Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität • 57 (2008) Heft 3 – 4 • Ungleichheiten

Das Beispiel der Dresdner Staatlichen Kunstsammlungen zeigt, welche tiefgreifenden Veränderungen sich in den Mu- Gilbert Lupfer seen Deutschlands seit Mitte der 1930er Jahre vollzogen, wie die Bestände skrupellos durch Kunstmuseen im Westen und Stücke fragwürdiger Provenienz ergänzt wurden und welche Osten Deutschlands Verluste andererseits zu bekla- gen waren. Dabei werden neben manchen Gemeinsamkeiten gra- Anmerkungen zu parallelen und divergierenden Entwicklungen vierende Unterschiede in der Entwicklung der Museen im Osten und Westen erkennbar. Zu den Zugängen gehörte seit 1933 enteignetes oder geraub- tes jüdisches Eigentum. Dazu kam im Osten seit 1945 adliger Kunstbesitz aus der Bodenre- form. Auf der anderen Seite 1 Einleitung deutschen Museen nicht früher in Gang, haben die Ost-Museen nach 1945 durch die Beutekunst- mitunter sogar später. Beschaffung der Roten Armee „Neben der Restitution jüdischen Eigentums ihre Bestände zunächst verloren. und der nach Osteuropa verschleppten Die überraschende Rückkehr Beutekunst ist die Auseinandersetzung mit 2 „Entartete Kunst“ Hunderttausender von Objekten den Fürstenhäusern der dritte Komplex, in aus der UdSSR (1955 bis 1958) dem sich die Kulturpolitik der verwickelten Mindestens zwei Gemeinsamkeiten aus der war ein großer Schritt, hat aber 1 das Problem der Beutekunst deutschen Geschichte stellen muss.“ Mit jüngeren Geschichte belasten die Museen im 2 noch nicht vollständig gelöst. So diesem Satz begann im Berliner „Tages- Westen wie im Osten. Zum einen ist das die sind die heutigen Museen im spiegel“ vom 30. Dezember 2007 der Leit- Beschlagnahme sogenannter entarteter Westen und Osten als kommentar. Er benannte in seltener Deut- Kunst durch die Reichskulturkammer. Diese Institutionen wie in ihren lichkeit die aus der jüngeren deutschen Diffamierungs-, Verwertungs- und Vernich- Beständen komplexe Resultate Geschichte resultierenden Problemfelder, tungsaktion kulminierte nach kleineren und Spiegel der Verwerfungen 3 der jüngeren deutschen Ge- mit denen die Kulturpolitik konfrontiert ist, Ausstellungen in der Münchner Diffamie- schichte mit all ihren Ungleich- mit denen sich aber vor allem die Museen rungsschau 1937 und den anschließenden heiten. jeden Tag auseinandersetzen müssen. Aller- Versteigerungen, die den Museumsbesitz an dings ist eine historisch-regionale Differen- moderner Kunst zu Spottpreisen auf den The example of the Dresden zierung notwendig: Die gemeinsame Ge- internationalen Kunstmarkt brachten.4 Die State Art Collections demonstra- schichte der Museen in Deutschland bis Lücken vor allem an expressionistischen tes the profound changes which have affected German public 1945 und seit 1990 führt bisweilen dazu, die und veristischen Werken, die dadurch in die museums since the mid-1930s. 45 Jahre dazwischen zu übergehen. Wenn On the one hand, the museums Museen im Osten und im Westen in einem acquired works of doubtful prov- Atemzug genannt werden, so ist das eigent- 1 enance, especially Jewish prop- Schulz, Bernhard: Wenn Adel nicht verpflichtet. In: Der lich eine unangemessene Vereinfachung. Tagesspiegel 2007-12-30, S. 1. erty, during the Nazi years. Vielmehr ist ein genauer Blick auf gleiche After 1945, albeit on a quite 2 Vgl. u. a.: Lupfer, Gilbert: Die Staatlichen Sammlungen für different scale, the property of und ungleiche Bedingungen und Entwick- Kunst und Wissenschaft von 1918 bis 1945. In: Dresdner expropriated aristocrats in lungen notwendig. Ist also „Ungleichheit“ Hefte, Sonderausgabe 2004, S.71 – 83. Eastern Germany also found its das Paradigma für die deutsche Museums- 3 way into the depots of the Eine der ersten Ausstellungen „Entarteter Kunst“ fand im geschichte seit 1945? Herbst 1933 im Dresdner Rathaus statt; sie ging auf museums. On the other hand, Jahrzehntelang waren die „Erbschaften“ Wanderschaft und kehrte 1935 nach Dresden zurück. Vgl. museums in Eastern Germany Zuschlag, Christoph: Die Dresdner Ausstellung „Entartete lost the greatest part of their und die Schattenseiten der jüngeren Ge- Kunst“ 1933-1937. In: Die Ausstellung „Entartete Kunst“ works of art when they were schichte für die Museen im Westen wie im und der Beginn der NS-Kulturbarbarei in Dresden. Dresdner removed by the Red Army at the Osten Deutschlands ein Tabu. Im Osten, auf Hefte 22 (2004) 1, S. 17 – 25. end of war. The sudden and sur- dem Gebiet der DDR, wurde diese Tabui- 4 Die Aktion „Entartete Kunst“ ist gut, wenn auch nicht prising return of most works of sierung der Erforschung der eigenen Ge- lückenlos aufgearbeitet. Vgl. Barron, Stephanie (Hrsg.): art between 1955 and 1958 still schichte erst nach der politischen Um- „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde in Nazi- did not finally solve the problem Deutschland. Ausstellungskatalog. Berlin/München, 1992; of this so-called “looted art”. wälzung von 1989/1990 langsam aufgebro- Zuschlag, Christoph: „Entartete Kunst“. Ausstellungsstra- Today's museums in Eastern and chen. Doch bemerkenswerterweise kam die tegien in Nazi-Deutschland. Worms, 1995. Offene Fragen existieren u. a. zum Verbleib der beschlagnahmten Werke. Western Germany reflect the kritische Auseinandersetzung mit der eige- Sie zu beantworten ist das Ziel der „Arbeitsstelle Entartete enormous upheavals of German nen Geschichte auch an den meisten west- Kunst“ an der FU Berlin und der Universität Hamburg. history.

110 (Wiss. Z. TU Dresden 57 (2008) Heft 3 – 4) Bild 1. Während der sogenannten Sudetenkrise im Frühsommer 1938 wurden Säle der Dresdner Museen – auf diesem Foto ein leerer Saal der Gemäldegalerie – vorübergehend aus- geräumt. Ab Herbst 1939 sah so dann der „Normalzustand“ aus (Foto: Staat- liche Kunstsammlungen Dresden, Forschungsarchiv).

öffentlichen Sammlungen gerissen wurden, waren und sind der Sammlung FRITZ GLASERS stehen: Der Dresdner schmerzlich.5 Während es aber den Museen in Rechtsanwalt musste sein Eigentum, zu dem unter anderen Westdeutschland möglich war, diese Lücken zumindest par- Werke von und der „Brücke“-Künstler gehörten, tiell durch Ankäufe wieder zu schließen (je früher sie zu sukzessive veräußern, nachdem er seiner beruflichen kaufen begannen, desto besser), war für die Museen im Möglichkeiten beraubt worden war.7 Die zahlreichen Osten daran nicht zu denken. Sie hatten – zunächst aus ide- Restriktionen und Reglementierungen unterworfene Ver- ologischen, später aus finanziellen Gründen – bis 1990 nicht äußerung von Kunstwerken war für manche jüdischen die Möglichkeit, zurückzuholen oder Äquivalente zu erwer- Bürger in der zweiten Hälfte der 30er Jahre die einzige ben. Kommen heute die 1937 beschlagnahmten und ver- (unsichere) Möglichkeit, ihre Flucht aus Deutschland zu schleuderten Werke auf den Markt, so bewegen sie sich auf finanzieren.8 Von den erzwungenen Verkäufen profitierten einem Preisniveau, das öffentlichen Museen keine Privatsammler, Nazigrößen – und auch Museen. Erwerbungschance lässt. Es wäre jedoch zu einfach, Auch die nachträglich legitimierte, aber zutiefst unmora- Museen nur als Opfer zu sehen. Es gab auch Museums- lische Bereicherung eines Museums an entzogenem jüdi- direktoren, die in vorauseilendem Gehorsam schon 1933 die schen Eigentum lässt sich mit einem Beispiel aus Dresden sogenannte „Systemkunst“ aus ihren Ausstellungen entfernt illustrieren. Die Bankiersfamilie VON KLEMPERER besaß eine hatten, wie sich am Beispiel Dresdens nachvollziehen lässt. berühmte Sammlung Meißener Porzellans aus dem 18. Der Direktor der Gemäldegalerie, , nahm die Jahrhundert.9 Der Familie gelang nach der Pogromnacht des meisten der potenziell inkriminierten Bilder schon frühzei- tig ab, allerdings nicht – auch das ist charakteristisch – aus 5 Überzeugung. Vielmehr war POSSE in Sorge um seine eige- Für die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden reicht diese Verlustliste von über WASSILY KANDINSKY bis zu KARL SCHMIDT- ne Position, stand er doch unter heftiger Kritik von NS- ROTTLUFF. Vgl. Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Gemäldegalerie Aktivisten aus der Dresdner Kulturszene, die ihm seine Dresden Neue Meister. Bestandskatalog. Dresden, 1987, S. 354 f. Betroffen waren 6 in Dresden auch das Kupferstich-Kabinett und die sowie das Aufgeschlossenheit gegenüber moderner Kunst vorwarfen. Stadtmuseum.

6 Vgl. Schwarz, Birgit: Hitlers Sonderbeauftragter. In: Die Ausstellung „Entartete Kunst“ und der Beginn der NS-Kulturbarbarei in Dresden. Dresdner Hefte 22 3 Enteignung von Kunstsammlungen jüdischer Bürger (2004) 1, S. 77 – 85. Zu Mittätern und Stützen des NS-Systems wurden die 7 Vgl. u. a. Biedermann, Heike: Die Sammlung Fritz Glaser. In: Biedermann, Heike u. a. (Hrsg.): Von Monet bis Mondrian. (Ausstellungskatalog Galerie Neue Museen (oder zumindest viele von ihnen) als mehr oder Meister Dresden). München/Berlin, 2006. S. 112 – 126. weniger aktive Nutznießer der „Arisierung“ jüdischen 8 Vgl. u. a. Schoeps, Julius H.; Ludewig, Anna-D. (Hrsg.): Eine Debatte ohne Ende? Eigentums. Spätestens seit dem Erlass der „Nürnberger Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum. Berlin, 2007; Rudolph, Gesetze“ im September 1935 waren jüdische Bürger einem Sabine: Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz. Berlin, 2007 ständig wachsenden Verfolgungsdruck ausgesetzt, sie waren (Dissertation, TU Dresden, 2006). in allen Lebensbereichen extrem eingeschränkt, schon vor 9 Vgl. Loesch, Anette: Das Schicksal der Porzellansammlung Gustav von der physischen Vernichtung begann die Vernichtung ihrer Klemperers. In: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg (Hrsg.): ökonomischen Existenz. Wohlhabende jüdische Familien Beiträge öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischen Besitz. Magdeburg, 2001. S. waren gezwungen, zur Sicherung des Lebensunterhalts ihre 56 – 77. Zur Geschichte der ebenfalls betroffenen Inkunabel-Sammlung vgl. Kunstsammlungen zu verkaufen. Dafür kann das Schicksal Rudolph, Sabine: Von Nazis enteignet, bis heute in Rußland: Victor von Klemperers Inkunabelsammlung. In: Osteuropa 56 (2006) 1-2, S. 141 – 153.

(Wiss. Z. TU Dresden 57 (2008) Heft 3 – 4) 111 9. November 1938 gerade noch rechtzeitig die Flucht, aller- Bewertung historischer Fakten, die dann nicht juristisch dings unter Zurücklassung ihres Eigentums. Das gesamte geklärt, sondern politisch zugunsten der Restitution ent- Inventar der KLEMPERER-Villa in der Tiergartenstraße wurde schieden wurden. daraufhin beschlagnahmt, die Kunstwerke und eine Inkunabel-Sammlung an die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zunächst zur Verwahrung überge- 4 „Sonderauftrag Linz“ ben. Ungewöhnlicherweise akzeptierte die Familie das nicht, sondern versuchte, eine Ausfuhrgenehmigung zu Dem Umgang mit Kunstwerken aus jüdischen Sammlungen erhalten – mit der Begründung, dass keinerlei Steuer- kommt in Dresden besondere Bedeutung zu. HANS POSSE, schulden oder Verpflichtungen gegenüber dem Reich mehr der bereits erwähnte Direktor der Gemäldegalerie seit 1910, bestünden. Die Behörden verschleppten das Verfahren, denn ein international renommierter Kunsthistoriker und für eine Enteignung gab es zunächst noch keine Museumsmann, wurde 1939 überraschenderweise – nach- Rechtsgrundlage. Doch es sollte nur wenige Monate dauern, dem er zuvor unter heftigen Angriffen lokaler NSDAP- bis sie geschaffen war: Das Vermögen von „feindlichen Funktionäre zu leiden gehabt hatte – von HITLER zum Ausländern“, zu denen Emigranten erklärt wurden, fiel jetzt „Sonderbeauftragten“ für die Einrichtung des in Linz automatisch an den Staat. Nun begann der Wettlauf um die geplanten, aber nie gebauten „Führermuseums“ ernannt. Porzellane der Familie KLEMPERER. Diverse Personen und Nach POSSES Tod Ende 1942 übernahm 1943 der aus Institutionen äußerten ihr Interesse, verschiedene Verwer- Wiesbaden gekommene HERMANN VOSS ebenfalls in tungsmöglichkeiten wurden ventiliert. Auch der Direktor Personalunion die Aufgaben des Dresdner Galeriedirektors der Staatlichen Porzellansammlung, FRITZ FICHTNER, inter- und des „Sonderbeauftragten des Führers“ für Linz.11 Die essierte sich für die wertvolle Kollektion, die er bereits ver- Verbindung der Dresdner Galerie mit dem geplanten Linzer wahrte (die KLEMPERER-Porzellane waren zum Schutz vor Museum durch die Doppelfunktion der Direktoren und eini- Kriegseinwirkungen bereits mit den Museumsbeständen ger weiterer Mitarbeiter macht die Ausnahmestellung zusammen ausgelagert worden). FICHTNER, der einzige als Dresdens aus und hat Spuren hinterlassen, auch wenn diese aktiver Nationalsozialist agierende Dresdner Museums- nicht besonders breit sind. Tatsächlich blieben wohl nur direktor, gelang es 1941 tatsächlich, von HITLER eine wenige für Linz bestimmte Gemälde sowie grafische Entscheidung zugunsten seines Museums zu erhalten. Blätter, die zur Inventarisierung und Restaurierung nach Diese Geschichte hat mehrere Pointen, die nicht nur von Dresden gekommen waren, in den letzten Kriegswochen anekdotischer Natur sind und die teilweise mit der Differenz dort bzw. am Auslagerungsort Schloss Weesenstein „liegen“ zwischen Ost und West zu tun haben. Die erste Pointe: und gerieten später unter reguläre Museumsbestände. Die Museumsdirektor FICHTNER verließ bei Kriegsende fluchtar- Aufklärung dieser Transaktionen ist noch nicht abgeschlos- tig Dresden und tauchte in Bayern unter. Jahre später begann sen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nicht alle für den seine zweite Karriere, bei der er es zum Professor für christ- „Sonderauftrag Linz“ zusammengetragenen Kunstwerke liche Kunst an der evangelisch-theologischen Fakultät in Raubgut aus jüdischem Eigentum waren, es gab auch regu- Erlangen brachte. Über seine erste Karriere breitete sich der läre Erwerbungen auf dem Kunstmarkt.12 Mantel des Schweigens. Die zweite Pointe: Im Gegensatz zu anderem jüdischen Kunstbesitz, dessen Spuren sich in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit verloren, war 5 „Beutekunst“ in der Sowjetunion der Verbleib der KLEMPERER-Sammlung immer bekannt. Nach der Wiedereröffnung der Dresdner Museen in den Das Ende des von Deutschland ausgegangenen Zweiten 50er Jahren wurden die Porzellane wie „normale“ Bestände Weltkriegs bedeutete für die Museen in der Sowjetischen behandelt. Alle Fragen der Familie, die sich nie mit dem Besatzungszone den schärfsten Einschnitt. Man kann sogar Verlust abfand, wurden jahrzehntelang abgeblockt. Der von ihrem tendenziellen vorübergehenden Verschwinden Unterton, den die Schreiben des DDR-Kulturministeriums reden. Im Unterschied zu den drei westlichen Besat- hatten, war bisweilen fast antisemitisch: Die Familie solle zungsmächten betrachtete die Sowjetunion Kunstwerke als froh sein, dass die von ihr aufgegebenen Porzellane so Beutegut und als Ausgleich für eigene Verluste.13 Der pfleglich behandelt würden. An eine Rückgabe war bis 1989 Großteil aller Museumsbestände zwischen Gotha und nicht zu denken. Die dritte Pointe: 1991 erfolgte die Schwerin, zwischen Magdeburg und Dresden wurde noch Rückgabe, eine der ersten Restitutionen aus einem ostdeut- 1945 in die Sowjetunion abtransportiert. In der UdSSR und schen Museum.10 der Sowjetischen Besatzungszone/DDR spann die Leider hat nicht jede jüdisches Eigentum betreffende Propaganda um diesen Abtransport herum die Legende von „Restitutionsgeschichte“ ein Happyend, wie bei den Fällen der Rettung der Kunstschätze durch die heldenhafte eines impressionistischen Gemäldes von ADOLPH VON MENZEL aus der Dresdner Galerie Neue Meister (2005) oder einer expressionistischen Straßenszene ERNST LUDWIG IRCHNERS K aus dem Berliner „Brücke“-Museum (2006) 11 Vgl. Iselt, Kathrin: Hermann Voss – Seine Ernennung zum „Sonderbeauftragten erkennbar wurde. In beiden Fällen kam es zwischen den für Linz“ und Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden. In: Dresdener Vertretern der Erben der ehemaligen Eigentümer und den Kunstblätter (2008) 1, S. 26 – 35. Museen zu gravierenden Differenzen hinsichtlich der 12 Auf die Geschichte des „Sonderauftrags Linz“ kann hier nicht eingegangen wer- den, es sei u. a. verwiesen auf Haase, Günther: Die Kunstsammlung Adolf Hitler. Berlin, 2002; Schwarz, Birgit: Hitlers Museum: Die Fotoalben „Gemäldegalerie Linz“. Wien/Köln/Weimar, 2004 und diverse andere Veröffentlichungen dieser Autorin; Löhr, Hanns C.: Das Braune Haus der Kunst: Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Berlin, 2005. 10 Die Familie KLEMPERER machte daraufhin der Porzellansammlung eine großzü- gige Schenkung. Jahre später tauchten im Scherbendepot des Museums weitere 13 Auch die USA hatten 1945 Museumsbestände aus Berlin abtransportiert und auf beschädigte Stücke aus der Sammlung auf, die 2008 für die Rückgabe vorberei- einer Wanderausstellung in Amerika gezeigt; die Idee, sie zu behalten, wurde tet werden. jedoch bald aufgegeben.

112 (Wiss. Z. TU Dresden 57 (2008) Heft 3 – 4) Jahr 1955. Bereits damals war vielen klar, dass dieser Entschluss eher politischer als kultureller Art war.“17 Diese Sensation, ermöglicht durch das „Tauwetter“ nach dem Tode STALINS, war weniger eine freundschaftliche Geste, wie es die propagandistische Begleitmusik verkündete, sondern kluge Taktik CHRUSTSCHOWS im Schachspiel des „Kalten Krieges“. Die Dresdner Gemälde wurden zunächst im Moskauer Puschkin-Museum, dann in der Ostberliner Nationalgalerie und schließlich in der wiederaufgebauten Dresdner Galerie präsentiert und gefeiert.18 Doch danach war wieder für rund zwei Jahre Schweigen, kein Wort fiel über das noch verbor- gene, weitaus umfangreichere Museumsgut. 1958 erfolgte dann, dieses Mal im Unterschied zu 1955 auch aufgrund einer Initiative der DDR-Regierung, die Rückgabe der Bestände der anderen Museen aus Dresden und Ost- deutschland (Bild 2). Allerdings kehrte bei weitem nicht alles heim, manches Dresdner, Berliner, Potsdamer, Schweriner oder Gothaer Eigentum verblieb in Moskauer, Kiewer und Leningrader Depots, ohne dass man immer erklären könnte, warum ein Stück zurückgegeben, das ande- re zurückgehalten wurde – und ohne dass bis heute wirkli- che Klarheit darüber bestünde, was sich in diesen Depots immer noch versteckt.19 Es gibt allerdings nicht nur die offi- zielle „Beutekunst“, deren vollständige Restitution durch einen Beschluss des russischen Parlaments, der Staatsduma, blockiert wird.20 Ein Sonderfall sind all jene Stücke, die 1945 als illegale „Souvenirs“ der Rotarmisten in die Sowjetunion gelangten. Sie tauchen seit 1990 vermehrt im internationalen Kunsthandel auf. Mitunter werden sie auch den Museen zum Rückkauf angeboten, was aber selten eine Lösung ist. Die Museen können ihr Eigentum nicht ein Bild 2. Im Herbst 1958 kehrte ein Großteil der Museumsbestände aus der zweites Mal kaufen, sondern nur einen Finderlohn gewäh- Sowjetunion zurück. Hier werden – in Anwesenheit des Dresdner Oberbürgermeisters WALTER WEIDAUER (2. v. l.) und des Generaldirektors ren, der maximal einem Zehntel des Marktwertes entspricht der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden MAX SEYDEWITZ (3. v. l.) – – und das reicht oft nicht aus. Transportkisten mit Stücken aus der Skulpturensammlung ausgepackt (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Forschungsarchiv). 6 Die „Schlossbergung“

Beim Problem der „Beutekunst“ handelt es sich um Stücke, Sowjetarmee – doch dies hatte mit der Realität recht wenig die den Museen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetzone zu tun.14 Zwar waren die meist an ländlichen Orten wie immer noch fehlen.21 Genau umgekehrt verhält es sich mit Schlösser oder Bergwerksstollen geborgenen Kunstschätze in der Unsicherheit des Jahres 1945 durch Plünderungen und schlechte Lagerungsbedingungen tatsächlich akut gefährdet, 14 Vgl. u. a. Lupfer, Gilbert: „Auferstehung einzigartiger Kunst durch edle doch diese Probleme hätten sich einfacher vor Ort lösen las- Freundestat“. Die Erzählung von der Rettung der Dresdner Gemälde. In: sen. Aber um eine einfache Lösung ging es nicht, sondern Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg (Hrsg.): Kulturgüter im um die sowohl logistisch wie wissenschaftlich gründlich Zweiten Weltkrieg. Magdeburg, 2007. S. 267 – 286. vorbereitete Kompensation für die gewaltigen Kriegs- 15 Vgl. u. a. Akinsha, Konstantin; Kozlov, Grigori: Beutekunst. München, 1995. schäden der UdSSR im kulturellen Bereich.15 An eine bal- S. 46 ff., S. 136 ff. dige Rückgabe der Kunstwerke dachte 1945 wohl niemand 16 Vgl. zu Umständen und Chronologie der Rückgabe 1955-1958 die Beiträge von in der UdSSR, vielmehr gab es Planungen für ein Kozlov, Grigori; Schmidt, Werner; Kaps, Christiane; Marx, Harald; Lupfer, „Supermuseum“ in Moskau, das die Kunstschätze aus den Gilbert; Rudert, Thomas in: Dresdner Hefte 24 (2006) 3. Museen der Kriegsgegner hätte versammeln sollen – ein 17 Kozlov, Grigori: Entscheidung in Moskau. In: Dresdner Hefte 24 (2006) 3, S. 5. „Supermuseum“, das ebenso ein Monument des Sieges wie 18 Vgl. u. a. Hufen, Christian: Sixtina auf Reisen. Die Rückgabe der Beutekunst an eine Verbeugung vor der (west)europäischen Kunsttradition die DDR. In: Osteuropa 56 (2006) 1-2, S. 111 – 130. gewesen wäre. Zur Realisierung kam es genauso wenig wie 19 bei HITLERS Linzer Museumsplan. Zehn Jahre lang blieben Allerdings ändert sich der Umgang mit der „Beutekunst“: So zeigte das Moskauer Puschkin-Museum 2007 mit dem „Gold der Merowinger“ ganz selbst- die Schätze der ostdeutschen Museen in den Depots sowjeti- verständlich Stücke aus dem Besitz des Berliner Museums für Vor- und scher Museen verborgen. Frühgeschichte. Dann kam im Frühjahr 1955 – für die Zeitgenossen „wie 20 In der Ukraine existiert keine derartige Gesetzeslage, doch findet – von Aus- ein Blitz aus heiterem Himmel“ – der Beschluss zur nahmen abgesehen – auch hier keine Rückgabe statt. Rückgabe der Gemälde aus der Dresdner Galerie, quasi als 16 21 Auch einige wenige westdeutsche Museen (wie Aachen) sind betroffen, die ihre Pilotprojekt. „Die Entscheidung der UdSSR ... war eine Bestände zum Beispiel auf der Meißner Albrechtsburg eingelagert hatten, um sie der wichtigsten Sensationen im ohnehin schon aufregenden vor Kriegsfolgen zu schützen.

(Wiss. Z. TU Dresden 57 (2008) Heft 3 – 4) 113 den sogenannten Schlossbergungsbeständen. Der historische im Osten – nicht zuletzt aufgrund sich teilweise überlagern- Hintergrund ist – vor allem im Westen Deutschlands – wenig der, sich teilweise ablösender „Fremdbesitzschichten“ – bekannt und noch wenig erforscht.22 Als gesellschafts- und wesentlich komplizierter. Zwischen Rostock und Dresden wirtschaftspolitisch weichenstellende Maßnahme der sowje- wurde zwar 1945/1946 fast überall das Personal beinahe tischen Militäradministration wurde im Herbst 1945 die komplett ausgetauscht, hatten Museumsleute und Bodenreform eingeleitet, bei der Grundbesitz über einer Kunsthistoriker, die in das NS-System involviert gewesen bestimmten Größe – das betraf vor allem Adelsbesitz – ent- waren, kaum neue Chancen. Doch die Probleme endeten schädigungslos enteignet wurde. Betroffen davon waren nicht, sie potenzierten sich eher. Museen waren in der DDR auch die Schlösser und Landhäuser samt ihrem Mobiliar. feste Bestandteile des politischen Systems und somit erneut Für Sachsen wurde im Dresdner (vor dem Krieg mit der Verwaltung und Verwertung von Kunstwerken als unter anderem Sitz der Skulpturensammlung) ein zentrales politischer Manövriermasse befasst, von ihnen wurde erneut Schlossbergungsdepot eingerichtet. So kamen Zehntausende ein Funktionieren im Sinne des Systems erwartetet. Diese von Kunstwerken, kunsthandwerklichen Objekten und Geschichte ist noch nicht einmal ansatzweise geschrieben. Einrichtungsstücken aus sächsischen Schlössern nach Die „Ungleichheit“ eignet sich dafür durchaus als Dresden in die Verwaltung der Staatlichen Kunstsamm- Arbeitshypothese. lungen. Nur ein sehr kleiner Teil davon war ausstellungsfä- hig, der Rest blieb jahrzehntelang in den Depots. 1994 beschloss der deutsche Bundestag die Rückgabe an die Thesen zur Ungleichheit Alteigentümer, sofern sie den Eigentumsnachweis führen können. Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurden seither Gemeinsam ist den Museen im Osten und Westen Tausende von Stücken zurückgegeben, doch ist dieser Deutschlands die Belastung durch das „Erbe“ des Restitutionsprozess noch längst nicht abgeschlossen. Nationalsozialismus – und die über Jahrzehnte zögerliche Auch das ehemalige sächsische Königshaus der WET- Aufarbeitung dieser Geschichte. TINER war 1945 von der Besatzungsmacht enteignet worden. 1999 schloss der Freistaat Sachsen mit den WETTINERN Gemeinsam ist den Museen im Osten und Westen einen Vertrag, der dem Adelshaus seine enteigneten Deutschlands, dass die Suche nach geraubtem oder Kunstschätze zurückgab, sofern sie sich in öffentlichem erpresstem jüdischen Eigentum in ihren Beständen jahr- Besitz befanden. Doch so einfach ließ sich diese zehntelang vernachlässigt wurde. Angelegenheit, die durch eine schwierige Quellenlage zu den Kunsttransfers der ersten Nachkriegsjahre noch kompli- Für die Museen im Osten Deutschlands kamen nach 1945 ziert wird, nicht klären. Seit 2005 legt die GbR „Haus Wettin jedoch neue Problemfelder hinzu. Dazu gehört nicht nur Albertinische Linie“ immer wieder Forderungslisten vor, die der Umgang mit beschlagnahmtem Eigentum von Tausende von Stücken aus der Porzellansammlung, den „Republikflüchtlingen“, sondern auch das Erbe der Gemäldegalerien und anderen Museen umfassen. Rekla- Enteignungen im Rahmen der Bodenreform 1945/1946. miert wird WETTINER Eigentum, das bei der Rückgabe 1999 möglicherweise übersehen worden war.23 Ein spezifisch ost- Die Museen im Osten Deutschlands waren von 1945 bis deutsches Thema? In erster Linie, aber nicht nur, denn auch 1989 in ein System integriert, das Kunst nicht zuletzt als in „alten“ Bundesländern wie Baden-Württemberg zeigt politisches wie ideologisches Instrument betrachtete und sich, dass ein scheinbar endgültig und unwiderruflich Kunstwerke auch als Manövriermasse im finanziellen „Geschichte gewordenes“ Thema wie das Ende der Sinne. Monarchie noch immer nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich begannen Museen im Osten wie im Westen Deutschlands erst um das Jahr 2000 mit einer intensiven 7 Ungleichheiten zwischen Ost und West? Geschichtsforschung und Recherche nach jüdischem Eigentum. Doch für die Museen im Osten kamen eben In der Summe ergeben die skizzierten Probleme eine brisan- noch gravierende andere Probleme, die aufzuarbeiten te Mischung für die Museen – und zwar für die Museen im sind, hinzu. Osten Deutschlands in noch größerem Ausmaß als für die im Westen. Das Erbe der jüngeren deutschen Geschichte ist nach wie vor gegenwärtig. Während sich im Westen der Manuskripteingang: 17.3.2008 Umgang mit ehemaligem jüdischen Kunstbesitz als zentra- Angenommen am: 9.5.2008 ler Prüfstein für diese Aufarbeitung erweist, ist die Situation

22 Eine Ausnahme, allerdings aufgrund ihrer ideologischen Einfärbung nur bedingt nutzbar, ist: Miksch, Anna: Die Sicherung und Nutzung kultureller Lupfer, Gilbert Werte der ehemaligen Herrensitze des Großgrundbesitzes in Sachsen. Ein Prof. Dr. phil. habil. Beitrag zum Problemkreis des Kulturerbes in der antifaschistisch-demokrati- Studium Kunstgeschichte, Geschichte und schen Umwälzung. Dissertation. Leipzig, 1979. Im Rahmen eines Empirische Kulturwissenschaft von 1981 bis Forschungsprojektes zur Geschichte der Staatlichen Kunstsammlungen 1990 an der Universität Tübingen und FU Berlin Dresden im 20. Jahrhundert erfolgt derzeit durch THOMAS RUDERT auch eine ♦ 1995 Promotion zum Dr. phil. ♦ 2002 erste Aufarbeitung der Schlossbergung. Habilitation zum Dr. phil. habil. ♦ seit 2007 apl. Professor für Kunstgeschichte am Institut für 23 Die Angaben hierzu müssen unkonkret bleiben, da laufende Untersuchungen Kunst- und Musikwissenschaft, Philosophische und Verhandlungen die Veröffentlichung von Details verbieten. Eine Klärung Fakultät der TU Dresden ♦ wissenschaftlicher wird erst im Rahmen eines umfassenden Recherche- und Erfassungsprojektes Projektleiter bei den Staatlichen Kunstsamm- möglich sein, das die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 2008 mit lungen Dresden Unterstützung des Freistaates Sachsen initiierten.

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