Ehrhardt Grimm-Sammlung.Pdf (604.4Kb)
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In: Matthias Schulze (Hrsg.): Historisches Erbe und zeitgemäße Informationsinfrastrukturen: Bibliotheken am Anfang des 21. Jahrhunderts. kassel university press: Kassel 2020, S. 157-197; ISBN: 978-3-7376-0909-8 157 Holger Ehrhardt Die alte Kasseler Grimm-Sammlung Vorgeschichte Das Gedenken an die Brüder Grimm war in Kassel nach deren Tod eher verhalten. Erst mit dem hundertjährigen Geburtstag Jacob Grimms am 4. Januar 1885 begann die Stadt, sich öffentlich in eine Beziehung zu den beiden Gelehrten zu setzen: Die Hessischen Blätter widmeten den Brüdern Grimm eine ganze Nummer,1 spendeten den Erlös allerdings noch für das in Hanau projektierte Grimm-Denkmal. An das „Märchenhaus“ in der Marktgasse wurde eine Gedenktafel angebracht und im großen Saal der Landesbibliothek wurden zwei von Carl Hassenpflug angefertigte Marmor- büsten aufgestellt. Dort wurde vom 4. bis 17. Januar auch eine „Ausstellung sämmtlicher Werke der Grimm in chronologischer Reihenfolge“ organisiert, die eine größere Anzahl „interessanter Autographen der Brüder, namentlich an hessische Gelehrte“2 zeigte. Zu guter Letzt schenkten die Kinder Wilhelm Grimms der Landesbibliothek noch zwei Teilbände des Handexemplars der Erstausgabe von Jacob Grimms Deutscher Grammatik (1819). Damit waren einige Exponate zusammengekommen, die als der Beginn einer Kasseler Grimm-Sammlung angesehen werden dürfen. Es war eher ein bürger- schaftliches, nicht städtisch-administratives Engagement, als aus dem Kreis der Landesbibliothek die Idee zu einem Kasseler Grimm-Museum kam, die am Michaelistag 1898, zum hundertjährigen Jubiläum des ersten Einzugs der Brüder Grimm in Kassel, der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte.3 Als man in Hanau jedoch im Oktober 1896 das Brüder-Grimm-Denkmal enthüllte und Pläne für ein Grimm-Museum gefasst wurden, zu dem auch 1 Hessische Blätter, Nr. 1096, 4. Januar 1885. 2 Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Nr. 7, 7. Januar 1885, S. 93. 3 Vgl. Lohmeyer, Edward: Die Kasseler Grimm-Gesellschaft 1896 bis 1905. Erster Geschäftsbericht, Kassel 1906, S. 3. 158 noch Wilhelm Grimms Sohn Herman Erinnerungsstücke beisteuern wollte,4 empfand man dies in Kassel als Affront gegen die eigenen Museumspläne und es kam zu neuen Überlegungen, wie die Stadt mit dem Erbe der Brüder Grimm umgehen solle. Man entschloss sich, die in der Landesbibliothek vorhandenen Sammlungen auszubauen. Der Direktor Edward Lohmeyer schrieb am 8. November 1896 einen Brief an Herman Grimm, in dem er umriss, „dass in weiteren Kreisen der Industriestadt Hanau […] herzlich wenig Verständnis für die gesamte Stellung und Bedeutung der Brüder vorhanden zu sein scheint“, Kassel hingegen „der gegebene Ort“ und „die Landesbibliothek, die langjährige Stätte des Wirkens der Brüder, die gegebene Stelle“5 für eine Grimm-Sammlung sei. Die bereits gesammelten Grimm-Bestände sollten dieses Kasseler Anrecht untermauern: Bibliotheks- kataloge und Akten von der Hand der Brüder Grimm, die kurfürstliche Entlassungsverfügung von 1829, Bücher mit eigenhändigen Widmungen, ihre eigenen Werke und Werke über die Brüder Grimm, zahlreiche, „im Ganzen Hunderte“6 Originalbriefe, Briefe von Ludwig Emil Grimm, Briefe an die Brüder Grimm, Radierungen Ludwig Emil Grimms, zwei Bände der Handexemplars der Deutschen Grammatik, Bilder der Brüder und ihrer Bekannten, das Entwurfsmodell Carl Hassenpflugs für das Hanauer Denkmal und dessen beide Marmorbüsten im Bibliothekssaal. Lohmeyer wies zudem auf das breite Interesse in Kassel hin, die dem Andenken der Brüder Grimm gewidmete Sammlung nicht in Hanau, sondern hier zu begründen und bat Herman Grimm um Unterstützung. Dieser verwies in seiner Antwort auf sein früheres Geschenk der Grammatik-Handexemplare und darauf, dass die Papiere und anderen Handexemplare der Brüder Grimm dem „Grimmschrank“ der Königlichen Bibliothek in Berlin zufallen würden. 4 Vgl. dazu Casseler Allgemeine Zeitung, Nr. 313, 11. November 1896. 5 Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Grimm, Br 5895 (Edward Lohmeyer an Herman Grimm, 8. November 1896 [Abschrift]). – Der Briefwechsel wurde auch abgedruckt in der Oberhessischen Zeitung, Nr. 287, 6. Dezember 1896. 6 Ebd. 159 Er bat jedoch darum, ihm mitzuteilen, was sonst „noch von [ihm] gethan werden könnte.“7 Lohmeyer musste nun erkennen, dass die von ihm geplante große Kasseler Grimm-Sammlung nicht mehr zu Stande kommen konnte, sondern die gegenüber Berlin sehr viel kleineren Kasseler und Hanauer Sammlungen nur „neben einander bestehen und wachsen“8 konnten. Dennoch bat er Herman Grimm um mögliche „Zuwendung des einen oder anderen kleinen Erinnerungsstückes“9, worauf dieser sich auch bereit erklärte, eine „Sammelstelle für Grimmreliquien“ in Kassel zu unterstützen und zu fördern. Landesbibliothek, Grimm-Gesellschaft, Grimm-Sammlung Am 13. November 1896 trafen sich auf Initiative der Landesbibliothek 19 Herren, um einen „Ausschuß zur Förderung einer Kasseler Grimm-Samm- lung“ zu gründen,10 der am 1. Dezember einen entsprechenden Aufruf veröffentlichte. Darin bat der Ausschuss um geeignete Erinnerungstücke, die „noch in vielen Familien vorhanden“ seien: Bilder jeder Art, Büsten, Reliefs usw. von den Brüdern, ihren Vorfahren, Nachkommen, Verwandten und Freunden, die künstlerischen Erzeugnisse Ludwig Grimms, Originalbriefe der Brüder und an die Brüder, Hand- schriften von ihnen, ihre gedruckten Werke in den verschiedenen Auflagen, auch die unendlich vielen Märchenausgaben und -bearbeitungen, Bücher und Abhandlungen ü b e r d i e G r i m m s , die zahllosen und mannigfaltigen in 7 Casseler Tageblatt und Anzeiger, Nr. 324, 22. November 1896, Zweites Blatt, sowie Oberhessische Zeitung, Nr. 287, 6. Dezember 1896. 8 Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Grimm, Br 5896 (Edward Lohmeyer an Herman Grimm, 11. November 1896 [Abschrift]). 9 Ebd. 10 Vgl. Lohmeyer, Edward: Die Kasseler Grimm-Gesellschaft 1896 bis 1905. Erster Geschäftsbericht, Kassel 1906, S. 4. 160 Tageszeitungen und Wochenblättern über sie erschienenen Aufsätze und Mitteilungen [...].11 Wie Edward Lohmeyer im Ersten Geschäftsbericht der Kasseler Grimm- Gesellschaft (1905) mitteilte, kam es danach zu einem „bedauerlichen und vielfach recht unerquicklichen Federkrieg, der sich in Zeitungen und Briefen zwischen den Hanauer und den Kasseler Grimmfreunden entwickelte“12. Die Hanauer „Grimm-Museums-Gesellschaft“ löste sich jedoch schon in den ersten Jahren ihres Bestehens wieder auf und übergab die bis dahin gesammelten Exponate dem dortigen Geschichtsverein. In Kassel hingegen gründete man am 29. Januar 1897 eine Kasseler Grimm-Gesellschaft, die sich um den weiteren Aufbau der Grimm-Sammlung unter dem Dach der Landesbibliothek kümmern wollte. Man setzte sich zunächst mit „Besitzern von Grimm-Erinnerungen in Beziehung“13 und im Mai 1897 konnte schon eine erste Ausstellung die bis dahin erworbenen Grimm-Erinnerungen zeigen. Die Kosten zum Erwerb von weiteren Exponaten mussten wegen der knappen Finanzmittel der Kasseler Grimm-Gesellschaft zunächst von der Landesbibliothek getragen werden. In ihrer Satzung war im § 2 festgelegt, eine Sammlung zusammen zu tragen, „die, im Anschluß an den auf der Landesbibliothek in Kassel befindlichen Grundstock, Erinnerungen aller Art an die Brüder, an ihren Verwandten- und an ihren Freundeskreis vereinigt und in das Eigentum der genannten Anstalt übergeht, soweit nicht ander- weite Rechte vorbehalten sind“14. Untergebracht wurde die Sammlung im Direktorenzimmer der Landesbibliothek und bis 1905 war sie, wie Edward Lohmeyer berichtete, noch nicht mit den älteren Grimm-Beständen der Landesbibliothek vereinigt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden beide Sammlungen aus insgesamt 497 Grimm-Briefen, kleineren Autographen, 11 Ebd. S. 28. 12 Ebd. S. 5. 13 Ebd. S. 7. 14 Ebd. S. 30. 161 Handschriften Grimm’scher Abhandlungen, einem Aufsatz Ludwig Emil Grimms, den in Jacob Grimms Selbstbiographie erwähnten 70 Folioheften von Abschriften des Kasseler Realkatalogs sowie einem von Herman Grimm geschenkten Konvolut, das interessante Familienpapiere enthielt: Schul- und Kollegienhefte Jacobs und Wilhelms, Schul- und Universitäts- zeugnisse, Auszüge aus Dichtern und Prosaikern von Jacobs Hand, Pässe, Bestallungsurkunden und viele andere persönliche Papiere Jacobs, Wilhelms, Ludwigs und anderer Verwandten, aus den Jahren 1799 bis 1828; ferner Familienpapiere über die Grimmschen Vorfahren bis zurück zum Jahre 1604; viele Urkunden und Schriftstücke zum Leben und Wirken des Urgroßvaters der Brüder […] F r i e d r i c h G r i m m (1672–1748), auch des Großvaters und sehr zahlreicher Verwandter, Verschwägerter und sonst Verbundener; Zeitungs- und andere Druckblätter dazu, Originalbriefe hessischer und mit solchen verwandter Fürstlichkeiten u. v. a. m. Auch Papiere, welche die wissenschaftliche Tätigkeit der Brüder Grimm betreffen, kommen vor.15 In der Sammlung befanden sich überdies etwa 20 Druckschriften, Märchen- ausgaben, 60 Aufsätze über die Brüder Grimm, Zeitungsberichte, Grimm- Bilder, 95 künstlerische Werke Ludwig Emil Grimms, zwei Aquarelle der Grimm’schen Arbeitszimmer, ein Skizzenbuch Werner Henschels und verschiedene Alltagsgegenstände der Familie Grimm. Nachdem ihre Tätigkeit schon vor dem Ersten Weltkrieg zum Erliegen gekommen war, löste sich die Kasseler Grimm-Gesellschaft am 8. Juni 1920 auf und am 11. Juni übergab der Vertreter der Gesellschaft, Dr. Wilhelm Lange, satzungsgemäß den gesamten Besitz der Gesellschaft, insbesondere auch die seit langem im Gewahrsam der Bibliothek befindlichen Samm- lungen,16 an Wilhelm Hopf, den Direktor der Landesbibliothek. 15 Ebd. S. 18f. 16 Vgl. dazu UB/LMB