www.gegen-vergessen.de 94 / Oktober 2017

Gegen Vergessen FÜR DEMOKRATIE Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Gegen Vergessen FÜR DEMOKRATIE Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Demokratiegeschichte weitere Themen: ■ Warum die Arbeit mit Zeitzeugen längst nicht zu Ende ist ■ „Wa(h)l. Tauch nicht ab!“ Ed i t ori al Liebe Mitglieder von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., liebe Freundinnen und Freunde!

Unsere Vereinigung empfängt wesentliche Impulse für ihre Arbeit der Kampagne „Wa(h)l. Tauch nicht ab!“ dafür geworben, sich an aus dem Spannungsfeld von historischen Erfahrungen und ge- der Bundestagswahl zu beteiligen. Die Beteiligung an Wahlen ist genwärtigen Herausforderungen. Wir haben zu handeln vor dem die elementarste Form der politischen Partizipation in der Demo- Hintergrund einer teilweise katastrophalen, teilweise gelungenen, kratie. Engagement in den Parteien und in zivilgesellschaftlichen häufig aber auch ambivalenten Geschichte. Organisationen macht die Staatsbürger erst zu Aktivbürgern. Ein besonderer Dank geht daher an alle Mitwirkenden unserer bun- Die Erinnerung an Geschichte hat sicherzustellen, dass wir we- desweiten Kampagne. sentliche Teile des Zeitalters der Extreme, insbesondere die gro- ßen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, allem voran den Holocaust, In der gegenwärtigen Konstellation, die viele als Krise unserer De- nicht vergessen. Es gilt daraus zu lernen, um zu verhindern, dass mokratie auffassen, spricht viel dafür, die repräsentative Demo- diese Vergangenheiten – in welcher Gestalt auch immer – wieder- kratie nicht nur zu verteidigen, sondern sie zugleich zu erneuern. kehren. Etwas vom Zeitalter der Extreme setzt sich amalgamiert Gerade die Geschichte seit dem 19. Jahrhundert lehrt, welch ge- mit neuen Phänomenen in den Extremismen rechts und links in waltigen Fortschritt Demokratie darstellt, sie zeigt aber eben auch, der Gegenwart fort, deshalb sind sie zu bekämpfen und zugleich welche Regressionen möglich sind. Deshalb haben wir uns den ist Demokratie zu stärken. Problemen der Gegenwart zu stellen.

Demokratie ist dabei teilweise dem Wandel unterworfen. Es lohnt Mit den besten Grüßen sich, sich mit der Geschichte der Demokratie zu beschäftigen. Ihr / Euer Dem Themenfeld Demokratiegeschichte ist dieses Heft gewidmet. Demokratie heute ist nicht nur die Konsequenz des Lernens aus den Diktaturerfahrungen, sondern auch das Ergebnis des Strebens mutiger Menschen seit dem 18. Jahrhundert, Menschen- und Bür- gerrechte zu fixieren, Macht durch Rechtsstaatlichkeit, Gewalten- teilung und Herrschaft auf Zeit zu begrenzen und Teilhabe der Bernd Faulenbach Menschen an politisch-gesellschaftlichen Prozessen zu ermögli- chen. Demokratie ist dementsprechend nicht auf das politische System beschränkt, sondern umfasst eben auch eine politische P.S.: Dieses Heft ist weitgehend vor der Bundestagswahl entstan- Kultur, die auf einer Gesellschaft der Bürger basiert, die demokra- den. Seine Beiträge sind durch das Wahlergebnis keineswegs tischen Werten verpflichtet ist. überholt, im Gegenteil: es fordert uns dazu auf, unser Engage- ment zur Stärkung der Demokratie zu intensivieren. Demokratie lebt von der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an den politischen Prozessen. Deshalb haben verschiedene regionale Arbeitsgruppen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. mit

Die Mitgliederversammlung 2017 findet vom 25. bis 26. November in Hannover statt. Alle notwendigen Informationen stehen zum Download bereit unter: www.gegen-vergessen.de/verein/mitglieder/2017-hannover/

Liebe Mitglieder von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. zur Vereinfachung unserer Abläufe wird es für uns immer wichtiger, Sie per E-Mail erreichen zu können. Aus diesem Grunde wären wir Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns Ihre aktuellen Mailadressen mitteilen würden. @ Über eine kurze Mail an [email protected] würden wir uns sehr freuen. Ihr Team von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

IMPRESSUM Herausgegeben von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin Telefon (0 30) 26 39 78-3, Telefax (0 30) 26 39 78-40, [email protected], www.gegen-vergessen.de Bankkonto: Sparkasse KölnBonn, Konto-Nr. 85 51 707, BLZ 370 501 98

Titel: Fotos aus der Aktion „Wa(h)l. Tauch nicht ab!“, August bis September 2017. Redaktion: Dr. Dennis Riffel, Julia Wolrab, Liane Czeremin, Dr. Michael Parak (V.i.S.d.P.) Gestaltung: Atanassow-Grafikdesign, Dresden Druck: B&W MEDIA-SERVICE Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH Die Herausgabe dieser Zeitschrift wurde gefördert durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. ISSN 2364-0251

2 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017

I nh alt Inhaltsverzeichnis Die Themen in dieser Ausgabe

Themen Demokratiegeschichte als Aufgabe der Erinnerungsarbeit in Deutschland 4 Demokratiegeschichte als Beitrag zur Demokratiestärkung 8 Für die Stärkung unserer demokratischen Wurzel 11 Demokratiegeschichte 2018 / 19: Webseiten, Veranstaltungen, Ansprechpartner 12 Demokratie entwickeln – Empfehlungen des Praxisforums gegen Rechtsextremismus 14 „Noch viele ungenutzte Potentiale“: 16 Warum die Arbeit mit Zeitzeugen längst nicht zu Ende ist „Wa(h)l. Tauch nicht ab!“ 18 „Nur wer wählen geht, kann mitentscheiden“ 19

Analyse und Meinung Der 24. September 2017 und die Frage nach Konsequenzen 21 Nach dem G20-Gipfel – Zur Diskussion über linksextremistische Gewalt 22 Auf der Suche nach der Quadratur des Halbmonds 24

Aus unserer Arbeit Demokratielernen und Antidiskriminierung als Herausforderung für die Ausbildung 26 pädagogischer Fachkräfte Vielfältige Strategien im Umgang mit Rechtspopulismus vor Ort 27 RAG Südhessen: Bericht über eine Studienfahrt nach Dachau 29 RAG Augsburg Schwaben: Geduld auch bei schwierigen Grundsatzfragen 31 in der Geschichtsvermittlung Interview: „Es ist wichtig, Demokratie zu stärken“ 32 RAG Augsburg Schwaben: Europa auf dem Prüfstand 33 RAG Saar-Pfalz-Hunsrück: Einsatz für Demokratie und Menschenrechte 35 RAG Münsterland: Das internationale Ausstellungsprojekt 37 „Different Wars“ – „Verschiedene Kriege“ RAG München stellt sich vor 39

Namen und Nachrichten Volker Issmer – Porträt 40 Maikäfer, flieg! 41

Rezensionen Schutzwall für eine zukunftsfähige deutsche Friedenskultur 42 Zur Geschichte der Sinti im 20. Jahrhundert 43 Berlin unterm Hakenkreuz – Der Bericht einer Berliner Jüdin 45 Als Bibelforscherkind im „Dritten Reich“ 46

Impressum 2 Vorstand und Beirat 47

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 3 Bernd Faulenbach Them a Demokratiegeschichte als Aufgabe der Erinnerungsarbeit in Deutschland

I tiv für Demokratie sind auch die Geltung Gleichwohl rückten seit den 1960er Jah- Eine völlig neue Tendenz von Menschen- und Bürgerrechten (die ren die Geschehnisse der NS-Zeit, insbe- der Erinnerungskultur? auch Minderheitenrechte einschließen), sondere die Verbrechen der Zeit, in das Gewaltenteilung, Herrschaft auf Zeit, Zentrum des Interesses, was sich auch „Demokratie“ ist für die meisten von uns Rechts- und Sozialstaatlichkeit, nicht zu- nach 1989/90, als auch das kommunis- der selbstverständliche Begriff zur Kenn- letzt eine politische Kultur, die mit einer tische Unrecht verstärkt beachtet wurde, zeichnung unserer politisch-gesellschaftli- Zivilgesellschaft verbunden ist. Alle diese nicht grundlegend verändert hat. Jetzt chen Ordnung. Demokratie ist jedoch das Komponenten haben ihre Geschichte. aber scheint es einen neuen Schub für Ergebnis einer komplexen Geschichte, die Beschäftigung mit Demokratiege- in der die Entwicklung von Gesellschaft, In jüngster Zeit ist in Deutschland Demo- schichte zu geben. Bedeutsam ist, dass Ökonomie und Kultur als Rahmenbedin- kratiegeschichte verstärkt als Feld der Er- sie nicht als Gegensatz, sondern als Er- gung eine wichtige Rolle spielt und ver- innerungsarbeit entdeckt worden – im weiterung der Erinnerungsarbeit betrach- schiedene politische Prozesse ihren Nie- politischen Raum und in der Erinnerungs- tet wird, in deren Zentrum die NS-Zeit derschlag gefunden haben. Und doch ist gesellschaft. Die Gründung eines Netz- und die Großverbrechen des 20. Jahrhun- sie auch Ausdruck des politischen Gestal- werkes Orte der Demokratiegeschichte im derts stehen. tungswillens von Menschen, politischen Juni dieses Jahres ist Ausdruck dieser Ten- Richtungen und Nationen. denz. Ein gewisses Interesse hat die De- Dabei stellen sich verschiedene Fragen: mokratiegeschichte wohl stets seit dem Im Laufe der Geschichte ist Demokratie Zweiten Weltkrieg gefunden, nachdrück- ■ In welchem inhaltlichen Verhältnis ste- ein immer anspruchsvolleres Ordnungs- lich wurde eine intensivere Beschäftigung hen das „negative Gedächtnis“ und die konzept geworden. Heute ist Demokra- mit der Freiheits- und Demokratiegeschi- um die Massenverbrechen kreisende Er- tie nicht nur Mehrheitsherrschaft oder chte auch in den frühen 1970er Jahren innerungsarbeit einerseits und die Be- ein bestimmtes, durch eine Verfassung vom damaligen Bundespräsidenten Gus- schäftigung mit Demokratiegeschichte geregeltes Institutionengefüge. Konstitu- tav Heinemann gefordert. andererseits zueinander?

Demokratie ex negativo begründet: Inschrift „Nie wieder“ in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Foto: wikimedia/Tafkas

4 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Them a Foto: Dennis Riffel Demokratie: ein historisch gewachsenes, anspruchsvolles Ordnungskonzept.

■ Mit welchen Themen, Fragen und As- pektiert werden, es keine Gewaltentei- neswegs für den gesamten Widerstand pekten der Demokratiegeschichte soll lung gibt, Herrschaft nicht begrenzt ist (und zwar weder für den ganzen Wider- sich die Erinnerungsarbeit vorrangig be- und staatliches Handeln nicht an der stand des 20. Juli noch für den kommu- schäftigen? Rechtsstaatlichkeit seine Grenzen findet. nistischen Widerstand). Auf der Ebene heutigen Denkens lassen ■ Welche Relevanz hat die erinnerungs- sich beide Komponenten also durchaus Zweifellos standen sich in der ersten kulturelle Beschäftigung in der gegen- zusammensehen. Die Beschäftigung mit Hälfte des 20. Jahrhunderts Demokratie wärtigen Konstellation, in der vielfältig den NS-Verbrechen kann zweifellos zur und Diktatur sowohl ideengeschichtlich über eine Krise der westlichen Demo- Legitimation des Engagements für De- als auch in der praktischen Auseinan- kratie gesprochen wird? mokratie beitragen. dersetzung kontradiktorisch gegenüber. Zugleich aber stießen zeitweilig de- Dennoch gehen die Beschäftigung mit mokratische, autoritäre und totalitäre II Diktaturgeschichte und Massenverbre- Strömungen und Parteien in einer Wei- Negatives Gedächtnis und chen auf der einen Seite und die Ausein- se aufeinander, dass es zwischen ihnen Demokratiegeschichte andersetzung mit Demokratiegeschichte Kommunikation und Wanderungen von auf der anderen Seite nicht ineinander Anhängern gab. Wir müssen zur Kennt- Im Zentrum der Erinnerungsarbeit in auf. Die Auseinandersetzung mit dem nis nehmen, dass der Schritt von der De- Deutschland stehen seit den 1960er Jah- Menschheitsverbrechen Holocaust hat mokratie zum Antidemokratischen nicht ren die NS-Diktatur und die NS-Verbre- gleichsam ihren Zweck in sich, sie ist eine immer sehr groß war. Generell war der chen, vor allem der Holocaust. Die von anthropologische und historische Not- Firnis der Zivilisation, der diese von der Deutschland ausgehenden und im deut- wendigkeit, die keiner Begründung be- Barbarei trennt, dünner, als man anneh- schen Namen verübten Verbrechen präg- darf und von jeder Generation in der zivi- men könnte. Das gilt vermutlich auch für ten zunehmend die deutsche Erinnerungs- lisierten Welt nach wie vor erwartet wird. die Gegenwart. kultur, die – wie Reinhard Koselleck for- muliert hat – ein „negatives Gedächtnis“ Auch die Demokratiegeschichte hat ihr Auf diesem Hintergrund tun wir gut daran, zur Voraussetzung hat. Das Bewusstwer- Eigengewicht. Demokratie ist keineswegs den kommunistischer Verbrechen und die vorrangig als Funktion anonymer gesell- ■ weder Diktaturgeschichte noch Demo- europäische Öffnung des Erinnerns ha- schaftlicher und politischer Veränderungs- kratiegeschichte zu isolieren, sondern ben die deutsche Erinnerungskultur seit prozesse zu begreifen. Sie wurde von Ein- sie jeweils in Kontexte einzuordnen den 1990er Jahren zwar geringfügig mo- zelnen, von Gruppen, Bewegungen, Par- und Zusammenhänge zu beleuchten, difiziert, doch nicht wirklich gewandelt. teien angestrebt. Für die Durchsetzung demokratischer Ideen haben viele Men- ■ Demokratie-, Diktaturgeschichte und So stark die Erinnerung an die NS-Ver- schen Opfer gebracht. Zudem ist Demo- die Geschichte der Menschheitsverbre- brechen auch die deutsche Erinnerungs- kratie nicht ausschließlich die Antwort auf chen nicht als konkurrierende, sondern kultur prägt, so ist diese doch zugleich Diktaturerfahrungen – wie dies im deut- sich ergänzende Beschäftigungen der verknüpft mit demokratischen Werten. schen Fall manchmal behauptet wird, wo- Erinnerungsarbeit zu begreifen. Dies kommt etwa im Namen unserer Ver- bei die Weimarer Republik und die lange einigung Gegen Vergessen – Für Demo- Vorgeschichte seit dem Vormärz schlicht Bezogen auf die deutsche Erinnerungs- kratie e. V. zum Ausdruck. Gegen das Ver- vergessen werden. kultur spricht gegenwärtig einiges da- gessen der Untaten der NS-Zeit ist die für, demokratiegeschichtliche Themen eine Seite unseres Anliegens, die andere Allerdings sind die Geschichte von Dikta- aufzugreifen, die geeignet sind, die De- Seite ist die Stärkung der Demokratie, turen und die Geschichte von Demokrati- mokratiediskussion stärker historisch zu wobei diese beiden einander offenbar en, sind auch Geschehnisse wie Mensch- fundieren. » bedingen. Ex negativo begründen die Er- heitsverbrechen immer mit der übrigen fahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahr- Geschichte auf recht unterschiedliche hunderts Demokratie. Die Diktaturerfah- Weise verbunden. So war der Widerstand rungen zeigen, was es bedeutet, wenn gegen die NS-Diktatur teilweise demo- Menschen- und Bürgerrechte nicht res- kratisch motiviert. Dies gilt allerdings kei-

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 5 » III sind der Widerstand gegen Hitler mit sei- Verfechter eines aufgeklärten Rechtsstaa- Themen und Fragen nen vielfältigen Geschehnissen, die Erar- tes und Vordenker von Demokratie und

Them a der Demokratiegeschichte beitung des Grundgesetzes, der 17. Juni Sozialstaat. 1953 in der DDR, die „Umgründung“ Die Demokratiegeschichte ist ein weites der Bundesrepublik in den ausgehenden Nicht zuletzt bietet sich an, die Erinne- Feld. Es stellt sich die Frage, was aus der 1960er Jahren und frühen 1970er Jah- rung an Protagonisten der Demokratie Geschichte der Demokratie die Erinne- ren (in all ihren Widersprüchen) sowie (im weiteren Sinne) zu pflegen. In die- rungskultur bewegt, die im Hinblick auf die Friedliche Revolution in der DDR und sem Kontext wird man Persönlichkeiten die Vergangenheit hochgradig selektiv die Wiedervereinigung. zu nennen haben, die ihren Einsatz für ist. Offen ist, welche Phänomene sie die Demokratie mit ihrem Leben bezahlt aufgreift, die für die Gegenwart relevant Auch negative Ereignisse wie die Zustim- haben. Als Beispiele mag man Robert sind und eine symbolische Verdichtung mung zum Ermächtigungsgesetz durch Blum 1848, Matthias Erzberger, Walter ermöglichen. Es gilt gleichsam, „Orte der eine Mehrheit des Reichstages und das Rathenau und Friedrich Ebert in der Wei- Erinnerung“ zu finden, die aus der Sicht die Ehre des Parlamentarismus rettende, marer Zeit nennen, ebenso Repräsentan- Pierre Noras auch Persönlichkeiten, Grup- durch Otto von Wels begründete Nein ten des demokratischen Widerstandes pen oder Ereignisse sein können. der SPD-Reichstagsfraktion im März 1933 gegen Hitler wie Julius Leber und Theo- wird man als demokratiegeschichtliche Er- dor Haubach und viele andere, die auch Wichtige Ereignisse der Demokratiege- eignisse zu würdigen haben. Zu erwähnen auf der regionalen Ebene zu finden sind, schichte sind Revolutionen und Umbrü- ist auch die Behauptung des Rechtsstaates nicht zuletzt die mutigen Vertreter der che sowie spektakuläre Ereignisse. Nennen gegen den Terrorismus im Herbst 1977. Opposition in der DDR. kann man aus der deutschen Geschichte den Vormärz mit dem Hambacher Fest Demokratiegeschichtlich von Interesse sind Es geht nicht nur um „Märtyrer“, son- und dem Protest der Göttinger Sieben, die Bewegungen, Parteien und Persönlichkei- dern auch um bedeutende Persönlich- Revolution von 1848/49 mit den Märzer- ten, die sich für demokratische Verhält- keiten des demokratischen Lebens. Die eignissen und dem verfassunggebenden nisse im 19. und frühen 20. Jahrhundert Erinnerung an einige – etwa an Theodor Paulskirchenparlament. Einen anderen eingesetzt haben, wobei die konkreten Heuss, , Willy Brandt, Komplex bildet die Novemberrevolution Ziele im jeweiligen Zeitkontext zu sehen Helmut Schmidt – wird inzwischen durch 1918 mit der Ausrufung der Republik sind. Parteien, die sich für die Partizipati- Bundesstiftungen wachgehalten. Es gilt und dem Prozess der Verfassunggebung on des Volkes an der politischen Willens- auch weniger bekannte Demokraten des in Weimar. Weitere Ereignisse, die die bildung eingesetzt haben, sind in diesem 19. und 20. Jahrhunderts wiederzuent- Erinnerungskultur beschäftigen können, Zusammenhang ebenso zu nennen wie decken, besonders in lokalen Kontexten.

Wie erinnern an Demokratie und ihre Wegbereiter? Hier ein Beispiel aus der Erinnerungsstätte Matthias Erzberger. Foto: HdGBW

6 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Them a Foto: Uwe Thiemann Der Bundestag im ehemaligen Reichstag - in keinem anderen Gebäude wird die Relevanz der Demokratiegeschichte für die Gegenwart so deutlich.

IV an den extremen Rändern auszuma- fassen, die wir nicht nur verteidigen Zur Relevanz der Demokratie- chen. Doch ist zu erörtern, inwieweit müssen, sondern für die wir diejeni- geschichte für die Gegenwart es populistische und gesellschaftliche gen, die dauerhaft bei uns leben wol- Tendenzen gibt, die die Demokratie zu len, gewinnen müssen. Demokratiegeschichte kann eine Reihe deformieren drohen. von wichtigen Einsichten – zumal in der Ergebnis der Bemühungen um die De- Bildungsarbeit – vermitteln: ■ Die Einsicht ist unabweisbar, dass die mokratiegeschichte könnte die Stärkung „res publica“ des Engagements der eines historisch fundierten demokrati- ■ Demokratie musste in einer Vielzahl Bürger bedarf. Aus diesem Engage- schen Nationalbewusstseins sein, das von Kämpfen durchgesetzt werden, ment resultiert das Selbstbewusstsein sich in enger Beziehung zu Europa de- war lange Zeit gefährdet und ist wohl des Citoyen. finiert und seinen Kern in einem Verfas- nie ganz ungefährdet. sungspatriotismus hat. ■ ■ Vor dem Hintergrund der wechselvol- ■ Demokratie hat sich in ihrer heuti- len europäischen Geschichte lässt sich gen Gestalt in einem längeren Prozess die Gegenwart unserer Demokratie herausgebildet. Angesichts des gesell- trotz mancher Schattenseiten als po- schaftlich-politischen Wandels verän- litisch-gesellschaftliche Lebensform auf- dert sie sich auch in der Gegenwart. Heute sind zwar in Deutschland offen Prof. Dr. Bernd Faulenbach ist Vorsitzender von Gegen Vergessen – demokratiefeindliche Bewegungen nur Für Demokratie e.V.

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Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 7 Demokratiegeschichte als Beitrag Them a zur Demokratiestärkung

Im Mai 2017 luden Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zur Fachtagung „Vermittlung von Demokratiegeschichte als Beitrag zur Demokratiestärkung“ ein, die im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ stattfand.

Eingeladen waren Akteurinnen und Akteure im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sowie Organisationen und Institutionen der politischen Bildungsarbeit, die demokratiegeschichtliche Angebote umsetzen oder umsetzen möch- ten. Die Teilnehmenden setzten sich damit auseinander, wie Demokratiegeschichte so vermittelt werden kann, dass Handlungsoptionen für die gesellschaftliche Weiterentwicklung abgeleitet werden können.

Einer der Hauptredner auf der Fachtagung war Prof. Dr. Michele Barricelli vom Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte und Public History an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Wir stellten Herrn Prof. Barricelli nach seinem Vortrag einige Fragen zum Thema Demokratiegeschichte:

Welche Rolle spielte Demokratie- geschichte bis jetzt in Deutschland?

Es ist durchaus bemerkenswert, wie wenig die Geschichtswissenschaft zumindest in Für Demokratie e.V.

Deutschland das erzählerische Potenzial – von Demokratie bisher genutzt hat. Wahl- recht, Partizipation, Emanzipation gehö- ren jedenfalls nicht – mit wenigen Aus- nahmen wie etwa die Judenemanzipation im 19. Jahrhundert – zu ihren bevorzugten

Forschungsfeldern. Dabei ist Demokratie Fotos: Gegen Vergessen etwas eminent Historisches, nichts Ur- sprüngliches, das menschlichen Gemein- schaften oder Gesellschaften immer schon zu eigen gewesen wäre. Vielmehr ist sie das Ergebnis von politischer Entwicklung, Produkt von Lernen und Bewusstseins- bildung, Ergebnis von Aushandlung und Vereinbarung. Dieses Prozesshafte sorgt Prof. Barricelli während der Tagung in Berlin. dafür, dass die über die Demokratie zu erzählenden Geschichten besonders span- und Kontexte, in denen sich das Neue, ren 1860er Jahre in weiten Teilen Europas nend, oft sogar packend sind. Denn in „Gute“ erst bemerkbar zu machen, dann und in den USA, die Friedensbewegun- ihnen geht es ja nicht nur um die Durch- durchzusetzen hat, um schließlich das Alte gen bereits vor dem und dann im Zwei- setzung der einen oder anderen neuen ganz beiseite zu schieben. Philipp Scheide- ten Weltkrieg, die vollen Umfänge der Herrschaft oder Regierungsform, wie wir mann nahm diesen Gedanken bei seiner sozialen Öffnungen und Liberalisierungen das aus der Chronologie, gerade auch des Ausrufung der ersten gesamtdeutschen seit den 1960er Jahren noch vertiefter Er- Geschichtsunterrichts, zur Genüge ken- Republik am 9. November 1918, in einem forschung. Man ist sich noch nicht einmal nen, um das abstumpfende Nacherzählen Fenster des Reichstagsgebäudes in Berlin einig darüber, wann das eigentlich auf dessen, wie eine Diktatur auf die nächste stehend, auf, indem er verkündete: „Das deutschem Boden, nachdem man 1849 folgt, eine Entrechtung die nächste ablöst, Alte und Morsche ist zusammengebro- noch auf Demokraten hatte schießen las- das Elend einfach nicht weichen will. Son- chen!“. Demokratiegeschichte ist daher sen, mit der Wahlrechtsmodernisierung so dern mit der Erinnerung an Demokratie Durchsetzungsgeschichte – und somit recht begann. In der Forschung setzt sich verbinden wir die Verteilung der Werte von unhintergehbar auf handelnde Personen langsam die Ansicht durch, dass bereits Gut und Böse. Das „Böse“ sind in der Re- und Taten, weniger auf Wertungen und die Verfassung des Norddeutschen Bun- gel jene im Empfinden der Demokraten Deutungen angelegt. Trotzdem harren des von 1867 eine bedeutende Wegmarke immer schon dagewesenen Bedingungen die demokratischen Aufbrüche der späte- darstellte, die seinerzeit in Europa tatsäch-

8 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 lich fortschrittlich war, mit allgemeinem Männerwahlrecht und im Hinblick auf das Budgetrecht potentem Parlament. Them a Möglicherweise hatte Bismarck da zum Vergleich auf das autokratische System in Frankreich unter Napoléon III. geschaut, von dessen „Kulturlosigkeit“ man sich unbedingt absetzen wollte. 1867 ist aber auch das Jahr der Reconstruction Acts in den USA, wo die Gleichstellung von Weißen und Schwarzen, zumal durch das Wahlrecht, von den Republikanern in Washington erzwungen werden sollte, was freilich noch ein weiter, hürdenrei- cher Weg war.

1867 ist jetzt gerade 150 Jahre her – hat das hierzulande irgendeine erinnerungs- kulturelle Würdigung ausgelöst, eine Stärkung demokratischer Bewusstseins- bildung durch historische Rückversiche- rung? Kaum. Stattdessen lassen wir uns von jeder populistischen Grille irritieren, starren gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange und beklagen Wahlmüdig- keit und öde Wahlkämpfe.

Welche Themen sind bei der Vermittlung von Demokratiegeschichte relevant?

Demokratie ist als Längsschnitt – vom Um die Potenziale von Demokratiegeschichte ging es in Prof. Barricellis Vortrag und auf der Fachtagung in Berlin. alten Griechenland, Bill of Rights, die Aufklärung, die ersten Verfassungen im ging nicht nur darum zu zeigen „So ma- Vergangenheit unabhängigen) Willen vor- 18. Jahrhundert, Säkularisierung, der mo- chen wir in der Neuen Welt das (besser)“, anzuschreiten. derne Parlamentarismus – im histori- sondern „Da gab es bei euch schon mal schen Unterricht durchaus etabliert. Aber etwas, daran sollt ihr zurückdenken, von Kein Wunder ist, dass nach der friedli- erstens werden da oft Dinge zueinander dort aus könnt ihr weitermachen“. Ich wür- chen Revolution von 1989 das Interesse in Beziehung gesetzt, die wenig mit- de nicht nur sagen, dass diese Analyse an Demokratiegeschichte in Deutschland einander zu tun haben, und zweitens zutraf, sondern dass die verschütteten spürbar zugenommen hat. Dazu kommt, verdeckt Demokratiegeschichte als ein- demokratischen Urbestände in Deutsch- dass wir nicht mehr so sehr wie noch bis maliger, isolierter Block, dass es doch land den Grund für das sagenhafte Auf- in die 1980er Jahre hinein alles Personali- immer in der Menschheitsgeschichte um gehen dieser Rechnung bildeten. Ohne die sierende und Biographische aus dem Ge- die Herausbildung von Formen des Zu- Erinnerung an 1848, an die Emanzipa- schichtsunterricht verbannen möchten (in sammenlebens ging, die wir heute mit tionen von Frauen und Juden, übrigens Museen und Ausstellungen kommt man dem Begriff Demokratie verbinden. The- auch in Ansätzen von Homosexuellen, Zu- heute ohne biographische Zugänge gar matisch genauer wird es dann in der gewanderten, körperlich Beeinträchtig- nicht mehr aus). Das heißt, wir können Neuzeit: Wir benötigen natürlich nicht ten, die Erfolge der Arbeiterbewegung auch demokratische Vorbilder und Vor- jenen kindlichen Stolz der US-Amerika- einschließlich Sozialstaat und Arbeiterbil- kämpferinnen aus Politik, Friedens- und ner auf ihre demokratische Erstgeburt, dung, an die Fundamentalliberalisierun- Freiheitsbewegungen, Frauenrechtsgrup- zumal dieser sachlich oft unbegründet gen im Staat von Weimar hätte es nach pen und queer movements in den Mit- ist (aber jetzt zumindest eine Inspirati- 1949 den im Ganzen doch rasanten de- telpunkt der Betrachtung stellen. Dabei onsquelle im Umgang mit Donald Trump mokratischen Wiederaufstieg der Bun- hilft, dass wir keine Helden benötigen – darstellt). Direkt nach 1945 erkannten desrepublik Deutschland nicht gegeben. denn wir wissen ja, dass z. B. viele der die US-Amerikaner als Siegermächte im- Damit sind wir mitten im historisch-poli- founding fathers Sklavenhalter waren, merhin an, dass es (auch) in Deutschland tischen Lernen von Demokratie. Sie be- Adenauer nicht nur für die Durchsetzung demokratische Traditionen gäbe, an die – ruht auf fremder und eigener Erfahrung, der Demokratie in der Bundesrepublik das war Teil des Konzepts – ihre Politik auf Bewusstwerdung und dem unbeding- steht und ebenso Willy Brandt so manche der Re-Education anschließen müsste. Es ten (also vom Erlebnis einer misslungenen eher antidemokratisch anmutende Fehl- »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 9 » entscheidung fällte. Auch die Schatten- den Bildungssystemen vieler Staaten wurden, man denke etwa an Pol Pot, seiten und Irrtümer sollen also miterzählt der Erde immerhin ist der demokratisch der eine Zeit in Paris zwischen Cafés und

Them a werden. Es ist nämlich gut, dass die De- denkende und handelnde Mensch als Jazz-Clubs verbrachte, oder den nordko- mokratie als einzige Herrschaftsform auf Erziehungsziel verankert. Die Benen- reanischen Diktator Kim Jong-un, der, wie Heldengeschichten verzichten kann und nungen der damit beauftragten Lern- man jetzt weiß, unter anderen inkognito genau dadurch doppelt gut funktioniert. felder und Schulfächer unterscheiden an einer Schule in der Schweiz ausgebil- sich (civic education, education civique, det wurde. Aber genauso ist wahr, dass Wie muss die Demokratiegeschichte politische Bildung), manche deutschen die Auseinandersetzung mit historischen vermittelt werden, damit die heutige Begriffe wie „Demokratiebewusstsein“ Verbrechen und Massengewalt, wie sie Demokratie gestärkt wird? oder „Demokratielernen“ sind unüber- im deutschen Geschichtsunterricht natür- setzbar, Methoden und Inhalte der Un- lich völlig zu Recht im Mittelpunkt steht, Demokratie ist keine Selbstverständlich- terweisung sind oft grundverschieden. nicht automatisch zum Glauben an und keit, auch heute nicht und selbst nicht in Aber in der Pädagogik besteht seit lan- den Einsatz für Menschenrechte führt. den modernen westlichen Industriestaa- gem eine prinzipiell sehr simple Vorstel- Durch Verweis auf geschehenes Unrecht – ten. Extremistische und nationalistische lung davon, wie Menschen lernen: am sogar solches, das man selbst erfahren Weltanschauungen stellen sie infrage, Vorbild oder am Modell. Demokratieer- hat – lassen sich Menschen nur selten von durch gewisse Ermüdungserscheinun- ziehung nicht nur in der Schule müsste neuem Unrecht abbringen. Unmittelbare gen demokratischer Regierungsverant- sich demnach an gelebten Beispielen Folgen hat geschichtliche Rückbesinnung wortlicher wird sie ausgehöhlt. Insofern von Demokratie (Menschen, Ereignissen, ja überhaupt nie. Zwischen Wissen und benötigt Demokratie gerade so viel Be- Systemen) oder an Theorien des demo- Handeln schieben sich vielmehr Maßstäbe achtung und Hinsicht wie etwa gerech- kratischen Zusammenlebens ausrichten. des Deutens und Wertens, und diese ent- te Wirtschaftsordnungen auf der Welt, In gegenwartsorientierten gesellschafts- nehmen wir anderen als rein historischen globale Migrationsströme oder das Erd- wissenschaftlichen Fächern wie der Poli- Systemen. An die Lehr- und Lernbarkeit klima. Im Gegensatz zu diesen gibt es tischen Bildung, Sozialkunde oder Ethik (und eben nicht nur Erforschbarkeit) der aber keine UNO-Unterorganisation oder werden musterhafte und mustergülti- historischen Sache „Demokratie“ muss sonstige supranationale Einheit, die im ge Formen von Demokratie im Großen ich als Geschichtsdidaktiker allerdings Namen ausdrücklich der Demokratie (Wahlsysteme, Institutionen) wie – neu- schon aus berufsethischen Gründen glau- große Konferenzen veranstalten würde. erdings sogar bevorzugt – im Kleinen ben; daran, dass Wissen und Sprechen Nicht einmal in der Abschlusserklärung (man vergleiche zum Beispiel das di- über Geschichte mindestens irgendeine („Leaders’ Declaration“) des Hamburger daktische Konzept der „Dorfgründung“ bewusstseinsbildende Wirkung auf Indi- G20-Gipfels vom 7./8. Juli 2017 kommt bei Andreas Petrik) unterrichtet und oft viduen und Kollektive haben – vor allem das Wort (weder als Substantiv noch auch in Handlung umgesetzt. Dem Fach dann, wenn begünstigende Erfahrungen als Adjektiv) vor. Dabei kann es eigent- Geschichte bliebe also die Beschäftigung wie das Leben in einer nach gleichen und lich nichts Relevanteres geben als die mit demokratischen Vordenkern, die Be- garantierten Rechten strebenden Gesell- Beschäftigung mit und die Entwicklung schäftigung mit dem, was Menschen zu schaft oder die Aufforderung, an den de- von Demokratie, denn viele transnatio- verschiedenen Zeitpunkten unter De- mokratischen Prozessen teilzunehmen, nale Herausforderungen hängen mit ihr mokratie verstanden, und vor allem die hinzutreten. Was wir im Augenblick dazu zusammen: Armut und Reichtum, Bil- Erzählung davon, wie bestimmte Men- in den USA sehen, ist ein Lehrstück: Ein dung, Gesundheit, Krieg und Frieden. schen Demokratie durchsetzten – und demokratisch gewählter Präsident, der Zwar ist, was sich historisch zeigen ließe, an dieser Stelle wird bewusst aktivisch aber offenbar nur geringe Eignung für die demokratische Regierungsform kei- formuliert: die indirekte Ausdrucksweise sein Amt aufweist; dafür die checks and ne Garantie für eine gerechte Einkom- „wie sich Demokratie durchsetzte“ wür- balances im System, die ihn im Zaum hal- mensverteilung, gesellschaftliche Auf- de nämlich verschleiern, dass es hierfür ten, und eine demokratisch belebte Öf- stiegsmöglichkeiten für Alle oder die immer der Akteure bedarf. fentlichkeit, die vielfältig gegen ihn mobili- Friedfertigkeit eines Staates, und ein leis- siert und das eben auch (im Rahmen von tungsfähiges Schulsystem oder gute me- Kann das Lernen von Demokratie- Verfassung und Gesetzen) darf – schließ- dizinische Versorgung hat es auch schon geschichte tatsächlich zur lich bei allen Beteiligten, sogar dem Prä- in Diktaturen gegeben. Aber nur in der Entwicklung eines Demokratie- sidenten selbst, der explizite Bezug auf Demokratie findet regelmäßig eine De- bewusstseins beitragen? die Geschichte, auf die zähen Errungen- batte um Sinn und Ausgestaltung so- schaften demokratischer Vorkämpfer und zialer Ordnung statt, können Defizite, Eine Garantie gibt es dafür natürlich pressure groups, die nicht mehr preis- fehlende Zugänge, Abhängigkeiten of- nicht. Im Gegenteil kennt man Beispiele gegeben werden dürfen. Es wäre schön, fen benannt werden, kann sozialer Fort- dafür, dass Menschen, die in ihrer Jugend wenn auch in Europa und Deutschland es schritt durch Alle (nicht nur für Alle oder demokratische Freiheiten genossen ha- immer einmal wieder zu einer solchen In- gar nur Wenige) organisiert werden. In ben, später zu Autokraten und Tyrannen szenierung des historisch informierten de- mokratischen Selbstbewusstseins käme. ■ Eine Publikation „Vermittlung von Demokratiegeschichte als Beitrag zur De- mokratiestärkung“ wird Anfang Dezember 2017 erscheinen. Bestellungen bitte an: [email protected]

10 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 NEUGRÜNDUNG

Them a Für die Stärkung unserer demokratischen Wurzel Arbeitsgemeinschaft „Orte der Demokratiegeschichte“ gründete sich in Berlin

In Berlin haben 34 Organisationen und Kulturstaatsministerin Grütters sagte: Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Institutionen aus ganz Deutschland im „Demokratiegeschichte ist kein abstraktes „Orte der Demokratiegeschichte“ sind Beisein von Prof. Monika Grütters, Staats- akademisches Fach, sondern eine leben- sehr vielfältig. Zum Teil handelt es sich ministerin für Kultur und Medien, die Ar- dige Auseinandersetzung mit Menschen, um größere Einrichtungen und Stiftun- beitsgemeinschaft „Orte der Demokratie- die Geschichte geschrieben haben, mit gen, zum Teil um kleine Vereine. Auch geschichte“ gegründet. Ihr gemeinsames Orten, an denen Geschichte geschrieben der jeweilige Fokus ist verschieden und Ziel ist es, die Wahrnehmung der deut- wurde und mit Traditionen, die unsere Ge- beispielsweise an historischen Ereignissen schen Demokratie- und Freiheitsgeschich- sellschaft heute prägen. Deutschland kann und Epochen, an herausragenden Per- te lokal, regional und deutschlandweit zu stolz sein auf seine Demokratiegeschichte, sönlichkeiten der Demokratiegeschichte fördern. Der zeitliche Bogen reicht dabei selbst wenn populistische und nationalis- oder an übergreifenden Fragen orientiert. von der Französischen Revolution bis in tische Strömungen aktuell versuchen, Er- Dennoch soll es gelingen, künftig enger die Gegenwart und schließt u.a. solche rungenschaften unserer Demokratie wie zusammenzuarbeiten, etwa über The- historischen Ereignisse ein wie das Ham- Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu mentage, eine gemeinsame Internetprä- bacher Fest, die Revolution von 1848/49, missbrauchen, um nicht minder wertvolle senz, wissenschaftlichen Austausch und die Weimarer Republik, die Gründung der Elemente wie die Pressefreiheit zu diffa- die Entwicklung von Bildungsangeboten. Bundesrepublik oder die Friedliche Revo- mieren. Auch hier muss Aufklärungsar- Zugleich möchte sich die Arbeitsgemein- lution im Jahr 1989. beit ansetzen, muss die Brücke aus der schaft dafür einsetzen, die Erinnerungs- Geschichte in die Gegenwart geschlagen kultur zur deutschen Demokratiege- Der Arbeitsgemeinschaft geht es um eine werden. Wenn sich eine Gesellschaft an schichte bundesweit stärker zu fördern. identitätsstiftende Demokratie- und Er- ihren Weg zur Demokratie erinnern will, innerungsarbeit als Beitrag für Respekt an Kämpfe, Wegbereiter, Erfolge und Op- Als Gründungsdokument hat die Arbeits- und Akzeptanz demokratischer Verfahren, fer, kann dies in Deutschland nur vor der gemeinschaft das „Hambacher Manifest Werte und Einrichtungen sowie für die Be- Folie der historischen Brüche erfolgen. Ge- zur Demokratiegeschichte“ verabschie- reitschaft, sich gesellschaftlich zu engagie- rade die Erinnerung an die Abgründe der det, in dem die wichtigsten Feststellun- ren. Mit dem Wissen um die schwierigen NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur gen und Forderungen zusammengefasst Wege zu Freiheit und Demokratie kann macht den Wert unserer Demokratie sicht- sind. Unter anderem wird ein Förderpro- so eine Sensibilität dafür entwickelt wer- bar und stellt wichtige Fragen an die Ge- gramm des Bundes zugunsten demokra- den, Gefährdungen des demokratischen genwart: Wo beginnt Zivilcourage? Wofür tiegeschichtlicher Erinnerungsorte und Grundkonsenses zu erkennen. setze ich mich ein? Wann trete ich Dingen damit verbundener zivilgesellschaftlicher entgegen? Welche Entwicklungen hinter- Initiativen gefordert. ■ frage ich?“

Die Mitglieder der neuen AG mit Staatsministerin Monika Grütters. Foto: Dominik Dittberner

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 11 Demokratiegeschichte 2018 / 19: Webseiten, Them a Veranstaltungen, Ansprechpartner

2018 jährt sich die Novemberrevolution zum 100. Mal. Sie bedeutete nicht nur das Ende des Ersten Weltkriegs und die Gründung der Weimarer Republik, sondern auch den Beginn der ersten Demokratie in Deutschland. In den Jubiläums- jahren 2018/19 sind bundesweit zahlreiche Feierlichkeiten, Ausstellungen und Jubiläumsprojekte von unterschiedlichen Initiativen, Museen, Universitäten und Stiftungen zu erwarten. Wir haben uns umgehört und umgesehen und einige An- gebote, Veranstaltungen und Ansprechpartner bereits jetzt ausfindig gemacht.

Blog Netzwerk Demokratie / Geschichte 2018 / 2019, Forschungsprojekt „Von der Monarchie zur Republik“ Friedrich-Ebert-Stiftung: Forschungsperspektiven zur Demokratiegeschichte in der Früh- Als Teil des gleichnamigen Projekts liefert der redaktionell be- phase der Weima-rer Republik (1918 – 1923): Am 9. und 10. treute Blog Informationen zu geplanten Jubiläumsveranstal- November wird eine Fachtagung an der Universität Stuttgart tungen 2018 / 19. Thematisch werden Veranstaltungen aufge- von der Abteilung Landesgeschichte des Historischen Instituts, nommen, die sich mit der Novemberrevolution 1918 / 19 und vom Landesarchiv Baden-Württemberg und der Kommission ihren Folgen sowie der öffentlichen Debatte um die Geschichte für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg ausge- der Demokratie in Deutschland beschäftigen. Ziel des Blogs ist richtet. Die Tagung bildet den Abschluss eines Forschungs- und es außerdem, ein Forum zu schaffen, in dem Forscherinnen Digitalisierungsprojekts, in dessen Verlauf archivalische Quel- und Forscher ihre Projekte ankündigen, Beiträge veröffentli- len zu Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg aufberei- chen und zur Diskussion stellen sowie sich untereinander ver- tet und bereitgestellt werden. Im Laufe der Tagung wird die netzen können: Online-Quellensammlung freigeschaltet, des Weiteren gibt es www.fes.de/de/blog-netzwerk-demokratie-geschichte/ Fachvorträge und eine abschließende Podiumsdiskussion. Wei- tere Informationen unter: www.landesarchiv-bw.de/web/59763

Das Axensprung Theater in Hamburg führt 2018 das Stück „Revolution!?“ auf, das auch als Gastspiel gebucht werden kann. © Axensprung Theater

12 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Einkaufszentren zu Gast ist, ein Themenportal auf der Home- page des Vereins, einen Newsletter, den man abonnieren kann

sowie regelmäßige Veranstaltungen in Weimar. Weitere Infor- Them a mationen unter: www.weimarer-republik.net/

Pubquiz Demokratie und Grundrechte:

Auf ihrer Internetseite stellt die Initiative Kleiner Fünf kostenlos ein Pubquiz zum Download bereit, mit dem sich spielerisch poli- tische Debatten initiieren lassen. Durch 45 Fragen und 10 Bilder- rätsel lernen die Teilnehmenden wichtige Daten und Grundsätze der Demokratie sowie Personen kennen, die mit Debatten um demokratische Werte in Verbindung gebracht werden. Eine An- leitung für Interessierte liegt dem Pubquiz bei: www.kleinerfuenf.de/de/pubquiz Möchte ein „tätiges“ Jubiläum der Weimarer Reichsverfassung feiern: Das Projekt Thüringen 19_19. Wanderausstellung „Friedrich Ebert (1871 – 1925). Axensprung Theater und Sonderausstellung Vom Arbeiterführer zum Reichspräsidenten“, „Revolution 1918 / 19 in Hamburg“: Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte:

Ab April 2018 führt das Axensprung Theater Hamburg das Die Wanderausstellung folgt dem Lebenslauf Friedrich Eberts Theaterstück „Revolution!?“ auf, das in enger Zusammenarbeit und bettet seine Biographie in die wechselvolle Geschichte des mit dem Museum für Hamburgische Geschichte entstanden ist. Deutschen Reiches und der Arbeiterbewegung ein. Ein Schwer- Fünf Schauspielerinnen und Schauspieler führen die Zuschau- punkt liegt auf der Revolution von 1918 / 19 und auf der Grün- er durch die Ereignisse vom Oktober 1918 bis zum Sommer dung der ersten deutschen Demokratie. In dieser Umbruchspha- 1919, zusätzlich werden die Ereignisse aus unserer Zeit heraus se gilt Ebert als zentrale Schlüsselfigur, denn als Reichspräsident kommentiert. Das Museum für Hamburgische Geschichte zeigt war er der wichtigste demokratische Repräsentant der Weima- ab dem 25. April 2018 eine Sonderausstellung mit dem The- rer Republik. Entliehen werden kann die Ausstellung über die ma „Revolution 1918 / 19 in Hamburg“. Weitere Informationen Friedrich-Ebert-Stiftung: unter: www.ebertgedenkstaette.de/pb/,Lde/Startseite/Aktuelles+im+ www.revolution1918.de/ Friedrich_Ebert_Haus/Wanderausstellungen.html

Weimarer Republik e.V.: Projekt „Thüringen 19_19. Demokratie stärken, demokra- tisches Lernen vorbereiten“: Der Verein, 2016 mit dem Preis Gegen Vergessen – Für Demokra- tie ausgezeichnet, bietet vielfältige Veranstaltungen, Aktivitäten Demokratie stärken, demokratisches Lernen vorbereiten Die und Informationen zur Geschichte der Weimarer Republik. So Bundesrepublik steht vor einem Jubiläum, dass seinen Ort zwar gibt es u. a. eine multimediale Wanderausstellung zur Weima- in Thüringen hat, aber demokratiepolitisch für ganz Deutsch- rer Republik, die auch 2018 ihre Reise fortsetzt und häufig in land von Bedeutung ist: 100 Jahre Weimarer Verfassung (1919- 2019). Über 40 Akteure aus verschiedenen Bereichen und Ins- Demokratiegeschichte lebendig gemacht: Internetauftritt des Weimarer Republik e.V. titutionen der Bildung wollen dieses Jubiläum mit Leben füllen, damit es ein „tätiges“ Jubiläum wird, das die Demokratie- und Menschenrechtsbildung stärkt. Das Thesenpapier, das die An- liegen des Projektes „Thüringen 19_19. Demokratie stärken, demokratisches Lernen vorbereiten“ vorstellt, finden Sie unter: www.thueringen19-19.de/

Diese Sammlung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Hinweise auf weitere Aktivitäten und Veranstalter sind sehr willkommen. Email bitte an: [email protected]

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 13 Demokratie entwickeln Them a Empfehlungen des Praxisforums gegen Rechtsextremismus für eine stärkere Akzentuierung politischer Bildung in den Bundesprogrammen

In der gegenwärtigen politischen Situation ist es besonders wichtig, den Wert unserer Demokratie stärker im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Dazu gehört das Aufzeigen von Perspektiven, wie wir gemeinsam in einer pluralen und frei- heitlichen Demokratie leben können.

Demokratieentwicklung bedeutet insbesondere, grundlegende Werte einer demokratischen Gesellschaft zu vermitteln, Demokratiebewusstsein zu bilden und demokratische Strukturen zu stärken. Demokratieentwicklung ist ein Prozess, der offen, transparent und partizipativ gestaltet sein muss. Denn nur dort, wo sich Menschen beteiligen können, können sie sich verorten und politisch heimisch fühlen. Dies wird auch positive Auswirkungen auf das politische Klima insgesamt haben.

Das Praxisforum gegen Rechtsextremismus ist ein Zusam- Die nachfolgenden Überlegungen des Praxisforums beziehen sich menschluss von acht Nichtregierungsorganisationen und Bil- insbesondere auf die Bundesprogramme „Demokratie leben!“, dungsträgern, darunter auch Gegen Vergessen – Für Demo- „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und die Programme der Bun- kratie e.V. deszentrale für politische Bildung zum Schwerpunkt Extremismus.

Grundgedanken

1. Demokratieentwicklung und Demokratiebildung 3. Demokratieentwicklung ist allgemeine Aufgabe muss im Alltag der Menschen konkret werden Oft scheinen die Aktionsprogramme zur Förderung der Es braucht konkrete Orte, Ansätze und aufsuchende Forma- Demokratie nur eine Reaktion auf Phänomene der Gewalt te, in denen Teilhabe, Respekt, Solidarität und Fair Play im oder radikaler politischer Strömungen zu sein. Ein solcher Alltag gelebt und so gelernt werden können. Symbolisches Ansatz greift zu kurz. Er muss aktivierend und längerfristig Handeln in Form von Festen, Ehrungen und Erklärungen er- angelegt sein. Der Wert der Demokratie sollte für die Men- zielt keine ausreichende nachhaltige Wirkung. schen konkret erfahrbar sein. Sonderprogramme der Demokratieentwicklung können dazu 2. Partizipation ist ein wesentliches Element Ideen entwickeln. Entscheidend sind jedoch eine engere Ver- von Integration netzung mit bestehenden Strukturen sowie eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren und Initiati- Partizipation ist Dreh- und Angelpunkt politischen Engage- ven der Zivilgesellschaft, und zwar auf Augenhöhe und in ments und gesellschaftlicher Teilhabe. Das gilt unabhängig gegenseitigem Respekt. von persönlicher Herkunft. Dies betrifft insbesondere auch jene, die aufgrund ihres Status, ihrer Religion oder anderer 4. Nachhaltige Effekte brauchen Zeit Zugehörigkeiten Ohnmacht und Diskriminierung erfahren. Integration ist nicht nur eine Herausforderung für neu nach Werte, die sich in demokratischen Verhaltensweisen nieder- Deutschland Kommende. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche schlagen sollen, können nicht verordnet und gleichsam von Aufgabe und betrifft einerseits diejenigen, die skeptisch oder heute auf morgen internalisiert werden. Demokratie braucht gar ablehnend gegenüber aktueller politischer Praxis sind; an- Zeit zur Entwicklung und muss wachsen können. dererseits aber auch jene, die die politische Ordnung grund- sätzlich befürworten, jedoch eine Perspektive vermissen.

Praxisforum gegen Rechtsextremismus

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten Prof. Dr. Dierk Borstel, Professor für Praxisorientierte Politikwissenschaft FH Dortmund Gerhard Bücker, Deutsche Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund Dr. Olaf Lobermeier, Gesellschafter proVal. Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Analyse, Beratung, Evaluation Hanna Lorenzen, Bundestutorin Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Bildung Dr. Michael Parak, Geschäftsführer Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Sebastian Reißig, Geschäftsführer Aktion Zivilcourage e.V. Patrick Siegele, Direktor Anne Frank Zentrum

Ansprechpartner: Dr. Michael Parak, [email protected]

14 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Ansätze für die Weiterentwicklung der Bundesprogramme „Demokratie Leben“, „Zusammenhalt durch Teilhabe“ sowie die Aktionsprogramme der Bundeszentrale für politische Bildung Them a A – Strukturell B – Inhaltlich

1. Schaffung eigener Schwerpunktbereiche 1. Arbeit an einer positiven und alltagstauglichen Demokratieentwicklung Perspektive: Wie wollen wir gemeinsam Demokratie leben? In den bestehenden Bundesprogrammen müssen eigenstän- dige Bereiche verankert werden, die sich mit dem spezifischen In der derzeitigen Diskussion wird zu wenig darüber reflek- Feld der Demokratieentwicklung und politischer Bildung be- tiert, wie Demokratie in Zukunft gemeinsam gelebt werden schäftigen. soll. Notwendig ist eine Verständigung über grundsätzliche Perspektiven. 2. Stärkung der Arbeit in Sozialräumen Für diesen Prozess braucht es konkrete Projekte, die die Menschen vor Ort einladen und unterstützen, sich mit die- Es bedarf zusätzlicher Formate, mit denen demokratische sen Zukunftsperspektiven zu beschäftigen. Kommunikation vor Ort unterstützt werden kann. Dies gilt be- sonders für den Dialog über die jeweils eigene Gruppe hinweg. 2. Identität und Zugehörigkeit Menschen unterschiedlicher Schichten, politischer Richtungen, Milieus, Religionen, Identitäten und Herkünfte sollten zusam- Angebote der politischen Bildung sollten so inklusiv wie mengebracht werden, damit sie gemeinsam ihren konkreten möglich gestaltet werden und sich mit Fragen von Identi- Sozialraum in fairer, wertschätzender Weise gestalten. tät, Zugehörigkeit und „Heimat“ befassen. Dabei geht es einerseits darum, Diversität und Vielfalt als gesellschaftliche 3. Neue Formen der aufsuchenden politischen Bildung, Wirklichkeit anzuerkennen und andererseits Privilegien und die an die Alltagserfahrungen der Menschen anknüpfen Machtverhältnisse aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Reli- gion oder anderer Identitätsmerkmale zu reflektieren. Politische Bildung muss beim Alltag der Menschen ansetzen. Die neu zu entwickelnden Formate sollten auch im öffentli- 3. Interessen reflektieren und chen Raum stattfinden. Sie haben sich den örtlichen Gegeben- Kompromisse aushandeln heiten und Themen konsequent zu stellen. Ansatzpunkte sind insbesondere der periphere ländliche, sozioökonomisch abdrif- Wesentlicher Schwerpunkt von Demokratieentwicklung tende Raum sowie soziale Brennpunkte in Großstädten. und politischer Bildung ist die Reflexion eigener Vorstellun- gen und Interessen und das Aushandeln gemeinschaftlicher 4. Mehr Angebote, die allen offen stehen Lösungen mit anderen.

Der Anspruch, Demokratie als Lebensweise zu verstehen, ver- 4. Bedeutung von Werten im Alltag langt nach einer umfassenden gesellschaftlichen Verankerung der Aktivitäten in allen Teilen des gesellschaftlichen Lebens. Er Wichtig ist eine Auseinandersetzung mit grundlegenden betrifft alle Altersgruppen, insbesondere auch Menschen im Werten einer demokratischen Gesellschaft (wie sie im Grund- Erwerbsalter und Senioren. gesetz festgehalten sind) und ihrer Bedeutung im Alltag.

5. Erweiterte rechtliche Grundlagen 5. Politische Kommunikation, für Programme der Demokratieentwicklung die das Gegenüber anerkennt

Die rechtlichen Grundlagen der Programme sind so zu gestal- Unterschiedliche Positionen in der politischen Debatte füh- ten, dass damit alle Alters- und Zielgruppen angesprochen ren oft dazu, das Gegenüber als Gegner zu begreifen, es so- werden können. gar als Person abzuwerten. In der Demokratieentwicklung gilt es die Kompetenzen zu vermitteln, Konflikte friedlich 6. Positives Leitbild „Für Demokratie“ auszutragen und den Anderen persönlich zu achten. in den Bundesprogrammen 6. Orientierung durch gelebtes Engagement Aufrufe die Demokratie zu verteidigen und sich (gruppenbe- zogener) Menschenfeindlichkeit entgegenzustellen, können al- Demokratie muss auch im Alltag und vor Ort gelebt werden. lein keine hinreichende Kraft entwickeln, wenn sie zu defensiv Deshalb sollte das engagierte Handeln und nachhaltige Wir- ausgelegt sind. Wichtig ist, dass die Bundesprogramme klar ken von Menschen „von nebenan“ stärker herausgestellt machen, wofür sie stehen. werden, um zu ermutigen, sich selbst einzubringen.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 15 Harald Wiederschein Them a „Noch viele ungenutzte Potentiale“: Warum die Arbeit mit Zeitzeugen längst nicht zu Ende ist

Die letzten Zeitzeugen des Holocaust verschwinden. Wie lassen sich ihre Erfahrungen auch künftig in der Bildungsarbeit nutzen? Und wie kann mit den Zeitzeugen der DDR-Vergangenheit gearbeitet werden? Eine Tagung in Tübingen suchte nach Antworten.

Breitbeinig sitzt Pinchas Gutter in sei- nem Sessel und beantwortet geduldig die Fragen der Schüler. In seiner Kindheit und Jugend hat der polnische Jude das Warschauer Getto und mehrere Kon- zentrationslager der Nazis überlebt. Als Zeitzeuge berichtet er den Jugendlichen von seinen Erfahrungen, die er damals Foto: USC Shoah Foundation gemacht hat. Eine Szene, die sich bis heute in so manchen Klassenzimmern in ähnlicher Weise abspielt.

Doch etwas ist anders an dieser Begeg- nung, die der Historiker Bernd Körte- Braun mittels eines Videoclips auf dem „Tag der Zeitzeugen“ in Tübingen prä- sentiert. Denn die leibhaftige Anwesen- heit Gutters im Klassenzimmer ist pure Illusion. Stattdessen sitzt er den Schü- lern als lebensgroßes 3D-Hologramm Der Shoa-Überlebende Pinchas Gutter bei den Dreharbeiten für sein holografisches 3D-Abbild. gegenüber, das auf einem ultradünnen, transparenten Screen erscheint. Was der Zeitzeugen sind „Wanderer Wie aber lassen sich die Erfahrungen von virtuelle Gutter auf ihre Fragen erwidert, zwischen den Welten“ Zeugen der NS-Gräuel auch künftig in der schöpft eine spezielle Software aus ei- Bildungsarbeit nutzen? Und was ist mit nem riesigen Pool an zuvor aufgenom- Die biologische Uhr allerdings tickt un- der anderen großen Diktatur- und Gewal- menen und gespeicherten Antworten. erbittlich: Innerhalb der nächsten Jahre terfahrung der Deutschen im 20. Jahrhun- werden auch die letzten Verfolgten der dert, der DDR-Vergangenheit, die immer Sieht so der künftige Umgang mit Holo- NS-Herrschaft sterben. Eine Ära geht da- mehr verblasst? Die bereits erwähnte Ta- caust-Überlebenden aus? Um kommen- mit zu Ende. Spätestens seit den 1980er gung, die am 18. und 19. Mai 2017 in den Generationen eine möglichst au- Jahren haben Holocaust-Überlebende als Tübingen stattfand, hat sich intensiv mit thentische Begegnung zu ermöglichen, Zeitzeugen im Schulunterricht, im Fernse- der Zukunft der Erinnerung und ihrer Ver- entwickeln die „Shoah Foundation“ und hen und bei öffentlichen Veranstaltungen mittlung beschäftigt. Wissenschaftler, Mit- das „Institute for Creative Technologies“ ihre Stimme erhoben. Weil sie selbst er- arbeiter von Gedenkstätten und Vereinen der „University of Southern California“ lebt und erlitten haben, wovon sie erzähl- wie Gegen Vergessen – Für Demokratie 3D-Hologramme, die vorgeblich kom- ten und bis heute erzählen, gelten sie als e.V. sowie Lehrer und Journalisten disku- munizieren können. Ein faszinierendes, besonders glaubwürdig. Und als morali- tierten dort eine ganze Reihe unterschied- aber auch fragwürdiges Projekt. Denn sche Instanz. Mit ihrer Anwesenheit über- licher Ansätze und Projekte. wie authentisch ist eine virtuelle Figur, brücken sie den Abgrund zwischen einer deren Antworten von komplizierten Al- grauen- und schuldhaften Vergangenheit Das umfangreiche und wertvolle Wissen gorithmen ausgewählt und passgenau und einer „geläuterten“ Gegenwart. Sie vieler Zeitzeugen des Holocaust, so viel zugeschnitten werden? sind „Wanderer zwischen den Welten“, steht immerhin fest, wird auch in Zukunft so formuliert es der Zeithistoriker Martin überdauern. In Büchern und Filmdoku- Sabrow in Tübingen. menten, auf Tonträgern und Festplatten sind inzwischen unzählige Zeugnisse ge-

16 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Them a Foto: Christiane Bertram

Distanz sei manchmal sogar eine Chance, die Erzählungen der Überlebenden intensiver und kritischer zu betrachten, sagte Jörg Skriebeleit (ganz links), Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, auf der Tagung in Tübingen. An der Podiumsdiskussion nahmen außerdem (v. l. n. r.) Christiane Bertram, Geschichtsdidaktikerin und Bildungsforscherin, Peter Wensierski, Spiegel-Redakteur, Buchautor und Dokumentarfilmer, Aleida Assmann, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, sowie Alexander von Plato, Historiker und Oral-History-Experte, teil.

speichert. Allein die vom US-Regisseur Ste- aus 30 Klassen wurden von einer Exper- gers Eli Wiesel „Jeder, der heute einem ven Spielberg 1994 gegründete „Shoah tenlehrkraft zum Thema „Friedliche Re- Zeugen zuhört, wird selbst zum Zeugen Foundation“ hat bislang mehr als 55.000 volution in der DDR“ unterrichtet. Wäh- werden“ tragen die ehrenamtlichen Mit- Videointerviews mit Überlebenden auf- rend in zehn Klassen DDR-Zeitzeugen zu arbeiter des Vereins „Heimatsucher“ die gezeichnet. In Deutschland schickte bei- Besuch waren und Fragen der Schüler Geschichten weiter, die sie in Interviews spielsweise das ZDF seinen „Jahrhundert- beantworteten, beschäftigten sich zehn mit Holocaust-Überlebenden erfahren bus“ durch die Lande und sammelte da- andere Klassen mit Videoaufzeichnungen haben. Sie verstehen sich als „Zweitzeu- bei etwa 6.000 Zeitzeugengespräche zur und die letzten zehn mit den abgedruck- gen“ – und ermuntern Schüler, ebenfalls deutschen Geschichte. Einer der Schwer- ten Interviews ebendieser Besucher. zu solchen zu werden. punkte war ebenfalls der Holocaust. Fazit der Studie: Die Klassen mit den Viele Möglichkeiten und Initiativen wur- Studie zeigt: besserer Lernerfolg „echten“ Zeitzeugen hatten am meis- den und werden erprobt, um Zeitzeu- mit Video und Text als ten Spaß und waren stärker überzeugt, generfahrungen des 20. Jahrhunderts mit „echten“ Zeitzeugen inhaltlich und methodisch viel gelernt zu für das 21. Jahrhundert zu nutzen. „Dass haben. Allerdings überschätzten sie ihren die letzten Holocaust-Überlebenden jetzt Die Vergangenheit wird nicht vergessen Lernerfolg. Im Vergleich zu ihren Mit- nach und nach sterben, ist natürlich ein werden – und doch wird das Fehlen le- schülern in der Video- und Textgruppe unersetzlicher menschlicher Verlust“, bendiger Zeitzeugen das Erinnern verän- begriffen sie weniger, wie wichtig es ist, sagt Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Ge- dern. Videos und selbst 3D-Hologramme mit Erzählungen über die Vergangenheit denkstätte Flossenbürg und Referent der können die unmittelbare, persönliche kritisch umzugehen und nicht nur einer Tübinger Tagung. Trotzdem bedeute ihr Begegnung und die Emotionen, die sie Perspektive zu vertrauen. Zu überwäl- Verschwinden keineswegs das Ende der hervorruft, nicht ersetzen. Trotzdem sind tigend war offenbar die „Aura der Au- Zeitzeugenarbeit. Wie die Tübinger Stu- auch als Film oder Text konservierte Zeit- thentizität“ der Zeitzeugen, die sie ver- die zeige, sei Distanz sogar eine Chance, zeugenberichte äußerst nützlich, um anlasste, deren Aussagen in geringerem die Erzählungen der Überlebenden in- Schülern historisches Wissen zu vermit- Maße zu hinterfragen. tensiver und kritischer zu betrachten. „In teln. Wahrscheinlich lernen diese mit ih- ihren Geschichten liegen noch viele un- rer Hilfe sogar besser, Erinnerungen und Distanz als Chance: genutzte Potenziale verborgen“, ist sich Geschichtsbilder kritisch zu hinterfragen. Die Zeitzeugenarbeit geht weiter Skriebeleit sicher. ■ Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Studie von Tübinger Wissenschaftlern, Ein anderes Projekt, das auf der Tagung die im April 2017 veröffentlicht wurde vorgestellt wurde, zielt darauf ab, die und die erste ihrer Art nicht nur im deut- Intensität der persönlichen Begegnung schen Sprachraum ist. auch künftig zu erhalten, indem der Staf- felstab der Erinnerung an nachfolgende Auf der Tagung hat die Geschichtsdidak- Generationen weitergereicht wird. Ge- tikerin und Bildungsforscherin Christiane treu dem Satz des Friedensnobelpreisträ- Bertram, Organisatorin der Veranstaltung und Erstautorin der Studie, deren Aufbau Harald Wiederschein ist freier Wissenschaftsjournalist und veröffentlicht vor allem und Ergebnisse vorgestellt. 769 Schüler zu Themen der Zeitgeschichte.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 17 „Wa(h)l. Tauch nicht ab!“ Them a

Aus dem Kreis der Regionalen Arbeitsgruppen wurde ein Format entwickelt, das neu für die Vereinsarbeit ist: eine bun- desweite Aktion zur Bundestagswahl am 24. September 2017. Ziel war es, für eine hohe Wahlbeteiligung zu werben.

Die Besucher eines eigens entwickelten Standes waren eingela- den, sich fotografieren zu lassen und ein Statement zum Thema Wahlen/Demokratie abzugeben. Als Give-Away erhielten die Besucher das ausgedruckte Foto. Die darüber hinaus gehende Reichweite der Aktion wurde über Social-Media erzielt. Die Be-

sucher erhielten ihr Foto und ihr Statement auf das Handy und Foto: RAG Südhessen konnten dieses direkt über alle gängigen Social-Media-Kanäle posten. Damit wurden Personen erreicht, die noch in keiner Ver- bindung zu Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. standen.

Die Projektgruppe und engagierte Mitglieder aus Biberach, Darmstadt, Frankfurt, Leutkirch, Nordhausen und Potsdam ha- ben mit dieser Aktion gezeigt, dass es sinnvoll ist und zudem Spaß machen kann, das persönliche Gespräch zum Thema De- Aktiver Einsatz für die Demokratie – die 29 Oberstufenschülerinnen und -schü- mokratie zu suchen. Die Vereinsarbeit wurde damit wesentlich ler bei der Zeugnisvergabe an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule Ober- Ramstadt im September durch (v.l.n.r.) Lehrer Harald Höflein, Schulleiter Dirk bereichert. In Darmstadt beteiligten sich an der Wa(h)laktion Pilgram und RAG-Sprecher Klaus Müller. Nicht nur an der Wahlaktion selber, von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. auch 29 Schü- auch an einem vorbereitenden Fachvortrag sowie an einem Seminar hatten die jungen Menschen engagiert teilgenommen. lerinnen und Schüler der Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule Ober-Ramstadt. Ihnen wurde nach der Aktion ein Projektzeug- nis ausgestellt. Auch die Regionale Arbeitsgruppe Cuxhaven beteiligte sich an der Aktion, nicht mit einem Stand, sondern mit einer Postkar- te, die in Cuxhaven verteilt wurde. Und die Regionale Arbeits- gruppe Duisburg startete zur Bundestagswahl eine „Bier- deckel-Kampagne“. 15.000 Bierdeckel mit der Aufschrift „Ab in die Kabine: Wählen gehen!“ wurden gedruckt und über politische Parteien, Jugendverbände, Schulen aber auch bei Stadtfesten oder in Kneipen verteilt. ■ Foto: Astrid Schuhmann

Der Wal motivierte auch auf dem Alten Markt in Potsdam (oberes Foto) und an der Geschwister- Scholl-Schule in Leutkirch (Foto rechts) zur Teilnahme an der Bundestagswahl. Foto: Geschwister-Scholl-Schule Leutkirch Foto: Geschwister-Scholl-Schule

18 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Nur wer wählen geht, kann mitentscheiden Them a Interview mit RAG-Sprecher Andreas Dickerboom während der Wa(h)l-Aktion in Frankfurt am Main

Normalerweise agieren die Mitglieder der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. eher im Stillen, treffen sich in Arbeitskreisen und veranstalten Zeitzeugengespräche. Doch zur Bundestagswahl am 24. September drängt es sie nach draußen: Die Menschen müssen zur Wahl gehen, ist ihre Devise. Im Interview erklärt Andreas Dickerboom, Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Main von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., warum es wichtig ist, dass möglichst viele ihr Kreuz setzen.

Herr Dickerboom, lohnt es sich gen orientiert statt an den wahren Pro- überhaupt noch, wählen zu gehen? blemen. Mir ist klar, dass ich jemandem, Es lohnt sich nicht nur, es ist eine demo- der Hartz 4 bezieht, nicht einfach sagen kratische Pflicht, denn wenn ich nicht kann: „Nimm deine demokratische Pflicht wählen gehe, hat die Demokratie für wahr!“ Denn der hat im Zweifel ganz an- mich keine Legitimation. dere Probleme. Aber es geht eben um seine Zukunft, und wenn er nicht wählen Aber was genau habe ich davon, geht, wird sich seine Zukunft erst recht dass ich da mein Kreuz auf einen nicht ändern. Zettel mache? Natürlich hat nicht jeder etwas Konkretes Wie wollen Sie und Ihr Verein

von seiner Stimme, aber das Wahlrecht – Für Demokratie e.V. Foto: Gegen Vergessen es schaffen Menschen zum Wählen ist nicht selbstverständlich. Das sieht man zu bewegen? auch an der Geschichte Deutschlands. Für uns ist eine solche Aktion auf der Wenn wir nicht wählen, bekommen wir Straße auch neu. Wir wollen die Men- schlimmstenfalls wieder Zeiten, in die wir schen auf der Zeil mit einem sehr auffälli- nicht zurückfallen wollen. Demokratie ist gen Stand ansprechen und vor allem die ein lebendes Gebilde und lebt vom En- „Generation Selfie“ mit unserer Fotoak- gagement jedes Einzelnen. Zur Wahl zu tion erreichen. Wir wollen eine positive gehen ist das Mindeste, das ich tun kann. Botschaft senden. Die Menschen sollen mit ihren Fotos sagen: „Ja, ich gehe zur Wie schaffe ich es, meinen politikver- Wahl gegangen und so haben die Älteren Wahl“ und damit andere animieren, das drossenen Nachbarn zum Wählen zu über die Zukunft der Jungen entschieden. Gleiche zu tun. Überzeugte Nichtwähler überreden? oder Wähler, die zu den populistischen Das ist eine Frage, die wir uns auch stel- Was sind mögliche Gründe für diese Parteien neigen, werden wir damit aller- len: Ich würde sagen, dass jede Stimme Politikverdrossenheit? dings kaum überzeugen können. zählt. Wenn ich mein Kreuzchen nicht Ich verstehe die Menschen, die keinen mache, dann kann ich nichts erreichen. Sinn am Wählen sehen, durchaus, denn Was macht Sie da so sicher? Dafür gibt es genügend gute Beispiele, es gibt einiges zu kritisieren: Wir haben Festzementierten Vorurteilen ist schwer gerade in jüngster Zeit. Schauen Sie auf eine Parteiendemokratie, die nur noch mit Argumenten beizukommen. Wir pre- den Brexit. Die Jungwähler sind nicht zur auf Sicht fährt und sich mehr an Umfra- digen da schon in der eigenen Kirche. Es ist natürlich unser Ziel, neue Menschen Im Gespräch am Wa(h)lstand: RAG-Sprecher Andreas Dickerboom. zu erreichen, ob uns das gelingt, sehen wir hinterher, aber wir wollen es zumin- dest versuchen.

Wie sähe die Zukunft aus, wenn nur eine Minderheit wählen gehen würde? Dann hätte die Demokratie ein großes Legitimationsproblem. Das ließe sich dann runterbrechen auf Strukturen in Betrieben und Gewerkschaften. Das ist ein schleichender Prozess. Aber wenn es die populistischen Parteien besser schaf-

Foto: Wolfgang Cezanne Foto: Wolfgang fen, ihre Wähler zu motivieren, und das »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 19 darum, dass die Menschen bloß ihr Kreuz machen, sie müssen sich einsetzen und

Them a die Demokratie mit Leben füllen. Das ist noch viel wichtiger, denn natürlich rufen wir alle zum Wählen auf. Wir können ja

Foto: Wolfgang Cezanne Foto: Wolfgang nicht sagen, es dürfen nur die Gebildeten wählen. Auch das ist Grundlage der De- mokratie.

Zwischen Flüchtlingsdiskussion und G20-Gipfel ist eine Debatte darüber ausgebrochen, welcher Extremismus der Schlimmere ist? Verraten Sie uns, welcher ist es? Die „Wa(h)lmannschaft“ mit RAG-Sprecher Andreas Dickerboom. Wir diskutieren diese Frage auch kontro- vers im Verein. Grundsätzlich muss man » fürchte ich, dann kommen wir schnell in Viele Populisten sind bereit, ihre jede Form von Extremismus bekämpfen. beängstigende Verhältnisse. Wie schnell Freiheit gegen eine ordentliche Rechtsextremismus ist aber eine Form, das gehen kann, haben wir in Polen oder Führung abzugeben? die ganz sicher zugenommen hat. Bei- in der Türkei gesehen. Freiheit hat auch etwas Bedrohliches, es nahe täglich gibt es Gewalttaten ge- fordert uns heraus und es ist anstren- gen Flüchtlinge. Für mich persönlich ist Warum schaffen es die populistischen gend, sich entscheiden zu müssen. Ich Rechtsextremismus daher das größere Parteien, ihre Wähler besser zu glaube, der Wert von Demokratie und Problem. Das heißt aber nicht, dass es mobilisieren? Freiheit fällt erst auf, wenn er verloren- nicht auch Linksextremismus gibt und Weil sie auf komplexe Fragen einfache geht. Erinnern wir uns an die DDR: Dort wir auch da wachsam sein müssen. Denn Antworten haben. Das ist für Menschen konnte man seine Meinung nicht frei äu- auch dort gibt es eine steigende Tendenz sehr attraktiv. Politik ist ein mühsames Ge- ßern, man konnte keine Vereine gründen, zu mehr Gewalttaten. Prinzipiell ist jede schäft, da muss man lange um schwierige das Privatleben war nicht mehr privat und Form von Extremismus dazu geeignet, die Kompromisse ringen. Da wirken schnelle man konnte nicht mehr frei reisen. Demokratie auszuhöhlen. und einfache Antworten verlockender. Glauben Sie, die Stimmen, die Protek- Angenommen ein Bekannter von mir Ihr Verein macht sich für den Erhalt tionismus und hohe Grenzen fordern, kündigt mir an, dass er eine Partei der Demokratie stark. Ist unsere wissen gar nicht, was das in letzter wählen wird, die ich für unwählbar Demokratie denn in Gefahr? Konsequenz bedeuten könnte? halte. Was kann ich dagegen tun? Ja, da müssen wir nur mal schauen, was Man muss unterscheiden zwischen den Sie sollten mit ihm sprechen und diskutie- in scheinbar stabilen Demokratien wie AfD-Politikern und deren Wählern. Wenn ren. Da ist allerdings die eigene Haltung Polen, Ungarn, Frankreich und den Nie- man den Wählern klarmachen würde, ganz wichtig: Ist es eine Haltung des derlanden passiert ist. Und auch ein Blick was sie da eigentlich wählen, dann wür- Vorwurfs von oben herab oder können auf die deutsche Vergangenheit zeigt de ihnen klarwerden, dass das überhaupt Sie den wirklichen Wunsch nach Dialog uns, wie zerbrechlich eine Demokratie ist: nicht das ist, was sie wollen. Die AfD wird deutlich machen. Sie müssen davon aus- Wir hatten im letzten Jahrhundert zwei ja von vielen gewählt, die ein niedrigeres gehen, dass Sie ihn nicht mit Argumenten Diktaturen auf deutschem Boden, das Einkommen aufweisen. Allerdings vertritt überzeugen können. Aber Sie können dürfen wir nicht vergessen. Zum Glück die AfD eine Steuerpolitik, die die Schere versuchen ihn zu verstehen, seine Argu- haben wir derzeit eine relativ stabile zwischen Arm und Reich weiter ausein- mente einfordern. Denn das können ver- wirtschaftliche Situation. Ich möchte mir ander treiben würde. Das ist Politik gegen borgene Dinge sein, die ihn motivieren, nicht ausmalen, was beim aktuellen ge- die Interessen der Wähler. Das beobach- wie das Gefühl, nicht wahrgenommen zu sellschaftlichen Klima los wäre, wenn wir ten wir auch bei Trump. werden, oder sich benachteiligt zu füh- hier etwa eine höhere Jugendarbeitslo- len. Ich würde versuchen, dem auf den sigkeit hätten. Es besteht kein Grund zur An Trump sehen wir aber auch, dass Grund zu gehen, aber ohne Vorwürfe, Panik, aber wir müssen wachsam sein. Demokratie Extremismus offensicht- denn das führt nur zur Verhärtung der Si- lich nicht verhindern kann? tuation und nicht dazu, dass er vielleicht Was ist an der Demokratie eigentlich Die Demokratie als Form kann Extremis- am Ende die richtige oder eine andere so erstrebenswert? mus nicht verhindern, aber eine Demo- Partei wählt. ■ Es ist die einzige Form, in der wir langfris- kratie, die wehrhafte Demokraten hat, tig in Frieden und Freiheit leben können. kann das sehr wohl. Uns geht es nicht nur

Das Interview führte Dominik Rinkart. Es erschien am 23. August 2017 in der Frank- furter Neuen Presse. Wir danken der Zeitung und Dominik Rinkart für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.

20 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Bernd Faulenbach

Der 24. September 2017 und die Frage nach Konsequenzen

Das Bundestagswahlergebnis war für viele Menschen im In- und Ausland ein Schock. Andere meinen, dass man mit dem Ergebnis rechnen musste. In jedem Fall aber stellt sich die Frage nach Folgen und Konsequenzen – auch für die Arbeit von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. se un d M einun g An aly

Drei Aspekte fallen bei dem Wahlergebnis lerschaft. Kein Zweifel, dass die Flüchtlings- besonders auf: frage insgesamt, besonders die zeitweise ■ die schweren Verluste der großen Volks- unkontrollierte Einwanderung einer großen parteien CDU/CSU und SPD, die in den Zahl von überwiegend jungen Männern aus letzten vier Jahren eine Große Koalition nichteuropäischen Kulturkreisen, der AfD in gebildet hatten die Hände gespielt hat – ohne diesen Pro- zess wäre die AfD vermutlich nicht in den ■ die Ausweitung der Zahl der Parteien im Bundestag eingezogen. Offenbar sind – ge- Grafik: CC0 Creative Commons Grafik: CC0 Creative Bundestag; neben der in das Parlament fördert auch durch den islamistischen Terror zurückkehrenden FDP ist erstmals die und Ereignisse wie die Übergriffe in der AfD in den Bundestag eingezogen; Silvesternacht 2016 in Köln – Ängste ent- sieben Parteien stellen Abgeordnete. In standen. Manche fürchten nicht nur den Deutschland hat sich wieder ein Viel- Verlust von Sicherheit, sondern auch einen parteiensystem etabliert kulturellen Wandel, der als Überfremdung begriffen wird. In der Tat hat der Staat – ■ signifikante Unterschiede im Wahlver- und Politik hat dafür die Voraussetzungen halten zwischen den alten und neuen zu schaffen – Sicherheit zu gewährleis- Ländern, teilweise auch zwischen Nord- ten, eine der elementarsten Aufgaben des Westdeutschland und Süddeutschland Staates, die freilich mit anderen Zielen in Einklang gebracht werden müssen. Wir Das Wahlergebnis schwächt die Volkspar- betrachtet werden kann, zumal jetzt zwei haben – wie Bundespräsident Frank-Walter teien, denen die Bundesrepublik jahrzehn- der drei Oppositionsparteien nicht oder nur Steinmeier in seiner Rede zum 3. Oktober telange Stabilität verdankt. Die Große Ko- bedingt für eine Regierungsbildung in Fra- festgestellt hat – den Begriff „Heimat“ zu alition und ihre Politik haben die Ränder ge kommen. verteidigen; er darf nicht als Gegensatz zur verstärkt, obgleich die wirtschaftlichen Weltoffenheit verstanden werden Vor die- Verhältnisse ganz überwiegend als positiv Zu Recht hat der Einzug der AfD mit einem sem Hintergrund ist die kulturelle Dimensi- betrachtet werden. Zweifellos werden Re- zweistelligen Ergebnis in den Bundestag on der Integration von Hunderttausenden gierungsbildungen schwierig. Der in den vielfältige Diskussionen ausgelöst. Erstmals eine zweifellos ernst zu nehmende, über großen Volksparteien erfolgende Ausgleich ist seit den 50er Jahren eine Partei vom Jahrzehnte andauernde Aufgabe, für die von Interessen verliert an Bedeutung, der rechten Rand des politischen Spektrums in realistische Konzeptionen nötig sind. Ausgleich zwischen den unterschiedlichen den Bundestag gewählt worden. Zwar mag Interessen muss jetzt zwischen Parteien man darin ein Stück europäische Normali- Bestimmte Probleme sind mithin stärker zu gefunden werden, was Kompromisse nicht sierung sehen – in zahlreichen Ländern sind beachten und zu bearbeiten als das zeitwei- leichter macht. Inwieweit eine Jamaika-Ko- rechtspopulistische Parteien entstanden, lig der Fall war. Doch ist davor zu warnen, alition nicht nur zustande kommt, sondern die mancherorts wie in Frankreich oder den einem vordemokratischen Politikverständ- auch eine stabile handlungsfähige Regie- Niederlanden ungleich stärker sind als in nis nachzugeben, das der Komplexität und rung bilden wird, bleibt abzuwarten. Mit Deutschland. Dennoch irritiert der Erfolg Widersprüchlichkeiten unserer Gegenwart dem Vielparteiensystem kehren zwar nicht der AfD gerade in Deutschland, das vor durch grotesk einfache Lösungen beizu- einfach die Verhältnisse der Weimarer Re- dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem kommen sucht und geradezu als Ausdruck publik wieder – für generellen Alarmismus Nationalsozialismus inzwischen gegenüber eines Eskapismus gegenüber der moder- gibt es keinen hinreichenden Grund. Doch Parteien auf der äußersten Rechten in sei- nen Welt zu sehen ist. Vor allem bedarf die wird die Funktionsweise des parlamentari- ner ganz großen Mehrheit immunisiert Demokratie (1) des unmissverständlichen schen Systems in einem Vielparteiensystem schien. Der Erfolg der AfD ist zweifellos ge- Widerspruchs gegenüber gruppenbezoge- erschwert, weil die Opposition nicht mehr nauer zu untersuchen und zwar sowohl die nen Menschenfeindlichkeit (wie immer sie ohne Weiteres als Regierung im Wartestand Entwicklung der Partei als auch ihrer Wäh- auch motiviert sein mag, Rassismus spielt »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 21 » dabei zweifellos eine Rolle), (2) der Zurück- die AfD stärkste Partei und bezogen auf eigenen Fehlern zu suchen und daraus weisung genereller Diffamierung der ande- die neuen Länder wurde sie zweitstärks- politische Folgerungen zu ziehen, zugleich ren Parteien und (3) der scharfen Kritik an te Partei. Der Prozess der Einheitsbildung aber die Auseinandersetzung mit der AfD dem alleinigen Anspruch auf „Volk“ und seit 1990 scheint unabgeschlossen: Dabei zu führen, ohne darauf fixiert zu sein. Für „Land“, der zweifellos ein gestörtes Ver- geht es um objektive Tatbestände, die als Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. ist hältnis zu den im Grundgesetz festgelegten Benachteiligungen gelten können, doch nicht zuletzt die Ablehnung der Erinne- Grundlagen unserer Demokratie erkennen auch um Prägungen, die aus der DDR-Zeit rungskultur durch wichtige Repräsentan- lässt. Hier sind Ansätze der Ideologisierung stammen. Zweifellos denken viele Ostdeut- ten der neuen Partei eine ernsthafte Her- von rechter Politik erkennbar, denen ent- sche stärker in nationalen Kategorien als ausforderung. Unsere Vereinigung hat im schieden entgegenzutreten ist, da sie mit die Mehrheit der Westdeutschen. Auch mit Wissen um Gefährdungspotentiale, die im dem Wertesystem des Grundgesetzes nicht diesen Fragen haben wir uns erneut ausei- Blick auf die deutsche und europäische Ge- vereinbar sind. nanderzusetzen. schichte des 20. Jahrhunderts offensichtlich se un d M einun g An aly sind und erneut entstehen und anwachsen Zwar sind die Ergebnisse der AfD teilweise Gewiss stehen wir nicht vor der Machter- können, unsere Demokratieentwicklung auch in süddeutschen Wohlstandsgebieten greifung einer neuen NSDAP. Doch haben kritisch zu begleiten mit dem Ziel, demo- wie in Heilbronn unübersehbar, dennoch die Parteien des Verfassungsbogens durch- kratisches Verantwortungsbewusstsein und ist der Erfolg dieser Partei in den neuen aus Gründe, die Lage differenziert zu ana- demokratische Teilhabe zu stärken. ■ Ländern beunruhigend: in Sachsen wurde lysieren, auch nach Fehlentwicklungen und

Bernd Faulenbach

Nach dem G20-Gipfel – Zur Diskussion über linksextremistische Gewalt

Die heftigen Gewaltexzesse am Rande des I. Einheit, er weist verschiedene Strömungen G20-Gipfels in Hamburg, die Menschenle- Linksextremistische Gewalt ist in den meis- und Organisationsformen auf. Genannt ben gefährdeten, beachtliche Kosten ver- ten Fällen der sogenannten Demonstrations- seien die verschiedenen Richtungen des ursachten und Deutschland als Gastgeber und Konfrontationsgewalt zuzuordnen. Die militanten Marxismus-Leninismus und die diskreditierten, haben den Linksextremismus erfasste Gewalt von links richtet sich vor in Hamburg besonders auffälligen Linksau- zum Gegenstand hitziger öffentlicher De- allem gegen zwei Gruppen: Polizei und Si- tonomen. batten gemacht. Als eine Konsequenz hat cherheitsbehörden sowie Rechtsextreme Bundesinnenminister Thomas de Maizière bzw. vermeintliche Rechtsextreme. Gegen- Im Hinblick auf linksextremistische Gewalt- die Plattform „Linksunten. Indymedia“ ver- über Polizeibeamten ist von einer niedrigen taten muss ein starkes Augenmerk auf die boten. Generell wird über Linksextremismus Gewaltschwelle auszugehen. Bei Auseinan- Linksautonomen gelegt werden. Angesichts eher punktuell im Kontext von immer wie- dersetzungen zwischen Angehörigen der der Tatsache, dass der Großteil der linksex- der aufflackernden Gewalttaten debattiert. linken und der rechten Szene scheint eine tremistischen Gewalttaten aus diesem Kreis Dabei dominieren Rechts-Links-Vergleiche solche Schwelle kaum zu existieren. begangen wird, ist der Wissensstand über beziehungsweise die Frage nach dem Um- diese Gruppe unzureichend. In ihrer Mehr- gang mit dem Extremismus-Begriff; die kon- Linksextremistische Gewalt wird anlass- und heit zählen Schüler, Auszubildende, Studen- krete Analyse über einen längeren Zeitraum ortsbezogen ausgeübt. Zum einen als Kon- ten und Ausbildungsabbrecher im Alter von tritt dagegen zurück. frontationsgewalt bei rechtsextremen De- ca. 17 – 27 Jahren zu den Linksautonomen. monstrationen, zum anderen auch am Rand Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Für Gegen Vergessen – Für Demokratie von Protestveranstaltungen wie denen zu Bundes geht von rund 6.800 Personen aus. e.V. steht völlig außer Zweifel, dass in De- den Weltwirtschaftsgipfeln, die für die Ge- mokratien Gewalt kein Mittel der inner- walttäter über ihren Antifaschismus oder die Die Linksautonomen weisen eine besondere politischen Auseinandersetzung ist. Die Kapitalismuskritik inhaltlich anschlussfähig Bereitschaft zur Gewaltsamkeit auf. Zentral friedliche Austragung von Konflikten, die sind – und nicht selten von den gewaltlosen bei ihren Aktivitäten ist Konfrontationsge- durch das Gewaltmonopol des Staates er- Protestierenden toleriert werden. walt bei Demonstrationen, die als Möglich- möglicht wird, ist die Voraussetzung von keit betrachtet werden, Gewalt auszuüben Demokratie und Zivilgesellschaft. Daher ist II. und auszuleben. Die Autonomen weisen auch eine eigenständige, kontinuierliche Ein Blick auf die bisher eher spärlich vorhan- zwar keine feste Organisationsstruktur auf, Beschäftigung mit linksextremistischer Ge- den Forschungsergebnisse zeigt deutlich: besitzen jedoch Kommunikationszentren walt zwingend geboten. der Linksextremismus ist keineswegs eine und bilden eine Art Szene, die regional, na-

22 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 tional und international vernetzt ist. Ideolo- benennen und nach Wegen zu ihrer Lösung gisch wird man die Autonomen als moderne zu suchen. Bedenklich ist die Realitätsver- Variante des Anarchismus auffassen können, weigerung von Teilen des Linksradikalismus, zu dem es freilich kaum Programmschriften die auch im Glauben an die Gewalt zum gibt, sieht man von einigen Thesenpapieren Ausdruck kommt. ab. Theoretisch geht es um die Abschaffung von Herrschaft und Kapitalismus, doch ist Hier zeigen sich Berührungsflächen zwi- die Konfrontationsgewalt in der Praxis gera- schen linken Gewalttätern und größeren dezu Selbstzweck. Die Autonomen sind zum Kreisen in der Bevölkerung. Zur Frage, ob Foto: wikimedia/Thorsten Schröder Teil geradezu fasziniert von der Ausübung der Zweck die Mittel heiligt, ist der Hinweis von Gewalt in der Konfrontation mit Staat nötig, dass der Einsatz von Gewaltmitteln und Polizei, die politisch-moralisch als Fein- den Zweck – die Verteidigung der Demo- de betrachtet werden. In Hamburg gab es kratie – durchaus gefährden kann, was se un d M einun g An aly nicht wenige Trittbrettfahrer, die von dieser auch in Teilen der demokratischen Linken Gewalt angezogen wurden. zu bedenken ist. Schwarzer Block bei der Demonstration „Welcome to Hell“ während des G20-Gipfels in Hamburg 2017. III. Wir warnen davor, die Anwendung von Ge- Diese Befunde bieten wichtige Hinweise für walt als zwangsläufige Begleiterscheinung Handlungsmöglichkeiten der Sicherheitsbe- von Demonstrationen, die grundgesetzlich europäischen Geschichte eine höchst pro- hörden. Wo Gewalttaten zu erwarten sind, garantiert sind, zu entschuldigen. Das ge- blematische Rolle gespielt und ist deshalb können Vorkehrungen getroffen werden. nerelle Vordringen einer Atmosphäre der im Hinblick auf seine Erscheinungsformen Dabei gibt es keine Allheilmittel. Nicht jede Gewalt, für die freilich nicht nur der Links- und Folgen in der Gegenwart kritisch zu be- Form von Gewaltausübung kann im Vorhe- extremismus verantwortlich ist, droht die leuchten. rein antizipiert und unterbunden werden. Demokratie gegenwärtig zunehmend zu Durch kontinuierlichen Austausch und Ab- deformieren. Selbstverständlich muss sich Keine Frage, dass politische Bildungsarbeit stimmung über linksextremistische Gewalt der Staat der Gewalt widersetzen, dies gilt demokratische Werte vermitteln muss. Die- kann die Polizei aber auf den unterschiedli- aber auch für die Zivilgesellschaft. Bei De- se immunisieren gegen die Anwendung von chen Ebenen zielgerichteter vorgehen. monstrationen ist eine klare Distanzierung Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ihrer Organisatoren und der friedlichen De- in der Demokratie. Es geht um die Entwick- Wichtig ist zudem auch, dass die kommuna- monstranten von potentiellen Gewalttätern lung präventiver Konzepte. So muss politi- len Funktionsträger unterstützt werden. Mit zu fordern. Auch in der Auseinandersetzung sche Bildung einerseits eine realistische Sicht welcher Expertise kann einem Bürgermeis- mit Rechtsextremismus ist die von manchen der politisch-gesellschaftlichen Verhältnis- ter einer Kleinstadt geholfen werden, der Antifa-Gruppen angewandte Gewalt gegen se fördern, andererseits aber die Chancen erfährt, dass Rechtsextreme, in seiner Stadt Sachen und Personen wie auch deren Tole- von Partizipation bei der Politikgestaltung in einer Woche eine Kundgebung durchfüh- rierung durch größere Bevölkerungskreise herausarbeiten, was dem Eindruck ent- ren wollen, und Linksautonome bundesweit nicht akzeptabel. gegenwirken kann, in unserer Politik und dazu aufrufen, zu Gegenaktionen anzurei- Gesellschaft sei alles alternativlos. Projektbe- sen? Um eine derartige Situation zu bewälti- V. zogene Bildungsarbeit könnte Neuansätze gen, die leicht zu problematischen Konfron- Die Vereinigung Gegen Vergessen – Für De- liefern, die sich keineswegs auf junge Leute tationen führt, gibt es Beratungsbedarf bei mokratie e.V. hat sich seit seiner Gründung mit linksextremen Neigungen beschränken den Kommunalpolitikern. Daneben aber hat im Jahre 1993 besonders intensiv mit Rechts- sollte. Der Kernbereich der linksautono- auch die Zivilgesellschaft ihr Verhältnis zu extremismus und Rechtspopulismus ausein- men Szene ist durch Bildungsarbeit gewiss den Linksautonomen erneut zu reflektieren. andergesetzt, doch war auch der Linksext- schwer erreichbar, dies muss aber nicht für remismus immer ein Thema in der Vereini- die Umfelder gelten. Bedeutsam ist, dass Po- IV. gung. Auch dieser hat in der deutschen und litik als Gestaltungsraum erfahrbar wird. ■ Prinzipienhafte Systemkritik ist nicht per se illegitim. Erst recht trifft dies für eine Kritik des Wirtschaftssystems zu, auch für Kon- Literaturhinweis auf eine neuere Überblicksdarstellung: zepte, die den Kapitalismus zähmen oder Armin Pfahl-Traughber, Autonome und Gewalt. Das Gefahrenpotenzial im Linksextre- gar überwinden wollen. Doch unbedingt mismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32-33 (2017), S. 28–33 ( auch online unter: abzulehnen ist die Propagierung der Zerstö- http://www.bpb.de/apuz/253607/autonome-und-gewalt-das-gefahrenpotenzial-im- rung der gegebenen Verhältnisse mit bru- linksextremismus?p=all) taler Gewalt, ohne dass auch nur Umrisse Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. hat im Jahr 2014 ein Positionspapier zum alternativer Ordnungsvorstellungen erkenn- Thema Linksextremismus entwickelt, das noch immer aktuelle Bedeutung besitzt: bar wären. Absurd ist es übrigens auch, wie http://www.gegen-vergessen.de/fileadmin/user_upload/Gegen_Vergessen/Dokumen- bei Teilen der extremen Linken üblich, alle te/PositionspapierV6.pdf Probleme dieser Welt auf den Kapitalismus zurückzuführen und darauf zu verzichten, Prof. Dr. Bernd Faulenbach ist Vorsitzender von Gegen Vergessen – die Ursachen der Probleme jeweils präzise zu Für Demokratie e.V.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 23 Ramzi Ghandour

Auf der Suche nach der Quadratur des Halbmonds

Ein Essay über Moscheen, Sprachprobleme und allerhand Erwartungen se un d M einun g An aly

Waren Sie schon einmal in einer Moschee? häuser (die prominentesten Beispiele sind Während eines Türkei- oder Ägyptenur- die Moscheebauprojekte in Duisburg-Marx- laubs vielleicht? Ja? Dann wissen Sie sicher loh und Köln-Ehrenfeld), scheint es heute auch, was sie beim Eintreten in eine Mo- eher darum zu gehen, was tatsächlich oder schee erwartet. Natürlich: Schuhe. Sie ste- vermeintlich in Moscheen passiert. So lösten hen am Eingang jeder Moschee. Manchmal Konstantin Schreibers Buch „Inside Islam“ sind sie ordentlich aufgereiht. Manchmal und sein „Moscheereport“ zum Teil heftige sogar in Regalen verstaut. Aber meistens – Zeichnung: Ramzi Ghandour Diskussionen über die Inhalte von Freitags- zumindest nach meiner Erfahrung – stehen predigten sowie die Rolle von Imamen bei sie ohne erkennbare Ordnung neben- und der Integration muslimischer Zuwanderer übereinander. Gerade so, wie die Moschee- aus. Als dann im Juni die „Ibn-Rushd-Goe- besucher sie eben zurückgelassen haben. the-Moschee“ in den Räumlichkeiten der Darunter befinden sich edle Anzugschu- evangelischen St.-Johannis-Kirche in Berlin- he ebenso wie ausgetretene Badelatschen Moabit eröffnet wurde, traten Fragen zur und teure Sportschuhe. Im Frauenbereich Beteiligung von Frauen und konfessionellen sieht es ähnlich aus. Von Stöckelschuhen wie sexuellen Minderheiten in Moscheege- bis Ballerinas ist alles dabei. Woher ich das meinden ins Zentrum der Aufmerksamkeit. weiß, wollen Sie wissen? Sagen wir, ich habe meine Quellen. In François Dupeyrons Diese Schwerpunktverschiebung der Dis- preisgekröntem Film „Monsieur Ibrahim diskutiert, gegessen und getrunken (alko- kussionen ist bemerkenswert. Wurde im und die Blumen des Koran“ gibt es hierzu holfrei, versteht sich). Zuge der Sarrazin-, Wulff- oder Busch- eine wunderbare Szene. Darin besuchen kowsky-Debatten (2010–2012) noch die die beiden Hauptpersonen, der besagte Lange Zeit gab es in Deutschland nur wenig Existenzberechtigung gelebter muslimi- Monsieur Ibrahim und sein junger Freund Interesse für Moscheen. In Hinterhöfen und scher Religiosität in Deutschland insgesamt Momo, mehrere Istanbuler Gotteshäuser. Kellern untergebracht, waren sie Orte, die infrage gestellt, geht es heute eher um in- Mit verbundenen Augen soll Momo erra- der Mehrheit der nicht-muslimischen Deut- haltliche Fragen. Zwar stören sich (meiner ten, wo sie sich befinden. Nachdem er die schen unzugänglich und fremd waren. Die Meinung nach zu Recht) immer noch viele katholische und die orthodoxe Kirche an meist von türkischen oder marokkanischen Menschen an der Art, wie die Debatten ihrem Weihrauch- und Kerzenduft erkannt „Gastarbeitern“ angemieteten Räume wa- über Predigtinhalte geführt werden, oder hat, nimmt Momo am Eingang der großen ren zudem oft ungemütlich und auf Funk- an der Frage, wer in einer Gemeinde die Moschee einen unangenehmen Fußgeruch tionalität ausgerichtet. Es wurde Türkisch, Rolle des Vorbeters beziehungsweise der war. Sanft entgegnet ihm Monsieur Ibra- Arabisch oder Bosnisch gesprochen und es Vorbeterin übernehmen sollte, doch ist die him, der durch den inzwischen verstorbe- gab nur sehr vereinzelt Bemühungen, mit Moschee als zentrale Institution des religiö- nen Omar Sharif verkörpert wird: „Mich der nicht-muslimischen Umgebung in Kon- sen Alltags von Muslimen heute nicht mehr beruhigt dieser Geruch. Ich rieche mich, ich takt zu treten. Wahrscheinlich war es vielen Hauptgegenstand der Kontroverse. Eine rieche dich.“ Und tatsächlich sind Mosche- Leuten auch einfach egal, was genau die- weitere Verbesserung ist, dass sich Muslime en auf eine Art zutiefst menschliche Orte. se „Fremden“ dachten und taten. Solange heute gegenüber der vorgebrachten Kritik Ohne Menschen sind sie beinah völlig leer. sie nicht störten, war alles in Ordnung. Seit positionieren und selbst die Initiative ergrei- Es gibt weder Stühle noch Bänke, weder ein paar Jahren hat sich die Situation aber fen können. Dies ist von entscheidender Altare noch Statuen. Die Idee ist, dass der erkennbar verändert. Mittlerweile sind aus Bedeutung, denn der Austausch von Argu- Mensch dort allein oder in der Gruppe vor den „Fremden“ Einheimische geworden menten und Perspektiven ist die Grundlage seinem Schöpfer steht. Man ist auf das We- und ihre Moscheen werden sichtbar. Auch für gegenseitiges Verständnis und letztlich sentliche zurückgeworfen. Und dennoch was die mediale Aufmerksamkeit angeht, für unser demokratisches Miteinander. sind Moscheen nicht nur Orte des Gebets, hat sich einiges getan. Gab es in den frühen Gleichzeitig haben rechte Bewegungen wie der inneren Einkehr und der Andacht. In 2000er Jahren noch heftige Kontroversen AfD, PEGIDA oder „die Identitären“ das ihnen wird gelacht und geweint, gelehrt, über den Bau einzelner islamischer Gottes- Thema „Islam“ für sich entdeckt. Mosche-

24 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 en werden von der rechten Propaganda zu Kommen wir aber noch einmal zum Begriff der Moscheevorstand oder das zuständige Symbolen einer angeblichen Islamisierung Jâmi‘ zurück. In der Frühzeit des Islam hat- Ministerium im Herkunftsland, etwa bei Deutschlands stilisiert und so zu Zielschei- te jede Stadt nur eine einzige Jâmi‘, in der ausländisch finanzierten Moscheen. Letz- ben von islam- oder muslimfeindlichen das Freitagsgebet abgehalten wurde und teres birgt ein hohes Potenzial politischer Angriffen. Entsprechend verzeichneten die die (männliche) Bevölkerung über politische Einflussnahme. Doch es gibt in Deutschland Behörden für das Jahr 2016 bundesweit Geschehnisse und zu rechtlichen Fragen bislang kein alternatives Finanzierungskon- 91 Angriffe auf Moscheegebäude und ihre informiert wurde. Außerdem war die Jâmi‘ zept für Imame und Moscheen, das sie un- Besucher. Wie sich die Dinge weiterentwi- der Ort, an dem sich die Loyalität zum je- abhängiger von den Herkunftsländern ma- ckeln, bleibt abzuwarten. weiligen Herrscher zeigte. Unterließ es der chen könnte. Solange kein solches existiert, Prediger, den Namen des Kalifen oder Sul- werden Moscheen auf die Gelder türkischer, Doch was genau ist eine Moschee? Was tans in seiner Ansprache und Fürbitte zu albanischer, marokkanischer und bosni- unterscheidet sie von einer Kirche? Und nennen, kam dies einer offenen Rebellion scher Religionsbehörden angewiesen sein. welche politische Rolle kann oder sollte gleich. Diese Tradition fand ihr Ende in den se un d M einun g An aly ihr zukommen? Beginnen wir einmal ganz meisten Ländern jedoch mit der Abschaf- Ein Verbot von Auslandsfinanzierung ana- von vorn. Das deutsche Wort Moschee teilt fung des osmanischen Kalifats durch Mus- log zum österreichischen Islamgesetz kann sich seinen Ursprung mit dem französi- tafa Kemal Atatürk im Jahr 1924. (Sie brau- allerdings keine Lösung sein. Dies wäre eine schen Mosquée, dem englischen Mosque chen sich also keine Sorgen zu machen, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinba- und dem spanischen Wort Mezquita. All wenn der Prediger Ihrer örtlichen Moschee rende Diskriminierung von Muslimen ge- diese Formen sind Ableitungen vom arabi- nicht für die Regierung von Frau Merkel Für- genüber anderen Religionsgemeinschaften, schen Wort Masjid (wörtlich: „Ort des Sich- bitte einlegt). Zumindest in früheren Zeiten die ebenfalls finanzielle Verbindungen ins Niederwerfens“), das während der etwa war eine Jâmi‘ ein durch und durch öffent- Ausland unterhalten. Außerdem wäre vie- 800-jährigen muslimischen Herrschaft über licher und damit auch politischer Ort. Doch lerorts das Spendenaufkommen zu gering, die Iberische Halbinsel seinen Weg in die wie sieht es heute aus? Wie viele Moscheen um qualifizierte Imame beschäftigen zu europäischen Sprachen fand. Interessanter- in Deutschland sind eigentlich Jawâmi‘ (der können. Die Zahl unausgebildeter Laienpre- weise kennt das Arabische neben dem Wort Plural von Jâmi‘) und inwieweit erfüllen sie diger würde steigen. Dies kann weder im Masjid aber noch mindestens zwei weitere hier und heute noch ihre traditionelle Funk- Interesse der hier lebenden Muslime noch Begriffe für ein Gebäude oder einen Raum, tion? Diese Fragen sind leider nicht ganz der Mehrheitsgesellschaft sein. Langfristig den man auf Deutsch „Moschee“ nennen einfach zu beantworten. werden die immer anspruchsvolleren mus- würde. Da wäre zum einen der Ausdruck limischen Gläubigen über die Qualität des Mussallâ (wörtlich: „Ort des Gebets“). Da- Zunächst zu den Zahlen: Verschiedenste spirituellen und sozialen Angebots von Mo- mit wird ein einfacher Raum zur Verrichtung Stellen und Forscher schätzen die Zahl der scheen mit den Füßen abstimmen. Ich glau- der fünf rituellen Pflichtgebete bezeichnet, Moscheen in Deutschland auf etwas über be, man wird das an der Zahl der Schuhe der keine andere Funktion als diese besitzt. 2.000. Dazu zählen repräsentative Bauten am Moscheeeingang sehen können. ■ In islamischen Ländern befindet sich eine genauso wie Keller- und Hinterhofmosche- Mussallâ zumeist in öffentlichen Gebäuden en. Genaue Angaben gibt es nicht. Wie vie- Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. wie Flughäfen, Bahnhöfen, Universitäten le davon also als Jâmi‘ gelten können, weil arbeitet im Rahmen des Projekts „Prä- oder Behörden. Sie sind anonyme Orte, darin Freitagsgebete stattfinden, wird nir- ventionsnetzwerk gegen religiös be- in denen kein Gemeindeleben stattfindet. gends erhoben und ist kaum zählbar. Ent- gründeten Extremismus“ mit vier isla- sprechend verzweifeln Wissenschaftler und mischen Dachverbänden sowie der Tür- Zum anderen ist im Arabischen der Begriff Beamte seit Jahren an der Uneindeutigkeit kischen Gemeinde in Deutschland e.V. Jâmi‘ (wörtlich: „[Ort der] Versammlung“) oder besser: der Offenheit der islamischen zusammen. Gemeinsam entwickeln wir geläufig, der in der Form Cami seinen Weg Grundkonzepte sowie der muslimischen Strategien, die auch und besonders Mo- ins moderne Türkisch gefunden hat. Eine Lebensrealität. Bezogen auf die Öffent- scheeverbände und Gemeinden darin Jâmi‘ würde im Deutschen „Freitagsmo- lichkeit und damit das politische Potenzial unterstützen sollen, selbst zu Akteuren schee“ genannt werden. Dort findet frei- von Moscheen ist das Bild (leider) ebenfalls in der Präventionsarbeit zu werden. Das tags, am Islamischen Ruh- und Feiertag, das komplex. So kann jeder eine Moschee be- Projekt möchte die Potentiale von Mo- für Männer verpflichtende Gemeinschafts- treten und an den Gemeinschaftsgebeten scheen als Orte des sozialen Austauschs, gebet statt. Auch ist die Jâmi‘ der zentrale teilnehmen. Eine klare Unterscheidung zwi- der Wissensvermittlung und gegensei- Ort muslimischen Gemeindelebens. Im Un- schen Gemeindemitgliedern und Gelegen- tigen Unterstützung dazu nutzen, um terschied zum Christentum ist dem Islam heitsbesuchern ist nicht möglich. Auch als jungen Menschen Alternativen zu Ra- das Ritual der Weihe fremd. Moscheen sind Imam oder Vorbeter kann sich in den meis- dikalisierung und Gewalt aufzuzeigen. keine rituell geweihten Orte. Der Prophet ten Moscheen jeder volljährige Mann be- Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Muhammad soll gesagt haben, die ganze tätigen, obwohl fast alle Moscheen haupt- schöpft hierbei aus der langjährigen Welt sei eine Moschee (also ein Ort, an amtliche oder zumindest dauerhaft tätige Erfahrung in den Bereichen Anti-Diskri- dem Gebete verrichtet werden können). Imame beschäftigen. Was und wie gepre- minierungsarbeit und der systemischen Das zeichne Muslime gegenüber Juden digt wird, entscheidet entweder er selbst, Betroffenenberatung. und Christen aus, denn diese dürften ihre Gottesdienste nur an bestimmten Orten Ramzi Ghandour ist wissenschaftlicher Referent von Gegen Vergessen – vollziehen. Für Demokratie e.V.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 25 Julia Wolrab

Demokratielernen und Antidiskriminierung als Herausforderung für die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte Aus unserer Ar b ei t

Das Projekt „Fachkräfteentwicklung“, das von Mitarbeitern der Geschäftsstelle gemeinsam mit dem Netzwerk für Demo- kratie und Courage (NDC) umgesetzt wird, widmet sich seit zwei Jahren der Frage, wie die Themen „Demokratielernen“ und „Antidiskriminierung“ stärker in die Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften integriert werden können. Ein Zwischenbericht.

In der Geschäftsstelle von Gegen Verges- wie im Rahmen von Fortbildungen, die tusministerien, Landesinstituten für Leh- sen – Für Demokratie e. V. klingelt das sich speziell an Pädagoginnen und Päd- rerbildung und Schulentwicklung, Univer- Telefon. Am Hörer ist eine Lehrerin, die agogen richten. Ähnliche Erfahrungen sitäten, den Landeszentralen für politische sehr aufgebracht wirkt. Es geht um einen wurden auch von Institutionen wie der Bildung und Initiativen der außerschuli- Vorfall von Diskriminierung in ihrer Schu- Bundeszentrale für politische Bildung be- schen politischen Bildung haben die Hy- le. Eine Schülerin habe einen Mitschüler stätigt. Das System Schule kann schein- pothesen bestätigt, die zu Projektbeginn diskriminierend beleidigt und angegrif- bar nicht immer angemessen auf Fälle aufgestellt wurden: fen. Andere Schüler hätten sich herausge- von Diskriminierung reagieren. Dies hat So gibt es in den bislang besuchten Bun- halten und nichts gesagt. Auch die Lehre- in der Landschaft der zuständigen Stellen desländern (Baden-Württemberg, Berlin, rin sei erst einmal sprachlos gewesen. Die für Aus- und Weiterbildung dazu geführt, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schülerin habe sich zuvor nie so verhalten. dass das Thema immer häufiger Eingang Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein) Es folgte ein Gespräch mit der Schullei- in Fachforen und Meinungsbeiträgen fin- zwar eine große Breite an Angeboten, die tung, ein Schulverweis wurde in Betracht det. Tatsächlich verändert hat sich jedoch von Vorträgen über Workshops bis hin zu gezogen. Um solche Vorfälle künftig zu bislang nur wenig – auch, weil mancher- komplexen Fortbildungsprogrammen rei- vermeiden, wolle die Schule nun ein Argu- orts der politische Rückhalt fehlt. chen. Allerdings werden diese Angebote mentationstraining von Gegen Vergessen – meist nur punktuell und nach Bedarf (Stich- Für Demokratie e.V. anbieten. Am besten Im Sommer 2015 wurden Gegen Ver- wort: Feuerwehr) angeboten oder in An- gleich nächste Woche, für alle Schüler der gessen – Für Demokratie e.V. und das spruch genommen. Die Zusammenarbeit 10. Klassen. Gegen Vergessen – Für De- NDC von der Bundeszentrale für poli- von Universitäten und Fach- bzw. Studi- mokratie e.V. als Feuerwehr gegen Diskri- tische Bildung damit beauftragt, eine enseminaren mit Akteuren der außerschu- minierung in der Schule. „Ach übrigens, bundesweite Bestandsaufnahme bereits lischen politischen Bildung beschränkt sich gibt es das Training eigentlich auch für uns bestehender Aus- und Weiterbildungs- meist auf zeitlich begrenzte, Projekte ohne Lehrer?“, fragt die Pädagogin am Ende angebote für pädagogische Fachkräfte längerfristige Strukturen oder Aussicht auf des Gesprächs. im Feld Demokratielernen und Antidis- Verstetigung. Und auch Austausch und kriminierung durchzuführen. Auch sollen Kooperationen zwischen den Hochschu- Vergleichbare Anrufe oder Nachrichten er- Vorschläge zur nachhaltigen Verankerung len und Studien- bzw. Fachseminaren wer- reichten die Geschäftsstelle im vergange- der Themen in den Rahmenlehrplänen un- den nur in geringem Maße genutzt. nen Jahr sehr häufig. Sie zeugen nicht nur terbreitet werden. Die bisher gesammel- davon, dass diskriminierende Äußerungen ten Erfahrungen aus Gesprächen in Kul- Dem liegt mitunter das Verständnis zu- nach wie vor ein Thema an den Schulen in Deutschland sind, sondern auch von Außerschulische politische Bildung kann nur dort Wirkung entfalten, wo das System Schule demokratische einer Unsicherheit des pädagogischen Werte vorlebt. Hier: Argumentationstraining gegen rechte Parolen in Wriezen. Personals hinsichtlich des Umgangs damit. Wie reagiere ich als Lehrer auf Formen von Rassismus, Abwertung und auf demokra- tiefeindliche Äußerungen in der Schule? Wie politisch darf ich sein? Wann ist für Foto: Jan Schapira mich als Pädagogin eine rote Linie über- schritten und wer hilft mir dabei, Vorfälle richtig einzuordnen?

Diese Fragen begegnen uns seit einigen Jahren in Gesprächen mit Lehrenden so-

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Diversität als gesellschaftliche Wirklichkeit gesamten Systems Schule angesehen wer- sowie die Abgrenzung zu menschenfeind- den muss und sich nicht auf die Rolle des CC BY 2.5 lichen und abwertenden Haltungen und Lehrpersonals beschränken darf. Natürlich Handlungen. Diese Werte können als fä- können demokratische Werte, die sich in cherübergreifend und universal für das der eigenen Lebenspraxis niederschlagen tägliche Miteinander gelten – auch im Kon- sollen, nicht verordnet und von heute auf text Schule. Doch wie können diese Werte morgen verinnerlicht werden. Demokra- in der schulischen Praxis auch gelebt wer- tielernen ist lebenslanges Lernen. Mithilfe den? Einige Schulen haben sich diese zen- demokratiepädagogischer Standards und trale Frage bereits gestellt und Ableitun- eigener Module in den Ausbildungs- und Alle Schulformen stehen vor der Herausforderung, gen getroffen für ein Mehr an Beteiligung, Lehrplänen könnte es jedoch gelingen, Aus unserer Ar b ei t sich Antidiskriminierung und Demokratiefeindlichkeit Foto: Joachim Müllerchen, WikimediaFoto: Joachim Müllerchen, Commons, zu stellen. Hier: Schulen-Wegweiser in Lüneburg. Verantwortungsübergabe, Mitsprache und Lehrerinnen und Lehrer (und damit lang- gegenseitiger Wertschätzung innerhalb fristig auch andere Mitglieder des Sys- grunde, dass Demokratielernen und An- der Schulgemeinschaft. Auch das Hin- tems Schule) in ihren demokratischen tidiskriminierung nicht als übergeordne- terfragen von festgefahrenen, hierarchi- Handlungskompetenzen zu stärken und te Schlüsselkompetenzen im Lehrberuf schen Strukturen und eigenen Vorurtei- Unsicherheiten abzubauen. Um dies rea- wahrgenommen werden. So begegneten len spielt hier sicherlich eine nicht zu un- lisieren zu können, ist es jedoch zunächst uns häufig Aussagen von engagierten terschätzende Rolle. Demokratielernen notwendig, die öffentliche Wahrnehmung Lehrerinnen und Lehrern, die sich darüber und -leben sollte sich, und auch das ist für dieses Thema zu stärken und auch auf beklagten, dass einige Lehrkräfte keine eine Rückmeldungen aus den zahlreichen übergeordneten, politischen Ebenen für Verbindung zu ihren Fächern herstellen Fachgesprächen, nicht nur im Fachunter- die Relevanz von Demokratiebildung und könnten und wollten. Das Thema De- richt, sondern vor allem im schulischen Antidiskriminierungsarbeit in der Schule mokratielernen besitze größere Schnitt- Miteinander widerspiegeln: auf dem Pau- zu werben. „Feuerwehr-Einsätze“ werden mengen zu den Fächern Geschichte und senhof, im Lehrerzimmer, auf Schulveran- dann überflüssig, wenn die Schule auf Politik als zu Mathematik und Erdkunde. staltungen, in Gesprächen zwischen Leh- Strategien und Strukturen zurückgreifen Der schulische Lehrberuf sollte jedoch renden, Eltern, Jugendlichen und Schüler- kann, die ihr nachhaltig und langfristig Si- nicht nur die Vermittlung von Fachwis- vertretern. cherheit im Umgang mit menschenfeindli- sen, sondern auch und insbesondere die chen Handlungen ermöglichen. Bis dahin Begleitung junger Menschen im Sinne So zeichnet sich ab, dass die stärkere Ver- wird das Telefon weiter klingeln, auch in demokratischer Werte umfassen: eine Er- ankerung der Themen Demokratiebildung der Geschäftsstelle von Gegen Vergessen – ziehung nach den Grundsätzen der freiheit- und Antidiskriminierung als Aufgabe des Für Demokratie e.V. ■ lich-demokratischen Grundordnung, die Achtung der Meinungs- und Glaubens- Julia Wolrab ist wissenschaftliche Referentin von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. freiheit, die Anerkennung von Vielfalt und und koordiniert das Projekt „Fachkräfteentwicklung“.

Vielfältige Strategien im Umgang mit Rechtspopulismus vor Ort

Rechtspopulismus ist national wie international eine Herausforderung für die Demokratie. Die Unsicherheit im konkreten Umgang damit ist groß, im privaten wie im öffentlichen Raum. Vor allem für zivilgesellschaftliche Organisationen stellen sich Fragen des praktischen Umgangs. Das Praxisforum gegen Rechtsextremismus, ein Zusammenschluss von acht Nicht- regierungsorganisationen und Bildungsträgern, hat Hinweise erarbeitet, die die Handlungssicherheit im praktischen Um- gang mit Rechtsextremismus erhöhen sollen:

Prämissen ■ Es braucht neue Strategien des Um- rechtfertigen, sondern nur eine offensive ■ Rechtspopulismus bewegt sich im po- gangs, da Verbote und Ausgrenzungsstra- Strategie, die die eigene Haltung deutlich litischen Bereich zwischen den rechts tegien, wie sie z. B. im Umgang mit rechts- macht. konservativen, demokratischen Strömun- extremen Parteien entwickelt wurden, hier gen und den rechtsextremen, jenseits des ein unzulässiger Eingriff in die Demokratie ■ In Deutschland kann trotz aller Proble- Verfassungsrahmens angesiedelten po- zum Schutze der Demokratie wären. me aus einer Position der demokratischen litischen Strömungen. Eindeutig rechtsex- Stärke und Erfahrung dem Rechtspopu- trem ist er damit nicht, trotz der offensicht- ■ Rechtspopulisten lieben die Provoka- lismus begegnet werden. Es besteht kein lich fließenden Übergänge nach Rechts- tion, um öffentliches Aufsehen zu erre- Bedarf an Alarmismus und Untergangs- außen. gen. Dagegen hilft nicht, sich defensiv zu phantasie. »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 27 ■ Der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht der Demokratie in größerer Zahl erreicht Hier hilft nur die konkrete Solidarität mit unterscheidet bei sozialen Bewegungen werden. Wir raten zu neuen, aufsuchen- den Betroffenen. folgende Gruppen: Eliten, Basisaktivisten, den Formaten. Unterstützer und Sympathisanten. Dieser 4. Rechtsextreme Grenzüberschreitun- Ansatz kann auch für den Umgang mit Es geht zunächst darum, in alltägliche gen müssen klar benannt und zurück- Rechtspopulismus hilfreich sein. Engagier- Treffpunkte zu gehen und zuzuhören. gewiesen werden te Bürger haben wahrscheinlich wenige Themen sollten aufgegriffen, nicht vorge- Wenn aus Rechtspopulismus Rechtsextre- Möglichkeiten, überzeugte Parteifunkti- geben werden. Daraus resultierende An- mismus wird, muss das klar benannt und onäre zu einem Umdenken zu bewegen. gebote vor Ort sollten so niedrigschwellig zurückgewiesen werden. „Rote Linien“ Die größte Veränderung kann wohl be- wie möglich sein. So kann neue Kommu- sind u.a. die Rechtfertigung oder Anwen- Aus unserer Ar b ei t wirkt werden, wenn diejenigen Unterstüt- nikation als Basis jeder Demokratieent- dung von Gewalt im Kontext von Ideologi- zer und Sympathisanten nicht aus dem wicklung entstehen und den Rechtspo- en der Ungleichwertigkeit. Die Meinungs- Auge verloren werden, die sich von den pulisten der Mythos der Vertretung der freiheit ist im Grundgesetz weit gefasst. einfachen Lösungen der Rechtspopulisten „Normalbürger“ entzogen werden. Es Eine Diskriminierung Einzelner oder die angesprochen fühlen. gibt dazu bislang nur wenige Konzepte. Abwertung ganzer Menschengruppen ist Hier bräuchte es neue Spielräume und den mit einer demokratischen Haltung aber ■ Rechtspopulisten zielen auf die Emoti- Mut zum Experiment. nicht zu vereinbaren. onalität der Menschen in der Vermittlung ihrer Inhalte ab. In der politischen Kommu- 3. Konflikte mit Sprengkraftqualität 5. Selbstvergewisserung der eigenen nikation ist nicht nur das Faktenwissen re- selbst benennen und besetzen Werte und Ideen ist notwendig. levant. Auch emotionale Aspekte spielen Rechtspopulisten gerieren sich gerne als Demokratisches Engagement lebt von eine wichtige Rolle. vermeintliche Tabubrecher und versuchen der Idee, eine „gute“ und menschen- lokale Konflikte als Belege ihrer rechtspo- freundliche Gesellschaft mitgestalten zu Strategien pulistischen Ideen und Forderungen zu können. Es geht somit zunächst um ein Kerngedanke des Papiers ist es, dass mög- nutzen. Dies misslingt, wenn die demo- konstruktives „Dafür“. Das Abarbeiten an liche Strategien gleichzeitig beschritten kratischen Akteure schneller und mutiger der „anderen Seite“, hier dem Rechtspo- werden können. Es gibt keine Unverein- sind. Auch die Schattenseiten im Kontext pulismus, ist schnell ermüdend. Wichtig barkeit und kein „besser“ oder „schlech- von Integration und Desintegration der ist daher auch der gemeinschaftliche Aus- ter“. Für die kommunale Ebene empfeh- Gesellschaft, Migration und Flucht, Krimi- tausch über eigene Werte. Damit wird len wir je nach Bedarf, örtlicher Ressource nalität und Sicherheit, Ungleichheit sowie kein Rechtspopulist überzeugt; dies ist und konkreter Problemlage eine Kombina- der realen politischen Praxis in der Par- aber eine Quelle eigener, auch emotio- tion aus fünf grundsätzlichen Handlungs- teiendemokratie müssen von demokrati- naler Stärke, um die Auseinandersetzung strängen. schen Initiativen selbst und zwar öffentlich dauerhaft und mit viel Selbstbewusstsein aufgegriffen werden. führen zu können. 1. Gute Praxis nicht in Frage stellen und sich selbst treu bleiben Diese Themen müssen basierend auf den In der politischen Bildungsarbeit gibt es Werten des Grundgesetzes interpretiert Praxisforum gegen Rechtsextremismus vielfältige, wiederholt geprüfte und ent- und lösungsorientiert diskutiert werden. Ina Bielenberg, Geschäftsführerin Arbeits- wickelte Kompetenzen und Ansätze für Der Aspekt, dass Rechtspopulisten z. B. kreis deutscher Bildungsstätten; unterschiedliche Zielgruppen. Diese er- solche Foren nutzen werden, um sich in Dr. Dierk Borstel, Professor für Praxisorien- probten Methoden der demokratischen ihrem Sinne dazu zu äußern, sollte nicht tierte Politikwissenschaft FH Dortmund; Bildung und Entwicklung müssen zwar schrecken, sondern ermuntern. Schließlich Gerhard Bücker, Deutsche Sportjugend im evaluiert, aber nicht grundsätzlich in kann so konkret widersprochen und die Deutschen Olympischen Sportbund; Frage gestellt werden, nur weil sich der eigene Position klargestellt werden. Dies Dr. Olaf Lobermeier, Gesellschafter proVal. Rechtspopulismus im Aufschwung be- wird nicht alle Populisten überzeugen, zielt Gesellschaft für sozialwissenschaftliche findet. Im Gegenteil: Gute Praxis muss aber auf deren mögliche Unterstützerkrei- Analyse, Beratung, Evaluation; unbeirrt fortfahren können und braucht se und ermöglicht diesen einen Vergleich Hanna Lorenzen, Bundestutorin Evange- weiterhin politische Unterstützung und der Positionen und damit die Bildung einer lische Trägergruppe für gesellschaftspoliti- finanzielle Sicherheit. Eine mögliche Teil- eigenen Meinung und Haltung. sche Bildung; nahme von rechtspopulistischen Akteuren Dr. Michael Parak, Geschäftsführer Gegen sollte keine Beschneidung demokratischer Ein doppeltes Dilemma ist dabei nicht Vergessen – Für Demokratie e.V.; Spielregeln zur Folge haben. auflösbar: Natürlich kann die öffentlich Patrick Siegele, Direktor Anne Frank geäußerte Denke der einen die Handlung Zentrum; 2. Aufsuchend zuhörende politische anderer motivieren. Das gilt auch für men- Sebastian Reißig, Geschäftsführer Aktion Bildung schenfeindliche Einstellungen und kann Zivilcourage e.V. Rechtspopulisten erreichen weit über- nicht vollständig verhindert werden. Auch durchschnittlich bisherige Nichtwählermi- besteht die Gefahr gezielter Kampagnen lieus, die weder von den demokratischen oder Shitstorms auf Einzelne oder Grup- Ansprechpartner: Dr. Michael Parak, Parteien noch von den Förderprojekten pen durch rechtspopulistische Netzwerke. [email protected]

28 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 RAG Südhessen

Paula Kapp, Robert Lee Lorengel und Roxana Damaris Müller

Bericht über eine Studienfahrt nach Dachau

„Arbeit macht frei“, diese Worte sind das erste, was wir sehen, als wir durch das dunkle Tor in den großen Innenhof treten. Aus unserer Ar b ei t Wie zynisch dieser Satz allerdings ist, wird für uns immer deutlicher während des Besuchs der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Wir, das sind 16 Schülerinnen und Schü- ler eines Leistungskurses Geschichte der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt. In die- sen drei Tagen Anfang Mai 2017 eignen wir uns viel neues Wissen über München während der NS-Herrschaft und die Be- deutung des Konzentrationslagers Dach- au mit seinen Inhaftierten an. Die Studi- enreise ist Teil unseres Schülerprojektes „Zwischen Nonkonformität und Wider- stand“ zu Verfolgung und Widerstand in Südhessen während der NS-Zeit. Das Projekt findet in Kooperation mit der Georg-Christoph-Lichtenbergschule Ober- Ramstadt, sowie der Georg-August-Zinn- Schule Reichelsheim statt. Unser Ziel ist es, die Ergebnisse unseres Projektes im Herbst 2017 im Regierungspräsidium Darmstadt in Form einer Ausstellung prä- sentieren zu können, die vom Studien- kreis Deutscher Widerstand 1933 – 1945 Zynischer geht es nicht: Der Schriftzug „Arbeit macht frei“ am Tor des ehemaligen Eingangsgebäudes des KZ Dachau. anlässlich seines 50-jährigen Bestehens initiiert wird – mit Unterstützung von Ge- darauf folgenden Tag der Tagesausflug können wir nun in Dachau mit Hilfe der gen Vergessen – Für Demokratie e.V. zur KZ-Gedenkstätte Dachau in Kombi- Teamer des Max Mannheimer Studien- Unser Programm setzt sich aus drei Teilen nation mit einem, uns auf die Besichti- zentrums klären. Dementsprechend be- zusammen. Am Tag der Ankunft eine all- gung der Gedenkstätte vorbereitenden, trafen die im Vorhinein erarbeiteten Fra- gemeine Einführung in die Thematik, am Seminar durch das Max Mannheimer gen sowohl das komplexe bürokratische Studienzentrum, in dem wir Dokumen- System von Abkürzungen (z. B. „Sch“, te aus dem International Tracing Service „AZR“) und ihre Bedeutungen („Schutz- (ITS / Bad Arolsen) und der Gedenkstät- häftling“, „Arbeitszwang Reich“) – deren te Dachau untersuchen. Am Abreisetag Verständnis sich für eine Erschließung besuchen wir schließlich noch das NS- der Akten als unerlässlich herausgestellt Dokumentationszentrum München, wo hatte – als auch Fragen zu den Biogra- wir das bereits Gelernte in dem dort inte- phien der Inhaftierten. Manche unserer grierten Lernforum nochmals einordnen Fragen zu den Akten konnten leicht und vertiefen können. beantwortet werden, andere mussten erst näher bearbeitet und spezifiziert werden, Arbeit mit Dokumenten aus dem und manche stellten sich auch von der ITS Bad Arolsen: Der Workshop im Forschung noch als ungelöst heraus.

Fotos: Robert Lee Lorengel und Bernhard Schütz Fotos: Robert Lee Lorengel Max Mannheimer Studienzentrum Rundgang über das Gelände der Zur Vorbereitung der Studienreise hat- Gedenkstätte ten wir uns bereits im Unterricht inten- Als Vorarbeit für den Besuch der Ge- Analyse, Interpretation und „Kontextualisierung“ der siv mit verschiedenen Häftlingsakten denkstätte haben wir gleich nach unse- Dokumente unter der Anleitung von Robert Burkhard und Magdalena Geier, den Teamern des Max Mannhei- aus dem Archiv des ITS auseinanderge- rer Ankunft in München einige Akten mer Studienzentrums. setzt. Die dabei aufkommenden Fragen von Darmstädter Häftlingen gelesen, die »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 29 Nach dem Rundgang können wir noch das dortige Archiv und Lernforum eingehend nutzen: Neben interaktiven Karten gibt es Medientische, an denen wir Videos mit Zeitzeugeninterviews sehen und so vieles über die Einzelschicksale vor allem der Op- fer des nationalsozialistischen Herrschafts- systems erfahren. Wir lernen zum Beispiel die traurige Geschichte von Resi Baumann aus Rohrdorf bei Isny im Allgäu kennen. Aus unserer Ar b ei t Ihre Familie nahm 1937 das jüdische Pfle- Foto: Robert Lee Lorengel und Bernhard Schütz Foto: Robert Lee Lorengel gekind Gabriele Schwarz auf und hielt es Das letzte noch verbliebene Stück des Gleises, auf dem Häftlinge in das KZ Dachau kamen. Hier stießen die bis 1943 versteckt, bevor das damals noch amerikanischen Soldaten am 29. April 1945 auf einen Zug mit unzähligen verhungerten und ermordeten fünfjährige Mädchen gemeinsam mit Menschen: der sog. „Todeszug aus Buchenwald“. vielen anderen jüdischen Kindern in die » nach Dachau deportiert wurden, sowie au ein Arbeitslager war und kein Vernich- „Heimanlage für Juden, Berg am Laim“ Karten zum nationalsozialistischen La- tungslager, so wurden doch innerhalb gebracht wird. Von dort aus wird Gabriele gersystem studiert. Die Quellen des ITS der zwölf Jahre des Bestehens ca. 41.500 nach Auschwitz deportiert und ermordet. und der Gedenkstätte Dachau zeigen uns Menschen im Stammlager und in den Au- In dem Gespräch mit Resi Baumann wird zum Beispiel, dass das KZ Dachau selbst ßenlagern ermordet. Nach unserer Füh- deutlich, dass sie noch immer unter dem überwiegend mit männlichen politischen rung durch die KZ-Gedenkstätte sind sich brutalen Tod ihrer kleinen Pflegeschwester Häftlingen gefüllt wurde, Frauen waren alle einig, dass besonders die Gaskammer leidet. in den Außenlagern untergebracht. und das Krematorium einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen haben. Wir erfahren, dass Dachau das erste Ar- Beide sind noch original aus dem Jahr beitslager war, welches die Nazis errich- 1941. Die Gaskammer wurde zwar nicht teten, und dass es als Modell für weitere zur Massentötung eingesetzt, „Probever- Lager dieser Art diente. Auch wenn Dach- gasungen“ an einzelnen Personen und Kleingruppen wurden aber durchgeführt.

Quelle: 1.1.6.2/10325338,

Die rekonstruierten Baracken auf dem Bad Arolsen ITS Digital Archive, Gedenkstättengelände verdeutlichen die menschenunwürdigen Bedingungen, un- ter denen die Häftlinge leben mussten. Am 2. April 1945, wenige Wochen vor der Befreiung Nach allem, was wir heute gesehen ha- des Konzentrationslagers Dachau, starb Otto Sturm-

Quelle: 1.1.6.7/10777938, ben, ist uns klar, dass niemand der Insassen fels im sog. Häftlingskrankenbau. „Versagen von Herz und Kreislauf infolge Erysipel“ (Wundrose), glaubt man ITS Digital Archive, Bad Arolsen ITS Digital Archive, des Lagers durch Arbeit frei wurde. Das der abgebildete Meldebescheinigung „Abgang durch „Arbeitslager“ Dachau diente einzig und Tod“. Sturmfels war SPD-Landtagsabgeordneter in allein dem physischen und psychischen Darmstadt und anerkannter Rechtsanwalt. Man hatte ihn im Rahmen der „Aktion Gitter“ Ende August 1944 „Brechen“ der Eingesperrten, die Worte verhaftet und nach Dachau verschleppt. Dachauer Schreibstubenkarte zu Heinrich Weigand aus Darmstadt/Arheilgen. Ihm wurde 1935 im Zuge eines „Arbeit macht frei“ waren nur ein weite- Verfahrens gegen eine Gruppe Anarchosyndikalisten rer Weg, die Inhaftierten zu demütigen. Es war eine sehr informative und be- der Prozess gemacht. Wegen „Vorbereitung zum Hoch- stimmt nachhaltige Studienfahrt. Mit- verrat“ kam Weigand in das Zuchthaus Marienschloss bei Butzbach. Die Darmstädter holte ihn nach Fahrt in das NS-Dokumentations- genommen hat unser Leistungskurs Verbüßung seiner Gefängnisstrafe 1937 direkt am Tor zentrum in München viel neues Wissen, aber vor allem einen der Haftanstalt ab und verschleppte ihn nach Dachau. Aus dem Dokument kann man ersehen, dass Weigand Am Samstag besuchen wir das seit 2015 eigenen Zugang zur Geschichte des na- offensichtlich fliehen konnte (der rote „Flucht-Punkt“ bestehende NS-Dokumentationszentrum tionalsozialistischen Herrschafts- und und die entsprechenden Einträge: siehe unten links). Die Einträge „in K.A.“ („in Kommandanturarrest“) be- in München. An diesem Ort befand sich das Unterdrückungssystems. Fotos des La- legen, dass er mehrmals zusätzlich verschärfte Haftbe- ehemalige NSDAP-Parteiviertel mit dem gers und der Gedenkstätte kannten wir dingungen, die mit Folter verbunden waren, ertragen „Führerbau“ und dem „Braunen Haus“. schon, aber das alles mit eigenen Augen musste. Am 19. September 1944 floh Weigand vom Außenkommando Königssee, wird aber am 11. Januar Auch Reste des sogenannten Ehrentem- zu sehen und daran zu denken, wie viele 1945 wieder im KZ Dachau eingewiesen (siehe Eintrag pels sind noch erhalten. Mit einer Führung Menschenleben in Dachau zu Grunde ge- unten rechts: „Rü“).Einen Tag später wird er in das KZ Flossenbürg „überstellt“(Eintrag unten rechts: „Entl. u. durch die beeindruckende Ausstellung des gangen sind, ruft eine ganz andere, stär- Üb“). Inzwischen wissen wir, dass Heinrich Weigand Dokumentationszentrums wird uns ein kere Wirkung hervor. Wir wären gerne überlebte und 1971 in Haslach (Baden-Württemberg) starb. Seine Entschädigungsakte liegt im Hessischen Einblick vor allem in die Entstehungsge- noch länger in München geblieben, um Hauptstaatsarchiv Wiesbaden. schichte des Nationalsozialismus gegeben. noch intensiver mit den dortigen Quellen zu arbeiten. ■ Paula Kapp, Robert Lee Lorengel und Roxana Damaris Müller sind Schülerinnen und Schüler der Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt.

30 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 RAG Augsburg Schwaben

Ellen Schlunck

Geduld auch bei schwierigen Grundsatz-

fragen in der Geschichtsvermittlung Aus unserer Ar b ei t

Die fünfte Neumitglieder-Akademie der Regionalen Arbeitsgruppe Münsterland befasste sich mit der KZ-Gedenkstät- te Bergen-Belsen und den NS-Gewaltverbrechen im besetzten Baltikum.

Sehr nahe ging dem Plenum am Tagungs- ort im Waldschlösschen Gleichen ein Fachvortrag des deutschen Historikers Dr. Andrej Angrick. Er thematisierte Versuche der NS-Täter, vor Kriegsende die grausigen Foto: Ulrich Kleyboldt Spuren ihrer Massenverbrechen im besetz- ten Osten zu tilgen. „Aktion 1005“ lautete der unscheinbare Tarnname für die großan- gelegte Vertuschung, bei der KZ-Häftlinge Leichen aus Massengräbern exhumieren und beseitigen mussten. Michael Sturm von der Mobilen Beratung gegen Rechts- extremismus NRW aus Münster (mobim. info) sensibilisierte die Runde für Spra- che, Handlungs- und Urteilsfähigkeit, um rechtspopulistischen sowie rassistischen Parolen zu begegnen. Von ganz realen Be- gegnungen in Riga berichteten Hanna und Wolf Middelmann, die im Baltikum ehren- amtlich Shoa-Überlebende betreuen und dafür 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden. Ermöglicht wurde Harte historische Themen, herzliche Arbeitsatmosphäre: Die neu beigetretenen Mitglieder von Gegen Vergessen – die fünfte Neumitglieder-Akademie durch Für Demokratie e.V. erhielten in Gleichen nahe Göttingen und Bergen-Belsen vier Tage lang die Chance, die Wur- Unterstützung der Bundesgeschäftsstelle, zeln und Werte der parteiübergreifenden Vereinigung und Grundsatzfragen der Gedenkstättenpädagogik näher kennenzulernen. Erstmals war das Akademieprojekt bundesweit ausgeschrieben worden. der Stadt Münster und des Fördervereins Villa ten Hompel. Nach Pfingsten 2018 soll Herzliches Miteinander und hartes Rin- lysierte mit Peter Römer, dem wissen- es Folgeprojekte geben. ■ gen um Fakten zur Zeitgeschichte sowie schaftlichen Volontär der Villa ten Hom- Fragen rund um das Thema Zivilcourage: pel, Konzepte der Gedenkstätte für die In Gleichen bei Göttingen tagten jetzt Vermittlung an unterschiedliche Ziel- und Neumitglieder von Gegen Vergessen – Altersgruppen. Für die Stiftung nieder-

Für Demokratie e. V. aus dem Münster- sächsische Gedenkstätten empfingen die Foto: Stefan Querl land mit Regionalsprecher Horst Wie- Akademie-Teilnehmenden gemeinsam chers und Stefan Querl aus dem Team Marc Ellinghaus, den Leiter der Abteilung des Geschichtsortes Villa ten Hompel in „Bildung und Begegnung“ in Bergen-Bel- Münster. Erstmals waren bundesweit sen, sowie seine Kollegin Janine Doerry, junge Aktive aus anderen Regionalen Ar- wissenschaftliche Mitarbeiterin und Pro- beitsgruppen eingeladen worden, so wie jektkoordinatorin bei den Gedenkstätten Leo Hinz aus der Arbeitsgruppe in Bran- Gestapokeller und Augustaschacht. Bei- denburg, der die Kampagne „Wa(h)l. de gestalteten Rundgänge und standen Tauch nicht ab!“ vorstellte. geduldig Rede und Antwort. Während des Geschichtsworkshops

Einen Tag lang besuchte die Gruppe die Ellen Schlunck war bis Ende August 2017 Freiwillige im „FSJ Kultur“ in der Villa ten KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen und ana- Hompel. Sie ist Mitglied der Regionalen Arbeitsgruppe Münsterland. »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 31 Interview

„Es ist wichtig, Demokratie zu stärken“

Interview im Rahmen der Neumitglieder-Akademie der RAG Münsterland

Aus unserer Ar b ei t Eike Blüthner stammt aus dem Bundesland ist die Umsetzung im Bereich von Erinne- Bremen und ist Studierender der Evangeli- rungsarbeit zur NS-Geschichte nicht gera- schen Theologie, zunächst in Leipzig, jetzt de einfach, aber es ist gut, dass wir uns

in Münster. Ellen Schlunck interviewte den Foto: Bert Sterk gemeinsam über diese Schwierigkeiten 25-jährigen Teilnehmer der Neumitglieder- austauschen konnten. Akademie. Wir haben uns außerdem viel mit demo- Eike, du bist der Vereinigung Gegen kratischen Prozessen im Kleinen, mit mög- Vergessen – Für Demokratie e.V. lichen Problemen bei der Umsetzung und neu beigetreten. Was hat dich an der Legitimation demokratischer Entschei- der Arbeit, den Angeboten und der dungsprozesse befasst und einiges Hilfrei- Neumitglieder-Akademie besonders ches an die Hand bekommen. gereizt und interessiert? Welcher Programmpunkt hat dir Grundsätzlich, auch wenn es nach einer Eike Blüthner besonders gut gefallen? Phrase klingt, verhält es sich meiner Mei- nung nach trotzdem so: Es ist wichtig, erwerben und die Möglichkeiten suchen. Ein Highlight war für mich das Gespräch Demokratie zu stärken. Und zwar eine De- Praktisch heißt das: Ich kann mich bilden mit dem Ehepaar Middelmann aus Göt- mokratie, die möglichst niemanden aus- und vernetzen. Und genau das sind die tingen. Die Biografie, die ungewöhnliche schließt, in der individuelle Freiheit und Motive dafür, Gegen Vergessen – Für De- Weitsicht und das zivilgesellschaftliche sozialer Frieden für alle möglich werden. mokratie e.V. zu unterstützen und an den Engagement der beiden im Baltikum ha- Zugegeben, das ist eine Utopie. Aber auch Veranstaltungen teilzunehmen. ben mich sehr beeindruckt. Ihre Erfahrung ein Ziel und Ansporn. macht Mut, ich musste mich allerdings Welche Aspekte der Neumitglieder- auch fragen, wie es denn bei mir mit wirk- Demokratie ist keine Selbstverständlich- Akademie werden dir in deiner lichem, nicht bloß oberflächlichem Einsatz keit. Bloß, was kann ich persönlich tun täglichen Arbeit nützlich sein? gegen Unrecht, das ich kenne, bestellt ist. für die Demokratie? Ich habe, so scheint Unabdingbar waren für mich auch die es mir, weder die Fähigkeiten noch die Besonders anregend fand ich, dass wir uns Möglichkeit des Kennenlernens und die Möglichkeiten, etwas zu verändern. Aber mit dem Beutelsbacher Konsens und sei- Vernetzung mit anderen Mitgliedern von die Fähigkeiten kann ich vielleicht zum Teil ner Anwendung beschäftigt haben. Zwar Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. ■

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32 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 RAG Augsburg Schwaben

Sabine Roth und Gottfried Morath

Europa auf dem Prüfstand

Jugendliche unterschiedlicher Herkunft und mit verschiedenen Kulturen und Aus unserer Ar b ei t Religionen diskutieren respektvoll miteinander

Europa ist in der Krise. Themen wie der Euro, Brexit und Rechtsruck sind an der Tagesordnung. Doch wie sieht die Jugend ihre Zukunft in Europa? Darüber diskutierten sieben Jugendliche zwischen 17 und 27 Jahren mit Bezug zu Europa, Asien und Afrika beim zweiten Jugendgespräch in den Räumen des katholischen Kinderheims in Hochzoll.

Vorbildlich moderiert wurde die Ge- sprächsrunde von der 26-jährigen Lehrerin Parboni Rahman, die in Deutschland ge- boren ist und deren Eltern aus Bangladesh

kommen. Am Gespräch nahmen teil: Foto : Sabine Roth ■ Sarah Wagner, eine Rechtsreferenda- rin, die die Jusos mit ihrem Spezialthe- ma Europa vertritt, ■ Rohullah Shafi, ein beruflich erfolgrei- cher Flüchtling aus Afghanistan, der nach der Flucht in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Hochzoll wohnte, ■ Mousa Osman, ein junger Flüchtling aus dem Sudan, ■ die Französin Solène Bregeon, die ihren Master-Abschluss in Augsburg gemacht hat und jetzt als Angestellte arbeitet, ■ Hannah Volkmann, eine junge Jüdin mit Thema Europa: Jugendliche unterschiedlicher Herkunft diskutieren in Hochzoll. Abitur aus München, ■ Alex David aus Augsburg, jüdischer darität in Verbindung mit der Flüchtlings- sie sehr geschockt und geängstigt. „Die Student mit serbischer Herkunft. politik. „In Frankreich ist die Integration Deutschen sind da etwas scheinheilig“, gescheitert und die Integrationspolitik sagt sie. Inwiefern hat die EU dann noch Die Themen zu Europa waren sehr bunt: ist auch in Deutschland schwierig“, sagt eine Berechtigung? Hat das Wertesystem von der eigenen Identität, über die So- Solène Bregeon. Auch in den restlichen überhaupt noch Bestand? Die liberale lidarität der Länder in Europa bis zur Ländern Europas werde dieses Thema Jüdin Hannah Volkmann weiß, dass das Flüchtlings- und Entwicklungspolitik und unterschiedlich behandelt. Werte sind, die jeder EU-Bürger verinner- dem Antisemitismus reichte die Band- licht hat. Eine passende Antwort gebe es breite. Auf die Frage „Was versteht ihr Mousa Osman ist aus dem Sudan ge- darauf nicht. Minderheiten sollten gene- unter Europa?“ sagt Solène Bregeon, sie flüchtet. Er sagt: „Wir haben keine Frei- rell geschützt werden. Bei jüdischen Got- sei europäische Französin. Sie lebe hier heit in Europa!“ Diskutiert wurde das tesdiensten würden die Synagogen von und habe hier ihren Master gemacht. Thema des Zurückschickens von Geflüch- der Polizei überwacht. Das sei Normalzu- Rohulla Shafi ist aus Afghanistan ge- teten in die Heimat. Denn wenn jemand stand. Das bedauere sie. Antisemitismus flüchtet und hat inzwischen eine leiten- kommt, will er hier leben. Sarah Wagner, gebe es in ganz Europa, sie habe selbst de Position in einem Möbelhaus erlangt. Vertreterin der Jusos, fühlt sich zunächst keine Vorurteile erlebt, die Vorstellung Er fühle sich als schwarzer Europäer, zu als Deutsche, dann als Europäerin, sie be- von einem Krieg sei ihr ganz fremd. 60 Prozent als Deutscher und zu 40 Pro- mängelt die zu geringe Solidarität. Der zent als Afghane. Alex David musste als Brexit sei ein heilsamer Schock für die „Wir müssen zusammenhalten“ Kind aus Serbien flüchten, er lebt heute Europäer, führe zu mehr Zusammenhalt. Sarah Wagner meint, dass seit dem Bre- sehr gern in Augsburg. Er finde es posi- Sie hält einen Schüleraustausch für sehr xit die EU wieder auf einem besseren tiv, dass innerhalb der EU alles offen ist. wichtig, damit Freundschaften entstehen Weg sei. Letztendlich waren sich alle ei- Ein heiß diskutiertes Thema war die Soli- können. Der Krieg in der Ukraine habe nig: Wir müssen zusammenhalten, egal »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 33 » ob Moslem, Christ oder Jude. Es zahle hervorragend gelungen“, sagt Gottfried zoll. Deshalb freue er sich ganz beson- sich letztendlich aus. Morath, der den Abend in den Räumen ders, dass Duanne Moeser, sein Freund der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und Gründer des Vereins, als Gast dieses Das Interesse war groß. Rund 30 inte- Hochzoll initiiert hat. Damit würde ein Abends über seine Integration in Augs- ressierte Jugendliche und Erwachsene wichtiges öffentliches positives Zeichen burg und über seine Sicht als gebürtiger kamen in die Räume der Karwendelstra- gesetzt. Dieses Jugendgespräch passe da- Kanadier auf Europa spreche. Zu seinen ße 7 in Hochzoll und diskutierten fleißig mit sehr gut zum Zweck der Vereinigung erfolgreichen Zeiten als Eishockeyprofi mit. Auch danach gab es nur positive Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., habe er den gemeinnützigen Verein „7 x 7 Rückmeldungen von den Diskutieren- der überparteilich und bundesweit ist. gemeinsam stark für Kinder“ gegründet den, ebenso von den Zuhörerinnen und Denn Zweck des Vereins ist es, mit verschie- und in den letzten 13 Jahren mehr als Aus unserer Ar b ei t Zuhörern. denen Veranstaltungen an die schreck- 210.000 Euro an Spenden gesammelt, lichen Auswirkungen von Diktaturen zu hauptsächlich für die Kinder und Ju- „Die Grundlage für die Lösung von Prob- erinnern und damit die demokratisch gendlichen der Kinder-, Jugend- und Fa- lemen ist ein respektvolles Gespräch mit gesinnten Kräfte zu stärken. Er verwies milienhilfe Hochzoll. Als Moeser im Alter gutem Willen, sei es beim G-20-Gipfel, dazu auf die Internetseite der Regional- von 24 Jahren nach Sonthofen im Allgäu in der Stadt oder in der Familie. Für Ju- arbeitsgemeinschaft Augsburg-Schwa- kam, wurde er „ins kalte Wasser gewor- gendliche gibt es bisher nur wenige Ge- ben der Vereinigung. fen“ und musste sich dort ohne Familie spräche dieser Art, schon gar nicht in und Freunde integrieren. 1989 kam er dieser bunten Zusammensetzung. Jeder Gottfried Morath ist auch Vorstand des nach Augsburg und lernte bald seine soll erkennen, dass ein respektvolles und Vereins „7 x 7 – gemeinsam stark für Kin- spätere Frau kennen. Das wichtigste für friedliches Gespräch möglich ist. Und der e. V.“. Schon seit Langem bestehe die ihn war die deutsche Sprache, um kom- das ist den Jugendlichen heute Abend Patenschaft mit dem Kinderheim in Hoch- munizieren zu können. Er sei stolz auf seine Herkunft, aber das sei für ihn „nur Sabine Roth ist freie Journalistin und Redakteurin. ein Titel“. ■ Gottfried Morath ist Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Augsburg-Schwaben.

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„Kommunistische Diktaturerfahrungen – Das unsichtbare Gepäck. Ein Aspekt der Migrationsgeschichte und seine Wirkung bis heute.“

Gegen Vergessen FÜR DEMOKRATIE Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Kommunistische Diktaturerfahrungen – Das unsichtbare Gepäck. Ein Aspekt der Migrationsgeschichte und seine Wirkung bis heute.

Die neue Publikation von Gegen Vergessen – Ruth Wunnicke Für Demokratie e.V. unter Mitarbeit von Sabine Arnold, Michael Parak, Dennis Riffel, Nils Theinert

kann kostenfrei in der Berliner Geschäftsstelle bestellt werden oder online unter: 34 Gegenwww.gegen-vergessen.de/unsere-angebote/kommunistische-diktaturerfahrungen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 RAG Saar-Pfalz-Hunsrück

Katharina Klasen

Einsatz für Demokratie und Menschenrechte

Adolf-Bender-Zentrum gewinnt Saarländischen Weiterbildungspreis Aus unserer Ar b ei t

Seit Mai setzen sich im Saarland 38 junge Menschen als Mentoren für Menschenrechte, Vielfalt und Toleranz ein. Im Projekt „Gleiches Recht für alle – gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“ wurden sie von Mitarbeitenden des Adolf- Bender-Zentrums ausgebildet. Das Projekt erhielt im Juni den Saarländischen Weiterbildungspreis.

Der Saarländische Weiterbildungspreis wurde in diesem Jahr unter dem Motto „Erinnern für die Zukunft – Mehr Demo- kratiebildung wagen“ ausgelobt. Damit traf er genau ins Herz des Projektes „Glei- ches Recht für alle – gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“. Im Rahmen dieses Foto: Katharina Klasen von der Aktion Mensch geförderten Pro- jektes bildet das im saarländischen St. Wendel ansässige Adolf-Bender-Zentrum, die RAG Saar-Pfalz-Hunsrück, seit 2015 saarlandweit Jugendliche ab 14 Jahren zu Menschenrechtsmentoren aus. Aber was bedeutet das genau?

Die Jugendlichen besuchten über mehre- re Wochen außerschulische Workshops, die von Thomas Döring und Katharina Klasen vom Adolf-Bender-Zentrum gelei- tet wurden. Zu den Workshop-Inhalten gehörten die Beschäftigung mit Men- schenrechten, Vorurteilen, diskriminie- rendem Verhalten, Flucht und Asyl so- wie ein Zeitzeugengespräch mit Horst Bernard, dem ehemaligen Vorsitzenden Die Anerkennung für die geleistete Arbeit: Die Mentorinnen und Mentoren nehmen die Urkunde für den ersten Platz des Saarländischen Weiterbildungspreises entgegen. der Vereinigung der Verfolgten des Na- ziregimes – Bund der Antifaschistinnen für die Projektteilnehmenden. Denn oft „Fredis Geschichte hat mich sehr berührt“, und Antifaschisten Saar. Ein wichtiger wissen junge Menschen wenig bis gar erzählt die gleichaltrige Heidi. „Ich musste Baustein zur Demokratieförderung ist nichts darüber, dass die Nationalsozialis- weinen, als ich davon hörte.“ Fredi Wie- das Argumentationstraining gegen rech- ten Menschen mit körperlicher oder geis- dersporns Schicksal ist eines von vielen, te Parolen, in dem die Jugendlichen lern- tiger Behinderung in eigens eingerichte- die belegen, welche Folgen Ausgrenzun- ten, menschenverachtenden Aussagen ten Tötungsanstalten ermordeten, weil gen und Diskriminierungen in der NS-Zeit selbstbewusst entgegenzutreten und sie als „unnütze Esser“ und „Schwach- hatten. „Ich nehme aus diesem Workshop Position zu beziehen. Abgerundet wurde sinnige“ nicht in ihr Weltbild passten. Im mit, dass jedes Leben wertvoll ist“, sagt jede Projektphase durch die Realisierung Fokus des Workshops „,Euthanasie‘ im die 16-jährige Magdalena. Die 15-jähri- eines Kurzfilms. Nationalsozialismus“ stand das Schicksal ge Nicole ergänzt: „Mir wurde bewusst, von Fredi Wiedersporn aus Völklingen, warum die Auseinandersetzung mit der Getreu dem Motto „Erinnern für die Zu- der – als „nicht bildungsfähig“ gebrand- Geschichte auch heute noch wichtig ist: kunft“ stand die Auseinandersetzung mit markt – 1941 im Alter von 17 Jahren von Die Anerkennung der Menschenwürde ist den „Euthanasie“-Morden in der NS-Zeit den Nationalsozialisten im Rahmen der die Basis für unsere Demokratie und ein auf dem Programm. Keine leichte Kost Aktion T4 ermordet wurde. friedliches Zusammenleben.“ »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 35 » Von Mai 2015 bis Mai 2017 bildeten Thomas Döring und Katharina Klasen saarlandweit 38 junge, engagierte Men- schen zwischen 14 und 25 Jahren zu Menschenrechtsmentoren aus. Als Ko-

operationspartner agierten dabei unter Fotos: Katharina Klasen anderem der FV Schwalbach, das Schü- lerzentrum „Grünes Haus“ in Völklin- gen, das Jugendhaus Merzig, die Mar- tin-Luther-King-Schule Fraulautern, die Aus unserer Ar b ei t Gemeinschaftsschule In den Fliesen, das Max-Planck-Gymnasium und die Aka- demie für Erzieher und Erzieherinnen in Saarlouis.

„Ziel des Projektes ist es, die Jugendlichen nicht nur zu Mentorinnen und Mentoren, sondern zu starken Persönlichkeiten aus- zubilden, die ein breites Wissen über den Themenkomplex Menschenrechte besit- zen und sich für demokratische Werte Projektarbeit im Freien: Über mehrere Wochen arbeiteten die Jugendlichen in Projekten und Zeitzeugengesprä- einsetzen“, erläutert Katharina Klasen chen zu Themen wie Menschenrechte, diskriminierendes Verhalten oder Vorurteile. ihren Bildungsauftrag. Thomas Döring betont: „Eine Demokratie braucht enga- ersten Platz beim Saarländischen Wei- die Wahrung der Menschenwürde und gierte Bürgerinnen und Bürger und eine terbildungspreis zu belegen, bedeutet für eine Welt in Vielfalt einsetzen. Keine aktive Beteiligung. Sie lebt von der Ver- für sie eine große Anerkennung und leichte Aufgabe angesichts des aktuellen antwortung jedes Einzelnen. Als ausge- Wertschätzung ihrer Arbeit und ihres gesellschaftlichen Klimas. Doch davon bildete Mentoren sollen die Jugendlichen Engagements. Die Freude über die Aus- lassen sich die jungen Mentoren nicht wissen, was es mit den Menschenrechten zeichnung war ihnen am Tag der Preis- verunsichern. Die 15-jährige Vanessa ist auf sich hat, und in der Lage sein, Gleich- verleihung sichtlich anzumerken. In einer sich sicher: „Ich bin gegen Ausgrenzung altrigen mit Diskriminierungs-Erfahrun- eindrucksvollen Rede im Festsaal des und Diskriminierung. Daher werde ich gen unterstützend zur Seite zu stehen.“ Saarbrücker Schlosses sagte der 25-jäh- immer dagegen vorgehen und mich ein- rige Matthias, dass die Ausbildung zum mischen. Ich möchte nicht, dass sich Fredi Die Jugendlichen steckten viel Herz- Mentor aber auch eine große Verant- Wiedersporns Schicksal wiederholt!“ ■ blut, Energie, Ideenreichtum und einen wortung mit sich bringe: Aktiv wollten Großteil ihrer Freizeit in das Projekt. Den er und seine Mitstreiter sich fortan für Weitere Infos: www.adolfbender.de

Zeitzeuge Horst Bernard zeigt seine Dokumente.

Katharina Klasen ist Mitglied der Regionalen Arbeitsgruppe Saar-Pfalz-Hunsrück von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

36 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 RAG Münsterland

Julia Volmer-Naumann mit Unterstützung von Kristina Smolijaninovaité

Das internationale Ausstellungsprojekt

„Different Wars“ – „Verschiedene Kriege“ Aus unserer Ar b ei t

Ein länderübergreifender Vergleich der Darstellung des Zweiten Weltkriegs in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Die ersten Eindrücke über die Vergangenheit, die durch Schulbildung und Geschichtsbücher geprägt werden, gehören zu den stärksten. Lehrbücher enthalten das Wissen, das die jeweilige Gesellschaft an die nächste Generation weiter- geben möchte. Staaten benutzen sie als Instrumente für staatsbürgerliche Erziehung, indem sie Narrative konstruie- ren, die Identitätsbildung fördern, den sozialen Zusammenhalt stärken oder sogar Herrschaft legitimieren.

In Geschichtslehrbüchern werden die großen land und der Europäischen Union. Das von Fragen der Menschheitsgeschichte gestellt: Regierungen, Politik und Wirtschaft unab- Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin hängige Forum wurde 2011 gegründet und gehen wir? Für viele Schülerinnen und Schü- vereint heute knapp 150 Organisationen. ler ist der Geschichtsunterricht in der Schule Seine Ziele sind die Stärkung der Kooperati- die intensivste und längste Beschäftigung on zwischen zivilgesellschaftlichen Organisa- mit Geschichte in ihrem Leben. tionen und der aktive Beitrag zu einer stärke- Foto: Julia Volmer-Naumann ren Verbindung zwischen Russland und der Schulbücher stehen unter staatlicher Kon- EU, basierend auf gemeinsamen Werten wie trolle. Deshalb haben sie den Ruf, beson- Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- ders objektiv und vertrauenswürdig zu sein. rechte und Gerechtigkeit. Auf dieser Koope- Wenn wir uns jedoch ein Lehrwerk aus der rationsplattform entstand die Arbeitsgruppe Vergangenheit ansehen oder das eines an- „Historical Memory and Education“, aus deren Landes, stellen wir schnell fest, dass deren Zusammenarbeit das Projekt „Diffe- dies eine Illusion ist. Lehrbücher vermitteln rent Wars“ hervorging. An der Arbeit für die den Geist ihrer Zeit und sind Ausdruck des Ausstellung beteiligten sich Historikerinnen politischen Umfelds und der Kultur, in denen und Historiker, Geschichtslehrerinnen und sie geschrieben werden. Geschichtslehrer, Mitglieder zivilgesellschaft- licher Organisationen und Engagierte aus Mit diesen Ansatzpunkten im Kopf entstand Deutschland, Italien, Litauen, Polen, Russ- im Rahmen des „EU-Russia Civil Society Fo- land und Tschechien. rum“ (CSF) die Idee zu einer vergleichenden Ausstellung über die Darstellung des Zweiten Das ist auch der Grund dafür, dass die Aus- Die erste Station der Ausstellung „Verschiedene Kriege“ Weltkriegs in aktuellen Schulgeschichtsbü- stellung „Different Wars“ – „Verschiedene war im April 2017 die Bezirksregierung in Münster. chern verschiedener Länder: „Different Wars. Kriege“ die Unterschiede in den Erzählungen National School Textbooks on WWII“ wird seit und der Wahrnehmung der Geschichte des hungen zwischen Staaten und die Ansichten dem Frühjahr 2016 in einer russisch- und eng- Zweiten Weltkriegs in aktuellen Geschichts- übereinander. lischsprachigen Version präsentiert. Im Früh- büchern weiterführender Schulen dieser jahr 2017 wurde mit Unterstützung von Ge- sechs Länder zeigt. Dies spiegelt sich auch in den Schulgeschichts- gen Vergessen – Für Demokratie e.V. auch die büchern der sechs für die Ausstellung unter- deutsch-sprachige Ausstellung „Verschiedene Warum entschieden sich die Mitglieder der suchten und präsentierten Länder wider – Kriege. Nationale Geschichtslehrbücher über Arbeitsgruppe gerade dafür, die Darstellung nicht zuletzt wurde deshalb der Titel „Dif- den Zweiten Weltkrieg“ in Münster eröffnet. des Zweiten Weltkriegs vergleichend zu be- ferent Wars“ – „Verschiedene Kriege“ ge- trachten? Der Zweite Weltkrieg bleibt eines wählt. Je nachdem, ob der Zweite Weltkrieg Das CSF mit Sitz in Berlin, das die Wander- der schmerzlichsten und konfliktreichsten aus einer Opfer- oder Täterperspektive, aus ausstellung initiiert hat, ist ein Netzwerk von Kapitel in der Erinnerung der europäischen Besiegten- oder Siegersicht erlebt oder inter- Nichtregierungsorganisationen unterschied- Nationen. Bis heute prägen der Krieg und pretiert, ob offen über den Krieg und die mit licher thematischer Ausrichtung aus Russ- seine Nachwirkungen die politischen Bezie- ihm einhergehenden Verbrechen diskutiert »

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 37 Schwerpunktsetzungen und wesentlichen Aspekten der Erinnerung. Der zweite Teil setzt sechs thematische Schwerpunkte, zum Beispiel „Holocaust“ oder „Konsequenzen“,

Foto: Gudrun Wolff und stellt die in den Lehrbüchern präsentier- ten Materialien und Interpretationen verglei- chend nebeneinander. Besucherinnen und Besucher können durch die „(Buch-) Seiten der Geschichte“ gehen, um Themen und Lehrmethoden der Geschichtsbücher in den Aus unserer Ar b ei t unterschiedlichen Ländern kennenzulernen.

Die drei verschiedensprachigen Versionen der Ausstellung wurden bisher gezeigt in Moskau (Russland), Prag (Tschechien), Jeka- Ausstellungsbesuch von Schülerinnen und Schülern eines gymnasialen Leistungskurses Geschichte aus dem terinburg (Russland), Perm (Russland), No- nordrhein-westfälischen Unna. wosibirsk (Russland), im Europäischen Parla- ment in Straßburg (Frankreich), in Krasnojarsk » oder Tabuzonen wie Kollaboration und Ver- Kriegsverbrechen häufig zugunsten der Dar- (Russland), Mailand (Italien), Sankt Peters- klärungen hinsichtlich der Politik gegenüber stellung des antifaschistischen und antideut- burg (Russland), Vilnius (Litauen), Münster Nazideutschland beibehalten wurden und schen Widerstands. (Deutschland), Wojnowice (Kreis Wrocław, werden, sind auch die Schulbuchinhalte ge- Polen) und Syktywkar (Republik Komi, Russi- staltet. Allein schon an diesen Schlaglichtern lässt sche Föderation). Die nächste Ausstellungs- sich erkennen, dass eine Auseinanderset- station ist der Europäische Ausschuss der Re- Die historisch gewachsenen und aktuellen zung mit der curricularen Präsentation und gionen in Brüssel (Belgien). ■ Narrative der jeweiligen Länder und ihrer Interpretation des Zweiten Weltkriegs in un- Gesellschaften werden im Geschichtslehr- terschiedlichen Ländern lohnenswert ist. Da- buch sichtbar: Während das Thema Holo- bei haben es die Ausstellungsmacherinnen caust in deutschen Lehrbüchern eine zen- und -macher aber weder darauf angelegt, trale Rolle einnimmt, werden in Russland nur Konfliktlinien oder Defizite aufzuzeigen, dessen Opfer als eine Gruppe unter vielen noch die verschiedenen Ansätze zuguns- Kriegsopfern präsentiert. Die russische Dar- ten einer glättenden Vereinheitlichung zu stellung des Zweiten Weltkriegs wird domi- nivellieren. Sie wollen mithilfe der Multi- niert von der Präsentation des heroischen so- perspektivität der Ausstellung im Gegenteil wjetischen Kampfes gegen das faschistische Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen Hitlerdeutschland. In Litauen überlagert die und Interpretationen der historischen Ge- Ansicht, dass man von zwei Besatzungsre- schehnisse wecken, Diskussionen anstoßen gimen, erst dem deutschen, später dem so- und letztlich zu einem vielfältigen und Un- wjetischen, aufgerieben wurde immer noch terschiede akzeptierenden, „europäischen“ die Auseinandersetzung mit Themen wie Blick auf den Zweiten Weltkrieg gelangen. Kollaboration oder Antisemitismus. Ähnlich Dieser Ansatz ist nicht immer leicht auszu- ist es in Tschechien, wo zudem die Vertrei- halten. Das lässt sich schon daran ablesen, bung der deutschsprachigen Bürger als logi- dass es bei Ausstellungseröffnungen in sche Konsequenz aus dem Kriegsgeschehen Russland Proteste gegen die „zu westliche“ beschrieben wird. In polnischen Geschichts- Ausrichtung der Ausstellung gab, in Litauen Design: Laura Klimaite, Berlin. © EU-Russia Civil Society Forum e.V., Berlin Design: Laura Klimaite, Berlin. © EU-Russia Civil Society Forum e.V., curricula verstärkt sich gerade der Trend, den hingegen kritisiert wurde, die sowjetischen Opferstatus einerseits und den heldenhaften Handlungen würden beschönigt. Einladung zur Eröffnung der deutschsprachigen Ver- sion der Ausstellung „Different Wars“, deren Fertig- Untergrundkampf gegen die Besatzer ande- stellung durch Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. rerseits zur Stärkung eines nationalistischen Die Ausstellung „Different Wars“ – „Ver- gefördert wurde. Narrativs zu benutzen. Und italienische Lehr- schiedene Kriege“ ist in zwei Teile geglie- bücher überblenden die lange Phase der Ko- dert: Der erste widmet sich den einzelnen operation mit Hitlerdeutschland und eigene Ländern, ihren spezifischen Erzählungen, Der englischsprachige Katalog zur Aus- stellung ist zum Preis von 10 Euro beim Dr. Julia Volmer-Naumann ist freie Mitarbeiterin des Geschichtsorts Villa ten „EU-Russia Civil Society Forum“ bestellbar: Hompel, Münster. Sie hat das Projekt „Different Wars“ – „Verschiedene Kriege“ [email protected] als Redakteurin betreut. Kristina Smolijaninovaité ist die stellvertretende Leiterin des Sekretariats des „EU-Russia Civil Society Forum e. V.“, Berlin. Sie hat die Ausstellung mit initiiert, koordiniert und Teile des litauischen Beitrags verfasst.

38 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 ■ RAG München stellt sich vor

Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. ist dort stark, wo sich engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammenfinden, um vor Ort gemeinsam für die Demokratie einzutreten. Derzeit bestehen bundesweit 38 regionale Arbeitsgruppen und Sektionen, die wir an dieser Stelle vorstellen möchten – mit den Gesichtern, die dahinter stehen. In dieser Ausgabe gibt Ilse Macek Auskunft, die die Regionale Arbeitsgruppe München leitet. Aus unserer Ar b ei t

Name: Ilse Macek

Geburtsdatum: 19. Oktober 1947 Foto: Privat

Beruf: Abteilungsleiterin Stadtteilarbeit an der Münchner Volkshochschule (seit 2012 in Rente)

Motto unserer Initiative: Da muss ich erst eines suchen! Max Mannheimers Motto war: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Das passt gut zu uns. Ist von Bertolt Brecht. Auch gut ist das von Molière: „Wir sind nicht nur verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“

So bin ich bei Gegen Vergessen – Seit 1998 Mitglied, 2008 wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Sprecherin der Für Demokratie e. V. gelandet: Münchner Gruppe zu werden. Ich habe mich gefreut, bejaht und wurde als Sprecherin auf einem Mitgliedertreffen gewählt.

Daraus ziehe ich Motivation für Zusammen mit vielen anderen politisch arbeitenden Münchner(inne)n die ehemalige meine ehrenamtliche Arbeit: „Hauptstadt der Bewegung“ liebens- und lebenswert zu gestalten, besonders für Minderheiten.

Diese Themen interessieren Wissenslücken über die Münchner jüdische Geschichte zu schließen, Recherchieren über mich besonders: und Gedenken an andere NS-Opfer (Opfer der Krankenmorde, Zwangsarbeiter, verfolgte Kommunisten und Sozialdemokraten), Erinnerungspolitik allgemein und vor allem: dem neuen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen.

Hier bin ich außerdem aktiv: Publikationen im Bereich der NS-Zeitgeschichte, Stadtteilkultur- und -geschichtsarbeit, Aktionen mit dem Münchner Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat.

Die Regionale Arbeitsgruppe … in der Großstadt München gut vernetzt und steht in Austausch und Kooperation mit München ist … anderen Trägern der politischen Bildung sowie mit politischen Akteuren, die viel bewe- gen (und muss deswegen nicht „alles selber machen“ oder „das Rad neu erfinden“).

Für die Arbeit in der RAG … mehr aktive Menschen, die sie mit neuen Akzenten fortführen. wünsche ich mir, …

Und zu guter Letzt: Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. ist so wichtig, weil ein Blick auf die letzten 70 Jahre zeigt, dass wir in unserem Land immer wieder neu anfällig sind für Geschichtsver- gessenheit, Unzufriedenheit, dumpfe Ohnmachts- und Minderwertigkeitsgefühle, die in Wut umschlagen, nach Schuldigen suchen lassen und blind machen für die Gefährlich- keit einfacher Lösungen. Stattdessen sollten wir den eigenen Verstand gebrauchen und Impulse „von unten“ für eine demokratische und soziale Entwicklung setzen.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 39 Nils Theinert

Volker Issmer – Porträt

Bereits im November 2016 wurde Dr. Vol- eingerichtet worden, in einem ehemali- ker Issmer, Historiker und freier Autor aus gen Schachtgebäude eines nahegelege- Osnabrück sowie langjähriges Mitglied nen Hüttenwerkes. Wie über 100 weitere Foto: Privat von Gegen Vergessen – Für Demokratie Lager im Deutschen Reich diente es dem e.V., mit der Bürgermedaille der Stadt Os- Zweck, ausländische Arbeiter, die für nabrück ausgezeichnet. Dies erfolgte „in die deutsche Kriegswirtschaft Zwangs-

Na men un d Nac hri c h t en Anerkennung des langjährigen ehren- arbeit leisteten, zu disziplinieren und amtlichen Einsatzes um die wissenschaft- ihren Widerstand zu brechen. Zwischen liche Aufarbeitung der Geschehnisse der Januar 1944 und April 1945 starben von regionalen NS-Geschichte und seines 2.000 Häftlingen aus über 20 Nationen nachdrücklichen Engagements dafür, die über 100 an Misshandlungen, Kälte und Kenntnis über und das Bewusstsein für Krankheit. die Schrecken der Herrschaft des Natio- nalsozialismus wach zu halten“, wie es in Issmer gelang es nach über 50 Jahren, der Begründung des Rats der Stadt Os- die weitgehend vergessene Geschich- nabrück heißt. Zudem ist er Träger des Volker Issmer te des Lagers wieder ans Tageslicht zu Marion-Samuel-Preises 2002 der Stiftung holen. Heute ist der Augustaschacht Erinnerung und erhielt 2003 die Aus- Osnabrücker Raum Opfer oder Täter wa- eine Gedenkstätte, die zusammen mit zeichnung des Landschaftsverbandes Os- ren. Durch die literarische Vermittlung der Gedenkstätte Gestapokeller in der nabrücker Land e. V. sowie im September der komplexen Zusammenhänge möch- Osnabrücker Innenstadt einen überaus 2003 die Ehrengabe der Stadt Georgsma- te Issmer einen verständlichen Einblick wichtigen Beitrag in der historisch-poli- rienhütte. in die Beweggründe des Handelns sehr tischen Bildung vor Ort leistet. Aus den unterschiedlicher Menschen geben und Forschungen zum Arbeitserziehungslager Grund genug, einen Blick auf seine lang- aufzeigen, dass die Aufarbeitung der da- entsprang auch der zweisprachige Sam- jährige Erinnerungsarbeit im Raum Osna- maligen „Einzelgeschehen“ noch lange melband „Niederländer im verdammten brück zu werfen. nicht abgeschlossen ist. Land“, mit dem Issmer an seine Recher- chen zum Lager Ohrbeck anknüpfte und Ebenfalls 2016 erschien der letzte Teil Issmer kann auf langjährige Erfahrungen als Herausgeber die Geschichten nieder- seiner Lesebuch-Trilogie „Fremde Zeit – in der literarischen und wissenschaftli- ländischer Zwangsarbeiter und ihrer An- Unsere Zeit“, worin der Autor auf Basis chen Aufarbeitung des Nationalsozialis- gehörigen veröffentlichte. seiner langjährigen Forschung in nur mus im Osnabrücker Land zurückblicken. teilweise fiktiven Geschichten vom Den- Nach dem vorzeitigen Ausscheiden aus Auch als Romanautor machte Issmer auf ken und Fühlen von Menschen erzählt, dem Schuldienst als Gymnasiallehrer wid- sich aufmerksam. Im Roman „Zahngold“ die während des Nationalsozialismus im mete er sich der Forschung und promo- etwa erzählt er die auf wahren Begeben- vierte 2003 zur Geschichte des Arbeits- heiten basierende Geschichte von Aaron erziehungslagers Ohrbeck bei Osnabrück und Siegfried. Siegfrieds Vater war hoch- vor dem Hintergrund von Zwangsarbeit rangiger NS-Funktionär und ließ sich aus und Kriegsgefangenschaft im Zweiten dem 1938 geplünderten Gold der ört- Weltkrieg. Das Lager war durch die Ge- lichen Synagoge neue Zähne machen. stapo im Augustaschacht bei Osnabrück Mitte der 1990er-Jahre taucht Aaron als einziger Shoa-Überlebender seiner Fami- lie bei Siegfried auf und fordert das Gold ■ Buchinformation: zurück. Dies zwingt Siegfried dazu, sich Volker Issmer mit seiner Familiengeschichte auseinan- Fremde Zeit – Unsere Zeit. Ein Lesebuch, Teil III. derzusetzen, und führt ihn bis zum psy- Geest-Verlag, Vechta 2016 chischen Zusammenbruch. ■ Taschenbuch, 267 Seiten ISBN 978-3-86685-581-6 · 12,50 € Ein Überblick zu den zahlreichen Werken Volker Issmers mit ausführlichen Inhalts- Nils Theinert studiert im Masterstudiengang Public History an der FU Berlin und ist beschreibungen findet sich auf seiner studentischer Mitarbeiter von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. Homepage: www.volker-issmer.de

40 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Annalena Baasch

Maikäfer, flieg!

Christine Nöstlinger ist eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen im deutschen Sprachraum. Nun wurde ihr au- tobiografischer Roman über ihre Kindheit im Krieg verfilmt. Die österreichische Regisseurin Mirjam Unger setzt in „Maikäfer, flieg!“ das Leben der jungen Christine in den letzten Kriegswochen in Szene und schafft so einen ernsten und anregenden Familienfilm, der von Flucht und Krieg, Freundschaft und einem großen Abenteuer erzählt.

Stell dir vor, es ist Krieg. Du kennst nichts ein halbes Schwein eintauschen sollen“ –, Cohn, dem russischen Koch, anfreunden?

anderes, du wirst im Krieg groß. Stell dir andererseits kann sie träumen, Dinge nicht Die Freundschaft zu Cohn steht sinnbildlich Na men un d Nac hri c h t en vor, der Frieden ist so lange her, dass du verstehen (wollen) und verdrehen, wie es für Christls Fähigkeit, sich nicht in die Welt dich nicht mehr an ihn erinnern kannst. Für wohl Kinder überall zu jeder Zeit können. und die Vorurteile der Erwachsenen hinein- viele Kinder und junge Leute, die heute in Für Christl scheint der Krieg nicht nur All- ziehen zu lassen. In ihrer Charaktereigen- westlichen Ländern aufwachsen, ist dieses tag sondern viel mehr Abenteuer als Be- schaft, vollkommen offen auf alle Men- Szenario unvorstellbar. Krieg ist eine abs- drohung zu sein. schen zuzugehen und sich ein eigenes Bild trakte Sache, die ihren Großeltern und Ur- von dem zu machen, was ihr als Bedrohung großeltern zugestoßen ist und die ihnen in Nachdem sie die zerbombte Nachbarschaft präsentiert wird, liegt der Dreh- und Angel- Nachrichten begegnet, sie aber meist nicht verlassen haben, ziehen Christl, ihre ältere punkt des Films. Denn Christl ist nicht nur direkt betrifft. Schwester und ihre Mutter in eine Villa in die Protagonistin des Filmes, er wird aus ih- Neuwaldegg, ein Traumhaus im Grünen. rer kindlichen Perspektive erzählt. Mit ihrer Der Film „Maikäfer, flieg!“ spielt in den Nur widerwillig hat Christl das zerstörte Sicht der Dinge bringt sie regelmäßig die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Viertel hinter sich gelassen, schließlich sind Erwachsenen im Film – und möglicherweise Protagonistin ist die neunjährige Christl, die ihre Großeltern zurückgeblieben. Doch nicht nur dort – zur Verzweiflung. mit ihrer Familie in Wien lebt und für die schon bald läuft Christl barfuß durch den ein Lied nahe an der Realität ist: „Maikäfer Garten, streitet sich mit dem Nachbarskind „Maikäfer, flieg!“ erzählt trotz vieler leich- flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist im und findet im Sohn der in die Villa einge- ter Momente auch von Gewalt, selbst wenn Pulverland, Pulverland ist abgebrannt, Mai- zogenen Witwe Braun einen neuen Spiel- diese oft nicht gezeigt wird. Dazu gehören käfer flieg, der Vater ist im Krieg …“ Kurz kumpan. Christls Welt ist ein Abenteuer. Szenen des Chaos und der Verzweiflung nachdem ihre Familie ausgebombt wird, So absurd dies klingen mag, sie weiß die nach einem Bombenangriff, eine Straßen- sitzt Christl – verdreckt und mit Nasenblu- Ausnahmesituation des Krieges auszunut- kontrolle, worauf Schüsse und Schreie aus ten – in den Trümmern ihrer Nachbarschaft, zen und ihr Kindsein auszukosten. Denn zu dem Off folgen. Allgegenwärtig ist die das Chaos um sich herum kaum wahrneh- welch anderer Zeit darf man seinen Teller Angst vor den russischen Soldaten, die be- mend. Doch steht sie nicht unter Schock. ablecken, deftig fluchen und hat dauerhaft trunken und unberechenbar sind. Herzzer- Christl blickt durch eine Christbaumkugel, schulfrei. brechend ist die Szene, in der Christl end- die ihrer verstaubten grauen Umwelt etwas lich ihre Großeltern wiedersieht und mit der Farbe verleiht und die sie sich immer wieder Trotzdem ist das kleine Mädchen bald mit Traumatisierung ihrer Großmutter konfron- vor ihre Augen halten wird. Trotzdem ist sie ihr unverständlichen Problemen und Fragen tiert wird. Wer sich auf Christls Perspektive sich ihrer Umwelt bewusst und hat einen konfrontiert: Warum muss der Vater – de- einlassen kann, erlebt einen Film, in des- ausgeprägten Realitätssinn – „ich hab‘ doch sertiert aus dem Lazarett, Granatsplitter sen Zentrum ein Appell für Offenheit und gesagt, wir hätten das blöde Klavier für noch im Bein – sich im Keller verstecken, Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten zuerst vor den Deutschen und dann vor steht. Somit ist „Maikäfer, flieg!“ nicht nur den Russen? Wieso haben alle Angst vor ein Film für Kinder sondern für Menschen den russischen Soldaten, die eines Tages jedes Alters, und ein Film mit dem Potenzial, vor der Haustür stehen und dann in die Villa den Austausch zwischen verschiedenen Ge- ziehen? Und warum darf sie sich nicht mit nerationen und Nationalitäten anzuregen. ■

Annalena Baasch studiert im Masterstudiengang Public History an der FU Berlin und ist studentische Mitarbeiterin von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

■ Information:

Weitere Informationen zum Film und zu Kinoterminen: http://www.wfilm.de/maikaefer-flieg/ Die DVD ist ab 20. Oktober 2017 erhältlich. Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. ist Kooperationspartner des Films „Maikäfer flieg!“.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 41 Schutzwall für eine zukunftsfähige deutsche Friedenskultur

Gernot Erler R e z ensionen

Der Historiker und Friedensforscher Wolf- stellung von Richard Grelling: „In der Un- Republik. Diese musste scheitern, weil der ram Wette, der als der profilierteste deut- schuldsbewegung steckt der Keim zu neu- „Schwertglaube“ mit der Novemberrevo- sche Erforscher von Militarismus und Pa- en Kriegen“ (1926) und das folgende Zitat lution und mit dem Versailler Vertrag nicht zifismus gelten kann, hat unter dem Titel des Autors: „Von einer Justiz, die lange vor besiegt war – das Gegenteil war der Fall. „Ernstfall Frieden“ ein beeindruckendes 1933 die bloße kritische Aufarbeitung des Gegen Militarismus und Revanchismus Lese- und Arbeitsbuch vorgelegt, das zurückliegenden Krieges zu unterbinden hatte die Minderheit der Friedenswilligen seine jahrzehntelange Beschäftigung mit versucht hatte, führte ein direkter Weg keine Chance. Pazifisten wurden als „No- diesem Thema summiert und dabei offen in den NS-Staat.“ Wette sucht und findet vemberverbrecher“ an die Wand gestellt und engagiert seine persönlich gezogenen in Deutschland die Verantwortlichen für und verwirkten als „Landesverräter“ oder „Lehren aus der deutschen Geschichte seit die beiden großen Kriege des 20. Jahr- „Wehrverräter“ sogar ihr Recht auf Leben. 1914“ darlegt. Auf 640 Seiten gelingt es hunderts und widerspricht mehrfach so Das war der Weg in den NS-Staat. ihm, 26 verschiedene Texte aus seiner Fe- vehement Christopher Clarks Schlafwand- der, darunter elf Vortragsmanuskripte, in lerthese („The Sleepwalkers. How Europe Mit großer Überzeugungskraft schildert einer Weise zusammenzufügen, dass ein went to war in 1914“, 2012), dass man Wolfram Wette das „System der Kriegs- neues Ganzes entsteht, bei dem auch ge- meinen könnte, dessen These, wir seien in lügen“ als wirksames Instrument gegen legentliche Wiederholungen eher wie ein den Ersten Weltkrieg gemeinsam „hinein- jedes Lernen aus der Geschichte. Im Ers- didaktisches Mittel wirken und nicht stö- geschlittert“, hätte den letzten Anstoß für ten Weltkrieg ging es natürlich um „Lan- ren. Über 500 Abbildungen – zeitgenössi- das große Projekt vom „Ernstfall Frieden“ desverteidigung“, die Reichswehr war „im sche Fotos, Plakate, Karikaturen, Buchtitel gegeben. Felde unbesiegt“ zum Opfer von Dolch- und vieles mehr – sowie eine Fülle von stoß-Attacken geworden. Auch der Zwei- Quellentexten und Zitaten unterstreichen Sehr gründlich beschäftigt sich Wette mit te Weltkrieg war ein „Präventivkrieg“, den Charakter des Arbeitsbuches. der Kriegsschuldfrage von 1914. Warum am 1. September 1939 wurde ab 5.45 kam es nicht zu Massenprotesten und Uhr „zurückgeschossen“. Die schlimms- Ausgangspunkt und Namensgeber des wieso schwenkten auch die Sozialdemo- ten Massaker des Vernichtungsfeldzuges Buches ist das berühmte Zitat von Bundes- kraten letztlich auf Kriegskurs? Er lässt nach Osten wurden regelmäßig als „Ver- präsident Gustav Heinemann aus dem Jahr für die Vorgeschichte Wilhelm II. mit ei- geltung“ für angeblich vorausgegangene 1969, wonach nicht der Krieg der Ernstfall nem drastischen Zitat zu Wort kommen: Angriffe, etwa von Partisanen, legitimiert. ist, sondern der Frieden, „in dem wir uns „Erst die Sozialisten abschießen, köpfen Der Militarismus kann die Wahrheit nicht alle zu bewähren haben“. Wolfram Wette und unschädlich machen, wenn nötig, vertragen, für ihn ist „Schuld“ ein Unwort, greift diesen Auftrag auf und macht dar- per Blutbad, und dann Krieg nach außen. und er setzt auf die mehrheitliche Bereit- aus eine Grundfrage an die neuere deut- Aber nicht vorher und nicht a tempo.“ schaft, bequeme Kriegslügen zu glauben. sche Geschichte: Wie gingen denn die Sie wurden nicht geköpft, die Sozialisten, Eigentlich ist der ganze Band „Ernstfall verschiedenen Bewährungsproben aus? aber sie hatten noch die Zeit der Unter- Frieden“ eine Antwort auf diese sich stän- Wie stellten sich die Kräfteverhältnisse drückung des bismarckschen Sozialisten- dig reproduzierende Provokation. zwischen Militaristen und Friedensaktivis- gesetzes (1878–90) im Kopf. Sie wollten ten dar, von 1914 bis heute, und welche nicht als „vaterlandslose Gesellen“ daste- Wolfram Wette lenkt unseren Blick auf Lehren wurden aus den Kriegskatastro- hen und ihre stolze Organisation erneut die chronisch Unterlegenen, die Frieden- phen gezogen? Dabei zieht sich bei Wette in Gefahr bringen. Daher stimmten sie im als roter Faden durch alle Kapitel die Frage August 1914 schließlich den Kriegskredi- der Schuld, ihrer Anerkennung oder Leug- ten zu, mit weitreichenden negativen Fol- nung und damit die Frage der Chancen gen für das gesamte Parteiengefüge und von Lernprozessen. Dazu passt die Fest- die Machtverhältnisse in der Weimarer

Wolfram Wette Ernstfall Frieden: Lehren aus der Geschichte seit 1914.

Donat-Verlag, Bremen 2017 Gebundene Ausgabe, 640 Seiten ISBN 978-3-943425-31-4 · 24,80 €

42 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 saktivisten. Er würdigt den Mut und das mit kriegerischen Mitteln zu entmachten bei neueren Tendenzen zur „Enttabuisie- Wirken von Pazifisten und Friedenskämp- war.“ Was die Erfolge der Friedensbewe- rung des Militärischen“ zu sein und einer fern, die nicht jedem Laien bekannt sein gung bis heute angeht, fehlt in dem Band „schleichenden Militarisierung der Au- dürften, etwa der Marineoffizier und jede Überzeichnung oder Blauäugigkeit. ßen- und Sicherheitspolitik“ in Deutsch- Schriftsteller Hans Paasche oder der Phi- Aber man muss Wolfram Wette zustim- land entgegenzutreten. Die Mehrheit der losoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm men, wenn er konstatiert, die Friedensbe- Menschen ist skeptisch geworden ge- Foerster. Sie wurden ebenso angefeindet wegung habe Massenlernprozesse geför- genüber militärischen Interventionen und R e z ensionen wie Albert Einstein oder Martin Niemöller, dert, ohne die das Aufbegehren der 68er, sympathisiert mit der seit Ende des Kal- denen der Autor jeweils eigene Kapitel die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die ten Krieges bei uns gewachsenen neuen widmet. Wette schreckt nicht davor zu- Erfolge der Entspannungspolitik und der Friedens- und Erinnerungskultur, die jedes rück, die Möglichkeiten und Grenzen des Wertewandel hin zu einer neuen Friedens- Schlussstrich-Postulat energisch zurück- Pazifismus im Grundsatz zu diskutieren. und Erinnerungskultur nicht möglich ge- weist. Vielleicht ist es die beste Würdigung Einstein sah sich im Angesicht von Hitlers worden wären. von Wolfram Wettes Lebenswerk, wenn Aufstieg gezwungen, sein fundamentales man seinem Band „Ernstfall Frieden“ die pazifistisches Credo zu überprüfen. Er kri- Wenn der Friede der Ernstfall ist, in dem Fähigkeit bescheinigt, ein starkes Bollwerk tisierte die Appeasement-Politik und riet wir uns bewähren müssen, dann heißt zu sein gegen jeden Angriff auf diese Frie- dazu, sich auf die militärische Konfron- das bei Wolfram Wette, heute wachsam denskultur. ■ tation mit dem NS-Staat vorzubereiten. Auch bei Wette selbst finden wir den Satz: Dr. h. c. Gernot Erler ist Staatsminister a. D. und Mitglied von Gegen Vergessen – „Nun ist es unbestreitbar, dass Hitler nur Für Demokratie e.V.

Zur Geschichte der Sinti im 20. Jahrhundert

Wolfgang Dästner

Dieses Sachbuch stellt faktenreich und mann überlebte Lager und anschließen- ser Sinti-Jazz-Virtuose Titi Winterstein ohne romantisierende Emotionalität dar, de Flucht, stand auch die demütigenden (bürgerlicher Name: Christian Spindler, wie die 18-jährige Sinteza Zilli Reich- Entschädigungsbemühungen durch und 1956 – 2008) entstammte der Familie mann, geboren 1924, und ihre gesam- fand dann mühsam zu einem für sie er- Spindler aus Herbolzheim, circa 25 Ki- te Familie aus ihrem gewohnten Leben träglichen Leben zurück. Sie ist jetzt 93 lometer nördlich von Freiburg im Breis- gerissen wurden. Viele Jahre lang hatten Jahre alt und lebt in Mannheim. gau. Er war der Sohn von Franz Spindler die Reichmanns, da sie als Schausteller (Sintiname: Tokeli) und dessen Frau Wil- oft die Orte und sogar die Länder wech- Die Lektüre fordert von den Leserinnen helmine Winterstein (Sintiname: Lola), selten, den Behörden immer wieder ent- und Lesern Stärke. Denn was da nüch- deren Nachnamen er sich als Künstler kommen können. Doch im Juni 1942 tern, detailliert und zuweilen erschre- zulegte. Vater Franz Spindler fungierte wurde Zilli bei einer Razzia in Straßburg ckend und schonungslos an unfassbar als Laufbursche bei Hermann Diman- verhaftet, später die gesamte Fami- menschenverachtender Brutalität ge- ski und konnte als eines der wenigen lie. Sie gelangten im März 1943 in das schildert wird, verschlägt einem mehrfach Mitglieder der großen Familie Spindler „Zigeunerlager“ Auschwitz. Zilli Reich- die Sprache. Sensible Menschen brau- überleben, auch dank der Hilfe Dimans- chen in einer Lesepause vielleicht trös- kis (der sich nach 1945 Diamanski nann- tende Musik: Sei es Bachs Passionsmusik te). Dessen Biografie hatte der Autor „Erbarme Dich“ oder Titi Wintersteins Heiko Haumann schon 2011 erforscht Sinti-Jazz, dessen lebensfrohe Rhyth- und konnte nun die Zusammenhänge men zum Weiterlesen ermutigen. Die- herstellen. Auch Zilli überlebte nur dank »

Heiko Haumann Die Akte Zilli Reichmann. Zur Geschichte der Sinti im 20. Jahrhundert.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016 Gebundene Ausgabe, 368 Seiten ISBN 978-3-10-397210-8 · 24,00 €

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 43 » des Engagements von Dimanski, der als Schaustellerfamilien berichtet, auch über geduldet; eine geglückte Integration ist Funktionshäftling von 1943 bis 1944 im das Heiraten auf „Zigeunerart“ und das das nicht. Es gibt zwar Projekte, die dazu Zigeunerlager tätig war und dennoch Problem der ständigen Suche nach gastli- geführt haben, dass die Sinti sesshaft, da- innerhalb des SS-Systems viel eigenen chen Stellplätzen. Das ist die bedrücken- mit auch gesellschaftlich aus großer Ar- Handlungsspielraum hatte. Allerdings de Erkenntnis: Antiziganismus bestand mut befreit wurden und nun zunehmend wurde er wegen zu großer Häftlingsbe- schon lange vor den Nationalsozialisten in sozialer Sicherheit leben können. Aber R e z ensionen günstigung 1944 abgelöst. Er überlebte und existierte nach dem Ende des Dritten der Verlust ihrer traditionellen Kultur ist und konnte bei den Auschwitzprozessen Reiches in vielen Gesellschaftskreisen na- für viele Sinti schmerzlich. Die Normen als wichtiger Zeuge aussagen. Dieser gut hezu bruchlos weiter. der Mehrheitsgesellschaft bleiben vielen lesbare und sprachlich klar formulierte Mitgliedern der Siedlungen noch fremd, Text ist spannend bis zur letzten Seite. Davon zeugt auch die unvollständige wie Heiko Haumann am Beispiel Frei- Die Protagonistin Zilli Reichmann wird juristische Aufarbeitung der „Zigeuner- burgs beschreibt. dem neugierigen Leser bald so vertraut, verfolgung“. Ein Detail empört in beson- dass er empathisch miterlebt, was ihr und derem Maße: Zilli konnte ihre vierjährige Das Buch überzeugt wissenschaftlich ihrer Familie in den Jahren der Diskrimi- Tochter Grete, die 1940 in Eger, im dama- in jeder Hinsicht. Der Lesefluss wird nir- nierung, der Verfolgung und der Gefan- ligen Sudetenland, geboren wurde, nicht gends unterbrochen, denn die rund 600 genschaft im KZ zugestoßen ist. vor der Vergasung in Auschwitz retten. Anmerkungen auf über 100 Seiten An- Bei den Entschädigungsanträgen wurde hang mit Quellen- und Literaturnachwei- Alle diese Ereignisse hat Zilli Reichmann- argumentiert, dieses Kind habe nie inner- sen stören nicht. Die häufigen Hinweise Schmidt ausführlich dem Autor Heiko halb der deutschen Grenzen von 1937 auf Internetseiten ermöglichen es, alle Haumann erzählt, der nun dieses Ein- gelebt, sei also nicht berechtigt, Entschä- Fakten nachzuprüfen. zelschicksal in die Geschichte der Sinti digungsleistungen zu erhalten. 1937 ge- und Roma einbindet, sodass eine ein- hörte Eger noch zur Tschechoslowakei Der Autor lässt ganz vorsichtig durchschei- zigartige Kultur- und Alltagsgeschichte und Auschwitz zu Polen. nen, dass das Nachvollziehen und Darstel- der Sinti im 20. Jahrhundert aufgeblät- len dieser Schicksale für ihn von großer tert wird. Ausführlich wird über die Le- Die etwa 70.000 Sinti, die in Deutschland Bedeutung war. In gewisser Weise wird es bensgewohnheiten der nicht sesshaften leben, fühlen sich vielfach bis heute nur Leserinnen und Lesern auch so gehen: Sie haben ein bedeutendes Buch gelesen. ■ Wolfgang Dästner ist Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Südbaden von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

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44 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Berlin unterm Hakenkreuz – Der Bericht einer Berliner Jüdin

Bernward Dörner R e z ensionen

„Gleich nach Kriegsausbruch merkten wir, anderen Ausgetauschten nach Palästina beratungsstelle gleichbedeutend mit dem dass sein Programm, das Ju- gelangt war, schrieb sie ihre noch frischen Empfang eines Todesurteils. Denn an die dentum auszurotten und das jüdische Volk Erinnerungen an das von Not und Todes- Kündigung schloss sich gewöhnlich nach verelenden zu lassen, programmmäßig in angst geprägte Leben in der Reichshaupt- einigen Tagen die Evakuierung an.“ In die- die Tat umsetzte“. Doch nicht wenige stadt nieder. Sie verfasste ihren Bericht ser verzweifelten Lage entschlossen sich Verfolgte hofften noch, der aufziehenden zwischen Ende 1942 und März 1943. Er viele Jüdinnen und Juden, sich das Leben Katastrophe zu entgehen: „Trotzdem gab wurde 1943 anonym in Tel Aviv von der zu nehmen: „Das Jüdische Krankenhaus in es immer noch Juden oder Jüdinnen, die, Interessenvertretung der deutschen Juden, der Iranischen (Exerzier-) Straße existierte besonders anfänglich, dachten, es wird al- dem Irgun Olej Merkas Europa, veröffent- noch. […]. Das Krankenhaus war in letz- les nicht so heiß gegessen, wie es gekocht licht. Alperowitz‘ Bericht ist nun, 74 Jahre ter Zeit ständig überfüllt, besonders von wird.“ So erinnert sich um die Jahreswen- danach, versehen mit historischen Erläute- Selbstmordkandidaten, denen ihr Vorha- de 1942 / 43 eine Berliner Jüdin, der es ge- rungen, neu erschienen. ben nicht gelungen war. Wir anderen Ju- lang, dem Holocaust zu entgehen. den fragten uns oft: Wozu ruft man diese Blanka Alperowitz schildert eindrucksvoll armen Menschen wieder ins Leben? Wir Blanka Alperowitz wurde 1883 in Fürsten- die täglichen Schikanen, die darauf ab- beneideten einen jeden, der seine Augen walde geboren. Die Tochter des jüdischen zielten, den Juden das Leben immer mehr für immer schloss, und betrachteten es im- Gelehrten Albert Katz (1858–1923) ar- zu verunmöglichen. „Nichtarier“ durften mer als eine große Gnade, wenn einer von beitete seit den 1920er Jahren in Berlin- beispielsweise nur zwischen 16 und 17 uns auf natürliche Weise starb.“ Pankow als Religionslehrerin im Diens- Uhr einkaufen: „Das Einkaufen, zu dem te der Jüdischen Gemeinde. Seit 1939 der Jude auch immer nur in abgehetzten Blanka Alperowitz zeichnet ein differen- übernahm sie Aufgaben im Katasteramt Zustande kam, manchmal nur ein oder ziertes Bild des Verhaltens der deutschen der Jüdischen Kultusvereinigung zu Ber- zweimal in der Woche, bedeutete ein Mehrheitsbevölkerung. Gerade nach der lin, auf deren Karteien die Gestapo bei wahres Martyrium, schon deshalb, weil Einführung der Zwangskennzeichnung ihrer Planung der Transporte in den Tod immer irgend eine liebevolle Naziseele, habe es sehr unterschiedliche Reaktionen angewiesen war. Alperowitz gelang es meistens eine Person aus der nationalen gegeben: „Der Eindruck, den wir Stern- mehrfach, den todbringenden Deporta- ‚Frauenschaft‘, eifrig aufpasste, dass nur träger auf die nichtjüdische Bevölkerung tionen „in den Osten“ zu entgehen. Sie nicht ein Jude eine Minute früher den La- ausübten, war ganz verschieden. Manche konnte im Herbst 1942 im Rahmen eines den betrat oder eine Minute später den kleine Kinder, von drei und vier Jahren, die Austausches mit in Palästina lebenden Laden verließ, als erlaubt war. War doch noch gar nicht lesen konnten, riefen schon Templern deutscher Staatsangehörigkeit Angeberei bei diesen Leuten ein besonde- in der Nachbarschaft einem nach: ‚Jude, NS-Deutschland verlassen. Ihrem seit 1939 res Vergnügen und wurde auch gut be- Jude!‘ (Ich nehme an, dass treue Partei- in Palästina lebenden Ehemann Jakob (der lohnt.“ Die Ausplünderung, Demütigung mütter ihnen das schon vorher beige- die dortige Staatsangehörigkeit angenom- und Entrechtung der Juden mündete in bracht hatten!) Der Kutscher eines Brau- men hatte) war es mit Unterstützung der einen Zustand wachsender Todesangst: ereiwagens, der an mir vorbeifuhr, machte Jewish Agency gelungen, sie auf eine zwi- „Mit dem Augenblick, als die Evakuierun- eine Handbewegung, in der er den Zeige- schen Großbritannien und NS-Deutsch- gen anfingen – in Berlin im Oktober 1941 finger an die Stirn legte. Backfische, die land ausgehandelte Liste zu setzen – ihre (in anderen Städten, z. B. Stettin, hatten gerade aus der Schule kamen, riefen: ‚Es Rettung. Nachdem Blanka Alperowitz mit sie schon früher begonnen) – da war der leuchten die Sterne!‘ (Der Name eines da- Empfang eines Briefes von der Wohnungs- mals laufenden Films.) Und sehr oft hörte »

Prof. Dr. Bernward Dörner lehrt Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitis- musforschung der TU Berlin.

Blanka Alperowitz, herausgegeben von Klaus Hillenbrand, Geleitwort von Hermann Simon Die letzten Tage des deutschen Judentums (Berlin Ende 1942)

Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2017 Gebundene Ausgabe, 144 Seiten ISBN 978-3-95565-192-3 · 17,90 €

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 45 » ich von vorübergehenden, meistens et- so schlecht. Sonst würdet Ihr ja alle nicht densgenossen auf lebensgefährliche Auf- was intelligenter aussehenden Ariern, in mehr leben.‘ Ich pflegte in solchen Fällen zeichnungen verzichteten und ermordet freundlichem Ton die Worte: ‚Orden pour immer zu antworten: ‚Nein, Ihr seid ja alle worden sind, eine der wenigen zeitgenös- le Semite!‘“ Das Spektrum der geschilder- nicht so schlecht. Wenn aber der Führer sischen jüdischen Zeuginnen des Leidens ten Reaktionen darf allerdings keineswegs Euch heute den Befehl geben würde, uns im Vorfeld der Deportationen. Sie schildert darüber hinwegtäuschen, dass viele Deut- den Kopf abzuschlagen, dann würdet Ihr die Not der Berliner Jüdinnen und Juden R e z ensionen sche zwar den Weg in den Genozid nicht das alle tun, allerdings mit tränendem so nüchtern und konkret wie möglich. begrüßten, ihn aber mehrheitlich zumin- Auge, und ihr würdet sagen: Wir wollen Gerade deshalb vermittelt ihr Buch jedem, dest hinnahmen. Alperowitz schildert die es ja nicht. Es tut uns allen so leid – aber der ihre Zeilen liest, einen beklemmenden damals in Deutschland vorherrschende wir müssen doch, der Führer befiehlt.‘“ So Eindruck von der verzweifelten Lage, in Mentalität so: „Es ist wirklich zu verwun- wurde das Menschheitsverbrechen an den der sich die Juden damals befanden. Dem dern, dass bei der niemals aufhörenden, europäischen Juden möglich. Herausgeber dieses Zeugenberichts aus im Gegenteil, sich stetig steigernden Ju- der NS-Hauptstadt während des Holo- denhetze nicht schon längst sämtliche Ju- Die Bedeutung des Buches liegt darin, caust, Klaus Hillenbrand, kommt der gro- den in Hitler-Europa umgebracht worden dass es die Lage der Juden in Deutschland ße Verdienst zu, diese hochinteressante sind. Man hat uns gerade in den ersten während des Holocaust aus der Binnen- Quelle und ihre Verfasserin dem Vergessen Zeiten des Krieges […] mit den Worten perspektive der „Nichtarier“ beschreibt. entrissen zu haben. ■ zu trösten versucht: ‚Wir sind ja gar nicht Blanka Alperowitz ist, da fast alle ihrer Lei-

Als Bibelforscherkind im „Dritten Reich“

Nils Theinert

Die Münchenerin Rita Glasner war drei was unter anderem dem bayerischen Es beschreibt die Jugend Rita Glasners Jahre alt, als die Nationalsozialisten in Staatsministerium ein Dankesschrei- und macht nachvollziehbar, wie sie sich Deutschland an die Macht kamen. Ihre ben des Erzbischofs von München und als Heranwachsende mit dem unmensch- Eltern waren als Zeugen Jehovas oder Freising, Kardinal Faulhaber, bescherte. lichen NS-Regime konfrontiert sah. Es Bibelforscher, wie sie auch weiterhin Durch ihre Weigerung, Kriegsdienst zu handelt dabei vor allem vom Kampf der vom Volksmund genannt wurden, der leisten, den Hitlergruß zu entbieten und Eltern, an ihren Überzeugungen trotz Verfolgung durch das NS-Regime aus- weltliches über „göttlichem“ Recht zu der Verfolgung durch die Nationalso- gesetzt. Die Bibelforscherbewegung akzeptieren, wurden die Zeugen verfolgt zialisten festzuhalten. Ihre Mutter hielt war aufgrund ihrer internationalen und und zahlreiche Mitglieder in Konzentra- an ihren Wertvorstellungen fest, wäh- streng pazifistischen Ausrichtung schon tionslagern ermordet. Auch Rita Glas- rend ihr Vater, wie es Wilker ausdrückt, früh ins Visier der NS-Propaganda ge- ners Eltern wurden zeitweise verhaftet, Kompromisse eingehen musste, da er raten. Schon 1924 hatte die antisemi- ihr Vater von der Gestapo gefoltert, die als Angehöriger der Organisation Todt tische Zeitschrift „Der Stürmer“ gegen Mutter entging 1944 dem Todesurteil in auch Mitglied der Wehrmacht wurde. die Bibelforscher als eine durch das einem Prozess des Volksgerichtshofes. Auch Rita hielt an ihren Überzeugungen „internationale Judentum“ gesteuerte fest und transportierte sogar verbotene Organisation gehetzt. Schon früh nach Das Buch von Christoph Wilker basiert Schriften der Zeugen Jehovas. Rita präg- der Machtergreifung wurden die Zeugen auf jahrelangen Gesprächen mit Rita te diese Erfahrung ihr ganzes Leben. ■ verboten (in Bayern am 13. April 1933), Glasner sowie zahlreichen Dokumenten.

Nils Theinert studiert im Masterstudiengang Public History an der FU Berlin und ist studentischer Mitarbeiter von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Christoph Wilker Ich hatte eine gerade Linie, der ich folgte. Die Geschichte von Rita Glasner, einem Bibelforscherkind im „Dritten Reich“ Volk Verlag, München 2015 Gebundene Ausgabe, 200 Seiten ISBN 978-3-86222-165-3 · 14,90 €

46 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 Vorstand und Beirat

Geschäftsführender Vorstand Prof Dr. Bernd Faulenbach, Vorsitzender, Historiker Bernd Goldmann, Schatzmeister, ehemaliger Direktor der UBS Ekin Deligöz, Stellvertretende Vorsitzende, MdB Deutschland AG, Niederlassung Berlin Eberhard Diepgen, Stellvertretender Vorsitzender, Kerstin Griese, MdB Regierender Bürgermeister von Berlin a.D. Ernst Klein, Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppen von Dr. Irmgard Schwaetzer, Stellvertretende Vorsitzende, Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. Bundesministerin a.D., Präses der Synode der Evangelischen Kirche Dr. Ulrich Mählert, Schriftführer, Zeithistoriker bei der Bundesstiftung in Deutschland zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand at n d un Beir at V ors ta Vorstand Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen a. D., Dr. Anja Kruke, Leiterin des Archivs der sozialen Demokratie der Vizepräsident von Magna International Friedrich-Ebert-Stiftung Dr. Andreas H. Apelt, Bevollmächtigter des Vorstands der Deutschen Uta Leichsenring, ehemalige Leiterin der Außenstelle Halle des Gesellschaft e. V. Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Erik Bettermann, ehemaliger Intendant der Deutschen Welle Winfried Nachtwei, Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik, Prof. Dr. Friedhelm Boll, Historiker am Historischen Forschungszent- MdB a. D. rum der Friedrich-Ebert-Stiftung Paul Nemitz, Direktor für Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Tilo Braune, Staatssekretär a. D., Geschäftsführer der Hamburger Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission in Brüssel Gesellschaft zur Förderung der Demokratie und des Völkerrechts e. V. Dr. Maria Nooke, stellvertretende Direktorin der Stiftung Berliner Mauer Prof. Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundesministerium Prof. Dr. Friedbert Pflüger, Direktor des European Centre for Energy der Justiz a. D. and Ressource Security Dr. Alfred Geisel, Vizepräsident des Landtages von Baden-Württemberg a. D. Prof. Dr. Ernst Piper, Historiker, Verleger Iris Gleicke, MdB, Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Dr. Melanie Piepenschneider, Leiterin Politische Bildung der Bundesländer Konrad-Adenauer-Stiftung Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes Ulrike Poppe, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der Dr. Norbert Haase, Historiker, ehemaliger Geschäftsführer der Stif- kommunistischen Diktatur in Brandenburg tung Sächsische Gedenkstätten Prof. Dr. h.c. Klaus G. Saur, Verleger Christoph Heubner, Geschäftsführender Vizepräsident des Internatio- Dieter Schulte, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Gewerk- nalen Auschwitz Komitees (IAK) schaftsbundes Dr. Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln Lala Süsskind, ehemalige Vorsitzende des Vorstandes der Jüdischen Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Professor für Geschichtsdidaktik an der Gemeinde zu Berlin Universität Leipzig Lothar Tautz, Pädagoge und Pastor Birgit Kipfer, Sprecherin der Regionalen Arbeitsgruppe Baden-Würt- Linda Teuteberg, MdB temberg, Vorstandsvorsitzende der Stiftung „Lernort Demokratie – Dr. h.c. Josef Thesing, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär Das DDR-Museum Pforzheim“ der Konrad-Adenauer-Stiftung Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusge- Ernst-Jürgen Walberg, ehemaliger Kulturchef von NDR 1 Radio meinde München und Oberbayern, ehemalige Präsidentin des Zentral- Mecklenburg-Vorpommern rats der Juden in Deutschland Arnold Vaatz, MdB, Staatsminister a. D. Hannelore Kohl, Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts und Prof. Dr. Gert Weisskirchen des Landesverfassungsgerichtes in Mecklenburg-Vorpommern a.D. , MdB a. D.

Ehrenvorsitzender Dr. h.c. Joachim Gauck, Bundespräsident a. D.

Beirat Prof. Dr. Rita Süssmuth, Vorsitzende, Bundesministerin a. D., Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer, Theologe und Bürgerrechtler Präsidentin des Deutschen Bundestags a. D. Walther Seinsch, Unternehmer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Prof. Dr. Hubert Burda, Verleger FC Augsburg Rainer Braam, Unternehmer Barbara Stamm, Präsidentin des Landtages von Bayern Dr. Thomas Goppel, Mitglied des Landtages von Bayern, Dr. Monika Wulf-Mathies, Gewerkschafterin, EU-Kommissarin a. D. Staatsminister a. D. Prof. Dr. Berthold Leibinger, Gesellschafter der Trumpf GmbH & Co. KG

Geschäftsführer Dr. Michael Parak

Ehemalige Vorsitzende Wolfgang Tiefensee, 2012 – 2014, Wirtschaftsminister in Thüringen Dr. h.c. Hans Koschnick, 2000 – 2003, Bürgermeister von Bremen a. D. Dr. h.c. Joachim Gauck, 2003 – 2012, Bundespräsident a. D. Dr. Hans-Jochen Vogel, 1993 – 2000, Bundesminister a. D.

Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 94 / Oktober 2017 47 »EIN FAMILIENFILM VON 9 BIS 99 MIT BERÜHRENDEN BILDERN UND MUT MACHENDEN AUSSICHTEN.« NÖN

»EIN STÜCK SENSIBEL VERFILMTE ZEITGESCHICHTE.« KRONEN ZEITUNG

ein Film von Mirjam Unger Maikäfer, flieg! Zita Gaier Ursula Strauss Geraldnach dem Votava Roman von Christine Nöstlinger Konstantin Khabensky Heinz Marecek Krista Stadler

F ND ILM E J G U

Ab 20. Oktober auf DVD U R J und als Video on Demand Y

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