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Fußball BRUST RAUS, KOPF HOCH Der Karlsruher SC ist plötzlich wer: Am Dienstag spielt die Elf gegen Austria Salzburg um den Einzug ins Uefa- Cup-Finale. Für die nächste Saison peilt Trainer Winfried Schäfer sogar die Meisterschaft an. Doch schon heute sorgt sich der Klub, was aus ihm wird, wenn der Erfolgscoach dem Lockruf der großen Konkurrenten erliegt.

nternationaleKlasseistimDetailzuer- kennen. Früher charterte der Karlsru- Iher Sportclub den Mannschaftsbus bei örtlichen Reiseveranstaltern; heute be- sitzt er einen eigenen. Wie der Kollege von Bayern München eilt nun Busfahrer Hartmut Grössel, 43, immer voraus und wartet vor Europas Airports auf die Her- ren Fußballspieler, die vom Flugzeug zu ihm umsteigen. „Wir haben Stil“, sagt Grössel. Für den Torwart macht die Hygiene den Unterschied. „Früher“, sagt Oliver Kahn, 24, „mußtest du duschen, wo alles verfault war.“ Heute pflegen die Profis ihre Körper in den chromblitzenden Ka- takomben der neuen, 40 Millionen Mark teuren Haupttribüne. „Äußerlichkeiten“, meint der Präsi- dent Roland Schmider, 54. Was sich wirklich verändert habe, „ist unsere Durchsetzungskraft: Früher haben wir Ziele geplant, heute realisieren wir sie“. Früher, das war vor 1986. Dann wurde Winfried Schäfer Trainer – und das Heu- te begann. Karlsruher Profi Kirjakow*: Pfiffig, willig und unverdorben Vergangenheit, das glauben seitdem alle beim Karlsruher SC, läßt sich bewäl- Seit er vor acht Jahren antrat, tausch- Jahr zum Fußball Mohnbrötchen mit tigen. Keine Struktur ist so fest, daß sie te Schäfer Spieler, „denen Durchschnitt Schinken gereicht werden. nicht rundzuerneuern wäre. Und daß der ausreichte“, gegen Antreiber wie Slaven Und während anderswo Fußballer das einstige Skandalverein, dessen Präsidi- Bilic, Wolfgang Rolff oder Oliver Kahn, distanzierte „Sie“ wünschen, liebkost umsmitglieder ehedem Geld bei Devi- die im Umkleideraum auf die Kollegen die Region ihre Helden mit Spitznamen: senspekulationen verloren, am Dienstag so lange einreden, bis „alle zehn Zenti- Da hören Kiki, Eddy, Manni oder Wol- dieser Woche, pünktlich zum 100. Ge- meter größer sind“ (Kahn). le auf Winnies Kommando – und Bussi burtstag, um den Einzug ins Finale des Der Torwart, die Augen zu Schlitzen fährt den Bus. Uefa-Cups spielt, nehmen die Badener gepreßt, gibt sich wie der Erfinder des So probt die Überraschungsmann- längst als Produkt weiser Vorausschau. Darwinismus. Die Ausleseprozesse des schaft des Jahres den klassischen Spagat Der KSC sieht sich als Ideal der Syn- Sports müßten gnadenlos und Gefühle der Emporkömmlinge: Das Idyll, das these von Unternehmen und Sportver- tabu sein, referiert er. Schon durch die andere Vereine lange beerdigt haben, ein: professionell und zugleich familiär, Körperhaltung – Brust raus, Kopf hoch wird eifrig gepflegt. Doch auch die berühmt und doch bodenständig, reich – habe ein Siegertyp wie er die Truppe Bräuche des Establishments muß erler- und noch immer bescheiden. vom Strafraum aus anzupeitschen: „Es nen, wer überleben will. Darum, sagt Wie sonst in der nur der muß immer nur Power geben.“ Schäfer, ehemals Mittelfeldrenner in Bremer Trainer durfte Von solch schlichtem Leistungsden- der Mönchengladbacher Elf des Mei- sich Schäfer, 44, über Jahre eine Mann- ken ließ sich das beschauliche Karlsruhe stertrainers Hennes Weisweiler, habe er schaft wie vom Reißbrett basteln. Doch mitreißen. Längst ist bei Heimspielen „bei den anderen das Gute wegge- anders als der Kollege aus dem Norden, der Klubraum, wo saure Kutteln und guckt“. dessen Werder-Profis immer häufiger an Maultaschen in Ei serviert werden, ge- Längst spielen seine „Jungs“, so rosig Lustlosigkeit leiden, formte sich Schäfer nauso überfüllt wie die 27 VIP-Logen, sieht es der Coach, „für ihr Trikot“ mit ein Team, das eine Grundregel des mo- deren Mietern für bis zu 60 000 Mark im dem Optimismus der alten Gladbacher dernen Sports verinnerlicht zu haben und zugleich mit der Arroganz der FC- scheint: da alle Teams ähnlich trainieren, * Im Hinspiel des Uefa-Cup-Halbfinales gegen Bayern-Stars, die sich samstags um fünf entscheidet der Wille. Austria Salzburg in Wien. vor halb vier noch gähnend fragten:

228 DER SPIEGEL 15/1994 „Gegen wen kicken wir ei- um aus dem KSC das zu machen, was gentlich?“ Die Vermarktung, Borussia Mönchengladbach in den sieb- schwadroniert Schäfer, möge ziger Jahren noch sein konnte? Es ist Werder Bremen nachemp- kaum anzunehmen, daß Fußballkonzer- funden werden, und gefeiert ne wie Bayern München sich überrum- werden soll das nordbadische peln lassen. Noch immer hat die Enge Dream-Team von einem der Provinz, früher oder später, großes „Dortmunder Publikum“. Denken erstickt. Da es für dieses Gesamt- Manchmal fürchtet das auch Schäfer. kunstwerk Grenzen nicht ge- Mönchengladbach, weiß Weisweilers ben kann, muß es im näch- Enkel, ist seit Jahren Mittelmaß, weil es sten Jahr die Deutsche Mei- in den erfolgreichen Tagen nie genug sterschaft sein. Beim KSC, Geld erwirtschaftete. Deshalb krittelte verkündet der Trainer stan- Schäfer in Karlsruhe so lange an Mana- desgemäß, „geht es immer ger Carl-Heinz Rühl herum, bis der für aufwärts“. Denn Schäfer gibt allzu behäbig Befundene „wehmütig“ die Richtung vor. aufgab. Schmider, obschon Rühls Trau- Die Funktionäre sind der- zeuge, schlug sich auf Schäfers Seite. weil für die Folklore verant- Der neue Mann fürs Geld, Dieter wortlich – bieder war Karls- Meinhold, 39, ehemals stellvertretender ruhe immer, und Bodenhaf- Leiter des Sport- und Bäderamtes Sin- tung, beten sie sich täglich delfingen, redet schon Monate vor sei- vor, muß bleiben. nem Dienstbeginn im Sommer so zackig Auch kleine Gesten wer- wie der Bremer Manager Willi Lemke den noch dankbar zur Kennt- von „Visionen“, „Akquirierungen“ und nis genommen. Als Schmider der „Dienstleistung Karlsruher Sport- über dem Hotelportal vor club“. Schäfer müht sich um eine Art den Toren Wiens einen Will- Corporate identity, indem er in der kommensgruß an seine Rei- segruppe erblickt, entfährt es ihm froh: „Ei, kuck, wie schön.“ Tritt Wernfried Feix, der Vorsitzende des Verwal- tungsrats, nackt und vom letzten Saunagang damp- fend, ans Fenster seines Ho- telzimmers, pfeift unten ein Reporterduo das Badener- lied. Beim KSC ist der Um- gang nun mal unkompliziert, jeder duzt jeden. Hat der Präsident Geburtstag, singt KSC-Trainer Schäfer: „Alles hier sein Werk“ sein Trainer artig wie einst Marilyn: „Happy birthday, Mister Presi- „Dreisäulentheorie des Sports“ befolgt: dent.“ Neue Spieler, predigt er, müssen „sport- Strikte Rollenverteilung gehört in die- lich, menschlich, finanziell zu uns pas- sem kleinen Kosmos dazu. Vizepräsident sen“. Ulli Heynig etwa hält alles Denkwürdige Die im vorigen Jahr so begeisternde mit der Videokamera fest: So auch, wenn Dortmunder Elf, die danach vergessen beim 0:0 im Uefa-Cup-Hinspiel gegen hat, wie man Fußball arbeitet, gilt als Salzburg Präsident Schmider neben Au- warnendes Beispiel. Für die kickenden Klub-Präsident Schmider ßenminister Klaus Kinkel auf der Ehren- Millionäre, die bei der Konkurrenz das „Ei, kuck, wie schön“ tribüne des Wiener Stadions sitzt und zu- intakte Mannschaftsgefüge ramponiert frieden nickt, als der Polit-Profi lobende haben, istinKarlsruhe kein Platz. „Wenn Pressekonferenz den Joghurt des Spon- Worte für die klägliche Partie findet. bei uns“, betont Schäfer, „jemand aus- sors löffelt und seine Frau küßt, die eine „Vorbildlich, diese Einsatzfreude.“ schert, gibt’s was drauf.“ Armbanduhr mit Vereinsemblem trägt. Auch die Ehefrauen achten die Hierar- So wurde der zuweilen blasierte Man- Später hockt Schäfer in seinem Trai- chien. Ähnlich wie im Asterix-Comic die fred Bender von ihm immer mal wieder nerzimmer, das so kalt aussieht wie die Gattin des Häuptlings, Gutemine, ihren ausgewechselt und von Kapitän Rolff im Umkleidekabine eines Turnlehrers. Er Gallierinnen vorsteht, führen in der Da- Training durch bewußte Fouls zur Räson ist ewig heiser, seine Augenlider zuk- menrunde im Heurigenkeller selbstver- gebracht – „umgrätschen“ nennt der Fuß- ken, seine Finger zupfen an der Trai- ständlich Brigitte Schmider und Angeli- ballehrer diesen pädagogischen Kniff. ningsjacke. Nur wenn er eine Weile ka Schäfer das Wort. Einer wie der Russe Sergej Kirjakow ist über Fußball redet, scheint der Hektiker Die Karlsruher glauben fest daran, daß für Schäfer dagegen ein Star wie vom in Trance zu fallen – und entwickelt mit sieeben deshalb der einzige im Uefa-Cup Skizzenblock: pfiffig, ballverliebt und jedem Satz einen neuen Plan, wie er den verbliebene deutsche Klub sind, weil bei aus dem Osten, also willig und unverdor- KSC nach ganz oben bringen könnte. ihnen „die zwischenmenschlichen Bezie- ben. Immerzu jongliert Schäfer mit Na- hungen noch nicht entpersönlicht“ sind – Ob aber Kämpferherz und badische men, dann malt er Gesichter auf seine und weil Schmider so ernsthaft seine Gemütlichkeit heutzutage ausreichen, Schreibunterlage. Regisseur Rolff, 34,

DER SPIEGEL 15/1994 229 SPORT läßt er nach Köln ziehen, weil er ihn für Auch die Zeiten in denen unbedarfte „langsamer als früher“ hält und damit Steuern Sportler glaubten, „Netto“ und „Brut- für zu langsam, um Meister zu werden. to“ seien die Namen der Hunde aller Aber wer soll ihn ersetzen? Karlheinz Schatzmeister, sind längst vorbei. Wer Pflipsen, der Mönchengladbacher, wäre sich zu den Spitzenathleten des Landes ein Kandidat. Doch im nächsten Mo- Ende der rechnet, hat sein Geld am liebsten bar ment ist es wieder ein anderer. auf die Hand. Bei größeren Summen, Daß er Austria Salzburg unterjubeln wie bei Steffi Grafs Antrittsgeld für den konnte, er wolle deren Torwart Otto Schonzeit Federationcup in Frankfurt, wird auch Konrad abwerben, freut ihn diebisch. schon mal eine Plastiktüte als Verpak- „Ein bißchen Uli Hoeneß spielen“ Deutschlands Spitzensportler kung akzeptiert. nennt er das, den Gegner verunsichern: hatten beim Finanzamt bislang Daß die Sportler dann bei der Steuer- Konrad war „nie ein Thema“. Lieber erklärung zuweilen den Überblick ver- würde das rheinische Schlitzohr den leichtes Spiel. Die Politiker lieren, zeigt der Fall des früheren Hoch- Münchner Ersatztorwart Uwe Gospo- wollen jetzt mehr kassieren. sprung-Weltrekordlers Carlo Thrän- darek, 20, preiswert einkaufen, be- hardt: Dem Leichtathleten war zur Last rühmt machen und so den „Bayern ein gelegt worden, zwischen 1983 und 1989 Schnippchen schlagen“. Schließlich as die Cracks schneller, weiter, an Einkommen-, Umsatz- und Gewer- wird Schäfers Ziehsohn Kahn im Juli höher treibt, hat einer der Bes- besteuer 266 308 Mark hinterzogen zu nach München wechseln. Wserverdienenden in der ihm eige- haben. Der rastlose Tüftler hat Narrenfrei- nen schlichten Sachlichkeit offengelegt. Da Thränhardt die Steuerschuld, so heit. Die Profis, die ihren Chef vereh- Der in Elmshorn aufgewachsene, für das Landgericht Aachen, „in vollem ren, werfen „dem Alten“ allenfalls vor, München und Deutschland spielende Umfang anerkennt“ und inzwischen daß seine Frau schon mal ins Mann- und im Salzburger Land lebende Ten- 290 000 Mark in die Staatskasse gezahlt schaftshotel durfte, während Ersatz- spieler anderswo schlafen mußten – und daß er allzu gekonnt einen Kult ums ei- gene Ego betreibe. Doch „jeder“, sagt Kahn, „weiß, daß alles hier sein Werk ist“. Ein KSC ohne Schäfer? Dem Präsi- denten bereitet allein der Gedanke Kummer. „Die Folgen“, sagt Schmider, während er die eine Hand fahrig vor den Mund hält und mit der anderen den goldenen Knopf vom Klubjackett abdreht, seien so verheerend wie für die Nationalelf der Rücktritt von Team- chef : Der Vater al- ler Strategien wäre fort, „es bliebe ein Vakuum“. Skeptiker ahnen, daß die Zeit nach Schäfer wie die Zeit vor Schäfer wer- den könnte: da galt der Klub als Fahr- stuhlmannschaft zwischen erster und zweiter Liga, Trainer beschimpften Verwaltungsräte als „fußballerische Embryos“. Steuerausländer Schumacher in Monte Carlo: Fiskalische Oase Daß sich Bayern-Chef Fritz Scherer den Macher des Karlsruher Erfolges nisprofi Michael Stich begründete sei- hat, verzichtete die Wirtschaftskammer auch beim deutschen Rekordmeister nen nimmermüden Ehrgeiz so: „Wer auf eine weitere strafrechtliche Verfol- vorstellen kann, behagt Schäfer sehr. viel Geld hat, will immer noch mehr gung. So kam Thränhardt Ende Januar Ganz beiläufig verrät der einstige Assi- Geld haben, so ist der Lauf der Welt.“ mit einer Geldbuße von 70 000 Mark da- stentenanwärter der Bundesbahn, wie Die deutschen Athleten hatten in den von. sehr ihn der Ruf eines wahrhaft bedeu- letzten Jahren einen guten Lauf. Seit- Und was noch wie ein Einzelfall tenden Vereins adeln würde. dem Sport als Unterhaltungsshow ver- wirkt, soll schon bald die Regel sein. In Die Spielregeln würde natürlich er kauft wird, explodieren ihre Gagen. den kommenden Wochen berät der bestimmen: „Erst einmal sage ich de- Selbst einstige Hungerleider wie Rechnungsprüfungsausschuß des Bun- nen, wie der Hase läuft.“ Vizepräsident Leichtathleten oder Schwimmer schaf- destags über Empfehlungen für den Fi- Karl-Heinz Rummenigge etwa dürfte fen inzwischen beim Jahresgehalt die nanzminister. Theo Waigel, so wünscht unter einem Trainer Schäfer „nichts Millionengrenze, Fußballprofis wie Lo- es sich ein Mitarbeiter des nordrhein- mehr über die Mannschaft sagen“. thar Matthäus verdienen mehr als zwei westfälischen Finanzministeriums, soll Schäfer hoffe, raunen Karlsruher Be- Millionen Mark. Und für die drei deut- endlich gezwungen werden, „ein Ende obachter, daß Beckenbauer doch noch schen Tennisstars Michael Stich, Boris der Schonzeit für gutverdienende Sport- ein Jahr Bayern-Trainer bleibe und er Becker und Steffi Graf sowie den For- ler herbeizuführen“. selbst sich so in Ehren aus Baden ver- mel-1-Piloten Michael Schumacher gibt Schon im Herbst 1992 war dem Bun- abschieden kann. Im kleinen Kreis läßt es praktisch keine Limits. Jährlich fünf desrechnungshof nach monatelangen er schon mal jede Zurückhaltung fah- Millionen Mark gelten als bescheidener Recherchen in den Kontrollmitteilun- ren: „Es gibt nur einen Trainer für Bay- Durchschnitt, in guten Jahren sind zehn gen der Finanzbehörden aufgefallen, ern München.“ Er meint sich. Y Millionen und mehr möglich. daß bei Spitzenathleten aus Baden-

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