LOTHAR MERTENS

Unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 97

Foto: Hoover Institution Archives, Stanford

KURT R. GROSSMANN Unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte

Leben und Wirken von Kurt R. Grossmann

Von

Lothar Mertens

Duncker & Humblot · Die Deutsche Bibliothek - CW-Einheitsaufnahme

Mertens, Lothar: Unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte: Leben und Wirken von Kurt R. Grossmann I von Lothar Mertens. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Beiträge zur politischen Wissenschaft; Bd. 97) Zug!.: Potsdarn, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08914-6

AlJe Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-08914-6

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 S Vorwort

Die vorliegende Darstellung kann aufgrund der nur sehr lückenhaften und mosaikartigen Quellenüberlieferung nur einen skizzenhaften Überblick über Leben und Wirken des Pazifisten Kurt Richard Grossmann (1897-1972) geben. Sie versucht, mit Sympathie fiir den Menschen und mit Respekt vor seiner Le- bensleistung, dessen persönliches Verhalten aber nicht unkritisch betrachtend, seinen Lebens- und Berufsweg in Deutschland, der Tschechoslowakei, Frank- reich und den Vereinigten Staaten von Amerika nachzuzeichnen. Die Biogra- phie will dabei möglichst viele Facetten der Persönlichkeit von Kurt R. Gross- mann erfassen, auch wenn infolge fehlender Archivalien nicht alle Teile so um- fangreich und detailliert präsentiert werden können, wie es wünschenswert ge- wesen wäre. Geschehnisse, die Kurt Grossmann selbst in seinen Publikationen ausfiihrIich beschrieben hat, wie z.B. sein Verhältnis zu earl von Ossietzky, werden in dieser Lebensdarstellung nicht noch einmal wiederholt. Die beiden jeweils zweimonatigen Archivaufenthalte in den USA wurden durch Reise- kostenbeihilfen des German Marshall Fund (Hoover Institution, Stanford) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Leo Baeck Institute, New York) er- möglicht. Beiden Institutionen sei nochmals fiir ihre wohlwollende Förderung herzlich gedankt. Für ihre freundliche Hilfe und engagierte Unterstützung darf ich folgenden Archivaren und Bibliothekaren meinen besonderen Dank aussprechen: Frau Leadenham, Frau Wheeler (Hoover Institution Stanford), Herrn Feifel (Deut- sches Literaturarchiv Marbach), Frau Hahn-Passera, Frau Hahner (Deutsches ExilarchivIDeutsche Bibliothek FrankfurtlM.), Herrn Hepp (Kurt Tucholsky- Forschungsstelle, Universität Oldenburg), Frau Kurt (Schweizerische Landes- bibliothek, Bem), Frau Ijzermans (Internationaal Instituut voor Sociale Ge- schiedenis, Amsterdam), und last but not least Dr. Frank Mecklenburg (Archiv Leo-Baeck-Intitute, New York), der mich nicht nur mit zahlreichen Hinweisen unterstützte, sondern auch jederzeit bereit war, Fragen zu klären. Interessante Hintergründe, wertvolle Hinweise und ergänzende Bestätigungen meiner archi- valischen Kenntnisse erhielt ich durch vier langjährige Freunde Grossmanns, die jeder rur sich neue, unbekannte Facetten beleuchten konnten und aus ihrer subjektiven Kenntnis der Person und seines Wirken in den unterschiedlichen Lebensabschnitten manchen komplexen Zusammenhang einzuordnen und dif- ferenzierter zu betrachten halfen. Für diese offene und bereitwillige Gesprächs- bereitschaft habe ich Günter Nelke und Prof. Dr. Herbert A. Strauss sowie den 6 Vorwort inzwischen leider verstorbenen Zeitzeugen Dr. Robert Kempner und Henry Marx sehr herzlich zu danken. Für zahlreiche interessante und sachdienliche Diskussionen während der wochenlangen Archivarbeiten darf ich mich außer- dem bei Prof. Dr. Marion Kaplan (Queens College, New York) und Prof. Dr. Nonnan Naimark (Stanford University) sowie bei Sabine Gries und Claudia Killmann (beide Ruhr-Universität Bochum) bedanken. Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete Fassung einer Disserta- tionsschrift, die von der Philosophischen Fakultät I der Universität Potsdam im Januar 1996 angenommen wurde. Den Gutachtern Prof. Dr. Karl E. Grözinger (Potsdam) und Prof. Joachim H. Knoll (Bochum) danke ich filr ihre konstrukti- ven Hinweise. Dem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Julius H. Schoeps, danke ich nicht nur filr seine wohlwollende Bereitschaft diese Arbeit zu betreuen, son- dern auch für seine vielfliltige Unterstützung meiner Forschungen zu jüdischen Themen in den vergangenen Jahren. Widmen möchte ich diese Untersuchung Prof. Dr. Dieter Voigt zum 60. Geburtstag, zumal auch seine eigene Biographie gleichfalls vom uner- schütterlichen Kampf gegen ein Unrechtsregime geprägt ist. Für seine jahre- lange Ennutigung und fachliche Unterstützung bin ich ihm zu Dank verpflich- tet, insbesondere da meine historischen Forschungsinteressen und wissenschaft- lichen Arbeitsgebiete nicht immer "marktgängig" erschienen und oftmals auch außerhalb der Schwerpunkte seines Arbeitsbereiches an der Ruhr-Universität Bochum lagen; dennoch hat er mich immer wohlwollend unterstützt. Lothar Mertens Inhalt

1. Einleitung ...... 15 2. Zur Person ...... 19 2.1 Die Persönlichkeit ...... 28 2.2 Geburtstage/Ehrungen ...... 43 2.3 Sparsamkeit und Sammelleidenschaft ...... 51 2.4 Defizite und Schwächen ...... 54 2.5 Verhältnis zum Sohn Walter ...... 57 3. Deutsche Liga für Menschenrechte ...... 63 3.1 Ausbürgerung ...... 80 3.2 Ablehnung der Rückberufung ...... 86 3.3 Paketaktion ...... 91 3.4 Meinungsumschwung und lose Kontakte ...... 96 4. Die Prager Jahre ...... 99 4.1 Die Initiativen für eine Haftentlassung earl von Ossietzkys ...... 114 4.2 Kritik an der Flucht aus Prag ...... 118 5. Pariser Zeit ...... 121 5.1 Dissonanzen mit den Pariser "Freunden" ...... 122 5.2 Hilfsversuche aus den USA ...... 133 6. Immigration in die USA ...... 137 6.1 Hilfe für die Familie der Schwester ...... 141 7. Neubeginn in den Vereinigten Staaten ...... 14 7 7.1 Erste politische Aktivitäten in den USA ...... 160 7.2 Interesse und Einmischung in die US-Innenpolitik ...... 179 7.3 Erneut verdächtigt - die McCarthy-Ära ...... 181 8. Die Identifikationskrise des WJc...... 185 8.1 Das Ende der Tätigkeit beim WJC ...... 192 8.2 Erneute Arbeitslosigkeit - der Wechsel vom» World Jewish Congress« zur »Jewish Agency« ...... 198 8.3 Abschied im Zorn - die ungewollte Pensionierung ...... 202 9. Aufenthalte in der Bundesrepublik Deutschland ...... 207 9.1 Vortragsreisen durch die Bundesrepublik Deutschland ...... 215 8 Inhalt

10. Die Diskussion um den Verbleib der Juden in Deutschland ...... 225 11. Sein individueller Einsatz rur die Wiedergutmachung ...... 231 11.1 Joachim Lipschitz ...... 240 11.2 Kontakte zur SPD ...... 245 11.3 Bekanntschaft und Kontakte zu ...... 247 11.4 Engagement gegen die Berliner Mauer ...... 257 11.5 Rechtskandidaten ...... 259 12. Wirken rur die deutsch-jüdische Aussöhnung ...... 263 12.1 Die Holthusen-Affiire ...... 263 12.2 Unbewältigte Vergangenheit ...... 267 13. Unbesungene Helden ...... 269 14. Die Kontakte zum »Rheinischen Merkur« und die Angst der Linken ...... 273 15. Resümee ...... 278 Literatur ...... 281 Personenregister ...... 299 Anlagen ...... 304

Anhang

Auswahlbibliographie der Publikationen von Kurt R. Grossmann ...... 308 Vorbemerkung ...... 308 1. Bücher und Broschüren ...... 311 2. Herausgegebene Bücher ...... 312 3. Beiträge in SammelbändenlZeitschriftenaufsätze ...... 313 4. Artikel in Wochen- und Tageszeitungen ...... 324 5. Rezensionen ...... 406 Personenregister ...... 41 0 Sachwortregister...... 416 Zeitschriftenregister ...... 438 Exilzeitungsregister ...... 439 Benutzungshinweise

Da die von Kurt Grossmann verfaßten Briefe in den einzelnen Archiven nur als Durchschläge ohne Korrekturen vorliegen und auch in den Antwortschrei- ben der Adressaten häufig Tippfehler handschriftlich nachverbessert wurden, werden diese Korrekturen in den Zitaten des vorliegenden Textes nicht geson- dert angezeigt, sondern in der korrigierten Form übernommen. Ebenfalls wur- den in allen in der Emigration maschinenschriftlich verfaßten Briefen und Grußadressen die technisch bedingten Umstellungen in der Schreibweise (z.B. ae für ä; oe für ö, ue rur ü; ss statt ß) wieder auf die DUDEN übliche Schreib- weise zurückgeführt. Die von Grossmann verfaßte Korrespondenz weist dabei im Schriftbild seit den fünfziger Jahren ein unsystematisches Nebeneinander auf, da er seiner Gattin Eisa von einem seiner Deutschlandaufenthalte eine Reiseschreibmaschine mit deutscher Tastatur mitbrachte und dadurch selbst im gleichen Brief eine unterschiedliche Schreibweise zu beobachten ist. Alle übrigen ungewöhnlichen Schreibweisen oder unkorrigierten Tippfehler sind in der üblichen Weise mit "sic" gekennzeichnet worden. Um den Anmer- kungsapparat knapp zu halten, ist Grossmann nicht gesondert als Adressat oder Absender vermerkt. Das heißt, Briefe von Kurt Grossmann an Robert Kempner werden beispielsweise mit dem Datum der Abfassung als "Brief an Robert Kempner am ... " zitiert. Briefe, die Kurt Grossmann zum Adressaten haben, Z.B. von Robert Kemp- ner, werden hingegen als "Brief von Robert Kempner vom ... " zitiert. Lediglich bei einigen wenigen Schreiben, bei denen Grossmann weder Absender noch Adressat ist, werden sowohl der Name des Schreibers als auch der des Empfän- gers aufgeführt, z.B. "Brief von Robert Kempner an Eisa Grossmann vom ... ". Bei allen Literaturhinweisen in den Fußnoten, denen kein Verfassername vorangestellt ist, handelt es sich um von Kurt R. Grossmann verfaßte Aufsätze oder Artikel. AbkÜfzungsverzeichnis

ACOA - American Council for Equal Compensation ofNazi Victims from ADAC - Allgemeiner Deutscher Automobil-Club AJC - American Jewish Congress ao. - außerordentlich Bd. - Band Biogr. - Biographie/Biographisches CDG - Council for a Democratic Germany CDU - Christlich-Demokratische Union CSU - Christlich-Soziale Union CSR - Ceskoslovenska Republika [Tschechoslowakei] CV - Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. DDP - Deutsche Demokratische Partei DDR - Deutsche Demokratische Republik DGB - Deutscher Gewerkschafts-Bund DLM - Deutsche Liga rur Menschenrechte DP - Displaced Person dpa - Deutsche Presse-Agentur EK - Eisernes Kreuz EKKI - Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale FBI - Federal Bureau of Investigation geb. - geboren gest. - gestorben GmbH - Gesellschaft mit beschränkter Haftung Hbd. - Halbband Hdb. - Handbuch Hg. - Herausgeber hrsg. - herausgegeben IJA - Institute of Jewish Affairs Jg. - Jahrgang Joint - American Joint Distribution Committee JRSO - Jewish Restitution Successor Organization Kc - Tschechische Kronen KPD - Kommunistische Partei Deutschlands KPÖ - Kommunistische Partei Österreichs Abkürzungsverzeichnis 11

KZ - Konzentrationslager MdB - Mitglied des Bundestages MdL - Mitglied des Landtages MdR - Mitglied des Reichstages NL - Nachlaß NPD - Nationaldemokratische Partei Deutschlands NS - Nationalsozialistisch( e) NSDAP - Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NYT - New York Times ORT - Organization for Rehabilitation through Training OSE - Worldwide Organization for Child Care, Health and Hygiene amongJews PEN - Publizisten, Essayisten u. Novellisten (Schriftstellervereinigung) RM - Reichsmark SA - Sturm-Abteilung SAJ - Sozialistische Arbeiterjugend SAP - Sozialistische Arbeiterpartei SBZ - Sowjetische Besatzungszone SED - Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Slg - Sammlung Sopade - Parteivorstand der SPD im Exil SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS - Schutz-Staffel SU - Sowjetunion UdSSR - Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken Ü .d. V. - Übersetzung des Verfassers UNESCO - United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNO - United Nations Organization URO - United Restitution Organization USA - United States of America $ - US-Dollar USPD - Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VHS - Volkshochschule WJC - World Jewish Congress WZO - World Zionist Organization ZK - Zentralkomitee Abkürzungen der benutzten Archive

BAK Bundesarchiv Koblenz - Nachlaß Ludwig Quidde (NL 1212; NL Quidde) - Nachlaß Walther Schücking (NL 1051; NL Schücking)

DEA Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Deutsche Bibliothek FrankfurtlM. - Nachlaß Wilhelm Sternfeld (Eb 75/177; NL Sternfeld) - Sammlung »Europäische Föderation« (Eb 67b/2; Slg. »Euro päische Föderation«) - Sammlung »American Guild for German Cultural Freedom« (Eb 701117; Slg. »American Guild«)

DLAM Deutsches Literaturarchiv Marbach - Nachlaß Manfred George (Slg. George) - Nachlaß Kurt Pinthus (Slg. Pinthus)

HIA Hoover Institution Archives Stanford/Ca. - Kurt R. Grossmann CoIIection

IfSF Institut rur Stadtgeschichte [Stadtarchiv], FrankfurtlM. - Nachlaß Veit Valentin; Anhang Slg. Grossmann (NL Valentin)

IISG Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam - Nachlaß Albert Grzesinski (NL Grzesinski) - Nachlaß Paul Hertz (NL Hertz) - Sammlung Freundeskreis Ossietzky (Slg. FkOss)

IZG Institut rur Zeitgeschichte München - Sammlung Kurt R. Grossmann

KTF Kurt Tucholsky-ForschungssteIIe an der Universität Oldenburg - Briefwechsel Kurt Tucholsky-Kurt R. Grossmann (Kopien von den in einem Moskauer Archiv lagernden Originalen)

LBI Leo Baeck Institute (New York), Archiv - Kurt R. Grossmann Collection - American Jewish Joint Distribution Committee Abkürzungen der benutzten Archive 13

Außerdem konnten längere Gespräche mit den folgenden Zeitzeugen gefiihrt werden:

Dr. Robert Kempner (gest. 15. Aug. 1993; langjähriger Freund und Kollege bei der OLM, später Anwalt in Wiedergutmachungsprozessen) am 27. Ja- nuar 1993 in Königstein/Ts.

Henry Marx (gest. 22. Juni 1994; bis dahin Chefredakteur des »Aufbau«, zuvor Journalist bei der New Yorker Staatszeitung und Herold) am 13. Okto- ber 1992 in ;

Günter Nelke (sein Stellvertreter bei der Demokratischen Flüchtlingsfiirsorge in Prag) am 14. Dezember 1992 in Bonn;

Prof Dr. Herbert A. Strauss (langjähriger Bekannter und Mitherausgeber der Festschrift für die Berliner Gemeinde) am 19. Oktober 1992 in New York City.

1. Einleitung

Kurt Richard Grossmann, dessen Leben und Wirken hier skizziert werden sollen, ist, wie es Becher prägnant formulierte, "heute auf eigenartige Weise fern und präsent. "I Er ist fern, da es bis auf einige Geburtstagsglückwünsche2 und die zahlreichen Nachrufe3 keine Arbeiten über ihn gibt4 und auch die Zahl der überlieferten persönlichen Dokumente sehr gering ist. 5 Kurt Grossmann ist zugleich präsent, da sein Name jedem begegnet, der sich mit dem Pazifisten6 earl von Ossietzky,7 der Geschichte der Emigration im Dritten Reich,8 insbe-

Becher, S. 53. 2 Schaber, Will: Kurt R. Grossmann - 70 Jahre. In: Aufbau, 33. Jg., Nr.20, 19. Mai 1967, New York, S. 6; Ders.: Emigrations-Chronist Kurt R. Grossmann. In: Ebd., 34. Jg., Nr. 43, 25.0kt. 1968, S. 11. 3 Fabian, Hans Erich: In memoriam K.R.G. In: Aufbau, 39. Jg., Nr. 10, 9. MIIrz 1973, New York, S. 4; Kempner, Robert: Ombudsman der Flüchtlinge. Persönliche Erinnerung an Kurt R. Grossmann. In: Ebd., 38. Jg., Nr. 12, 24. MIIrz 1972, S.20; Kempner, Robert: Kurt R. Grossmann verstorben. In: Die Mahnung, 19. Jg., Nr. 6, 15. MIIrz 1972, Berlin, S. 3; Auf- bau-Redaktion: Kurt R. Grossmann [Nachruf]. In: Aufbau, 39. Jg., Nr. 10, 10. MIIrz 1972, S. 28; Zum Gedenken an Kurt R. Grossmann. In: Ebd., Nr.27, 7. Juli 1972, S. 28; Brann, Henry Walter: Kurt Grossmann und das Judentum [Leserbrief]. In: Ebd., Nr. 12, 24. MIIrz 1972, S. 13. 4 Der Aufsatz von Becher war ein erster gelungener Versuch, zumindest die Prager Jahre 1933-38 und die Arbeit der »Demokratischen Flüchtlingsfilrsorge« näher zu bringen. Siehe auch: Mertens, Lothar: Ein Leben fur Menschenrechte und die Wiedergutmachung. Zum 30. Todestag von Kurt Richard Grossmann. In: Tribüne, 31. Jg. (1992), H. 121, Frank- furtIM., S. 69-73; Ders.: Grossmann, Kurt. In: Neues Lexikon des Judentums. Hrsg. von Julius H. Schoeps. Gütersloh-München 1991, S. 175-176. 5 Becher ist der Meinung, es gäbe keine persönlichen Dokumente über Grossmann. Doch einige Dokumente, wie SPD-Mitgliedsbuch, Mitgliedsbuch filr den »Zentralverband der Angestellten«, Schulzeugnisse und mehrere Photoalben mit Photographien (HIA, Box 3 u. 59-61), befinden sich in den von Becher nicht benutzten »Hoover Institution Archives« in StanfordlUSA. 6 (Unter dem Pseudonym "Felix Burger" mit Kurt Singer): (Zürich 1937); Ossietzky, ein deutscher Patriot (München 1963); Carl von Ossietzky. In: Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Hennann Kunisch. München 1965, S. 449-450. 7 Ossietzky, Carl von; geb. 1889 Hamburg, gest. 1938 Berlin; Redakteur, 1912-14 »Deutscher Monistenbund«, 1920-22 »Berliner Volks-Zeitung«, 1926-33 Chefredakteur »Die Welt- 16 Einleitung sondere der in die Tschechoslowakei,9 oder der Wiedergutmachung in der Bun- desrepublik DeutschlandlO beschäftigt. Grossmann ist somit heute selber ein "unbesungener Held", um den Titel eines seiner wichtigsten Bücher I I zu zitie- ren, das im Nachkriegsdeutschland eine große Breitenwirkung hatte.

Eine Annäherung an ihn wird auch deshalb erschwert, weil sich der vorhan- dene Nachlaß über mehrere Archive verteilt. Darüber hinaus hat Kurt Gross- mann vor seiner Flucht in die Tschechoslowakei im Februar 1933 sein umfang- reiches Privatarchiv fast ganz vernichtet,12 während Dr. Robert Kempnerl3 das Archiv und etwaige belastende Unterlagen in den Büroräumen der »Deutschen Liga für Menschenrechte« (OLM) am Monbijouplatz vernichtete, damit diese nicht in die Hände der neuen, braunen Machthaber fielen. Auf der Weiteremi- gration von Prag nach Paris im Herbst 1938 und der Weiterreise in die USA im Sommer 1939 gingen zahllose Dokumente und Briefe verloren, die durch den überlieferten Bestand nicht ersetzt werden können. Vor seiner Abreise in die USA deponierte Kurt Grossmann seine mehrere Kisten umfassende Sammlung

bühne«, 1931 wegen angeblichen Landesverrats u. Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefilngnis verurteilt, 1933 verhaftet u. im KZ inhaftiert, infolge internationaler Proteste u. schwerer Krankheit danach bis zum Tode unter Bewachung in Klinik, 1935 Friedensnobelpreis. 8 Siehe z.B. die häufige Zitierung seiner Publikationen »Emigration« und »Jewish Refugee« in FabianiCoulmas, Müssener oder Radkau. 9 Emigration. Geschichte der Hitler-Flüchtlinge 1933-1945. Frankfurt/M. 1969; Gerettet? Fünf Jahre Not, Flucht, Rettung. Hrsg von der Demokratischen Flüchtlingsfllrsorge. Prag 1938; The Jewish Refugee (zus. mit Arieh Tartakower). New York 1944. 10 Die Ehrenschuld. Kurzgeschichte der Wiedergutmachung. FrankfurtlM.-Berlin 1967; Ger- many's moral debt. The Gerrnan-Israel agreement. Washington/D.C. 1954; Gerrnany and Israel: six Years Luxemburg agreement. New York 1958. II Die unbesungenen Helden. Menschen in Deutschlands dunklen Tagen. Berlin 1957. 12 Grossmann, Emigration, S. 26. 13 Kempner, Dr. iur. Robert; geb. 1899 Freiburg i.B., gest. 1993 KönigsteinlTs.; Rechtsanwalt, Mitglied in SPD, 1928-33 Oberregierungsrat u. Justitiar in der Polizeiabt. im preuß. Innenministerium, ab 1925 freier Mitarbeiter fllr Polizeifragen fllr Berliner Zeitungen, ab 1926 Dozent an Deut. Hochschule fllr Politik, Rechtsberater der DLM, verlangte per Rechtsgutachten Anfang der 1930er Jahre ein NSDAP-Verbot u. die Ausweisung Hitlers, 1933 Entlassung aus Staatsdienst, 1935 nach Gestapohaft Emigration nach Italien, 1938 nach Frankreich u. 1939 in die USA, Stipendiat an arnerik. Universitäten u. ab 1941 Sonderberater des US-Justizministeriums, 1944 mit Entwurf von Anklageschriften gegen Frick u. Göring beauftragt, ab 1945 als Abt.Ltr. der US-Anklagebehörde an den NUrnberger Prozessen beteiligt, 1947-49 stellv. US-Hauptankläger, ab 1951 als Rechtsanwalt in FrankfurtlM., als Nebenkläger u. Rechtsbeistand in zahlreichen NS-Prozessen u. Wiedergut- machungsklagen tätig; Biogr. Hdb., Bd. I, S. 360. Einleitung 17

von antifaschistischem Materialien (Broschüren, Flugbätter etc.) bei dem alten Bekannten Alfred Falk. 14 Im Januar 1945 teilte dieser Grossmann mit, daß er nach der deutschen Invasion alle Kisten mit den Unterlagen kurz vor dem be- fürchteten Einmarsch deutscher Truppen im südfranzösischen Frejus verbrannt habe, da das gesammelte .. überaus kompromittierende Material" eine zu große Gefahr für die Flüchtlinge dargestellt hätte. 15 So verlor Grossmann neben den in Prag zurückgelassenen Materialien ein weiteres Mal seine in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragenen Unterlagen. Deshalb bleiben vor allem die frühen Jahre sowohl persönlich als auch beruflich eher im dunkeln. Erschwerend kommt hinzu, daß er in seinen späten Lebensjahren das erneut sehr umfangreiche Privatarchiv selbst aufgeteilt hat. So verkaufte er einen Teil an das New Yorker »Leo Baeck Institute«16 sowie einzelne Schriftstücke und Memoranda, die Exilzeit in der CSR betreffend, an das »Institut für Zeit- geschichte« in München. Nach seinem Tode wurde von der Familie der Rest- bestand an die »Hoover Institution Archives«17 in Stanford gegeben. Um Leben und Wirken zumindest skizzenhaft rekonstruieren zu können, wurden für die vorliegende Darstellung die Grossmann-Nachlässe in den »Hoover Institution Archives« Stanford, dem Archiv des »Leo Baeck Institute« New York und dem »Institut für Zeitgeschichte« München, sowie der Nachlaß Wilhelm Sternfeld und die Sammlung »Europäische Föderation« im »Deut- schen Exil-Archiv« in der Deutschen Bibliothek Frankfurt/M., die Nachlässe von Manfred George bzw. Kurt Pinthus im Deutschen Literatur-Archiv Mar- bach, der Veit Valentin-Nachlaß im »Institut für Stadtgeschichte« Frank- furtIM., der Nachlaß Paul Hertz und und die Sammlung Freundeskreis Ossietz- ky im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam, einge- sehen und ausgewertet. Da die überwiegende Zahl der Publikationen von Kurt Grossmann, speziell die fast zweitausend Zeitungsartikel, für den tagespolitischen Augenblick und

14 Falk, Alfred; geb. 1896; Journalist, Kriegsdienstverweigerer u. fuhrendes Mitglied der DLM, Leiter der »Republikanischen Beschwerdestelle« in Berlin, 1928-30 Redakteur der pazifist. Monatsschrift »Der Krieg«, im März 1933 via Schweiz Emigration nach Frankreich, Falk war gleichfalls in die I. Ausbürgerungsliste aufgenommen, zog sichaber enttäuscht über die Exilpolitik im Herbst 1935 nach Südfrankreich zurück; Biogr. Hdb., Bd. I, S. 166. 15 LBI, Box 9; Briefvon Alfred Falk vom 26. Jan. 1945. 16 HIA, Box 11; siehe den Brief von Max Kreutzberger vom 14. Nov. 1966. Die »Kurt Gross- mann Collection« im Archiv des New Yorker Leo-Baeck-Instituts umfaßt insgesamt 77 Boxen (ca. 5 Regalmeter). 17 Die »Kurt R. Grossmann Collection« in den Hoover Institution Archives in Stanford urnfaßt insgesamt 62 Boxen (ca. 7 Regalmeter).

2 Merten.