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Die Transzendierung Des Menschen Im “Bio-A Dapter”

Die Transzendierung Des Menschen Im “Bio-A Dapter”

Order Number 9307798

Die Transzendierung des Menschen im “Bio-Adapter”: Oswald Wieners “Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman”

Kurz, Horst Guenter, Ph.D.

The Ohio State University, 1992

Copyright ©1992 by Kurs, Horst Guenter. All rights reserved.

UM'I 300 N. ZeebRd. Ann Arbor, MI 48106 Die Transzendierung des Menschen im "bio-adapter" Oswald Wieners Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman

DISSERTATION

Presented in Partial Fulfillment of the Requirements for

the Degree of Doctor of Philosophy in the Graduate School of The Ohio State University

By Horst Kurz, M.A.

* ir * * *

The Ohio State University 1992

Dissertation Committee: Approved by Dagmar C.G. Lorenz

Bernd Fischer 'shpio&r- C L ß j A Adviser Linda Rugg Department of German Copyright by Horst Kurz 1992 Meinen Eltern DANKSAGUNG

Ich möchte Prof. Dagmar Lorenz, der Leiterin meiner Dissertation, für ihre Unterstützung bei der Abfassung dieser Arbeit herzlichst danken. Mein Dank gilt auch Prof.

Linda Rugg und Prof. Bernd Fischer, den anderen Mitgliedern der Prüfungskommission, für ihre Bereitschaft und Hilfe unter nicht immer einfachen Umständen. LEBENSLAUF

3. Juni 1 9 6 1 ...... geboren— Raubling, Bundesrepublik Deutschland 1980 ...... Abitur, Finsterwalder- Gymnasium Rosenheim, Bundesrepublik Deutschland

1980-1984 ...... Studium der Germanistik, Philosophie und Politischen Wissenschaft, Universität Augsburg, Augsburg, Bundesrepublik Deutschland 1982 ...... Zwischenprüfung (B.A.), Universität Augsburg, Augsburg, Bundesrepublik Deutschland

1984-1989 ...... Graduate Student, Department of German, The Ohio State University, Columbus, Ohio 1986 ...... M.A., Department of German, The Ohio State University, Columbus, Ohio 1989-heute ...... Instructor, Department of German, College of Wooster, Wooster, Ohio

VERÖFFENTLICHUNGEN "Commercial Language, Business Economics and the Liberal Arts Curriculum: Implementation at the College of Wooster”. Lanquaqes and Cultures for Business and the Professions. Hrsg. Geoffrey M. Voght & Ray Schaub. Ypsilanti: World College/Eastern Michigan U, 1992: 73- 8. (Mit John Seil, David Wilkin, Diane Ringer-Uber und Nicholas Schalk). "Business German: A Personal Perspective". Perspectives in Foreign Lanauaae Teachina. Volume V. Proceedinas of the 15th Annual Conference on the Teachina of Foreign Lanauaaes and Literatures. Youngstown: Youngstown State U, 1992: 24-27.

"Interviews and Newspapers in the Foreign Language Classroom". Perspectives in Foreign Language Teaching. Volume V. Proceedings of the 15th Annual Conference on the Teaching of Foreign Languages and Literatures. Youngstown: Youngstown State U, 1992: 4 6-51.

STUDIENGEBIETE Hauptstudiengebiet: German INHALTSVERZEICHNIS

WIDMUNG ...... ii

DANKSAGUNG ...... iii LEBENSLAUF ...... iv INHALTSVERZEICHNIS ...... vi ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...... viii

EINLEITUNG ...... v ...... 1 KAPITEL SEITE

I. KURZBIOGRAPHIE...... 13 II. OSWALD WIENER, DIE WIENER GRUPPE UND DER WIENER AKTIONISMUS ...... 21

E i n f ü h r u n g ...... 21 Die Wiener Gruppe ...... 25 Der Wiener Aktionismus ...... 3 5 III. DIE VERBESSERUNG VON MITTELEUROPA. ROMAN .... 56

Experimentelle Literatur ...... 56 Struktur und Aufbau ...... 61 Der Bio-Adapter...... 74 S p r a c h e ...... 76 Wissenschaft und Politik ...... 101 B e w u ß t s e i n ...... 114 Anthropologie ...... 126 Glück und Befriedigung ...... 133 G e s c h i c h t e ...... 138 U t o p i e ...... 144

IV. TEXT UND LESER ...... 163 POSTSCRIPT ...... 175 BIBLIOGRAPHIE ...... 177

A. Werke von Oswald W i e n e r ...... 178 vi B. Werke über Oswald Wiener ...... 182 C. Andere Werke ...... 189

vii ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Es folgt eine Liste mit Abkürzungen für im Dokument wiederholt zitierte Werke mit langen Titeln. Die Liste ist nach den Ab­ kürzungen alphabetisch geordnet. Buchebner, Die Wiener Gruppe = Die Wiener Gruppe. Hrsg. Walter Buchebner Literaturprojekt (Wien: Böhlau, 1987).

Drews/Laemmle = Wie die Grazer auszoaen. die Literatur zu er­ obern. Hrsg. Peter Laemmle & Jörg Drews (München: Text & Kritik, 1975).

Frösche = Roger Bauer, "Kontinuität und Erneuerung: Die Poeten der Wiener Gruppe und die Herren Vettern aus Steiermark", Laßt sie koaxen. die kritischen Frösch1 in Preußen und Sachsen (Wien: Europaverlag, 1977): 219-34.

Geyrhofer, "Staatsfeind" = Friedrich Geyrhofer, "Aus dem Leben eines Staatsfeinds", Sonderdruck Wiener-Illustrierte für aktuelle Kultur fStadtzeitung für Wien^ 5. Mai 1980: 51- 67. Ihrig, Literarische Avantgarde = Wilfried Ihrig, Literarische Avantgarde und Dandvsmus. Eine Studie zur Prosa von Carl Einstein bis Oswald Wiener (Diss. U Heidelberg, 1986). Janetzki, Alphabet und Welt = Ulrich Janetzki, Alphabet und Welt. Über Konrad Baver (Königsberg: Hain, 1982). Kindlers-Ö = Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart— Die zeitgenössische Literatur Österreichs. Hrsg. Hilde Spiel (München & Zürich: Kindlers, 1976).

Konrad Baver = Konrad Bayer, Sämtliche Werke. Hrsg. Gerhard Rühm (Stuttgart: Klett-Cotta, 1985). Schmölzer, Das böse Wien = Hilde Schmölzer (Hrsg.), Das böse Wien (München: Nymphenburger, 1973). Spiel, Spektrum = Wien: Spektrum einer Stadt. Hrsg. Hilde Spiel (Wien: Jugend & Volk, 1971).

Verbesserung = Oswald Wiener, Die Verbesserung von Mitteleu­ ropa . Roman (Reinbek: Rowohlt, 1969). viii Weibel/Export = Peter Weibel & Valie Export, Wien: Bildkom- pendium Wiener Aktionismus und Film (/Main: Kohlkunst, 1970).

Wiener Gruppe = Gerhard Rühm, Hrsg., Die Wiener Gruppe (Rein­ bek: Rowohlt, 1985). Wiesmayr = Elisabeth Wiesmayr, Die Zeitschrift Manuskripte» 1960-1970 (Königsstein/Taunus: Hain, 1980). Zmegac = Viktor Zmegac (Hrsg.), Geschichte der deutschen Lite­ ratur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Frankfurt/ Main: Athenäum, 1984: III/2). EINLEITUNG OSWALD WIENER GESTERN UND HEUTE

Ich schätze die Zahl der Wiener-Leser als ähnlich hoch wie diejenige derer, die heute noch den "Messias" von Klopstock lesen können: ein paar Professoren, ein paar besonders eifrige Studenten, einer, der eine Dissertation darüber schreibt, ein paar Sonderlinge.

Auch wenn es mittlerweile bereits einige Dissertationen über

den Österreichischen Autor Oswald Wiener gibt, und Teile von anderen seinem Werk gewidmet sind, hat Herbert Rosendorfer im Großen und Ganzen mit seiner Einschätzung doch recht behal- ten 2 . Warum also zu einer solch kleinen4 Gruppe gehören und

sich mit Oswald Wiener befassen?

Oswald Wieners Werk besteht hauptsächlich aus den wenigen erhaltenen Beiträgen zum Band Die Wiener Gruppe und einigen

Einzelveröffentlichungen. Die wichtigsten davon sind sein "Roman" Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman, sein lite­ rarisches Hauptwerk, und Wir wollen vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren3. In letzterem setzt er sich mit dem bekannten

zeitgenössischen Autorenkollegen auseinander, dessen Werk in der Literatur ähnlich wie sein eigenes als Kuriosum behandelt wird. Literarische Werke hat Wiener seit der Verbesserung nicht veröffentlicht, er hat sich aber kritisch mit Literatur und Kunst auseinandergesetzt, so z.B. in dem genannten Werk Uber Arno Schmidt und in anderen Aufsätzen und Vorträgen4.

Gerade in den letzten Jahren war Wiener wieder sehr produktiv und hat kunstkritische Beiträge, z.B. Uber Maria Lassnig und Christian Attersee, und kleinere Aufsätze zu diversen Themen für verschiedenartigste Publikationen— vor allem kleinere, wenig verbreitete, nicht sehr bekannte und deshalb auch wenig gelesene Zeitschriften— verfaßt5. Seine neueren, philoso­ phisch-wissenschaftlichen Aufsätze widmen sich vorwiegend der

Künstlichen Intelligenz und der Erkenntnistheorie6.

Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman ist bisher

Wieners einziges größeres literarisches Werk7. Vor dessen

Veröffentlichung gehörte er zur Wiener Gruppe. Während die anderen Mitglieder dieser Gruppe— Konrad Bayer, Hans Carl

Artmann, Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm— zunehmend kritisches Interesse erweckt haben, ist Wiener vernachlässigt worden. Das erneute Interesse an den Autoren der Wiener

Gruppe gilt vor allem Bayer. Über ihn sind in den letzten Jahren mehrere Studien erschienen, mittlerweile gibt es zwei

Gesamtausgaben seines Werkes, und seit 1979 werden Konrad- Bayer-Symposien abgehalten8. Artmann hat als prominentester

Autor der Wiener Gruppe schon immer eine Sonderrolle ge­ spielt9. Es gibt zahlreiche Ausgaben seiner Werke und einige

Literatur über ihn. Rühm ist als Künstler in den Bereichen Literatur, Musik und Kunst sehr produktiv, aber nicht in wei­ ten Kreisen bekannt. Auch seine bildnerischen Werke wurden bereits mehrfach ausgestellt. Darüber hinaus betätigt er sich als Herausgeber oder Mitherausgeber verschiedener Werke seiner Freunde der Wiener Gruppe, z.B. des Bandes Die Wiener Gruppe, der gesammelten Werke Achleitners, und der Reihe "Linzer Tex­ te" des Verlages Text & Kritik. Einige Sekundärliteratur über ihn liegt ebenfalls vor. Achleitner, das stillste Mitglied der Wiener Gruppe, hat nur wenig geschrieben, aber auch von seinem literarischen Werk gibt es mittlerweile mehrere Aus­ gaben. Er hat sich als Architekt einen Namen gemacht und veröffentlicht gelegentlich Bücher über Architektur im Salz­ burger Residenz-Verlag10. Es sieht so aus, als habe er sich weitgehend von der Literatur zurückgezogen. Das Werk aller dieser Dichter und Autoren aus der Zeit der Wiener Gruppe ist in mehr oder weniger repräsentativen Sammelbänden zugänglich. Die Bände der einzelnen Mitglieder sind: Friedrich Achleitner, prosa. konstellationen. montaaen. dialektaedichte. Studien: H.C. Artmann, The Best of H.C. Artmann: Gerhard Rühm, aesam- melt^»aedichte und visuelle texte: Konrad Bayer, Das Gesamt­ werk und Sämtliche Werke11. Im Gegensatz zu dem Werk seiner

Freunde gibt es zu Wiener jedoch keinen Sammelband, und die

Verbesserung wurde, nachdem sie lange vergriffen war, erst 1985 wieder in einer Neuauflage zugänglich12.

Auch wenn Wiener sich später von der Wiener Gruppe di­ stanziert hat, so war er doch eindeutig eines ihrer Mitglie­ der (im Gegensatz etwa zu Artmann13). Er nahm an ihren Ver­ anstaltungen Teil und beteiligte sich rege an Diskussionen. Trotzdem wird er aus unerfindlichen Gründen manchmal sogar in Auflistungen der Wiener Gruppe vergessen (ausgelassen?), so z.B. in der vom Staat Österreich herausgegebenen, in viele Sprachen übersetzten und international verteilten Werbebro­ schüre Österreichi Tatsachen und Zahlen14. Ebenso bei Manfred

Mixner: "(...) von Andreas Okopenko, der der Wiener Gruppe nahestand, und von Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Friedrich Ach­

leitner und H.C. Artmann, der Wiener Gruppe also", oder Roger Bauer: "(...) der Autoren der Gruppe— Achleitner, H.C. Art­ mann, Konrad Bayer, Rühm selbst, um nur die wichtigsten zu nennen— (.. .) "15. Andererseits werden— wie in der erstgenann­ ten Publikation— z.B. oder Friederike Mayröcker manchmal der Wiener Gruppe zugerechnet (oder wenigstens als

zum Umfeld gehörig genannt— was durchaus zutrifft, allerdings auf Kosten Oswald Wieners geschieht). Dieser Zustand ist umso sonderbarer, da Wiener sogar— wenn auch mehr oder weniger un­ zutreffend— quasi als Sprecher und Theoretiker der Gruppe galt16.

Ein Grund für diese Vernachlässigung ist die Erratik von Wieners Werk. Besonders die Verbesserung ist relativ "unlite­ rarisch" und bewegt sich an der Grenze zwischen Literatur und

Nicht-Literatur (wobei in dieser Arbeit die Problematik einer solchen Einteilung offenbleiben muß). Zudem hat Wiener nicht sehr viel veröffentlicht, und das Veröffentlichte ist nicht leicht zugänglich. Die erste Auflage seines Romans war bald vergriffen und es gab zwei weitere Auflagen (die Erstveröf­ fentlichung umfaßte drei Auflagen mit insgesamt 8000 Exemplaren (alle 1969): l. Auflage Januar 2000 Exemplare; 2.

Auflage Juli 3000; 3. Auflage November 3000). Paul Kruntorad mag— abgesehen davon, daß es nur drei Auflagen gab— recht haben, wenn er schreibt: "Die vier Auflagen (insgesamt 8 000 verkaufte Exemplare) deuten auf ein zumindest vom Verlag nicht erwartetes Interesse an dem Buch (...)". Es ist jedoch zu beachten, daß sich das vermutete "Interesse" vorerst nur auf

Bestellungen durch den Buchhandel bezieht. Offensichtlich konnten nicht alle Exemplare weiterverkauft werden, da ich noch zwischen 1983 und 1986— also über 15 Jahre später— mehrere Exemplare der dritten Auflage in Buchhandlungen fand und erwarb17. Und schließlich ist selbst ein gekauftes Buch noch lange kein gelesenes Buch. Auffallend ist, daß die erste

Auflage nur auf 2000 Stück angelegt war, also tatsächlich wenig Resonanz erwartet wurde. Dennoch erschien 1972 sogar eine Taschenbuchausgabe, wo Taschenbücher doch vor allem für weite, weil billige Verbreitung gedacht sind18. Dennoch hat der Text einige kritische Beachtung gefunden und ist weithin- -vorwiegend sogar positiv— besprochen worden. So gibt es zahlreiche Artikel, insbesondere zeitgenössische (um 1969) Rezensionen. Wider Erwarten fanden sich bei meiner Material­ suche erstaunlich viele andere kurze und lange Artikel, sowohl in bekannteren Veröffentlichungen als auch in Spezialpublika­ tionen. Alle Dokumente zeugen von dem Aufsehen, das das Werk verursachte, aber zugleich auch davon, daß es sich nicht durchsetzte und keine nachhaltige Wirkung ausübte19. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung Wieners ist, daß die Wiener Gruppe selbst längere Zeit vergleichsweise wenig beachtet wurde, möglicherweise weil die von Rühm he­ rausgegebene Anthologie Die Wiener Gruppe. Achleitner Artmann Baver Rühm Wiener. Texte Gemeinschaftsarbeiten Aktionen nur

in kleiner Auflage gedruckt wurde und lange vergriffen war20.

Der Hauptgrund für die ausbleibende Rezeption liegt jedoch in der Ausgefallenheit von Wieners Werk.

Als Autor verdient Wiener aber durchaus Beachtung, da die Verbesserung— wenn auch fast vergessen— so doch ein he­ rausforderndes Werk ist. Durch die vorliegende Untersuchung will ich erneut Aufmerksamkeit auf die Verbesserung und seinen Autor lenken, der an einer bedeutenden Phase der Entwicklung moderner deutschsprachiger Literatur beteiligt war21. Wiener nahm an vielem teil, was in den 50er und 60er-Jahren Aufsehen erregte und Einfluß hatte. Er ist aus dem Kontext der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus nicht wegzudenken.

In den letzten Jahren gab es erste Anzeichen für ein wachsendes Interesse an der avantgardistischen österreichi­ schen Literatur der 50er und 60er Jahre, an der Wiener Gruppe und damit auch Wieners Werk. Indizien dafür sind die Wieder­ veröffentlichung der Verbesserung, die erweiterte Neuausgabe des Bandes Die Wiener Gruppe durch den Rowohlt-Verlag (beide 1985) oder die zweite Gesamtausgabe der Werke Konrad Bayers.

Bisher wurde die Wiener Gruppe vorwiegend in kleinen Gruppen diskutiert, jetzt aber beginnt sich die Literaturwissenschaft ausgedehnter mit ihr zu befassen, und immer mehr Untersuchun­ gen zu dieser Periode werden veröffentlicht22. Angesichts der Tatsache, daß die Wiener Gruppe in der österreichischen

Nachkriegsliteratur eine Ausnahmestellung einnahm, ist es

überraschend, daß die Literaturwissenschaft sich nicht früher und eingehend mit ihr befaßt hat.

Diese Dissertation ist ein Beitrag zur Erforschung der, meiner Meinung nach, noch immer relevanten Literatur Öster­ reichs der 60er-Jahre, selbst wenn der Wirbel, den die Wiener

Gruppe verursacht hat, jetzt schon mehr als ein Vierteljahr­ hundert zurückliegt. Meine Arbeit wendet sich vor allem an die, die an Wiener und der Wiener Gruppe interessiert sind, aber auch an die, die sich mit moderner Literatur im allgemei­ nen oder vorwiegend mit österreichischer Literatur beschäfti­ gen. Um die Verbesserung in einen historischen und literari­ schen Kontext zu stellen, werde ich zuerst einen Überblick über Oswald Wieners Biographie geben, und anschließend zusam­ menfassend die Wiener Gruppe und den Wiener Aktionismus dar­ stellen. Im Hauptteil befasse ich mich hauptsächlich mit dem "Roman". Am Beginn steht ein Abriß der "experimentellen Lite­ ratur" der Nachkriegszeit, in deren Zusammenhang das Werk gehört, gefolgt von Diskussionen zentraler Aspekte wie Struk­ tur, Sprache, Bewußtsein, Utopie, Politik und Wissenschaft.

Den Abschluß bildet eine Darstellung des Verhältnisses zwi­ schen Leser und Text. Der letzte Teil beinhaltet eine 8 Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur. Diese Bi­ bliographie ist die bisher umfassendste und ausführlichste zu Wiener und als Forschungsbeitrag an sich zu verstehen. Am Ende folgen natürlich Literaturangaben zu den für die Arbeit

benutzten Werken.

Anmerkungen:

1 Herbert Rosendorfer, Über das Küssen der Erde (Zürich: Diogenes, 1973), 109. Sein Vergleich mit Klopstocks Messias ist interessant. Der Messias ist ein wichtiges Werk, das in Literaturgeschichten nicht umgangen werden kann, das aber— auch in Germanistikseminaren— kaum gelesen wurde und wird. 2 . Heinrich Schwazer, "Verbessern oder Abschaffen? Os­ wald Wieners Roman Die Verbesserung von Mitteleuropa," Diss., U Wien, 1988. Martin Kubaczek, "Untersuchungen zu Struktur, Ästhetik und Ideologiekritik in Oswald Wieners Die Verbes­ serung von Mitteleuropa," Diss., U Wien, 1989. Bernd Hagel­ stange, "Die Thematisierung der Sprache im zeitgenössischen Roman: Studien zur Interpretation und Methodenkritik bei H. Heissenbüttels D'Alemberts Ende und O. Wieners Die Verbesser­ ung von Mitteleuropa, Roman," Diss., U Münster, 1974. Wil­ fried Ihrig, "Zum Problemkreis Sprache und Subjektivität in Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman von Oswald Wiener und Der sechste Sinn von Konrad Bayer," Zulassungsarbeit zur 1. Staatsprüfung, U Heidelberg, 1977. Literarische Avantgarde und Dandysmus. Eine Studie zur Prosa von Carl Einstein bis Oswald wiener. Diss., U Heidelberg, 1986 (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989). Leider ist es mir nicht möglich gewesen, die zwei erstgenannten Dissertationen einzusehen.

3 München: Matthes & Seitz, 1979. Das sind größtenteils schon zuvor in der Berliner Zeitung Taaesspieael gedruckte Kritiken zum Werk Arno Schmidts (siehe Bibliographie). Vgl. dazu auch Jörg Drews Rezension "Mißmutig auf den Leim gegan­ gen," Süddeutsche Zeitung 18.-19. August 1979: 82.

4 "Einige Gedanken über die Aussichten der empirischen Forschung im Kunstbereich und über Gemeinsamkeiten in der Ar­ beit von Künstlern und Wissenschaftlern", Empirie in Litera­ tur und Kunstwissenschaft. Hrsg. Siegfried J. Schmidt (Mün­ chen: Fink, 1979) 182-9; Diskussion: 204-50. "Wozu überhaupt 9

Kunst?”, Literatur und Kunst— Wozu?. Hrsg. Siegfried J. Schmidt (Heidelberg: Winter, 1982) 189-209. 5 Maria Lassnig, "Untersuchungen zum Entstehen des Bewußtseinsbildes", Maria Lassnig— Zeichnungen. Aquarelle. Gouachen 1949-1982. Hrsg. Hans Albert Peters & Wilfried Skreiner (Düsseldorf: Richter, 1982) 95-101. Christian Attersee, Die gemalte Reise (MUnchen: Hirmer, 199 0). Für andere Veröffentlichungen siehe die Bibliographie.

6 "Form and Content in Thinking Turing Machines", The Universal Thinkina Machine. A Half-Centurv Survev. Hrsg. Rolf Herken (Berlin: Kämmerer & Unverzagt, 1988. Oxford: Oxford UP, 1988) 631-57. "Kambrium der Künstlichen Intelligenz", Die Wissenschaften vom Künstlichen. Hrsg. Herbert Alexander Simon (Berlin: Kämmerer & Unverzagt, 1990) 175-228. Probleme der Künstlichen Intelligenz (Berlin: Merve, 1990) . "Über das Ziel der Erkenntnistheorie, Maschinen zu bauen die lügen kön­ nen, d.h. eigentlich nur über einige Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin", Manuskripte 86 (1982): 57-61, und Jean Baudril- lard, Die fatalen Strategien (München: Matthes & Seitz, 1985) 235-50.

7 Buchausgabe: Reinbek: Rowohlt, 1969. Neuausgabe 1985. Der Text war zwischen 1965 und 1967 als work-in-progress in der Grazer Literaturzeitschrift manuskripte abgedruckt worden. Die Buchausgabe enthält kleinere, mit (A) gekennzeichnete Än­ derungen und Zusätze. Die Neusausgabe ist ein Nachdruck. Im folgenden mit Verbesserung abgekürzt. Römische Ziffern bezie­ hen sich auf Seitenzahlen dieser Ausgabe. Wiener hat sich von der Literatur ganz abgewandt. Die Verbesserung wird wohl sein einziges großes literarisches Werk bleiben.

8 Siehe z.B. Ulrich Janetzki, Alphabet und Welt. Über Konrad-Baver (Königsstein: Hain, 1982), und die Sammelbände der Symposien-Vorträge, z.B. Konrad Baver Symposion Wien 1979. Hrsg. Gerhard Rühm (Linz: Neue Texte, 1981) oder auch Die Wiener Gruppe. Hrsg. Walter Buchebner Literaturprojekt (Wien: Böhlau, 1987). Q Vgl. hierzu, zu seiner Zugehörigkeit und seiner Rolle bei der Änderung und beim Zerfall der Wiener Gruppe Janetzki, Alphabet und Welt. 24, Rühm in Konrad Bayer, Sämtliche Werke (Stuttgart: Klett-Cotta, 1985), 340, 346, und Konrad Bayer, "Hans Carl Artmann und die Wiener Dichter Gruppe" (u.a. in H.C. Artmann, ein lilienweißer brief aus lincolnshire (Frank­ furt/Main: Suhrkamp, 1978) 11) . 10

I Der Residenz-Verlag ist derzeit der auch internatio­ nal renommierteste österreichische literarische Verlag. Golt- schnigg/Bartsch (in Viktor Zemgac (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Frankfurt/Main: Athenäum, 1984: III/2), 701): "(...) ein auf dem internationalen literarischen Markt beachteter und erfolg­ reicher Vermittler der jungen österreichischen Literatur wurde aber nur der Salzburger Residenz-Verlag (...))". Beispiele für Achleitners Veröffentlichungen bzw. Bei­ träge als Architekt findet man in Wien: Spektrum einer Stadt. Hrsg. Hilde Spiel (Wien: Jugend & Volk, 1971) oder Wien 1945: davor. danach. Hrsg. Liesbeth Waechter-Böhm (Wien: Brand- stätter, 1985). Ein neueres Beispiel für Literatur: Von A bis Zett (: Residenz, 1991).

II Friedrich Achleitner, prosa. konstellationen. mon- taaen. dialektaedichte. Studien (Reinbek: Rowohlt, 1970). H.C. Artmann, The Best of H.C. Artmann (Frankfurt: Suhrkamp, 1970). Gerhard Rühm, gesammelte aedichte und visuelle texte (Reinbek: Rowohlt, 1970). Konrad Bayer, Das Gesamtwerk (Rein­ bek: Rowohlt, 1977); Sämtliche Werke (Stuttgart: Klett-Cotta, 1985). Für weitere Titel der jeweiligen Autoren siehe Biblio­ graphie. Es fällt auf, daß die meisten dieser Ausgaben zur selben Zeit (nochdazu, als sich die Phase der "experimentel­ len Literatur” bereits ihrem Ende zuneigte) veröffentlicht wurden.

12 Diese Tatsache ist kurios, da die Sammelbände der anderen Autoren ebenfalls vergriffen sind, aber nicht neu auf­ gelegt wurden.— Es muß jedoch auch angefügt werden, daß ein Sammelband für Wiener etwas schwierig zu erstellen wäre, da nicht viele literarische Werke zur Verfügung stehen. 13 Vgl. Rühm in Konrad Baver. 346: "(...) während er [der nicht zu übersehende alleingang, HK) für h.c. artmann, den ich eigentlich stets nur mit einem fuss in der gruppe sah, lediglich einen Wechsel des Standbeins bedeutete. erklärter individualist, hat er wohl— bis heute— mehr freundschaftlich toleriert als aktiv vertreten, zur 'wiener gruppe' gezählt zu werden, gleichwohl reizte sicher ihr spezifischer konspirati­ ver geruch seine feine Witterung zu streckenweiser gefolg- schaft".

14 (Wien: Bundespressedienst, 1988) 138.

15 Manfred Mixner, "Ausbruch aus der Provinz", Wie die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern. Hrsg. Jörg Drews & Peter Laemmle (München: Text & Kritik, 1975) 17, und Roger Bauer, "Kontinuität und Erneuerung: Die Poeten der Wiener Gruppe und die Herren Vettern aus Steiermark", Laßt sie koaxen. die kritischen Frösch' in Preußen und Sachsen (Wien: 11 Europaverlag, 1977) 224. Bauer erwähnt nur Bayer mit Vorna­ men, und erweckt den Eindruck, es gäbe noch weit mehr Mitglie­ der als den von ihm übergangenen Wiener. 16 "Quasi" weil der Anschein den Tatsachen nicht ent­ sprach; außerdem ließ die in der Wiener Gruppe herrschende Heterogenität die Dominanz einer Person kaum zu. Vgl. Janetz­ ki, Alphabet und Welt. 24: "Der Einfluß Oswald Wieners wird nicht zuletzt deshalb überschätzt, weil in erster Linie er es war, der exterapore und eloquent die theoretischen Interessen nach außen vertrat. So blieben auch Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Friedrich Achleitner von Wieners Forderung unbeein­ druckt, generell auf Publikationen zu verzichten". 17 In der Autorenbuchhandlung München und in der Buch­ handlung Niedlich in Stuttgart.

18 Taschenbuchausgabe: Reinbek: Rowohlt, 1972 (rororo TB 1495). Mir liegen keine Angaben hinsichtlich ihrer Auflage(n) vor, aber es ist kaum anzunehmen, daß sie sehr groß war. 19 Selbst die Neuausgabe wurde rezensiert, z.B. von Alfred Focke in "Wiedergelesen", Die Presse 12. Juli 1980. Vgl. auch Peter Handkes— nicht eingetroffene— Vermutung: "Der Rowohlt Verlag gar hat von dem Buch, das von allen Büchern der letzten Jahre vielleicht am meisten in Bewegung setzen wird, von Oswald Wieners 'Die Verbesserung von Mitteleuropa', nur 2500 Exemplare gedruckt! Ein jämmerliches Alibi!" fleh bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1972) 202, Anmerkung 2 zu "Zu G.F. Jonkes 'Geometrischer Hei­ matroman'", 199-202). Wie berichtet wurden in erster Auflage sogar nur 2000 Exemplare gedruckt. Handke las die Vorabdrucke der Verbesserung in manuskripte: vgl. dazu Wiesmayr, Die Zeit­ schrift 'manuskripte' 1960-1970 (Königsstein/Taunus: Hain, 1980). Mehr zu Handke und Wittgenstein, der Wiener Gruppe und der Grazer Gruppe in Manfred Durzak, und die deutsche Gegenwartsliteratur (Stuttgart: Kohlhammer, 1982), Teil 3: "Handke und die österreichische Literatur", 20-25 und Anmerkungen (175), Janetzki, Alphabet und Welt. 20, und Kind­ lers Literaturgeschichte der Gegenwart - Die zeitgenössische Literatur Österreichs. Hrsg. Hilde Spiel (München & Zürich: Kindlers, 1976) 256-61. Interessant ist, daß es eine Neuausgabe gab (und über­ haupt eine Buchausgabe).

20 Reinbek: Rowohlt, 1967. Dieser Sammelband ist das bedeutendste Zeugnis des Schaffens der Gruppe und gibt einen repräsentativen Überblick. Zuerst 1967 erschienen, bei Ro­ wohlt in der BRD veröffentlicht— wie viele andere Werke öster­ reichischer Autoren, die daheim keine Verleger fanden (vgl. dazu Goltschnigg/Bartsch in Zmegac, 700/701). Siehe jetzt 12 besonders die erweiterte Neuausgabe von 1985. Roger Bauer vermutet, daß die Wiener Gruppe ihren Erfolg dem westdeutschen Kulturbetrieb zu verdanken habe: "Gewiß, ohne die westdeut­ schen Verlage und ohne die westdeutsche Reklame wäre der Ruhm der sogenannten Wiener Gruppe auf den engen Kreis weniger interessierter Spielgefährten beschränkt geblieben. " (Frösche. 223) . Zum einen hielt sich der "Ruhm" so oder so in engen Grenzen, zum anderen kann man so gesehen den Ruhm sehr vieler Autoren den Verlagen und der Reklame zuschreiben.

21 Eine Diskussion um "österreichische" Literatur ist hier von sekundärer Bedeutung. Ich gehe davon aus, daß es eine autonome österreichische Literatur gibt, rechne die Ver­ besserung aber der deutschsprachigen Literatur insgesamt zu. Zur Frage der "österreichischen Literatur" vgl. (u.a.) Dagmar Lorenz, "Ein Definitionsproblem: österreichische Literatur", Modern Austrian Lanauaae 12/2 (1979) 1-21.

Z.B. Wilfried Ihrig, Ulrich Janetzki, aber auch viele andere (vgl. Bibliographie). KAPITEL I

KURZBIOGRAPHIE

Oswald Wiener wurde am 5. Oktober 1935 in Wien geboren. Nach dem Besuch der Volks- und Mittelschule Wien und der Ma­ tura im Jahre 1953 stieß er zur Wiener Gruppe und wurde deren jüngstes Mitglied. Der Kontakt war durch seine beginnende

Freundschaft mit Konrad Bayer zustandegekommen1. Seit dem 21.

Lebensjahr nahm er an den Veranstaltungen der Wiener Gruppe teil.

Zwischen 1953 und 1958 studierte Wiener eine Vielzahl von Fächern an der Universität Wien— 1954 Rechtswissenschaft/Jura, 1955/56 Musikwissenschaften, 1956/57 Afrikanische Sprachen und

1958 Mathematik— schloß aber kein Fach mit einem akademischen Diplom ab. Während dieser Zeit war er auch Jazztrompeter und Kornettist. Er spielte 1954 zusammen mit Bayer in Walter Ter- haerens Gruppe New Orleans Band (oder auch Jazzband Jesus Christbaum) und später— 1958— in der Wirklichen Jazzband. 1954 schrieb er das "coole manifest" (verloren bzw. vernich­ tet) . Gerhard Rühm rekonstruiert dessen Inhalt: hier wurde der kalauer als pikanterie betrachtet, denn es kommt ja nur auf die betrachtungsweise an; es wird der laune anheim gegeben, an welchen Objekten man sich emoti­ onell hochjubelt, was plötzlich 'schön' ist. eine di- stanzierung von der umweit durch indifferenz wird er­ probt, das banale zum eigentlichen erklärt, die 13 beliebigkeit von wertmasstäben entlarvt, nun stand alles zur Verfügung, unser geschmack hatte die wähl. wiener und ich erklärten alles mögliche für literatur. schrie­ ben witze ohne pointen (da doch jede aussage, ja der ent- schluss dazu, eine pointe ist), wiener bediente sich des formularstils, sammelte aufzählungen, notierte geschäfts­ schilder (...). der schock wird als unmittelbarster aus- druck bewusst in die kunst eingeführt. (...) das heisst, das psychologische wird nicht beschrieben oder ausge­ drückt, sondern im hinblick auf den konsumenten, sozu­ sagen als dimension, kalkuliert. (...) was mir gefällt, bestimme ich.

Anfang 1955 folgten "roter erdteil", eine "phantastische para- phrase des themas afrika", und ein Vortrag über afrikanische Musik mit Plattenbeispielen3. Am 17. Mai 19 55 nahm er an dem von H.C. Artmann und anderen organisierten Protestmarsch gegen die Wiederbewaffnung Österreichs teil. Mit der Wiener Gruppe führte er am 6. Dezember 1958 das "1. Literarische Cabaret" und am 15. April 1959 das "2. Literarische Cabaret" auf.

Diese Cabarets waren "Happening"-ähnliche Veranstaltungen4.

Am 9. März 1959 heiratete er Lore Heuermann und zog aus dem Haus seiner Eltern aus. Ab 1956 hatte er sich intensiv mit Fragen der theoretischen Kybernetik, ab 1960 mit prakti­ scher Kybernetik befaßt und sich ein umfassendes Wissen Uber

Computer angeeignet. 1963 wurde er bei Olivetti in Wien für den Bereich Organisation angestellt und stand dort von 1965 bis zum Frühjahr 1967 der Datenverarbeitungsabteilung als Direktor vor.

Seine von 1954 bis 1958 entstandenen frühen literarischen Versuche, welche Prosa, Gedichte, Montagen, Konstellationen, Chansons, szenische Stücke und Theorie umfaßten, hat er nach seiner 1958 beginnenden Beschäftigung mit Ludwig Wittgenstein sowie den um diese Zeit stärker in das öffentliche Interesse gerückten Schriften Fritz Mauthners vernichtet5. Die Lektüre resultierte in einer tiefgreifenden Änderung seiner Auffassung von Sprache, die er nicht mehr als bloßes Material ansah, son­ dern als politisches Mittel begriff. Außer einigen Gedichten6 blieben fast nur Gemeinschaftsarbeiten mit anderen Mitgliedern der Wiener Gruppe erhalten; diese wurden in die Neuausgabe des Bandes Die Wiener Gruppe aufgenommen7. In diesem Sich-Abset-

zen von seinen Anfängen zeigen sich Zweifel und Selbstkritik.

Gleichzeitig zeugt es von Wieners radikal konsequentem Verhal­ ten, nachdem er sich schon vorher gegen literarische Betäti­ gung ausgesprochen hatte8. Im Januar 1960 nahm er mit Bayer und Rühm an einer Lasungsreihe in der Wiener Galerie Junge Generation teil und las aus Wittgensteins Werken.

Erst 1962 begann Wiener wieder zu schreiben, zuerst Ge­ meinschaftsarbeiten mit Bayer, und schließlich— auf Drängen Bayers— Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman, die zwischen

1965 und 1967 in der Grazer Literaturzeitschrift manuskriote als Fortsetzungsroman ganz eigener Art veröffentlicht wurde®.

1969 erschien das Werk in einer Buchausgabe bei Rowohlt. In diese Zeit fallen die Scheidung seiner Ehe (1964) und der Aus­ tritt bei Olivetti (1967). Am 10. April 1964 wurde die um 1958 verfaßte "Kinderoper", eine Gemeinschaftsarbeit Achleit­ ners, Bayers, Rühms und Wieners, aufgeführt.

Am 17. April 1967 las Wiener bei den "zock exercises" in der Wiener Galerie St. Stefan das am selben Tag vernichtete 16 "manifest" "zock an alle"10. "ZOCK" war eine lose Künstler­ vereinigung, die sich vorwiegend aus Aktionisten, Schriftstel­ lern und Filmemachern zusammensetzte. Vier Tage später, am 21. April 1967, fand im Restaurant Im Grünen Tor das "Zock-

Festival" statt; Wiener agierte dabei unter dem Namen "garth

(mit extra fleischkraft)1,11. Weitere Teilnehmer waren u.a. die Aktionisten Peter Weibel, Günter Brus, Hermann Nitsch,

Otto Mühl, Reinhard Priessnitz und der Filmemacher Ferry Radax. Zur selben Zeit war Wiener Mitglied der Vereinigung Die Zeugen e.V., "(...) dessen Ziel die anwesenheit und

Zeugenschaft bei ereignissen, bes. bei katastrophen ist."12

Am 7. Juni 1968 kam es zu der folgenreichen Veranstaltung

"Kunst und Revolution" im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäu­ des der Universität Wien. Wiener, Initiator der Veranstal­ tung, sprach dabei "Über den Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen". Aufgrund turbulenter Vorkommnisse während der

Aktion— unter anderem verrichteten Brus und Nitsch während der Veranstaltung ihre Notdurft auf der Bühne— wurden Wiener, Brus und Nitsch verhaftet. Wiener kam für zwei Monate in Untersu­ chungshaft; im Prozeß wurde er freigesprochen. Kurz darauf folgte ein polizeiliches Verhör, nachdem er— zu Unrecht, wie sich heraussteilen sollte— der Belästigung einer Minderjähri­ gen bezichtigt wurde13. Um sich weiterer Verfolgung zu ent­ ziehen, verließ er Wien bzw. Österreich14.

Ein Halbjahres-Stipendium des Berliner Senats ermöglichte ihm 1969 die Übersiedlung nach West-Berlin15, wo er mit kurzen Unterbrechungen bis 1986 als Besitzer mehrerer Lokale lebte (zuerst Matala, dann Exil und Axbax). In Berlin arbeitete er ab 1969 an der von Günter Brus herausgegebenen schastrommel. dem "zentralorgan der österreichischen exilregierung" mit, von der bis 1976 siebzehn Nummern erschienen. Dieser Zeitschrift folgten später in unregelmäßigen Abständen Gedanken. eine von

Brus und Wiener herausgegebene, hektographierte Veröffentli­ chung. 1980 begann er an der Technischen Universität Berlin mit dem Mathematik- und Informatikstudium, das er 1985 mit der Promotion zum Doktor abschloß.

Seit 1986 lebt er in Dawson City, einem sehr kleinen Ort im Yukon Territory am Klondike River in Kanada. Wiener veröf­ fentlicht gelegentlich als freier Schriftsteller Artikel in verschiedensten Zeitschriften. Er ist mit Ingrid Schuppan verheiratet und Vater dreier Kinder aus erster Ehe. Ingrid Schuppan war Teilnehmerin an mehreren Aktionen. Er war 1973

Gründungsmitglied der GAV-Grazer Autorenversammlung, trat aber schon 1974 wieder aus16.

Anmerkungen:

1 Vgl. Janetzki, Alphabet und Welt. 161 (Fußnote 37) zum Kennenlernen von Bayer und Wiener und ihrem Zusammensein in der New Orleans Band. Wiener gab später mit Freunden "Kon­ zerte" (erhältlich auf Schallplatte im Mayer-Verlag). Zeugnis für Wieners Wertschätzung der Freundschaft mit Bayer ist sein Aufsatz "Einiges über Konrad Bayer. Schwarze Romantik und Surrealismus im Nachkriegs-Wien", Riten der Selbstauflösuna. Hrsg. Verena von der Heyden-Rynsch (München: Matthes & Seitz, 1982) 250-63, Die Zeit 17. Februar 1978, Protokolle 1 (1983): 37-45. 18 Wiener Gruppe. 13. Vgl. auch Wieners Kommentar dazu in Wiener Gruppe. 403. 3 Wiener Gruppe. 17.

4 wiener über "das 'literarische cabaret' der wiener gruppe": "die beiden 'literarischen cabarets' wurden für mich zum endpunkt der wiener gruppe" (Wiener Gruppe. 417). Er kon­ statiert, daß bei ihm eine Weiterentwicklung von der Gruppe weg und Uber sie hinaus stattgefunden habe. Um diese Zeit- -1962— begann er mit der Arbeit an der Verbesserung.

5 Vgl. Wiener zur Beschäftigung mit Wittgenstein und Mauthner in Wiener Gruppe. 402. Ausführlicher ist sein Auf­ satz "Wittgensteins Einfluß auf die 'Wiener Gruppe'", Die Wiener Gruppe. Hrsg. Buchebner-Projekt (Wien: Böhlau, 1987) 46-59.

6 Es handelt sich dabei um Werke, die vorher schon pu­ bliziert waren, z.B. die "Ideogramme" (in Ideogramme. Kon­ krete Poesie 3 [1961]: n.p.) und die zwei "Konstellationen" (in Spirale - Internationale Zeitschrift für konkrete Kunst und Gestaltung 8 (1960): 44). Einige wiedergefundene Werke wurden in die Neuausgabe der Wiener Gruppe aufgenommen. In einem Brief vom 16. Januar 1967 an Emmett Williams in Sachen Anthology of Concrete Poetry distanziert sich Wiener von der "konkreten poesie": "(....) ich möchte dies [vernichtetes Material rekonstruieren, HK] jedoch nicht tun, weil ich seit sieben jahren mehr und mehr zu der auffassung gekommen bin, dass die 'konkrete dichtung' eine sache geworden ist, die mich nichts mehr angeht, oder, dass ich ein mann geworden bin, der sich über die beschränkte auffassung von Sprache und Wirk­ lichkeit, wie sie sich in jener offenbart, hinaus entwickelt hat."

7 Da sich Wiener von seinen Werken aus dieser Zeit distanziert hat, hat Gerhard Rühm nur Gemeinschaftsarbeiten in den Sammelband Die Wiener Gruppe aufgenommen.

8 Vgl. Janetzki (Alphabet und Welt. 23ff) und Rühm (Wiener Gruppe. 34) zu Wieners Wendung gegen alle literarische Betätigung und seiner Aufforderung an die Gruppe, ebenfalls die Produktion zu beenden. Im Spiegel heißt es, die Vernich­ tung der Produktion erfolgte aus Unzufriedenheit ("Wiener— Anwalt der Schizoiden", Der Spiegel 7. Juli 1969: 118, Spalte 2) . Wiener kommentiert, "dass bayer einmal meinte, wir würden noch beim blossen vorzeigen von gegenständen landen" (Wiener Gruppe. 402). Gerade dies nahm Rühm später auf, wobei die Sprachskepsis im Vorzeigen von Objekten sichtbar wurde. Wiener versprachlichte (nach kurzer Pause) diesen Zustand. 19

Bodo Heimann kommentiert: "Wiener scheint mit diesem 'Roman' die Summe seiner Einsicht und Rechtfertigung seiner Verweigerung formuliert zu haben. Auch wenn man die Vorbehal­ te gegen biographistische Erklärung des Werkes aus dem Leben teilt, wird man es für erwähnenswert halten, daß der Autor für die hier formulierte Wirklichkeitserkenntnis ebenso wie für die proklamierte anarchische Verweigerung mit seinem eigenen Leben, Beruf und 'Ausstieg' zu bürgen scheint: ein Kyberneti­ ker, ehemals Direktor der Datenverarbeitungsabteilung bei Oli­ vetti in Wien, der sich in Berlin [und jetzt Dawson City, Ka­ nada; HK] als Gastwirt zurückgezogen hat und auch als Autor die Weigerung— das Verstummen— konsequent praktiziert" . Expe­ rimentelle Prosa der Gegenwart (München: Oldenbourg, 1978) Fußnote 64. 9 Der Abdruck begann also nach dem Ende der Wiener Gruppe. Wiener war zwischen 1962 und 1967, während der Zeit der Hauptarbeit am Roman, 27 bis 33 Jahre alt. über die manu- skripte und besonders die Rolle der Veröffentlichung der Ver­ besserung darin siehe besonders den Abschnitt "Die Stellung von Oswald Wieners Verbesserung von Mitteleuropa in den 'manu- skripten'" in Elisabeth Wiesmayrs Die Zeitschrift 'manuskrip- te' 1960-1970. 69-74. Die vierte Fortsetzung dieses Abdrucks in Nummer 18 (1966) führte zu einem Pornografie-Vorwurf an die manuskripte und einem Verfahren, das erst 1968 eingestellt wurde (vgl. Innerhofer, Die Grazer Autoren Versammlung (1973-1983). Zur Organisation einer 'Avantgarde' (Wien: Böhlau, 1985) 19, und Manfred Mixner, "Ausbruch aus der Provinz" in Drews/Laemmle, 22/3. Die besagte Fortsetzung umfaßt die Abschnitte "allah kherimi die erscheinungen sind gerettet, reportage vom fest der begriffe" (LXXXIX-CII) und "abbildung 4: der bruch zwi­ schen lene und konrad" (CII-CIV).

10 Weibel, Peter & Valie Export (Hrsg.), Wien. Bild­ kompendium Wiener Aktionismus und Film (Frankfurt: Kohlkunst, 1970) 252.— Die Galerie wurde "1945 neben dem Art-Club ge­ gründet und von der katholischen Aktion übernommen" (Hilde Schmölzer (Hrsg.), Das böse Wien (München: Nymphenburger, 1973) 11.

11 Als Fortsetzung waren "Zock" und ein zock lesebuch geplant; dafür vorgesehen war ein Beitrag Wieners über Ernst Fischer und Th. W. Adorno unter dem Titel "scheißhäusl und arschloch" (geplant für 1968; dieses Werk kam nicht zustande; vgl. die Anmerkung in Weibel/Export, 286). Ernst Fischer war Führer der österreichischen Kommunisten, Th.W. Adorno natür­ lich einer der Denker der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. 1967 wurde sogar die Gründung einer ZOCK-Partei dis­ kutiert: "(...) dieser. betrifft die gründung einer politi­ schen partei namens ZOCK, welche bei den nächsten 20 nationalratswahlen mit dem ziel, mindestens einen Vertreter von ZOCK ins pariament zu manövrieren, kandidieren wird. ZOCK vertritt die auffassungen der am weitesten entwickelten mitteleuropäer" (Wiener in einem Brief vom 16. Januar 1967). Garth ist eine amerikanische Comicfigur der 60er Jahre (vgl. die Liste in der Verbesserung. CXCV). Es Überrascht kaum, daß Wiener später "Der Geist der Superhelden", einen Aufsatz über Comics, schrieb fVom Geist der Superhelden. Hrsg. Hans-Dieter Zimmermann (Berlin: Schriftenreihe der Akademie der Künste, 1970: 93-101. Taschenbuch— München: DTV, 1973: 126-41. Diskussion: 142-8). Garth ist dort auf 137 erwähnt. 12 Weibel/Export, 249, 273.

13 Vgl. Friedrich Geyrhofer, "Aus dem Leben eines Staatsfeinds", Sonderdruck Wiener-Illustrierte für aktuelle Kultur (Stadtzeitung für Wien) 5. Mai 1980: 64/5. Die Anklage wurde aufgehoben, als sich Wieners Unschuld herausstellte.

14 Wiener war längere Zeit nicht gut auf seine Heimat zu sprechen. Eine Notiz ganz am Ende [n.p, = 216] von Das böse Wien vermerkt, daß man sich nicht auf ein Interview verstän­ digen konnte, denn "Wiener wollte nicht im Zusammenhang mit Wien genannt werden". Hilde Spiel bestätigt das: "(...) bis zu dem so fatal benannten Oswald Wiener, der in der Bundesre­ publik lebt und seine Heimat nur mit Verachtung nennt (...)." "Das literarische Wien", Spiel, Spektrum. 218. Er ist wohl erst wieder ab Beginn der 80er Jahre gelegentlich in seine He imat z urückgekehrt. 15 Vgl. Geyrhofer, "Staatsfeind", 65.

16 Vgl. Innerhofer, Die Grazer Autoren Versammlung. 64. KAPITEL II

OSWALD WIENER, DIE WIENER GRUPPE UND DER WIENER AKTIONISMUS

Einführung

Ein Zugang zu Wieners Werk eröffnet sich aus der histori­ schen Perspektive, und für diese Untersuchung ist besonders die Zeit vom Ende des zweiten Weltkriegs bis 1970 wichtig. Wiener war zuerst von etwa 1954 bis 1964 an der Wiener Gruppe, und später, von etwa 1964 bis 1970, am Wiener Aktionismus be­ teiligt. Diese Zeiterscheinungen sind erklärbar in einem be­ stimmten historischen Kontext. Da zum Verständnis der Positi­ onen der Wiener Gruppe und des Wiener Aktienismus die politi­ sche und soziale Geschichte Österreichs in den 50er und 60er Jahren und danach zu berücksichtigen ist, skizziere ich im folgenden diesen gesellschaftlichen Hintergrund1.

Im Österreich der Nachkriegszeit herrschte die Auffas­ sung, man sei an den Kriegsereignissen schuldlos und das erste

Opfer der deutschen Nationalsozialisten gewesen. Das hatte zur Folge, daß die österreichische Öffentlichkeit wenig Grund zur Selbstkritik in Hinsicht auf ihre Rolle in den Ereignissen vor und während des Zweiten Weltkriegs sah. Eine weitere Kon­ sequenz war, daß gegen unterschwellige, aber auch unverhüllte

21 22 nationalistische, faschistische, national-sozialistische und autoritäre Tendenzen im allgemeinen kaum vorgegangen wurde. Im Unterschied zu Deutschland gab es keine Vergangenheits­ bewältigung. Statt dessen praktizierte man Vergangenheits­ verdrängung2 .

Während des politischen und kulturellen Wiederaufbaus wurde mehr Wert gelegt auf Kontinuität mit der Ersten Republik

(1918-1938) und ganz besonders der dieser voraufgehenden Ge­ schichte des Habsburgerreiches als auf einen Bruch mit proble­ matischen Einstellungen aus der Vor-Anschluß-Zeit3. Das machte sich auch im Bereich der Kultur bemerkbar. Wie in den anderen Kunstbereichen war auch in der Literatur inhaltlich und formal vieles eine Fortsetzung dessen, was bereits für die

österreichische Literatur des Dritten Reiches und davor charakteristisch gewesen war. Wie schon vor dem Zweiten Welt­ krieg herrschten im kulturellen Leben der Zweiten Republik Österreichs die traditionell-konservativen Kräfte4. Für die

Literatur typisch ist die folgende vielzitierte Aussage des konservativen Romanciers und späteren Präsidenten des öster­ reichischen PEN-Clubs, Alexander Lernet-Holenia, der die Zu­ kunft in der dabei idealisierten Vergangenheit des Stände­ staates vor dem Anschluß 1938 sieht: In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben. In der Tat brau­ chen wir nicht voraus-, sondern nur zurückzublicken. Um es vollkommen klar zu sagen: wir haben es nicht nötig, mit der Zukunft zu kokettieren und nebulöse Projekte zu machen, wir sind, im besten und wertvollsten Verstände, unsere Vergangenheit, wir haben uns nur zu besinnen, daß 23 wir unsere Vergangenheit sind— und sie wird unsere Zu­ kunft werden.

In einer Zeit, in der die Restauration und Bewahrung des Sta­ tus guo der oft nostalgisch glorifizierten Kaiserzeit ein für viele das wichtigste Anliegen war, gab es jedoch— vergleich­

bar zur Situation in Deutschland— einen großen Nachholbedarf sowohl zu dem, was man schon vor dem " Anschluß", als auch zu

dem, was man danach durch den Krieg und die Herrschaft des

Nationalsozialismus— zwangsweise— verpaßt hatte. Wie man dem Zitat entnehmen kann, gab es große Widerstände gegen moderne, experimentelle Autoren. Moderne Einflüsse wie etwa der Sur­

realismus waren während der Nazi-Herrschaft unterbunden ge­ wesen und setzten sich daher— abgesehen davon, daß sie schon vor und während der Ersten Republik nicht sehr stark gewesen

waren— in der Nachkriegszeit schwer durch. Diese Einflüsse konnten und mußten, soweit überhaupt bekannt, erst mit Ver­ spätung aufgearbeitet werden. Am 15. Mai 1955 Unterzeichneten Österreich und die Be­

satzungsmächte USA, England, Frankreich und die UdSSR den

Staatsvertrag, der die Unabhängigkeit Österreichs wiederher­ stellte. Österreich erlangte politische Freiheit, wurde, ähnlich der Schweiz, neutral, und die Besatzungszeit endete. Bis dahin war Österreich— wie Nachkriegsdeutschland— in vier Zonen geteilt, besetzt und fungierte als Pufferzone zwischen

Ost und West6. Von 1955 bis 1966 regierte eine "Große Ko­ alition" der großen, selbsternannten "Volksparteien" ÖVP

(Österreichische Volkspartei) und SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs) . Auch während dieser Zeit blieb es, bedingt u.a. durch das Proporzsystem, die Sozialpartnerschaft und den er­ folgreichen wirtschaftlichen Wiederaufbau7, die zu einer Kon­ senspolitik führten, bei der politischen und kulturellen Sta­ gnation. Erst ab 1966, mit und trotz der alleinigen Regie- rungsübernahme durch die konservative ÖVP, kam es zu einigen- -auch immer lauter geforderten— Änderungen. Die (literari­ sche) Opposition mußte verstärkt gegen den gesellschaftlichen

Konservatismus ankämpfen und errang dabei, im Zuge von allge­ meinen demographischen Änderungen und einer sich vor allem bei der jüngeren Bevölkerung ausbreitenden Unzufriedenheit mit den verfestigten Verhältnissen, einige Erfolge. 1970 schließlich gewann die oppositionelle SPÖ die Wahlen und stellte für viele Jahre ihrerseits die Alleinregierung (bis 1983).

Das Verhältnis der Bevölkerung— aber auch maßgeblicher

Kritiker und einflußreicher Kulturagenten und kultureller Institutionen— zu "ihren" jüngeren und "modernen" Künstlern war weiterhin bestenfalls gespalten8. Die Ablehnung kriti­ scher oder gar "avantgardistischer" Bemühungen war der Normal­ fall9. Den Wünschen einer konservativen Mehrheit entsprechend sollte Kunst sein, was der üblichen "alten" Definition des aristotelischen Schönen, Guten und Wahren entsprach— was immer das im Genaueren auch sein mochte. Alfred Kolleritsch weist 1962 das vorherrschende Kunstverständnis in den manuskripten zurück:

wer noch über1ieferungssaturiert von ewigen werten, unveränderlichen normen der kunst spricht, von 25

unumstößlichen Wahrheiten und formen, von weiser Über­ einstimmung mit der natur, ehrfürchtigem staunen vor dem ganzen und der Schaffung eines sinns im alleingang, der l ü g t . 10

Eben gegen solche Forderungen und Vorstellungen— auch ange­ prangert als "mystifikation, Symbolismus, und metaphorik", wie in einem Aufsatz Wieland Schmieds in Andreas Okopenko und H.C. Artmanns Publikationen vertreten— war die Wiener Gruppe angetreten11.

Die Wiener Gruppe

Im Kontext dieser Verdrängung und dieses Nachholbedarfes formierte sich die innovative Wiener Gruppe bzw. "fanden sich"

ihre Mitglieder. Die Gruppe konstituierte sich zwischen 1952 und 1954 als eine eher lose Verbindung von gleichgesinnten Freunden. Mitglieder dieser ursprünglich informellen Gruppie­

rung waren Friedrich Achleitner, H.C. Artmann12, Konrad Bayer,

Gerhard Rühm und Oswald Wiener. Diese individualistischen Autoren wurden später als Wiener Gruppe bekannt und identifi­

ziert, nachdem die Autorin Dorothea Zeemann, eine der Gelieb­ ten Heimito von Doderers, sie in einer Besprechung vom 23. Juni 1958 im Neuen Kurier als "Wiener Dichtergruppe" bezeich­

net hatte13.

Gemeinsam war den Mitgliedern der Wiener Gruppe das Interesse an den im christlichen Ständestaat und dem Dritten

Reich marginalisierten und unterdrückten literarischen Strö­ mungen und Traditionen, die damals in Österreich überall zu verspäteter Wirkung kamen, vor allem Dada und Surrealismus, 26 den poätes maudits, aber auch am Expressionismus, insgesamt dem, was man Anfänge der literarischen Moderne nennen könn­ te14. Gerhard Rühm stellt die Wiener Gruppe in diese Traditi­

on:

artmann besass ein schon ziemlich mitgenommenes exemplar von soergels "dichtung und dichter der zeit - im banne des expressionismus", das für uns eine wichtige informa- tionsquelle wurde, vor allem die kapitel Uber den "sturm", august stramm und "dada". auch die "anthologie der abseitigen" herausgegeben von carola giedion-welcker (bern 1946) hatten wir uns beschafft. im amerikahaus entdeckten wir die "last operas and plays" der gertrude stein, holz, scheerbart, carl einstein, stramm, schwit- ters, nebel, behrens, raoul hausmann, serner, arp, ger­ trude stein - das waren dichter, die, sofern überhaupt bekannt, kaum zur kenntnis genommen und als zu recht ver­ schollene aussenseiter abgetan wurden. für uns reprä­ sentierten sie die aufgefundene, eigentliche tradition, der sich unsere bestrebungen organisch anschlossen. wo soll es weitergehen, wenn nicht sinngemäss bei den "end- punkten"?15

Der Anfangstreffpunkt war der vom Artclub gemietete strohkof­ fer in Wien16. Der Artclub war ursprünglich die 1947 von dem

Heimito von Doderer nahestehenden Maler und Schriftsteller

Albert Paris Gütersloh gegründete österreichische Sektion des

internationalen Artclubs, eine Vereinigung von relativ fort­ schrittlichen bildenden Künstlern, in der bald auch Schrift­ steller und Musiker vertreten waren. Die ersten Kontakte der Gruppenmitglieder kamen ab 1952 über Artmann zustande, der dem Artclub eine Sektion für Schriftsteller angliedern wollte.

Später traf man sich in wechselnden Lokalen und Veranstal­ tungsorten, z.B. in der Nähe der Kärntnerstraße in der Adebar, wo man den Club Exil gründete, im Cafä Glory gegenüber der

Wiener Universität, oder im franziskan catacombes club im 27

Keller unterhalb von Artmanns literarischem Theater Die kleine Schaubühne, wo man Feste mit Namen wie "Soirfee mit illumi­ nierten Vogelkäfigen” oder "Pompös-macabres Fest zu Ehren der französischen Revolution" veranstaltete. Ein regelrechtes Programm gab es nicht. Die Wiener

Gruppe wurde durch gemeinsame Interessen und persönliche

Freundschaften zusammengehalten (besonders Bayer und Wiener waren eng befreundet)17. Zusammenarbeit spielte in der Gruppe

eine wichtige Rolle. Viele Projekte— nicht zuletzt die öffentlichen Höhepunkte— waren Gemeinschaftsarbeiten: etwa die Prozession "une soiröe aux amants funöbres" vom 22. August 1953, die erste öffentliche Lesung in Gerhard Bronners intimem

Theater in der Liliengasse am 20. Juni 1957, und später be­ sonders die zwei Wiener "Literarischen Cabarets" vom 6. Dezem­ ber 1958 und vom 15. April 1959. Diese großen, skandalösen Auftritte— frühe Formen des "Happening", Versuche totalen Theaters in Anlehnung an Güterslohs und Doderers Konzept des totalen Romans— brachten die Wiener Gruppe in die Öffentlich­ keit18 .

Trotz der Kollaboration darf nicht vergessen werden, daß die Wiener Gruppe keine homogene Gruppe war, sondern erhebli­ che Auffassungsunterschiede unter den Mitgliedern existierten. Gründe dafür liegen in ihrer— beabsichtigten— Anlage mehr als in Konflikten oder Mißverständnissen. Man hatte ähnliche An­ sichten und Ziele, wollte aber nicht einheitlich-konformi­ stisch sein (deshalb wohl auch die Abneigung einiger Mitglieder gegen die Bezeichnung Wiener Gruppe19) . Daher verfolgten die einzelnen Mitglieder auch Projekte außerhalb der Gruppe. Da man keinem festen Programm folgte, waren Unterschiede Teil der "Gruppenidentität" und wurden in der Zusammenarbeit produktiv genutzt. Harald Hartung spricht von drei Flügeln innerhalb der Gruppe: dem experimentell-konstruktiven mit Achleitner, Bayer, Rühm, dem surreal-phantastischen Artmann, und dem monomani- sehen Rigorismus• Wieners • 20 . Eine • solche Einteilung führt bei nur fünf Beteiligten nicht weit. Freilich ließe sich eine Aufteilung aufgrund von Generationsunterschieden konstruieren: der 1921 geborene Artmann ist der älteste und die 1932 bzw.

1935 geborenen Bayer und Wiener sind die jüngsten. Die gleichaltrigen Achleitner und Rühm, 1930 geboren, nehmen zwischen den beiden extremen Polen der Gruppe eine moderate Position ein. Eine ähnliche, aber weniger überzeugende Unter­ scheidung könnte zwischen Bayer und Wiener einerseits und Achleitner und Rühm andererseits vorgenommen werden. Als ein­ ziges ließe sich damit vielleicht erklären, warum Artmann von allen der weniger progressive war und sich, mehr als die ande­ ren Mitglieder, als "Dichter" sah. Er löste sich auch am frühesten von der Gruppe. Zwischen ihm und den anderen beste­ hen die größten Unterschiede. Bei genauerer Analyse gerät selbst eine Unterscheidung nach Generationen ins Wanken, da- -außer bei Artmann— der jeweilige Unterschied nur wenige Jahre beträgt. Auffassungsunterschiede innerhalb der Wiener Gruppe gab es vor allen im Hinblick auf Sprache, die als Thema und kri­ tisch reflektiertes Medium eine zentrale Rolle innehatte21.

Die Unterschiede sind besonders groß zwischen dem eher the­ oriefeindlichen Artmann, für den Sprache spielerisches Material darstellte, und Wiener, der die Sprache in der Tra­ dition Ludwig Wittgensteins und vor allem Fritz Mauthners ideologisch-kritischer Reflexion unterwarf und folglich einen radikalen Sprachskeptizismus vertrat22. Rühm interessierte sich seinem eigenem Bekenntnis nach am meisten für die kon­ struktivistischen Aspekte der Sprache, dasselbe gilt auch für Achleitner23. Bei Bayer sind alle diese Aspekte vorhanden.

Artmann hatte sich schon relativ früh— etwa um 1957— von der Wiener Gruppe zu lösen begonnen, und auch Oswald

Wiener ging, anderen Interessen folgend, bald seinen eigenen Weg (1959). Das Ende der Wiener Gruppe kam jedoch erst nach der Aufführung der "Kinderoper" am 9. April 1964; es sollte der letzte gemeinsame Auftritt der auf Betreiben Bayers für diese Veranstaltung wiederversammelten Wiener Gruppe sein. Mit Bayers Freitod am 10. Oktober 1964 wurden bestehende Pläne zunichte, weitere öffentliche Vorführungen zu veranstalten24.

Es gab keine bevorzugte literarische Form innerhalb der Wiener Gruppe. Kalauer, faule Witze, konkrete Dichtung25,

Dialektgedichte26, Montagen, technisch-automatisches Schrei­ ben, "Inventionen"27, "Verbarien", szenische Arbeiten, öffent­ liche Veranstaltungen wie Lesungen, Prozessionen und die "Literarischen Cabarets" gehören zu den Ausdrucksformen und Texten ihrer Autoren28. Alles wurde theoretisch als mögliches

künstlerisches Material angesehen, und Formen, Mittel und

Medien wurden frei kombiniert29. Im Hinblick auf Vorgehens­

weisen und Formen weist die Wiener Gruppe Gemeinsamkeiten mit ihren dadaistischen Vorläufern auf und stellt sich bewußt in deren Nachfolge. Als Beispiel sei ein Teil aus dem "1. Lite­ rarischen Cabaret", beschrieben von Peter Weibel, angeführt:

rühm in >das erwachen<. während rühm schlief, rannte wiener zwischen couch und rampe hin & her und verkündete flüsternd: "noch 2 minuten", "noch eine minute", "zwanzig Sekunden" etc. schließlich ratschte der wecker, wachte rühm auf, dehnte sich, stieg in die pantoffeln, gähnte, stand auf und verbeugte sich. beim 2. cabaret einige monate später wurde >das erwachen< ohne änderung zweimal hintereinander gespielt, mit nur einer nummer dazwischen, unruhig gewordene besucher hielt wiener durch grobheit mühelos in schach.

Die Zuschauer werden mit einer banalen Vorführung konfron­

tiert, die allen Erwartungen widerspricht und ihr Kunstver­

ständnis in Frage stellen soll. Es findet sich bereits auch das Element der Grobheit, das zumindest für Wiener, vor allem

auch in späteren Aktionen des Wiener Aktionismus, von Bedeu­ tung ist.

Umfassende Anerkennung— außer in avantgardistisch-künst­ lerischen Kreisen— hat die Wiener Gruppe nicht gefunden, da

sie sich zu sehr gegen konservative literarische Strömungen richtete. Der gesuchte Konflikt mit der "literarisch interes­ sierten Öffentlichkeit" war durch derartige Attacken auf das traditionelle bürgerliche Kunstverständnis und gegen das "Dichtertum"— der Dichter wurde nicht mehr als eine Art 31 genialer Seher verstanden— programmatisch bedingt31. Den

Skandalen und Zusammenstößen der Gruppenmitglieder mit der Ordnungsmacht lag jedoch meistens nur das verletzte Moralemp­ finden der österreichischen Bürger zugrunde. Gerade diese

Provokation der Spießer, das alte äpater le bourgeois (aber nicht politischer Aufstand) war Ziel vieler Veranstaltungen32.

Entsprechend negativ wurde von der Öffentlichkeit die gesamte Avantgarde in Österreich aufgenommen33. Verschiedenste

Gruppierungen protestierten und lehnten die Wiener Gruppe sowie später den Wiener Aktionismus ab; ihre Werke, Aktionen und Manifeste wurden nicht als "Kunst" angesehen34.

Der theoretische Hintergrund ebenso wie der "praktische Vordergrund" der Werke, vor allem der öffentlich vorgeführten

"cabarets", hatte— erwartungsgemäß— Protest und Ablehnung zur Folge. Letztere war auch in der fehlenden bzw. mißlingenden Rezeption begründet. Die Rezeption war "intellektuell", da die Mehrheit der Werke der Gruppenmitglieder auf ausgedehnten theoretischen Überlegungen beruhten, die für ein Verständnis bekannt sein und verstanden werden mußten, um nachvollzogen werden zu können. Bei dem verbreiteten Anti-Intellektualismus in Österreich war das nicht möglich bzw. nicht akzeptiert. Hinzu kam, daß gerade in Österreich von Anfang an Publi­ kation und Rezeption der literarischen Werke der Wiener Gruppe auch von einer konservativen Literaturclique blockiert wurden und sich nur wenige Veröffentlichungsmöglichkeiten boten35.

Drei Beispiele: Der bekannte Schriftsteller Heimito von 32 Doderer trat 1958 aus Protest vom Wiener Kurier, einer gemäßigten Tageszeitung, zurück, als er in dessen Feuilleton keine Texte der Wiener Gruppe drucken durfte, nachdem er dafür den ihm als Redakteur zustehenden Platz zur Verfügung gestellt hatte. Doderer war 1933 der damals illegalen Nazipartei bei­ getreten, hatte sie aber 1938 wieder verlassen. Anschließend konvertierte er zum Katholizismus. Zu diesem Zeitpunkt wieder

"rehabilitiert", war er einer der wenigen namhaften Sympathi­ santen aus dem literarischen Leben, der damals der Gruppe effektiv weiterzuhelfen versuchte36. Nach Leserprotesten auf­ grund der Veröffentlichung ausgewählter Werke der Wiener Gruppe wurde der Vertrag des Romanciers Gerhard Fritschs als

Redakteur bei der staatlich unterstützten Kulturzeitschrift

Wort in der Zeit nicht verlängert und er verlor seine Position (das zu später Zeit, im Februar 1964, als sich definitive Auf­ lösungserscheinungen in der Gruppe zeigten)37. Nicht anders war es 1957 Friedrich Polakovics ergangen, dem verantwort­ lichen Lyrikredakteur bei Neue Weae. der Zeitschrift des vom Unterrichtsministerium gestützten "Theaters der Jugend".

Polakovics hatte surrealistisch-experimentelle Arbeiten von Jandl, Rühm und Artmann veröffentlicht. Es kam zu Leserpro­ testen und daraufhin zur Entlassung Polakovics38. Vielsagend ist auch, daß, wie Rühm berichtet, das Unterrichtsministerium eine Publikationsreihe progressiver Literatur subventionierte, die Wiener Gruppe dabei aber leer ausging39. Die Wiener Gruppe war künstlerisch progressiv und wird zur damaligen Avantgarde gezählt, aber ihre politische Haltung war weniger eindeutig. Ihre Mitglieder waren individual­ anarchistisch. Artmanns "Achtpunkte-Proklamation des Poeti­ schen Actes" vom April 1953 deutet das an, aber vor allem ent­ sprechende Bekenntnisse Bayers und Wieners, die— historisch­ politisches Engagement ausschließend— den Individualanar­ chismus propagierten und zu leben versuchten, zeigen, wie ambivalent man der Politik gegenüberstand40. Einerseits hatten sich die "Wiener" in vielfacher Weise mit den politi­ schen Gegebenheiten auseinanderzusetzen und sahen sich als Opfer existierender Verhältnisse, andererseits ist Politik nicht direkt und explizit, etwa als politische Theorie, in ihren Werken reflektiert.

Jedoch gibt es vereinzelte politische Aktionen wie Art­ manns pazifistisches "Manifest gegen die Wiederbewaffnung" und einen damit verbundenen Protestmarsch (am 17. bzw. 21. Mai 1955, zwei Tage nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags)41.

Dieser Protestmarsch stellte zwar keinen folgenreichen Wider­ stand dar, aber immerhin sah man sich zu seiner Veranstaltung bemüßigt. Manchmal äußerte man sich zu politischen Gegeben­ heiten, wie z.B. Rühm:

schnell wurde deutlich, dass die mehrheit wohl vieles gegen die nazistische kriegspolitik, aber im gründe nichts gegen die "gesunde" kulturpolitik einzuwenden gehabt hatte. jetzt, da man der "entarteten" kunst wieder offen begegnen konnte, erregte sie die gemüter oft bis zu handgreiflichkeiten. 34

Trotz solcher gelegentlicher Äußerungen zum politischen Ge­ schehen und vereinzelter politischer Aktionen waren die

Autoren der Wiener Gruppe dennoch (selbstverständlich mit individuellen Unterschieden) apolitisch, elitär und bevorzug­ ten ein boh&mehaftes Leben. Man war gegen die Gesellschaft überhaupt, und wollte sich nicht durch Politik korrumpieren. Die Ausrichtung der Gruppe war in erster Linie (sprach-) philosophisch, und bewegte sich fast ausschließlich auf innerliterarisch-ästhetischer Ebene43— die Revolte blieb kunstintern. Es überrascht nicht, daß die Produktion und Rezeption der Wiener Gruppe der damals dominanten werkimmanen­ ten Germanistik entspricht. Die Mitglieder der Gruppe mußten sich nicht nur in der Kunst, sondern auch in ihrem Privatleben mit den existierenden

Machtverhältnissen auseinandersetzen. Artmann etwa hatte wiederholt Zusammenstöße mit der Polizei (in Salzburg), und Wiener wurde im Zusammenhang mit verschiedenen Vorfällen ver­ haftet (siehe Kapitel I, Kurzbiographie). Die weiteren Wege der Mitglieder nach der Auflösung der Gruppe sprechen für sich. Artmann hatte sich schon lange vorher— um 1958— abgesetzt; von ihm ist in letzter Zeit re­ lativ wenig zu hören (bzw. zu lesen). Von allen Mitglieder der Gruppe wurde und wird er aber noch am ehesten als "Dich­ ter" akzeptiert und ist schon längst Teil des literarischen mainstream. Bayer beging 1964 Selbstmord (den manche Kritiker aus seiner individuellen Verzweiflung erklären). Bei den 35 offenbar moderateren Mitgliedern führte das Ende der Gruppe langfristig zur Rückkehr in geregelte Bahnen. Achleitner wandte sich wieder der Architektur zu, und Rühm befaßt sich weiter mit Musik, bildender Kunst und Literatur.

Wiener hingegen beteiligte sich, zeitweise mit Rühm, am spektakulären Wiener Aktionismus, verabschiedete sich mit der

Verbesserung von der Literatur und setzte sich schließlich nach Deutschland und anschließend nach Kanada ab. Sein Weg nach dem Ende der Gruppe ist für uns der wichtigste Teil seiner bisherigen Karriere, nicht nur, weil erst zu dieser

Zeit die Verbesserung abgeschlossen wurde, sondern auch, weil er danach an Veranstaltungen Wiener Aktionismus teilnahm44.

Der Wiener Aktionismus Der Wiener Aktionismus dauerte von etwa 1960 bis zu den

frühen 7 0er Jahren. Er deckt sich zeitlich und gelegentlich in den Absichten mit der Wiener Gruppe, geht aber über deren Ende hinaus45. Der Wiener Aktionismus und die Wiener Gruppe waren getrennte Phasen und müssen getrennt betrachtet werden.

Wegen der mannigfachen Aspekte des Wiener Aktionismus muß ich mich im folgenden auf eine kursorische Darstellung beschränken. Dabei werde ich vor allem auf Oswald Wieners

Beteiligung eingehen. Die Verbindung zwischen der Wiener Gruppe und dem Wiener Aktionismus wurde hauptsächlich durch ihn und Gerhard Rühm hergestellt. Wiener zählt nicht zu den eigentlichen Aktionisten, von denen Otto Mühl, Hermann Nitsch 36 und Günter Brus die bekanntesten sind, hat aber (manchmal mit Rühm) an verschiedenen Veranstaltungen des Aktionismus teil­ genommen, vor allem an der Aktion im Hörsaal der Universität Wien46. Er war mit ihnen, besonders Brus, befreundet und schätzte Mühl und Nitsch. Er hat auch für sie geschrieben, ein "vorwort" zu Nitschs Orgien Mysterien Theater und Texte

über und für Brus, etwa die "Erläuterung zum Amnestiegesuch für Günter Brus" zu dessen Verteidigung und Hilfe47. Im

Element der Provokation sah er eine gewisse Gemeinsamkeit mit den Aktionisten, ebenso wie einen Ansatzpunkt zu gesellschaft­ licher Veränderung:

Eigentlich ist es dieser provokatorische Charakter, der mich zum Bundesgenossen dieser Leute gemacht hat. Ich bin der Meinung, daß man in Wien, in einem Staat wie Österreich, schon dadurch interessante Arbeit leistet, daß man Widerstände anstachelt, daß man sie herausreizt, in der Hoffnung, daß sich diese Widerstände artikulieren, so daß man sie argumentativ in den Griff kriegen könn­ te.48

Eine fiktive Aktion mit Otto Mühl ist in der Verbesserung beschrieben (LXII/LXIII) . In ihr bilden einige Protagonisten eine Skulptur aus Menschenleibern; dabei gehen sie vor wie Aktionisten mit Tieren bei manchen Aktionen, d.h. sie werden teils getötet, teils ausgeschlachtet, etc. Der Wiener Aktionismus war keine geschlossene, programma­ tische Bewegung. Bekannt, ja geradezu berüchtigt wurde er vor allem durch Mühls "Materialaktionen" und Nitschs Orgien- Mysterien Theater ("O.M. Theater"; so auch der Titel seines

Buches darüber, siehe oben), einem Gesamtkunstwerk-artigen Abreaktionsspiel (oder "Happening") . Gotthard Böhm beschreibt 37 die Anfänge und Intentionen des Aktionismus (und stellt dabei einen Zusammenhang zur Wiener Gruppe her): Der Wiener Aktionismus mit den Hauptvertretern Otto Mühl (*1925), Günther Brus (*1940), Rudolf Schwarzkogler (1941-1969) und Hermann Nitsch (*1939) stellt sich als eine komplexe Bewegung dar, in der disparate Formen künstlerischer Praxis (Malerei, Literatur, Theater, Film) zusammenlaufen und im Stil des Happenings— definiert als spontan sich ereignende Aktion— integriert und als vereinzelte Kunstgattungen aufgehoben werden. Mit einem radikalen Anspruch auf Erneuerung, in deren Formen sich als Inhalt die Sensibilität und Welterfahrung des Künstlers in der Gesellschaft spiegelt— vor allem auch die Reaktion der jungen Künstler auf die Verbrechen der Nazizeit— , bildet der Aktionismus den avantgardistischen Flügel der österreichischen Nachkriegskunst. Als Vor­ läufer können die Veranstaltungen der "literarischen cabarets" der Wiener Gruppe angesehen werden. Stärker als die literarischen Vorbilder wirkte auf die Aktioni­ sten die Entwicklung der Malerei, deren Gesetze und Zwänge als Tafelbildmalerei man zu durchbrechen suchte.

Ein Ziel der Aktionen war, zur Gattungsauflösung und Entgren­ zung innerhalb der Gattungen beizutragen und multimedial gegen den bürgerlichen Kunstbegriff zu arbeiten. Weitere Anliegen waren die Aufhebung der Gefühlsverdrängung und persönliche Enthemmung, die Erweiterung und Intensivierung der sinnlichen

Wirklichkeitserfahrung, und die vorgebliche "Befreiung" von psychisch-sozialen Zwängen durch die Teilhabe (wenn möglich aktiv) an den Aktionen. Manche Akteure dieser "Bewegung" gaben vor, daß ihre Aktionen zu einer Überwindung der Grenzen im Menschen und zur Selbstfindung beitrügen, zu einer Art individueller und kollektiver Katharsis (aber anders als durch Psychoanalyse oder Psychotherapie).

Es gibt große Unterschiede zwischen den verschiedenen

Aktionisten, aber dennoch lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten 38 bei vielen der Aktionen feststellen: im Zentrum des Geschehens standen der menschliche Körper (die Akteure waren meist nackt), Materialien aller Art (oft Tiere bzw. deren Teile, aber auch der menschliche Körper), und Aggressivität bzw. De­ struktion (manchmal Selbstverstümmelung). Sie zeichnen sich durch Grausamkeit und Faszination mit dem Schmerz aus. Die meisten Aktionen wollten schockieren. Ein Beispiel sind die zahllosen Lammausweidungen Nitschs, der seine Aktionen als neu-kultisches Ritual verstanden wissen wollte. Hilde Spiel kommentiert: Daneben gab es andere, denen die Rolle des Außenseiters unveränderlich auf den Leib geschrieben war. Zu ihnen gehörten Oswald Wiener und die Aktionisten Otto Mühl (*1925), Hermann Nitsch (*1939) und Günther Brus (*1940) , die in Österreich das Happening eingeführt und auf eine ebenso mystagogische wie brutale Art betrieben hatten. Die ganze unterschwellige Roheit des Wiener Volkscharak­ ters, jener dämonische Untergrund seiner Gemütlichkeit, (...), trat in ihren zeremoniellen Tierschlachtungen, ihren koitalen und fäkalen Darbietungen hervor. Von bundesdeutschen Kritikern als archaisch-orgiastische und kathartische Kulthandlungen bitter ernst genommen, im Wiener "Neuen Forum" von einem einstigen Verbündeten Nitschs, Josef Dvorak, genau analysiert, aber als sozia­ lisierungsschädlich verworfen, waren und blieben die Aktionisten in ihrem Heimatlande verpönt.

Gotthard Böhm urteilt, daß sich in Mühls Aktionen eine gewalt­ tätige "Aggressivität gegenüber "bürgerlichen" Lebensformen und Existenzbedingungen" zeige; das trifft im Großen und Ganzen auch auf die anderen Aktionisten zu51.

Auf der Rezeptionsebene sollte die Überwindung der Auf­ teilung in Vorführende und Publikum erreicht werden. Das

Publikum war angehalten, möglichst am Geschehen teilzunehmen.

Eine prominente Rolle spielte dabei der Voyerismus (und 39 Masochismus) des Publikums, der bewußt für die exhibitionisti- sche Provokation ausgenutzt wurde. Noch stärker als die Ver­ anstaltungen der Wiener Gruppe fanden die des Wiener Aktio- nismus vorwiegend vor bzw. mit einem kleinen Kreis Einge­ weihter statt. Trotzdem war die Presse meist gegenwärtig, weil die Aktionen stets skandalträchtig waren (teils wurden die Skandale von der Presse erst zu solchen gemacht, immer aber aufgebauscht). So wurde auch die Presse zum Mitakteur.

Der Aktionsprozess und seine Dokumentation auf Film und

Foto waren ein wichtiger Aspekt, weshalb der Aktionismus relativ gut dokumentiert ist52. Der Band Wien; Bildkompendium

Wiener Aktionismus und Film, herausgegeben von Peter Weibel und Valie Export, bietet eine umfassende Darstellung der ver­ schiedenen Aktionen und der daran beteiligten Personen53.

Die Aktionen sind am besten mit Bildern zu illustrieren und entziehen sich der Beschreibung, denn eine solche Vermittlung sollte ja gerade überwunden werden54.

Am wichtigsten sind hier Brus, Mühl, und "Zock". Die "Zock-Exercises" fanden am 17. April 1967 in der Wiener Ga­ lerie St. Stefan statt, und das "Zock-Festival" am 21. April 1967 im Lokal Grünes Tor. "Kunst und Revolution" war eine von den Aktionisten und dem von ihnen manipulierten Sozialisti­ schen Österreichischen Studentenbund SÖS geplante "Zock"- Veranstaltung, die am 7. Juni 1968 in Wien im Hörsaal l des Neuen Universitätsgebäudes stattfand. In Flugblatt zu dieser 40 Aktion beschreibt Wiener, was das Problem und was zu seiner Lösung gefordert ist:

nicht wir sind entfremdet, sondern die weit, die Insti­ tutionen ersticken uns. die kommunikation ist fremd, wir brauchen chaos. nur das zerbröseln von Institutionen schafft luft, nur der affront, die Verfremdung bezeichnet die entfremdung.

Dies weist auf Einflüsse für die zu dieser Zeit verfaßte Verbesserung hin, z.B. die Forderung nach Chaos, das Zweifeln an Kommunikation (im Roman in der Form von Sprachkritik) , die Revolte und der affront als Mittel zum Erreichen von Momenten

der Freiheit. Auch die Brechtsche Verfremdung wird zitiert,

wurde allerdings anders verstanden. In seinem Vorwort zu Nitschs P.M. Theater schreibt Wiener über Ähnliches, es liest sich wie eine Zusammenfassung seiner Philosophie56. Aus Peter

Weibels Beschreibung der Aktion:

zu programmiertem tumultuösem geschrei kam es bei peter weibels aktionsvortrag über finanzminister Universitäts­ professor dr. koren, ein Scheinwerfer, bedient von valie export, schaltete über einen lichtabhängigen widerstand den Verstärker des mikrophon an und ab. bei "ein"-rufen schaltete vaiie den Scheinwerfer ein, ström ging zum Verstärker und weibels rede war zu hören, bei "aus"- rufen schaltete valie die Scheinwerfer aus, die rede war nicht mehr zu hören, ein paradoxon der kommunikation als demonstration der antinomien des Parlamentarismus und der pluralistischen demokratie. selbstverständlich wurde ununterbrochen entweder "ein" oder "aus" geschrien, so daß die rede nur verstümmelt, wenn überhaupt, zu hören war. in den letzten minuten hatte sich brus bereits ausgezogen und stand schon nackt auf dem pult, als weibel dieses verließ, während oswald wiener über ein drahtlo­ ses mikrophon seinen vortrag hielt, schiß brus auf den boden des hörsaals, verschmierte sich den scheißdreck am leib, stach mit seinen fingern des Ösophagus hinab, würg­ te, erbrach, sang zum scheißen die bundeshymne, onanier­ te - ein unerhörtes klima, augenblicke der panik und Vernichtung, wo das bewußtsein zu kollapsieren drohte, weil das gehirn die Verarbeitung der ihm zugetragenen informationen verweigerte, minutenlang, bis zu dem

i' 41

moment, wo muehl unprogrammgemäß mit seinen mitarbeitern aufs podium kam und ebenfalls seine aktionen begann, durch den lärm des ausgepeitschten laurids wurden Wieners sätze unhörbar, der jedoch, davon unbeirrt, in seinem vortrag fortfuhr. (...)57

In den darauffolgenden Tagen wurden die Vorfälle durch die Presse zum "Skandal" erklärt, dessen Verlauf zur Verhaftung von Wiener, Brus und Mühl führte. Im Prozeß wurde Wiener freigesprochen, Brus zu sechs Monaten und Mühl zu vier Wochen Arrest verurteilt58. Derartige Aktionen waren als Angriff auf die feindlich gesinnte Gesellschaft verstanden und sollten die neue, völlig befreite Kunst darstellen oder zumindest zu ihr führen59. Ebenso waren sie als politischer Protest gedacht, der aber bestenfalls diffus blieb. Jutta Landa urteilt über diese Veranstaltung:

Gerade an dieser Aktion (...) zeigte sich die Unzuläng­ lichkeit des Wiener Aktionismus als gesellschaftsverän­ derndes Instrument. Die im Happening angestrebte "Pro­ vokation von Kreativität, durchgeführt mit Hilfe ver­ schiedener Techniken der Erwartungsenttäuschung und Er- kenntnisverunsicherung" (Dvorak, S.7) wurde kraß über­ zogen. Statt Erkenntnisverunsicherung erfolgte die Festigung der unerwünschten konservativen öffentlichen Meinung.

Wie und welche Kreativität und Erkenntnis auf solche Art provoziert werden sollen, bleibt unklar. Aus den theoreti­ schen Äußerungen (Nitsch, Mühl, Weibel) geht nicht deutlich hervor, welche Wirkung mit den Aktionen bezweckt wird, und wie diese erzielt werden sollte. Manche dieser Theorien und

Interpretationen sind idealistisch, unrealisierbar, schwierig nachzuvollziehen und wirken reichlich konfus und unausgegoren.

Daneben erschweren Irrationalismus und beabsichtigte Interpretationsfeindlichkeit das Verständnis. Ein Beispiel

ist diese schon oben zitierte Stelle:

bei "ein"-rufen schaltete valie den Scheinwerfer ein, ström ging zum Verstärker und weibels rede war zu hören, bei "ausM-rufen schaltete valie die Scheinwerfer aus, die rede war nicht mehr zu hören, ein paradoxon der kommuni­ kation als demonstration der antinomien des Parlamenta­ rismus und der pluralistischen demokratie.

Mir ist der Zusammenhang zwischen beschriebener Szene und

folgender Interpretation nicht klar.

Es gibt gelegentliche Äußerungen MUhls, Nitschs, RUhms und Wieners gegen den Faschismus. Trotzdem fallen an den Aktionen gerade deren faschistoide Züge auf, obwohl die Aktionisten ihren antifaschistischen Charakter betonten61.

Hier wird der biographische Hintergrund der Aktionisten wichtig, die alle vor dem Anschluß Österreichs an Nazi-Deut­

schland geboren waren, während des Krieges aufwuchsen und offensichtlich entsprechend geprägt waren. Der aktionistische Versuch, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben— bewußt oder nicht, ob so gedacht oder nicht— ist fragwürdig62, denn es

zeigen sich in der Einstellung der Akteure dieselben destruk­ tiven Züge und Einstellungen, die während des Krieges vielen

Millionen Menschen ihr Leben kosteten. Man sah sich zwar als Opfer der konservativen Österreichischen Politik, operierte aber beim Protest mit zweifelhaften Prämissen. Die gewählten Mittel, die Abgründe des Selbst an das Offene zu bringen, die

Nazi-Zeit durch vor-die-Augen-führen von Gewalt, Blut, und

Zerstörung in das Bewußtsein zu bringen und zu einer intensi­ ven Wirklichkeitserfahrung zu reizen, sind sehr zweifelhaft, da sie— besonders so bald nach einem blutigen Vernichtungs­ krieg— nur in der Nachahmung des Kritisierten und seiner Kon­ sequenzen stecken bleiben. Durch eine derartige Anregung zur Selbstbeobachtung und Selbstbewältigung wurde vermutlich eher das Gegenteil des Beabsichtigten bewirkt, denn gerade die Angesprochenen sahen sich nicht betroffen bzw. sogar bestä­ tigt: das Gebotene wurde für Unkunst, für Unkultur, und für entartet erklärt63 und diente als nachträgliche Bestätigung für die Richtigkeit der Kulturpolitik der jüngsten Vergangen­ heit. Auch hier— diesmal auf Seiten gewisser Künstler— zeigt sich der typische Mangel an Vergangenheitsbewältigung des 2. Weltkrieges, die ja speziell in Österreich schwierig war. Bei allen Aktionen wurde weder vor Zynismus und Beleidi­ gungen noch vor Geschmacklosigkeiten zurückgeschreckt. Die­ jenigen, die das nicht akzeptieren wollten, wurden als die "Anderen" identifiziert, die die Welt, gegen die man sich so aufzulehnen vermeinte, mitverschuldeten. Die Einstellung war: "die anderen sind immer schuld, egal was und wie". Wiener bezeichnete diese "Anderen" schon in dem action concert, aber auch später in seiner Verteidigungsschrift für Brus "Wich­ tel"64. In den Haltungen und Ansichten der Künstler der

Wiener Gruppe und vor allem des Wiener Aktionismus herrschen Verachtung und Bereitschaft zu Grausamkeit, Gewalt, und Mani­ pulation65. Ebenso klingt ein starker, absichtlich provoka­ tiver Elitismus an: es existiert nur eine kleine Gruppe intellektuell fortgeschrittener Verstehender, alle anderen 44 sind die besagten dummen "Wichtel". Entsprechendes findet sich am Ende der Verbesserung (die zu diesem Zeitpunkt, 1968, schon beendet war; sie wurde während der turbulenten Jahre 1962 bis 1967 verfaßt).

Dietmar Goltschnigg und Kurt Bartsch weisen im Zusammen­ hang mit dem von vielen österreichischen Schriftstellern auf die eine oder andere Weise gepflegten Individualanarchismus auf einen anderen interessanten Aspekt hin: Symptomatisch dafür sind die skandalisierenden Wiener Ereignisse im Jahre 1968. Als die Sozialrevolutionäre Studentenbewegung in den USA und in Westeuropa ihren Höhepunkt erreicht hatte, da veranstalteten einzelne Aktionisten und Mitglieder der "Wiener Gruppe" (Otto Muehl, Hermann Nitsch, Günter Brus, Ossi Wiener) in der Wiener Universität eine aufsehenerregende "Fäkalferke­ lei", um die feine Wiener Gesellschaft bloßzustellen, welche die avantgardistische Kunst "net amol zu ignorie­ ren" pflegte.

Sie konstatieren eine fragwürdige (a-)politische Haltung, die für den Großteil österreichischer Autoren eher repräsentativ war.

Neben vielleicht ernstzunehmenden Ansätzen und Absichten kommt bei diesem Aktionismus natürlich der Verdacht völlig unseriöser Scharlatanerie auf. Mühl z.B. ist heute Vorstand einer zweifelhaften Kommune67. Auffallend ist auch, daß sich, teilweise bereits sehr früh, einige Akteure und Sympathisanten des Aktionismus von ihm abwandten, etwa der Galerist Josef Dvorak, der seine Gründe— die Fragwürdigkeit der Gewalttätig­ keit und die Sozialisierungsschädlichkeit der Aktionen— in einer Kritik zusammenfaßte68. 45

Anmerkungen:

Zur Wiener Gruppe vgl. den Aufsatz von Michael Butler, "Froin the 'Wiener Gruppe' to Ernst Jandl", Modern Austrian Writing. Hrsg. Alan Best & Hans Wolfschütz (London: Wolff, 1980) 236-51. Ein früher Beitrag für den englischsprachigen Raum ist "The Vienna Group", The Times Literarv Supplement. 3.10.1964 von Konrad Bayer; dieser Beitrag ist im Grunde ab­ schließend, da er kurz vor seinem Tod verfaßt wurde. Zum Kon­ text der österreichischen Literatur dieses Jahrhunderts siehe die "Introduction" von Donald G. Daviau, Maior Fiaures of Mo­ dern Austrian Literature (Riverside: Ariadne, 1988) 1-48, oder Peter Demetz' "Austria: Society and Literary Life", After the Fires (San Diego: Harcourt Brace Jovanovich, 1986) 176-82 (oder 198). Zum politisch-literarischen Kontext vgl. auch Gerhard Rühms Vorwort zu Wiener Gruppe oder die entspreh- henden Kapitel in Zmegac, Kindlers-Ö. oder Soz ialaeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. Hrsg. Jan Berg u.a. (Frankfurt/Main: Fischer, 1981).

2 Politisch gab es in Deutschland eine offizielle— wenn auch problematische— Vergangenheitsbewältigung, nicht aber in Österreich, denn man sah keinen Anlaß dazu. Vgl. zu diesem Komplex Wien 1945 davor/danach. Hrsg. Liesbeth Waechter-Böhm (Wien: Brandstätter, 1985) und Ruth Beckermann, Unzuaehörig (Wien: Locker, 1989). 3 Vgl. dazu Daviau, bes. 29ff. Seltsamerweise griff man auf die erste Republik— den Staat, den angeblich keiner wollte— zurück (vgl. Helmut Andics, Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918-1943 (Wien: Molden, 1968)). Vgl. dazu auch Claudio Magris' bekanntes Werk Der habsburqische Mythos in der österreichischen Literatur (Salzburg: Müller, 1966).

4 Erst ab Mitte der 60er Jahre kam es zu Verschiebungen im Machtverhältnis. Ein Beispiel für den status quoi "För­ derungspreise ergingen vor allem an die ältere Generation: zwischen 1955 und 1966 erhielten u.a. Franz Nabl, Heimito von Doderer, Carl Zuckmayer, Albert Paris Gütersloh und Fritz Hochwälder den Großen Österreichischen Staatspreis" (Jutta Landa, Bürgerliches Schocktheater (Frankfurt/Main: Athenäum, 1988) 11; dort sind mehr Beispiele angeführt) . Vgl. auch Goltschnigg/Bartsch zum Literaturbetrieb in Österreich (Zmegac, 698-701).

5 Aus "Gruß des Dichters", erschienen am 17. Oktober 1945 in der einflußreichen konservativen Monatsschrift Der Turm (vgl. Daviau, 33) . Zitiert nach Hans Heinz Hahnl, "Revolution und/oder Restauration? Kulturpolitik im 46 Österreich der sogenannten Stunde Null", Wien 1945 davor/danach. 93. 6 Bezeichnenderweise fällt das Entstehen und Wirken der Wiener Gruppe in diese Zeit der neugewonnenen Selbständigkeit, in welcher der Staat ein neues Selbstverständnis entwickelte. 7 Proporz bedeutete u.a. die ausgewogene Verteilung von politischen Ämtern, d.h. weder die eine noch die andere Partei hatte viel Bewegungsfreiheit.— Österreich erlebte, wie West­ deutschland, ein "Wirtschaftswunder". Das Hauptinteresse des größten Teils der Bevölkerung galt dem materiellen Wohlstand. 8 Vgl. die Rezeption von H.C. Artmanns überraschend erfolgreichem Band mit Dialektgedichen med ana schwoazzn dintn (Salzburg: Müller, 1958). Die experimentelle Verwendung der Wiener Mundart verkennend und mißverstehend, wurde dieses Werk von einem Publikum gelesen, das ansonsten für den Autor, seine Freunde und deren Werk wenig übrig hatte. Artmanns, Achleit­ ners und Rühms hosn rosn baa (Wien: Frick, 1959) enthielt ebenfalls Dialektgedichte, jedoch waren diese zu offensicht­ lich "experimentell" und wurden kein Erfolg. Andererseits war selbst die dintn als Experiment— der Dialekt als bestimmter, manipulierbarer Ausdrucksbereich— geplant. Rühm stellt die Gruppe in einen Generationskonflikt der Jungen gegen die Alten (Wiener Gruppe. 7/8).

9 Ich gebrauche den Begriff Avantgarde sehr locker, im Sinne von "Themen und Methoden verwendend, die erst später zum Gemeingut werden". Zu Avantgarde allgemein siehe Peter Bür­ ger, Theorie der Avantgarde (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1974), zur Kritik "Aporien der Avantgarde", Einzelheiten (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1962) 290-315. Als neueres Beispiel siehe Joseph Strelka, der von der Nachkriegs­ avantgarde wenig hält ("The Austrian Literary Avant-Garde 1880-1980", Modern Austrian Literature 1 (1989): 93-106). 10 Alfred Kolleritsch, "was wird um uns gespielt?", manuskripte. 4 (1962), Umschlagtext. Zitiert nach Landa, Schocktheater. 57. Der ganze Text ist in Manfred Mixner, "Ausbruch aus der Provinz", Drews/Laemmle, 25 abgedruckt. 11 Vgl. Kindlers-Ö. 91, oder Rühm, Konrad Baver. 347. Wieland Schmied war vielleicht kein Konservativer, aber die Wiener Gruppe sah in dem in dem Aufsatz vertretenen Programm eine Gegenposition zu ihrer, eine Strömung, die sie verach­ tete. Sie waren eingeladen worden, dazu beizutragen. Von wirklich konservativer Seite ergingen Einladungen zur Mitar­ beit an Veröffentlichungen erst gar nicht. Vgl. einige Bei­ spiele im Text unten. 47

12 Das ist voll Hans Carl Laertes; niemand sagt das, er ist "H.C." Artmann.

13 Vgl. RUhm in Wiener Gruppe. 26. Um Mißverständnissen vorzubeugen: die Gruppe wurde nicht so nach Oswald Wiener benannt. 1958 wird oft als offizielles Anfangsjahr genannt, aber es entspricht den Tatsachen wohl eher, 1958 und 1959 als Höhepunkte zu bezeichnen, da die Gruppe zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre bestand (vgl. Butler, 237; manche Autoren nennen diese Jahre als Ende). In der Literatur findet man Daten für das Bestehen der Gruppe von 1952 (nach Bayer) bis 19 64 (nach Rühm) . Es ist ironisch, daß die Wiener Gruppe erst in der Presse beachtet wurde als sich bereits Auflösungser­ scheinungen zeigten. Im selben Jahr, 1958, erschien Artmanns med ana schwoazzn dintn. die seinen Ausstieg markiert. Siehe auch Dorothea Zeemanns Erinnerungen über sich, Heimito von Doderer und die Wiener Gruppe (Jungfrau und Reptil (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1982); besonders 88-93 und 115- 6). Sie rezensierte später— drei Jahre nach dem Erscheinen- -die Verbesserung für die Arbeiterzeitung (17. Dezember 1972) . In der politisch progressiven (i.e. "linken") Sozialge­ schichte wird soweit gegangen, die Gruppe eine "literarische Kooperative" zu nennen (741). Hilde Spiel bezeichnet sie als Schriftsteller-Kollektiv, ebenso ein etwas unglücklicher Aus­ druck ("Das literarische Wien", Spiel, Spektrum. 216). Das dürfte dem Selbstverständnis der Gruppenmitglieder zuwider­ laufen; wenn, dann könnte man sie vielleicht Clique nennen (wie Rühm selbst es macht in Konrad Baver. 348— dort aber in Anführungszeichen). Es gab noch einige Künstler wie z.B. Ernst Jandl, Friederike Mayröcker oder Andreas Okopenko, die sich im "Dunstkreis" der Gruppe bewegten, aber nicht wirklich zu ihr gehörten. Auch bildende Künstler zählten zum Freundeskreis, z.B. Maria Lassnig, eine langjährige Freundin Oswald Wieners.

14 Wie das Gerhard Melzer tut, Zmegac, 752.

15 Rühm in Wiener Gruppe. 9 und ähnlich in Konrad Baver. 8 . 16 Offensichtlich spielte die Hauptstadt Wien lange Zeit die zentrale Rolle auch in der Entwicklung der Literatur Österreichs. Alles war in ihr konzentriert, sie war kulturel­ ler Mittelpunkt. Über Wien als Zentrum, Provinzialität in Österreich, und zur Gruppenbildung vgl. Janetzki, Alphabet und Welt. 11-13.

17 Zur Benennung und Konstitution als "Gruppe" ex nega- tivo führt Rühm aus: "die gruppierung ergab sich keineswegs aus einem definierten programm, sondern vor allem auf grund persönlicher Sympathien und wohltuender Übereinstimmung. 48 (...) es brauchte nichts festgelegt werden, denn wir verstan­ den uns. (...) und eben die kluft zwischen unseren kritikern oder fehlenden kriterien unserer kollegen setzte uns von ihnen als "gruppe" ab." (Wiener Gruppe. 12/13). Peter Demetz' Be­ obachtungen in "Austria: Society and Literary Life" (181) sind weitgehend unzutreffend, so seine Behauptung: "It is difficult to define the program of what was later called the Wiener Gruppe (Vienna Group), a loose and shifting gathering of friends that attracted public attention by the late 1940s but dispersed in 1964-mostly to West Germany, where rieh radio stations and more courageous publishers were eager to support experimental literature". Kein Wunder, daß es ihm schwer­ fällt, das Programm der Wiener auszumachen: es gab nämlich keins— siehe oben. Die Gruppe war keineswegs ' a loose and shifting gathering of friends': lose vielleicht, aber keines­ falls mit ständig wechselnder Besetzung. Weder hat die Gruppe in den späten 4 0ern Aufmerksamkeit erregt— das geschah in den 50ern— noch zerstreute sie sich 1964— das begann schon viel früher. Demetz schießt auch in seinem Schlußsatz daneben: "The Group still preferred surrealism to Herbert Marcuse, craft to Hegelian concepts; in spite of what German radicals now say, it is only fair to argue that the Group kept alive a restless analytical bent of mind essential to new art and good politics" (182). Diese Gegenüberstellungen und Schein­ widersprüche sagen mehr über Demetz' Opposition als die Sache aus. Es gibt auch keine "German radicals", die behaupteten, was er unterstellt. Solche Fehlbeurteilungen sind typisch für andere Behauptungen in Demetz' Buch. Nach dem Zweiten Welt­ krieg gab es in West-Berlin keinen 'socialist mayor' (187), sondern Sozialdemokraten, z.B. Willy Brandt. Ulrike Meinhof schrieb vor ihrer Wende zum Terrorismus Beiträge in der Zeit­ schrift konkret, keinesfalls aber war es, wie Demetz unter­ stellt, 'ihre' Zeitschrift (69). Keith Bullivant schätzt Demetz' Buch— weil er dessen politische Meinung teilt: "(...) but my view of Grass in the 1970s is supported by Peter Demetz in his excellent After The Fires (1986) (...)" ("Foreword", After The "Death of Literature". West German Writina of the 1970s. Hrsg. Keith Bullivant (Oxford: Berg, 1989) IX) .

18 Wiener beschreibt die Cabarets in seinem Aufsatz "das •literarische cabaret' der wiener gruppe" etwas ausführlicher (Wiener Gruppe. 401-19). Peter Weibel und Valie Exports in­ formatives Bildkompendium dokumentiert die Aktivitäten der Wiener Gruppe und vor allem des Wiener Aktionismus in Wort und Bild. Rainer Nägele urteilt über die Cabarets bzw. die skan- dalisierte Bevölkerung: "... erregte man Skandale in der Öffentlichkeit, die wohl ihren Frieden mit der faschistischen Vergangenheit gemacht hatte, hier aber erregt den Untergang des Abendlandes gekommen sah" (Frösche. 33). Artmann hatte an den Cabarets nicht teilgenommen (Rühm in Wiener Gruppe. 25) . Die Cabarets, bei denen Heimito von Doderer und Dorothea 49

Zeemann anwesend waren, führten zu Zeemanns Rezension (vgl. ausführlicher dazu Zeemann, Jungfrau und Reptil. 88-93). 19 H.C. Artmann bestreitet, daß es jemals eine Wiener Gruppe gegeben hat; sie sei eine journalistische Erfindung gewesen (Schmölzer, 23/4) . Das mag zu einem gewissen Grad richtig sein, ändert aber nichts an der Tatsache, daß zumin­ dest die anderen Mitglieder— vor allem Rühm— sich durchaus mit dieser Bezeichnung abgefunden haben. Außerdem wurden diese Schriftsteller nichtsdestoweniger so identifiziert. Auch Oswald Wiener scheint mit diesem Terminus nicht zufrieden zu sein; vgl. Fußnote 1 zu "Wittgensteins Einfluß auf die Wiener Gruppe". Buchebner, Die Wiener Gruppe. 59. 20 , Harald Hartung, Experimentelle Literatur und konkrete Poesie (Göttingen: Vandenhoeck, 1975) 35.

21 Siehe Butler, "From the 'Wiener Gruppe' to Ernst Jandl", 239ff. 22 Wiener war mehr theoretisch ausgerichtet. Es über­ rascht nicht, daß er angeblich anfänglich keine literarischen Ambitionen hatte, wie Janetzki erwähnt (Alphabet und Welt. 11/2) , daß er einen Teil seines Werkes vernichtete, daß er zur Einstellung der literarischen Produktion aufforderte, und es selbst befolgte (und dabei nur den insgesamt kleinsten Teil literarischer Werke der Gruppe beitrug; von daher ist es wie­ der weniger verwunderlich, daß er oft gar nicht zur Wiener Gruppe gerechnet wird) und bisher der "Literatur" fernblieb. Er sah sich wohl nicht als "Schriftsteller". 23 Mit der Erklärung, daß es ihm darum gegangen sei, mit und nicht nur in der Sprache zu arbeiten, setzt Rühm sich vom Konstruktivismus der Surrealisten ab (Wiener Gruppe. 9). Er und Achleitner sahen sich als Sprachingenieure und Sprachprag- matiker.

24 Man kann verschiedene Enddaten ansetzen: Artmanns "Ausstieg" um 1958, die Aufführung der (vor allem auf Betrei­ ben Bayers vorgeführten) "Kinderoper" (an der Artmann nicht teilnahm), oder Bayers Tod. Janetzki (Alphabet und Welt. 36) und Weibel/Export (Bild­ kompendium. 284) berichten, daß Achleitner angeblich bei der Aufführung der "Kinderoper" eigentlich gar nicht mitmachen wollte. Diese fand im Nachtlokal Chattanooga statt, "im Bei­ sein und unter Einbeziehung Heimito von Doderers" (Kindlers- Ö, 91; auch Zeemann, 88-93 (dort auch eine Beschreibung, 115/6)). Rühm zog (laut Kindlers-Ö. 92) zwei Tage nach der Auf­ führung nach Berlin. Artmann hatte Wien bereits 1960 50 verlassen (Hilde Spiel, "Das literarische Wien", Spiel, Spektrum. 217). Artmann wird manchmal— fälschlich— als Hauptfigur und Verantwortlicher für die Happenings, Cabarets usw. genannt, z.B. in Berg et.al., Sozialaeschichte. 741. Zur Auflösung vgl. die Kommentare von Bayer und Rühm fKonrad Baver. 346-8; dort auch über Artmanns Anteil an der Gruppe, die Vorfälle mit dem "Ausschluß" Artmanns und Bayers Portrait).

25 Vgl. Sozialaeschichte. 740: "Der Begriff Konkrete Poesie (.....) wurde 1955 auf einem Treffen zwischen Döcio Pignatari, Mitglied der brasilianischen Gruppe "Noigandres", und dem damals in Ulm lebenden Eugen Gomringer geprägt". Über die "Konkrete Poesie" gibt es eine Bezug zur sogenannten "Stuttgarter Gruppe": Wiener (u.a.) hatte(n) Kontakte in Stuttgart. Der Stuttgarter Mayer-Verlag veröffentlicht die schastrommel und diter rot (oder Dieter Roth), Wiener schreibt einen begleitenden Aufsatz zu Roths Die übliche Scheiße. Zwei "Ideogramme" Wieners sind in Gomringers konkrete poesie 3; Ideogramme (Frauenfeld: Gomringer [1961]) abgedruckt, und er wird eingeladen, zu der Antholoqv of Concrete Poetry beizutra­ gen (New York: Soraething Else, 1967; Hrsg. Emmett Williams; Wiener trägt nicht bei, vgl. seinen Brief an Emmett Williams) .

26 Als wichtigstes Beispiel dafür muß Artmanns med ana schwoazzn dintn erwähnt werden. Butler (242) bemerkt, daß diese— äußerst erfolgreiche Publikation— den Punkt markiert, an dem sich Artmann von der Gruppe zu lösen beginnt. Er nahm z.B. an den "literarischen cabarets" nicht teil. Sie war jedenfalls eine der wenigen— wenn nicht gar die einzige er­ folgreiche— Publikation aus dem Kontext der Wiener Gruppe. Vielleicht zeigen sich bereits in der Tatsache, daß Art­ mann bei Suhrkamp verlegt wurde, alle anderen Mitglieder hin­ gegen bei Rowohlt, die Differenzen in der Gruppe. Außerdem fand Artmann schon relativ früh Verleger, die anderen erst später, hauptsächlich ab 1965— und das mit Schwierigkeiten.

27 Inventionen sind die Resultate des "methodischen In­ ventionismus" , einer Art der methodischen Hervorbringung von Literatur, "die es jedem ermöglichen sollte zu dichten" (Wei­ bel/Export, 270) .

28 Siehe , Rühms Liste in , Wiener Gruppe. 9. Einige dieser Formen haben auf die eine oder andere Art und Weise Nieder­ schlag in Wieners Verbesserung gefunden.

29 Das Werk der Wiener Gruppe umfaßt deshalb nicht nur Literarisches im Sinne von sprachlichem Material, sondern auch Bilder, Photographien und anderes mehr. Alle Mittel und Tech­ niken waren natürlich "avantgardistisch" gedacht und dadurch 51 "offen". Die Neuausgabe der Wiener Gruppe enthält einige Bei­ spiele. In der Sekundärliteratur, z.B. in Zmegac oder in der Sozialaeschichte. wird der Wiener Gruppe daher oft eine geson­ derte Betrachtung als Ausnahme-Phänomen gewidmet. Anderer­ seits, z.B. in Kindlers, Die Literatur Österreichs, wird sie unter verschiedenen Gattungen, wie Lyrik, Roman, Prosa oder Hörspiel, aufgelistet und besprochen, was unglücklicherweise die gattungsübergreifende Arbeitsweise völlig vernachlässigt. 30 Weibel/Export, 243.

31 Als Beispiel sei auf das Zitat von Lernet-Holenia verwiesen. 32 Vgl. hierzu Berg et.al., Sozialaeschichte. Unver­ ständlich z.B. ist, daß bei der Diskussion der Werke der Wie­ ner Gruppe auf Einzelveröffentlichungen und nicht den ihnen bekannten Band Wiener Gruppe zurückgegriffen wird.

33 Vgl. z.B. Weibel/Export oder die Vorkommnisse um die Aufführung von Wolfgang Bauers Magic Afternoon in Graz (siehe Text und Kritik - Wolfaana Bauer. Hrsg. Gerhard Melzer (Mün­ chen: Text & Kritik, 1978)). Auch historisch-politische Gründe mögen eine Rolle ge­ spielt haben: es kann wohl sein, daß man nach dem 2. Weltkrieg nicht auch noch sein Verständnis von Literatur zerstört sehen wollte (worauf die Bemühungen der Wiener Gruppe ebenso wie der Grazer Gruppe hinausliefen, die eine der Zeit angemessene Dar­ stellung versuchten, sowohl thematisch als auch formal; ähn­ lich z.B. die These, während des Krieges seien Gedichte vor­ wiegend in "klassischen" Formen wie z.B. dem Sonnett verfaßt worden, um so künstlerisch das Chaos zu ordnen und Form in die Welt zu bringen).

34 Vgl. Weibel/Export. Alle Vorführungen der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus waren explizit gegen das bürgerliche Kunstverständnis gerichtet, wie etwa aus Wieners Manifest hervorgeht (Weibel/Export, 205). 3 5 Langfristig führte das zur Abwanderung vieler Künst­ ler. Einige der am Wiener Aktionismus Beteiligten lebten für längere Zeit oder leben noch außerhalb Österreichs, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland (Nitsch, Brus, Weibel u.a.). Für Mitglieder der Wiener Gruppe: Rühm lebt(e) in , Artmann in Malmö (jetzt in Salzburg), Wiener in Kanada.

36 Vgl. z.B. Wiener Gruppe. 26, Daviau, 44. Das Kapitel Purim. Ein Fest aus Wieners Verbesserung ist Doderer gewid­ met. Er verfaßte das Vorwort zu Achleitner, Artmann und Rühms Band mit Dialektgedichten hosn rosn baa (vgl. dazu Bauer, Frösche. 231). Wir dürfen annehmen, daß der konservative 52

Doderer nicht schlechterdings für die Gruppe war und sicher seine eigenen Motive hatte, sie zu unterstützen; dennoch war er bereit, das zu tun; vgl. Zeemann, Jungfrau und Reptil, be­ sonders 88-93. Er hat übrigens auch am 4. November 1960 bei der Eröffnungsveranstaltung des Grazer Forum Stadtpark vor­ gelesen (vgl. Mixner in Drews/Laemmle, 16, oder Demetz, 187). 37 Vgl. Wort in der Zeit 7/8 (1964), 1-8, 11 (1964), 1- 7.

38 Vgl. Andreas Okopenko, “Der Fall 'Neue Wege'", Auf­ forderung zum Mißtrauen. Hrsg. Otto Breicha & Gerhard Fritsch (Salzburg: Residenz, 1967) 279-304, oder Butler, 237, Zemgac, 705, und Innerhofer, 18/9 (mit Fußnoten). Dort auch weitere Literaturangaben. 39 Im Vorwort zur Wiener Gruppe? dies sei u.a. auch ein Grund für seine Auswanderung gewesen. Hilde Spiel kommentiert hierzu richtig: "Aber der Mangel an offizieller Patronage dürfte eine Avantgarde, die etwas auf sich hält, nicht kopf­ scheu machen" , "Das literarische Wien", Spiel, Spektrum. 217.

40 Letztere bekannten sich anfangs vor allem zu Max Stirner, der in Der Einzelne und sein Eigentum den Individual­ anarchismus propagierte. Sie hatten ebenfalls große Sympathi­ en für (u.a.) Antonin Artaud oder Walter Serner (mehr dazu in Wiener Gruppe und Janetzki, Alphabet und Weltl. Im Interview mit Friedrich Geyrhofer führt Wiener aus, daß Stirner— ent­ gegen des Anscheins— nicht 'das' große Vorbild gewesen sei. Wiener teilt mit, er wäre unterwegs zu einer neuen Anar­ chie gewesen, und bezeichnet sich als "Student eines neuen Anarchismus" (Wiener Gruppe. 4 02). Vor diesem Hintergrund- -sprach-philosophischer Kritik, politischem Anarchismus, und wohl genereller Kulturkritik und Kulturpessimismus— ist es nicht überraschend, daß sich Wiener in die kanadische Wildnis zurückgezogen hat.

41 Beide— Proklamation und Manifest— sind zu finden in H.C. Artmann, Best of H.C. Artmann (Frankfurt: Suhrkamp, 1970) 367-8 bzw. 363-4, oder in Rühms Vorwort zu Wiener Gruppe. 10 bzw. 18-20. Zu Artmanns Politikverständnis vgl. u.a. "Inter­ view mit H.C. Artmann", Die Tiefe der Tinte. Hrsg. Harald Friedl (Salzburg: Grauwerte im IAK, 1990) 80-82.

42 Wiener Gruppe. 7.

43 Vgl. zu diesem Komplex auch die Studie von Ihrig Über Literarische Avantgarde, in der Bayer und Wiener Kapitel ge­ widmet sind.

I' . 53 Oswald Wiener meint mit einer Prise Selbstlob (Selbstkritik?), er sei Uber die Wiener Gruppe hinausgewach­ sen, habe sich weiterentwickelt. Er distanziert sich von dieser Phase fWiener Gruppe. 418). Nach einer Schaffenspause begann er mit der Verbesserung. 45 Zum Wiener Aktionismus siehe Weibel/Exports Bildkom­ pendium. Protokolle 70 (1970), und Kindlers-ö. 630-4. Es gab personelle Zusammenhänge, z.B. geben Kaltenbeck, Wiener und Weibel Automata Studies heraus, Kaltenbeck schreibt eine Kri­ tik zu Wieners Verbesserung. und Weibel gibt das Bildkompen­ dium und zuletzt Wieners Probleme der künstlichen Intelligenz heraus. Valie Export, die viel mit Weibel zusammenarbeitete, dreht einen Film über Wiener, und Maria Lassnig malt Wieners Portrait und Bilder nach Wieners Vorschlägen und Anweisungen. 46 Hermann Nitsch erklärt, das Wort "Aktion*1 in Aktio­ nismus käme von action painting (Schmölzer, Das böse Wien. 143) . 47 Löwe 1 (1974) : 15/6. Siehe die Bibliographie für Angaben zu Nitschs Buch.

48 Das Zitat ist aus dem Interview mit Friedrich Geyr- hofer; zitiert nach Landa, Schocktheater. 49.

49 In Kindlers-Ö. 632. Vgl. auch die Aufsätze von Wunderlich, Dvorak, Mühl, Brus, und Nitschs Buch (Angaben siehe Bibliographie). 50 Kindlers-ö. 109. Zu diesem Kommentar ist anzumerken: 1. Eine Österreicherin hat das geschrieben, daher der— inhaltlich unzutreffende— Seitenhieb auf Deutschland; die Aktionisten hatten auch solche "bitter ernste" Anhänger in Österreich; 2. Wiener war keine Zentralfigur des Aktionismus; 3. Man kann auch Außenseiter sein wollen. 51 Kindlers-Ö. 632.

52 Vor allem bei Rudolf Schwarzkogler, der einen * Gehil­ . fen zu diesem Zweck hatte. 53 Verursacht durch diese Veröffentlichung wurden 1971 beide aufgrund des Pornographieparagraphen zu zwei Monaten Kerker auf Bewährung verurteilt (siehe Schmölzer, Das böse Wien. 214/5). Bereits 1970 war eine Nummer der österreichi­ schen Literaturzeitschrift Protokolle dem Wiener Aktionismus gewidmet. Diese und das Bildkompendium desselben Jahres geben einen ausgezeicheten, fast abschließenden Einblick. 54 54 Es ist schwierig, diese Vorfälle— besonders, wenn man sie selbst nur von Bild- oder Textdokumenten kennt— in der Be­ schreibung nachzuvollziehen. 55 Weibel/Export, n.p. [=312].

54 "Vorwort" (Deutsch und Englisch) zu Hermann Nitsch, Orgien Mysterien Theater {Darmstadt: März, 1969) 21-3. 57 Weibel/Export, 262/3.

58 Vgl. Peter M. Lingens, "Der Uni-Prozeß", Weibel/Ex­ port, 223.

59 Vgl. z.B. Peter Weibels Aufsätze in seinem Kritik der Kunst— Kunst der Kritik (Wien/München: Jugend & Volk, 1973), vor allem "Von den Möglichkeiten einer Nicht-Affirmativen Kunst" (35-50), oder das etwas wirre und somit aufschlußreiche Interview mit Peter Weibel und Valie Export in Schmölzer, Das böse Wien. 177-92, besonders 189/90. 60 Landa, Schocktheater. 50. Jutta Landa weist jedoch auch auf einen positiven Aspekt selbst dieser Situation hin: "Darüberhinaus zwingt Provokation den Provozierten zum Be­ kenntnis des eigenen ideologischen Standpunkts, mitunter zur unverhüllten Exposition eines erschreckenden Aggressionspoten­ tials", Schocktheater. 159.

61 Vgl. z.B. Eintrag "Orgien Mysterien Theater" in Du- Mont's kleines Sachwörterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Hrsg. Karin Thomas (Köln: DuMont Schauberg, 1973).

62 Vgl. dazu Peter Weibel, "Von den Möglichkeiten einer Nicht-Affirmativen Kunst", Kritik der Kunst. Kunst der Kritik. 41/2. Er spricht dort davon, dem gesellschaftlichem Terror müsse mit künstlerischem Terror begegnet werden.

63 Dieses Wort wurde m Leserbriefen gebraucht. Vgl. Manfred Mixner, "Ausbruch aus der Provinz", Drews/Laemmle, 13- 28, bes. 19/20, und Andreas Okopenko, "Der Fall Neue Wege", Aufforderung zum Mißtrauen. 299.

64 Weibel/Export, 251.

65 Wiener schreibt über Pläne für das "1. Literarische Cabaret", daß man dem Publikum Maschinengewehre geben wollte, um es zu "Handelnden" des Stückes zu machen (Wiener Gruppe. 404). Vgl. dazu die Beschreibung des Happenings in der Ver­ besserung. Die Manipulation des Publikums bzw. der Öffent­ lichkeit war wichtig; ebenso wurde Grobheit als wichtiger 55 Bestandteil gesehen (Wiener in Wiener Gruppe. 415; dazu auch Ihrig, Literarische Avantgarde, und Geyrhofer, "Staatsfeind") . 66 Zmegac, 699/700. Das Zitat am Ende des Zitats ist übrigens von dem Schauspieler, Schrifsteiler, Kabarettisten und Satiriker Helmut Qualtinger, der dem Äktionismus wenig gesonnen war (Schmölzer, Das böse Wien. 158). In einer Re­ zension von Elfriede Jelineks im Österreich der Nachkriegs­ jahrzehnte spielenden Roman Die Ausgesperrten beschreibt Heinz Sichrovsky mit eindeutigen, negativen Anspielungen dessen Pro­ tagonisten. Dieser sei ein "Künstlertyp, der in Österreich auffallend häufig zu finden ist: Des unpolitisch Einsamen, der große Taten zu vollbringen glaubt. Des aus dem Mittelstand kommenden maßlosen Alkoholikers. Des Aktionisten, der im Kampf gegen die Alltäglichkeit stolz sein Häufchen auf Univer­ sitätstische setzt" (Arbeiter Zeitung Wien. 17.11.1979: 8- 9) . ihrerseits sieht den Aktionismus durch­ aus positiv; vgl. "Interview mit Elfriede Jelinek", Die Tiefe der Tinte. 37/8. 67 Vgl. Spiegel 19 (1989): 200-4; Kindlers-ö. 633.

Zur Kritik an Aktionismus und in dessen Umkreis stehenden Kunstformen siehe auch Peter Schneider, "Zerhackte Klaviere und andere Sachen", Atempause (Reinbek: Rowohlt, 1977) 87-100. KAPITEL III DIE VERBESSERUNG VON MITTELEUROPA. ROMAN

Experimentelle Literatur

Die Werke der Wiener Gruppe ebenso wie die Verbesserung werden zur sogenannten "experimentellen Literatur" gerechnet. Der historische Hintergrund für experimentelle Literatur— als Teil der "modernen" Literatur dieses Jahrhunderts— ist das Aufkommen des "wissenschaftlichen Zeitalters" seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Gemeint ist damit der durch wissenschaftliche Betrachtungsweisen der Welt bedingte, oft beschworene Verlust einer einheitlichen Weltauffassung und einer gemeinsamen, festen Wirklichkeit im 20. Jahrhundert.

Die traditionellen literarischen Mittel zur Erfassung von

Realität und zum Ausdruck eines gewandelten Lebensgefühls entsprachen nicht mehr der Zeit und änderten sich dementspre­ chend. Das bedeutete, daß sie zum einen wissenschaftlich, zum anderen fragmentarisch wurden (was später mit experimentell gleichgesetzt wurde) . Ein anderer Anspruch moderner Literatur war, daß sie— wie Wissenschaft— durch Reflexion über sich und die Welt "Erkenntnis" produzieren sollte. Diese Erkenntnis war selbstverständlich anderer Art als naturwissenschaftliche.

56 Für den Roman hieß das: seine wie auch immer fragmentari­ sche Form entspricht dem Fragment Welt, die nicht mehr (auch nicht in Ausschnitten) als Ganzes, Abgeschlossenes und Ein­ heitliches erfaßbar ist und nicht mehr entsprechend wieder­ gegeben werden kann1. Ähnliches gilt für die Sprache, die ebenfalls nicht mehr Realität per se erfassen kann und ihren Anspruch auf Absolutheit und Unhinterfragbarkeit verliert.

Die traditionelle epische Darstellung entsprach dem neuen Weltbild nicht mehr und büßte ihre Rolle zunehmend ein. "Experimentelle Literatur" war eine heute bereits histo­ rische Phase der modernen Literatur; ihre Blüte war vor allem die Nachkriegszeit bis etwa 1975 und umfaßte verschiedene Phasen, deren bekannteste die konkrete Dichtung ist. Ihre

Wurzeln hat experimentelle Literatur in der sprachreflektie­ renden und sprachkritischen Literatur im Allgemeinen, etwa bei Hamann, Herder und Humboldt. In ihr zeigt sich die starke

Wirkung des linguistic turn, der Hinwendung auf Sprache als dem Untersuchungsgegenstand der Philosophie, wie sie vor allem zur Mitte des 20. Jahrhunderts aktuell wurde, besonders durch

Ludwig Wittgenstein, dessen Werk einen weitreichenden Einfluß hatte. Selbstverständlich steht auch Wittgenstein in einer Tradition, die sich von Hamann bis Mauthner und weiter spannt.

Es ist offensichtlich, daß die Literatur, deren Material und Medium ja die Sprache ist, davon betroffen war. Experimentel­ le Literatur zeichnet sich durch Experimente vor allem in und mit der Sprache, aber auch mit literarischen Formen, die als überholt angesehen wurden, aus. Helmut Heißenbüttel definiert demgemäß "experimentell'* als Erprobung der Möglichkeiten der

Sprache im wissenschaftlichen Sinne2. Sprache wurde dabei als ein von jeglichem Wirklichkeitsbezug abgelöstes Zeichensystem verstanden. Die Betrachtung von Inhalten trat dabei oftmals zurück. Ähnlich wie in der Wissenschaft, weiß man auch beim literarischen Experimentieren nicht, was das Resultat sein wird. Ein wichtiges Anliegen experimenteller Literatur war die ästhetische Revolte. Erzählerische Aspekte wurden ver­

ändert, alte, traditionelle Formen aufgebrochen. Die Autoren der experimentellen Literatur benutzten hauptsächlich Kurz­ formen, allen voran das (konkrete) Gedicht, nicht zuletzt da diese sich am tragfähigsten erwiesen. Gerhard Priessnitz und

Mechthild Rausch konstatieren, die experimentelle literatur kennzeichnet ferner, daß sie auf die etablierten großformen oder gattungen in der re- gel verzichtet, sie tut dies nicht aus Willkür, sondern deshalb, weil diese mit ihren methoden nicht vereinbar sind.

In der Tat wurden Entscheidungen über Methode vor solchen über

Form gestellt. So sprach man z.B. von "Texten" und nicht mehr von "Literatur" bzw. in Gattungsbegriffen4. Für die Wiener-

Gruppe trifft das, wenn auch mit Einschränkungen, zu. Zu den bevorzugten Mitteln gehörten Montagen, Zitate, Aleatorik und Permutationen ("aleatorisch" kommt von würfeln und bezeichnet den Einschluß von Zufallselementen5; Permutationen heißen

Textänderungen nach vorgegebenen Prinzipien). Eine weitere

Prämisse war die Abschaffung nicht nur des Erzählers, sondern 59 des "Erzählens” selbst zugunsten der Diskussion intellektuel­ ler Gehalte6.

Experimentelle Literatur wurde von der traditionellen Kritik als zu kopflastig, "unrealistisch", ja unverständlich kritisiert (und das gilt auch für die Verbesserung!7. Von einem politischen Ansatz aus wurden die Versuche experimentel­ ler Autoren als unkritisch, kooptiert, als nur reproduzierend statt kritisierend, als Widerspiegelung statt als Veränderung, oder schlicht mit dem Etikett "kleinbürgerlich" versehen zu­ rückgewiesen. Darüber hinaus wurde sie oft als allzu narzis- sistisch mit sich selbst beschäftigt, selbstreflexiv, sich selbst als Thema nehmend (und dabei verbleibend) abgelehnt. Ein Hauptpunkt der Kritik betraf die Beschränkung auf Sprache als Material und die Aussparung der Wirklichkeit, da dabei der tatsächliche Sprachgebrauch außer Betracht blieb und Bezüge zur Existenz verneint wurden. Das primär sprachlich-formale

Anliegen wurde dem Ziel einer Realitätsbeschreibung und Be­ wußtseinsveränderung, die oft als Anliegen der Literatur ge­ sehen wurden, als unzureichend bzw. abträglich empfunden. Bodo Heimann bringt die Kritik auf den Punkt:

Es [das Dilemma, HK] zeigt sich auch darin, daß sich die Bewältigung von Wirklichkeit zunehmend auf das Problem der Bewältigung von Sprache reduziert. Existenzprobleme werden zu semantischen Problemen.

Tatsächlich ist fraglich, ob durch solche Literatur Bewußt­ seinsveränderung— via Sensibilisierung für Sprache— erzielt werden kann, ob sie also gesellschaftskritisch wirksam zu sein vermag, oder ob— wie ihr vorgeworfen wird— die experimentellen Methoden letztlich nur formale Spielereien bleiben9.

Oswald Wieners 1969 in der Buchausgabe erschienener Text Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman10 wird in literarge- schichtlich-kritischen Darstellungen zu recht als ein Parade­ beispiel für ein extrem experimentelles Werk angeführt. Der Roman paßt in vielem zur literarischen und politischen Zeit­ stimmung und Zeitströmung. In bestimmten Punkten weicht er aber dennoch ab, wie ein genauerer Blick zeigt.

Wiener hat die Verbesserung 1962, zwei Jahre vor dem Ende der Wiener Gruppe, zu schreiben begonnen. Obwohl er sich von seinen damaligen Werken distanzierte, geht der Roman aus den Produktionen der Wiener Gruppe hervor und ist in ihrem Zusam­ menhang als eine konstruktivistische Vereinigung vieler Mittel und Aspekte der Produktion der Gruppe zu sehen. Er trans­ zendiert sie aber auch und enthält Elemente aus dem Wiener

Aktionismus.

Wiener befaßte sich mit vielem, was zur Zeit des Entste­ hens der Verbesserung aktuell war: Linguistik (z.B. Edward Sapir und Bejamin Whorf), Psychologie (z.B. Ronald D. Laing),

Kybernetik, Informatik (Norbert Wiener) u.a. Er widmet sich in seinem "Roman" diesen und anderen Themen, z.B. der Philoso­ phie, Mathematik und Politik, geht aber nicht immer in weite­ ren Ausführungen auf sie ein, bleibt kursorisch. Insofern ist die Verbesserung ein "enzyklopädisches" Werk. 61 In der Verbesserung zeigt Wiener Zusammenhänge zwischen Sprache, Ideologie, und Literatur, und es geht um Reflexionen und Implikationen des Darstellungs-, Schreib- und Beschrei­ bungsversuches11. Sein Text ist eine Kritik der Sprache, des

Romans, und der Literatur, möglicherweise aber auch eine Ka­ pitulation vor den Mechanismen der Sprache. Inhaltlich geht Wiener auf Fragen zurück, die bereits von "nicht-experimentel­ len" Autoren vor ihm behandelt wurden, z.B. die Darstellung der Sprachkrise in Hugo von Hofmannsthals bekanntem Chandos- Brief von 1902. Manche dieser Fragen sind bei Wiener radika- lisiert, und er diskutiert etwa das Thema Sprache nicht nur, er verleiht seinem Zweifel auch explizit formalen Ausdruck.

Struktur und Aufbau Eine Darstellung des Aufbaus der Verbesserung wird eine

Vorstellung der äußeren Form des Werks vermitteln. Nimmt man

Fettdruck als Anhaltspunkt für eine Einteilung, dann lassen sich etwa folgende größere Abschnitte ausmachen:

1. personen- und Sachregister (auswahl), Inhaltsverzeichnis (I-X) 2. Vorwort (X-LV); darin eingeschoben: hymne an den erzengel (LV-LIX)

3. kernstücke zu einer experimentellen Vergangenheit (LXXIII- LXXXIX)

4. allah kherim! die erscheinungen sind gerettet, reportage vom fest der begriffe (LXXXIX-CII) 62 5. abbildung 4: der bruch zwischen lene und konrad (CII-CIV) 6. PURIM: ein fest (CV-CXV) 7. zwei Studien über das sitzen (CXV-CXXXIII) 8. notizen zum konzept des bio-adapters, essay (CXXXIV-CLIII) mit anmerkungen (CLIV-CLXXIV)

9. appendix A, der bio adapter (CLXXV-CLXXXIII)

10. appendix B (CLXXXV-CXC) 11. appendix C (CXCI)

12. literaturhinweise (CXCIII-CCVII) Schon diese (von mir konstruierte) Inhaltsübersicht läßt keinen traditionellen Roman erwarten, doch auch andere Aspekte verdeutlichen die Absicht des Autors, Erwartungen und Normen nicht zu erfüllen12. Der Bruch wird bereits beim Aufschlagen und flüchtigen Durchblättern sichtbar: wir sehen weder einen durchlaufenden Text noch weisen die abgedruckten Stücke eine ersichtliche Ordnung und Zuordnung zueinander auf. Wir finden z.B. eine Seite mit nur einem Satz (LXXXV: "alle menschen sollten gute freundinnen sein")13, eine leere Seite (CXXV), oder eine Seite mit übereinanderliegenden Buchstaben

(XCVII/XCVIII). Teilweise geht ein Teil ohne graphische Absetzung in einen anderen über, teilweise ist pro Seite nur eine Art Fragment dargeboten (halbbedruckt, der Abschnitt "kernstücke zu einer experimentellen Vergangenheit" etwa).

Verschiedenste Formen— auch traditionelle— werden gebraucht: alles von Aphorismen, Gedankensplitterartigem, scheinbar unzusammenhängenden Skizzen, Bruchstücken, einigermaßen in 63 sich abgeschlossenen Abschnitten ("hymne an den erzengel", LV-

LIX, oder "PURIM: ein fest", CV-CXV) bis zum Aufsatz über den Bio-Adapter14.

Das Buch beginnt mit einem dem Titel folgenden, dem Text vorangestellten Motto aus der Bibel (Johannes 19,22: "Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben", auf Griechisch). Das "Personen- und Sachregister" in "auswahl" ist eine zehn Seiten lange, unvollständige Liste der im Text vorkommenden Personen und Begriffe. Folgende Worte z.B. sind angeführt: begriff; denken; ding; ich; scheiße; spräche; weit; wort. Danach kommen die längeren, mehr oder weniger in sich abgeschlossenen Teile des Romans.

Der Text selbst beginnt mit dem "Vorwort", einer Sammlung von kurzen Abschnitten mit Gedanken zu allen möglichen Themen.

Ein beliebiges Beispiel daraus: die weit und ich, diese weit gehört mir, die weit eine Verbreiterung meiner kontinuität, die weit im wassertropfen mein kind lehrt uns gar manches glaub nicht, dass sie in der weit ist wie in einer Schachtel: das ist ein falsches bild. (XVI)

Die weiteren Abschnitte kann man entweder als Fortsetzungen des Vorworts oder als eigenständige Teile des Textes betrach­ ten. In letzterem Falle würde das Vorwort mit der Verkündi­ gung "der horla ist ein arschloch" ("hymne an den erzengel") auf LV enden. Der mehr oder weniger fortlaufende Text und das Fehlen eines eindeutig abgeschlossenen Vorworts können als

Indiz für Kontinuität, für einen durchgehenden, zusammengehö­ renden Text betrachtet werden. Auf dieser Grundlage ist der 64 größte Teil des Textes als Vorwort mit Unterteilungen anzuse­ hen (bis zu dem Aufsatz über den Bioadapter15) . Das Vorwort wäre dann der ganze Hauptteil. Letztlich macht es wenig aus, wie die Teile eingeordnet werden. Den Abschluß nach den drei Appendices A, B und C bilden umfangreiche "literaturhinweise" in Form einer seitenlangen, alphabetisch geordneten Auswahlbi­ bliographie von Wiener benutzter Werke16. Diese enthält viele obskure Texte, die Wieners Eklektizismus und die Breite seiner

Interessen zeigen. Einige wahllos herausgegriffene Einträge: bertrand, a . , gaspard de la nuit, paris 1943 (CXCIV) münsterberg, h., grundzüge der psychotechnik (CCI) teutsche arien etc. II bände, wien etc. 1927 (CCV) Für einen Roman sind Register, Anhänge, oder Literaturhinweise selbstverständlich ungewöhnlich17.

Auf kurze Inhaltsangaben für die einzelnen Teile muß verzichtet werden. Zum einen gibt es zuviele Abschnitte, zum anderen gibt es eine kontinuierliche Handlung ebensowenig wie ein Thema, das im linearen Diskurs auf gearbeitet wird und sich kompakt wiedergeben ließe. Es fehlt eine "Fabel'', und die einzelnen Teile des Textes sind weder durch eine durchlaufende

Handlung noch durch die Entwicklung von Protagonisten oder eines Charakters direkt miteinander verbunden, sondern besten­ falls im übergreifenden interpretatorischen Zusammenhang des

Ganzen. Ein Beispiel für ein Stück mit Personen und Handlung ist "abbildung 4: der bruch zwischen lene und konrad." (CII- CIV) . Zwar kommen an mehreren Stellen einige Personen vor, die öfter namentlich erwähnt werden (z.B. "Helga" oder "Günczler") , aber wir erfahren kaum etwas über sie. Damit sind zwei wichtige Ausgangskriterien des traditionellen Romans, Handlung und Personen, nicht eingehalten. Selbstver­

ständlich gibt es einen "Autor", ein erzählendes "Ich", und das ist Oswald Wiener. Dieses "Ich" äußert sich im Text in verschiedener Weise. In den Aphorismen des Vorworts spricht

Wiener, in anderen Teilen spricht er über sich (in der dritten Person, als "ossi", und manchmal überhöht als "metaoswald" oder "überoswald"). In wieder anderen Abschnitten bleibt er ausgeschaltet (etwa im "Essay") . Ungeachtet aller Verkleidun­ gen— in fingierten Tagebuchaufzeichnungen tritt er sogar als Frau in Erscheinung (LXXXIV, die ferienreise.)— ist jedoch

Wiener der im Grunde einzige "Protagonist" des Romans18. Aber auch dieses "Ich" gibt es nicht als einheitliche Person.

Bereits in dieser Form drückt sich Un- oder besser Anti­ traditionelles aus. Wie vielfach in der experimentellen Lite­ ratur wird der Geschichtenerzähler verabschiedet und Leserer­ wartungen— sowohl im Hinblick auf Inhalt als auch Form— werden konsequent unterlaufen. Dabei darf nicht vergessen werden, daß der Roman ursprünglich auch als Fortsetzungsroman erschien (fast komplett, bis auf kleinere nachträgliche Zu­ sätze)19. Dies unterstreicht ebenfalls die gewollte Anders­ artigkeit .

Das Druckbild weicht gleichfalls von der Konvention ab.

Die von der Wiener Gruppe und den Dichtern der Konkreten Poesie fast ausschließlich gebrauchte Kleinschreibung ist durchgehalten20, und die Paginierung statt in den üblichen arabischen Zahlen in römischen Ziffern vorgenommen (was nur geübten Lateinern ein leichtes Seitenfinden erlaubt; der Roman hat insgesamt 207 Seiten). Die Kleinschreibung— sonst in der

Literatur kaum oder gar nicht gebraucht, jedenfalls nicht in einem längeren Werk— sollte wohl diese propagieren21. Man findet gar eine Zeile im Frakturdruck: "dieser satz ist in fraktur gedruckt" (XCIV). Eine grammatikalische Eigenheit ist das Weglassen des Kommas, um Simultaneität auszudrücken, z.B.: "(...) als Stützpunkt für die errungenschaft einer eigenen

Wahrheit ein knoten ein feld." (XXIII, stell dir vor,). Die von der Norm abweichenden Brüche und "gags" wollen die Lektüre und die Gewöhnung erschweren, und ein Zug zum Elitären fehlt nicht 22 . Selbst die Buchausgabe als solche ist ungewöhnlich: angeblich habe Wiener eine schmucklose Ausgabe auf schlechtem, holzhaltigem Papier, das erst extra hergestellt werden mußte,

"verordnet"23. Wer eine Ausgabe von 1969 in die Hand nimmt, glaubt und bestätigt das gerne.

Offensichtlich ist das herkömmliche Kunstwerk für Wiener untragbar und kann nicht aufrecht erhalten werden. Die Grenze zwischen Literatur und Nicht-Literatur zu ziehen, ist kaum möglich, ja eben diese Unterscheidung wird entschieden in

Frage gestellt. So ist Wieners "Roman" ein Roman, weil diese Bezeichnung ausdrücklich Teil des Titels ist24. Sonst gibt er sich— vorsätzlich— als wissenschaftliche Abhandlung: wir ent­ decken z.B. ein Vorwort, ein Register, Fußnoten, einen 67 geschlossenen, wissenschaftlichen Aufsatz samt Anmerkungen ("notizen zum konzept des bio-adapters, essay"), und eine

Bibliographie. Ebenso präsentieren sich innerhalb des Werkes verschiedene Formen wie z.B. das Szenario für ein Happening "Purim", die Beschreibung eines Bleistifts, und eine Art

konkretes Gedicht (CXC). Im Text werden sich ausschließende Formen ineinander- und gegeneinandergesetzt. Dennoch ist die Bezeichnung "Roman" gerechtfertigt: zum einen will Wiener mit

dieser Bezeichnung seine Leser irritieren, zum anderen handelt es sich eben um eine moderne, experimentelle Spielart, die gerade die Grenzen und Problematik der Romanform darstellt.

Nach Simon Ryan ist die Verbesserung ein Anti-Roman, da sie

keine Mimesis der Welt mehr versuche. J.A. Cuddon definiert Anti-Roman wie folgt, und das meiste davon trifft— selbstver­

ständlich mit kleineren Abweichungen— auf die Verbesserung zu: This kind of fiction tends to be experimental and breaks with the traditional story-telling methods and form of the novel. Often there is little attempt to create an illusion of realism or naturalism for the reader. It establishes its own conventions and a different kind of realism which deters the reader from self-identification with the characters, yet at the same time persuades him •to participate' but not vicariously. (...) Some of the Principal features of the anti-novel are: lack of an obvious plot; diffused episode; minimal development of character; detailed surface analysis of objects; many repetitions; innumerable experiments with vocabulary, punctuation and syntax; variations of time seguence; alternative endings and beginnings. [] Some of the more extreme features are: detachable pages; pages which can be shuffled like cards; coloUred pages; blank pages; collage effects; drawings; hieroglyphics.

Somit kann man die Verbesserung als Anti-Roman einordnen.

Wiener geht allerdings nicht soweit, das Medium "Buch" zu 68 überschreiten. Trotz aller Abweichungen wird die Kritik in

einem Text, der in einer Literaturzeitschrift und als Buch veröffentlicht wurde, vorgetragen. Hans Mayer verteidigt die Bezeichnung "Roman” wie folgt: "Das Buch ist trotzdem ein "Roman", weil es geistiger Entwurf sein möchte, Konjektur"26.

Der "Roman" steht zwischen Wissenschaft und Literatur, er ist als Vereinigungsversuch beides, und zugleich eine De­ nunziation beider: der "Roman" ist (pseudo-) wissenschaft­

lich, die Wissenschaft erscheint als Roman27. Helmut Heißen­

büttel deklariert im siebten seiner "13 Sätze über Erzählen 1967": "Die Entwicklung eines philosophischen Gedankens oder einer wissenschaftlichen Ableitung ist auch Erzählung", und

Wiener hat das in den voraufgehenden Jahren demonstriert. Ebensowenig wie der Roman abgeschlossen werden kann, kann die Wissenschaft abgeschlossene Erkenntnisse darstellen. Wiener

spricht sich im Text selbst gegen den Stil der Wissenschaft aus:

der schreibstil der Wissenschaft, diese knappe form, dieser logische aufbau, diese fülle von tatsachen, diese geschlossenheit, diese Vollständig­ keit, diese demonstrierte freiheit von Widersprüchen, beinah möchte man glauben dass es wahr ist, dieses rot- welsch ist bestechend. (XX)

Der Roman ist das genaue Gegenteil dieser Beschreibung, selbst

wenn und wo er sich wissenschaftlich gibt, zum Beispiel in dem Aufsatz über den Bio-Adapter (CXXXIV-CLXXIV). Wissenschaft

und Literatur werden nicht getrennten Bereichen zugewiesen,

sondern von derselben Warte aus betrachtet: als sprachliche Konstrukte.

r' 69 Wiener begründet die offene Form seines Werkes mit der

Behauptung, sein Verstand sei von jeglicher Systematik abge­ stoßen (Verbesserung. CXXXIV). Die Verbesserung. in der er ein formales Chaos schafft und präsentiert, demonstriert diese Anti- und Unsystematik. Er schreibt gegen die sprachlich vermittelte Abgeschlossenheit der Welt. Dieser Zustand ist nicht nur in der Form, sondern auch im Inhalt reflektiert. Die Materie sträubt sich ebenfalls gegen eine Systematisierung und erzwingt die gewählte Form der Formlosigkeit:

und zweitens hat mich die arbeit an meinem roman gelehrt, dass jede ernsthafte anstrengung fragmentarisch bleiben muss, ja dass nur das fragment ernstgenommen werden kann. (CXXXIV) Als Konsequenz werden Form und Gehalt— Grundkonzepte aller Romantheorien außer vielleicht der romantischen oder von experimentellen Versuchen wie Laurence Sternes Tristram Shandv— völlig aufgelöst. Der "Roman" bleibt aufgrund dieser Anti-Systematik Fragment, da nichts vollständig abgeschlossen werden kann. Nur noch das Fragment ist als Form angebracht 2 8 .

Das betrifft auch den scheinbar abgerundeten Aufsatz über den Bio-Adapter (dessen Einleitung das obige Zitat entnommen ist) .

Zum einen ist auch dieser Aufsatz nicht abgeschlossen, zum anderen ist er als Teil des ganzen "Romans" zu sehen. Ausgeh­ end von einem disparaten Sammelsurium wird Unform zur Form. Der Zweifel an der Formalisierung des Denkens und Sprechens und der dadurch ausgeübte Zwang, die sich im Inhalt aus- drücken, werden zum Strukturprinzip. Salopp formuliert

Wiener: "form ist ein tripper" (XVII). In der Auflösung 70 entsprechen sich inkohärenter Inhalt und inkohärente Form und lassen Wieners Werk gelingen. Im Gesamttext sind verschiedene experimentelle Schreib­ weisen vorhanden, etwa die bevorzugt gebrauchte Technik der Montage (das ist der ganze Text) . Ein Beispiel für einen "Text" innerhalb des Textes ist XIX:

geschlossenheit. ich habe gebadet gelesen gedacht geblickt gerieben ge­ sprochen ich habe mir weh getan gebeugt schritt dunst gerochen gelacht ich sah käse erinnert gescheuert ich zögerte in die hand genommen gegangen mehl metall gefühlt geschluckt geraten geblättert ich sagte erschrocken es war schwarz genossen genickt da kam konrad äpfel wasser gleich ringsumher, ich bin das, ganz von selber bin ich es. *) den köpf halte steif fang an in den linken augenwinkein, schau es an bis rechts (ruckweise ist dein blick er ist unstet du bist ein duckmäuser) nimm die hacke.

Wir sehen in erster Linie eine assoziative Reihung von Per­ fektformen mehrerer Verben, gemischt mit einigen Imperfekt­ formen. Was zuerst wie eine grammatische Übung aussieht, wird durch eine philosophische Aussage über die Behauptung des

Ichs, der Individualität des Autors, unterbrochen. Den Abschluß bildet eine Anweisung, gefolgt von einem scheinbar beliebigen Satz, der keinen Bezug zum Abschnitt hat. Auch ein Absatz im Dialekt ist in den Text eingebaut (XLVIII), und

"Appendix A" etwa präsentiert sich wie eine Schulübung: der arme leo! er hat nicht baden können, er hat nicht... schreib vier sätze auf! fällt dir etwas auf? (CLXXXV) 71 Dieser didaktische Tonfall ist vielleicht auch eine Anspielung auf Wittgenstein, dessen Untersuchungen man— auch an anderen Stellen des "Romans"— heraushört ("Stell Dir vor...", "Denk nicht, sondern schau!")29.

Wie in Lawrence Sternes Tristram Shandv ist fortwährend Kritik des Textes in den Text aufgenommen. Bereits auf der

zweiten Seite (XII— die voraufgehenden Seiten enthalten das "Register") spricht Wiener zum Leser: "die seite voll und keine handlung, merkst du nicht wie ich herumsause" (unter "dichtung, grammatik."). Herumsausen bedeutet hier einen geistigen Prozeß, denn Handlung in herkömmlichem Sinne gibt es nicht. Es handelt sich um Reflexionen des Autors. Eine ausführlichere Selbstbeurteilung folgt auf L:

kritik der ersten neunundvierzig seiten. meine meisterhafte sprachbeherrschung verführt mich häufig zu konservativen gedanken. mein humor ist allzu notorisch jener der amtsbekannten österreichischen intelligenz. poesie leider ist öfters die frucht meines ärgers. verflucht! die Persönlichkeit ist so schwer zu bestrei­ ten, die strafe ist stil. obschon ich in der empfindung weit voran bin basteln die sätze ein Zentrum. der neunmalweise leser hat wenig Schwierigkeit Zusammen­ h a n g zu erfinden-er tut dies auf eigene rechnung. zu wenig-vielzuwenig entsetzen bei der lektüre. kannst du dasselbe ding mit verschiedenen Sätzen sagen? allein dass du es immer wieder mit den sätzen meinst ist ein anhaltspunkt für die Unsicherheit der weit. (wird fortgesetzt)

Ein wichtiges Wort ist hier "erfinden". Es steht dem Leser anheim, den von Wiener verweigerten Zusammenhang zu konstruie­ ren. Ebenfalls wie bei Sterne gibt es unvermittelt Einwürfe, 72

z.B. eine nicht wahrgemachte Ankündigung: "ich kündige bereits hier ein kapitel über das fliegen an." (XL). Wiener verläßt sich auch an vielen anderen Stellen auf das Verstehen (und Verständnis) des Lesers, etwa wenn er Be­ merkungen wie die folgende im Raum stehen läßt: sprachen, cat. aber auch einen satz in einen anderen satz übersetzen. (XIV) r°

Selbst wenn, wie hier, das "Thema" verständlich ist, bleiben Absätze wie dieser dennoch oft vage, wenn nicht gänzlich un­ zugänglich. Dasselbe gilt für offensichtlich zusammenhangs­ los mitten in Abschnitten auftauchenden Feststellungen wie: "adalbert Stifter ein psychotechniker" (XV), oder "Wissen­

schaft ist science fiction, einstein das erste mitglied der

vereinigten feldtheorie" (XVIII), oder: "überhaupt klatschen die ÖSTERREICHER einander auf die Schenkel" (XLI). Sinn solcher Einschübe ist, unberechenbar zu sein und fortwährend gewöhnliche ErwartungsSchemata zu untergraben. Das wird

unterstützt durch die uneinheitliche Stilebene, die sich unter anderem durch den häufigem Gebrauch von Schimpfworten aus­

zeichnet. Ein Lesefluß— der sich sowieso nur schwer ein­ stellt— wird immer wieder verhindert. Wieners Werk ist dekonstruktiv angelegt, indem es sich

fortwährend selbst in Frage stellt. Es gibt immer wieder

Brüche der Illusion, Prämissen und Erwartungen werden zerstört bzw. von Beginn verhindert. 73

bulletin. dem geneigten leser zum besseren Verständnis, die Weltrevolution werden die anderen machen, ich hingegen werde mirs richten. brüder ernährt mich, doch belehrt mich nicht, euch zum segen bin ich euer parasit, meine tätigkeit würde euch die milch verrotzen. klarerweise kannst du mich auch abtun lassen, du gemeiner hund. (XXVI) (Selbst-) Kritik ist impliziert, wenn auch nicht immer ernst gemeint. Das Werk existiert auf verschiedenen Ebenen: als

"Roman", als Sprachkritik, als Wissenschaft, als Kritik und Aufhebung seiner selbst.

Formal und thematisch wird mit der literarischen Traditi­ on radikal gebrochen, ohne daß eine neue begonnen wird. Wie­ ner ist in seiner Demontage der Romanform am bislang weitesten gegangen. Sein Werk läßt keinen Neuanfang zu, will Ende,

nicht Startpunkt sein. Wiener wird keinen Schritt weiter­ gehen, er hat sich von der Literatur verabschiedet. Dieser

Abschied läßt sich aus seinem Werk erklären und ist auch in seinem Text "Sag in Zukunft Oekonom zu mir" dokumentiert31.

Er ist darin konsequent und hat sich bisher nicht verleiten lassen, eine Fortsetzung zu beginnen oder in der Richtung der

Verbesserung weiterzuschreiben. Ein solcher Versuch würde dazu führen, daß er hinter sich selbst zurückfiele und das, was er zerstören und überwinden wollte, selbst täte— tradi­

tionell "experimentell" schreiben. Das bedeutete die Selbst­ aufhebung des Erreichten32. Die Verbesserung ist konzeptio­

nell ein Unikum.

Es fällt auf, daß Wiener bisher vorwiegend kurze Aufsätze und kein zusammenhängendes, längeres Werk geschrieben hat. 74 Im Hinblick auf die Verbesserung hängt dies sicher mit expe­ rimenteller Literatur und der Ablehnung der "Großform" Roman in ihren traditionellen Ausformungen, der Ablehnung seiner frühen Werke und wohl auch seiner generellen Arbeitsweise, seinen Interessen, und seinem Lebensstil zusammen.

Der Bio-Adaoter

Das letzte Drittel der Verbesserung von Mitteleuropa. Roman beginnt mit dem Abschnitt "notizen zum konzept des bio- adapters, essay", einem sich wissenschaftlich gebenden Auf­ satz. Er ist der vorletzte und einzige in sich abgeschlos­ sene Teil des Romans33. In ihm diskutiert Wiener die philoso­ phischen Grundlagen und implizit das mit diesem einhergehende politische Konzept einer Vorrichtung, die er Bio-Adapter nennt34. Wiener bietet diesen Aufsatz als Interpretationshil­ fe für den gesamten Text, aber bei der Benutzung dieses Essays für die Interpretation ist Vorsicht angebracht, denn zuerst muß dieser Vorschlag— wie das ganze Werk— selbst untersucht werden, da dieser Vorschlag schließlich selbst ein Teil des

Textes und folglich mit sich selbst zu interpretieren ist. Die von Wiener vorgebrachte Kritik kann und muß auch auf ihn selbst angewandt werden.

Der "Essay" beginnt mit einem Motto und einer kurzen Einleitung. Es folgen fünf Abschnitte mit einem Anmerkungs­ teil als Schluß. Die Abschnitte sind: a) Linguistik und 75 Ontologie, b) Kybernetik filr alle, c) Was tun?; d) und e) haben keine Titel. Dem Aufsatz folgt der dazugehörige "appendix a, der bio- adapter"35, wo es erst um den Adapter selbst geht. In ihm

beschreibt Wiener in Umrissen eine futuristische Maschine, die alle Menschheitsprobleme lösen soll und wird. Ein Adapter ist ein Hilfsmittel; es handelt sich dabei meistens um ein tech­ nisches Gerät. Wieners Adapter hilft dem Menschen, seine

Welterfahrung unendlich auszudehnen, ja diese erst zu ermögli­

chen. Der Appendix umfaßt ebenfalls fünf Abschnitte: a) Philosophische Ansätze nebst Vorgriffen auf die Systembe­ schreibung; b) Rudimentäre Systembeschreibung, ferner Mut­ maßungen über die Entwicklung des Systems. Fragmente. Ein­

zelne Funktions-Einheiten; c) Zweite Adaptions-Stufe, d) •'entfällt"; e) hat keinen Titel. Dieser Textteil ist zu kurz, um mehr als nur eine Skizze zu sein. Es kommt jedoch gar

nicht darauf an, ob der Adapter genau im Detail beschrieben und direkt realisierbar ist oder gar gegenwärtig (oder zu­

künftig) schon realisiert ist, sondern vielmehr auf das da­

hinterstehende Konzept und ob dieses— selbst wenn in nur

entfernt ähnlicher Form— Wirklichkeit werden könnte. Eine meiner Thesen ist, daß das Konzept des Adapters schon heute

ansatzweise vorzufinden ist. Ich werde mich bei meiner Diskussion hauptsächlich auf diese zwei Teile über den bio-adapter— "Notizen zum Konzept

des Bio-Adapters, Essay" (CXXXIV) und "Appendix A, Der

i* 76 Bio-AdapterM (CLXXV)— konzentrieren, jedoch die gesamte Verbesserung in die Darstellung einbeziehen.

Sprache Die Dichter der Wiener Gruppe, besonders Oswald Wiener und Konrad Bayer, haben sich ausgiebig mit den philosophischen Aspekten von Sprache beschäftigt. Vor allem von dem theore­ tisch versierten Wiener wurden dabei Autoren wie Noam Chomsky,

Benjamin Whorf, Edward Sapir und Alfred Ayers rezipiert, wie aus dem Literaturverzeichnis der Verbesserung ersichtlich ist.

Der größte Einfluß ging von Ludwig Wittgenstein und Fritz Mauthner aus. Neben Wittgensteins Tractatus Logico-Philoso- phicus (zuerst 1921; Wiener führt eine Ausgabe von 1955 auf) und den Philosophischen Untersuchungen (zuerst 1953; Wiener nennt eine Ausgabe von 1958) sind Mauthners Die Sprache von 1906 und Karl Kraus' gleichnamiges Werk, 1937 posthum heraus­ gegeben, im diesem Literaturverzeichnis auf geführt. Mauthners

Beiträge zu einer Kritik der Sprache werden auf CXXIII geson­ dert genannt36.

Besonders Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersu­ chungen und, wesentlich stärker, Fritz Mauthners Die Sprache bestimmten Wieners Sprachauffassung, wobei später Mauthners Werk immer wichtiger wurde. In seinem Aufsatz zur Wiener

Gruppe kommentiert Wiener im Rückblick von 1967 diesen Ein­ fluß:

(...) vollends waren meine privatgötter ins wanken gera­ ten. Wittgensteins "Untersuchungen” waren in zweiter 77

auf läge in england erschienen (...) und fegten ftlr mich seinen "tractatus" vom tisch. dennoch wurde mir klar, daß seine bemerkungen, ihm selber vielleicht nicht ganz bewußt, auf eine interpretation der spräche als prototyp der politischen Organisation hinausliefen und solches war mir, dem Studenten einer neuen ariarchie, zuwider. ich interessierte mich neuerdings für fritz mauthner (.. .)

In diesem Zitat sind zwei Hauptpunkte der Verbesserung an­ gesprochen: die Interpretation von Sprache als politischem Ordnungsinstrument, und Wieners Suche nach einer neuen Anarchie. In der Nachfolge Wittgensteins und Mauthners geht es Wiener um das Nachdenken über Sprache, und wenn die Verbes­ serung ein Thema hat, so ist es "Sprache". Schon der erste Abschnitt auf der ersten Seite Text trägt den Titel "die spräche analysieren und anwenden," (XI). Der 1918 verfaßte Tractatus Loaico-Philosophicus wurde 1921 veröffentlicht. Die Philosophischen Untersuchungen folgten 1953 bzw. posthum 1955. Im neo-positivistisch-nomi- nalistischen Tractatus diskutiert Wittgenstein eine exakte Sprache der symbolisch-formalen Logik. Wirklichkeit und Sprache sind zwei getrennte Bereiche, die sich einander in­ sofern entsprechen, als man Wirklichkeit durch Sprache genau beschreiben kann. In den Untersuchungen— in denen er einige Ansätze aus seinem Tractatus wieder aufnahm, änderte und weiterentwickelte— befaßte er sich mit Sprachgebrauch und den sprachlichen Voraussetzungen für "Verstehen" und entwickelte die "Theorie" der Sprachspiele. Anders als bei Karl Kraus, der, wie Wiener feststellt,

Sprachgebrauch vor allem unter ethischen Gesichtspunkten 78 kritisierte, gilt Wieners sprachphilosophisches Interesse vor allem dem Alltagsgebrauch von Sprache, auf den sich der spä- tere Wittgenstein• i der Untersuchungen konzentrierte 38 . Bei•

Wiener kommt dabei eine starke, politische Komponente ins Spiel. Tatsächlich geht es bei Kraus— der seine Aufsätze auch Sprachlehre nennt— hauptsächlich um grammatikalisch korrekten Sprachgebrauch39. Bei Mauthner hingegen geht es, in der Nach­ folge Nietzsches, um Erkenntniskritik durch radikale, ideo­ logiekritische Sprachkritik. Mauthners Sprachauffassung kann allerdings kaum mit Wittgensteins Sprachspieltheorie vergli­ chen werden, die sich in erster Linie auf eine Gemeinsprache bezieht. Mauthners Kritik ist gesellschaftskritisch-poli­ tisch verankert, während Gesellschaft bei Wittgenstein davon relativ unabhängig bleibt40. Nur vereinzelt finden sich bei

Wittgenstein entsprechende Äußerungen. Es ist nicht verwun­ derlich, daß Wiener sich gerade auf diese konzentriert und sie in der Verbesserung zitiert:

Wittgenstein schreibt: die bürgerliche Stellung des Widerspruchs, oder seine Stellung in der bürgerlichen weit: das ist das philosophische problem. (XX)41

Wiener fragt nach den Grundlagen des Sprachgebrauchs, und die

Aussparung des Politisch-Sozialen ist für ihn das größte Manko von Wittgensteins Sprachphilosophie. So erwidert er auf Wittgensteins Postulat (Philosophischen Untersuchungen. 43) "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache":

und wenn da einer sagt, die bedeutung eines Worts sei sein gebrauch in der spräche, so ist das lieb von ihm, und sicherlich auch gut gemeint! wir ändern aber ergän­ zen schallend: die worte mitsamt ihrem gebrauch sind 79

untrennbar mit politischer und sozialer Organisation verbunden, sind diese Organisation (...) (CXXIX) Sprache dient der Organisation der Wirklichkeit, und deshalb lehnt Wiener sie ab: "die Organisation der Wirklichkeit durch die spräche ist unerträglich" (LII). Wiener spricht von und wendet sich gegen "spräche als norm", wie sie etwa in Soziolo­ gie und Recht zum Ausdruck komme (CXXXVIII). Anders als bei Wittgenstein ist Sprache für Wiener ab­ hängig von diversen sozialen, politischen und geschichtlichen

Faktoren. Sie ist unzulänglich für exakte Aussagen, da sie von den vorhandenen sprachlichen Möglichkeiten bestimmt wird, und diese traditionsbeladen und von der gegebenen Sprache ein­ geengt sind. Am Ende des ersten Abschnitts der Verbesserung heißt es: "mitteilen, was in der spräche steckt, haben die

Vorfahren hineingelegt" (XI), oder "die weit ein sirup aus der spräche unsrer väter" (XX, unter dichtung und Wissen­ schaftr ). Sprache hat eine Geschichte und ist dadurch fest­ gelegt. Aufgrund der geschichtlichen Determiniertheit der

Sprache zweifelt Wiener auch an der Möglichkeit, mit Sprache klare Aussagen zu machen:

was man sagen kann— geht die meinung— das kann man auch klar sagen; ich meine aber, was man zu sagen anhebt ist auf die vorrätigen ausdrücke angewiesen: ein klarer satz läßt seine Unzulänglichkeit vermuten. (XLI)

Der Anfang des Zitats weist auf Wittgenstein, der im Tracta­ tus schrieb: "Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schwei­ gen"42. Auch an anderen Stellen setzt sich Wiener mit 80 Wittgenstein auseinander. Explizit wird er etwa auf XV er­ wähnt, indirekt auf XVII in Fußnote **) , wo er als Hder Dunkle" tituliert ist:

"Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken," sagt der Dunkle in seinen postso­ kratischen fragmenten.— drückt sich was in der spräche aus? vielleicht gar "die Struktur der Wirklichkeit"? kennt sich einer aus? (A) (XVII)

Die Anmerkung gehört zu dem Satz: "(...) zwingt die meinung in die spräche Wiener deutet hier darauf hin, daß man sich vorhandener Redemuster bedient, um sich auszudrücken; die

Implikation ist, daß dies gegen den intendierten Inhalt ge­ schieht ("zwingen"), der dabei dann natürlich an Genauigkeit verliert: man sagt nur ungefähr, was man sagen will, da man vorhandene Versatzstücke benutzen muß. Außerdem entspricht der sprachliche Ausdruck nicht notwendigerweise der beschrie­ benen Wirklichkeit. Kurz drauf heißt es dann folgerichtig: "was ist der inhalt dieses satzes, was du draus entnimmst

(...)" (XVII), d.h. Verstehen ist von der Interpretation des

Rezipienten abhängig und nicht so sehr vom Sprecher selbst. Wiener glaubt jedenfalls nicht, daß "die Struktur der Wirk­ lichkeit" in der Sprache ausgedrückt wird: sie ist ein sprach­ liches Konstrukt.

Darüber hinaus gibt es einen Bruch zwischen der Sprache und unserer Erfahrung: "eine kluft zwischen dem satz und dem was wir meinten" (XI). Wiener schreibt gegen diese Spaltung an. Es geht ihm darum, aus der sprachlichen Vermittlung (und Verfälschung) von Welterfahrung herauszukommen und die durch 81 die Sprache verdeckte Wirklichkeit direkt, unmittelbar zu erfahren und "erkennen". Ein anderer Anklang an Wittgensteins Untersuchungen findet sich auf XVIII. Dort heißt es: "ein gespräch ist ein experiment, ich richte mirs, du sprichst die gleiche spräche wie mir scheint Wittgenstein bezeichnet so etwas als

Sprachspiel. Sprachspiele sind eine Art Gedankenexperimente, die Wittgenstein benutzt, um gewisse sprachliche Probleme zu diskutieren, vor allem die Problematik des (intersubjektiven) Verstehens von Aussagen über die Wirklichkeit (durch Sprache) . In den ersten (frühen) Teilen der Verbesserung findet sich noch eine ähnliche Sprachauffassung wie beim frühen

Wittgenstein, sie hat jedoch einen negativen Aspekt insofern es einerseits Sprache und andererseits Wirklichkeit gibt, diese sich jedoch nicht unbedingt decken. Bei Wiener führt Sprache ein Eigenleben, das mit der tatsächlich erfahrenen

"Wirklichkeit" nichts gemein hat und nicht unbedingt zu deren

Beschreibung dienen kann: "einen satz sagen, und ihn dann mit der Wirklichkeit vergleichen, ihn gegen die Wirklichkeit verteidigen (...)" (XII, unter Hstil,u) . Darüber hinaus ver­ hindert Sprache eine direkte Erfahrung der "Wirklichkeit" (hier als "Natur" identifiziert). Die Anführungszeichen sol­ len andeuten, daß es Wiener um unvermittelte Natur geht und nicht sprachlich vermittelte; dasselbe trifft auch auf "Wirk­ lichkeit" zu:

wie wenig machen wir uns klar, dass wir nicht an die weit, sondern an die kommunikation grenzen. welch 82 lächerliche rolle spielt die "natur" in unserer gesell- schaft! (CLVI, Fußnote 19)

Hier klingt Wittgensteins "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" an (Tractatus. Nummer 5.6, 114). "Welt" (teilweise mit dem Wort "Wirklichkeit" austauschbar) kennen wir nach Wiener durch Sprache (im Gegensatz zur "Natur", die wir nicht mehr direkt, unvermittelt wahrnehmen,

und die nach Wiener in der gegenwärtigen Demokratie bzw. in jedem politischen System— als Begriff— ein "politischer mythos" (CXL oben) ist). Deshalb will er Sprache— als durch Erziehung vermitteltes Staatsbild (vgl. CXXXIX)— abschütteln:

noch einmal und immer wieder: es ist die spräche das wirkliche, das reale, das einzige, das greifbare, das vorhandene, der masstab ist die kommunikation - nebel- flecke und Sinneseindrücke heften sich daran als "Wirk­ lichkeit" und "bewusstsein" . (CLVI, F u ß n o t e 21)

Die Sprache wird als Instrument zur individuellen und kollek­

tiven Wirklichkeitsabbildung bzw. Wirklichkeitserschaffung angesehen. Sprache und die hauptsächlich durch sie stattfin­ dende Kommunikation sind das einzig "Wirkliche" und deshalb der Maßstab für die Bewertung. Selbst Bewußtsein und Wirk­ lichkeit sind sprachliche Fiktionen. Wiener vermutet, daß

bestimmte Phänomene rein sprachlicher Natur sein könnten:

(...) [eine] sprachauffassung, welche der spräche jeden einfluss auf die 'Wahrnehmung' abspricht, und jede Überlegung verpönt, ob nicht vielleicht eine anzahl von forschungen auf den Sektoren der sinnesphysiologie und des nervensystems am ende blossen sprachgebilden gelte (...) (CXXXV)

In mannigfachen prägnanten Formulierungen verkündet Wiener seine Ansichten: "(...) spräche: der stil der Wirklichkeit"

I'. 83 (XI) , oder später: "spräche, das konservative prinzip schlech­ thin" (CXXXIX). Zum einen wird ausgedrückt, daß Wirklichkeit sich mit der Sprache ändert, zum anderen, daß Sprache einen entscheidenden Anteil an der Verfestigung der politischen Ver­ hältnisse hat. Ein Beispiel für die Tatsache, daß Sprache Wirklichkeit nicht ausreichend erfaßt:

in meiner spräche fehlt ein wort für das was ein gespann­ tes gummiband tut, das man in der mitte seiner längsaus- dehnung am einen ende seiner breite mit dem Zeigefinger anzupft, ein gutes wort lässt einen man weiss nicht wie, begreifen; jede beschreibung ein kriminalroman. ("öe- schränkung," XIV)

Meines Erachtens zeigt sich hier, daß Wiener der Sprache eine Rolle zuweist, die dann kritisiert werden kann. Es mag ja nicht für alles ein Wort geben, aber man kann statt dessen Beschreibungen wählen. Das kann— Wieners Beispiel zeigt dies-

-sehr umständlich sein, führt aber dennoch zum Ziel. Der Abschnitt "ich weiss wohl..." (XLII-XLVIII) demonstriert

Wieners Anliegen ausführlicher. Dort wird ein Bleistift zu beschreiben versucht, ohne zu sagen, was es ist44. Es geht aber nicht nur darum, einen Gegenstand ohne das Wort für diesen Gegenstand exakt zu beschreiben, sondern auch einen ganz spezifischen Gegenstand derart anschaulich und vollstän­ dig zu beschreiben, daß der Leser mental genau diesen Gegen­ stand vor sich hat, und nicht nur eine individuelle sprachli­ che Annäherung. Die Durchführung erweist sich als erfolglos, da eine anschauliche Beschreibung sich als unmöglich heraus­ stellt: sie wird wahrhaftig zum "Kriminalroman". Sprache (und 84 Kommunikation im weitesten Sinne) ist unzulänglich. Da der Leser immer ein bestimmtes persönliches Bild haben wird, zeigt sich die Unmöglichkeit der genauen Vermittlung von Welt (Din­ gen, Gefühlen, Ereignissen) durch Sprache. Wenn diese schon bei einfachen Gegenständen nicht gelingt, ist sie bei kom­ plexeren Sachverhalten völlig unmöglich. Offen bleibt dabei, ob es ein Mittel geben soll, das diesen Transfer leisten kann. Im Gegensatz zu Wittgenstein wird Mauthner im Text weder namentlich noch in Anspielungen oft erwähnt. Eines von weni­ gen Beispiel ist Anmerkung **) auf XXXIV. Die Bedeutung

Mauthners wird dabei relativiert (in einem später entstandenen Stück): (...) wenn sich der hl. geist, jetzt, auf den mauthner schmeisst, wo der doch soo riesig gut wieder auch nicht ist (...) (CXXIII)

Dennoch zeigen sich in der Verbesserung mehr Mauthner-Ein- flüsse, als man nach erster Lektüre vermuten würde. Mauthners

Ansichten finden sich durchgehend in bestimmten Grundgedanken, z.B. der Annahme der Unmöglichkeit echter Erkenntnis durch Sprache, der Betrachtung der politisch-sozialen Funktion von Sprache, oder der Abwendung von Sprache als Konsequenz. Zum

Vergleich einige Zitate aus Mauthners Die Sprache45. Über

"Wirklichkeit" als sprachliches Konstrukt: Weil es die Welt der Wirklichkeit, weil es in der lebendigen Natur ein System der Wissenschaften, ein System überhaupt nicht gibt. Auch Ordnung nicht. (14) Über die Unzulänglichkeit der Sprache zur Erkenntnis der Wirklichkeit: 85 In drei starken Bänden [= Beiträge zu einer Kritik der Sprache. HK] bin ich nicht fertig geworden mit der Ausführung, daß die Sprache, gerade wegen der Unsicher­ heit der Wortkonturen, ein ausgezeichnetes Werkzeug der Wortkunst oder Poesie ist; daß aber Wissenschaft als Welterkenntnis immer unmöglich ist, eben weil die feine Wirklichkeit mit den groben Zangen der Sprache nicht zu fassen ist. (19)

Auf den Seiten 80 bis 84 spricht Mauthner von der Absicht, sich von Sprache zu befreien:

Eine Lösung, eine Antwort weiß ich nicht. Vielleicht aber eine Mahnung, die den nicht erschrecken wird, der sich freikämpfen möchte nicht nur von den einzelnen Worten seiner Sprache, sondern von der Sprache selbst. (80)

Ich lehre die Befreiung der Menschen von der Sprache als einem untauglichen Erkenntniswerkzeuge; aber ich wüßte nicht, wie man sich befreien könnte von der Macht der Sprache über die Sitte, die Gewohnheit, das Handeln, das Leben. Denn auch Sittenlosigkeit ist nur neue Sitte, neues Handeln, Tyrannei einer neuen Sprache. (84)

Niemals ist dabei gesehen worden, daß auch das Individuum nur eine Illusion ist, seine Einheit ebenso menschlich vorgestellt, wie die "Einstimmigkeit” des Majoritätsbe- schlußes. Auch das Individuum will, wählt, urteilt doch gewiß nach der Majorität der in ihm auf gehäuften ererbten und erworbenen Gedächtnisse seiner Ahnen und seiner Erfahrungen. (96)

Bei diesem Bewußtsein es sozialen Instinktes scheint mir natürlich das Wichtigste: die Einsicht in die Macht der Sprache über alles Soziale, der Versuch einer Befreiung von Sprache. (102) Im selben Kapitel spricht Mauthner von "Ich" und "Willensfrei­ heit" als sprachlichen Illusionen (80/1 bzw. 82) . Gegen Text­

ende geht er ein auf die "Tyrannei der Sprache" (102) und spricht vom Freitod der Sprache und des Denkens angesichts der

Ausweglosigkeit des Dilemmas, mit Sprache gegen Sprache argumentieren zu müssen: 86

'•Das wäre freilich die erlösende Tat, wenn Kritik geübt werden könnte mit dem ruhig verzweifelnden Freitode des Denkens oder Sprechens, wenn Kritik nicht geübt werden müßte mit scheinlebendigen Worten." (120; das Zitat am Ende ist in Mauthner). Es wird sich noch zeigen, wie dies bei Wiener Ausdruck findet. Sprachgebrauch ist nicht neutral. Wiener sieht ihn als Kampf, und mit dem Willen zur Macht verbunden: "wie kann ich dir das knäuel in meinem hirn ins maul stopfen" (XI). Ein anderes Anliegen Wieners ist Mitteilbarkeit und damit die Überwindung des Solipsismus. Mitteilbarkeit scheitert daran, daß jeder eine andere Sprache spricht, da jeder seine Sprache in einem anderen Kontext lernt und somit niemand alles exakt gleich versteht. Es geht also nicht nur darum, daß die kollektive Sprache aller durch gesellschaftliche Tradition und Konvention bestimmt ist, sondern auch die individuelle Sprache.

Mit der durchweg negativ gesehenen Sprache lehnt Wiener auch die Geschichte ab, die an deren schlechtem Zustand betei­ ligt ist. Sein Projekt ist die Herabminderung der über­ schätzten Sprache46:

mit der geschichte lehne ich auch die mit ihr kompromit­ tierte spräche ab. ich schaffe die nicht ab doch dekre­ tiere ich verrottung mittels der gesamtkunstwerke meiner gespräche. (XXXVI)

und auch die spräche werde ich mit scheisse beschicken, geradezu wortwörtlich. die liebe zur spräche muss man mit exzessen neutralisie­ ren. (XXXIV, dilettanten-jai)

Dies ist eine Aussage über die Verbesserung. die einer dieser Exzesse ist. 87

Es geht Wiener darum, die Sprache und damit die gegebene Welt abzustossen und eine neue zu finden jenseits der limitie­ renden Sprache. In einer Fußnote der Adapterskizze— der

"desertion aller Weltbilder und der geschichte"— lesen wir: ich verhehle mir nicht, dass viele schon recht weit sind; das sind aber solche, die nie einen riesigen bailast von bildung und nachdenken loszuwerden hatten; glUckskinder, die, vom schlagfluss der erkenntnis verschont, nicht abzumessen imstand sind, welche anstrengung vonnöten ist, eine einmal begriffene weit wieder abzustossen! (CLIV) Um nicht wieder in dasselbe Problem zu verfallen, muß die neue Welt "sprach-los" sein, wie Wiener ironisch andeutet:

die weit als ebenbild der spräche, machen wir eine ganz neue spräche, dann haben wir eine feinprima funkelneue weit nichtwahr. (XXXVIII)

Mit dem Austauschen der Sprache ist es nicht getan, die

Sprache zu ändern, hilft nicht weiter, sie muß Überwunden werden. Die Überwindung der Sprache und der alten Welt (und unserer Vorstellungen über den Menschen) ist nicht ohne Gefahr.

das chaos, der wahn beginnt, wo wir versuchen, unseren anthropomorphismus zu Uberwinden, wo immer wir, mit unserem verstand experimentierend, die garantien der kommunikation verschmähen. (CLXVIII, Fußnote 109, a))

Gerade das ist aber Wieners Programm: mit dem Verstand zu experimentieren, der Kommunikation entsagen, und das Chaos testen. Das dem Essay über den Bio-Adapter vorangestellte Motto von Karl Kraus weist auf das Grundproblem der Welter­ kenntnis und Weltstrukturierung hin, nämlich den Konflikt zwischen Chaos und Ordnung: 88 und das chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt! k. kraus, die chinesische mauer. (CXXXIV) Wiener schreibt nicht für das Chaos— "vergeblich sucht man chaos, diese politische lüge zugunsten der Ordnung" (XXXIV)-

-er schreibt gegen die Ordnung47. Dies ist nicht nur im In­

halt, sondern auch in der Form des Romans zum Ausdruck ge­ bracht. Wiener verspricht sich Freiheit in einer Welt, die nicht geordnet ist, in der nicht alles auf seinem Platz ist,

in der nicht alles sprachlich bedingt ist, in der keine Gren­ zen gezogen sind. Freiheit wird erlangt durch Ablehnung und

dadurch, daß man sich nicht fest legt: "ich nehme mir die frei- heit: abzulehnen, die ablehnung allein ist unbeschränkt: lass dich leben, es geht auch ohne motiv." (XXIV, der zeit ihre Freiheit.). Dies wird auf Sprache ausgedehnt: "weg mit der klarheiti" (XXVII).

In seinem Roman führt Wiener aus— wohlgemerkt mit sprach­

lichen Mitteln— , daß der einzige (dabei unmögliche) Weg ist,

sich von Sprache zu befreien und zu sehen, ob es Wirklichkeit ohne Sprache gibt. Wiener versucht herauszufinden, was jen­

seits der Sprache ist. Er will sich von allem lösen, und

sehen, ob er ohne das Hilfsmittel Sprache schwebend bleibt, d.h. ohne es überleben kann (also ob Leben ohne Sprache möglich ist):

... [weil] dieser roman auf dem weg zu einer sprachauf- fassung ist, die durch den verzieht auf die axiome auch noch einer nicht-euklidischen geometrie der spräche auf­ hört, Überhaupt eine geometrie zu sein: in einem versuch begriffen, das in angriff zu nehmen, was der Solipsismus sich bisher geschenkt hat, ausprobierend, wie weh es tut, 89

nach dem absägen des asts zu fallen-oder bleibt man schwebend? (CXXXVIII) Eine Bewußtseinsänderung (bei einer Gleichsetzung Bewußtsein- Sprache) wäre letztlich immer noch von Sprache abhängig oder ginge zumindest von ihr aus. Ähnlich wie mit der Sprache ver­ hält es sich mit dem Adapter, der ein Produkt der Welt ist und somit kaum helfen kann, der Welt zu entkommen. Schließ­ lich bliebe Wieners Kritik auch logisch folgenlos, wenn die Welt tatsächlich nur ein Produkt des Bewußtseins der Einzelnen ist, denn in diesem Fall hätte jeder so oder so seine eigene

Welt. (Wir dürfen hier nicht vergessen, daß Wiener starke Wurzeln im Solipsismus hat; allerdings ist sein erkenntniskri­ tisch-politischer Ansatz in der Verbesserung weit davon ent­ fernt) . Wenn wir seine Aussagen ernst nehmen, wäre es also doch möglich, durch Sprache objektive, verständliche Kritik zu äußern. Dies wäre zum einen ein Widerspruch, und zum an­ deren träfen gegebenenfalls auch andere Analysen (sprachli­ che Darstellungen) der Welt zu, z.B. die von ihm kritisierte marxistische (oder kybernetische, oder andere). Er unternimmt den Versuch, das System mit seinen eigenen Mitteln und auf seinem eigenen Terrain— der Sprache— zu schlagen. Selbst wenn

Wieners Kritik zutrifft, so betrifft das nur eine Seite der

Sprache. Darüber hinaus gibt es, wenn er Recht hat, keine

Möglichkeit, sich je ganz von der Sprache zu befreien, da selbst die Kritik an diesem primären Kommunikationsmedium des

Menschen in eben diesem Medium (erfolgreich) stattfindet. Wiener weiß, daß er die Sprache nicht überwinden kann, da er immer wieder in der Sprache stecken bleibt und stecken bleiben muß: seine Kritik, sein Ansatz, seine Ansichten, seine Wirklichkeit (die er als von der Sprache verfälscht ansieht), sind sprachlich fundiert (gerade wenn sein Ansatz solipsi- stisch ist). Gegen Nietzsche führt er dabei an: "mit einer Umwertung der begriffe, der werte, ist es niemals getan, ganz abgesehen davon, dass eine solche ja schon wieder Organisation voraussetzt" (CXLIV). Dies läßt sich auf Sprache übertragen. Da sich letztlich für eine Metasprache dieselben Probleme wie für jede andere ergeben, unternimmt er seinen Aufruhr inner­ halb der Sprache, ist sich aber dieses Dilemmas bewußt.

Wiener kritisiert an diesem Punkt die "behaviouristische linguistik":

ich sehe aber auch, wie prekär die gelegenheit einer Wissenschaft sein muss, die sich ständig gezwungen sieht künstlich einen wesensunterschied zwischen der spräche und jener, mit welcher man über sie spricht aufrecht zu halten, diese absonderliche trennung führt zur absonder­ lichen Verweisung aller Zusammenhänge von Sprache und bewusstsein in die medizin, in Psychologie und "Philoso­ phie", und hat die höchst absonderliche folge, dass, wer heutzutage "objektiv" sein möchte, einem naiven realismus folgen muss, weil die ausnahme der eigenen spräche die ausnahme des bewusstseins bedingt, (...) (CXXXIV) Er setzt hier Bewußtsein in Beziehung zu Sprache (vgl. auch CLXIX: "wenn man bewusstsein auf spräche beruhen lässt (und welche andere möglichkeit hätten wir?) (...)"). An anderer

Stelle nennt er die " 'metasprache', als instrument der be- trachtung des Verhältnisses von spräche und Wirklichkeit" einen Taschenspielertrick (Anmerkung 8, CLV), da das Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeit ungeklärt sei. Jede Metasprache ist letztlich auch eine Sprache und steht nicht außerhalb der Betrachtung, kann also nicht weiterhelfen. Und doch: "die frage, ob spräche ein bestandteil der Wirklich­ keit sein soll, oder ihr gleichwertig gegenüberstehe, ob der begriff der Wirklichkeit überhaupt erforderlich sei etc. ... bleibt offen" (CLV)! Er kritisiert den Gebrauch von Metaspra­ chen:

durch den kunstgriff des positivismus erscheint die spräche als eine realität sozusagen zweiter Ordnung: eine saubere trennung von Wirklichkeit und spräche scheint möglich. die 'metasprache' ist eigentlich metaphysik, sie gehört sozusagen nicht zur Wirklichkeit, und recht­ fertigt dadurch erst die 'dingsprache' . (XIII, F u ß n o t e zum Abschnitt "metasprache,")

Dies ist nicht zuletzt eine Kritik Wittgensteins, der im Tractatus mit der Diskussion einer Formalsprache aus dem

Bereich symbolischer Mathematik diesen Weg ging. wortverwandtschaft, ein garn spinnen, ein wort in seinen Verwendungen untersuchen, damit dann ganze Vorschläge beweisen, die Sprache ausschlachten und für die fetzen Verwendung h a b e n . indizienbeweise aus dem Sprachgefühl. der tausendsassa wird mit der spräche noch ein flugzeug machen und völlig fortfliegen. (XIV)

Sprache kann nicht dazu dienen, Freiheit zu erlangen. ln der

Fußnote hierzu wird diese eingeschränkt: "er wird nicht weit kommen: seine träume bleiben deutsch". Das heißt wiederum, daß eine Sprache von der Gesellschaft, in der sie gesprochen wird, abhängt, die jeweilige WeltvorStellung also von ihr be­ stimmt wird und eine andere Welt mit ihr nicht möglich ist. Der umgekehrte Schluß ist, daß in anderen Sprachen durch einen 92 anderen Sprachgebrauch andere Möglichkeiten gegeben sind.

Sprache ist auf Konventionen aufgebaut und damit relativ und nicht absolut.

Sprache erfüllt eine politische Funktion und wird als Herrschaftsinstrument benutzt: die spräche geht sozusagen mitten durch uns hindurch, der Wirklichkeit unseres bewußtseins enge gassen vorschrei­ bend, als nämlichkeit identität erzeugend, die vielleicht mögliche erfahrung verhindernd, wer also seine spräche nicht als letzte richtschnur gelten lässt, begibt sich in zweifache gefahr: er verliert sich selbst in den land- schaften des bewusstseins, die zu betreten ihm jedes rüstzeug fehlt; und er verliert den beistand der mensch- heit gegen tod und leben, jene Sicherheit der Solidari­ tät, die den Staatsbürger übers ganze dasein hinwegträgt und sogar noch um den tod betrügt. von der seite des staats sieht das freilich aus wie ein einziges ding— wer mit der von der spräche umrissenen Wirklichkeit nicht auskommt, stellt sich dadurch gegen die gesellschaft und wird konfiniert. (CXXXVIII)

Die, die sich mit der durch Sprache vermittelten Wirklichkeit nicht zufrieden geben, geraten in eine Gegenposition und haben mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen:

wo er also schädigt, wird er als gleicher behandelt, wo er aber die spräche beschädigt, wird er ausgestossen. (CXL1I)

Impliziert ist, daß es ein Leben außerhalb der Sprache gibt.

Wer zu den (sprachlichen) Bedingungen des Staates gegen die völlige Vereinnahmung durch diesen Staat protestiert, bewegt sich in ihm. Nur die grundsätzliche Ablehnung dieses Staates und die Entwicklung einer radikal anderen Position ermöglichen den Ausbruch. Wiener setzt seine Hoffnung für diesen Ausbruch auf alle Außenseiter, deren Auflehnung sich primär gegen Sprache— das Formulierte, die feste, aufgezwungene Staatsform und Beherrschung— richtet:

nicht unausdenkbar ist, dass sich ein eigenartiger terror auf oberflächlich-clownhafte art politisch manifestieren könnte, er könnte sich utopistisch geben, ohne in seiner Wirkung deswegen an glaubwürdigkeit zu verlieren, (utopie heute! die Wirklichkeit ist eine frage des preises). jedenfalls wird er alles zum ziel nehmen, was formuliert ist. seine erbittertste gegnerschaft wird der humanismus zu ertragen haben, gegen den er eine allianz der intelli- genz mit den asozialen auf die beine zu stellen trachten wird. (CXLVI; vgl. weiter im Zitat über "sorgfältigen Opportunismus")4

Ernsthaftigkeit ist beim gegen die Ordnung gerichteten Protest nicht gefordert. Zu den Protestierenden gehören die Intelli­ genten und Asozialen— asozial ist dabei ein Kompliment (wobei sich Wiener zu ersteren rechnen wird)49. Wiener hat hier sicher die Aktionen des Wiener Aktionismus im Auge, die sowohl als Terror als auch als Clownereien empfunden wurden. Das Element der Oberflächlichkeit findet sich dort, und auch vor

Kalauern wurde nicht zurückgeschreckt. Bei den "Literarischen Cabarets" der Wiener Gruppe wurden z.B. Witze ohne Pointen verlesen. Dieser Protest war politisch gedacht. Für aufklä­ rerische Utopie scheint Wiener jedoch nicht viel übrig gehabt zu haben.

Wiener versucht mit seinem Roman, gegen die Sprache und gegen die Gesellschaft aufzustehen: "ein aufstand gegen die spräche ist immer ein aufstand gegen die gesellschaft (CXLIV). Dieser Aufstand ist spontan-sporadisch und muß sich damit begnügen, Freiräume zu schaffen. Wiener ist Fatalist, es gibt kein Auskommen: 94

Sabotage und terror sind ja nur verfehlt, solange sie den Charakter von mitteln haben. in der kybernetischen ge- sellschaft werden sie sich selbst gentigen, als auswuchs, als Schwächungen der macht, die sich keiner alternative gegenübersieht. sie werden dann nicht mehr massnahmen zur durchsetzung einer auffassung (d.i. immer einer Staatsauffassung) sein, sondern bloss versuchen, breschen zu legen, damit man freier atmen kann, als betätigungen gegen eine prästabilierte, in eine endlose gegenwart herein verlängerte zukunft. (CXLIV)

Verständlich werden vor diesem Hintergrund sein Aufstand, seine Unterstützung für die Wiener Aktionisten, seine Sympa­ thien für alle die, die anders sein wollen— solange es nur gegen die Repräsentanten der Ordnung ist, die "Wichtel", denen seine ganze Verachtung gilt (diesen Ausdruck gebrauchte Wiener verschiedentlich50; in der Verbesserung nennt er sie auch

"duckmäuser" (CXLI)). Seine Beiträge zum Wiener Aktionismus

(und der gesamte Aktionismus überhaupt) sind in diesem Zusam­ menhang als die erwähnten "Sabotage und terror" zu sehen,

Aktionen, die rein Selbstzweck sein sollen, als Versuche, sich nicht vereinnahmen zu lassen, sich nicht zum Teil des Kultur­ betriebes machen zu lassen. (Leider ist es doch zur Verein- nahmung gekommen. Mühl versucht noch die Befreiung, wenn auch auf eher zweifelhaften Wegen. Er steht seiner berühmt-be­ rüchtigten Kommune vor, die jedoch offensichtlich wie ein normales Wirtschaftsunternehmen agiert51. Nitsch hat mittler­ weile eine Professur in Mannheim. Wiener hingegen praktiziert den Entzug von der Welt in Kanada, hat sich aber offenbar von diesen Einsichten abgewandt). Ziellosigkeit wird als subversive Tugend angepriesen, da sie nicht organisiert ist. wiener begrüßt den "asozialen 95 Protest", den er bei "jugendlichen banden" ausmacht, deren Fehler allerdings darin liege, sich letzten Endes dem Staat anzubiedern (vgl. CXLV), und gerade das soll vermieden werden, "wichtiger noch wären hier die schlägerbanden der grossen städte", an denen er die Ziellosigkeit, die ungebundene Suche nach Spaß begrüßt (ebenda), dabei aber diese Banden längst nicht akzeptiert: "(...) so bin ich doch weit davon entfernt, in diesen wohl eher deprivierten als depravierten stereotypen bundesgenossen zu erblicken" (CXLVI). Der Grund dafür ist, daß diese Gruppen innerhalb der Ordnung verbleiben, gegen die sie sich richten. Am Ende kann der Protest nur durch die "grossen einzelgänger" (CXLVI) vorgetragen, ausgeführt und erreicht werden. Wiener verteidigt in diesem Zusammenhang den "eskapismus", der von einer Gesellschaft, die nicht zulassen will, daß man sich ihr entzieht, als Negativum aufgebaut wurde

(vgl. CXLVII, d)). Flucht, gewöhnlich ein negativ besetzter

Ausdruck, ist für Wiener respektabel— "man nennt flucht den exodus aus einer zugrunde gerichteten weit" (CXLVII)— , sie ist "ungenügen" und kein "reissaus". Engagement für die herrschenden Verhältnis ist ausgeschlossen, er will "abtrün­ nig" sein, und ein "renegatentum" pflegen, das er als "deser- tion der Wirklichkeit, ein abhauen aus der spräche" sieht (CXLVII). Diese Desertion leistet der Adapter.

Der Protest ist gefährlich, denn wer sich prinzipiell gegen den Staat stellt, wird besser daran tun zu schweigen. zwar wird er nicht an die wand gestellt (noch nicht, einstweilen nicht, er 96

wird als Studienobjekt der prophylaxe benötigt), sicher aber aus der alleinseligmachenden Wirklichkeit: die weit ist bereits derart kompakt geworden, dass dieselben politischen methoden zur festsetzung der Wirklichkeit gleichermassen wie zur aussonderung der wahnsinnigen aus der horde der Staatsbürger, und zu deren festsetzung dienen. (CXLII)

Die "Intelligenten" (die "Erleuchteten", die das System durch­ schaut haben, da sie verstehen, wie Sprache sich auswirkt) sind eine Gefahr für den Staat. Ähnlich sieht er die Rolle der Außenseiter: sie dienen als Korrektiv, auf das allerdings großer Druck ausgeübt wird, ein Zwang zur Wiedereingliederung (vgl. auch seine Ausführungen Über Bildungsbürgertum, CXLVIII):

sie [die Kybernetik, HK] kommt als Pflegschaft, therapeu­ tisch dem nach verhör entmündigten recht und richtige spräche aufzudrängen, die Verhältnismäßigkeit von in- und output wieder nach der norm einzurichten: vielleicht kann der entartete wieder mündig gemacht werden (...) (CXLII)

Die einzige Möglichkeit ist, sich außerhalb des Systems zu stellen. Clownereien und nicht mitmachen sind die besten

Mittel, sich dem totalen Staat zu entziehen. Auch den

Autismus— Leben im Solipsismus— sieht er positiv, da es nicht staatlich vereinnahmt werden kann und der Kontrolle entzogen ist: "wie denn auch nur das autistische bewusstsein zollfrei bleibt" (CXXXVill). Wiener befaßte sich mit den psychologisch-medizinischen

Themen Wahnzustände und Geisteskrankheit (spezifisch: Schizo­ phrenie) , vor allem in Bezug zu Sprache. Er inte-ressierte sich für bestimmte Künstler, etwa Daniel Paul Schreber oder Oskar Panizza (über den er einen Aufsatz schrieb). Seine 97 Arbeiten zu diesem Thema, z.B. der Rundfunkfeuilleton "Über

Sprache und Geisteskrankheit" (im SFB vorgetragen) zeugen davon52. Diese Beiträge sind nicht nur wichtig, da sie

Einblicke in Wieners Ansichten über Sprache, sondern auch, weil sie Einblicke in Wieners Hoffnungen geben. Geisteskranke werden als Menschen angesehen, deren Bewußtsein von der normalen Wirklichkeit abgeschieden ist und die in anderen Wirklichkeiten— und damit nicht im anderweitig dominierenden

Staat— existieren, die von der Gesellschaft nicht toleriert werden (vgl. Fußnoten 53 und 55, CLIX/CLX). Das zeige sich besonders an Sprachgebrauch und Sprachverhalten von Schizo­ phrenen. Diese Außenseiter gehören zur Gruppe derer, deren

Leben, Handeln und Kommunizieren sich gegen den Staat und die normierte Sprache und damit "Wirklichkeit" richten.

darüber hinaus muss man zugeben, dass in der reflexion über die kommunikation leicht ein punkt erreicht werden kann, von dem aus es recht schwer ist, an Zusammenhängen überhaupt geschmack zu finden, und schliesslich muss es 'geisteskranke1 geben, die erkennen, dass der Zusammen­ hang unmöglich ist: sie sind über ihn hinaus, weil sie ihn als sprachabhängigen wahn verwerfen.

Wiener mißt allen denen, die sich dem normierten Sprachge­ brauch verwehren, große Bedeutung bei. Alle Außenseiter,

Herbert Marcuses große Verweigerer54, sind seine Hoffnungsträ­ ger, und seine Sympathien gelten in gleichem Maße allen an­ deren "Missratenen" (CXXXIX), die sich von der Gesellschaft der "Normalen"— vor allem derer, die Sprache als Herrschafts­ mittel gebrauchen (CXXXIX)— absetzen wollen und außerhalb ihrer stehen. Diese Außenseiter zeichnen sich durch eine 98 andere Art der Kommunikation aus und könnten deshalb— mögli­ che— Änderungen bewirken (oder wenigstens sich als Individuen "Breschen schlagen"). Die Andersartigkeit (eindeutig ein Vorteil für Wiener) zeigt sich vorwiegend im Sprachgebrauch.

Das Problem mit diesen Außenseitern aller Art ist nun, daß ihre Freiheit genommen wird: das Zeitalter des government hat die mittel, lässig die stillen wasser als pfützen abzutun; austerngleich assimiliert es, was da an eckigem in seine eingeweide stehen könnte: und wenn es nun von seinen eigenen perlen am zu knauserig bemessenen fundament aufgerieben wird, so sind es wenigstens perlen, die ein in bildung befind­ liches volk mit perverser berechtigung für das tier zu halten beginnt. (CXLI) Im Bild der Perlen— mit denen Schmuck und Wert assoziiert sind, die aber eigentlich ein Abfallprodukt gewisser Muscheln sind— preist er die Außenseiter, die das Wertvollste am Staat sind, der sie nicht schätzt. (In Analogie zu Perlen: für die

Muscheln sind Perlen wirklich Abfall...!). Um weiter im Bild zu bleiben: der Staat ist letztlich für seine Perlen verant­ wortlich— d.h. ohne Staat keine Außenseiter— und lebt von ihnen— ohne sie keine Korrektive, da es keine neuen Ideen gibt. Selbst zuerst abgelehnte Positionen werden später von der Gesellschaft (Demokratie) als und für ihre Ziele rekla­ miert:

die moderne demokratie ist so gefestigt, weil sie die abnormität studiert (...). sie erkennt daraus zwar nicht die einzuschlagende richtung, wohl aber erprobt sie ihre mittel zur bewahrung der eingeschlagenen. (richtung ist ja doch das falsche wort. das Zielgebiet ist schon so nahe, dass es den ganzen horizont bedeckt: der weg durch die Zeiten ist absolviert!) (CXLIII). 99 Im Vortrag finden sich Ansichten wieder, die bereits in der Verbesserung präsentiert werden. Wiener konstatiert, Sprach­ philosophie wolle die affirmative Haltung des modernen Men­ schen dem Staat gegenüber stärken. Es geht hier wieder um die politische Orientierung. Der Maßstab der Sprachphiloso­

phie sei ein unantastbar gedachter Begriff der Wirklichkeit. Sprachwissenschaft akzeptiere den Realitätsbegriff aus Kon­ formitätszwang an sie als Wissenschaft und Methode (wer das mißachtet, werde geächtet, wie etwa Mauthner). In der "nor­ malen" Welt hat Sprache zu funktionieren, "weil nur die frag-

losigkeit der spräche geborgenheit im sozialen und mithin in der weit garantiert".

Die "Botschaft" des Romans sind Aphasie und Anomie: (...) ich halte mich dennoch für den pionier einer gigantischen

aphasie (...)" (LXX). Aphasie bezeichnet einen Verlust von Sprachgebrauchs und Sprachverstehen (meist als Folge von

Gehirnverletzungen). Anomie bezeichnet einen individuellen oder kollektiven Zustand der Unklarheit oder Ablehnung von sozialen Normen. Aphasie und Anomie werden das Chaos beför­ dern. Wie gesehen, gilt die Revolte dem Zusammenhang, der Abgeschlossenheit. Positive Gegenentwürfe gibt es nicht

(außer dem zwiespältigen Adapter) . Wie der Schluß im "appen- dix c" noch einmal zeigt, sieht Wiener außer radikaler

Verweigerung (oder dem Adapter) keine echte Möglichkeit zur Verbesserung: 1 0 0

avertissement, betreffend die grundsuppe der existenz. ich bin kein nihilist wer das behauptet ist ein trottel. ich sage nur dass alles ein dreck ist; (XXVIII) Selbst die Verweigerung dient letzten Endes jedoch nur zur

Stabilisierung der Verhältnisse, denen sie sich verweigert, weshalb es— zumindest zeitweise— besser ist, opportunistisch zu sein:

freilich ist der leichteste weg, dem staat zu entkommen, der stirner'sche Opportunismus, der ohnehin von allen fähigen köpfen betrieben wird, wenn sie sich nicht vom pay-off gesellschaftlichen bestrebens haben korrumpieren lassen, ich selber halte einen sorgfältigen Opportunis­ mus für eine äusserst wirksame Verteidigung. (...) unangenehem daran ist aber zweierlei: dass diese haltung, defensiv wie sie ist, im gründe den angedeuteten prozess der Versteinerung fördert, wie sie ja auch, weil sie auch zurückschlägt, den sie adoptierenden in gefahr bringt, zu kollaborieren; und zweitens, dass sie einmal langwei­ lig wird (...) konstatieren wir also, dass die anarchie nicht genügt; nicht weniger als anomie könnte befriedigen. (CXLVI) Es muß immer einen Zustand geben, von dem man anomisch ist, d.h. es muß eine Mehrheit von Leuten geben, die diesen Zustand tragen— folglich kann es keine Befreiung aller geben. Die

Befreiung ist nur für einige elitäre, fortschrittliche Wesen möglich, und diese hat Wiener im Auge.

Im Kontext seiner Kybernetik-Kritik schreibt Wiener, daß der Staat mit ihrer Hilfe versucht, diese Außenseiter von sich aus zu assimilieren, um letztlich in jeder Hinsicht total zu werden. Allein aus diesem Grunde bietet sich nur die Anomie an; der Adapter treibt sie auf die Spitze:

sie [Kybernetik, HK] kommt als Pflegschaft, therapeutisch dem nach verhör entmündigten recht und richtige spräche aufzudrängen, die Verhältnismäßigkeit von in- und output wieder nach der norm einzurichten: vielleicht kann der entartete wieder mündig gemacht werden, d.h. hörig, tut 1 0 1

und sagt was sich gehört, gehört w i e derum weil er aufmerksam wird, gehorcht! (CXLII) Und auf CLXII, Fußnote 75:

wieviele leistungen echtesten Wahnsinns werden heute zu erträglichen Provokationen verdeutet? der staatskörper hat keine antigene: er assimiliert.

Ein Wort wie "entartet" wird absichtlich benutzt, um den sprachlichen Ausschluß aus der Normalität zu signalisieren. Die Etymologie des Wortes "hören" soll auf bestimmte Zusammen­ hänge hindeuten zwischen sinnlicher Wahrnehmung der (gespro­ chenen) Sprache (hören), Abhängigkeit (hörig), Moralvorstel­ lungen (was sich gehört) , und Befolgen von Normen (gehorchen) .

Wissenschaft und Politik

Im Abschnitt b) des Essays, "Kybernetik für alle", geht es Wiener— wie durchgängig im Aufsatz über den Bio-Adapter, wie er sagt (CXXXVII)— um eine Kritik des Behaviorismus. Zu diesem zählt er Pragmatismus, Positivismus, Neo-Positivismus und alle Strömungen des Marxismus, da es ihm schwerfalle,

"relevante Unterscheidungen" zwischen diesen zu treffen (vgl.

CXXXIX). Er bezeichnet sie als Argumentationsstile derselben

Sache. Am Behaviorismus kritisiert er die Sprachauffassung, nach der es eine objektive Wirklichkeit gibt, die nicht sprachabhängig ist bzw. die unabhängig von Sprache besteht und daher verändert oder untersucht werden kann, ohne den Anteil von Sprache an Wirklichkeit (und der Theorie) beachten zu müssen. 1 0 2

Kybernetik— für Wiener ein Sammelname für verschiedene Wissenszweige (CXXXIX), die die "Erfüllung" des Behaviorismus sei und stelle dessen Gipfel darstelle— wird ebenfalls einer Kritik unterzogen. Kybernetik und Staatstheorie stehen in einem engen Zusammenhang: Kybernetik ist ein politisches Modell, das von Anfang an als "politische Wissenschaft" kon­

zipiert wurde (CXXXIX; wie die Etymologie des Wortes zeige, ist sie Steuerungswissenschaft; vgl. Anmerkung 85, CLXIV55) .

Politik ist die umfassende Anwendung der Kybernetik auf den sozialen Bereich. Kybernetik hat Auswirkungen auf Staat und Politik insofern sie zur Kontrolle im Staat und damit beim Herrschen hilft. Ihr Zweck ist die Beeinflussung, Lenkung, und Einengung der Bürger. Wiener konzentriert sich bei seiner

Betrachtung vor allem auf westliche Demokratien, seine Kritik gilt aber insgesamt sowohl östlichen als auch westlichen Systemen (allen Systemen, die sich "demokratisch" nennen). Informationstheorie— die mathematische Seite der Kybernetik-

-ist interessiert an der Sicherung der Befehlsübermittlung. Die Zusammenhänge zwischen Sprache, Kybernetik, Demokratie und Herrschaft sind sehr eng:

dass die demokratie den Staat auf die spräche stellt (...), macht sie ja eben zum totalen, und in folge dessen zum totalitären staat. die 'informierte gesellschaft* ist eben dadurch eine formierte gesellschaft. (CXLI) Demokratie beruht auf Sprache, sie ist— theoretisch— wie Macht ein allgemeines Eigentum. Dies ist ein Anklang an Fritz Mauthners Theorien. In dessen Die Sprache heißt es: "Aber die 103 Sprache ist ja sozial. (...) Gemeinbesitz wie Licht und Luft ist die Volkssprache", und weiter:

Demokratie bedeutet also jetzt zufällig das Bestreben, das Wohl großer Volksmassen Über das Wohl kleiner Volks­ gruppen zu stellen. Weil wir aber nicht in anarchischen Zuständen leben, weil die Entschlüsse als Beschlüsse die sprachliche Form von Urteilen annehmen müssen, weil zum Urteilen Kenntnisse gehören, weil menschliche Vernunft, so wenig Weisheit in ihr wohnt, doch stets nur bei weni­ gen Menschen gewesen ist, darum wäre für das Wohl der Volksmasse allerdings eine wahre Aristokratie, eine Herr­ schaft der Besten, nützlicher als die trostlose Demokra­ tie, über deren sprachliche Exponenten, die Stimme, die Stimme bei der Wahl und im Rat, ich noch zu sprechen haben werde.

Und später, über das Außenseitertum dessen, der gegen alles ist: Wenn ich so, nach Menschenkraft losgelöst von der gemein­ samen Luft und der gemeinsamen Sprache, atemlos und vor­ urteilslos, ganz von weitem zu überschauen suche, was die Tyrannei der alten Worte und der neuen Worte an den Sitten der Kulturvölker zu bessern oder zu ändern sich gegenwärtig anschickt, so bin ich mit den Männern, die mir unter den Neuerern die liebsten sind, wieder nur in der Negation einverstanden, nicht in der Position. Mir fehlt wohl der Glaube an die Zuverlässigkeit menschlicher Vernunft, menschlicher Sprache. Und weil mir der Glaube an die Vorstellungen menschlicher Unvernunft erst recht fehlt, so werde ich wohl, dem das Gemeinsame fehlt, die Einsamkeit und Wirkungslosigkeit gewählt haben. (91/2) Ebenso findet es sich bei Wiener: Negation statt/und keine Position, keine Gemeindenbildung. Einsamkeit und Wirkungslo­ sigkeit sind als Konsequenz erkannt, gesprochen bzw. geschrie­ ben wird aber dennoch (weil es doch keinen Unterschied macht). Gerade den Sachverhalt der fragwürdigen Macht und Wir­ kungsweise von Sprache— und damit politischer Systeme, die sich auf Ideologien, also sprachlichen Konstrukten, stützen-

-greift Wiener an57. Er spricht ihr den Status des Unterbaus 104 zu, der den Überbau determiniert. Gleichzeitig ist Sprache in» Bereich der Politik verankert und wird von ihr bestimmt.

Wiener schränkt sie damit zugleich eng ein. Die Sprache dient zur Schaffung einer manipulierbaren Allgemeinheit, gegen die Wiener die Individualität behauptet. Dabei klingt wiederum ein provokativer Elitismus an: spräche ist das geschöpf der politik, man kann sie nur da sinnreich gebrauchen, nur über politik sinnvoll sprechen. Philosophie logik Wissenschaft kunst arbeit technik alles für halber durch jene. der schluss der logik ist politisch, er macht dich argumente anerkennen, früh bringen sies dir bei: das ist das mittel der gesellschaft, so wird kongregation. der kategorische imperativ, das endziel der Philosophie ist die menschentraube. ich weiss nicht was das ist, d.h. ich mache mir nicht die soziale mühe einer definition, nicht die pflicht dem Zugriff der Staatsgewalt einen anhaltspunkt zu schaffen, schwein. eine Proklamation für ganze mengen, ich aber bin der einzelne fall. (XXV)

Bereits im nächsten Abschnitt wird auch die Kunst in diese

Kritik näher miteinbezogen. Ähnlich wie Politik schafft sie in der Sprache einschränkende Vorgaben, die ironisch zurückge­ wiesen werden:

seht es so, hört es so, macht es sol die manifest der kunst. die Wirklichkeit kastriert, mein erleben ist von den altruistischen bemühungen der kollektive abhängig, verwirklicht euch, sagen sie, die stoffein. *) (XXV)

In der Anmerkung hierzu verweist Wiener auf einen Zusammenhang zwischen Staat— synonym für Politik— und Kunst: "der Staat als kunstwerk (k. eisner)". Das ist eine Kritik der Kunst, die, statt den Staat zu bekämpfen durch Ästhetisierung in dessen 105 Hände spielt. Wiener geht dabei von einem sehr weit verstan­

denen Begriff von Politik aus, der fast alles einschließt58.

Das politische System will sein eigenes Überleben, seine

eigene Unendlichkeit sichern. (Das entspricht der Wunschvor­ stellung (fast) aller Menschen, da sich alle vor dem Tod fürchten und ihr individuelles Fortleben sichern möchten).

Für die 60er Jahre stellt Wiener fest, daß bereits alles vom Staat assimiliert ist: sie [die bildungsgesellschaft, HK] hat dem Status quo endlich eine realisierbare doktrin auf den astralleib geschneidert: es ist dies die schließlich doch noch sozial gewordene technik, hinreichend verfeinert um eine Soziologie zu materialisieren, welche füglich als letzter streich eines jahrtausendealten ringens um Stabilisie­ rung, d.h. Verstaatlichung, der natur gelten muss, und die dieser gesellschaft mit ihren hinfort austauschbaren generationen den Charakter eines museums für marsmenschen anzumerken sich erfunden fühlt. (CXLI) Einen ursächlichen Anteil an der Stabilisierung hat "spräche, das konservative prinzip schlechthin (...)" (CXXXIX), da sie

gegebene, verfestigte Vorstellungen weitertradiert und eine

Veränderung verhindert. Sie nimmt auch eine zentrale, poli­ tisch wichtige Stellung bei der Erziehung ein, die nach Wiener

als Vereinnahmungsinstrument für den freien Menschen durch den Staat dient:

es kann kein zweifei bestehen, dass die erziehung (d.i. zur spräche), welche die weit der erwachsenen hervor­ bringt, unsere koordination von apperzeption und verhal­ ten schafft. (CLV)5

Wiener schreibt gegen die "Herrschenden", die mit Sprache die

durch sie geschaffene Welt beherrschen. So heißt es im Zuge

der Wissenschaftskritik:

f 106

die mit. dem Sammelnamen kybernetik belegten neueren Wissenszweige haben binnen so überzeugend kurzer zeit sätze hervorgebracht, die sich nahezu ohne abwandlungen auf soziologische gegebenheiten anwenden lassen, dass der verdacht erlaubt ist, man habe schon bei ihrer formulie- rung die setzung fundamentaler Zusammenhänge zwischen den bedürfnissen der technologie und denen des staats im auge g e h a b t . in der tat existieren diese Zusammenhänge; ohnehin dienen wohl die meisten fortschritte der Wissenschaften nicht so sehr der befriedigung eines doch recht suspekt gewor­ denen erkenntnistriebes, sondern viel mehr zur materiel­ len und ideologischen festigung der mit der ausübung der macht befassten instanzen, welche allein ja i m s t a n d e sind, die notwendigen Provisionen für die forschung be­ reitzustellen ("wissen ist macht"). und offenbar ist der fortschritt der modernen demokratie (dazu rechne ich selbstverständlich auch die Varianten des an die Staats­ macht gelangten marxismus): die ohnehin fragwürdigen benefizien für den einzelnen sind blosse abfallprodukte von anstrengungen, welche die beherrschung des kollektivs zum ziel haben. (CXXXIX)

Offen bleibt, wer diese "mit der ausübung der macht befassten

instanzen" sind und woher sie kommen. Ähnlich kritisiert er

auf der folgenden Seite Politiker, die den Bürgern in einer Demokratie ihre Idee des für die Menschheit Guten verkaufen wollen— "die demokratie besteht aus scharen von leuten, die wissen was gut sei für die menschheit" (CXL)— und Politik und

Ideologien (=Sprachgebäude) zu einem Mittel zur Machterlangung machen. Er wendet sich gegen diese Einvernahmung des Indivi­ duums durch die Demokratie, in der eine abstrakte Staatsform das Leben der Bürger bestimmt und sich selbst verewigt:

in diesem staat, von dessen notwendigkeit alle mit den waffen der Vernunft geschlagenen überzeugt sein müssen, angesichts dieser plebiszitären politik, welche jedermann dazu verhält, als addierbare monade der Öffentlichkeit die nunmehr fruchtlos werdende geschichte, eine regel- grösse, auf den pegelstand der interpretierten gegenwart zu fixieren, in einem hexenkessel also, dessen entropie jedes für möglich gehaltene mass übersteigt, ist es zeit geworden, die grundlagen, die so viele auf ihnen 107

errichtete gebäude überlebt haben, in die luft zu jagen; denn diese neuerlichen adaptationen des traumschlosses werden wohl nur eine korrektionsanstalt übrig lassen. (CXXX)

Wieners Opposition ist nicht parteipolitisch; sie richtet sich im Grunde gegen alles. Auch wenn er die Herrschenden identi­ fiziert als die, die die Sprache kontrollieren, bleibt aber immer unklar und diffus, wer diese Herrschenden sind, und wie sie an die Macht kommen. Im Hinblick auf Sprache bedeutet das natürlich: wer ist für den jämmerlichen Zustand verant­ wortlich? Wenn sie geworden, gemacht ist, muß sie zu ändern sein. Ebenso sehen wir, daß er der Vernunft keine schlichtweg positive Rolle beimißt. Irrationalität spielt denn eine große Rolle im Roman und den Vorstellungen der Wiener Gruppe und des

Wiener Aktionismus. Wiener skizziert, was nach der Meinung anderer— der "opinion-leaders", auf die er sich beruft— möglich ist. Die­ sen zufolge bewegt sich die Gesellschaft auf ein bestimmtes "äusserstes" zu, das "eschaton"— und Wiener interpretiert es auf seine Weise (CXXXIV) . Sein ''Letztes", sein Gegenstück zum

Paradies ist der Adapter. Die "opinion-leaders" sind wohl Politiker, Wissenschaftler und Theologen. Wieners Meinungen

(auch dazu) und Absichten sind nicht direkt dem Text zu ent­ nehmen, denn schließlich posiert die "Skizze" trotz allem als Literatur. Wilfried Ihrig hat— mit Einschränkungen— recht, wenn er sagt, wir dürfen nicht ohne weiteres die vertretenen

Meinungen dem Autor zuschreiben60. Vieles dient dazu, Fragen aufzuwerfen und ins Gespräch zu bringen. Im Bezug zu Wissenschaft heißt es bereits auf XVII: "die aura der worte, so wehrt sich das klima gegen die Wissenschaft

welche uns die Weltanschauung ins hirn tut". Wie die Formu­ lierung erkennen läßt, mißfällt Wiener, daß Wissenschaft an

der Bildung des menschlichen Weltbildes einen entscheidenden Anteil hat. Wissenschaft präsentiert ein bestimmtes Bild der Welt und damit eine bestimmte Auffassung von Wirklichkeit, dem alles unterworfen wird (Fußnote 93, CLXVI). Wieners Wissen­

schaftskritik findet Ausdruck in Behauptungen wie "Wissen­ schaft ist ein zug des spiessertums. " (XXIV, die entsagung der Wissenschaft.). Das Erleben des Einzelnen steht gegen die Abstraktion der Wissenschaft, die andere Erfahrungen als die durch sie sank­

tionierten verhindert (vgl. CXLIX). Der Staat verhindert die volle Entfaltung des Menschen, der im Staatswesen eingebettet und dessen Zwängen unterworfen ist und somit verkrüppelt wird und bleibt.

Die— für Wiener im Grunde sowieso unfähigen— ("normalen") Staatsbürger (=fast alle Menschen) werden auch von Wiener zu ihrem Wohl und Glück gezwungen. Zur Suggestion von Entschei­ dungsfreiheit darf der "Inhalt", wenn er sich im Adapter, dem

Befreiungsinstrument Wieners, befindet— das Einsteigen sollte möglichst auf freiwilliger Basis erfolgen— die "start-routi- nen" selbst "auslösen" (CLXXVII). Der Mensch wird, wenn er nicht freiwillig in den Adapter will, dann mit Gewalt in den Adapter gesteckt. Wiener sieht bei der "beschickung" ein 109 — allerdings lösbares— "ethisch-rechtliches problem" (CLXXVII). (Das Wort "beschickung" ist in der Verbesserung gebraucht, und erinnert an Gaskammern oder Atommeiler. Der Mensch wird zum Versuchstier, Uber das verfügt wird.) Der Bio-Adapter kann als Metapher auf unsere Gegenwart, auf unsere Wirklichkeit gelesen werden. Er wird als eine Parabel auf bereits existierender Verhältnisse und als ver­ fremdende Beschreibung herrschender Trends verstanden und ist dann keine reale Maschine als solches (in technisch-materiel­ ler Form), sondern die heute (bzw. in den 60er Jahren) besteh­ ende Konsumdemokratie mit ihrer "falschen" Sprache. Wir sind schon von einem Adapter umgeben. Der Adapter ist eine Meta­ pher für die Kombination von Sprache und Maschine, Materiellem und Geistigem, Innen und Außen, Psyche und Physis. Wiener um­ reißt in seiner Adapter-Darstellung nicht nur den technischen

Aspekt (dieser ist nur ein Vehikel für die Beschreibung, wie festgestellt wurde). Er leistet, was Wiener an der Demokra­ tie beschreibt und kritisiert. (Und ist so durchaus zwie­ spältig: er symbolisiert gleichzeitig totale Befreiung und to­ tale Kontrolle). Wiener führt über die Demokratie aus: die demokratie hat die mittel zu ihrer eigenen Verewi­ gung, und sie wird nicht zögern, sich selbst zur histo­ risch letzten, zur endgültigen staatsform zu machen. (CXLIII)

Gerade in den letzten Jahren hat sich mit den weltweiten politischen Veränderungen— fast alle Staaten bekennen sich zu Demokratie und kapitalistischen Prinzipien, und die USA versteht sich als einzig verbliebene Weltmacht, deren Mission 110 es ist, überall der Demokratie zum Sieg zu verhelfen— gezeigt, daß Wieners Prophetie mehr oder weniger eingetroffen ist. (In Fußnote 62 lesen wir: "unglaublich, dass man heute offenbar marxist werden muss, um gegen die nivellierung zu protestie­ ren. ich wage gar nicht, mir den zustand der gesellschaft

nach der unausbleiblichen Verständigung von "ost" und "west" vorzustellen" (CLXI). Dieser allumfassenden Demokratie— wie allen anderen politischen Systemen— traut Wiener nicht. Eine weitere negative Auswirkung der Dominanz von Demokratie ist die mit ihr einhergehende Nivellierung zu Mediokrität: "in diesem uniformen Pluralismus besteht wenig hoffnung" (CXLIII) . Es verwundert nicht, daß Wiener sich— zumindest zu dieser

Zeit— sehr elitär verhielt. Z.B. verließ er die Grazer Autorenversammlung zu einem Zeitpunkt, als sie sich seiner Meinung nach zu sehr ausweitete und ihre elitären Anfänge zurückließ61.

Wiener sucht die Befreiung von der Sprache und der durch sie determinierten Welt. Er hat das selbst erlebt: "ich habe an mir selbst gelernt, dass der Sprachgebrauch entscheidend ist für die empfindungsweise, und Über und durch diese für die materiellen zustände des körpers" (CXCI). Welcher Zustand jenseits der Sprache zu erwarten ist, ist nicht ausgeführt. Dieser versprachlichte Zustand wäre sonst dasselbe wie die in politischen Ideologien gesetzte objektive Wirklichkeit, die er kritisiert, und ist daher zu vermeiden. Zu diesen kritisierten Ideologien gehört damit dieser neue Zustand 111 selbst. Anders als der Marxismus es sieht, hängt Wirklichkeit von Sprache ab und nicht umgekehrt:

(...) die Wirklichkeit als insinuation der spräche betrachtet: die Wirklichkeit als "wiederspiegelung" der s p r ä c h e , (cxxxvili) Wirklichkeit scheint es nicht zu geben bzw. wir können sie nicht "wirklich" erkennen, da sie durch Sprache vermittelt ist.

dass der positivismus in Solipsismus mündet, schreckt mich nicht, sondern freut mich. (...) eigentümlicher weise gebärdet sich jeder bisherige Solipsismus missiona­ risch: er hütet sich fein, jene sprachlichen brücken, auf denen man zu ihm gelangen kann, hinter sich abzureissen (...) (CXXXVII)

Politik und Utopie (und Fortschritt qua Technologie) sind eng miteinander verbunden. Wieners Ausgangspunkt ist die vor allem auf Sprachkritik gegründete Kritik an der Gesellschaft der 50er- und 60er-Jahre. Wieners Kritik ist global, denn alles ist an einer Art Verblendungszusammenhang beteiligt, aus dem er sich wie oben beschrieben— sprachlich— befreien will62.

Von Wieners erkenntnistheoretischem Solipsismus, bei dem jeder auf sich selbst gestellt ist, ist es nur ein Schritt zum

Individualanarchismus. Die Weltvorstellung der Menschen bleibt individuell beliebig und allgemein unverbindlich, da sie weder kommunizierbar noch als Handlungsanweisung verbind­ lich ist. Wieners Marx- und Anarchie-Kritik sind ein Zeugnis hierfür. Als Satire setzt der Adapter eine bestimmte politi­ sche Einstellung voraus.

Kritik und die Revolte selbst sind in und von der Verbes­ serung mitbetroffen, d.h. Wieners Aussagen betreffen auch seine eigene Position. Das bedeutet, er möchte aus dem Zwang zu einer vor allem sprachlich vorgegebenen Ideologie (oder Weltanschauung) ausbrechen, sieht aber keinen Weg zur Änderung der Verhältnisse, sondern nur zu deren Abschaffung (im Bio- Adapter) . Es überrascht nicht, daß der Roman während der 60er

Jahre geschrieben und im Verlauf bzw. am Ende der Zeit der

Studentenrevolte veröffentlicht wurde. Der Roman deutet in an, welche Chancen Wiener dieser Revolte und anderer explizit politischer Proteste einräumte. Sein "Ausblick" in der Ver­ besserung ist "positiv", denn die "Verbesserung" wird vollen­ det durch Abschaffung der Quelle der Probleme. Genau besehen ist er jedoch pessimistisch und gegen das politisch optimi­ stische Denken der Revolution gerichtet. Wiener erachtet eine Revolution aber für aussichtslos, da sie den alten Begriffen verhaftet bleibt und somit nicht gelingen kann, da über Sprache (auch Sprachänderung) keine Verbesserung erzielt werden kann. Er scheint von der Studentenbewegung (die er später in Berlin miterlebt hat) nicht viel erwartet zu haben.

Ende der 60er Jahre wurde im Zuge der politischen Ände­ rungen vermehrt nach der Funktion der Literatur in der Gesell­ schaft gefragt. Wiener fragt das auf seine Weise ebenfalls.

Den revoltierenden Studenten ging es um Möglichkeiten der Emanzipation. Diese gibt es bei Wiener offenbar nicht, statt dessen aber die gegenwärtige und zukünftige Totalvereinnahmung im Bio-Adapter und in der Gesellschaft. Es soll aber nicht

übersehen werden, daß am Ende der Verbesserung eine Art 113

Manifest steht, welches zeigt, daß Wiener sich dennoch— eingeschränkte— Veränderung vorstellen kann63. Dieser Ab­ schluß des Romans ändert aber nichts daran, daß Wieners Dia­ gnose nicht viel Hoffnung übrig läßt. Wie unter anderem Wilfried Ihrig betont hat, ist die aus dem Ende resultierende erzähltechnische Verschachtelung nur eine weitere Facette der Darstellung. Auch dieses Ende kann nicht beanspruchen, gültig zu sein, nur weil sie anders klingt oder den Text abschließt. Insofern bleibt der Versuch, dem Leser die Problematik (und gegebenenfalls Lösungsvorschläge) durch eine Text zu ver­ mitteln, fraglich64.

Literatur kann für Wiener keine gesellschaftlichen Ver­

änderungen leisten, da sie natürlich sprachverhaftet ist.

Wenn die Sprache die Wirkungen und Auswirkungen hat, die ihr

Wiener zuschreibt— alles ist sprachlich bedingt— kann eine Veränderung prinzipiell nicht gelingen. Dasselbe trifft dann allerdings auf Wieners eigenen Text zu, denn obwohl er gegen die herrschenden Verhältnisse schreibt, sind seine Ansichten Teil des gesamten Verblendungszusammenhanges und sein Buch kann bestenfalls ein Beitrag zu deren Verfestigung sein, da sich eigentlich kein Ausweg aus den von ihm skizzierten Zusam­ menhängen zeigt: Münchhausen kann sich nicht selbst am Zopf aus dem Wasser ziehen, und genausowenig kann Wiener mit der Sprache aus der Sprache und sich diesem Zusammenhang ohne weiteres entziehen65. Es liegt nahe anzunehmen, daß es Wiener um eine Darstellung eben dieses Sachverhaltes geht. Er hat 114 die Konsequenzen gezogen und sich von der Literaturproduktion abgewandt, aber nicht ohne vor diesem Verstummen seine Gedan­ ken über Sprache schriftlich niederzulegen.

Wiener weiß, daß eine Befreiung von Sprache durch Sprache in dem von ihm kritisierten Rahmen der Sprache und der von ihr geformten Welt verbleibt, also letztlich ebenfalls korrumpiert ist. Der Grund dafür ist die Sprachgebundenheit und damit die Gebundenheit an ein eng abgegrenztes— sprachlich gegründetes-

-Weltbild, das die Menschen einengt und eine umfassende sinn­ liche Erfahrung behindert: kalt— warm. um wie viele raffinessen des genusses bringt uns diese sture spräche? wieviele sinne gehn an ihrem Standard zugrunde? Stumpfsinn ist der Umschlag der Vereinigung. (XXIII)

Im Adapter wird dieser "Genuß" wieder möglich und sogar ausgedehnt.

Bewußtsein

Der Bio-Adapter wird im "Appendix A" als "m.e. erste diskutable skizze einer vollständigen lösung aller weltproble- me" vorgestellt (CLXXV), der die "befreiung von philosophie durch technik" anstrebe (CLXXV). Mit Philosophie meint Wiener

Religion und Ideologien im Gegensatz zu Naturwissenschaft. Der Adapter— als uterusähnlich verbildlicht (CLXXV)— ersetzt die "Vorgefundene umwelt" des Menschen und erfüllt nicht nur materielle, sondern auch geistige Bedürfnisse auf individuell zugeschnittener Basis (bzw. erzeugt schließlich diese 115 Bedürfnisse und gaukelt deren Erfüllung vor; vgl. CLXXVII1 unten: die Kommunikation zwischen dem Adapter und seinem Inhalt läuft auf der intellektuellen Ebene des jeweiligen Inhaltes ab).

Der Ausgangspunkt für Wieners Unternehmen ist: die Welt, so wie wir sie kennen, ist ungenügend66, und der Mensch als

Krone der Schöpfung kommt— nicht trotz, sondern wegen seines ihn angeblich auszeichnenden und überlegenen Bewußtseins— in ihr nicht mehr zurecht. Bereits zu Beginn der Verbesserung

verkündet Wiener, was das Hauptproblem des Menschen ist: das

Bewußtsein, mit dessen Erschaffung die Welt zu weit gegangen sei. Auf Seite XI heißt es: "...ich bekomme das gefühl dass mein verstand gar nicht für die weit da ist...", und dazu in

Fußnote 4: "jedenfalls nicht das bewußtsein: mit seiner er- schaffung ist die weit zu weit gegangen". Ähnlich liest man an anderen Stellen: "das bewußtsein, dieses kuckucksei der

natur, verdrängt also schliesslich die natur selbst" (CLXXXI- II). Das Kuckucksei-Bild ist nicht umsonst gewählt: es signalisiert die Ablehnung des Bewußtseins als etwas uner­ wünscht Untergeschobenes, mit dem man belastet wird. Das Konzept "Bewußtsein" ist abhängig von verschiedenen Einflüs­

sen, z.B. Sprache, Kultur, Geographie, also dem sozialen Umfeld menschlichen Lebens. (So schon bei Mauthner). Das Bewußtsein ist für Wiener die Quelle der Sprache:

das die spräche konstituierende, die durch sie hervorge­ rufene und sie hervorrufende konfiguration [des bewußt- seins] (CXXXVIII) 116 Vom menschlichen Bewußtsein gehen alle Probleme aus (die so­ genannte Freiheit, die es eigentlich nicht gibt). Hier ist anzumerken, daß viele (Sprach-) Philosophen die Ansicht ver­ treten, Bewußtsein— die Fähigkeit zu reflexivem Denken, und nach Wiener der "Produzent von erlebnissen" (CXXXVII)— äußere sich in Sprache, und eben das— Sprache— sei es, wodurch der Mensch sich vom Tier unterscheide. Gerade bei Sprache, Be­ wußtsein, Gedächtnis, Denken, Erkennen und deren Zusammenhang setzt die experimentelle Literatur bzw. Wiener an ("man hört manchmal, ohne gedächtnis gäbe es kein bewusstsein: wer so redet, spricht im namen der Ordnung, richtig daran ist: hard- ware ist ein teil des programms" (CLXVIII, Fußnote a); Wiener scheint Bewußtsein als Software zu sehen, die zwischen dem Körper und der Außenwelt vermittelt; dabei möchte er das Be­ wußtsein aber nicht von Materie losgelöst wissen. Es hört sich an wie Marshall McLuhans "The message is the medium") .

Bewußtsein und Natur (Umwelt) bilden einen Gegensatz, weil der Mensch sich dadurch von der natürlichen Einheit trennt. Wiener meint hier nicht den "mythos natur", in dem er eine politische Erfindung sieht, sondern unvermittelte Natur. "Natur" bzw. "Natürlichkeit" sind Konzepte, die keinesfalls feststehen: "was natürlich ist wird sich heraus­ steilen, man glaubt garnicht was alles natürlich ist" (XXV)).

Das Bewußtsein als Basis für Erkenntnis macht den Menschen zu dem, was er ist. Gleichzeitig entfernt es ihn von der Umwelt, sondert ihn ab, und macht die Rückkehr zur Natureinheit 117 unmöglich. Er kommt in Widerspruch zu ihr und verliert die paradiesische Instinktgebundenheit, das einheitliche Leben und Erfahren67. Die Malaise ist die so entstandene Individualität des Menschen, mit der die natürliche Einheit zerfallen ist. Das Ziel der Geschichte ist die zwar Wiederherstellung einer Einheit, aber dieser Gegensatz kann nicht mehr überwunden werden, er vergrößert und verschlimmert sich durch seine Be­ mühungen sogar noch. In der Gegenüberstellung von Erkennt­ nis (qua Ideologie) und Leben verbirgt sich biblische Symbo­

lik: der Apfel vom Baum der Erkenntnis, den Adam aß, symboli­ siert Wissen (bzw. Bewußtsein und Erkenntnis). Die Gegenüber­ stellung von Leben und Wissen (Nicht-Essen vs. Essen des Apfels) findet sich anders ausgedrückt auch in der Bibel, nur als Naturakt68.

Wiener bezweifelt, daß die Menschheit einen direkten Zu­ gang zur und eine ungestörte Einheit mit der Natur wiederer­ langen kann. Sein Ersatzziel ist, diese "veraltete, natürli­ che, allen gemeinsame umwelt" (CLXXV) durch eine individuelle-

-dem jeweiligen Adapterinhalt (="Individuum", Mensch)— ent­ sprechende Umwelt zu ersetzen69. Der Adapter ist ein Flucht­ mittel aus dieser Zerfallenheit. Der Zustand der zerfallenen Einheit wird durch Wieners Adapter einfach weggewischt, indem "das all auf den Status einer unterhaltsamen ... fabel" redu­ ziert wird (CLXXV).

Die Entwicklung der Kybernetik wird einen großen Anteil am künftigen Schicksal der Menschheit haben: 118 die kybernetik bietet erstmals eine lösung der durch den gang der geschichte aufgeworfenen probleme: begründete hoffnung, dass der mensch von seiner auseinanderSetzung mit der umweit befreit werden könne. ein teil dieser auseinandersetzung wird schon in absehbarer zeit den Computer Ubergeben werden können (...) (CXLVIII) Sein Computer, der Adapter, ist eine Beschreibung dessen, wie das aussehen könnte. Mit dieser Vermutung hat er recht gehabt.

Die menschlichen Erfahrungsmöglichkeiten sind zu einge­ engt, und dahinter steht auch das Funktionieren bzw. Nicht- Funktionieren der sprachlichen Kommunikation. Die Lösung der menschlichen Probleme wird durch Technik— in der Form des Bio- Adapters— gewährleistet, indem man die Quelle der Probleme durch Umbauen mit dem Ziel der totalen Bewußtseinserweiterung schließlich mehr oder weniger beseitigt. Beim Adapter handelt es sich um eine Art Maschine, die nach und nach den Menschen ersetzen soll und wird. Sie ist als autark-autonomes System, als totale Maschine konzipiert und ist fähig, sich im Laufe der Zeit selbst zu adaptieren und ändernden Umständen anzupas­ sen (die kybernetischen Grundgedanken sind im "Essay" darge­ stellt, besonders in Fußnote 109, CLXVIII-CLXXIII).

Der Mensch wird im Adapter hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen, und anschließend beginnt der Adapter sein Werk, in dessen Verlauf er sich immer mehr verselbständigt. Schließlich übernimmt er vollständig die Kontrolle: "(...) der adapter kontrolliert die leiblichen und seelischen zustände

(...)" (CLXXXI). Der Adapter empfängt Signale und sendet neue an seinen "Inhalt" zurück. Der Umbau des Menschen (bei Wiener auch "Verbesserung") beginnt, sobald der Adapter nach der ersten Adaptionsphase die volle Kontrolle über seinen Inhalt übernommen hat (CLXXXI), Der Mensch steigt in diese computer­ gesteuerte Supermaschine ein, in der alle seine Wünsche er­ füllt werden. Im Verlaufe der Zeit kommt es zu Änderungen des Adapters und seines Inhalts. Zuerst kommt der schmerzlose Ersatz der Gliedmaßen, dann völliger Abbau. Der Umbau er­ folgt, während der Mensch bzw. sein verbleibendes Bewußtsein meint, es gehe ihm gut wie nie, ja sein Glück sei vollkommen.

Je mehr der Körper abgebaut wird, desto besser, da der Kontakt Nervensystem-Adapter so unmittelbar wie möglich sein soll (vgl. CLXXVI).

Der Tod wird als Unfall interpretiert, bei dem biologi­ sche Gegebenheiten außer Betracht gelassen werden. Der

Adapter ist so gebaut, daß es das alles suggerieren kann.

Sogar z.B. die Illusion, er steige aus dem Adapter und gehe wieder nach Hause, kann ihm vorgespielt werden, um zu sugge­ rieren er sei noch unabhängig und könne in sein voriges Leben zurückkehren (vgl. CLXXIX; natürlich kann der Inhalt den Adapter nicht verlassen, da er ja völlig umgebaut ist und somit lebensunfähig wäre; CLXXVII).

Für das im Adapter überlebende Bewußtsein werden der Körper und direktes körperliches Empfinden von Körperzuständen unwichtig. Nach Wiener ist der Verlust des Körpers kein Nach­ teil, da es keinen Unterschied zwischen "echten" Tatsachen (z.B. tatsächlich zu gehen) und "echt" empfundenen Illusionen 120 (z.B. der, zu gehen, ohne es allerdings zu tun; vgl. CLXXXI) gibt. Dasselbe gilt für den Körper. Die Unterscheidung (so wie sie heute gemacht wird) zwischen "echt" und "vorgemacht" ist eine moralische und dazu sprachlich bedingt, und das will

Wiener überwinden. Jeglicher Unterschied zwischen "echt" wie wir es heute sehen und wie es vom Adapter geboten wird, ist aufgehoben. Die Existenz des Adapters führt zur Neuerschaf­

fung der Welt, und es verbleibt kaum ein Unterschied zu gegen­ wärtigen Zuständen; damit würde der Adapter sich erübrigen. Ob man sich mit Hilfe des Adapters vorstellt, z.B. ein Eis zu

essen, oder ob man in der für das Individuum jetzt existie­

renden Realität ein Eis ißt, machte kaum einen Unterschied. Das Problem wird bei der Wurzel gepackt, und Problem und Lösung werden im Adapter quasi kurzgeschlossen, das heißt, der Mensch, wie wir ihn zu kennen glauben, wird vollständig ge­ ändert und ein anderes Wesen, womit das Problem schließlich

verschwindet. Es entsteht im Grunde kein neues Bewußtsein,

das alte wird nur umprogrammiert und maschinell geregelt. Obwohl der Adapter das Ende der Menschheit darstellt, ist er keineswegs das Ende des Bewußtseins, und eben das ist das Entscheidende70. Die Einführung des Adapters bedeutet

((...) das ende der menschheit— sicherlich jedoch nicht das ende des bewusstseins als Spitzenerzeugnis der evolution, ganz im gegenteil!) (...) der inhalt des adapters ist für die gesellschaft verlo­ ren, weil er die Wirklichkeit verlassen hat. (CLXXVII) Wie Wiener dazu anmerkt, könne nicht gesagt werden, wohin die

Wirklichkeit verlassen würde. Das Wichtige ist jedoch, daß 121

der Adapter ein Mittel ist, die gesellschaftlich bedingte Wirklichkeit zurückzulassen und einzutauschen für einen Zu­ stand der Freiheit. Gerade um totale Bewußtseinserweiterung und absolute Freiheit geht es in der Verbesserung insgesamt und im Adapter im besonderen71. Wie sich das Bewußtsein im

Adapter weiterentwickelt, kann nicht ausgeführt werden, da der

neue Zustand jenseits unserer Fassungskraft liege, liegen müsse und liegen solle, denn gerade die Überwindung der der­

zeitigen Begrenzungen sei ja Anlaß und Ziel. Außerdem könnte dieser Zustand nicht beschrieben werden, weil es jenseits der Sprache ist und somit nicht mit ihr erfaßt werden kann. Kon­

sequenterweise soll der neue Zustand auch nicht erfaßt werden,

da das Ausgangsproblem— Einengung der Wirklichkeitserfahrung durch Sprache— wiederkehren würde. Der Adapter nimmt schließ­ lich jedoch selbst den Platz des— neuen— Staates ein (CLXXXI) , es gibt also keinen Ausweg.

Beim Umbau des Menschen im Adapter verschwindet das

"Selbst". Dies ist jedoch wiederum als Vorteil anzusehen, da

Konzepte wie "Selbst", "Identität" und "Individualität" eine beliebige sprachliche Fiktion sind, die Wiener als politisch bestimmt ansieht und die es aufzudecken und zu überwinden gilt: definition ist Spekulation, in jeder definition das magische konzept der sogenannten identität, und die spräche entdeckt als maschine des erkennens. in Wahrheit ist definition natürlich ein instrument der politischen Unterdrückung, sie nimmt dem wort die möglichkeit des meinens. (XXIII) 122

Diesen Zustand identifiziert Wiener in einem Paradoxon mit dem

Leben: "ich— brauche nichts; nicht einmal mich selber: ich bin lebendig" (XXIX). Die Fiktion des "Ich" gilt es zurückzulas­ sen, um zum Leben selbst vorzudringen. Dies zeigt einen Ein­ fluß Fritz Mauthners— vgl. Die Sprache (80-82)— und Max Stir- ners, der sein Hauptwerk Der Einzelne und sein Eigentum, in er den Individualanarchismus und radikalen Solipsismus philo­ sophisch fundiert, beginnt mit "Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt", wobei das "Nichts" identisch ist mit dem

Ich, das sich erst bestimmen muß und daher "Nichts" ist72.

Wie schon Mauthner vor ihm kritisiert Wiener daran, daß Stir- ner übersieht, daß dieses "Ich" nur eine sprachliche Fiktion ist:

motion an "m. stlrner" Ich bin die redensart von descartes, Ich bin das postulat der kurzbeinigen Wahrheit, Ich bin von Objekten usur­ piert. Ich muss als knöpf für meine Sinnesorgane herhalten, Ich bin die analogie des räudigen begriffs kontinuität, diese ganze gemeinheit nur weil die blöde spräche ihr Zentrum braucht: Ich bin ein spuk, Ich bin das Subjekt der aussage, man will mich zwingen das ideal einer ichheit zu sein, mich werdet ihr mir nicht bezeichnen! (XXXIII)

Später urteilt Wiener über Stirner: "(...) dessen gedanken viel zu gross und viel zu extrem sind, um auf breiter basis resorbiert zu werden (...)" (CLXI73) .

Im Adapter wird nicht nur, wie festgestellt, der Körper verändert, sondern— was wichtiger ist— langfristig auch das

Bewußtsein. Das Gehirn bzw. das zentrale Nervensystem— als materialer Ort des Bewußtseins angenommen— wird herauspräpa­ riert. Die Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung wird durch 123 zusätzliche, neue sensorische Moduln radikal erweitert. Dies ist für die Menschen im Adapter unbedingt von Vorteil, da es größere Freiheit zur Selbsterfahrung bedeutet, und auf diese kommt es Wiener an. Allerdings scheint das Bewußtsein zwar nicht zu verschwinden, aber doch überflüssig zu werden, da es nur mehr mit sich selbst befaßt ist. Das Bewußtsein existiert ewig weiter (wird nicht "leer", wenn die Zeit und Außenwelt im Laufe der Zeit aufgehoben werden). Übrig bleibt in der

Maschine am Ende nur das Bewußtsein mit seinen Bedürfnissen, deren unmittelbarste Erfüllung— und als Konsequenz schließlich auch deren Entstehen— vom Adapter simuliert wird74. Das führt schließlich dazu, daß ein neues, künstliches Wesen entsteht und der "traditionelle" Mensch verschwindet: der Adapter selbst wird mit seinem Inhalt identisch und damit zum Men­ schen, sozusagen allumfassend: "so wird nun das bewusstsein zum selbst der umweit" (CLXXXII).

Die fortwährende Wunscherfüllung im Adapter hat Konse­ quenzen für das in ihm enthaltene Bewußtsein. Sie erzeugt sozusagen Langeweile im Paradies, aus der man folgern kann, daß es nur in der Hölle (sprich im Leben) interessant. Am Ende wird alles vom Adapter simuliert, ist also bloß noch illusionär vorhanden. Das Bewußtsein wird wie das Hegelsche reine Sein, der reine Geist, also Nichts.

Dies ist offensichtlich ein modernes Problem. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich die Klagen über die Fragmen­ tierung des Individuums, dem die monolithische Identität fehlt— dies geht einher mit dem Verlust von festen kollektiven Weltbildern— verstärkt. Identität ist immer relativ und kul­ turell, sozial, geschichtlich bestimmt. Der Adapter vollendet als direkte, notwendige und wünschenswerte Konsequenz die Ich- Auflösung. Das neue "Ich" dehnt sich aus, seine "Enge" wird überwunden und total und alles umfassend. Das führt dazu, daß es ein "Ich" wie wir es traditionell annehmen, nicht mehr gibt, und das ist Wieners Anliegen:

waren früher die gestalten der sinnlichen Wahrnehmung (...) ausgeburten der spräche, so ruht nun das bewußt­ sein, unsterblich, in sich selber und schafft sich vorübergehende gegenstände aus seinen eigenen tiefen. (CLXXXIII) Dieses "Ich" hat auch keinen körperlichen Träger mehr, da das Gehirn der einzige Teil des Menschen ist, der im Adapter über­ lebt. Das Bewußtsein "ruht" also und wird zu einer Art Per­ petuum Mobile, es ist nur noch sein eigenes Produkt. Der

Adapter resultiert letztlich in absoluten, vereinzelten Be- wußtseinen, denn sobald zwei Personen kommunizieren, kommt

Sprache mit den von ihm angegriffenen Strukturen zur Wirkung und es entsteht Zwang (Erfahrungen und der sprachliche Aus­ formung werden normiert etc.), selbst wenn sich diese zwei Bewußtseine "verstehen" (bzw. gerade dann, denn bereits Ver­ stehen ist auf bestimmten Prinzipien gegründet, auf Allgemein­ heit, Kommunizierbarkeit usw.) . Folglich verwundert es nicht, daß die Menschen (bzw. Bewußtseine) in ihren Adaptern vonei­ nander abgeschieden sind. Der Adapter funktioniert als

Mechanismus, der Individualität vorspiegelt, aber am Ende 125 Uniformität schafft und die "Person” abschafft. Der Adapter ist hier auch eine Satire auf das Identitätsdenken. Hier zeigt sich der Einfluß von Solipsismus und Individu- alanarchismus, für die Wiener große Sympathien hegte. Wiener drückt das Problem so aus: "fällt oder schwebt man nach dem

Absägen des Astes" (CXXVIII). Eine Folge bzw. Konsequenz daraus für das Leben ist dann der philosophisch-politische Ansatz völliger, totaler "Anarchie" und Individualität.

Hier muß die Kritik ansetzen. Wenn Kommunikation möglich ist, existiert die Welt objektiv. In diesem Fall gilt der

Solipsismus nicht, nach dem Welt rein subjektiv vorhanden ist und keine Verständigung darüber möglich ist (wie bei Wittgen­ stein ausgeführt). Der Adapter ist einerseits ein Modell für

Wieners Solipsismus: das Bewußtsein hat nur mit sich und der von ihm erschaffenen Welt zu tun. Andererseits ist er Beweis, daß Individuen gerade nicht solipsistisch sind, da die Ver­ ständigung über den Adapter und seine Herstellung eine koor­ dinierte, soziale Anstrengung sind. Wie oben angesprochen und anhand einiger Beispiele angedeutet, scheint sich die Welt aber auf diesen solipsistischen Subjektivismus und Individua­ lismus eines Adapters zuzubewegen.

Der Adapter kann als die Welt insgesamt verstanden wer­ den: alle Menschen würden sich also gegenseitig etwas vor­ machen (das wäre jetzt schon so, man schottet sich ab, um nichts mehr mit dem Leben zu tun haben zu müssen). 126

Anthropologie Das Konzept des Bio-Adapters hat Berührungspunkte mit anthropologischen Fragestellungen und Problemen. Wiener will die Befreiung und Erhöhung der sinnlichen Erfahrungen des Menschen von der Einschränkung durch Sprache. Der Adapter führt letztendlich hingegen zur Abschaffung des Menschen, wie wir glauben ihn zu kennen bzw. anthropologisch definieren zu können. Für Wiener ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung. Er wird abfällig "schleimklumpen" (CLXXV), später auch "bio-modul" (CLXXVIII) genannt. Diese Wortwahl dient verschiedenen Zwecken: der Provokation des Lesers und der

Erweckung eines wissenschaftlichen Anscheins. Daß der Mensch nicht wie ein Tier spezialisiert und für ein bestimmtes Leben ausgerüstet ist, wurde bisher eher als Vorteil angesehen. Der Mensch sah sich als kaum eingeschränktes, vielseitiges Lebe­ wesen, der es sich überall auf der Welt einrichten kann. Bei Wiener ist er für das Leben nicht gut ausgerüstet und ver­ sucht, mit einer Maschine seine Ziele zu erreichen. Erst im und mit dem Adapter wird der Mensch wahrhaft souverän, denn er löst sich vom Kosmos. Auf seiner Suche nach Sinn und Be­ friedigung muß der Mensch die Welt transzendieren, da sie kein

Ergebnis verspricht: "selbst der kosmos ist ungenügend" (CLXXVI). Wiener spricht von einer "liquidation des homo sapiens" und einer "trockenlegung des kosmos" (CLXXV), die der

Adapter erreicht: er "reduziert das all auf den status einer 127 unterhaltsamen .. . fabel" (LXXV). Dies ist seine ironisch vorgetragene utopische Perspektive. Kein Mensch ist bei der Geburt definitiv bestimmt ist, eine vorbestimmte Seele z.B. gibt es nicht. Das gesamte Leben des Menschen wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, die als "natürlich" angesehen und daher akzeptiert und verteidigt wer­ den. Im Grunde sind diese Faktoren und Umstände aber prinzi­ piell nicht qualitativ verschieden von "künstlichen", techni­ schen Mittel und haben deshalb auch keinen Vorrang. Der Adapter bietet nur wesentlich mehr Möglichkeiten, sich zu definieren. Der Adapter als Metapher steht für die Beliebigkeit der menschlichen Natur. Der "natürliche" Mensch— was immer das sein mag— verschwindet im Adapter, und es muß sich erst herausstellen, was natürlich ist. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß es den "natürlichen Menschen" ebensowe­ nig gibt wie ein echtes, unverfälschtes Leben (wie im Para­ dies) . Es bleibt offen, wie das "echte Leben" jenseits von

Sprache und Gesellschaft aussieht, das Wiener zu vermuten scheint.

Der Bio-Adapter war in den 60er Jahren nur ein gedankli­ cher Umriß, eine Spekulation ohne Details in der Ausführung oder zeitliche Prognosen für seine Verwirklichung. Wiener war von 1960 bis 1967, noch in der Frühzeit der Computer, Direktor der Computerabteilung bei Olivetti-Österreich. Es ist anzu­ nehmen, daß der Adapter nach Wieners Meinung möglich und 128 machbar Ist. Seinem vorgeblichen Optimismus kann auch schlicht eine Überschätzung des Computers und der Technik im

Allgemeinen in den 60er Jahren zugrundeliegen. Im Gegensatz zu seinem positiv zu verstehenden Konzept der Nutzung von Computern befürchtet er, daß sie zu Affirmationszwecken gesellschaftlicher Gegebenheiten dienen werden:

zweitens aber wird das versteinerte denken (...) die Computer zwingen, auf der linie der spräche zu bleiben: statt zum partner zum ausbruch aus der geschichte sind sie dazu bestimmt, als Sklaven uns Sklaven die Sklaverei als einzige riehtigkeit verständlich zu machen. (...) die natur darf sein, wie sie definiert worden ist (...) (CXLIX)

Wiener glaubt an die Möglichkeiten der Technik, nicht aber

daran, daß sie zu die Freiheit fördernden Zielen (wie er sie sieht) eingesetzt werden: "diese beiden punkte wiegen leider unvergleichlich schwerer als die hoffnung, dass die neueren

Produkte der technik unsere metaphysische weil induktive Wissenschaft erübrigen könnten" (CL). Es lassen sich keine Anzeichen ausmachen, die auf eine andere Einstellung den

Maschinen (bzw. dem Computer) gegenüber hinweisen. Ganz im Gegenteil, die "qualitativen Seiten" müssen bei dem vorausge­

setzten Wissenschaftsverständnis— es ist "positivistisch-

pragmatisch-behavioristisch"— ausgeschaltet bleiben. Damit werden

einsichten in die bewusstseinslage von maschinen uninte­ ressant (eine, wie ich es nennen möchte, reaktionär­ soziologische haltung), und man ist weit davon entfernt zu erwägen, ob man nicht (wie es dereinst auf der linie des cyborg geschehen könnte) mit ihnen in eine andere als imperialistische Verbindung treten solle, um damit an der eigenen bewusstseinserweiterung zu arbeiten. (CL) 129 Der Adapter ist ein Modell für eine nicht-imperialistische Verbindung. Zugleich ist es als Negativum ausgeführt, da der Adapter keine Rettung bietet.

Wiener steht mit seinem Adapterbild am Ende der Aufklä­ rung und des aufklärerischen Denkens und Glaubens an Fort­ schritt und Technik, den man in der amerikanischen Kultur und im Marxismus noch proklamiert. Alle menschlichen Gebrechen sollen durch Technik beseitigt werden75. Daß die Menschheit

auf diesem Weg voranschreitet, kann man aus gegenwärtigen

Forschungsprojekten und Errungenschaften auf verschiedenen Gebieten ersehen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Indu­ strie richtet sein Bestreben auf die Erschaffung einer Art

von Adapter (den man sich allerdings schwer als "positives" Ziel der Evolution vorstellen kann, wenn man traditionellen Menschenbildern verhaftet ist). Wir sehen in unserer Gegen­

wart immer mehr technische (und andere) Systeme, Konzepte und Projekte, die in die von Wiener umrissene Richtung führen.

Dort werden große Fortschritte gemacht, die einmal zu einem echten Adapter beitragen könnten. Diese Entwicklung ist ab­ sichtlich, da viele Leute bemüht sind, der Realität zu ent­ fliehen.

Zahlreiche Beispiele kommen insbesondere aus der gesamten

Computerindustrie, dort vor allem aus dem Forschungsgebiet um die sogenannte virtual reality, dem bisher neuesten und letz­ ten Schrei76. Dabei verrät allein der Begriff vieles: er meint eine künstliche, nur vorgegaukelte Wirklichkeit, in 130 welcher man sich aber "echt" zu befinden glaubt. Sie ist fast ausschließlich vom Computer geschaffen, erlaubt aber das als "echt" empfundene Manipulieren der Umwelt. SinneseindrUcke werden vorgetäuscht: man kann z.B. vom Computer vorgemachtes

Sandpapier "fühlen". Das langfristige Ergebnis ist die Er­ schaffung neuer Wirklichkeiten— wie im Adapter konzipiert77.

Vorerst noch umgibt man sich mit Maschinen. Der Abbau des Körpers mag später folgen.

Für die Filmindustrie wurde die Technik des sogenannten morphing entwickelt. Reale, echt gefilmte Sequenzen werden durch computerkreierte Sequenzen so ergänzt, daß der Anschein des "Echten" entsteht. Erstmalig gebraucht wurde das in einer Auto-Reklame und dem Spielfilm Terminator 2 : eine Person scheint durch eine Gittertür zu laufen. Vorläufer einer Computerweltsimulation werden z.B. in TRON. dem Disney-Film aus den frühen 80er Jahren, dargestellt.

In den 70er Jahren stellte der Pop-Artist Martyn Dean auf Entwurfszeichnungen eine eiförmige Vorrichtung vor, die zu­ mindest eine ähnliche Funktion wie der Adapter erfüllt— die

Abschottung vor der Umwelt (hier zu Erholungszwecken)78.

Ein weiteres Projekt— teilweise bereits Uber ein Jahr­ zehnt alt— sind die Versuche des Amerikaners Myron Krueger, einen von Computern kontrollierten responsive space zu bauen, der relativ frei und selbständig auf menschliche Aktionen reagiert und einer Art Kommunikation und Interaktion fähig 131 ist79. Hierher gehören auch schon länger existierende

Fluchtorte wie Disneyland und Disneyworld. Auch andere Entwicklungen und Möglichkeiten wie z.B. das Sich-einfrieren-lassen (zwecks ewigen Lebens), ähnlich sperm banks, gesteuerte Insulininjektionen und Herzschrittmacher, die Forschungen der Militärtechnologie, z.B. ultra red goggles zur Nachtsicht, können als frühe Bausteinformen und Aspekte für einen möglich erscheinenden, zukünftigen Adapter gesehen werden. Weitere Facetten sind Telefonsex, Einkäufen per Fern­ sehgerät, oder die Arbeit zu Hause durch Verknüpfung an ein Computernetz. Dies alles führt zu einer künstlichen Welt, durch die man direkten Kontakt mit der Außenwelt vermeiden kann. Man kann sich zu Hause in einer selektiven, kontrol­ lierten Umgebung ohne größere Reibeflächen einigeln. Solche technischen Errungenschaften machen die Möglich­ keit der Erfindung eines Geräts wie des Adapters plausibel. Der reale Adapter sähe zwar anders aus, hätte aber ähnliche

Funktionen und Wirkungen (daß Wiener befürchtet, daß der

Hauptzweck seines Adapters wohl zu kurz käme, wurde oben ausgeführt). Die sozialen Auswirkungen solcher Erfindungen und Projekte sind jedoch umstritten. Nach Kritikermeinung werden sie zu eher zweifelhaften Zielen benutzt (und nicht zu Emanzipation und Befreiung)80.

In anderen Aufsätzen, besonders im Kursbuch, befaßt sich

Wiener mit einer Kernfrage der artificial Intelligence: ob man eine selbst-bewußte Maschine konstruieren kann (die sogenannte Turing-Maschine), und ob sich eine solche Maschine selbst ver­

ändern kann, in Kürze: ob man eine Maschine bauen kann, die sich nicht mehr vom Menschen unterscheidet81. Für Wiener ist das nur eine Frage der Machbarkeit. Sobald erst bestimmte Grundlagen geklärt sind, z.B. was genau "Denken" ist, wird dessen technische Duplikation folgen können. Ein beachtenswertes Phänomen ist hierbei auch der Dro­ genkonsum. Verschiedene Titel aus Wieners Literaturver­ zeichnis und verstreute Bemerkungen lassen unschwer zu er­ sehen, daß eines seiner Interessen auch diesem Mittel galt. Während z.B. in den 60er Jahren im Zuge der Hippie- und Stu­ dentenbewegung und eines allgemeinen Aufbruchs der "jungen"

Generation Gebrauch und Einfluß von Rauschgiften zur Bewußt­ seinssteigerung als einer der entscheidenden Wege propagiert wurde82, die gewöhnliche Alltagswelt mit all ihren Einschrän­ kungen zu transzendieren, wissen wir es heute anders. Selbst wenn in den 60er Jahren bei Drogengebrauch noch an Bewußt­ seinsveränderung und über diese an Gesellschaftsänderung ge­ dacht war, so hat sich mittlerweile gezeigt, daß das nicht zutrifft. Drogen werden vor allem zu einem Zweck genommen- -zur Flucht vor der Realität— und nicht nur für ein kurzfri­ stiges high, sondern um die als schlimm gesehene Welt mög­ lichst auf Dauer zu verlassen. Der Adapter kann zum selben Zweck benutzt werden.

Der Adapter ist aber auch eine Kritik der Hoffnung der

Welttranszendierung durch Drogen: 133 wie sehr der Staat auf ein monopol auf die Wirklichkeit aus ist, zeigt in unserer zeit am besten die sinnlose Verfolgung der rauschgifte, für viele vom Staat verkrüp­ pelte das einzige mittel, ihm und ihr zu entkommen,— ein recht untaugliches noch dazu, weil selbst hier noch die spräche den ton angibt: (...) (CXLVII) Sprache macht hier ihren Einfluß geltend, wenn es darum geht, Halluzinationen zu beschreiben. Diese Beschreibung erfolgt sprachlich, und ist damit wieder von Wieners Kritik betroffen. Wiener benutzt diesen Punkt auch zur Kritik am Staat, der die Kontrolle der Wirklichkeit für sich beansprucht.

Man mag es wenden wie man will, der Mensch kann sich nicht von der Welt befreien, auch nicht im Adapter, denn dieser entspringt selbst der Welt, die er transzendieren soll (oder, vorsichtiger formuliert,« der Sprache Wieners A 3 ) .

Glück und Befriedigung

Das Streben nach Glück ist nach Aristoteles das zentrale Anliegen menschlicher Existenz. In der amerikanischen Ver­ fassung mit ihrem individualistischen pursuit of happiness findet dies Eingang in die Politik. Die Abschnitte Über den Adapter, besonders "Appendix A", sind eine Utopie, in der

Wiener sich mit dem Unternehmen "Glück für alle" auseinander­ setzt und Aspekte der Erreichbarkeit desselben aufzeigt. Er­ reichbarkeit bedeutet dabei vor allem die technisch-materi­ elle Machbarkeit und Herstellbarkeit eines Apparates, der für totale, sofortige Befriedigung aller sowohl sinnlicher als auch intellektueller Bedürfnisse sorgt (CLXXVI). 134 Der unbefriedigte Mensch— von dem während der sexuellen Revolution in den 60er Jahren, als der Roman verfaßt wurde, viel die Rede war— wird postuliert (CLXXVI). Es bestehen Zusammenhänge mit dem Wiener Aktionismus, der unter anderem die sexuelle Befreiung zum Ziel hatte. Zwischenmenschliche Beziehungen und Beziehungsschwierigkeiten, sexuelle Frustrati­ on, überhaupt Lust und deren fehlende Befriedigung werden im Adapter aufgehoben (in gewisser Weise wird auch der Tod als Erfahrung dargestellt) . Der Adapter macht all das überflüssig durch sofortige Erfüllung aller Bedürfnisse und Wünsche. Dabei ist zuerst an alles gedacht, was mit "ekstase" zu tun hat (CLXXXI: "in der raserei kündigen phantastische irrumina- tionen Veränderungen der Wirklichkeit"— um diese "Veränderun­ gen" geht es), vor allem sexuellen Bedürfnissen (CLXXX). Wo immer es negative Gefühle gibt, werden sie in positive umge­ wandelt. Der Adapter gewährt die endgültige, vollständige Befreiung der Menschen. Der als "glücksanzug" und "servo-narziss" (CLXXV) um­ schriebene Bio-Adapter erkennt und wandelt alle Bedürfnisse und Lustimpulse des Menschen um, gibt sie zurück und erfüllt sie (CLXXV). Bedürfnisse und Lüste werden schließlich vom

Adapter erzeugt; es entsteht ein feedback-loop zur Erhöhung des Lustgewinnes und der Befriedigung. Die abschließende Vereinigung der (Nerven-) Systeme und der Adapter-Maschine, soll das Zusammenspiel zwischen Lust und Befriedigung so schnell und unmittelbar wie möglich machen (CLXXXI)84. Der 135

Reiz-Reaktions-Informationsaustausch wird direkt: "er [das Bio-Modul, HK] besteht ja ausschliesslich aus bewusstsein, und dieses erfährt in schüben grandiose ausweitungen" (CLXXXII). Am Ende wird der Adapter unabhängig und übt selbständig die

Herrschaft aus, er hat alles unter Kontrolle: seinen Inhalt

(das fast gänzlich von Materie gelöste Bewußtsein) und sich selbst.

Das Leben des Individuums findet bald ausschließlich im Adapter statt. Zwischen dem simulierten Leben im Adapter und dem "echten" Leben gibt es bald keine Unterschiede mehr, d.h.

im Grunde gibt es bald sehr viele Unterschiede, die aber alle

qualitativer Natur sind. Diese Unterschiede sprechen gegen das "echte", "eigentliche", "natürliche" Leben wie wir es

kennen, und für den Adapter. Der Adapter bietet alles, was im sogenannten normalen Leben gemeinhin nicht oder nur unter großen Anstrengungen und Opfern erlangt werden kann, z.B.

sofortige Wunscherfüllung. Wiener impliziert, daß es nichts

ausmache in einer Maschine zu leben und alles vorgespielt zu

bekommen und mehr oder weniger im Rausch und der Illusionswelt des Adapters zu leben statt außerhalb seiner, wo es nur Pro­ bleme, Frustrationen und Ängste gibt— vor allem dann nicht,

wenn die Menschheit als Ziel des Fortschritts Friede, Gerech­ tigkeit und besonders Glück hat— und gerade Glück (in der Form völliger Freiheit) wird vom Adapter angeboten. Der Adapter kann in diesem Sinne auch eine Satire auf Religionen sein

insofern Anliegen und Ziel dasselbe sind: ewiges Glück im 136

Paradies (respektive Bedürfniserfüllung im Adapter; Wiener nennt es "Schlaraffenland", CXLVIII). Wieners Kritik dabei gilt dem sogenannten echten, direk­ ten Leben. Obwohl Wiener offenbar ein unvermitteltes, nicht erfaßbares Leben ansetzt (jenseits der Sprache— er konstatiert "die hegemonie der spräche" (CL)), demonstriert der Adapter,

daß es ein solches nicht gibt. In gewisser Weise gibt es keinen grundsätzlichen, entscheidenden Unterschied zu heute, zum "realen" Leben, da die Problemlage auch ohne Adapter dieselbe ist.

Auf den Adapter übertragen hieße das, daß er dem Menschen eine Welt wie er sie will anbietet, und so wird durch Aus­

schalten der "echten" Welt das Leben vereinfacht. Eine wirk­ liche Lebensbewältigung wird umgangen, der Mensch wird dem Dilemma zwischen Lebensangst und Todesfurcht entzogen (CLXXV) .

In realistischen Romanen etwa werden Probleme aufgeworfen und dann z.B. durch Diskussion oder Entwicklungen gelöst oder wenigstens verdeutlicht85. Der Leser lernt vielleicht etwas

über gesellschaftliche Zustände und wie man sich darin ver­ halten kann (oder nicht) . In der Verbesserung ist das nicht der Fall. Anders als in "herkömmlichen" Romanen werden vor­ handene Probleme nicht dargestellt oder durch Diskussionen, Konflikte usw. gelöst, sondern durch den Adapter schlichtweg aufgehoben. Sie werden konstatiert und weggewischt. Der Bio-

Adapter ersetzt den Kosmos. Die Probleme werden durch die Abschaffung der Ursachen gelöst, d.h. sprachlich: sie werden 137 wegdefiniert. Die Aufhebung (oder soll man sagen Abschaffung) des Individuums ermöglicht Glück (bzw. etwas, das jenseits davon ist, denn "Glück" ist auch eine sprachliche Vorstel­ lung) .

Kritik, Revolten und Revolutionen tragen nur zur Verfe­ stigung des status guo bei, anstatt wirklich damit zu brechen, daß sie auf Sprache gegründet sind: "die Veränderung: auch dies ein wesenloser begriff, eine ausgeburt der spräche"

(LXXXIX). Dies deutet an, daß es letztlich keinen Ausweg gibt außer entweder alles abzuschaffen— und er sagt das: "verbes-

« fifi sern ist nie das richtige sondern abschaffen" (LXX) — oder indem man sich auf im Grunde notwendig konforme Revolten be­ schränkt, die bestenfalls Sand im Getriebe sind, aber nichts wirklich ändern. Zuerst— aber nicht ausschließlich— wollte er sicher Österreich kritisieren, das sich gerne als im Zen­ trum Mitteleuropas sah. Wiener schließt auch Westeuropa und die ganzen (westlichen) Industrienationen in seine Kritik ein. Daß er sich in seiner Kritik auf Mitteleuropa beschränkt, kann auch andeuten, daß er andere Regionen der Welt noch nicht als hoffnungslos verloren betrachtete. Allerdings ist der Titel, wie es im Text steht, beliebig und sagt per se noch nichts über Wieners Anliegen:

sie stellten sich in ihren äusserungen neben die gesell- schaft, aber nur um sie besser sehen zu können, und sie arbeiteten an ihr um sie zu verbessern und sie wussten schon wie sie auszusehen hatte. ganz ähnlich ist es damals mir gegangen, und darum habe ich meinen roman ja auch "die Verbesserung von mitteleuropa" genannt, damals, und als ich an mitteleuropa ohne besonderen grund das interesse verloren hatte wars noch immer ein schöner 138 titel, und mitteleuropa wurde immer schöner je weiter ich davon wegkam, und weiss gott ich bin ganz gut im rennen. (CXX)

Wieners Vorwurf an das Leben— es kann nicht verbessert werden- -schließt ihn selbst und sein Werk ein, denn er ist ja ein Teil und Produkt desselben, und steht nicht außerhalb auf einem archimedischen Punkt der Objektivität. Der Widerspruch besteht darin, daß er Sprache mit Sprache kritisiert. Man muß ihm aber diesen Widerspruch zugestehen, denn gerade er verdeutlicht dieses Dilemma und diese Problematik, aus denen es scheinbar keinen Ausweg gibt, und auch nicht geben kann: alles ist Schöpfung, auch der nihilismus ist Schöpfung. alles ist Schablone, auch das bekämpfen derselben, hört man zuweilen sagen. das sind alles worte, mein schätz, auch das was dich zum Selbstmord treibt. (...) (XXVII) Während dem Adapterinhalt (dem Menschen) das Gefühl totaler Individualität vermittelt wird— alles geschieht wegen ihm und für ihn— wird er entmündigt. Ironisch nennt Wiener den

Adapter "wohlwollende instanz" (CLXXVI). Es herrscht voll­ ständige Bewußtseinsmanipulation.

Geschichte

Geschichte und die mit ihr verbundene Problematik spielen beim Adapter-Konzept ebenfalls eine große Rolle. Für Wiener ist Geschichte "durch das junktim mit dem 'geschichtlichen erbe'" (CXLVII) diskreditiert. Die Geschichte wird als Übel angesehen, sie offenbart sich als Zufalls- und Irrweg. Wiener hat insbesondere das Ende der Geschichte vor Augen: "es wird schön langsam zeit die zukunft abzuschaffen. nach der theologie kommt jetzt die Wissenschaft an die reihe" (XXXII, der hass auf die geschichte.). Er verkündet sogar: "die weit soll endlich aufhören! die letzten dinge sind ein knüller." (LII) und denkt gleich an die gänzliche Abschaffung der Welt.

Provokativ formuliert lesen wir auch: "wieso muss die mensch- heit das jahr 2000 überleben?" (CXL).

Für Wiener muß Geschichte wegen ihrer traditionsbildenden Kraft abgeschafft werden. Im Laufe der Zeit verkrusten sich Werte zu Gesellschaftssystemen und gewinnen so den Anschein gültiger und besser zu sein und die Welt richtig zu interpre­ tieren. Es kommt zu einem ein Monopol der richtigen Weltan­ schauung.

Der Bio-Adapter— "ein versuch der desertion aller Welt­ bilder und der geschichte (deren frucht er ja, letzten endes, ist)" (CXXXIV)— leitet dabei die "auflösung der geschichte in

Wohlgefallen; das ausrollen der neuzeit in kybernetik"

(CXXXIV) ein. Der Adapter steht am Ende der bisherigen Ge­ schichte und ist zugleich deren letztes, höchstes Produkt87.

Er steht an der Schwelle und ist sowohl Endpunkt— ist also noch eine Phase der Geschichte— als auch zugleich deren Über­ windung. Im Übrigen zweifelt Wiener am geschichtlichen Fort­ schritt:

das arschloch im laboratorium spottet über da arschloch im pfahlbau und gibt damit vor, dass die neuzeit die erfüllung der damaligen ideale geworden ist. (XXXVIII) 140

Erst durch den Adapter löst sich der Mensch von geschichtli­ chen Zwängen und wird (wieder) eigentlich88. Nötig ist ein völlig neues, unbelastetes Bewußtsein, und darin liegt die Utopie des Adapters: eine neue Phase der Geschichte beginnt mit dem neuen Bewußtsein.

Der Adapter bedeutet für seinen "Inhalt" das ewige Leben,

denn der Adapter ist das Ende der Geschichte, und was folgt, ist ein gleichförmiger Zustand. Allerdings ist dieser Aspekt irrelevant, da die Zielsetzung eine andere ist. Der Mensch wird aufgehoben (zuerst durch Eliminierung des Körpers, später durch das In-sich-ruhen des Bewußtseins im Adapter), und es existiert kein Individuum mehr, das Zeit erfährt. Als Folge gibt es nichts mehr, das Geschichte genannt werden könnte, nur mehr die Gleichförmigkeit einer letztlich unbewußten, zeit­

losen Existenz. Die Geschichte ist aufgehoben, denn Zeit ist im Adapter quasi bedeutungslos, da das Bewußtsein kosmisch­ ewig wird. Auch Regeneration bzw. Fortpflanzung werden über­

flüssig, die Adapterwelt mündet in identische Perpetuierung.

Wiener ersetzt das Weitende durch den Adapter. Er schafft den Tod ab (mit dem Leben) , ist das Ende der Zeit und gleichzeitig selbst die Endgültigkeit: "(...) der weg durch die Zeiten ist absolviert" (CXLIII; vgl. dort auch seine Ausführungen über die Rolle der Demokratie, die ein sehr ähnliches Ziel habe).

Nach Wiener ist die moderne Gesellschaft (=Demokratie) auf dieses Ziel— Stabilität— ausgerichtet (vorerst mit anderen, nicht-technischen Mitteln, allem voran der Sprache) : 141

(...) um eine Soziologie zu materialisieren, welche füglich als letzter streich eines jahrtausendealten ringens um Stabilisierung, d.h. Verstaatlichung, der natur gelten muss, und die dieser gesellschaft mit ihren hinfort austauschbaren generationen den Charakter eines museums für marsmenschen anzumerken sich erfunden fühlt. (CXLI)

Erst nach dem Abschluß der Adapter-Phase beginnt das "wahre" Leben: eine zeit-lose, geschichts-lose, problem-lose Welt ist geschaffen, und unmittelbare, ungebundene Erfahrung wird mög­ lich. Anmerkung 1 (CLIV) deutet an, worum es auch Wiener geht: das Paradies. Es steht— bei Wiener metaphorisch— sowohl am Anfang als auch am Ende der Geschichte: zudem macht meines erachtens der unterschied zwischen den ins paradies geborenen und den nach umrundung der Wirklichkeit dort wieder einlangenden doch etwas aus. (Anmerkung 1, CLIV)

Die Frage ist, was dieser Unterschied "ausmacht", und warum. Zuerst will Wiener sich von den "Glücklichen" abheben, die nicht erst die— mit Problemen sprachlicher Natur beschwerte- -Wirklichkeit "umrunden" mußten. Die ins Paradies geborenen werden zurückgesetzt und ein Intellektueller wie Wiener steht besser da, da er zu denen gehört, die die Welt "umrundet" haben. Intellektuelles Verstehen des Prozesses und Erkenntnis über das Leben sind also wichtig (selbst wenn es nur die Fest­ stellung der Sinnlosigkeit wäre). Ein christlicher Einfluß ist ebenfalls offensichtlich: das Bild des Falls, der Ver­ stoßung aus dem Paradies, die menschliche Geschichte, und am

Ende des individuellen Lebens— "die Erde ist ein Jammertal"-

-wieder die Heimkehr und der Eintritt in das Paradies (ebenso die Zirkularität der Geschichte, wie die Wortwahl zeigt: 142 "umrunden" der Wirklichkeit, und "wieder einlangen", d.h. man war vorher schon dort).

Hierin offenbaren sich säkularisiertes eschatologisch- teleologisches Denken und das religiöse Element von Erlösung und Rettung. Eschatologie, ein Begriff der christlichen Theologie, befaßt sich mit den (individuell und kollektiv) letzten Dingen, dem endgültigen Schicksal der Menschen. Es war dort auf das Ende der Welt und das Kommen des Messias, des

Erlösers ausgerichtet. Teleologie (im Christentum) ist auf ein letztes Ziel am Ende der Geschichte gerichtetes Denken. Es zeigen sich auch Parallelen zu marxistischem (und christli­ chem) Denken. Dort wird die Entwicklung der Geschichte einmal einen Zeitpunkt erreichen, der das Ende des bisherigen Ver­ laufes bedeutet. An diesem Zeitpunkt ereignet sich ein quali­ tativer Sprung in einen vollendeten, paradiesischen Zustand. Im Marxismus ist dieser Zustand diesseitig, im Christentum jenseitig. In den Vorstellungen beider Ideologien ist das Paradies ein seliger, beschreibungsloser Zustand fern aller gegenwärtiger Probleme, ebenso fern wie der Geschichte und mit ihr der Vergänglichkeit. Im Marxismus nimmt die klassenlose

Gesellschaft die Stelle Paradieses ein.

Wieners "Hoffnung", sein utopischer Entwurf ist, daß der Mensch sich durch den Adapter eliminiert und so sein illusio­ näres "Paradies" auf Erden schafft. Hinter diesem Konstrukt Wieners verbirgt sich auch die eigenartige Teleologie, daß das angeblich evolutionäre Ziel auf Erden eine Maschine, nämlich 143 der Bio-Adapter (oder zumindest etwas ähnliches) sei, da erst er das allseitige Glück gewährleiste. Der Adapter bietet ein entpersonalisiertes, irdisches, ewiges Paradies wissenschaft­ lich-technologischer Prägung. Die Maschine ersetzt den Messias. Es gleicht funktionell dem Paradies, wird aber nicht mehr in seinen Ursprüngen und seiner Aufmachung erkannt. Wieners Paradies ist irdisch-weltlich, und es ist geistig, aber nicht körperlich. Es ist ein Bewußtseinszustand, und im Adapter nur noch minimal materiell gebunden, also kaum örtlich festlegbar. Dies kann zum Teil eine Parodie auf das Christentum sein. Wieners Adapter nimmt dabei die Stelle des Paradieses ein. Gott und Transzendenz sind abgeschafft ebenso wie die von Karl Marx geforderte Verantwortlichkeit des sozialen Verhaltens.

Wenn man den Adapter als Metapher versteht, bedeutet das, daß die Menschheit in einem Nirwana-ähnlichen "Raum" endete; der Adapter ist dieses technisches Nirwana. Die Mittel zur Erlan­ gung des jeweiligen Paradieses sind der Messias, das Prole­ tariat bzw. der Adapter. Wo bei Marxismus und Christentum humanistisch gedacht wird, denkt Wiener technisch. Er glaubt auch nicht an Aufklärung, sondern bleibt fatalistisch.

Wiener war sich gewisser Widersprüche in seinem Ansatz bewußt. Er schreibt: was tun. zu jeder zeit ist es ein letztes das bekämpft, errungen, durchgesetzt werden soll; das letzte nimmt stets die ge­ stalt eines bedürfnisses an, seine propheten heissen sich avantgarde: prügelt sie breiweich! (XXVIII) Dies wäre seine Selbstkritik, da sein postuliertes Bedürfnis, sein "Letztes" ebenfalls Glück ist, und folglich diese Aussage auch auf den Adapter bzw. seinen Propagator— also Wiener selbst— zuträfe. Er wäre einer der Propheten der Avantgarde, und sein Letztes ist der Adapter. Daher dürfen wir annehmen, daß der Adapter eine Kritik dieses eschatologisch-teleologi- OQ sehen Denkens darstellt .

In bestimmten Elementen kommt bei Wiener eine Art von Endzeitdenken zum Vorschein. Er verkündet prophetisch: "(...) endgültigkeit. in diesem jahrhundert werden die letzten worte gesprochen" (CXLIV), und bereits auf früher hieß es: geschichte, massnahme, es setzt sich die geschichte fort bis auf den heutigen tag, eine sorte von Wachstum, jetzt bricht sie ab. und wie du das verstehst machst du deine Zukunft, den toten punkt überwinden. nur, der tote punkt bist du; jedermanns Weltgeschichte gibt seiner jeweiligen Zukunft die prägung. die zeit schafft Organismen, dein Wachstum ist nur reflexion. die infinitesimale grenze zwischen Zukunft und Vergangen­ heit soll die gegenwart sein *); aber die gegenwart ist schauerlich breit, viel breiter als Vergangenheit und Zukunft zusammengenommen, kein geometrischer vergleich, die gegenwart das ist die Sinnlichkeit. (XX/XXI)

Die Zukunft hängt ab von der Vergangenheit und Gegenwart des Individuums, das den "toten punkt" darstellt. Der Adapter hilft, diesen zu überwinden.

Utopie

Hinter der in der Verbesserung vorgetragenen Kritik ver­ birgt sich eine Utopie. Diese kommt natürlich am deutlich­ sten in der Bioadapter-Skizze zum Ausdruck. In Rezensionen 145

und in der Literatur insgesamt wird diesen Aspekt der Verbes­

serung hingedeutet. Dieser Hinweis ist vor allem auf die Ab­ schnitte über den Adapter bezogen, der tatsächlich zu einem beträchtlichen Teil eine utopische Vorstellung ist. Gleich­ zeitig kann der Bio-Adapter im Kontext der Verbesserung auch als Satire gelesen werden, als ein kritischer Blick auf die Gegenwart im überzogenen, verfremdend futuristischen Gewand.

Der Ausgangspunkt der meisten Utopien— und so auch Wieners— ist Unzufriedenheit mit und Kritik an gegenwärtigen Verhältnissen durch Entwürfe einer Zukunft 90 . Die Utopie ist

ein Extrapolation und Spekulation über die mögliche oder wahr­ scheinliche Weiterentwicklung dieser Verhältnisse in der nahen oder fernen Zukunft. Diese Zukunftszeichnung kann positiv

sein, wenn gezeigt werden soll, für welch erstrebenswerten Ziele Anstrengungen unternommen werden sollen. Sie kann auch negativ sein, wenn gezeigt werden soll, welche Entwicklungen es— bereits in der Gegenwart— zu verhindern gilt. Der Adapter

ist ein Modell dessen, was uns erwarten könnte, nimmt aber hier eine zwiespältige Stellung ein. Zum einen kann er—

humanistisch gesehen— als Provokation verstanden werden, die die Aufforderung enthält, einen derartigen Apparat zu verhin­ dern. Zum anderen ist die Adapter-Utopie durchaus positiv gezeichnet, sie gewährt dem Menschen alles (zu gewissen

Kosten). Die Folgerung wäre dann, daß es die Entwicklung voranzutreiben gilt, um den Adapter so schnell als möglich verwirklichen zu können. 146 Wieners Ansatz ist eine Auseinandersetzung insbesondere mit dem modernen westlichen Fortschrittsglauben, mit der

Pragmatik, und schließlich mit dem modernen Wissenschaftsver­ ständnis. Sein Adapter ist ein abstrakt-technokratisches, menschenloses Utopia, ganz in Gegensatz zu anderen, "klassi­ schen" utopischen Werken, in denen sich gewöhnlich ein Held in einer nach neuen Idealen aufgebauten Gesellschaft befin­ det91. Bei Wiener gibt es weder Helden noch eine Gesell­ schaft, nur die für sich existierenden Adapter mit ihren Inhalten. Im Text heißt es einmal auf den Roman-Titel bezogen, Mitteleuropa könne nur verbessert werden, indem man es ver­ nichte92. Das erklärte Ziel zur Menschheitsrettung und

Weltverbesserung wird durch die Abschaffung des Menschen erreicht (wobei Abschaffung vor allem die Abschaffung des "traditionellen" Menschen bedeutet, und nicht schlechterdings die Abschaffung der Spezies). Der Titel des Romans ist etwas irreführend, die Wienersche Utopie enttäuscht eine positive Erwartungshaltung des Lesers, denn in ihr wird (Mittel-) Europa nicht "verbessert" (was ein Weiterbestehen voraus­ setzt) , die ganze Menschheit findet— nach traditionellen Begriffen bemessen— ihr Ende93.

Wieners negativ scheinende Utopie ist positiv zu verste­ hen. Die zynisch-ironisch anmutende Beschreibung der Wirk­ lichkeit der Adapterwelt soll zum Denken anregen. Wiener präsentiert den Adapter dabei als die beste Chance und 147 Hoffnung der Menschheit. Sein kybernetisches Utopia ist ein Segen, weil der jetzige homo sapiens wie die Saurier ausster­ ben wird, indem er sich mit dem Bio-Adapter selbst entmündigt und in seiner Eigenheit abschafft. Gerade darin liegt sein

Vorteil. Dies ist gleichzeitig ironisch gemeint und viel­ leicht als Aufruf zu sehen, die Leistung des Adapters ohne den Adapter zu erreichen (d.h. Sprache abzulegen). Mit gewöhnlichen Begriffen bemessen ist der Adapter keine Utopie, sondern eine Anti-Utopie— und meiner Meinung nach eine

stärkere als die oft so bezeichneten Utopien von Evgenij

Zamjatin, Aldous Huxley, George Orwell oder anderen, denn in letzteren überlebt der Mensch im großen und ganzen in seiner

jetzigen Verfassung, revoltiert und ändert die Gesellschaft oder endet in einem Freiraum. Bei Wiener ist das nicht der Fall, und nach ihm ist die vollständige Änderung des Menschen

nur von Vorteil bzw. unabdingbare Voraussetzung. Der Teil der Verbesserung über die Adapter-Utopie ist aber auch eine Erzählhaltung und muß daher relativiert werden. Der Aussage fehlt die Horrorvision wie bei Orwell oder Huxley,

sie kann im Kontext eines Stilmittels— wie es so viele ver­ schiedene in der Verbesserung gibt— interpretiert werden.

Wieners Utopie ist negativ. Er will damit tatsächliche

Entwicklungen satirisch erfassen will. Er macht sich über die Selbstfindung- und Bewußtseinserweiterungswelle lustig. Die Aktionen des Wiener Aktionismus waren auf Körperlichkeit basiert, und jetzt will er sich davon verabschieden zugunsten 148 reiner Geistigkeit. Das Ziel scheint ehrenwert zu sein— war nicht das Transzendieren der menschlichen Eingeschränktheit seit jeher ein Ziel vieler Bemühungen?— aber es ist natürlich schwierig, sich von bestimmten anthropologischen Vorstellungen über die eigene Art lösen, und Wiener ist hart, unsentimental und ungerührt in seiner Darstellung. Gleichzeitig ist er abwesend und damit pseudo-objektiv. Dies bewirkt einen An­ schein der Richtigkeit, die natürlich nicht zutreffen muß.

In der deutschen Literatur ist wenig mit dem Adapter Vergleichbares zu finden ist, auch nicht in Science Fiction. Allerdings hat der Bio-Adapter außer einiger Elemente nicht viel mit Science Fiction gemein. Wenn man unter Science Fiction die triviale Variante versteht, bei der es sich um gängige Abenteuerromane handelt, die in anderem, zukünftig­ exotischem Äußerem spielen, dann ist das nicht der Fall. Ver­ steht man unter Science Fiction die technologischen Space

Operas, in der die technische Entwicklung größte Fortschritte machte und die Menschheitsprobleme beseitigt sind, so hat das dennoch wenig mit dem Bio-Adapter zu tun, auch wenn sich hier eine Gemeinsamkeit zu zeigen scheint. Bei Wieners Adapter geht es um grundsätzliche philosophische Reflexionen und eben nicht technische Aspekte als solche. Der Adapter ist eine ernstzunehmende Prophetie, selbst wenn es ihn in der von

Wiener skizzierten Form nie geben wird. Eine moderne literarische Entsprechung, vor allem aus dem und im amerikanischen Sprachraum, findet sich im sogenannten 149

cyberpunk (einer Untergattung des Science Fiction) , dessen zur

Zeit wohl aufsehenerregendster und erfolgreichster Vertreter William Gibson sein dürfte mit Werken wie Neuromancer. Count Zero. Mona Lisa Overdrive. oder den Erzählungen in Burnina Chrome94. Diese drehen sich um ähnliche Konzepte einer

"möglichen Welt", in der die Gegenwart extrapoliert ist und

in denen eine eigene Computerrealität (der Cyberspace— in anderen Werken auch hyperspace genannt) dargestellt wird, die

nur künstlich existiert, in der man aber "echt" leben kann.

Anmerkungen:

1 Das zeigt sich schon im Ich-Zerfall, der z.B. im Ex- pressionismus eine Rolle spielte. Vgl. etwa C.A.M. Noble, Sorachskepsis. über Dichtung der Moderne (München: Text & Kritik, 1978). Bereits Hegel hatte das dargestellt. 2 Vgl. Helmut Heißenbüttel, "13 Hypothesen über Litera­ tur und Wissenschaft als vergleichbare Tätigkeiten" (1965), Über Literatur (Olten: Walter, 1966). Mit Heinrich Vormweg veröffentlichte er den Briefwechsel über Literatur (Neuwied: Luchterhand, 1969). Zu Helmut Heissenbüttel und "Sprache" vgl. Heimann, Hartung und Noble. Das führte dazu, daß Literatur "literarisch" wurde, da dieses Experimentieren zuerst (und oft genug ausschließlich) Sache des Autors war. Leser blieben oft per definitionem aus dem Prozeß ausgeschlossen. Es wurde ihnen nichts mitgeteilt. Ein Resultat waren Werke, die sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern die sich um sich selbst drehen.

"Tribut an die Tradition. Aspekte einer postexperi­ mentellen Literatur", Drews/Laemmle, 122. In der Fußnote dazu nennen sie u.a. Wieners Verbesserung als Ausnahme, die aber letztlich doch keine ist: "ihr Vorhandensein widerspricht un­ serer argumentation jedoch nicht, weil in ihnen die gattung ad absurdum geführt, bzw. als Unmöglichkeit ausgewiesen wird" (148). Gerhard Rühm teilt mit (im Nachwort zu Konrad Bayer Symposion Wien 1979. Hrsg. Gerhard Rühm (Linz: Neue Texte, 1981) 241) , daß es der Wiener Gruppe anachronistisch erschien, einen Roman zu schreiben. Er berichtet auch von Wieners 150 Skrupeln beim Verfassen der Verbesserung wegen Zweifel bzw. zu großer Ansprüche an die Großform Roman. Es mag hier auch Parallelen und Ähnlichkeiten zu anderen literaturgeschichtlichen Perioden geben, bei denen sich gewis­ se Formen zur Vermittlung mehr als andere anboten und bevor­ zugt wurden. Im Impressionismus z.B. findet man vorwiegend Gedichte, in Realismus und Naturalismus hingegen kaum; dort finden sich vorwiegend Romane und Schauspiele. 4 Vgl. dazu das Werk Max Benses und anderer "Texttheore­ tiker" .

5 Vgl. Manfred Durzak, "Zitat und Montage im deutschen Roman der Gegenwart", Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen. Hrsg. Manfred Durzak (Stuttgart: Re- clam, 1971) 211-29. Zu Aleatorik, besondes im Hinblick auf die Wiener Gruppe, vgl. Anselm Maler, "Aleatorische Epik. Bemerkungen zur romantischen Reminiszenz im zeitgenössischen Roman: Kühn, Kieseritzky, Heißenbüttel, Wiener", Positionen im deutschen Roman der sechziger Jahre. Hrsg. Heinz Ludwig Arnold u.a. (München: Text & Kritik, 1974) 127-46. 6 1968 verkündeten Teilnehmer der Studentenrevolte in Deutschland den Tod der Literatur. Kurt Batt, ein Literatur­ wissenschaftler aus der ehemaligen DDR, konstatiert für die Zeit von 1968 bis 1972 "Die Exekution des Erzählers". Wie er in seinem gleichnamigen Artikel (und Buch) feststellt, sei diese von mehreren Autoren angestrebt und in einigen Werken- -insbesondere der konkreten und experimentellen Literatur— auch erfolgreich durchgeführt worden. Batt und die Studenten (deren Sprachrohr Hans Magnus Enzensberger war) sprechen na­ türlich von verschiedenen Dingen: dem einen geht es um litera­ turinterne, erzähltechnische Aspekte, den anderen um die li­ teraturexterne, gesellschaftliche Funktion und Relevanz von Literatur. Siehe Kurt Batt, Die Exekution des Erzählers. Westdeutsche Romane zwischen 1968 und 1972 (Frankfurt/Main: Fischer, 1974); "Die Exekution des Erzählers", Sinn und Form 6 (1972): 1248-77; 2 (1973): 397-431; Revolte Intern (Leipzig: Reclam, 1974. München: Beck, 1975). Zu konkreter und experi­ menteller Literatur vgl. die Überblicke bei Heimann, Hartung u.a. Siehe Bibliographie für Angaben.

7 Selbstverständlich gibt es "die" experimentelle Lite­ ratur nicht. Es gab verschiedene Autoren, die sich zu einer bestimmten Zeit aus bestimmten Gründen bestimmter Mittel be­ dienten. Dabei lassen sich natürlich Unterschiede feststel­ len. Ebenso steht auch die experimentelle Literatur in einer gewissen Tradition, z.B. spielt Wissenschaft bei Robert Musil eine große Rolle, oder Thomas Mann diskutiert Probleme, die mit ihr Zusammenhängen. 151

"Experimentelle Prosa", Die deutsche Literatur der Gegenwart. Hrsg. Manfred Durzak (Stuttgart: Reclam, 1976) 231.

9 Zur differenzierenden, aber— im Gegensatz zu H.M. En­ zensberger— insgesamt positiven politischen Kritik der expe­ rimentellen Literatur vgl. besonders den Aufsatz von Rainer Nägele, "Die Arbeit des Textes: Notizen zur experimentellen Literatur", Deutsche Literatur der Bundesrepublik seit 1965. Hrsg. Paul Michael Lützeier & Egon Schwarz (Königsstein: Athe­ näum, 1980) 30-44, besonders 30-2. Auch Berg et.al. in der Sozialaeschichte bewerten sie positiv, und ähnlich, im Sinne Adornos, Bernhard Sorg, "Abgesänge. Die Wiener Gruppe als Paradigma", Sprachkunst - Beiträge zur Literaturwissenschaft 2 (1976): 279-93.

10 Ein erster, im weitesten Sinne "experimenteller" Aspekt ist die Veröffentlichungsweise als Fortsetzungsroman. Daß gerade dieser Roman in dieser Form erscheint, ist gewollt untypisch. Sonst war dies hauptsächlich der Trivialliteratur Vorbehalten, zumindest zu dieser Zeit. Aber auch Werke wie William Thackerays Vanitv Fair oder Laurence Sternes Tristram Shandv wurden in Fortsetzungen veröffentlicht.

11 Der Roman ist transzendent-transzendental angelegt, d.h. er stellt die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit = Versprachlichung des Schreibens.

12 Ein solches Inhaltsverzeichnis hat bei so disparatem Material natürlich wenig Sinn. Vgl. dazu z.B. Manfred Mixner, "Oswald Wiener", KLG-Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Hrsg. Heinz Ludwig Arnold (München: Text & Kritik, 1978ff), und Wolfgang Heinz Schober, Erzähltechniken in Romanen (Wiesbaden: Athenaion, 1975).

13 Wie noch zu zeigen sein wird, zeigen sich in solchen Sätzen sowohl Wieners Humor als auch eine sich wiederholt fin­ dende, absichtliche Illogik. Bernd Hagelstange meint, das zutreffend konstatierte "Umbiegen eines konstatierenden Stils ins ironische, oft humorvoll-absurde Gegenteil, in dem gedank­ liche und syntaktische Grenzen sich verwischen" diene dazu, "den Materialcharakter der Sprache hervortreten zu lassen" ("Die Thematisierung der Sprache im zeitgenössischen Roman: Studien zur Interpretation und Methodenkritik bei H. Heißen­ büttels D'Alemberts Ende und O. Wieners Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman". Diss. U Münster, 1974) 166) kann ich nicht nachvollziehen. Es bleibt schließlich auch dem jewei­ ligen Leser überlassen, solche Stellen für nicht mehr als faule Witze und Kalauer zu halten. Dazu wäre anzumerken, daß Wiener und seine Freunde den Kalauer durchaus schätzten (vgl. Wieners "cooles manifest"). 152 14 Vgl. Bodo Heimanns Kommentar: "Es ist aber nicht nur mühsam, sondern auch reizvoll, dieses Druckbild zu entziffern, das durch Textsinn und Textgestalt adäquat vermittelte Bild von Unordnung und Vermischung ist vielfach motiviert: Schein­ bare Unkunst als besonders raffiniertes Bildmittel". Experi­ mentelle Prosa der Gegenwart (München: Oldenbourg, 1978) Fußnote 12 (88-92). 15 Raymond Furness und Malcolm Humble schlagen auch den Bioadapter-Aufsatz zum Hauptteil: "(...) it consists of a foreword of 170 pages followed by three appendices and an ex­ tensive bibliography." A Companion to Twentieth-Centurv German Literature (London/New York: Routledge, 1991) 296.

16 Paul Kruntorad (Kindlers Ö . 225) zählte "mehr als 1600 Titel", und Bernd Hagelstange spricht von 1400 Werken. Das zu verifizieren schien mir nicht sehr sinnvoll. 17 Personenverzeichnisse z.B. bei Tolstoi (Anna Kareni- na) mögen sinnvoll sein. Ein Begriffsverzeichnis erwartet man in der Literatur jedoch kaum, dafür aber in wissenschaftlichen Abhandlungen. Es schafft daher hier einen (pseudo-) wissen­ schaftlichen Eindruck, der unterlaufen wird indem das Ver­ zeichnis nicht vollständig ist. Die Buchliste gewährt einige Aufschlüsse über die Tradition, in der die Wiener Gruppe und natürlich Oswald Wiener stehen.

18 Wilfried Ihrig will das offenlassen (Literarische Avantgarde. 200/1). Wiener erwähnt sich aber oft genug selbst— sowohl in der ersten Person als auch in der dritten Person (als "ossi")— und es gibt keine Anzeichen anzunehmen, er schreibe nicht von sich. 19 Eine Bemerkung zur Veröffentlichungsgeschichte: die Veröffentlichungsweise des Textes als work-in-progress läßt erkennen, daß ein übergreifender Zusammenhang nicht besteht und wohl nicht beabsichtigt war. Dies geht auch aus dem In­ halt hervor. Ferner ist leicht zu sehen, daß und warum es zwischen den einzelnen Textteilen manche Widersprüche gibt. Der Autor hat beim Verfassen entwickelt (knapp vier Jahre lie­ gen zwischen dem Abdruck des ersten und des letzten Teils). Außerdem kann man gegensätzliche Meinungen haben, da man sich nicht sicher ist, sich nicht entscheiden kann. Dies zeigt eine Entwicklung der Position— sofern man davon sprechen kann, daß das eine Rolle spielte. Es gibt einige kleinere Unterschiede zwischen der Version der manuskripte und der Buchausgabe. Dabei handelt es sich vorwiegend um Zusätze oder geringfügige Änderungen in der Buchausgabe. Es fehlt z.B. das "register" und es gibt eine andere Vorbemerkung in den manuskripten. Die späteren Zusätze 153 sind vom Autor mit einem (A) gekennzeichnet (vorwiegend Anmerkungen in Fußnoten). 20 Das schließt die Umschreibung des ß als ss ein.

21 Als Vorgänger wäre die frühen Germanistiker um Eduard Lachmann oder etwa Stefan George zu nennen. In der neueren Literatur findet sie sich bei Gisela Elsner und Elfriede Je­ linek. Diese Autoren hatten damit jedoch etwas anderes im Sinne.

22 Ein älteres, bekanntes Beispiel wäre Laurence Sternes The Life and Qpinions of Tristram Shandv, Gentleman (Harmonds- worth: Penguin, 1983), in dem sich z.B. ein schwarzes Blatt (61/2), ein marmorgemustertes Blatt (233/4), eine weiße Seite (451), auf welcher der Leser zeichnen darf, und Graphen zur Darstellung der Handlung, Spannungskurve und Produktivität (454/5) befinden. An manchen Stellen ist die Reihenfolge der Kapitel vertauscht. Der Titelheld wird erst am Ende geboren, ja der Roman dreht sich um diese Geburt. Schließlich sind die Teile des Romans auch in Fortsetzungen erschienen. Es böte sich auch ein Vergleich zu Denis Diderots Jacaues le fataliste et son maitre an.

23 Vgl. N.N., "Wiener— Anwalt der Schizoiden", Der Spie­ gel 7. Juli 1969: 118.

24 Dieser Umstand wird von vielen Rezensenten und Kri­ tikern übersehen. Herbert Rosendorfer, "Ein literarisches Fossil", Über das Küssen der Erde. 106, vermutet, daß der Zu­ satz vom Verlag ist und nicht vom Autor. Das scheint unwahr­ scheinlich, da der Inhalt durchaus einen solchen Titel des Autors bestätigt, der Anspruch paßt zum Ungewöhnlichen und Provozierenden. Außerdem drückt sich darin der Wille des Autors aus, Vorgaben selbst zu bestimmen und die Rezeption zu beeinflußen. 25 Vgl. Simon Ryan, "New Directions in the Austrian Novel", The Modern German Novel. Hrsg. Keith Bullivant (Lea- mington Spa: Wolff, 1987) 47. J.A. Cuddon, A Dictionary of Literarv Terms (London/Harmondsworth: Penguin, 1979) 47.

26 Hans Mayer, "Zur aktuellen literarischen Situation", Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen. Hrsg. Manfred Durzak (Stuttgart: Reclam, 1971) 74.

27 Siehe hierzu Karl Kraus oder Robert Musil. Helmut Heißenbüttel schreibt im siebten seiner "13 Sätze über Erzäh­ len 1967" (Positionen des Erzählens. Hrsg. Heinz Ludwig Arnold & Theo Buck (München: Beck, 1976) 186): "Die Entwicklung eines 154

philosophischen Gedankens oder einer wissenschaftlichen Ablei­ tung ist auch Erzählung”. 28 ln der Romantik, etwa bei Schlegel, ist das Fragment ein ernstes Spiel. Vgl. dazu Johan Huizinga, Homo ludens. Wieners Roman ist ein Spiel mit den Möglichkeiten, er versucht. Normen auszureizen um zu sehen, was passiert. Vgl. hierzu Bernd Hagelstange, der Wiener vorzuwerfen scheint, seine Kritik nicht kohärent vorgebracht zu haben (Hagelstange, 193/4). Dazu wäre zu sagen, daß es— wenn man Sprache attackiert— keinen Unterschied macht, ob diese Attacke als Fragment oder als zusammenhängender Text vorgebracht wird. Außerdem gibt es einen Unterschied zwischen System und Bau­ stein bzw. Fragment und abgeschlossenem Text: hinter dem je­ weiligen Gebrauch steht ein ganz anderer Anspruch, und bei Wiener wäre der, daß es gerade um den Aufbruch von Geschlos­ senheitsvorstellungen geht. Darüber hinaus soll ja gerade auch die Form das Anliegen kerausstreichen. 29 Philosophische Untersuchungen (New York: MacMillan, 1959), 31 (§66).

30 Zu dem Übersetzungsproblem vgl. die rechte Spalte auf XXXV, wo die selben Wörter wieder aufgenommen werden. 31 Die Schastrommel 3 (1970).

32 Gerhard Melzer (Zmegac, 761/2) konstatiert, daß die Einstellung literarischer Aktivitäten die logische Konsequenz ist. In der Verbesserung seien die Experimente der Wiener Gruppe auf die Spitze getrieben, ergo zu Endpunkten geworden. 33 Laut Martin Lüdkes Rezension sind die Adapter-Ab­ schnitte die wichtigsten Teile des Romans ("Bildungsschutt für Lexikon-Leser", Die Zeit 27. April 1979). Dies sei fürs erste dahingestellt. Ich teile diese Meinung jedoch nicht, da es in dem Roman solche "Ränge" nicht gibt, selbst wenn Wiener diesen Teil explizit als Interpretationshilfe anbietet und daher diesen Anschein erwecken mag.

34 Es ist unklar, von welchen "hinweisen" (CXXXIV), die ihn zum Verfassen des Aufsatzes veranlaßt haben, er spricht.

35 Im folgenden mit "Essay" und "Appendix" abgekürzt.

36 Dort heißt es: "ich aber blickte auf und sah in den wolken eine unnatürlich grosse sprechblase, in welcher mit flammenden lettern stand F MAUTHNER BEITRAEGE 3 AUFLAGE P 176 FF BIS SEITE 232 ERSTER BAND!" Der Verweis ist auf das Kapitel "Denken und Sprechen". 155 Mauthners Die Sprache ist eine Zusammenfassung (konden­ sierte Version) der in seinen großen, drei Bände umfassenden Beiträgen zu einer Kritik der Sprache (Frankfurt/Main: Ull­ stein, 1982) dargelegten Gedanken. Vgl. zu diesem Komplex Gerd Fuchs, "Die Rezeption von Mauthners Sprachkritik", oder Joachim Kühn, Gescheiterte Sprachkritik. Frit2 Mauthners Leben und Werk (Berlin & New York: De Gruyter, 1975). 37 Wiener Gruppe. 402.

38 Vgl. Wieners Vortrag bzw. Aufsatz "Wittgensteins Ein­ fluß auf die Wiener Gruppe", Buchebner, Die Wiener Gruppe. 59, Fußnote 3. In diesem Aufsatz führt Wiener aus, wie Wittgen­ steins Werke rezipiert wurden.

39 Vgl. Karl Kraus, Die Sprache (Frankfurt/Main: Suhr- kamp, 1987).

40 Vgl. Ferdinand Schmatz, "über neuere aufsätze Oswald Wieners", Buchebner, Die Wiener Gruppe, bes. 132.

41 Dies ist Anmerkung *) auf XX; das Zitat ist aus den Philosophischen Untersuchungen, am Ende von Seite 125. 42 Ludwig Wittgenstein, , Tractatus Logico-Philosophicus (London: Routledge & Kegan Paul, 1961) 2. Philosophical Investigations (New York: MacMillan, 1959). 43 Das Zitat am Anfang ist Nummer 4.121 aus dem Tracta­ tus. der zitierte Halbsatz am Ende ließ sich nicht feststel­ len. Der Ausdruck 'postsokratische Fragmente' ist eine An­ spielung auf ein von Hermann Diels herausgegebenes Buch mit dem Titel Die Fragmente der Vorsokratiker (Hamburg: Rowohlt, 1957), das erhaltene Bruchstücke der vorsokratischen Denker vereinigte. Dieses Buch ist im Literaturverzeichnis der Ver­ besserung aufgeführt. Viele dieser Fragmente sind ver­ gleichsweise 'dunkel'. 'Der Dunkle' (Beiname für Heraklit) ist wohl eine Anspielung darauf, daß Wittgenstein ebenfalls nicht immer klar ist (was nicht zuletzt damit zu tun hat, daß dessen Untersuchungen ein Fragment blieben). 44 Vgl. zu diesem Abschnitt der Verbesserung Gerhard Priessnitz und Mechthild Rausch, "Tribut an die Tradition. Aspekte einer postexperimentellen Literatur", Drews/Laemmle, 134/5. Wiener erwähnt in "Wittgensteins Einfluß auf die Wiener Gruppe" einen mit Rühm begonnen Text, der mit der Beschreibung eines Radiergummis etwas ähnliches versucht (Buchebner, Die Wiener Gruppe. 46-59. 156 Frankfurt/Main: RUtten & Loening, 1906. (Nachdruck Frankfurt/Main: Kneip, 1974). Seitenangaben am Ende der Zi­ tate beziehen sich auf diese Ausgabe.

46 Es ist ironisch, daß gerade dieses so stark gegen Sprache argumentierende Werk als Quelle für das Duden-Ta­ schenbuch Wie sagt man in Österreich? (Mannheim: Duden, 1980) herangezogen wurde. Verwunderlich ist es nicht, denn in dem Werk werden tatsächlich sehr viele spezifisch österreichische Ausdrücke gebraucht (dort angeführt: "Plastilin", aber auch "urassen" u.v.a). 47 Siehe dazu das den letzten Paragraphen des Nachwortes (=Appendix C der Verbesserung). Der darin implizierte Aufruf hätte eben dies (Chaos) zur Folge— gemessen an "normalen" Begriffen. 48 Selbst Donald Duck kann ein Vorbild sein: "s. andrer­ seits die lockerheit des donald duck: er scheint mir (was an­ gesichts seiner Verbreitung und erzieherischen funktion gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann) ein mögliches Ver­ hältnis zu den werten der gegenwart zu haben (etwa wenn der bürgermeister als schwein dargestellt wird, kunst und ge­ schichte verlacht, Wissenschaft verspottet (gyro gearloose), wenn dem geld (scrooge mcduck) im Staat der primat über per­ sönliche befähigung etc. zugesprochen wird)" (CLXII, Fußnote 69 Ende).

49 Die Intelligenten, vermutet Wiener, werden "immer über ihre eigene spräche stolpern" (CXLV) und für den Staat arbeiten. 50 Vgl. Weibel/Export, 251.

51 Vgl. "Wenn du ausziehst, wirst du eine Hure", Spiegel 19 (1989): 200-204.

52 Vgl. Wieners Aufsätze und Rundfunkessays. Sein Vor­ trag über die Zusammenhänge zwischen Sprache, Geisteskrank­ heit (besonders Schizophrenie) und Denken etc. scheint immer derselbe zu sein (nur mit jeweils den Umständen und Gegeben­ heiten angepaßten kleinen Änderungen, wenn überhaupt). Es gibt auch eine Zeichnung von ihm für eine Psychiatrie-Zeit­ schrift (Nervenkritik). Weiters vgl. z.B. Leo Navratils Bücher über psychisch kranke Künstler. In der Literatur vgl. etwa Heinar Kipphardts Roman März. Ken Keseys One Flew over the Coocoo1s Nest. oder auch Günter Grass' Blechtrommel. Wiener bezieht sich auf Schriftsteller wie Antonin Artaud oder Oskar Panizza.— Diese Sichtweise psychischer Erkrankung mag zwar interessant sein, ist aber auch problematisch. 157

53 "Sprache und Geisteskrankheit". Manuskript für den SFB-Sender Freies Berlin, 25. November 1969, 20.15 Uhr: 23. 54 Vgl. Herbert Marcuse, Essav on Liberation (Boston: Beacon, 1969).

55 Die (moderne) Kybernetik hat militärische Ursprünge: sie spielte eine wichtige Rolle bei der Raketensteuerung. Etymologisch: das Wort kommt von griechisch steuern, lenken, Steuermann. Wieners Gleichung ist Steuerung = Lenkung = Regierung = Kontrolle. 56 Sprache. 87/8ff.

57 Urs Widmer, Hanne Boenisch und Manfred Mixner deuten darauf hin, daß der Adapter unsere Sprache ist, und die umgibt uns ja jetzt schon (Urs Widmer, "Nein, diese Suppe ißt er nicht", Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. März 1969. Auszug: GrenzVerschiebungen. Neue Tendenzen in der deutschen Litera­ tur der 60er Jahre. Hrsg. Renate Mattaei (Köln & Berlin: Kie­ penheuer & Witsch, 1970) 317-24, Hanne Boenisch, "Oswald Wie­ ner", Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hrsg. Herbert Wiesner (München: Nymphenburger, 1981) 530-31, Manfred Mixner, "Oswald Wiener", KLG-Kritisches Lexikon der deutsch­ sprachigen Gegenwartsliteratur. Hrsg. Heinz Ludwig Arnold (München: Text & Kritik, 1978ff. Stichtag Wiener 1. Februar 1980). Karl Heinz Kramberg ("Im Rachen des Bio-Adapters", Süddeutsche Zeitung 19. März 1969) schlägt vor, der Adapter ist die Kunst bzw. Literatur und Sprache und damit eine Meta­ pher für den Erzliteraten=Wiener selbst (Bewußtsein, eigene Welt usw.): "Wiener widerlegt Wiener. Denn dieses Buch, sein erstes richtiges Buch, versteht sich als eine Aktion, die so unnütz ist wie die Kunst, als ein Kompendium des zweckent­ fremdeten Wissens, der poetischen Equilibristik und des for­ malen Kalküls. Schlicht gesagt: Wiener kann schreiben. Er macht die Sprache mobil und lebt in der Sprache. Er ist der Bioadapter, nämlich ein Erzliterat".

58 Vgl. Geyrhofer, "Staatsfeind", 51-67.

59 Über Sprache und Erziehung und ihre Rolle im Staat vgl. auch CXXXIX.

60 Ein ausgesprochen verdrehtes Beispiel pseudopoliti­ scher Kritik bietet Ernst Alker (Fehler im Original): "(...) Einer ihrer [der Neuen Sachlichkeit, HK] Anhänger war OSWALD WIENER (geb. 1935), Urheber des Buches Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman. (1969), einer Mischung fast aller denk­ baren Mitteilungsformen mit geringem erzählerischem Einschlag, ausgestattet mit Personen- und Sachregister sowie einem vier­ zehn doppelspaltige Seiten umfassenden Literaturverzeichnis. 158

Diese Autobiographie ohne Plastik der Autobiographien negiert die Möglichkeit einer Verbesserung von Mitteleuropa (also der Welt) durch das Mittel der Sprache: "ich bin kein nihilist. . . ich sage nur, daß alles ein dreck ist". Was bewußtes oder unbewußtes Traumziel der Neuen Sachlichkeit war, wird hier sachlich (oder quasi-sachlich) erledigt. Der Protest richtet sich offenkundig besonders gegen den in der DDR staatlich geförderten Sozialistischen Realismus (parteiisierte Weiter- ftlhrung des Neorealismus) , der laut der resignierten Auffas­ sung in Theodor W. Adornos hinterlassenem Werk Ästhetische Theorie vorgibt, im Sozialismus wäre Unterdrückung beseitigt. Deshalb Adornos These-die übrigens auch von der ihm entglit­ tenen APO-Gesinnungsgemeinschaft gegen Konformismus und Estab­ lishment verkündet wird-: "Lieber keine Kunst mehr als Sozia­ listischen Realismus". Becketts-Autor des weltberühmt gewor­ denen Stückes Warten auf Godot-"kindisch-blutiqe Clowns- fratzen" sagen aus, was aus den Menschen geworden ist, bieten die historische Wahrheit. Die Art der Beckett'sehen Diktion ist indes vorwiegend Manierismus. Derart wäre die einstens deutliche Grenze gegenüber der Neuen Sachlichkeit aufgehoben. Oswald Wieners Buch ist vielleicht ein Selbstmordversuch, Er­ gebnis der Verzweiflung über die Unmöglichkeit einer die kon­ ventionelle Basis der Neuen Sachlichkeit überwindenden Synthe­ se von Tatsachenbericht und Erzählleistung. Der Umstand, daß Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman., ungeachtet kaum bewältigbarer Langeweile-Erstellung einen relativ großen Ab- satzerfolg hatte, spricht für einen wenigstens bei der jungen Generation sich auswirkenden Aktualitätseffekt. Solcher Ra­ dikalismus bedeutet ebenso eine Synthese wie einen Umbruch. Kein Zufall, daß seit 1969 die Verlagsreklame in Hinsicht man­ cher ihrer Produkte frohlockend feststellt, es würde wieder •erzählt'...". (Unter dem Abschnittstitel "Die Wiener Gruppe/ Neorealismus und Neue Sachlichkeit" in Profile und Gestalten der deutschen Literatur nach 1914. Hrsg. Eugen Thurnber (Stuttgart: Kröner, 1977) 351) .

61 Vgl. Innerhofer, Die Grazer Autoren Versammlung. Auch die "Wichtel"-Sache gehört in diesen Kontext. 62 , , t Wiener ist mit seinen Ansichten nicht allein. Das zeigen Kakotopien— dieser Begriff bezeichnet negative Utopien- -wie zum Beispiel die von Aldous Huxley (Brave New World^, George Orwell (1984^ und Evgenij Samjatin (Hy). 63 Vgl. dazu das letzte Kapitel dieser Arbeit. Wilfried Ihrig argumentiert, daß aber auch das in der Dandy-Pose zu brechen ist, d.h., es ist nur ein Teil von vielen— wider­ sprüchlichen— der Verbesserung. und daher nicht als Fixpunkt gemeint, sondern ein weiterer Versuch, die Leser aufs Glatteis zu führen (Literarische Avantgarde. 200/1). Nun, zum einen endet so der Roman, zum anderen, wenn es eine Satire ist, 159 können wir es Wiener vielleicht doch abnehmen, außerdem hat er ja selbst, wie schon angedeutet, sich verweigert. Die message ist auch: wenn es schon jemandem wie dem Autor nicht gelingen kann— mit so einem Werk— wie dann dem Leser?

64 Zur politischen Kritik dazu z.B. Hans Magnus Enzens­ berger, "Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend", Palaver (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1974) 41-54, und "Aporien der Avantgarde", Einzelheiten (Frankfurt/Main: 1962) 290-315. 65 Wenn man in die in einem bestimmten Zustand existie­ rende Welt hineingeboren wird und sie "erkennt", ist man schon verloren, denn alles, selbst die Verweigerung, ist von unserer Auffassung "der Welt" bestimmt. 66 Vgl. z.B. Thomas Hobbes, Leviathan. Bei ihm und an­ deren Philosophen wird die Welt im Bezug zum Menschen als feindlich und gefährlich angesehen. Diese Annahme fußt je­ weils auf historischen Umständen und muß nicht per se stimmen.

67 Das Bewußtsein erschafft erst die Welt (in der Spra­ che, ihrem (des Bewußtseins) distinktiven Merkmal; im Gegen­ satz etwa zum Tier. Vgl. Emile Cioran, History and Utopia (New York: Seaver, 1987) , und The Fall into Time (Chicago: Quadrangle, 1970). Es zeigen sich christliche EinflUsse.

69 Der Soziologie Niklas Luhmann, ein Funktionalist, spricht von "alteuropäischen Menschenbildern", Idealen etc. Damit umschreibt er positive anthropologische Vorstellungen, die in der Theorie anders bewertet werden. Das mag wie Zynis­ mus aussehen, ist aber nur eine Folge rationalistischer Be­ trachtung. Ein solcher Gedanke ist die Annahme, daß der Mensch sich außerhalb des Systems befindet, er ist mehr oder weniger von diesem— seiner Kreation— bestimmt. Damit wird der Mensch entmachtet, soll heißen, aus dem Zentrum des Universums verwiesen. 70 Das wäre im * Gegensatz zu Ulrich • Horstmann, Das Untier (Berlin: Medusa, 1983), wo es schlechterdings um vollständige Auslöschung geht— zum Besten der Welt ohne den Menschen.

71 Könnte man gewagt postulieren, daß Geisteskranke vielleicht schon "im"— rein geistig-seelischen— "Adapter" sind (ihrer Krankheit)?

72 Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum (München: Hanser, 1968), 37 und 225 (Anfang und Ende des Textes). 160 Dieses Urteil ähnelt dem Mauthners, Die Sprache, 83/4. Stirners Werk wirkte auf Nietzsche und Mauthner. 74 Vgl. dazu Urs Widmers Beschreibung des Adapters in seiner Rezension "Nein, diese Suppe ißt er nicht", Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. März 1969.

75 "...durch technischen Fortschritt": kann man das sagen, wenn man den Adapter als Metapher versteht? Wohl nicht, denn das ist nur das Bild oder immerhin bloß eine— untergeordnete?— Seite der Angelegenheit. Der Adapter ist eine Maschine; dies besagt, daß der Mensch nicht ohne Hilfs­ mittel in der Lage ist, Glück zu erlangen. 76 Über virtual reality siehe Howard Rheingold, Virtual Realitv (New York: Summit, 1991) . 77 In der modernen Literatur findet das seinen Nieder­ schlag in der sogenannten New Wave Science Fiction, z.B. bei William Gibson, deren zur Zeit bekanntesten Vertreter.

78 Roger Dean, Views (Limpsfield: Dragon's Dream, 1975): 129-32. 79 Vgl. Myron Krueger, Artificial Realitv (Reading: Addison-Wesley, 1983) und Artificial Realitv II (Reading: Addison-Wesley, 1992). 80 Vgl. z.B. Neil Postman, Amusing Ourselves to Death (Harmondsworth: Penguin, 1985). 81 Vgl. Norbert Wiener, Kybernetik (Reinbek: Rowohlt, 1968) 204-17. Darum geht es auch in dem von Wiener in der ersten Fußnote zum "appendix a" erwähnten Aufsatz "The Fran­ kenstein Problem" von John Wilson (Philosophv 39 (1964): 223- 232. 82 Z.B. von Timothy Leary, dem Apostel der Bewußtseinserweiterung durch Drogen. Heute propagiert er— wenig verwunderlich— virtual reality (vgl. Rheingold, Virtual Realityi. Auch diese ist eine Flucht— hier durch high tech- -aus der Wirklichkeit in eine restlos künstliche Wirklichkeit! fi3 In der Fiktion produzieren ihn seine zukünftigen Bewohner.

84 In Woody Aliens Film Sleeper benutzen die Menschen der Zukunft eine Orgasmus-Maschine ("orgasmatron") zur sexuellen Befriedigung. (Dies ist wohl eine Persiflage von Wilhelm Reichs Theorien und seiner Orgon-Maschine). Diese Maschine ist tubenförmig, und Wieners Adapter können wir uns 161 ähnlich vorstellen. Eine solche Vorrichtung ist ein beliebtes Modell der Popkultur, geschaffen zur Flucht vor der Welt. Ein anderes Beispiel sind die bereits erwähnten EntwUrfe von Martyn Dean (in Roger Dean, Views. 129-33). 85 Je nachdem, was man als "real” und wie man dessen Ab­ bildung definiert, gibt es verschiedene Arten von Realismus, vgl. die Realismusdebatte in der Literatur. Wiener stellt das Konzept "Realität" als solches in Frage; es gibt sie immer nur als sprachlich vermittelte. Zur Realismusdebatte vgl. die von Richard Brinkmann herausgegebene Aufsatzsammlung Begriffsbe­ stimmung des Literarischen Realismus (Darmstadt: Wissenschaft­ liche Buchgesellschaft, 1974).

86 Etwas ähnliches klingt später in Thomas Bernhards Der Weltverbesserer (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1982) an, der ver­ kündet, die Welt könne man nur verbessern indem man sie ab­ schaffe.

87 Im zeitgenössischen Denken nimmt "die Bombe”, der nukleare Holocaust, eine entsprechende Stellung ein. Wiener ist weniger apokalyptisch oder vom Atombombenbewußtsein ge­ prägt als kulturpessimistisch.

Q O ... * Fußnote 1: es gibt ein Paradies jenseits der "Wirk­ lichkeit" wie wir sie verstehen— im Adapter. Vgl. virtual reality, wo es langfristig zu etwas Ähnlichem kommen könnte.

OQ Offensichtlich taucht wieder das Element der Gewalt auf. Grobheit war Wiener nicht fremd. Ein— nicht ganz ernst zu nehmendes Zeugnis— ist ein "Chanson" Wieners und Bayers: ollas mid gewoit chanson ollas mid gewoit i dua ollas mid gewoit weu ma des a so gfoit duari alias mid gewoit (Wiener Gruppe. Neuausgabe, 590) an Vgl. Urs Widmer, "Nein, diese Suppe ißt er nicht", Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. März 1969: "Man kann sie als hoffnungsfrohe Utopie einer grenzenlos glücklichen Mensch­ heit lesen, man kann darin auch bösen Pessimismus sehn: die totale Nivellierung der Menschheit und ihre Aufhebung." Man vergleiche zum Thema etwa Jonathan Swifts Gullivers Travels, die ebenfalls in der Utopie die Gegenwart anprangern (beson­ ders deren letztes Kapitel). 162 Vgl. z.B. Samuel Butler, Erewhon. oder Lookincr Back von Edward Bellamy, George Orwell, Aldous Huxley, Evgenlj Zam- jatin. Der Menschen überlebt; die neue Gesellschaft kann "ideal" und "perfekt" sein in zweierlei Weise: als Horrorbild“ -totalitäre Staaten wie etwa bei Orwell— oder als Paradies, etwa Bellamy. Oftmals sind die Darstellungen sehr ähnlich und werden nur anders interpretiert bzw. vom Autor manipuliert: was beim einen ein perfekt organisierter Staat ist, in dem absolute Gleichheit und Gerechtigkeit herrscht, sieht der an­ dere als Unterdrückung und Vermassung. 92 Vgl. zur Weltvernichtung als Lösung der Menschheits­ problem Artur Schopenhauer, Ulrich Horstmann (Das Untier^, oder (Der Weltverbesserer). Wiener relativiert auch die Wichtigkeit des Titels; an einer Stelle sagt er, dieser Titel sei dem Buch geblieben, weil er ihm "gefallen" habe.

93 Das hat manche Kommentatoren nicht davon abgehalten, kurzerhand Mitteleuropa mit der Welt gleichzusetzen. 94 Neuromancer {New York: Ace, 1984) , Count Zero (New York: Ace, 1987), Mona Lisa Overdrive (New York: Bantam, 1988), Burnina Chrome (New York: Arbor House, 1986). KAPITEL IV

TEXT UND LESER

Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer stellt fest, daß die Verbesserung nicht lesbar sei und tu Langweile führe*.

Diese Einschätzung ist— mit Einschränkungen, da dabei selbst­ verständlich viel vom jeweiligen Leser abhängt— nachvollzieh­ bar, denn man muß tatsächlich einigen guten Willen aufbringen, das Buch zu Ende zu lesen, da der Text nicht leicht zugänglich ist. "Unlesbarkeit" wird unter anderem dadurch geschaffen, daß viele Stellen kaum oder gar nicht verständlich sind. So kommentiert bei Paul Kruntorad zutreffend:

Jede Interpretation— als Literatur, als Philosophie, als Experiment, als Pamphlet— wird vom Buch selbst als widersprüchlich und fragmentarisiert zurückgewiesen.

Ein kurzes Beispiel für eine solche Stelle:

Widerspruch, man verbietet mir etwas zu sagen, du hast es mit über zwanzig arten von Widersprüchen zu tun, der arme!, der kölner dom nur aus Streichhölzern über deren substanz in einem anderen Kapitel berichtet wird. (XIII)

Dafür lassen sich mehrere Erklärungen anführen: Wiener beab­ sichtigt gar keine stringente (wissenschaftliche) Abhandlung, es geht nicht um eine kohärente Darstellung, sondern um Andeu­ tungen einer Lage, und er schreibt gegen die kooptierte Ratio­ nalität. Ein Verstehen wird von Wiener, der die Demonstration

163 164 der Unmöglichkeit der vollständigen, verstehbaren Vermittlung durch Sprache zum Ziel hat, düpiert, und viele Passagen sind daher absichtlich unverständlich. Der Autor gesteht an einer Stelle sogar ein: "den sinn dieser passage verstehe ich heute (1968) nicht mehr ganz" (Anmerkung 8), CXX). Als Resultat bleibt jedoch, daß er sich gewissermaßen selbst unterläuft, da sich vieles gegenseitig derart relativiert, daß nichts mehr fest steht. Die Lektüre der Verbesserung ist absichtlich erschwert, der Text sträubt sich gegen leichte Zugänglichkeit. Der

"Roman" ist weder leicht zu lesen noch leicht zu verstehen, und sei es nur in Abschnitten. Seine verschiedenen Teile sind zwar oft aufeinander bezogen, aber es bietet sich kein ein­ heitliches Bild. Das Werk ist eine kunterbunte Mischung von Gedanken zu diversen Dingen, die in unterschiedlichen Formen dargeboten werden. Die Vorbedingungen und die "Stimmung" des

Lesers bestimmen, vielleicht mehr als bei anderen Texten, sein

Verstehen. Voraussetzung sind in diesem Fall natürlich ein gewisses Interesse an dieser Art von Literatur und der Wille, sich mit dem vorliegenden Werk zu beschäftigen. Dabei sieht sich der Interpret der Schwierigkeit ausgesetzt, aus einem Text, der nicht kohärent sein will, Sinn zu machen, also Ko­ härenz zu finden. Notgedrungen muß dabei manches außer Acht gelassen werden, der Text kann nicht in seiner Totalität er­ faßt werden. Wiener macht sich darüber lustig: 165 man muss dies, man muss jenes. da hast du zum beispiel diese schrift: etliche Sätze sind dir darin aufgefallen, du kannst sie vielleicht sogar zitieren (nieder mit den Zitaten!) eckpunkte einer illusorischen kontinuität. was sonst noch da war hast du schon jetzt vergessen; befragt darüber, würdest du das wesen dieser sache er­ finden, dein eindruck zu Worten gemacht. so machst du es mit allem was dir begegnet du surm. (XXX)

Oft läßt sich zwar in etwa nachvollziehen, was Wiener im sinn hat, aber klar werden seine Absichten nicht immer. Die vielen schwer verständlichen, kryptischen Stellen verwehren sich nicht nur der Lektüre, sondern auch der Interpretation. In einem anderen Absatz stellt er die Möglichkeit des Verständ­ nisses noch stärker in Frage: aus einem satz folgt ein schmarrn. du folgerst haufenweis aus diesen reden, was du da raus- hörst-wenn ich das wollen würde so hätte ich es minde­ stens gemeint.

aus vielen sätzen folgt erst recht ein schmarrn. (XXXIII)

In demselben Zusammenhang zeigt sich ein gewisses Maß an Ag­ gressivität gegenüber dem Rezipienten: reden, zufall, es fällt dir auf, mich stört es nicht, alles das mit diesem satz, idiot dann behalte ihn, nimm ihn mit nach haus und schreib dein buch über diesen satz. (XIII) Oder auf XXX: mein ideal. ich schreibe für die kommenden klugscheisser; um das milieu dieser ära komplett zu machen.

Wiener sucht Distanz zu allen Rezipienten, besonders aber zu denen, die am wahrscheinlichsten sein Werk lesen (und dreht dabei Sichtweisen und Kriterien um):

die fachleute sind leicht zu beeindrucken, schwer aber jemand der nichts von der sache versteht. der 166 eingeweihte sieht die leistung, der laie fragt mit recht: wozu ist das gut? (XXX)

Auch wenn hier bestimmte Gruppen ausgewählt sind und Fachleute gegen Laien gestellt werden, gilt die Aggression allen Lesern gleichermaßen: "sagt er: weisst ossi..., ich versteh immer nur ein viertel von dem was du sagst (wie du, verkommener bankert, der du hier schmökerst) (..)" (LXX) , oder direkt an alle

Leser: "wieso was soll das? du liest das doch, du liest hier herum idiot" (CXXVI). Der Autor hat es darauf angelegt, den Leser zu distanzieren und zu frustrieren. Kritik wird rela­ tiviert, der Leser wird geärgert. Dazu ist dem Autor fast jedes Mittel recht, von Verhöhnung bis zu Aggressivität. Auch vor verbalen Grobheiten wird nicht haltgemacht: "buddha, newton, wie er dichtet, diese sau" (XVIII). Stellen wie die zitierten sind beabsichtigt und Teil des affront und Schockef­ fekt-Puzzles.

Weiterhin spielt der Autor mit dem Leser: "ich will etwas sagen, mir fehlen nur die Worte, aber auch was ich sagen will" (XIII) , und schreckt vor Kalauern nicht zurück: "alle segneten shopenhower, shopenhower aber segnete das zeitliche" (XXXIV, wertvolle bildung,)*, "siehe— auch ich bin schöpferisch: ich schöpfe verdacht" (LI).

Eine weitere Art der Distanzierung wird dadurch gelei­ stet, daß der Autor seine eigenen Bemühungen ironisch herab­ setzt:

JEDESMAL lese ich diesen ganzen Stumpfsinn wieder, ich tue das, ja ich mach es, zum teufel obwohl es mich är­ gert; ich weiss es gibt seit vielen jahren kein einziges 167

buch mehr, das eine stunde müsse wert ist und warum? weil was geschrieben wird geschrieben wird weil man es druckt; und jedes arschloch kann sich eine Schreib­ maschine kaufen, kauft dreissig bücher und denkt nach, was man mit der spräche alles anfangen kann, das lockt doch keinen köter mehr, und wahrlich mit recht verspot­ tet man die laffen, die die Zusammenhänge hinter einem ausdruck suchen, den andere ganz schlicht verstehen und weiterreden, und ich? mein buch ist was anders als ich wollte, ich will es ganz anders. (...) das buch ist langweilig und blöd, blöde wie kunst, wie literatur, blöde wie der glaube (...) (LXIX/LXX) Er holt erneut zum Schlag gegen Sprache, Kunst und anderes

aus, aber Ernst ist es ihm damit wohl weniger. Schließlich

handelt es sich nun wirklich nicht einfach darum, einige Bücher zu kaufen und nachzudenken— gerade bei seinem eigenen Text.

Der Text braucht jedoch den Leser, auch um ihn zurückzu­ weisen, ganz im Sinne von: Psychologie, die unausweichlichkeit des satzes wer das liest ist blöd. (XXII; vgl. auch 1pathos’ auf derselben Seite) Wiener ist auf ein Publikum angewiesen, wie Diogenes im Faß:

ohne Publikum bliebe er ein Rufer in der Wüste, ohne Reibeflä­ che keine Kritik. Er will gerade dort gehört werden, wo er gegen das "Was" und "Wie" dieses Kontaktes argumentiert. Die

Aufhebung des Problems würde die Kritiker überflüssig machen. Nach Wieners Anspruch wäre aber dieser Dialog unsinnig, da er auf Ansichten beruht, die beide (Kritik und ihre Kritik)

sprachliche Vorstellungen der Welt sind, von denen— wenn man Sprache dafür kritisiert, nur bestimmte Denkweisen zuzulassen-

-keine beanspruchen kann, Vorrang zu haben und richtiger zu

sein. Der Roman verbleibt durch die Zirkelstruktur der

F“

I' . 168 Sprachkritik in sich selbst: Wiener benutzt Sprache, um den

Leser vor der Sprache zu warnen. Dieser muß Wiener genauso mißtrauen wie den von ihm angegriffenen Ideologien (inclusive der Ideologie Sprache). Die unzugänglichen Abschnitte und Passagen im Text sind Ausdruck für die hermetische Natur des Geschriebenen— nur der Autor versteht es. Zugleich ist es wiederum ein Mittel zur Abriegelung vor dem Leser bzw. Interpreten. Dieser steht sowieso vor einer schwierigen Aufgabe, denn er muß sich in seinem Bemühen auch noch Beleidigungen gefallen lassen ("halt's maul, leser", XCVII). Durch den Akt des Lesens hat er sich dem Autor ausgesetzt und ausgeliefert, und ist damit konfrontiert, diese Beleidigungen anzunehmen oder abzulehnen. Der Versuch darüberzustehen ist— vom Buch aus— nicht möglich. Zum einen wird der mündige Leser gesucht, der selbstbewußt genug ist, sich gegen das Buch zu wehren, d.h. seine Ansichten und Meinungen zu behaupten, zum anderen wird jeder Leser praktisch von vorneherein als inkompetent abgewiesen. Der ideale Leser wäre ein Gleichdenkender, der das Buch nicht lesen muß und daher nicht "betroffen" ist4. Dadurch würde das

Buch zum Insider-Kassiber, zum Kultbuch für Gruppenzugehörige (die allgemeine Gruppe derer, die sowieso wissen, um was es geht; es zeigt sich wiederum ein gewisser Elitismus). Bewertungsmaßstäbe werden ebenfalls abgelehnt, Kriterien für Urteile werden in Frage gestellt oder umgedreht:

ich fühle, dass ich dem leser eine betrachtung der ba- nalität schulde, indessen (sofern ich überhaupt begreife 169 was das ist) habe ich sie nur im ausdruck angetroffen, in jedem, eine abhandlung über die banalität wäre daher ein plaidoyer in eigener sache, die Verteidigung meiner schrift, eine hoffnungslose sache. (LXXXVIII) Wiener und seine Freunde griffen herkömmliche literarische Bewertungsmaßstäbe ebenso wie das traditionelle Literaturver-

ständnis an. Eine einfache Bewertung solcher Stellen ist deshalb nicht leicht möglich, da dies der erklärten Intention nicht gerecht würde. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz aller aufgebauten Schwierigkeiten vom Rezipienten nicht darauf verzichtet werden soll, im Roman vorkommende triviale, flache, dumme Stellen— sofern sie als solche be­ trachtet werden— angemessen zu beurteilen und damit den Vor­ schlägen und Manipulationsversuchen des Autors nicht zu fol­ gen. Ein Wertungsversuch muß aber immer auf der Grundlage dieses Wissens erfolgen und eingestehen, daß er angesichts der erklärten Absicht wirkungslos bleibt5.

Die Auseinandersetzung läßt die Frage offen, ob und wie weit man Wieners Text ernst nehmen soll und will, wie man verhindert, dem Autor vollständig auf den Leim zu gehen, oder ob man sich darüber ohne viel Aufhebens hinwegsetzt und mit dieser Erfahrung und dem Wissen der Problematik weiterent­ wickelt.

Das Ziel von Wieners Bemühungen ist trotz der Abweisung des Rezipienten dennoch dessen Beeinflußung und Änderung. Der "Roman" ist eingerahmt von Aussagen, die seinen Leser betref­ fen. Der erste Abschnitt des Vorworts beginnt mit einer Art Absichtserklärung: 170

einfach einwirken auf andere, auf sich selber einwirken, sätze einnehmen wie sonst pillen, sich wohin führen lassen, sich in einen zustand versetzen, lassen, mittei- len wollen; auch wohl sich eine hypothese zurechtlegen. (XI) Es geht ihm um zwei Dinge: Einwirkungen (in diesem Fall offen­ sichtlich auf den Leser; auffallend ist die passive Natur dieser Einwirkung) und Hypothesen (zuerst seine eigenen; er hat demnach keinen festen, nur einen vorläufigen Zustand vor Augen).

Wo sich auf der einen Seite Aggression zeigt, findet sich auf der anderen Selbstrelativierung und eine Haltung der Be­ scheidenheit, wie sie sich ähnlich am Beginn und Ende des Vor­ worts zu Wittgensteins Tractatus findet:

Dieses Buch wird vielleicht nur der verstehen, der die Gedanken, die darin ausgedrückt sind— oder doch ähnliche Gedanken— schon selbst einmal gedacht hat.— Es ist also kein Lehrbuch.— Sein Zweck wäre erreicht, wenn es einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereitete. (...) Wenn diese Arbeit einen Wert hat, so besteht er in zwei­ erlei. Erstens darin, daß in ihr Gedanken ausgedrückt sind, und dieser Wert wird umso größer sein, je besser die Gedanken ausgedrückt sind. Je mehr der Nagel auf den Kopf getroffen ist.— Hier bin ich mir bewußt, weit hinter dem möglichen zurückgeblieben zu sein. Einfach darum, weil meine Kraft zur Bewältigung der Aufgabe zu gering ist.— Mögen andere kommen und es besser machen.

Zum Vergleich dazu der "Appendix c" der Verbesserung. mit dem der Text endet und der Leser entlassen wird. Dessen letzter Paragraph folgt:

wenn der leser einen gewinn aus der lektüre meines buches ziehen kann, so wird das, hoffe ich, ein gefühl davon sein, dass er sich mit aller kraft gegen den beweis, ge­ gen die kontinuität und die kontingenz, gegen die for- mulierung, gegen alles richtige, unabwendbare, natür­ liche und evidente richten muss, wenn er eine entfaltung seines selbst— und sei es auch nur für kurze zeit 171

— erleben will, möge er bedenken, welcher kraft, welchen formats es bedarf, gegen eine im großen und ganzen abge­ rundete, stimmige, einhellige weit aufzustehen, wie sie uns in jedem augenblick an den köpf geworfen wird: er wird mir verzeihen, wenn ich die richtigen ansatzpunkte selten gefunden und in vielem über das ziel hinausge­ schossen habe. (CVCI)

Diese Apostrophe an den Leser— wohlgemerkt am Ende, an dem sich der Leser wohl schon seine Meinung gemacht habe dürfte- -summiert Wieners Absicht. Es gibt also vorgeblich einen Gewinn, den man aus der Lektüre ziehen kann. Dieser ist die

Aufforderung, sich gegen die— immer negativ gesehene— Ordnung der Welt aufzulehnen; das ist Wieners großes Anliegen in seinem "un-ordentlichen" Werk. Diese Ordnung ist hauptsäch­ lich durch Sprache bestimmt. Kurz vor der oben zitierten Passage schreibt er: "ich habe an mir selbst erlebt, dass der

Sprachgebrauch entscheidend ist für die empfindungsweise, (...)" (CXCI). Wiener scheint pessimistisch zu sein, da er von der kurzen Dauer spricht, die dies vielleicht durchzuhal­ ten sein wird8.

Was ein Leser aus dem Text gewinnen kann, und vor allem wie— außer auf den Adapter zu warten— bleibt dennoch offen.

Wiener gibt keine Anweisungen, und will solche nicht geben, da er sich gegen abgeschlossene Systeme und deren Lehren wehrt. Selbst sein Nachwort ist mehr eine Bewertung seines eigenen Versuchs als eine Lehre. Moralische (oder andere) Schlüsse sind im Text nicht vorgegeben; definitive Schlußfol­ gerungen gibt es ebensowenig. Analyse und Begreifen der 172 ausweglosen Situation sind vorerst wichtiger als positive Gegenbilder zu entwerfen:

es ist besser zu wissen was man nicht will als zu wissen was man möchte. (oh logik! ist es besser nicht zu wissen was man will als nicht zu wissen was man nicht will? ihr wilden träume der spräche) (XXXI)

Wem ein Adapter zu pervertiert vorkommt, kann seine selbst Lehren ziehen und sich gegen die Welt stemmen— mit seinen eigenen Gedanken und praktischen Folgerungen— oder auch nicht.

Ob Wiener als Schriftsteller und als Theoretiker ernst zu nehmen ist, muß offen bleiben. Man kann Wiener der Schar­ latanerie bezichtigen, und Herbert Bosendorfer wirft auch diese Frage beiläufig auf. Ein Scharlatan ist jemand, der den Eindruck erweckt, er besitze Fähigkeiten, die ihm tatsächlich fehlen. Die Verbesserung bestätigt einen solchen Vorwurf nicht. Allein Wieners gekonnte Sprachverwendung widerspricht einer solchen Bewertung. Dieser Vorwurf findet sich sonst in der Kritik nicht, selbst bei denen, die vom Werk nicht angetan sind. Es wird also— zumindest von einem Teil seiner Rezen­ senten— durchaus ernstgenommen. Auch die Tatsache, daß das Werk genuiner Ausdruck einer bestimmten Zeit ist, widerspräche diesem Vorwurf.

Ein weiterer Aspekt, der in der Kritik vorgebracht wird, ist Posenhaftigkeit. Wie Wilfried Ihrig gezeigt hat, finden sich in Wieners Leben und Werk Züge des Dandytums. Ihrig führt aus, daß der Text insgesamt als eine Pose von vielen zu sehen sei, durch die sich der Autor von der Masse abheben will9. Dies bedingt auch die formale und inhaltliche Unge­ wöhnlichkeit. Dabei spielen Spielerei, Ironie, Satire eine große Rolle, die die Ernsthaftigkeit von Wieners Konzept re­ lativieren. Durch die Pose immunisiert sich der Autor quasi: er stellt sich als einmalige Erscheinung dar, die Uber die Hasse erhaben ist. Diese sind die "Wichtel", die Dummköpfe. Kritik von dieser Seite wird damit von vorneherein zurück­ gewiesen bzw. für falsch erklärt. Eine Beurteilung dieses Werkes ist schwierig— was eines seiner Ziele ist. Es besteht auch die Versuchung, die Waffen zu strecken und dem Autor das Feld zu überlassen. Die Ver­ besserung ist nicht, was gemeinhin ein "großer" Roman genannt wird, und will es nicht sein. Er gibt sich einerseits als seriöses Werk, das ernst genommen werden will, untergräbt je­ doch andererseits Versuche dazu. Trotzdem bleibt das Werk interessant als Herausforderung, als Ausdruck einer bestimmten philosophischen Position einer bestimmten Zeit.

Anmerkungen:

1 Herbert Rosendorfer, "Ein literarisches Fossil”, Uber das Küssen der Erde. 108.

2 Paul Kruntorad, Kindlers-Ö. 216.

3 Gerhard Rühm berichtet, daß Kalauer positiv gesehen wurden fWiener Gruppe. 20) .

4 Vgl. hierzu auch die Einführung zu Wittgensteins Trac- tatus. wo er davon spricht, am besten würden die sein Werk verstehen, die ähnliches selbst schon gedacht hätten— womit sein Werk mehr oder weniger überflüssig wäre. 174 Zur Frage der Notwendigkeit einer Bewertung vgl. Kindlers-Ö. 215 oben. 8 Tractatus. 2/3.

7 Es sei angemerkt, daß diese Aussage die Aufgabe des Solipsismus beinhaltet. Wenn die Welt nur in den Gedanken des jeweiligen Denkenden entsteht, wie und warum soll er sich dagegen auflehnen? Ich möchte auch noch einmal darauf hin- weisen, daß die Verbesserung von Mauthner stärker als von Wittgenstein beeinflußt ist. 8 In dieser Haltung zeigt sich eine weitere Parallele zu Mauthner. 9 Vgl. Wilfried Ihrig, Literarische Avantgarde. POSTSCRIPT

Am Tag der Verteidigung dieser Dissertation stieß ich bei Forschungen nach den neuesten Literaturangaben zu Oswald Wie­ ner zur Vervollständigung der Bibliographie auf den eben von der Bücherei erworbenen zwölften Band von Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. In Walter Ruprechters Beitrag zu "Oswald Wiener" las ich folgende Stelle: Auch in W.s zweitem Roman, der 1990 unter dem Pseud. Evo Präkogler erschien (Nicht schon wieder...! Mchn. 1990), dominiert der Apparat über die Wirklichkeit. In diesem, von W. selbst als Trivialroman bezeichneten Werk wird ein österr. Politskandal um das Atomkraftwerk Zwentendorf von einer Person wahrgenommen und auf gezeichnet, die erkennen muß, daß sie nur als Simulation in einem Computer exi­ stiert, um "realen" Personen Informationen geben zu kön­ nen, die ihr, als sie noch "wirklich" lebte, zur Verfü­ gung standen. So werden auch in diesem Roman Kybernetik u. Künstliche-Intelligenz-Forschung in iron. Weise ver­ wendet .

Selbstverständlich werde ich zuerst das Pseudonym und die vor­ liegende Information verifizieren. Da ich keinen Grund zur Annahme sehe, obige Angaben seien falsch, erwarte ich eine Be­ stätigung. Folglich macht diese Entdeckung— die Existenz eines zweiten Romans, und dessen Inhalt, soweit aus diesem kurzen Absatz ersichtlich— viele der in dieser Arbeit geäußer­ ten Ansichten hinfällig und eine Neubewertung unumgänglich. Eine vollständige Revision hoffe ich bald nachreichen zu können. 17 6 Anmerkungen:

Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. Walter Killy. Gütersloh/München: Bertelsmann, 1992: 318. Der Roman erschien bei Matthes & Seitz in München. BIBLIOGRAPHIE

Diese Bibliographie umfaßt drei Teile. Der erste Teil ist ein Verzeichnis aller Werke von Oswald Wiener. Der zweite

Teil ist ein Verzeichnis von Werken über Oswald Wiener. Al­ les, was ich finden konnte, ist versammelt: Zeitungsartikel, Lexika-Beiträge, Rezensionen, Buchauszüge, Besprechungen aller

Art. Aufgenommen wurden auch Verweise auf Abschnitte von Werken, die nicht ausschließlich Oswald Wiener gewidmet sind, aber dennoch sein Werk behandeln. Die Beiträge sind für die

Primärliteratur (Werke von Oswald Wiener) alphabetisch nach Titeln der Schriften geordnet, für die Sekundärliteratur (Werke über Oswald Wiener) nach Verfassernamen. Diese zwei

Teile stellen die bisher kompletteste Bibliographie zu Wiener dar. Ihr Stand ist der 20. September 1992. Den dritten Teil der Bibliographie bildet eine Liste von für diese Arbeit be­ nutzten allgemeinen Werken.

Auf Anfrage an den Rowohlt-Verlag wurde mir im August 1984 mitgeteilt, daß der Teil des Archivs verbrannt sei, in welchem Material zu Wieners Werken auf bewahrt wurde, d.h. dort gesammelte Rezensionen etc. bis zu diesem Zeitpunkt sind ver­ nichtet; ein Verzeichnis gibt es nicht. 178

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