, „Volodos plays Liszt“, Midori und dem NDR Sinfonieorchester gewann Musikpreis ausgezeichnet. Berlin, München, Paris, Amsterdam, Wien und und „Volodos in Vienna“.

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14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 4 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 5 22.10.15 10:36 „Das war doch sehr melodisch ...“ Zu den Werken des heutigen Konzertprogramms

„Es gibt kein Schaffen ohne harte Arbeit“, soll Was sich hinter Brahms’ verharmlosenden Johannes Brahms gemäß den Erinnerungen Andeutungen verbarg, offenbarte sich letztlich des deutsch-englischen Sängers und Dirigen- erst am 9. November 1881, als das Konzert ten Sir George Isidor Henschel einmal gesagt mit dem Komponisten am Flügel vom National- haben. „Was man eigentlich Erfi ndung nennt, Theater-Orchester unter der Leitung von Ale- ist eine musikalische Idee, ist zunächst ein xander Erkel in Pest uraufgeführt wurde und im Einfall, etwas, wofür ich nicht verantwortlich Anschluss unverzüglich die Runde durch die bin, woran ich keinen Verdienst habe. Das ist Musikmetropolen Deutschlands und Österreichs ein Geschenk, eine Gabe, die ich beinahe ver- machte: nämlich ein Werk, das alle bisher ge- achten darf, ehe ich sie nicht durch meine wohnten Konzertmaße sprengte: „Wer dieses Arbeit zu meinem Eigentum gemacht habe. Clavier-Concert mit Appetit verschlucken Und damit hat es auch gar keine Eile. Es ist konnte, darf ruhig einer Hungersnoth entgegen- damit wie mit einem Saatkorn; es keimt unbe- sehen“, bemerkte Hugo Wolf in einer vernich- wußterweise und entwickelt sich.“ Mit diesem tenden Konzertkritik vom 7. Dezember 1884. viel zitierten Bekenntnis sprach sich Brahms in einer Epoche, die Inspiration als einzigen Beleg Doch nicht nur der ungewohnte Umfang von Originalität gelten ließ, anachronistisch frappierte die Zeitgenossen, auch die beson- für die Kunst der Formbildung, der Variation dere Verwendung des Soloinstruments erreg- und der motivisch-thematischen Bezüge aus. te Aufsehen – nicht umsonst sprach Eduard Hanslick von einer großen „Symphonie mit obligatem Klavier“. Wesentlich erschien dem „... ein paar kleine Klavierstücke ...“ – Kritiker hierbei die „vollständige Durchdrin- Brahms’ Zweites Klavierkonzert Johannes Brahms (1880er Jahre) Der mit Brahms befreundete Chirurg Theodor Billroth (1888). gung des Orchesters mit der Clavierstimme, B-Dur Mit ihm hatte Brahms unmittelbar vor der Komposition sei nes welche auf jeden Monolog verzichtet und nur Zweiten Klavierkonzerts eine Italien-Reise unternommen die derzeitige Ungeheuerlichkeit eines vierten mit wenigen Tacten Solo in jedem Satze her- Besser als mit den eingangs zitierten Worten Satzes innerhalb der Konzertform scheinbar austritt, durchweg als Erster unter Ebenbür- ließe sich auch die Entstehungsgeschichte des beiläufi g erwähnend: „Erzählen will ich, dass edel und anmutig! so musikalische Musik! tigen“. Und tatsächlich gibt das Tasteninstru- Zweiten Klavierkonzerts von Johannes Brahms ich ein kleines Klavierkonzert geschrieben mit eine glück liche befriedigte und befriedigende ment jene dominierende Sonderstellung auf, kaum beschreiben. Denn der Komponist setzte einem ganz einem kleinen Scherzo.“ Parallel Stimmung durchströmt das Ganze! […] zum die es in der klassisch-romantischen Klavier- sich mit dem Stück innerlich über Jahrzehnte hierzu schickte er das Manuskript an den ersten Konzert verhält es sich wie der Mann konzert-Tradition bis dahin in der Regel ein- hinweg auseinander – erste Skizzen entstanden Wiener Chirurgen und Musikkenner Theodor zum Jüngling; unverkennbar derselbe, und genommen hatte. Denn obwohl dem Pianisten im Frühling 1878 –, bis er mit der eigentlichen Billroth – mit dem Zusatz: „Hier schicke ich ein doch alles gedrun gener, reifer. […] Die Idee, streckenweise exorbitante technische Schwie- Niederschrift der vier Sätze begann, die dann paar kleine Klavierstücke […].“ Billroth antwor- ein Scherzo in Moll einzuschieben, fi nde ich rigkeiten zugemutet werden, bietet das Stück in dem ungewöhnlich kurzen Zeitraum von tete umgehend, ohne auf die offensichtliche sehr gerechtfertigt […]. Von dem schwärmeri- kaum Raum zur virtuosen Selbstdarstellung: rund einem Monat erfolgte. Am 7. Juli 1881 Untertreibung seines Freundes einzugehen: schen Adagio erwarte ich mir zumal auch Brahms verzichtet auf die traditionell vom schrieb Brahms mit der ihm eigenen Ironie an „Welch ein herrliches Stück, wie mühelos durch die Instrumentierung eine besonders Solisten beigesteuerten Solokadenzen (in seine Verehrerin Elisabeth von Herzogenberg, schön hinfl ießend, welch herrlicher Klang, poetische Wirkung.“ Billroths Worten auf die Möglichkeit, „in einer

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14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 6 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 7 22.10.15 10:36 anschließend durch entsprechende kompo- mit der unendlich langsam zelebrierten Tonfol- sitorische „Arbeit“ zu seinem „Eigentum“ zu ge der Klarinette in den Vordergrund. Während machen. Dennoch hat der gesamte Satz, in dem die rahmenbildenden A-Teile von der Klangwelt die Klavierstimme das orchestrale Geschehen des Solo-Violoncellos geprägt werden, wird der immer wieder paraphrasiert, variiert und episodenhafte B-Teil (Più Adagio) vom Solo- weiterentwickelt, einen überaus spontanen klavier geprägt. In ihm zitiert der Komponist und geradezu rhapsodischen Charakter. eines seiner jüngsten Lieder, „Todessehnen“ Der Wiener Musikkritiker und spätere Brahms- op. 86 Nr. 6, das Gebet eines Verzweifelten; die Biograf Max Kalbeck bemerkte daher auch paraphrasierenden Rufe in der Klavier-Ober- treffend: „Ohne die Repetition würde das stimme gehen an dieser Stelle zudem auf den Allegro wie die Stegreifdichtung eines be- „Lerchengesang“ op. 70 Nr. 2 zurück, während geisterten Improvisators aussehen, der über Brahms die Violoncellokantilene, die den Satz gegebene Themata phantasiert.“ eröffnet und beschließt, später einem anderen Lied zugrunde legte (op. 105 Nr. 2): „Immer Bezüglich des zweiten Satzes, des berühmten leiser wird mein Schlummer, / Nur wie Schleier d-Moll-Scherzos (Allegro appassionato), mit liegt mein Kummer, / Zitternd über mir.“ welchem Brahms die traditionell dreisätzige Konzertform um einen vierten Satz erweiterte, Trat das Klavier bereits in diesem verhaltenen gab es sowohl in der Musikkritik als auch im Satz von seiner ihm traditionell zugewiesenen Freundeskreis des Komponisten heftige Dis- Rolle zurück, das im Orchester exponierte kussionen. Brahms hatte bereits sein Violin- motivisch-thematische Material aufzugreifen konzert viersätzig konzipiert, diese Idee dann und zu variieren, übernimmt es im Final-Rondo Johannes Brahms am Flügel. Zeichnung von Willy von Beckerath (1899) allerdings wieder verworfen; im Fall des Klavier- eindeutig die Führungsrolle: Von ihm gehen konzerts B-Dur beließ er es beim viersätzigen nicht nur die motivischen Initiativen und Ein- eigenen geschwätzigen Kadenz ad libitum in der Wiederholung hinzu) und Beethovens Formkonzept – möglicherweise, um der kon- schnitte aus, sondern auch die Rückführungen Dummheiten“ mit den „Motiven anzustellen“). (das thematische Material wird vom Solisten templativen Stimmung des introvertierten etwa in die Reprise. Dabei steht die Musik Und der Klavierpart wird vollständig in die mo- exponiert) unterscheidet. Brahms entschied ersten und lyrischen dritten Satzes mit seinen dieses spritzigen Rondos „all’ungherese“ mit tivisch-thematische Entwicklung einbezogen, sich im Prinzip für die erste Variante, stellte schwärmerischen Violoncello-Kantilenen etwas seinen volkstümlichen Tanzanklängen in der die grundlegend von Brahms’ Verfahren der aber der Exposition eine Introduktion voran, entgegenzusetzen: Der Kopfsatz, meinte er Tradition typischer Kehraus-Sätze. Kein Wunder von Schönberg so benannten „entwickelnden in der das Horn im echoartigen Wechsel mit gegenüber Billroth in gewohnter Untertreibung, also, dass dieser leicht fassliche Satz von Variation“ geprägt ist. dem Klavier ein für den weiteren Satzverlauf scheine ihm „gar zu simpel“, er brauche vor ausgeprägter Spielfreude am ehesten dem elementares Motiv präsentiert, bevor das mu- dem ebenfalls „einfachen Andante [dem dritten entsprach, was die Zeitgenossen erwarteten. Bezeichnend für diese neue Stellung des sikalische Geschehen in einer groß angeleg- Satz] etwas Kräftig-Leidenschftliches.“ Hanslick rühmte ihn jedenfalls als „den Gipfel“ Soloinstruments ist bereits der ungewöhnliche ten, ausgeschriebenen Klavierkadenz mündet. des gesamten Werks. Beginn des Werks, der sich von den traditio- Fast scheint es, als habe der Komponist hier Im Andante, in dem das Lied-Genre Einzug in nellen Modellen Mozarts (das Orchester spielt seinem Werk jenen Einfall voranstellen wollen, das sinfonische Solokonzert hält, drängt sich die Exposition und das Soloinstrument tritt für den er nicht „verantwortlich“ war, um ihn dann die für Brahms so typische Melancholie

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14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 8 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 9 22.10.15 10:36 „... einmal alles hören ...“ – Schön- den Charakter eines vorangestellten Mottos ihm hier auf seinem „eigenen Territorium eine bergs Bearbeitung des g-Moll- annimmt. Thematisches Profi l gewinnt die ganz tüchtige Schlappe versetzt“: Joachim Klavierquartettes von Brahms Musik erst im weiteren Verlauf, wobei die mo- hatte selbst gerade sein Zweites Violinkonzert tivischen Entwicklungen in ihrer konstruktiven d-Moll op. 11 „in ungarischer Weise“ kompo- Lange vor dem Zweiten Klavierkonzert, in der Dichte derart kunstvoll vorgeführt werden, niert. Der Satz, dessen Musik nach einer die Zeit von etwa 1855 bis 1861, komponierte dass viele Jahre später Arnold Schönberg sie Klänge der Zimbal imitierenden Kadenz in eine Brahms sein Quartett für Klavier, Violine, Viola als Vorform der bereits erwähnten „entwickeln- rasante Stretta einmündet, fand auch bei der und Violoncello g-Moll op. 25, das von Anfang den Variation“ sah. Nachdem Brahms durch Hamburger Erstaufführung des Quartetts am an im Brahms-Kreis für Irritationen sorgte. So diese stetige Veränderung dem Hörer die sich 16. November 1861 im Kleinen Wörmerschen schrieb etwa der Geiger Joseph Joachim in mäandernd aufeinander beziehenden motivi- Saal beim Publikum den größten Anklang (es einem Brief vom 2. Oktober 1861 an den Kom- schen Strukturen vor Ohren geführt hat, lässt spielten Clara Schumann [Klavier], John Böie ponisten, dass die „Erfi ndung des 1ten Satzes“ er nicht weniger als vier Seitenthemen folgen, [Violine], F. Breyther [Viola] und Louis Lee [Vio- nicht so prägnant sei, wie „ich’s von Dir gewohnt wobei die dynamischen Kontraste, die später loncello]). Insofern hatte niemand etwas dage- bin“, um fortzufahren: „Mir ist’s überhaupt, gliedernde Funktion übernehmen, bereits im gen, dass der Satz wiederholt werden musste, als merkte man (immer die Durchführung 11. Takt erstmals erklingen. Der groß dimen- da Louis Lee, nachdem er sich etwas zu tem- ausgenommen) bei diesem Satz den Kitt mehr sionierte Seitensatz, einer der größten der peramentvoll dem feurigen Csárdás gewidmet wie bei anderen Deiner Kompositionen, und Gattungsgeschichte, wird notwendig, um die hatte, der Steg zerbrochen war ... es ist bei mir die Frage entstanden, ob Du bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Gravi- nicht teilweise früheres Material Deiner jetzi- tationszentren des Hauptsatzes aufzugreifen Arnold Schönberg in den 1930er Jahren Schönbergs Orchesterbearbeitung von Brahms’ gen Größe gemäß hattest strecken wollen!?“ und ihnen in der Durchführung zu neuen musi- g-Moll-Klavierquartett entstand im Sommer Clara Schumann wiederum bemängelte die kalischen Impulsen zu verhelfen. Dabei lässt des Notturno an. Dabei verweist der wiegende 1937 vermutlich auf Anregung von Otto Klem- ungewohnten Proportionen von Exposition und der Komponist dem eigentlichen Ende des 9/8-Takt ebenso auf die Sphäre des Folkoristi- perer, der die Uraufführung am 7. Mai 1938 Durchführung, die bereits Joachim gestört Seitensatzes eine zusätzliche Schlussgruppe schen wie die schlichten Sextparallelen über in Los Angeles dirigierte. In einem Brief vom hatten: „Der ganze Satz könnte mir, glaube ich, folgen, die durchführungsartige Züge trägt. sich wieder holenden Liegetönen. Im Gegen- 18. März 1939 schrieb Schönberg Alfred V. sehr lieb sein, wenn nur der erste Teil am Gewissermaßen hat die Exposition damit satz zum Kopfsatz fand Clara Schumann, diese Frankenstein, dem Kritiker des San Francisco Anfang [die Exposition] ruhiger in G moll ver- „zwei Schlüsse“ (Siegfried Oechsle): einen ers- Musik sei „ein Stück so recht eigens für mich. Chronicle, weshalb er Brahms’ Werk instru- bliebe und nicht etwas zu lang im Verhältnis ten, der den thematisch dichten Diskurs nach [...] da kann ich so schön sanft träumen, mir mentiert habe: „Meine Gründe: 1. Ich liebe das zum 2. [der Durchführung] erschiene.“ dem Hauptsatz triumphierend zum Abschluss ist, als ob die Seele sich wiegte auf Tönen“; Stück. 2. Es wird selten gespielt. 3. Es wird bringt, jedoch zum Trugschluss umgedeutet auf ihre Anregung hin änderte Brahms den immer sehr schlecht gespielt, weil der Pianist Tatsächlich weist das einleitende Allegro des wird; und einen zweiten, der mit seiner Rück- Titel schließlich in „Intermezzo“. desto lauter spielt, je besser er ist, und man Quartetts eine ganze Reihe formaler Besonder- kehr zu den zentralen Kontrastmotiven auf die nichts von den Streichern hört. Ich wollte ein- heiten auf, denn was Brahms zu Beginn des folgende Durchführung vorausdeutet. Nach dem lyrisch-kantablen Andante con moto mal alles hören, und das habe ich erreicht. Satzes dem Hörer präsentiert, wirkt (ähnlich folgt mit dem Schluss-Rondo „alla zingarese“ Meine Absichten: 1. Streng im Stil von Brahms wie im Zweiten Klavierkonzert) weniger wie ein Der ursprünglich mit „Scherzo“ überschrie- Joachims persönlicher Favorit des Werks: ein zu bleiben und nicht weiter zu gehen, als er ausgeformtes Thema, sondern vielmehr wie bene introvertiert anmutende zweite Satz Satz voller Csárdás-Anspielungen, Perpetuum- selbst gegangen wäre, wenn er heute noch lebte. eine vorthematische Intervallkonstruktion, die, nähert sich mit seinen gedämpften Farben mobile-Episoden samt Trio-Ständchen, über 2. Alle die Gesetze sorgfältig zu beachten, die vor allem in ihrer anfänglichen Unisono-Phrase, und durch gän gigem Achtelpuls dem Genre den der gebürtige Ungar meinte, Brahms habe Brahms befolgte, und keine von denen zu ver-

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14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 10 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 11 22.10.15 10:36 Konzerttipp Eröffnung des Festivals „Greatest Hits“ mit dem NDR Sinfonieorchester

z. B. volle Begleitung mit gebrochenen Akkord- ERÖFFNUNGSKONZERT fi guren, oft in verschiedenen Rhythmen. Und „GREATEST HITS“ die meisten dieser Figuren können nicht leicht geändert werden, weil sie in seinem Stil ge- Do, 19.11.2015 | 20 Uhr wöhnlich strukturelle Bedeutung haben.“ Hamburg, Kampnagel, K6 NDR Sinfonieorchester Tatsächlich nähert sich Schönberg über weite Matthias Pintscher Dirigent Strecken dem dunklen, schwermütigen Tonfall Michael Jarrell von Brahms Orchesterwerken an. Auch die Instantanés von ihm hinzuerfundenen kontrapunktischen Igor Strawinsky Gegenstimmen sind alle aus der musikali- Le chant du rossignol schen Grundsubstanz des Werks abgeleitet. Gérard Grisey Doch die Orchesterbesetzung, die mit massi- „Stèle“ für 2 Schlagzeuger vem Schlagwerk und der bei Brahms nie vor- Claude Vivier kommenden prominent fi gurierenden Bass- Siddhartha klarinette nicht zufällig der von Schönbergs Matthias Pintscher Orchestervariationen op. 31 entspricht, sowie NDR das neue werk In Kooperation mit Elbphilharmonie Konzerte die gelegentlich solistische Führung der Strei- Mit einem Konzert des NDR Sinfonieorchesters und Kampnagel cher offenbaren letztlich doch den wahren unter der Leitung von Matthias Pintscher auf Urheber dieser Arbeit. Auch die Tatsache, dass Kampnagel geht das Festival „Greatest Hits“ sich in der Partitur der Brahms-Bearbeitung 2015 wieder an den Start. Im Zentrum des Pro- GESPRÄCHSKONZERT ZU CLAUDE VIVIER Arnold Schönberg (links) und Otto Klemperer, der Dirigent die bei Schönberg obligatorische Unterschei- gramms steht der franko-kanadische Komponist im Vorfeld des Eröffnungskonzerts: der Uraufführung der Orchesterbearbeitung von Brahms’ dung in „Haupt“- und „Nebenstimmen“ fi ndet, Claude Vivier. Mit ihrer unmittelbar eingängigen 18.30 Uhr | Kampnagel, K2 Klavierquartett hat zur Folge, dass das Arrangement eben Tonsprache suchen seine Werke ihresgleichen; Mei Yi Foo Klavier nicht nur nach Brahms, sondern auch nach Schönheit und Melodie treffen hier wie selbst- Claude Vivier letzen, die nur Musiker kennen, welche in seiner Schönberg klingt. Hätte Brahms jemals ein verständlich auf die klanglichen Errungenschaf- Shiraz Umgebung aufgewachsen sind. Wie ich das so üppiges Csárdás-Finale mit Glockenspiel, ten der experimentellen Musik. Im großen Eröff- Im Gespräch: gemacht habe: Ich bin seit fast 50 Jahren mit Xylophon und Posaunenglissandi geschrieben? nungskonzert erklingt Viviers 1976 ent stan dene Louise Duchesneau Moderation dem Stil von Brahms und seinen Prinzipien Vor diesem Hintergrund erlangt eine von Otto Sinfonische Dichtung „Siddhartha“, die sich Matthias Pintscher (Dirigent) gründlich bekannt. Ich habe viele seiner Werke Klemperer überlieferte Anekdote durchaus auf Hermann Hesses gleichnamige „indische Frank Harders-Wuthenow (Boosey & Hawkes) für mich selbst und mit meinen Schülern ana- tiefere Bedeutung: „Als wir die Brahms-Be- Erzählung“ bezieht. Im Vorfeld versammeln sich Thérèse Desjardins (Fondation Vivier) lysiert. Ich habe als Violaspieler und Cellist arbeitung spielten, sagte der Manager des einige von Viviers wichtigsten Wegbegleitern dieses und viele andere Werke oft gespielt: Orchesters von Los Angeles: ‚Ich weiß gar nicht, zum Podiums gespräch, darunter seine lang- Ich wusste daher, wie es klingen soll. Ich hatte warum die Leute sagen, Schönberg hat keine jährige Freundin und heutige Erbverwalterin nur den Klang auf das Orchester zu übertragen, Melodien. Das war doch sehr melodisch.’“ Thérèse Desjardins und seine ehemalige Kom- und nichts sonst habe ich getan. Natürlich gab militonin und Landsfrau Louise Duchesneau. es da viele schwere Probleme. […] Brahms liebt Harald Hodeige Auch Matthias Pintscher ist mit von der Partie.

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14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 12 22.10.15 10:36 14635_SO_AB3_L2_15_16_PRO 13 22.10.15 10:36 Konzertvorschau Impressum NDR Sinfonieorchester Saison 2015 / 2016

C2 | Do, 26.11.2015 | 20 Uhr B4 | Do, 10.12.2015 | 20 Uhr AUF KAMPNAGEL Herausgegeben vom D3 | Fr, 27.11.2015 | 20 Uhr A4 | So, 13.12.2015 | 11 Uhr NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Hamburg, Laeiszhalle Hamburg, Laeiszhalle KA1a | Fr, 04.12.2015 | 20 Uhr PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK Thomas Hengelbrock Dirigent L2 | Fr, 11.12.2015 | 19.30 Uhr KA1b | Sa, 05.12.2015 | 20 Uhr BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE Bariton Lübeck, Musik- und Kongresshalle Hamburg, Kampnagel Leitung: Andrea Zietzschmann Camilla Tilling Sopran Krzysztof Urbański Dirigent PANZERKREUZER POTEMKIN Albert Dohmen Bassbariton Dejan Lazić Klavier Stefan Geiger Dirigent Redaktion Sinfonieorchester: Christina Landshamer Sopran Guillaume Couloumy Trompete „Panzerkreuzer Potemkin“ Achim Dobschall Sophie Harmsen Mezzosopran Antonín Dvořák (1925) Lothar Odinius Tenor Heldenlied op. 111 Stummfi lm von Sergej M. Eisenstein mit Redaktion des Programmheftes: Yorck Felix Speer Bass Dmitrij Schostakowitsch der Musik von Dmitrij Schostakowitsch Julius Heile RIAS Kammerchor Konzert für Klavier, Trompete (arrangiert von Frank Strobel) NDR Chor und Streichorchester c-Moll op. 35 Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige Robert Schumann Modest Mussorgsky / Maurice Ravel ist ein Originalbeitrag für den NDR. Szenen aus Goethes „Faust“ Bilder einer Ausstellung Fotos: Einführungsveranstaltungen Einführungsveranstaltungen: mit Thomas Hengelbrock: 10.12.2015 | 19 Uhr Eric Brissaud (S. 4); Uwe Arens | Sony Classical 26.11.2015 | 19 Uhr 13.12.2015 | 10 Uhr (S. 5); akg-images (S. 6, S. 7, S. 8, S. 15); 27.11.2015 | 19 Uhr culture-images/Lebrecht (S. 11); akg-images / Imagno (S. 12); Andre Medici (S. 13) Philipp von Hessen (S. 14 links); Fred Jonny (S. 14 rechts)

NDR | Markendesign Die Treppe von Odessa“, Szene aus dem Film „Panzerkreuzer Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH Potemkin” nach historischen Ereignissen vom 14. Juni 1905 Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

Thomas Hengelbrock Krzysztof Urbański Das NDR Sinfonieorchester im Internet ndr.de/sinfonieorchester facebook.com/ndrsinfonieorchester

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

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