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.SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

Mindler, Ursula (2007): Nationalsozialistischer und SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), 86-93.

doi: 10.7396/2007_4_I

Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen, verwenden Sie bitte folgende Angaben:

Mindler, Ursula (2007). Nationalsozialistischer Sicherheitsdienst und Gestapo, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), 86-93, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2007_4_I.

© Bundesministerium für Inneres – Sicherheitsakademie / Verlag NWV, 2007

Hinweis: Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (http://nwv.at) erschienen.

Online publiziert: 3/2013 .SIAK-JOURNAL 4/2007

GESTAPO UND NS-SICHERHEITS­ DIENST

Sicherheitsdienst und Gestapo gehörten zu den bedeutendsten Organisa­ tionen im nationalsozialistischen Österreich (1938–1945). Die Gestapo war eine „öffentliche“ Geheimorganisation, der der Mythos der Allgegenwärtig- URSULA MINDLER, Mag. Studium der Geschichte und keit anhaftete und die durch Druck und Terror, aber auch aufgrund der akti- Fächerkombination; derzeit Disser­ ven Teilnahme der Bevölkerung, äußerst effektiv ihre „Staatsfeinde“ ver­ tation an der Universität Graz. folgte. Gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst, der v.a. für seine Spionage- und Spitzeltätigkeit bekannt war (u.a. Erstellung von Lage- und Stimmungs­ berichten für die politische Führung), spielte sie eine wichtige Rolle bei der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung sowie bei der Durchführung der „Endlösung“. Als Paradebeispiel für die Vernetzung der beiden Organisatio­ nen kann die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien angesehen werden, die sich von einer Beraubungs- und Vertreibungsinstitution zu einer Sammel- und Deportationsinstitution entwickelte und u.a. die Deportation von 48.000 Jüdinnen und Juden aus Wien in Ghettos und Vernichtungslager organisierte. Der Werdegang zweier führender Repräsentanten dieser Orga­ nisation, des Leiters der „Zentralstelle“, SS-Brigadeführer Franz Huber, und seines prominenten Mitarbeiters SS-Obersturmbannführer , wird abschließend kurz skizziert.

Wenn man von nationalsozialistischem Organisation entwarf und dass es sowohl Sicherheitsdienst und Gestapo spricht, so das Ineinandergreifen von Partei und Staat hat man meist das Bild des „Mannes im als auch personelle und institutionelle schwarzen Ledermantel“ vor Augen, der Überschneidungen während der Zeit des an jeder Straßenecke lauert, alles beobach- Nationalsozialismus in vielen Bereichen tet und überall zur gleichen Zeit ist. Man erheblich erschweren, Strukturen klar von wusste zwar nicht, woher diese Person einander getrennt zu analysieren. So war kam und welcher Institution sie zuzuord- (1900–1945) zugleich nen war, fürchtete sich aber vor ihr und Reichsführer SS (), Chef der der willkürlichen Macht, die sie auszu- Deutschen Polizei sowie Chef der Ge­ üben schien. Viele der Vorstellungen, die heimen Staatspolizei (Gestapo); Reinhard von diesen beiden Organisationen existie- Heydrich (1904–1942) war Chef der ren, können in den Bereich der Mythen (Sipo) und des Sicher­ verwiesen werden. Gründe für die Entste- heitsdienstes (SD) sowie später des Reichs­ hung solcher Bilder liegen darin, dass die sicherheitshauptamtes (RSHA). Gestapo selbst das Bild einer allwissenden Der SD wiederum fungierte als Sicher­

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heitsdienst des Reichsführers SS und war nahme von Bregenz Staatspolizeistellen somit Nachrichtendienst der Nationalso­ (Davy 1990, 26 ff; Mang 2004, 7 f, 131). zialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). In der Folge soll nun ein Über­ RECHTLICHE SITUATION blick über die zwei wichtigsten national­ Die neu geschaffene Gestapo war ein sozialistischen Geheim- und Nachrichten­ „Staat im Staat“, der sich vollständig in dienste in Österreich (damals „Ostmark“), der Hand der Partei befand. Im Wesentli­ Gestapo und SD, sowie deren Vernetzung chen hatte sie zwei Aufgaben: „Staats­ in der „Zentralstelle für jüdische Auswan­ feinde“ im Innern auszuforschen und zu derung“ in Wien gegeben werden. bekämpfen sowie Informationen zu sam­ meln und weiterzuleiten. Ihr grenzenloser GESTAPO und unberechenbarer Terror nach Innen, Nach dem „“ an das Deutsche ihre präventiv-polizeiliche Tätigkeit be­ Reich im März 1938 wurde die Gestapo deuteten das Ende der Rechtssicherheit, da auch in der Ostmark das wichtigste und die Gestapo auch „tätig“ wurde, ohne dass schlagkräftigste Instrument des NS-Re­ ein strafgesetzwidriges Verhalten gesetzt gimes zur Bekämpfung seiner Gegner und worden war. Das bedeutet, um verhaftet zu zur Durchsetzung seiner Rassenpolitik werden, reichte es, wenn jemand den Ein­ (Neugebauer 2000, 728). druck „feindlicher Betätigung“ vermittelte (Davy 1990, 12, 15, 17 ff). Nach dem „An­ Organisatorisch orientierte schluss“ war weiterhin österreichisches man sich an Himmlers Recht gültig. Das heißt, dass die Gestapo reformiertem Polizeisystem nicht alle ihre Aufgaben wahrnehmen von 1936. konnte, da sie im Rahmen der gültigen Gesetze ausschließlich repressiv staats­ Er hatte SS und Polizei vereinigt und zwei feindliche Bestrebungen erforschen und Hauptabteilungen geschaffen: die Ord­ bekämpfen hätte dürfen – das österreichi­ nungspolizei (Schutzpolizei, Gendarmerie, sche Recht ermächtigte nicht zum präven­ etc.) und die Sipo (Gestapo, Kriminalpoli­ tiven staatspolizeilichen Einschreiten. zei). Die Gestapo übernahm alle vorhan­ denen Ämter der politischen Polizei. Ihre Dieses Regelungsdefizit wurde Unterabteilungen hießen Staatspolizeileit­ durch eine Sondervorschrift, stellen (Gutman 1998, 533). Der neu eine „polizeiliche General­ errichteten Staatspolizeileitstelle Wien vollmacht“, behoben. wurden im März 1938 die „politisch-poli­ zeilichen Aufgaben“ der bisherigen Gene­ Somit gewann in der Ostmark – im Gegen­ raldirektion für die öffentliche Sicherheit, satz zum Deutschen Reich – der „Gesamt­ Polizeidirektion und Sicherheitsdirektion auftrag der Polizei“ („Wahrung der Wien übertragen. Sie war die größte der Gemeinschaftsordnung“), der viel Defini­ 59 Staatspolizeileitstellen des Deutschen tionsfreiraum ließ, Rechtscharakter (Davy Reiches und wurde von 1938–1944 vom 1990, 29 f, 42 f, 45). Die Gestapo besaß Münchner Franz Josef Huber (1902–unbe­ alle „politisch-polizeilichen Agenden“ – kannt), danach von Dr. Rudolf Mildner diese waren jedoch nicht klar definiert – geleitet. Die übrigen Sicherheitsdirektio­ d.h., sie bestimmte selbst, was in ihren nen in Linz, Graz, Salzburg, Klagenfurt, Zuständigkeitsbereich fiel. Zwar hatte sie Innsbruck und Eisenstadt wurden mit Aus­ theoretisch keine Strafgerichtsbarkeits­

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Kompetenz, übte sie jedoch praktisch aus. gierte vor allem auf Informationen von Sie konnte mittels weitreichender Polizei­ außen. Der eigene Nachrichtendienst verfügungen Maßnahmen im Einzelfall wurde nur bei gegnerischen Nachrichten­ treffen – z.B. Festnahme, Einlieferung in diensten zu Spionagezwecken aktiv sowie ein Konzentrationslager, Landesverwei­ in Situationen, wo man die Tätigkeit orga­ sung oder die Verhängung von Schutzhaft, nisierter Gruppen (z.B. Kommunisten) welche auch statt einer gerichtlichen vermutete (Mang 2004, 9 ff, 33, 40). Ein Untersuchungshaft oder nach erfolgter Netz von Konfidenten – sogenannten Ver­ Strafverbüßung und sogar nach erfolgtem trauensleuten (V-Leuten) – arbeitete frei­ Freispruch angeordnet werden konnte willig oder gezwungenermaßen für die (Davy 1990, 18 ff). Gestapo. Der „Mann im schwarzen Leder­ mantel“ war zwar nach außen sichtbar, MYTHOS GESTAPO eigentlich aber nur eine Randfigur: Für Die Gestapo war eine gezielt nicht ge­ die Effizienz sorgte die „unsichtbare heimgehaltene Geheimorganisation (Mang Funktionselite“ – die Schreibtischtäter im 2004, 51). Ihren Mythos als eine „all­ Hotel Metropol, dem Sitz der Gestapo in mächtige, allwissende und allgegenwär­ Wien (Mang 2004, 26, 44). tige Institution“ verdankt sie vor allem der NS-Presse und -Propaganda, deren be­ Der Internationale Militärgerichtshof in wusst gezeichnetes Schreckensbild nach Nürnberg erklärte die Gestapo in seinem 1945 unreflektiert übernommen wurde. Urteil vom 01.10.1946 zur kriminellen Vereinigung. Das von der Bevölkerung wahrgenommene Gefühl der SICHERHEITSDIENST Dauerbedrohung war mehr ein psychisches denn ein reales. HISTORISCHE ENTWICKLUNG Die Wurzeln des SD reichen in das Jahr Dennoch zeigte die Gestapo eine beispiel­ 1931 zurück, als im Deutschen Reich ein lose Effektivität bei der Verfolgung ihrer SS-Nachrichtendienst durch Himmler ein­ „Staatsfeinde“, wobei diese Effizienz vor gerichtet und Heydrich mit dessen Leitung allem auf zwei Säulen ruhte: Erstens ging betraut wurde. 1932 fungierte diese Ein­ die Gestapo bei Verhören äußerst brutal richtung als Geheimdienst der SS mit der vor (Folter, Misshandlungen) und erzielte Aufgabe, Feinde der NSDAP zu entlarven damit zahlreiche „Geständnisse“ und und zu überwachen. zweitens erhielt sie viele Informationen von außen. So wurden ihr zahlreiche De­ Dabei wurden auch die nunziationen zugetragen: Es setzte eine eigenen Parteiorganisationen wahre Denunziationsflut durch „einfache observiert – v.a. die Sturm­ Volksgenossen“ ein – es wirkten aber auch abteilung (SA), die damals beispielsweise „Blockwarte“, Bindeglie­ mehr Mitglieder hatte als die der zwischen Partei und Bevölkerung, als NSDAP selbst. „Hilfspolizisten“, indem sie kritische Äußerungen der Ortsgruppenleitung mel­ Zwei Jahre später wurde der SD zum allei­ deten, die dies dann im Regelfall an die nigen Geheimdienst der NSDAP ernannt Gestapo weiterleitete. Somit arbeitete die mit dem Aufgabenbereich, über die politi­ Gestapo weniger investigativ, sondern rea­ sche Lage im Reich und die Stimmung der

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Bevölkerung zu berichten. Da die Arbeits­ Haupttätigkeit der SD-Stellen bestand teilung zwischen Gestapo und SD nicht darin, lückenlose Stimmungs-, Lage- und durchgehend klar definiert war, kam es Tätigkeitsberichte zu verfassen, die jedoch immer wieder zu Rivalitäten – obwohl wesentlich allgemeiner und ungenauer als beide eigentlich unter derselben Leitung die Gestapoberichte gehalten waren (Neu­ standen. Himmler versuchte dies zu klären gebauer 2000, 734, 741). und erläuterte, der SD sei ein Spionage- und Gegenspionagedienst mit der Auf­ Der SD versorgte somit die gabe, der Gestapo bei der Entlarvung von politische Führung mit Infor­ Staatsfeinden zu helfen, mit denen sich mationen, die auch Einfluss dann die Gestapo zu befassen habe. Zwar auf wesentliche Entschei­ wurden in der Folge Richtlinien erlassen, dungsprozesse hatten. doch blieben für gewisse Bereiche – z.B. die „Judenfrage“ – beide Organisationen 1939 gründete Heydrich das RSHA und zuständig. Nach Kriegsbeginn schloss sich einte somit Gestapo und SD, welcher dann der SD den „“ (mobile im RSHA die Ämter III (SD-Inland), VI Tötungseinheiten in den von deutschen (SD-Ausland) und VII (Forschung) inne­ Truppen besetzten Gebieten während des hatte. Die erfolgreichste Umsetzung dieser 2. Weltkrieges) an und erhielt somit auch Fusion fand in Wien statt – in Form der Exekutivaufgaben. „Zentralstelle für jüdische Auswande­ rung“ (siehe unten). Der SD spielte da­ Neben Spionagetätigkeiten durch auch in der Ostmark eine wichtige waren SD-Mitarbeiter auch in Rolle bei der Durchführung der „Endlö­ Massenmorde vor allem an sung“ (Ermordung aller Juden Europas). Zivilisten in den besetzen Gebieten der Sowjetunion Der Internationale Militärgerichtshof in involviert. Nürnberg erklärte den SD in seinem Urteil vom 01.10.1946 zur kriminellen Vereini­ Nach dem gescheiterten Attentat auf Hit­ gung. ler 1944 erhielt der SD auch die Kontrolle über die „“, den von 1938–1944 ZENTRALSTELLE FÜR JÜDISCHE wichtigsten militärischen Nachrichten­ AUSWANDERUNG1 dienst des Deutschen Reiches (Gutmann 1998, 3, 1297 ff; Mang 2004, 59). AUFBAU Die „Zentralstelle für jüdische Auswande­ SITUATION IN DER OSTMARK rung“ (kurz „Zentralstelle“) in Wien kann Nach dem „Anschluss“ 1938 begann man als der „organisatorische Modellfall der auch in der Ostmark mit dem Aufbau des angestrebten operativen und vor allem SD-Apparates – die SD-Außenstellen ideologischen Fusion von Sicherheitspoli­ wurden im SD-Leitabschnitt Wien zusam­ zei (Gestapo) und Sicherheitsdienst ange­ mengefasst, der dem SD-Oberabschnitt sehen werden“ (Mang 2004, 56). Dies Donau angehörte. Der SD konnte zahlrei­ bedeutet den Zusammenschluss des staat­ che haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter lichen Polizeiapparates (Sipo: Gestapo sowie „V-Leute“ gewinnen, u.a. auch Per­ und Kripo) mit dem nationalsozialisti­ sonen, die im Kultur- und Geistesleben schen Parteiapparat des SD. Die „Zentral­ vor bzw. nach 1945 bedeutend waren. Die stelle“ war aus dem SD hervorgegangen

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und war eine Parteiinstitution der NSDAP. Wohnungen, …). Die Weisungen zur Formell war sie dem „Inspekteur der Deportation der jüdischen Bevölkerung Sicherheitspolizei und des SD“ unterstellt – ergingen im Regelfall lokal vom Inspek­ dies war für Wien, „Niederdonau“ und teur der Sicherheitspolizei und des SD und „Oberdonau“ der Leiter der Staatspolizei­ von der Staatspolizeileitstelle aus – die leitstelle Wien, Franz Huber. Die „Zentral­ „Zentralstelle“ organisierte die Deporta­ stelle“ wurde im August 1938 von Adolf tion von 48.000 Jüdinnen und Juden aus Eichmann (1906–1962) installiert und Wien in Ghettos und Vernichtungsstätten stellte ein Unikat in der NS-Politik dar. des Ostens. Eichmanns „originäre Idee“ dabei war die zwangsweise Heranziehung von Mitglie­ AUFLÖSUNG dern der Israelitischen Kultusgemeinde Als die „Zentralstelle“ im März 1943 auf­ (IKG) zur Mitarbeit, um einen „reibungs­ gelöst wurde, wurden ihre Aufgaben von losen“ Ablauf der „Zentralstelle“ zu er­ der Gestapo übernommen. möglichen – ein Konzept, dass seinen Vor­ Festzuhalten ist, dass die Verflechtungen stellungen gemäß erfolgreich funktionierte. nicht nur institutioneller Art waren, son­ Einer der bekanntesten Mitarbeiter Eich­ dern auch personeller. Zum Abschluss manns war das SS-Mitglied Alois Brunner seien daher die Lebensläufe zweier in der (1912–unbekannt). Ostmark bedeutender und führender SD- und Gestapo-Leute kurz skizziert. AUFGABE Die Aufgaben der „Zentralstelle“ waren FRANZ JOSEF HUBER2 genau definiert und zeitlich begrenzt. Einer der „NS-Hauptverbrecher“ auf ös­ Allerdings verlagerte sich der Schwer­ terreichischem Boden war Franz Josef punkt im Laufe der Zeit von einer forcierten Huber (Neugebauer 2000, 730). Huber, „Auswanderung“ hin zur „Endlösung“ – 1902 in München geboren, arbeitete von einer Beraubungs- und Vertreibungs­ (nachdem er die Schule abgebrochen institution zu einer Sammel- und Deporta­ hatte) ab 1922 bei der Polizei in Mün­ tionsinstitution. Sie stellte zum Zeitpunkt chen. „Reinhard Heydrichs Musterschüler ihrer Gründung einen neuen Typus dar und und ideologisches Sorgenkind“ (Mang ermöglichte die „schnelle, effiziente, […] 2004, 113) trat erst 1937 der NSDAP bei, ‚unbürokratische‘ Vertreibung und […] hatte sich jedoch als Kriminalist in Beraubung der jüdischen Bevölkerung Deutschland bewährt und einen Namen Wiens“ (Mang 2004, 56). gemacht (so klärte er beispielsweise das Elser-Attentat auf Hitler auf) – sein Ver­ Allerdings war diese terroris­ hältnis zu Heydrich und seine Freund­ tische und bürokratische schaft mit Gestapochef Heinrich Müller Effizienz der Kooperation von (1900–unbekannt) waren seiner Karriere Gestapo und „Zentralstelle“ ausgesprochen dienlich. Von März 1938 nur durch das unterstützende bis Dezember 1944 war er Leiter der Verhalten der Bevölkerung Staatspolizeileitstelle Wien sowie „Ins­ möglich. pekteur der Sicherheitspolizei und des SD“ und somit auch Leiter der „Zentral­ Viele „Volksgenossen“ erhofften sich durch stelle für jüdische Auswanderung“ in die Vertreibung der jüdischen Bevölke­ Wien – das bedeutet eine im Dritten Reich rung persönliche Vorteile (Arbeitsplätze, einzigartige Ämterkumulation:

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Nach seiner Gefangennahme warben so­ Er leitete in Personalunion wohl die USA als auch Russland um ihn – Gestapo, Kripo, SD und das letztlich wurde er in seinem Entnazifizie­ Inspektorat. rungsverfahren als Minderbelasteter ein­ gestuft und zu einem Jahr Gefängnis Seine höchsten Ränge im Laufe seiner bedingt und einer Geldbuße verurteilt. Amtszeit waren jene des SS-Brigadefüh­ Anschließend lebte er unbehelligt als rers, Stellvertreters des Höheren SS- und Buchhalter in München, bis sich seine Polizeiführers (HSSPF) und Generalma­ Spur verliert – es ist auch nicht bekannt, jors der Polizei. In seinen Verantwortungs­ ob bzw. wann Huber, der „nicht der rang­ bereich fielen auch die Massenverhaftun­ höchste, aber der effektivste NS-Täter“ gen von Juden durch die Gestapo und die (Mang 2004, 128) war, verstorben ist. Ausschreitungen beim „Novemberpo­ grom“, an dem die Gestapo beteiligt war. ADOLF EICHMANN4 Huber war ein „geräuschloser Exekutor“ Spätestens durch den „Eichmann-Prozess“, (Mang 2004, 146). Er hatte einen Ruf als der 1961/62 in Jerusalem geführt wurde, Lebemann, erbrachte seinen „Ariernach­ setzte sich in der Weltöffentlichkeit das weis“ nicht und erfüllte eigentlich weder Bild fest, Eichmann sei die „Personalisie­ privat noch durch seine Art der Amtsaus­ rung und Monopolisierung des Judenmor­ übung die Ansprüche Heydrichs, war aber des“ (Mang 2004, 75). Dies bedeutete eine sehr „effektiv“ in seiner Arbeitsweise und Festmachung der „Banalität des Bösen“ an einer der Hauptverantwortlichen für die der Person Eichmanns (Arendt 1998), was Deportation und Ermordung der jüdischen gleichzeitig auch zu einer Herabspielung Bevölkerung Österreichs. der Mitverantwortung anderer Täter führte. Eichmann war schuldig – er hatte die Ende 1944 wurde er von SS- „Endlösung der Judenfrage“ zu seiner Führer Lebensaufgabe gemacht, doch hatte er (1903–1946), seit 1942 Leiter seine Rolle und seinen Einfluss in der NS- des RSHA, zum Befehlshaber Zeit auch teilweise überhöht dargestellt; in der Sipo und des SD befördert. seinem Schatten konnten nun nach 1945 Kriegsverbrecher unerkannt und unbeläs­ Als sich das Ende des Nationalsozialismus tigt leben. abzeichnete, verfolgte Huber zu seinem Der 1906 in Deutschland Geborene zog eigenen Schutz eine Doppelstrategie: Zum im Kindesalter mit seiner Familie nach einen gewährte er alliierten Gefangenen Linz, wo sie fortan lebten. Er brach Schule mehr Schutz, zum andern war er zunehmend und Lehre ab und wurde von einem Be­ weniger aktiv. So simulierte er Herzinfarkte kannten, dem bereits erwähnten Ernst Kal­ (den ersten zu Ostern 1944), die ihm einen tenbrunner, dazu überredet, der NSDAP langsamen Rückzug ermöglichten. und SS beizutreten.

In die „Mühlviertler Hasen­ Nach dem NS-Verbot in Öster­ jagd“3 im Februar 1945 war er reich 1933 flüchtete er nach jedoch noch nachweislich Deutschland und wirkte in der involviert. österreichischen Legion (Ein­ heit für emigrierte österrei­ chische Nationalsozialisten).

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Zunächst war der spätere SS-Obersturm­ treibung der jüdischen Bevölkerung, son­ bannführer im Lager Dachau „tätig“, dern um eine „Endlösung der Judenfrage“. wechselte dann jedoch zum SD nach Ber­ Eichmann beendete die Zusammenarbeit lin, wo ihm 1935 das „Judenreferat“ zuge­ mit den jüdischen Auswanderungsorgani­ wiesen wurde, in dem er v.a. die jüdische sationen und bereitete die „Wannsee-Kon­ Auswanderung forcierte. In der drei Jahre ferenz“ vor, an der führende mit der „End­ später in Wien gegründeten „Zentralstelle lösung der Judenfrage“ befasste Personen für jüdische Auswanderung“, die offiziell teilnahmen. Eichmanns Büro regelte die unter Hubers Leitung stand, war er eine Deportation von europäischen Juden in der treibenden organisatorischen Kräfte die Vernichtungslager (in Kooperation mit und arbeitete auch mit jüdischen Organi­ der Eisenbahn-Verwaltung – er bemühte sationen zusammen, um die Auswande­ sich besonders um die Installierung eines rung effizient zu beschleunigen. Nach regelmäßigen Fahrplans für Deportations­ dem Einmarsch der Nationalsozialisten in züge). Nach der Besetzung Ungarns im Böhmen und Mähren wurde Eichmann März 1944 organisierte er innerhalb kür­ mit dem Aufbau einer „Zentralstelle“ in zester Zeit persönlich die Deportation von Prag betraut und ging dann nach . rund 450.000 ungarischen Jüdinnen und Nach der Gründung des RSHA ernannte Juden („Sonderkommando Eichmann“) man ihn dort zum Leiter des „Umsied­ und ab Herbst 1944 die „Todesmärsche“, lungsreferates“ in der Gestapo (Amt IV). wo ungarische Juden und Jüdinnen zu Fuß nach Österreich getrieben wurden, um von Er organisierte und leitete teil­ dort in Zwangsarbeitslager verschickt zu weise auch persönlich die Ver­ werden. Nach Kriegsende floh Eichmann treibungen von Polen und mit Hilfe des Vatikans nach Argentinien, Juden aus polnischen Gebie­ wo er später vom israelischen Geheim­ ten sowie von Juden aus dienst gefangen genommen und nach Deutschland. Israel gebracht wurde (Gutman 1998, 1, 388). Im „Eichmann-Prozess“ (der für Im Laufe des Kriegs gegen die Sowjet­ großes Aufsehen sorgte) wurde er schul­ union fand auch ein „Kurswechsel“ statt – dig gesprochen, zum Tode verurteilt und es ging nun nicht mehr „nur“ um die Ver­ 1962 hingerichtet.

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1 Der Abschnitt über die „Zentralstelle für Beraubungsinstitution, München. Weiterführende Literatur und Links jüdische Auswanderung“ folgt Mang Arendt, H. (1998). Eichmann in Jerusalem. Banach, J. (1998). Heydrichs Elite. Das (Mang 2004) und Anderl/Rupnow (Anderl/ Ein Bericht von der Banalität des Bösen, Führungskorps der Sicherheitspolizei und Rupnow 2004). München/Zürich. des SD 1936–1945, Paderborn/München/ 2 Sofern nicht anders gekennzeichnet, folgt Davy, U. (1990). Die Geheime Staats­ Wien/Zürich. die Darstellung Mang (Mang 2004), der polizei in Österreich. Organisation und Black, P. (1984). Ernst Kaltenbrunner. die einzige ausführliche Biographie zu Aufgaben der Geheimen Staatspolizei im Ideological Soldier of the Third Reich, Huber verfasst hat. „Dritten Reich“ und die Weiterführung Princeton. 3 Als „Mühlviertler Hasenjagd“ wird der ihrer Geschäfte durch österreichische Gellately, R. (1994). Die Gestapo und die Ausbruchsversuch von rund 500 russi­ Sicherheitsbehörden, Wien. deutsche Gesellschaft. Die Durchsetzung schen Kriegsgefangenen aus dem KZ Gutman, I. (Hg.) (1998). Enzyklopädie der Rassenpolitik 1933–1945, Paderborn/ Mauthausen im Februar 1945 bezeichnet, des Holocaust. Die Verfolgung und Ermor­ München/Wien/ Zürich. die von der SS im Rahmen einer Groß­ dung der europäischen Juden. 3 Bände, Hafner, G./Schapira, E. (2002). Die Akte fahndung regelrecht gejagt wurden und München/Zürich. Alois Brunner. Warum einer der größten mit Hilfe eines Großteils der Bevölkerung Mang, T. (2004). „Gestapo-Leitstelle Wien – Nazi-Verbrecher noch immer auf freiem fast alle wieder gefangen genommen und Mein Name ist Huber“. Wer trug die Fuß ist, Reinbek bei Hamburg. anschließend ermordet wurden. lokale Verantwortung für den Mord an Paul, G./Mallmann, K.-M. (Hg.) (1995). 4 Nach Mang (Mang 2004) und Gutman den Juden Wiens?, Münster. Die Gestapo – Mythos und Realität, Darm­ (Gutman 1998, 385–389). Neugebauer, W. (2000). Der NS-Terrorap­ stadt. parat, in: Tálos, E./Hanisch, E./Neuge­ Paul, G./Mallmann, K.-M. (Hg.) (2000). Quellenangaben bauer, W./Sieder, R. (Hg.) NS-Herrschaft in Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Hei­ Anderl, G./Rupnow, D. (2004). Die Zen­ Österreich. Ein Handbuch, Wien, 721–743. matfront“ und besetztes Europa, Darm­ tralstelle für jüdische Auswanderung als stadt.

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