Theaterkritik Praxis Und Theorie Ihrer Produktiven Möglichkeiten Am Beispiel Herbert Iherings
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Theaterkritik Praxis und Theorie ihrer produktiven Möglichkeiten am Beispiel Herbert Iherings Der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig eingereichte D I S S E R T A T I O N zur Erlangung des akademischen Grades DOCTOR PHILOSOPHIAE (Dr. phil.) vorgelegt von Fee Isabelle Lingnau geboren am 22.02.1980 in Hamburg Gutachter: Prof. Dr. Günther Heeg Prof. Dr. Patrick Primavesi Disputation: 11.07.2013 1 INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG WAS UND ZU WELCHEM ZWECK IST THEATERKRITIK. EINE FRAGESTELLUNG. ∣4 Inhalt und Form – eine Aussicht ∣9 1. ALLTÄGLICH UND NICHT GREIFBAR? KRITIK! ODER KREISEN UM EIN PHÄNOMEN AUF DER SUCHE NACH WERKZEUG ∣12 I. PRÄGENDE UND PRÄGENDES–VORBILDER UND FEINDBILDER. EINFLÜSSE IN DEN LEHRJAHREN HERBERT IHERINGS ∣19 Kritik in Antithese: Theater als Anlass für Poesie oder Kampf–Die KunstKritik Alfred Kerrs∣24 Bildungskanone und Zwirbelbart. Germanistik in Persona Erich Schmidt∣28 Die Schaubühne als gesellschaftliche Anstalt betrachtet–Siegfried Jacobsohn, Regisseur der Schaubühne∣39 Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. Exkursion zum Geist∣49 Die Bewegung vom Leben zur Kunst zum Leben zur Kunst zum–Julius Bab der Einflussreiche∣52 Theaterpraxis als Kritikerschule∣59 Krieg und Frieden in Wien∣62 Prägende und Prägendes als Position und Negation∣67 2. DIE EINZELNE EXISTENZ AM WESEN, DIE BESONDERE WIRKLICHKEIT AN DER IDEE MESSEN ÜBER DIE NOTWENDIGKEITEN VON MASSSTAB UND URTEIL ∣70 II. HINTERGRÜNDE UND UNTERGRÜNDE DIE HALTUNG HERBERT IHERINGS ZU KRITIK IN SEINEN THEORETISCHEN SCHRIFTEN FORMULIERT UND DARAUS EXTRAHIERT ∣80 Der Kampf ums Theater (1922) – Suche nach der Krise∣84 2 Zahnrad Theater – im Verhältnis zu Inhalt, Form und Technik∣88 Der Volksbühnenverrat (1928)∣92 Die vereinsamte Theaterkritik (1928)∣96 Reinhardt, Jessner, Piscator oder Klassikertod?∣100 Zusammen-gefasst: der Kritiktheoretiker und der Theaterkritiker∣103 3. AKTION, REAKTION ODER REFLEKTION? DAS ZUSAMMENSPIEL VON THEORIE UND PRAXIS IN DER KRITIK ∣110 III. THEATERKRITIK ALS PRAKTISCHE TEILHABE AM THEATERPROZESS? DR. IHERINGS PRAXIS DER THEATERKRITIK ∣115 Erste kritische Gehversuche∣116 Forderungen und Förderungen I–Porträts und Förderung von Schauspielern∣123 An Schauspielern über Schauspiel∣126 Forderungen und Förderungen II–Bitte oszillieren Sie!–politisches und episches Theater∣151 4. SPIELEN MIT DEN WELTKONZEPTEN IN KONSEQUENZ: ETHISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE DIMENSION ∣158 FAZIT – MÖGLICHKEITEN EINER PRODUKTIVEN THEATERKRITIK ∣171 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS ∣176 DANKSAGUNG ∣186 3 EINLEITUNG. WAS UND ZU WELCHEM ZWECK IST THEATERKRITIK. EINE FRAGESTELLUNG. Any fool can criticize, condemn and complain - and most fools do1 Dale Carnegie Jeden Tag und an nahezu jeder Straßenecke sind sie zu finden: Theaterkritiken erscheinen täglich – in den Feuilletons und Kulturteilen der großen Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Magazine. Im Rundfunk, Fernsehen sowie Internet wird kritisiert. Der interessierte Mensch kann sich also in einem weiten Spektrum informieren über das Geschehen auf den Bühnen sei- ner Zeit. Doch für wen und zu welchem Zweck schreiben Kritiker? Gemeinhin um den zu informieren, der auf der gleichen Seite des Orchestergrabens Platz nimmt wie sie: Für den Besucher des Theaters. Kritiker selbst sehen sich oft als professionelle Besucher des Theaters. Und sind – wie es dem Besucher eigen – jemand, der von Außen kommt, mit Abstand blickt und urteilt. Mit einiger Höflichkeit oder Frechheit, vor allem aber auch mit Fremdheit. Kritiker verstehen sich üblicherweise nicht als Teil des Theaters, sie sind Teil des Theaterlebens, so wie der Besucher nicht zur Gemeinschaft der Hausbewohner gehört, sondern zu ihrer Gesellschaft. Sie kritisieren also aus einer Position des Gegenübers heraus, aus einer befremdeten Distanz. Sie vermitteln eine Haltung zu Theater, stehen letztlich irgendwo zwischen Theatermacher und Zuschauer. Was kann und will Theaterkritik ist eine Frage, die sich angesichts eines so verbreiteten, diversen wie unscharfen Phänomens schnell stellt. 1 Dale Carnegie: How to win friends and influence people. New York: Pocket Books 1943, S. 36. 4 Was soll Theaterkritik? ist die Titelfrage der Dissertation von Vasco Boenisch2, womit er nach dem Anspruch von Kritikern an ihren Beruf und den Forderungen der Leser an die Theaterkritik fragt. Als Antwort zeigt seine empirische Studie vor allem die Unterschiedlichkeit der Ansprüche sowohl zwischen den verschiedenen Kritikern als auch den Lesern als auch zwischen Kritikern und Lesern. Wesentliche Aspekte sind dabei Lesergewinnung und Leserabwanderung. Doch ergibt sich daraus keine Forderung nach Kritik als unterhaltsamer neuer Literatur, wie es Alfred Kerr forderte. Boenisch formuliert als „zentrale Handlungsdevisen, die sich aus dieser Untersuchung ergeben“3: • Den Informationsaspekt klar in den Mittelpunkt stellen! • Weniger auf das Urteil, als auf Argumente achten! • Mehr über Schauspieler, Bühnenbild, Kostüme schreiben! • Den Stückinhalt umfassender schildern, vor allem bei weniger bekannten Dramen! • Die Aufführung besser erklären und stärker einordnen! • Weniger auf Sprachpirouetten als auf kluge Gedanken und Verständlichkeit achten!4 Die Offenheit in der Bedeutung dieser Forderungen muss gewollt sein; sie ergibt sich aus der Diversität der Lesermeinungen. So bleiben die Fragen: Warum und in welcher Form solle über Schauspieler, Bühnenbild und Kostüme geschrieben werden? Worin soll die Aufführung einge- ordnet werden? In das Werk eines Mitwirkenden? In die aktuelle Theaterentwicklung? In das Weltgeschehen? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang „kluge Gedanken“? Aus den Befragungen und Antworten der Kritiker zeigt sich: Sie schreiben üblicherweise für den kulturell interessierten Leser und für den Theatergänger. Sie rezensieren, um zu informie- ren, um eine Vorstellung von der Theatervorstellung zu geben, um den Leser zu unterhalten. Sie schreiben, um zu verbreiten, was auf dem Theater verhandelt wird. Dabei sind die individuellen Ansichten auf ihr Metier von Kritiker zu Kritiker ganz verschieden. Deutlich wird in jedem Fall: In der theaterkritischen Praxis mangelt an es einer klaren Position zum eigenen Handwerk. Form und Inhalt richten sich nach dem Geschmack–oder zumindest dem Willen–der Publi- zierenden, die Maßstäbe sind überaus valide: Eine Kritik kann viel sagen über eine Theaterarbeit, manchmal über die Notwendigkeit von Theater und seinen Entwicklungs(zu)stand–oder auch nicht, stattdessen sagt ihr Autor dann viel über sich selbst 2 Vasco Boenisch: Was soll Theaterkritik? Was Kritiker denken und Leser erwarten. Aufgabe, Arbeitsweise und Rezeption deutscher Theaterkritik im 21. Jahrhundert. München: Dissertation 2008. 3 Ebd., S. 458. 4 Ebd. 5 oder über seine Idee vom Zustand der Welt. In der wissenschaftlichen Betrachtung wird Theaterkritik meist der Literaturkritik beigeord- net und somit literaturwissenschaftlich behandelt. Und auch in der Theaterwissenschaft gibt es bislang keinen konsistenten Begriff von Theaterkritik, nur wenige Arbeiten beschäftigen sich mit ihr. Zu nennen sind hier neben der von Vasco Boenisch zuförderst Aufklärung – Theaterkritik – Öffentlichkeit von Michael Merschmeier5, Information und Wertung von Ursu- la Krechel6 sowie Diener, Schulmeister und Visionäre von Heike Adamski7. In der theaterwis- senschaftlichen Schule Prof. Hans Knudsens entstanden zudem einige Monographien, vor allem in den 1950er und 60er Jahren, die nach Adamski und Merschmeier aber als nicht zureichend, als überholt gelten müssen. Daraus folgt, dass es für diese Arbeit notwendig ist, sich der philosophischen Praxis zu be- dienen und einen Kritikbegriff zu entwickeln respektive nachzuvollziehen. Da in der Philosophie wiederum die Kritik ein sehr weites, viel begangenes und vor allem sehr kontrovers bearbeitetes Feld ist, kann sich nicht auf einen aktuellen Kritikbegriff bezogen werden. Zudem ist es notwendig, auch das für es der Kritik zu betrachten und also einen für das Theater tragfähigen Begriff von Kritik herauszuarbeiten. Der historische Beginn systematischer Kritik von Theaterereignissen wird gemeinhin promi- nent angesetzt: mit Gotthold Ephraim Lessings Hamburgischer Dramaturgie.8 Als Dramaturg des neu gegründeten Hamburger Nationaltheaters veröffentlichte Lessing von 1767 an kritische Beiträge zu den Arbeiten der Autoren, Dramaturgen, Regisseure und Schauspieler. In der An- kündigung am Tag der Eröffnung der Hamburgischen Bühne, am 22. April 1767, heißt es: „Diese Dramaturgie soll ein kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken halten und je- den Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier tun wird.“9 5 Michael Merschmeier: Aufklärung – Theaterkritik – Öffentlichkeit: mit einem zeitgenössischen Diskurs. FU Berlin, Diss., 1985. 6 Ursula Krechel: Information und Wertung: Untersuchungen zum theater-und filmkritischen Werk von Herbert Ihering. Köln, Diss. 1972. 7 Heike Adamski: Diener, Schulmeister und Visionäre. Studien zur Berliner Theaterkritik der Weimarer Re- publik. Frankfurt a.M./Berlin/Bern: Peter Lang 2004. 8 Vgl. u.a.: Werner Schulze-Reimpell/ Roland Dreßler: Theaterkritik. In: Manfred Brauneck/ Gérard Schnei- lin (Hrsg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbeck bei Hamburg: Ro- wohlt 1992, S. 988-991. ̶ AlsWegbereiterdarfnatürlichJohannChristophGottschedmitseinertheaterkritischenArbeitnichtungenanntbleiben.BühnenseinerZeit.l˘ŢDieTheaterkritikist–richtigverstandenniemalssowichtiggewF Als Wegbereiter darf natürlich Johann Christoph