Franz Schubert Die Musikserie Von Christine Lemke-Matwey
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Sonntag, 22. August 2021 15.04 – 17.00 Uhr Franz Schubert Die Musikserie von Christine Lemke-Matwey Der Einsame: Schuberts Persönlichkeit (8/21) Heute wird‘s heikel, denn heute soll es um Schuberts Persönlichkeit gehen. Was ist er für ein Mensch? Geschildert wird Schubert als unsicher, kapriziös, launisch, „grillenhaft“, phlegma- tisch, melancholisch, hektisch, schüchtern, unbeholfen, fröhlich, trotzig, arrogant, auch mal zynisch, sarkastisch, schroff, störrisch oder liebenswürdig – und aus all dem dürfen Sie sich jetzt etwas aussuchen, dürfen Sie Ihren Schubert „konfigurieren“, Ihr Schubert-Bild. Unter Alkoholeinfluss soll er übrigens auch gerne randaliert haben. „Der Einsame“, so lautet heute der Titel – und so heißt auch dieses Lied: 1 DG Franz Schubert 4‘23 00173 „Der Einsame“ D 800 472115-2 Fritz Wunderlich, Tenor Tr. 124 Hubert Giessen, Klavier (1965) Fritz Wunderlich, am Klavier begleitet von Hubert Giessen, mit dem „Einsamen“ von Franz Schubert, ein Lied von 1825 nach einem Gedicht von Karl Lappe. Wunderlich galt lange als der ideale Schubert-Interpret schlechthin, sozusagen als naiv und wissend zugleich. Das trifft sich hier mit einer idyllisch-biedermeierlichen Szene, die erst am Schluss, in der letzten Stro- phe des Liedes, enthüllt, worum es geht. Die Grillen, das Feuer, die „stille Ländlichkeit“ – das ist alles nur Fassade. Fassade für eines der großen Schubert-Themen: die Einsamkeit. Das einerseits bittere, andererseits immer wieder notwendige Alleinsein. Heute wird‘s heikel, wie gesagt. Weil es heikel ist, über einen Künstler zu sprechen, der schon so lange tot ist, über 190 Jahre nämlich. Selbst kann man ihn nicht mehr befragen, und die Quellenlage bei Schubert – das kommt erschwerend hinzu – ist dürftig. Schriftliches hat er kaum hinterlassen, und was seine Zeitgenossen so von sich geben, in Erinnerungen oder Briefen, ist zwangsläufig gefärbt. Von der persönlichen Wahrnehmung, von Vorliebe und Abneigung, vom Verhältnis, wie es war oder wie man es sich gewünscht hätte. Im Rahmen der Musikwissenschaft stellt die Biografieschreibung einen eigenen Forschungsbereich dar. Wer notiert was warum? Wer lässt was wann weg? Wo endet die Wahrheit, und wo beginnt so etwas wie Dichtung? In Zeiten von fake news sind das brisante Fragen. Sie spitzen sich zu, sobald es um die Persönlichkeit eines Künstlers geht, um seinen Charakter, sein Wesen. Sobald der Fokus sich also vom Werk ab- und dem Menschen zuwendet (wobei die Grenzen hier sicher fließen). Würden Sie Franz Schubert gerne kennenlernen? Und wenn ja: welchen Schubert denn so? Franz Schubert – 8. Folge Seite 2 von 9 Fangen wir mit dem jungen an, der sich 1813/14 daran macht, eine musikalische Komödie zu schreiben, „Des Teufels Lustschloss“ nach August von Kotzebue. Das Sujet: eine Treue- probe. Die Form: ein Singspiel mit gesprochenen Dialogen zwischen den Musiknummern. Hören Sie die Haydn Sinfonietta Wien unter Manfred Huss mit der Ouvertüre. 2 DG Franz Schubert 8‘33 LC: 00173 „Des Teufels Lustschloss“ D 84 4795545 0 Ouvertüre CD 8/ Track 3 Haydn Sinfonietta Wien Ltg.: Manfred Huss (1997) D 84, die Ouvertüre zu Schuberts Singspiel „Des Teufels Lustschloss“, das seine konzertante Uraufführung erst 50 Jahre nach Schuberts Tod erlebte, 1879. Bis zur ersten szenischen Realisierung dauerte es dann noch mal 100 Jahre, das Potsdamer Hans-Otto-Theater schrieb damit Theatergeschichte, 1978 – ohne dass sich diese „natürliche Zauberoper“, so nennt Schubert das Stück in der zweiten Fassung, jemals durchgesetzt hätte. Das ist also der junge Schubert: irgendwo zwischen barockem Maschinentheater und klassi- scher Liebes- bzw. Treueprobe, wie man sie von der „Zauberflöte“ her kennt oder später aus dem „Fidelio“ oder dem „Freischütz“. Lebenskräftig klingt diese Musik, bildhaft, jung, unge- stüm. Und auch ein bisschen ungelenk. Der 16-, 17-jährige Schubert meldet hier einen Anspruch an, und das ist uns ja schon öfter begegnet. Er will mitspielen, er will auf die große Bühne, auch wenn die Welt noch nichts von ihm ahnt. Wie stellen wir uns den jungen Kom- ponisten vor? Es gibt ein Ölgemälde, wahrscheinlich des österreichischen Malers Josef Abel, das zeigt einen jungen Mann am Klavier: Vatermörder, hoch geschlossene Weste, volles lockiges Haar, volle Lippen, verträumter Blick hinter der Brille. Der junge Mann auf dem Bild hat keinen Namen, aber so könnte Franz Schubert ausgesehen haben. Und so sieht er gut zehn Jahre später aus: volles Haar, volle Lippen, sehr willensstarkes Kinn, sehr männlich, aber auch gemütlich, ein bisschen wie ein freundlicher Beethoven vielleicht. Das jedenfalls zeigt die Gesichtsmaske, die in den mittleren bis späten 1820er Jahren von Schubert gemacht wor- den ist, eine Maske, die als Vorlage für eine Büste diente und dem Subjekt lange Ateliersitzungen ersparen sollte. Die Musik aus dieser Zeit klingt so: 3 ONYX Franz Schubert 4‘44 LC: 0 „Gute Nacht“ aus: „Winterreise“ D 911 (Müller) 4010 Christine Schäfer, Sopran Track 1 Eric Schneider, Klavier (2006) Christine Schäfer und Eric Schneider mit „Gute Nacht“, dem ersten Lied, dem ersten Gesang aus der „Winterreise“ – und die Sopranlage, die hohe Stimme habe ich hier mit Bedacht gewählt. Bei einer weiblichen Interpretin nämlich tut man sich viel schwerer, ins © rbbKultur vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) www.rbbKultur.de Franz Schubert – 8. Folge Seite 3 von 9 übliche Identifikationsmuster zu verfallen von: Schubert = das lyrische Ich = der Winterrei- sende. Die Musik wird also abstrakter begriffen, „fremder“, und das hat der späte Schubert in seiner Modernität verdient, finde ich. Die Stimme eines Menschen, das sagt nicht nur die moderne Psychologie, gehört unbedingt zu seinem Wesen, zu seinem Charakter dazu. Der ganz junge Schubert soll eine ausgesprochen schöne Singstimme besessen haben, die Stimme ist gewissermaßen seine Eintrittskarte ins Internat, ins Wiener Stadtkonvikt. Als er sie verliert, im Stimmbruch, ist es auch mit dem Konvikt bald wieder vorbei – für den Her- anwachsenden sicher eine traumatische Kombination. Hinüberretten ins Erwachsenenalter konnte er das Singen jedenfalls nicht. „Seine Stimme war schwach, aber sehr gemütlich“, berichtet einer seiner Hüttenbrenner-Freunde. „In seinem 19. Jahr sang er Bariton und Tenor; im Notfalle, wenn eben eine Dame fehlte, übernahm er, da er ein umfangreiches Falsett besaß, auch die Alt- oder Sopranpartie ...“ 4 Capriccio Franz Schubert 2‘58 LC 08748 „Das Wandern“ aus: „Die schöne Müllerin“ D 795 10774 Jochen Kowalski, Countertenor Track 1 Markus Hinterhäuser, Klavier (1997) „Das Wandern“: der Countertenor Jochen Kowalski mit dem ersten Lied aus der „Schönen Müllerin“, begleitet wurde er von Markus Hinterhäuser. Hat der erwachsene Schubert so gesungen, wenn im Kreise der Schubertiaden „eben eine Dame fehlte“, wie Hüttenbrenner schreibt? Vielleicht. Aparte Vorstellung jedenfalls, dass Schubert in fast jede Rolle schlüpft. Neben der Einsamkeit ist die Fremdheit ein großes Schubert-Thema, das haben wir bei der „Winterreise“ gesehen und gehört, „Fremd bin ich eingezogen“. Die Summe, die Schubert aus diesen Topoi zieht, die auch Topoi seiner Zeit sind, des Biedermeier, der Empfindsamkeit, der Romantik, seine Summe ist – das Wandern. Und das ist nächste, große Schubert-Thema. Das Wandern als Ausdruck der Suche, der ständigen Bewegung und des Ausgleichs zwischen den so sehr ambivalenten Kräften, die an seiner Künstlerseele zerren. Wenn Schubert als launisch und liebenswürdig beschrieben wird, als melancholisch und fröhlich, schüchtern und arrogant, dann zeigt das eine mindestens gegensätzliche Persönlichkeit. Eduard von Bauernfeld nennt ihn in seinem Nachruf vielsagend eine „Doppelnatur“: „nach innen Poet und von außen eine Art Genuss-Mensch“. Das Wandern ist die Kunst- und Lebensart beide Pole, ja das Bipolare überhaupt miteinander ins Verhältnis zu setzen. Drei „Wanderer“-Lieder, nach Gedichten von Georg Philipp Schmidt von Lübeck, August Schlegel und Johann Gabriel Seidl. Es musizieren Andrè Schuen und Daniel Heide. 5 Avi Franz Schubert 12‘51 LC: 15080 „Der Wanderer“ D 493 (Schmidt v. Lübeck) 3. Fassung 8553373 „Der Wanderer“ D 649 (Schlegel) Tracks 1 + 12 „Der Wanderer an den Mond“ D 870 + 2 Andrè Schuen, Bariton Daniel Heide, Klavier (2019) © rbbKultur vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) www.rbbKultur.de Franz Schubert – 8. Folge Seite 4 von 9 Der junge italienische Bariton Andrè Schuen und der Pianist Daniel Heide – und drei „Wan- derer“ von Franz Schubert. Haben Sie bemerkt, wie unterschiedlich der Wanderschritt aus- fällt? Stapfend, stampfend wie zuletzt im „Wanderer an den Mond“, leichtfüßig wie in der Schlegel-Vertonung, erst schwebend, dann stürmisch wie in „Ich komme vom Gebirge her“. Das Wandern als Ausdruck einer Lebensspannung, einer Lebensambivalenz. Da ist der junge Komponist, der Zauberopern schreibt – und der ältere, der mit der „Winterreise“ einen Lie- derzyklus von „24 schauerlichen Gesängen“ in die Welt setzt; da ist der Lehrergehilfe, der nichts anderes als Künstler sein will; da ist der Einsame im Kreis seiner Freunde; da ist der Wanderer, der seine Heimatstadt Wien zeitlebens kaum verlässt; da ist der Sohn, der mit dem Vater hadert, bis zum Schluss, bis ans eigene Sterbebett; und da ist der Liederkomponist auf dem Weg zum „Höchsten in der Kunst“, zur Messe, zur Oper, zur Sinfonie. Vielleicht sind das alles Widersprüche. Vielleicht kann es das jeweils eine bei Schubert aber auch ohne das jeweils andere gar nicht geben. „In seinem Charakter mischten sich Zartheit mit Derbheit, Genussliebe mit Treuherzigkeit, Geselligkeit mit Melancholie“,