Kunstmuseen Im Westen Und Osten Deutschlands
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Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden • 57 (2008) Heft 3 – 4 • Ungleichheiten Das Beispiel der Dresdner Staatlichen Kunstsammlungen zeigt, welche tiefgreifenden Veränderungen sich in den Mu- Gilbert Lupfer seen Deutschlands seit Mitte der 1930er Jahre vollzogen, wie die Bestände skrupellos durch Kunstmuseen im Westen und Stücke fragwürdiger Provenienz ergänzt wurden und welche Osten Deutschlands Verluste andererseits zu bekla- gen waren. Dabei werden neben manchen Gemeinsamkeiten gra- Anmerkungen zu parallelen und divergierenden Entwicklungen vierende Unterschiede in der Entwicklung der Museen im Osten und Westen erkennbar. Zu den Zugängen gehörte seit 1933 enteignetes oder geraub- tes jüdisches Eigentum. Dazu kam im Osten seit 1945 adliger Kunstbesitz aus der Bodenre- form. Auf der anderen Seite 1 Einleitung deutschen Museen nicht früher in Gang, haben die Ost-Museen nach 1945 durch die Beutekunst- mitunter sogar später. Beschaffung der Roten Armee „Neben der Restitution jüdischen Eigentums ihre Bestände zunächst verloren. und der nach Osteuropa verschleppten Die überraschende Rückkehr Beutekunst ist die Auseinandersetzung mit 2 „Entartete Kunst“ Hunderttausender von Objekten den Fürstenhäusern der dritte Komplex, in aus der UdSSR (1955 bis 1958) dem sich die Kulturpolitik der verwickelten Mindestens zwei Gemeinsamkeiten aus der war ein großer Schritt, hat aber 1 das Problem der Beutekunst deutschen Geschichte stellen muss.“ Mit jüngeren Geschichte belasten die Museen im 2 noch nicht vollständig gelöst. So diesem Satz begann im Berliner „Tages- Westen wie im Osten. Zum einen ist das die sind die heutigen Museen im spiegel“ vom 30. Dezember 2007 der Leit- Beschlagnahme sogenannter entarteter Westen und Osten als kommentar. Er benannte in seltener Deut- Kunst durch die Reichskulturkammer. Diese Institutionen wie in ihren lichkeit die aus der jüngeren deutschen Diffamierungs-, Verwertungs- und Vernich- Beständen komplexe Resultate Geschichte resultierenden Problemfelder, tungsaktion kulminierte nach kleineren und Spiegel der Verwerfungen 3 der jüngeren deutschen Ge- mit denen die Kulturpolitik konfrontiert ist, Ausstellungen in der Münchner Diffamie- schichte mit all ihren Ungleich- mit denen sich aber vor allem die Museen rungsschau 1937 und den anschließenden heiten. jeden Tag auseinandersetzen müssen. Aller- Versteigerungen, die den Museumsbesitz an dings ist eine historisch-regionale Differen- moderner Kunst zu Spottpreisen auf den The example of the Dresden zierung notwendig: Die gemeinsame Ge- internationalen Kunstmarkt brachten.4 Die State Art Collections demonstra- schichte der Museen in Deutschland bis Lücken vor allem an expressionistischen tes the profound changes which have affected German public 1945 und seit 1990 führt bisweilen dazu, die und veristischen Werken, die dadurch in die museums since the mid-1930s. 45 Jahre dazwischen zu übergehen. Wenn On the one hand, the museums Museen im Osten und im Westen in einem acquired works of doubtful prov- Atemzug genannt werden, so ist das eigent- 1 enance, especially Jewish prop- Schulz, Bernhard: Wenn Adel nicht verpflichtet. In: Der lich eine unangemessene Vereinfachung. Tagesspiegel 2007-12-30, S. 1. erty, during the Nazi years. Vielmehr ist ein genauer Blick auf gleiche After 1945, albeit on a quite 2 Vgl. u. a.: Lupfer, Gilbert: Die Staatlichen Sammlungen für different scale, the property of und ungleiche Bedingungen und Entwick- Kunst und Wissenschaft von 1918 bis 1945. In: Dresdner expropriated aristocrats in lungen notwendig. Ist also „Ungleichheit“ Hefte, Sonderausgabe 2004, S.71 – 83. Eastern Germany also found its das Paradigma für die deutsche Museums- 3 way into the depots of the Eine der ersten Ausstellungen „Entarteter Kunst“ fand im geschichte seit 1945? Herbst 1933 im Dresdner Rathaus statt; sie ging auf museums. On the other hand, Jahrzehntelang waren die „Erbschaften“ Wanderschaft und kehrte 1935 nach Dresden zurück. Vgl. museums in Eastern Germany Zuschlag, Christoph: Die Dresdner Ausstellung „Entartete lost the greatest part of their und die Schattenseiten der jüngeren Ge- Kunst“ 1933-1937. In: Die Ausstellung „Entartete Kunst“ works of art when they were schichte für die Museen im Westen wie im und der Beginn der NS-Kulturbarbarei in Dresden. Dresdner removed by the Red Army at the Osten Deutschlands ein Tabu. Im Osten, auf Hefte 22 (2004) 1, S. 17 – 25. end of war. The sudden and sur- dem Gebiet der DDR, wurde diese Tabui- 4 Die Aktion „Entartete Kunst“ ist gut, wenn auch nicht prising return of most works of sierung der Erforschung der eigenen Ge- lückenlos aufgearbeitet. Vgl. Barron, Stephanie (Hrsg.): art between 1955 and 1958 still schichte erst nach der politischen Um- „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde in Nazi- did not finally solve the problem Deutschland. Ausstellungskatalog. Berlin/München, 1992; of this so-called “looted art”. wälzung von 1989/1990 langsam aufgebro- Zuschlag, Christoph: „Entartete Kunst“. Ausstellungsstra- Today's museums in Eastern and chen. Doch bemerkenswerterweise kam die tegien in Nazi-Deutschland. Worms, 1995. Offene Fragen existieren u. a. zum Verbleib der beschlagnahmten Werke. Western Germany reflect the kritische Auseinandersetzung mit der eige- Sie zu beantworten ist das Ziel der „Arbeitsstelle Entartete enormous upheavals of German nen Geschichte auch an den meisten west- Kunst“ an der FU Berlin und der Universität Hamburg. history. 110 (Wiss. Z. TU Dresden 57 (2008) Heft 3 – 4) Bild 1. Während der sogenannten Sudetenkrise im Frühsommer 1938 wurden Säle der Dresdner Museen – auf diesem Foto ein leerer Saal der Gemäldegalerie – vorübergehend aus- geräumt. Ab Herbst 1939 sah so dann der „Normalzustand“ aus (Foto: Staat- liche Kunstsammlungen Dresden, Forschungsarchiv). öffentlichen Sammlungen gerissen wurden, waren und sind der Sammlung FRITZ GLASERS stehen: Der Dresdner schmerzlich.5 Während es aber den Museen in Rechtsanwalt musste sein Eigentum, zu dem unter anderen Westdeutschland möglich war, diese Lücken zumindest par- Werke von OTTO DIX und der „Brücke“-Künstler gehörten, tiell durch Ankäufe wieder zu schließen (je früher sie zu sukzessive veräußern, nachdem er seiner beruflichen kaufen begannen, desto besser), war für die Museen im Möglichkeiten beraubt worden war.7 Die zahlreichen Osten daran nicht zu denken. Sie hatten – zunächst aus ide- Restriktionen und Reglementierungen unterworfene Ver- ologischen, später aus finanziellen Gründen – bis 1990 nicht äußerung von Kunstwerken war für manche jüdischen die Möglichkeit, zurückzuholen oder Äquivalente zu erwer- Bürger in der zweiten Hälfte der 30er Jahre die einzige ben. Kommen heute die 1937 beschlagnahmten und ver- (unsichere) Möglichkeit, ihre Flucht aus Deutschland zu schleuderten Werke auf den Markt, so bewegen sie sich auf finanzieren.8 Von den erzwungenen Verkäufen profitierten einem Preisniveau, das öffentlichen Museen keine Privatsammler, Nazigrößen – und auch Museen. Erwerbungschance lässt. Es wäre jedoch zu einfach, Auch die nachträglich legitimierte, aber zutiefst unmora- Museen nur als Opfer zu sehen. Es gab auch Museums- lische Bereicherung eines Museums an entzogenem jüdi- direktoren, die in vorauseilendem Gehorsam schon 1933 die schen Eigentum lässt sich mit einem Beispiel aus Dresden sogenannte „Systemkunst“ aus ihren Ausstellungen entfernt illustrieren. Die Bankiersfamilie VON KLEMPERER besaß eine hatten, wie sich am Beispiel Dresdens nachvollziehen lässt. berühmte Sammlung Meißener Porzellans aus dem 18. Der Direktor der Gemäldegalerie, HANS POSSE, nahm die Jahrhundert.9 Der Familie gelang nach der Pogromnacht des meisten der potenziell inkriminierten Bilder schon frühzei- tig ab, allerdings nicht – auch das ist charakteristisch – aus 5 Überzeugung. Vielmehr war POSSE in Sorge um seine eige- Für die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden reicht diese Verlustliste von MAX BECKMANN über WASSILY KANDINSKY bis zu KARL SCHMIDT- ne Position, stand er doch unter heftiger Kritik von NS- ROTTLUFF. Vgl. Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Gemäldegalerie Aktivisten aus der Dresdner Kulturszene, die ihm seine Dresden Neue Meister. Bestandskatalog. Dresden, 1987, S. 354 f. Betroffen waren 6 in Dresden auch das Kupferstich-Kabinett und die Skulpturensammlung sowie das Aufgeschlossenheit gegenüber moderner Kunst vorwarfen. Stadtmuseum. 6 Vgl. Schwarz, Birgit: Hitlers Sonderbeauftragter. In: Die Ausstellung „Entartete Kunst“ und der Beginn der NS-Kulturbarbarei in Dresden. Dresdner Hefte 22 3 Enteignung von Kunstsammlungen jüdischer Bürger (2004) 1, S. 77 – 85. Zu Mittätern und Stützen des NS-Systems wurden die 7 Vgl. u. a. Biedermann, Heike: Die Sammlung Fritz Glaser. In: Biedermann, Heike u. a. (Hrsg.): Von Monet bis Mondrian. (Ausstellungskatalog Galerie Neue Museen (oder zumindest viele von ihnen) als mehr oder Meister Dresden). München/Berlin, 2006. S. 112 – 126. weniger aktive Nutznießer der „Arisierung“ jüdischen 8 Vgl. u. a. Schoeps, Julius H.; Ludewig, Anna-D. (Hrsg.): Eine Debatte ohne Ende? Eigentums. Spätestens seit dem Erlass der „Nürnberger Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum. Berlin, 2007; Rudolph, Gesetze“ im September 1935 waren jüdische Bürger einem Sabine: Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz. Berlin, 2007 ständig wachsenden Verfolgungsdruck ausgesetzt, sie waren (Dissertation, TU Dresden, 2006). in allen Lebensbereichen extrem eingeschränkt, schon vor 9 Vgl. Loesch, Anette: Das Schicksal der Porzellansammlung Gustav von der physischen