Oldenburger Jahrbuch
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Landesbibliothek Oldenburg Digitalisierung von Drucken Oldenburger Jahrbuch Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde Oldenburg, 1957- Klaus-Michael Exo, Christiane Ketzenberg & Ute Bradter: Bestand, Phänologie und räumliche Verteilung von Wasser- und Watervögeln im friesischen Rückseitenwatt 1992 - 1995 urn:nbn:de:gbv:45:1-3267 Oldenburger Jahrbuch 100, 2000 337 Klaus-Michael Exo, Christiane Ketzenberg & Ute Bradter Bestand, Phänologie und räumliche Verteilung von Wasser- und Watvögeln im friesischen Rückseitenwatt 1992-1995 1. Einleitung Mehr als 30 Küstenvogelarten mit annähernd 400.000 Brutpaaren nutzen das Wat¬ tenmeer alljährlich zur Brut ( Fleet et al. 1994). Auch wenn das Wattenmeer damit das bedeutendste Brutgebiet für Küstenvögel in Mitteleuropa ist, beruht seine über¬ ragende internationale Bedeutung für Vögel in erster Linie auf seiner Funktion als „Drehscheibe" und „Tankstelle" auf dem ostatlantischen Zugweg. Ca. 10-12 Mio. Wasser- und Watvögel - meist Brutvögel der Arktis und Subarktis - nutzen das Ökosystem Wattenmeer alljährlich als Rast-, Mauser- und/oder Überwinterungsge¬ biet ( Meltofte et al. 1994). Für mindestens 52 geografisch getrennte Populationen von 41 Wasser- und Watvogelarten hat das Wattenmeer im Sinne der Ramsar-Kon¬ vention internationale Bedeutung. - Die 1971 in Ramsar/Iran unterzeichnete Kon¬ vention zum Schutz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung besagt, dass einem Feuchtgebiet internationale Bedeutung zukommt, wenn es entweder regel¬ mäßig 1 % der Vögel einer Population oder eines definierten Zugweges beherbergt oder aber mehr als 20.000 Wasser- und Watvögel (z. B. Davis 1996, Mitlacher 1997). - Vielen Arten bietet das Wattenmeer eine der wenigen Möglichkeiten, ihre Energie¬ reserven auf dem Frühjahrszug in die Brutgebiete (Fleimzug) wie auch auf dem Herbstzug in die Winterquartiere (Wegzug) aufzufüllen (z. B. Smit & Piersma 1989). Die herausragende internationale Bedeutung des Wattenmeeres auf dem ostatlanti¬ schen Zugweg war einer der wesentlichsten Gründe für die Ausweisung einer mehr oder weniger zusammenhängenden Kette von Nationalparken und Natur¬ schutzgebieten im gesamten internationalen Wattenmeer, von Den Helder in den Niederlanden bis Blävandshuk in Dänemark. Langjährige Bestandserfassungen von Brut- und Rastvögeln waren eine wesent¬ liche Voraussetzung für die Errichtung des Schutzgebietssystems. Unabdingbare Grundlage für einen nachhaltigen Schutz ist die kontinuierliche Überwachung der Bestände, ein sog. Bestands-Monitoring (z. B. Smit 1989, Becker 1992, Rösner 1993). Im Falle der Brutvögel wurde dem bereits relativ früh Rechnung getragen. Aus zahlreichen Seevogelschutzgebieten der deutschen Nordseeküste liegen seit Beginn Anschrift der Verfasser: Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland", An der Vogelwarte 21, D-26386 Wilhelmshaven; E-Mail: [email protected] 338 Klaus-Michael Exo, Christiane Ketzenberg & Ute Bradter des 20. Jahrhunderts systematische Brutvogelerfassungen vor ( Becker & Erdei.en 1987, Behm-Berkelmann et al. 1991, Exo 1995, Hälterlein & Südbeck 1996). Obwohl die herausragende internationale Bedeutung des Wattenmeeres in erster Linie auf sei¬ ner Funktion als zentrale Drehscheibe auf dem ostatlantischen Zugweg beruht, feh¬ len vergleichbare Langzeiterfassungen und Analysen der Rastvogelbestände weitge¬ hend ( Smit 1989, Rosner 1993, Meltofte et al. 1994). Erste systematische Erfassungen der Rastvogelbestände wurden in den 1960er Jahren durchgeführt. Die erste watten¬ meerweite Synchronzählung (synchrone Zählung aller Wasser- und Watvögel wäh¬ rend einer Tide im gesamten internationalen Wattenmeer) erfolgte im September 1973. Erst seit 1980/81 werden alljährlich zumindest 2-3 wattenmeerweite Synchron¬ zählungen durchgeführt ( Knief 1982, Rösner 1993, Meltofte et al. 1994). Diese Zäh¬ lungen erlauben zwar Abschätzungen der Bestände und Bestandstrends einzelner Arten der ostatlantischen Zugwegpopulation, Monitoring-Zwecken genügen sie je¬ doch nicht. Angaben zur Bestandssituation und -entwicklung im Wattenmeer, insbe¬ sondere in einzelnen Teilräumen, wie auch eine Beurteilung eines etwaigen Einflus¬ ses der Vögel auf das Ökosystem erlauben 2-3 jährliche Zählungen nicht (vgl. Smit 1989, Rösner 1993, Meltofte et al. 1994). Diesen Erkenntnissen Rechnung tragend, wurden von der Trilateralen Monitoring Export Group im Rahmen des Joint Monitoring Project on Migratory Birds in the Wadden Sea ganzjährige Springtidenzählungen aller im Wattenmeer rastenden Wasser- und Watvögel auf ausgewählten Referenzflächen vorgeschlagen ( Rösner & Prokosch 1992, Rösner 1993). In Schleswig-Holstein wurde im Jahr 1987 mit regelmäßigen Springtidenzählungen begonnen, in Niedersachsen 1992 ( Kempf et al. 1989, Rösner & Prokosch 1992, Rösner et al. 1994). Im friesischen Wattenmeer haben Rastvogelzählungen eine vergleichsweise lange Tradition. Die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Natur- und Umweltschutz e. V., Jever, begann bereits 1969 mit regelmäßigen Zählungen im Landkreis Friesland (Thyen et al. 2000). Dennoch liegen auch aus dem friesischen Wattenmeer, dessen internationale Bedeutung wiederholt herausgestellt wurde (z. B. Smit & Wolff 1980, Bi.indow 1987, Goethe et al. 1985, Meltofte et al. 1994, Rösner et al. 1994, Zang et al. 1995), bisher keine Detailanalysen des räumlich-zeitlichen Auftretens von Gastvögeln vor. Auswertungen der auf den niedersächsischen Inseln rastenden Gastvögel fehlen weitgehend. So vermuten Zanc , et al. (1995), dass die von ihnen in der Avifauna Niedersachsens vorgestellten Phänologien aus dem Bereich der friesi¬ schen Küste das Gesamtbild des Zuggeschehens nicht wiedergeben können. Diese Lücke soll hier geschlossen werden. Auf Basis 4-jähriger regelmäßiger Springtiden¬ zählungen aus dem Bereich Neuharlingersiel-Schillig einschließlich der Inseln Spiekeroog, Wangerooge und Minsener Oog (Abb. 1) werden das Artenspektrum, die Gesamtbestände, das jahreszeitliche Auftreten 20 ausgewählter Arten inkl. der zwischenjährlichen Variabilität und die räumliche Verteilung von Wasser- und Wat¬ vögeln im friesischen Rückseitenwatt dargestellt. Darauf aufbauend wird die Be¬ deutung des Gebiets anhand der im Sinne der Ramsar-Konvention in international bedeutsamen Beständen vorkommenden Arten (z. B. Rose & Scott 1997) aufge¬ zeigt. Abschließend werden die Bedeutung verschiedener Strukturelemente sowie ungestörter Naturräume für einen nachhaltigen Schutz des Ökosystems Watten¬ meer mit seinen Gastvögeln sowie die Möglichkeiten und Grenzen des watten¬ meerweiten Rastvogelmonitorings diskutiert. Bestand, Phänologie und räumliche Verteilung von Wasser- und Watvögeln — 339 Abb. 1: Lage des Untersuchungsgebietes im Niedersächsischen Wattenmeer und Abgrenzung der Wasser- und Watvogelzählstrecken nach den Vorgaben des Niedersächsischen Tierartenerfas¬ sungsprogramms (kräftige durchgezogene Linien). Angegeben sind die Nummern der Zählstre¬ cken (TK-Quadrant). Flächengrößen der Zählgebiete: 2212.1 - 730 ha, 2212.2 - 920 ha, 2213.1 - 290 ha, 2213.2 - 310 ha, 2214.1 - 370 ha, 2212.3 - 150 ha, 2212.4 - 350 ha, 2213.3 - 780 ha, 2213.4 - 660 ha (K. Behm-Berkelmann, NLÖ, pers. Mitt.). 2. Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet umfasst einen für weite Teile des Niedersächsischen Wat¬ tenmeeres charakteristischen Rückseitenwattausschnitt, den knapp 20 km langen Küs¬ tenabschnitt zwischen Neuharlingersiel und Schillig einschließlich der dem Festland vorgelagerten Barriereinseln Spiekeroog, Wangerooge und Minsener Oog (Abb. 1). 340 Klaus-Michael Exo, Christiane Ketzenberg & Ute Bradter Abb. 3: Sandplaten und Buhnensysteme der Insel Minsener Oog (Foto: R. Nagel). Bestand, Phänologie und räumliche Verteilung von Wasser- und Watvögeln — 341 Abb. 4: Blick auf die Küste des Festlands im Bereich des Elisabethgrodens (Foto: C. Ketzenberg). Abb. 5: Stockentenpaar (Foto: R. Nagel). 342 Klaus-Michael Exo, Christiane Ketzenberg & Ute Bradter Dieser Raum ist aus ornithologischer Sicht als zusammengehörige Einheit anzu¬ sehen (vgl. Exo & Ketzenberg 1993, Meltofte et al. 1994, Exo et al. 1999, Exo & Schmidt 2000). Die meisten der in diesem Küstenabschnitt rastenden Vögel nutzen die zwischen den Inseln und dem Festland gelegenen Rückseitenwatten zur Nah¬ rungssuche, Austauschbewegungen über die Otzumer Balje im Westen und das Ja¬ defahrwasser im Osten sind vergleichsweise selten. Die Breite des Rückseitenwatts variiert im Bereich Neuharlingersiel-Schillig zwi¬ schen etwa 5 und 7 km. Die von Baijen und Rinnensystemen durchzogene Eulito- ralfläche umfasst ca. 13.700 ha. Generell überwiegen im friesischen Rückseitenwatt Sand- (Schlickgehalt [Fraktion < 63 gm] < 5 %) und Mischwatten (5-50 %). Schlick¬ watten (> 50 %) sind eher selten, sie finden sich in geringem Umfang vorwiegend nahe der Festlandküste sowie im Bereich von Miesmuschelbänken ( Dijkema 1989, Flemming & Ziegler 1995). Ausgedehnte Salzwiesen, die zahlreichen Wasser- und Watvögeln geeignete Hoch¬ wasserrastplätze bieten, finden sich insbesondere im Osten der Inseln Spiekeroog und Wangerooge (Abb. 2). Während es sich bei den Inseln Spiekeroog und Wange- rooge um in Jahrhunderten natürlich gewachsene Düneninseln handelt, wurde die ehemalige Sandplate Minsener Oog Ende der 1970er Jahre künstlich zu einem Strombauwerk aufgespült, um weitere Versandungen des östlich angrenzenden Ja¬ defahrwassers einzuschränken. Spiekeroog und Wangerooge werden im Norden zur offenen Nordsee hin durch einen schmalen mehr oder weniger vegetationslosen Sandstrand begrenzt. Nach Süden folgen Dünen mit ihrer je nach