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SWR2 Zeitwort 11.06.1955 In Le Mans passiert eine Motorsport-Katastrophe Von Eberhard Reuß

Sendung: 11.06.2015 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2015

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Autor: Es ist kurz vor 20.00 Uhr, als sich Reporter Rainer Günzler für die ARD- Rundfunkanstalten aus Le Mans meldet.

O-TON Rainer Günzler: Am späten Nachmittag des heutigen Tages waren wir Zeuge des schrecklichsten Unfalls der Renngeschichte. Der Mercedes-Wagen des Franzosen Levegh wurde zu Beginn der Boxenfront mit circa 280 Kilometer aus der Bahn geschleudert. Bis jetzt liegt die Zahl der Toten bei 30, die der Schwerverletzten erheblich höher.“

Autor: Am Tag darauf wird die Zahl der Toten offiziell mit 82 angegeben. Doch noch Tage und Wochen später sterben Dutzende von weiteren Opfern an ihren schweren Verletzungen. An der Strecke herrscht Chaos. Kurz vor 18.28 Uhr Ortszeit an diesem Samstagabend, dem 11. Juni 1955, ist der Mercedes-Benz von Pierre Levegh in die dichtgedrängten Menschenmassen auf der Haupttribüne gerast und mit einem gewaltigen Knall explodiert. Überall liegen Wrackteile, die Rettungsfahrzeuge und Helfer kämpfen sich mühsam und vorsichtig über die schmale Strecke zwischen Boxengasse und Haupttribüne zum Unfallort vor. Die schmerzerfüllten Schreie der Opfer übertönen den Lärm der Sportwagen. Aber nein, das Rennen wird nicht abgebrochen... Die 24 Stunden von Le Mans sind der wichtigste Lauf zur Sportwagen- Weltmeisterschaft, an der Spitze liefert der Mercedes-Benz mit der Fahrerbesetzung und dem Jaguar von Mike Hawthorn und Ivor Bueb einen erbitterten Zweikampf. Der Rennveranstalter vom „Automobil Club de l´Ouest“ sehen trotz des Unfalls keinen Grund, die Raserei zu stoppen. Auch wenn die Zahl der Todesopfer stündlich steigt. Hörfunk und Fernsehen haben längst über das Ausmaß der Katastrophe berichtet. Jetzt handelt die Direktion der Daimler-Benz AG. Gegen 21.30 Uhr befiehlt Chefingenieur per Telefon aus seinem Sportchef , die verbliebenen beiden Mercedes-Benz Werkswagen aus dem Rennen zu nehmen. Aber wäre das nicht ein Schuldeingeständnis? Sinniert Neubauer, zumal Rennleiter Charles Faroux das Mercedes-Benz-Team inständig bittet, weiterzufahren. Zur Klärung versucht man deshalb Fritz Könecke, den Vorstandschef der Daimler- Benz AG, höchstpersönlich per Telefon zu befragen. Doch im Jahr 1955 ist es nicht so einfach eine freie Leitung von Le Mans nach Untertürkheim zu bekommen. Anderthalb Stunden vergehen, ehe Könecke entscheidet: Es ist höchste Zeit aufzuhören. Am Sonntagmorgen um 1.45 Uhr, mehr als sieben Stunden nach dem Unfall, zieht Mercedes-Benz seine beiden im Rennen verbliebenen Werkswagen zurück. Der bis dahin zweitplazierte Jaguar von Hawthorn/Bueb übernimmt die Spitze und gewinnt das Todesrennen von Le Mans. Mike Hawthorn kann sich nicht zurückhalten und jubelt voller Überschwang bei der Siegerehrung. Drei Tage später, auf einer Pressekonferenz in Untertürkheim wird die Daimler-Benz AG den britischen Rennfahrer für die Katastrophe von Le Mans verantwortlich machen. Ein abruptes Bremsmanöver Hawthornes habe die verhängnisvolle Karambolage zwischen dem Austin-Healey von Lance Macklin und dem Mercedes-Benz von Pierre Levegh ausgelöst. Es vergehen anderthalb Jahre, ehe am 10. November 1956 der offizielle Bericht der französischen Behörden zu dem Schluss kommt, dass niemand für den Unfall verantwortlich gemacht werden kann und demnach auch keine finanziellen Entschädigung für die Opfer zu zahlen ist... 1

Die Katastrophe bei den „24 Stunden von Le Mans“ hat dennoch Konsequenzen: Bereits am 22. Oktober 1955 zieht sich die Daimler-Benz AG vom Rennsport zurück. Und bleibt dieser Entscheidung mehr als 30 Jahre lang treu, ehe Marketinggründe, nämlich eine Verjüngung des Firmenimages, es ratsam werden lassen, wieder werksseitig Motorsport zu betreiben.

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