„Kribbeln Im Zwerchfell“ Gesangsstar Jochen Kowalski Über Kastraten, Sex Bei Wagner Und DDR-Schikanen
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.. KULTUR SPIEGEL-Gespräch „Kribbeln im Zwerchfell“ Gesangsstar Jochen Kowalski über Kastraten, Sex bei Wagner und DDR-Schikanen SPIEGEL: Herr Kowalski, Sie singen mit stenmal in New York, den „Fleder- Die gucken ins Programmheft und dann einer glockenreinen Frauenstimme. maus“-Orlowski. Vor Aufregung habe auf die Bühne: Ist das wirklich ein Mann Fehlt Ihnen etwas? ich seit Tagen nicht mehr geschlafen. da oben? Kowalski: Absolut nicht. An mir ist alles SPIEGEL: Haben Sie immer noch Angst SPIEGEL: Hat man Sie schon einmal aus- dran. An meine Stimme habe ich mich vor einem neuen Publikum? gelacht? aber noch immer nicht gewöhnt. Für Kowalski: Das ist jedesmal ein Kampf. Kowalski: Einmal, bei einem Lieder- mich ist es ein psychologisches Problem, Denn ich muß die Leute ständig davon abend. Da bekam ich einen hochroten das ich noch nicht verarbeitet habe. überzeugen, daß einzig diese Stimme zu Kopf und einen schrecklichen Adrena- Denn eigentlich wollte ich natürlich Te- mir paßt. Wenn ich anfange zu singen, lin-Stoß. Aber irgendwie kriege ich die nor werden. Und wenn ich mein lyri- geht oft ein Staunen durch die Menge. Leute immer rum. Manchmal brauche sches Gesangsidol Fritz Wun- ich ein halbes Programm. Späte- derlich höre, kriege ich noch stens bei Schumanns „Dichterlie- heute gelegentlich eine Depres- be“ herrscht Totenstille, und am sion. Ende toben sie meist vor Begei- SPIEGEL: Wie kommen Sie denn sterung. zu Ihrem Hochton-Organ? SPIEGEL: Wer erhitzt sich denn Kowalski: Ganz einfach: Meine so für Sie? Altstimme blieb mir über den Kowalski: In Deutschland, be- Stimmbruch hinaus erhalten. In sonders hier in Berlin, ist es ein der Charite´ hat man mir mal eine verschärftes Damen-Publikum, Mini-Kamera in den Hals ge- Kräfte von 18 bis 81, die mir schoben und entdeckt, daß mei- nachreisen, Schals und warme ne Stimmbänder nur an den Strümpfe stricken. Manche glau- Rändern schwingen, im Unter- ben sogar, sie müßten mich drin- schied zu anderen Sängern. Es gend heiraten. Die sehen in mir ist eine Art Defekt. Auf der ein Lustobjekt. In Spanien mö- Bühne bleibt mir deshalb vor- gen mich seltsamerweise die wiegend das barocke Kastraten- Männer. Fach, also Partien wie Händels SPIEGEL: Etwa auch als Lustkna- Julius Caesar oder Giustino. ben? SPIEGEL: Sie sind ein Counterte- Kowalski: Nee, die fahren auf nor. meine Stimme ab, wollten aber Kowalski: Nicht wirklich. Diese nur Bier mit mir trinken. Die Kollegen erreichen die Höhen Spanier lieben das deutsche durchs Falsett, quasi mit einer Kunstlied. Dabei habe ichimmer künstlichen, gepreßten Kopf- gedacht, die kennen nur Zarzue- stimme. Ich nenne mich deshalb las oder ihre National-Heroine lieber Altus. Montserrat Caballe´. SPIEGEL: In welche Höhen SPIEGEL: Italien, das Mutterland schwingen Sie sich hinauf? der Kastraten, liegt Ihnen doch Kowalski: Bis zum zweigestri- sicher zu Füßen? chenen F, wie ein normaler H. FLOSS Kowalski: Überhaupt nicht. In Frauen-Alt eben auch. Damit Rom ging mal ein Abend mit kann ich zum Beispiel die Alt- Jochen Kowalski Händel-Kantaten total daneben. Partie in der „Matthäus-Passi- Die Italiener sind fixiert auf ihre on“ von Bach singen. verdankt seine Weltkarriere einer produktiven Stimm- „grandi tenori“. Mit meinem Al- SPIEGEL: Mit der Panne im band-Störung. Dem Schlachtersohn aus dem bran- tus können die nichts anfangen. Kehlkopf haben Sie es weit ge- denburgischen Flecken Wachow, der ursprünglich lyri- Früher war das da ganz anders. bracht – zum Kammersänger scher Tenor werden wollte, blieb nach dem Stimm- Wenn Kastraten sangen, wie der und nun auch zum Star an der bruch eine feminine Hoch-Stimme erhalten, mit der er berühmte Farinelli etwa, fielen Met. barocke Kastratenrollen, aber auch Lieder der deut- die Frauen reihenweise in Ver- Kowalski: Komisch, was? Ich schen Klassik und Romantik interpretiert. Kowalski, zückung und Ohnmacht. Gesang staune selbst darüber. Früher 40, Star der Komischen Oper Berlin, ist mit Gastspie- hat eben immer etwas mit Sexua- war ich das Stimmwunder der len und Platten schon vor der Wende im Westen be- lität und Erotik zu tun. Wenn ich DDR, und jetzt singe ich zum er- kanntgeworden. Glanzrollen des Künstlers, der mit eine tolle Stimme höre, merke Chanson-Programmen auch gern ins leichte Fach aus- ich das immer sofort ganz unten bricht, sind Glucks Orpheus und die Titelpartie in Hän- im Zwerchfell. Im Unterleib Das Gespräch führten die SPIEGEL-Re- dakteure Joachim Kronsbein und Peter dels „Julius Caesar“. spielen sich dann chemische Pro- Stolle. zesse ab. DER SPIEGEL 52/1994 143 KULTUR SPIEGEL: Wer bringt Sie denn in Wal- fast zum Heulen gebracht. Ich flenne lung? sonst nur, wenn Heinrich George imFilm Kowalski: Die legendäre Lotte Leh- „Der Postmeister“ zu Tode kommt. Mit mann zum Beispiel. Was bei Lotti ab- Gardiner arbeite ich nie wieder. geht, ist nicht zu fassen. Technisch war SPIEGEL: Sind Sie mit Ihren stimmlichen sie ja gar nicht perfekt. Aber wenn ich Höhenflügen eine Konkurrenz für sin- sie auf Platte als Sieglinde im ersten Akt gende Damen? der „Walküre“ mit Lauritz Melchior hö- Kowalski: Zuerst haben sie’s gedacht. re, dann ist das für mich ein erotisches Als ich 1987 den Orlowski in Wien sang, Gewitter. Ihre Kollegin Kirsten Flag- warteten die versammelten Kammersän- stad hat nach einem Lehmann-Auftritt mal gesagt: „So was tut eine anständige Frau nur mit ihrem Ehemann im Bett.“ SPIEGEL: Mit Händel und Gluck stürmt BESTSELLER man keine Schlafzimmer. Kowalski: Nee. Deshalb träume, ja, BELLETRISTIK phantasiere ich manchmal immer noch von den sinnlichen Wagner-Partien, von Gaarder: Sofies Welt Lohengrin oder gar vom Tristan, am 1 Hanser; 39,80 Mark liebsten in Bayreuth. Ich habe Festspiel- Chef Wolfgang Wagner sogar schon an- geboten, das Altsolo im „Parsifal“ um- 2 Høeg: Fräulein Smillas sonst zu singen. Herr Wagner, please. Gespür für Schnee Hanser; 45 Mark Die Schwarzkopf mäkelte: 3 Grisham: Die Akte Ich kann Countertenöre Hoffmann und Campe; 44 Mark überhaupt nicht leiden Grisham: Der Klient SPIEGEL: Notruf nach Bayreuth. Haben 4 Hoffmann und Campe; Sie Ihre Trainerstunden bei Elisabeth 44 Mark Schwarzkopf etwa für den Grünen Hü- gel genommen? Pilcher: Wilder Thymian Kowalski: Nicht direkt, ich hab’ mal 5 Wunderlich; 42 Mark kurz in einem Meisterkurs der verehrten Sopranistin reingerochen. Sie empfing Gordon: Der Schamane mich schon gleich mit der Mäkelei: 6 Droemer; 44 Mark „Countertenöre kann ich überhaupt nicht leiden.“ Sag’ ich: „Na, ick ooch Zimmer Bradley: Die Wälder nich.“ Trotzdem wollte sie mir noch ein 7 von Albion paar hohe Töne beibringen. W. Krüger; 49,80 Mark SPIEGEL: Sie wollten sich doch nicht für die Isolde qualifizieren? Chrichton: Enthüllung Kowalski: Lieber Himmel! Die Kollegin 8 Droemer; 44 Mark. stach mir nur energisch in die Seiten, faßte an meine Schläfen und wollte mir so die ideale Gesangstechnik nahebrin- 9 Pirinc¸ci: Francis gen. Wir schieden in beidseitigem Un- - Felidae II verständnis. Goldmann; 38 Mark SPIEGEL: Erleben Sie öfter solche Dis- sonanzen? Pilcher: Die Muschelsucher Kowalski: Selten. Schrecklich war es mit 10 Wunderlich; 45 Mark dem britischen Dirigenten John Eliot Gardiner, der als Spezialist für Original- Pilcher: Das blaue Zimmer Instrumente hoch gelobt wird. Wir pas- 11 Wunderlich; 42 Mark sen stilistisch überhaupt nicht zusam- men, und er hatte die fatale Neigung, Mayle: Hotel Pastis meine Individualität als Sänger kaputt- 12 Droemer; 39,80 Mark zumachen. Und Humor ist ihm über- haupt nicht gegeben. In London sollte Atwood: Die Räuberbraut ich mit ihm Monteverdis „L’Orfeo“ ein- 13 S. Fischer; 48 Mark spielen, und er nahm mich im Studio re- gelrecht auseinander. Ich sollte singen Brown: Ruhe in Fetzen wie ein Countertenor . 14 Rowohlt; 34 Mark SPIEGEL: . also im verhaßten Falsett. Kowalski: Ja, dies asexuelle Gesäusel. Clavell: Gai-Jin Ich habe Gardiner angeblafft: „Schlagen 15 C. Bertelsmann; 49,80 Mark Sie doch das Telefonbuch auf und su- chen Sie sich einen aus.“ Der hat mich 144 DER SPIEGEL 52/1994 gerinnen doch bloß auf meine Bauchlan- Kowalski: Absolut nicht. Die meisten dung. Dann war ich die Sensation. Und sind sowieso zu hoch für mich. Außer- die berühmteste Orlowski-Interpretin dem hat Richard Strauss solche Partien Brigitte Fassbaender soll gesagt haben, ausdrücklich für Frauen geschrieben. nach meinem Auftritt wolle sie diese Ihm ging es bei Mädels in Jungsrollen Rolle nie mehr singen. um einen besonderen sexuellen Reiz. SPIEGEL: Machen Sie dem Gesangs-Fe- Zwei Frauen als Liebespaar – das war minat auch andere Hosenrollen streitig, damals geil. Wenn ich den Part über- vielleicht den schönen Jüngling Octavi- nehmen würde, wäre es nur eine peinli- an im „Rosenkavalier“? che Transvestiten-Nummer. Ich will aber ernst genommen werden. SPIEGEL: Offenbar auch als Entertainer. Sie gönnen sich öfters lustvolle Ausflüge 1994 in den Kitsch. Kowalski: Ja. Die mache ich gerne als SACHBÜCHER Zugaben bei meinen Liederabenden. Ich nehme dann eine laszive Haltung am Ogger: Nieten in Pianoforte an, klapp’ Frack-Kragen und 1 Nadelstreifen eine Augenbraue hoch und schmalze Droemer; 38 Mark „Roter Mohn“ . N. E. Thing Enterprises: SPIEGEL: . die unvergängliche 2 Das magische Auge Schnulze der chilenischen Nachtigall Ars Edition; 29,80 Mark Rosita Serrano. Kowalski: Dann lachen sie alle. Das ist Carnegie: Sorge dich mein Trocadero-Teil. Von Jugend an 3 nicht, lebe! hab’ ich einen Hang zu Schlagern und Scherz; 44 Mark Schnulzen. Mit drei Schauspieler-Kolle- Ogger: Das Kartell gen habe ich gerade ein sehr erfolgrei- 4 der Kassierer ches Unterhaltungs-Programm im Deut- Droemer;