›Obszönes‹ Bei Mozart Und Seine Verarbeitung
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Wilfried Kürschner: »dreck! – – dreck! – o dreck! – o süsses wort! – dreck!«: ›Obszönes‹ bei Mozart und seine Verarbeitung. In: Kulturerinnerungen – Erinnerungskulturen. Mozart, Heine, Benn: Musik, Literatur, Denkmäler. Herausgegeben von Wilfried Kürschner. Berlin: Lit Verlag. (Vechtaer Universitätsschriften. 27) [ISBN 978-3-643- 11627-7] S. 33–59. <a 2012> „dreck! – – dreck! – o dreck! – o süsses wort! – dreck!“: ,Obszönesʻ bei Mozart und seine Verarbeitung Wilfried Kürschner Man lese sich bitte einmal den folgenden Text durch: 1 Mannheim, den 28. 2. 1778 Mademoiselle, ma très chère cousine! Sie werden vielleicht glauben oder gar meinen, ich sei gestorben, ich sei krepiert oder verreckt. Doch nein, meinen Sie es nicht, ich bitte Sie, denn gemeint und ge- schissen ist zweierlei! Wie könnt ich denn so schön schreiben, wenn ich tot wär? Wie wäre das wohl möglich? Wegen meinem so langen Stillschweigen will ich mich gar nicht entschuldigen, denn sie würden mir so nichts glauben; doch, was wahr ist, bleibt wahr! Ich habe so viel zu tun gehabt, dass ich wohl Zeit hatte, an das Bäsle zu denken, aber nicht zu schreiben. Mithin habe ich’s müssen lassen bleiben. Nun aber habe ich die Ehre, sie zu fragen, wie sie sich befinden und sich tragen. Ob Sie noch offen’s Leibs sind? Ob sie etwa gar etwa haben den Grind? Ob sie mich noch ein bisschen können leiden? Ob Sie’s öfters schreiben mit einer Kreiden? Ob sie noch dann und wann an mich gedenken? Ob sie nicht bisweilen Lust haben sich aufzu- henken? Ob sie etwa gar bös waren auf mich armen Narren? Ob sie nicht gutwillig wollen Fried machen, oder ich lass bei meiner Ehr einen krachen! Doch sie lachen – Victoria! Unsre Arsch sollen die Friedenszeichen sein. Ich dachte wohl, dass sie mir nicht länger widerstehen könnten, ja, ja, ich bin meiner Sache gewiss, und sollt ich heut noch machen einen Schiss, obwohl ich in 14 Tägen geh nach Paris. Wenn sie mir also wollen antworten aus der Stadt Augsburg dorten, so schreiben sie mir bald, damit ich den Brief erhalt, sonst, wenn ich etwa schon bin weg, bekomme ich statt einen Brief einen Dreck. Dreck, Dreck, o Dreck, süßes Wort Dreck. Schmeck – auch schön! Dreck, schmeck! Dreck, leck, o charmante, Dreck, leck. Das freuet mich! Dreck, schmeck und leck, schmeck Dreck, und leck Dreck! Nun, um auf etwas ande- res zu kommen […]. Nach diesem starken Tobak ist wohl erst einmal ein Sündenbekenntnis ange- bracht: Ich johannes Chrisostomus Amadeus Wolfgangus sigismundus Mozart giebe mich schuldig, [...], daß ich vorgestern und gestern |: auch schon öfters :| erst bey der nacht um 12 uhr nach haus gekommen bin; und daß ich von 10 uhr bis zur benenn- ten stund beym Canabich, in gegenwart und en Compagnie des Canabich, seiner 1 In der Vorlesung wurde der Text eingangs nur zu Gehör gebracht, nicht auch schon schriftlich zur Ver- fügung gestellt. Die hier wiedergegebene Version folgt dem Wortlaut, in dem er auf der CD „Wolf- gang Amadeus Mozart: Die Bäsle-Briefe. Korrespondenz an Maria Anna Thekla Mozart. Gelesen von Sven Görtz“, Track 5, gelesen wird. Die Verschriftlichung wurde gemäß den geltenden Rechtschreib- regeln vorgenommen. 34 Wilfried Kürschner gemahlin und dochter, H: schazmeister, Raam, und Lang, oft und – – nicht schweer, sondern ganz leichtweg gereimet habe; und zwar lauter Sauereyen, nemmlich, vom Dreck, scheissen, und arschlecken, und zwar mit gedancken, worten und – – aber nicht mit wercken. ich hätte mich aber nicht so gottloß aufgeführt, wenn nicht die Rädl =führerin, nemlich die sogenante lisl |: Elisabetha Cannabich :| mich gar so sehr darzu annimiret und aufgehezt hätte; und ich muß bekennen daß ich ordentlich freüde daran hatte. ich bekenne alle diese meine sünden und vergehungen von grund meines herzen, und in hofnung, sie öfter bekennen zu därfen, nimm ich mir kräftig vor, mein angefangenes sündiges leben noch immer zu verbessern; darum bitte ich um die heilige dispensation, wenn es leicht sein kann; wo nicht, so gilt es mir gleich, denn das spiell hat doch seinen fortgang. (Bauer/Deutsch 1962; Bd. II, S. 123/124) So schreibt der 21-jährige Mozart am 14. November 1777 an seinen Vater Leo- pold. Wolfgang hält sich mit seiner Mutter Maria Anna (getaufte Anna Maria) Mozart in Mannheim auf und sucht am Hofe des Großherzogs eine auskömmliche Stelle als Kompositeur zu erlangen. Sie machen die Bekanntschaft unter anderem von Christian Cannabich, Geiger und Kapellmeister im kurfürstlichen Hof- Orchester, und seiner Familie. Zu dieser gehören zwei Frauen, „gemahlin und dochter“. Cannabich ist mit Marie Elisabeth de la Motte verheiratet. Von dieser Frau nun als „Rädl =führerin“ wurde Wolfgang nach eigenem Bekunden zu seinem sündigen Tun „annimiret und aufgehezt“. In der Mozart-Forschung ist ungeklärt, auf welche Reimereien sich Wolfgang hier beziehen mag – auf einige mögliche Kandidaten, allerdings aus späteren Jahren, kommen wir weiter unten zu sprechen –, aber so viel ist auch ohne Forschung klar: Mozart parodiert hier einen kanoni- schen Text, nämlich die Beichtformel. Dort nennt sich der Sünder erst einmal selbst beim Namen.2 Danach muss der reuige Sünder das Vergehen nennen, dessen er sich schuldig gemacht hat: er hat „nicht schweer, sondern ganz leichtweg ge- reimmet“, „und zwar lauter Sauereyen“. Ich will die „Sauereyen“ nicht noch ein- mal wiederholen – im Laufe des Beitrags kommen wir zwangsläufig immer wieder darauf zu sprechen und zu lesen –, wichtig ist mir aus unserem Text aber die Vari- ation, die Mozart dem Teil der Formel zuteil werden lässt, der den Sündenort be- trifft. Die kanonische Form ist: „... gesündigt habe in Gedanken, Worten und Wer- ken“. Mozart gibt zu: „mit gedancken, worten und“, bricht dann aber ab: „– aber nicht mit wercken“. Dies ist eine schöne Überleitung auf das, worum es hier geht: um Worte oder noch schlichter: um Wörter. Denn ich bin Sprachwissenschaftler 2 In einer Form, die unserem heute geläufigen „Wolfgang Amadeus“ nicht ganz entspricht und übrigens auch nicht der Eintragung im Taufbuch. Dort findet sich nämlich weder „Sigismundus“ noch „Ama- deus“, statt Letzterem vielmehr „Theophilus“; der Vater berichtet gar, der am 27. Januar 1756 am Festtag des Kirchenlehrers Chrystomos, in Salzburg geborene Sohn heiße „Gottlieb“, unter anderem. Nun ist „Amadeus“ bekanntlich die lateinische Fassung des griechischen „Theophilus“ und des deut- schen „Gottlieb“ (welchen Namen er nach dem Taufpaten Pergmayr erhalten hat [Geck 2005: 12]). „Amadeus“ oder noch öfter „Amadé“, in französischer Form, beginnt Mozart sich im Jahr 1777 zu nennen, aus dem unser Sündenbekenntnis stammt; in Italien nannte er sich „Amadeo“. Den Brief, um den es hier geht, unterzeichnet er übrigens mit „Wolfgang gottlieb Mozart“. ,Obszönesʻ bei Mozart und seine Verarbeitung 35 und habe keinerlei musikalische Talente, sodass ich über den Musiker Mozart nichts Eigenes sagen kann. Und auch auf einem weiteren Gebiet, auf das wir kom- men werden, bin ich kein Experte, nämlich auf dem Gebiet der Medizin. Man ver- mutet nämlich, dass Mozart unter einer Krankheit gelitten haben könnte, die ihn zum Ausstoßen der genannten „Sauereyen“ gezwungen haben könnte. Doch dazu, wie gesagt, erst später. I Um Worte, Wörter geht es hier, in der Hauptsache um „schmutzige“ oder „dre- ckige“ Wörter, um Wörter, die man besser nicht verwendet, und die einen in schlechtem Licht dastehen lassen, wenn man’s dennoch tut. Offiziell und seriös werden sie wie im Titel als „obszön“ bezeichnet. Im „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ des Duden (3. Aufl., 1999) heißt es zum Stichwort „obszön“ folgendermaßen: obs|zön <Adj.> [lat. obscoenus, obscenus, H. u. {= weitere Herkunft ungeklärt}]: 1. (bildungsspr.) in das Schamgefühl verletzender Weise auf den Sexual-, Fäkalbereich bezogen; unanständig, schlüpfrig: -e Witze; ein -er Film, Roman; ein -es Foto; K. be- richtet von dem Fund einer Menge -er Zeichnungen in des Verstorbenen Schreibtisch (Reich-Ranicki, Th. Mann 166); ..., die Wände mit -en Parolen zu bekritzeln (H. Ger- lach, Demission 10); einige Stellen des Buches sind sehr o.; etw. o. darstellen; o. reden. 2. (Jargon) [moralisch-sittliche] Entrüstung hervorrufend: der Laden hat -e Preise; Die - en Bilder, auf denen Saddam sich zeigt, wie er Kinder tätschelt, die er zu seinen Geiseln gemacht hat (Spiegel 6, 1991, 26); dieser Kriegsfilm ist o. In lateinischen Wörterbüchern wird das lateinische Adjektiv obscēnus oder obs- caenus, dessen Herkunft vom Duden als ungeklärt vermerkt wird, als Zusammen- setzung aus ob und cēnum bzw. caenum gedeutet, wobei Letzteres ‘Schmutz, Kot, Unflat’ bedeute und „stets mit dem Nebenbegriff des Ekelhaften“ verbunden sei, wie es im „Ausführlichen lateinisch-deutschen Handwörterbuch“ von Karl Ernst Georges (1913) heißt. So erklärt sich dann auch die Bedeutungsangabe im Duden, die aber zusätzlich zum Fäkalbereich („Schmutz, Kot, Unflat“) explizit den Sexu- albereich nennt. Aus den Beispielangaben des Duden-Wörterbuches geht hervor, dass sich der Ausdruck „obszön“ primär auf sprachliche Gegenstände beziehen kann (obszöne Witze, Romane oder Parolen), aber auch auf andere Hervorbringungen (Filme, Fotos, Zeichnungen). Er kann aber auch im übertragenen Sinn auf Gegebenheiten bezogen werden, die nicht der Fäkal- oder Sexualsphäre angehören; Beispiele fin- den sich in Bedeutungsgruppe 2. In den Wörterbüchern wird bei den entsprechen- den Wörtern das Attribut „obszön“, anders als vielleicht zu erwarten wäre, übri- gens nicht zur Charakterisierung der Stilebene dieser Wörter eingesetzt. Stattdessen sind Bezeichnungen wie „derb“ oder „vulgär“ in Gebrauch. Sie