Kultur / Wissen 17 WOZ Nr. 26 30. Juni 2016

Hinter den properen Fassaden der Alltagskultur lauert systemische Gewalt: Szene aus John Carpenters «» (1988). © Kobal Collection, AFP

Politischer Horror Die Geisterbahn der Konsumkultur Ganz schön krude und darum von ungebrochener Brisanz: US-Regisseur (68) kommt als Ehrengast ans diesjährige Filmfestival in Neuenburg – und spielt dort auch ein Konzert mit seinen Filmsoundtracks.

Von Johannes Binotto

In John Carpenters «They Live» (1988) findet Ähnlich dienen John Carpenter die Ver- zeigen, wird bei Carpenter in exzessiven Bil- nur noch schärfer, warum Kritik und Publi- ein Tagelöhner aus den Slums von Los Ange- satzstücke des Horrorfilms als Mittel einer dern ausbuchstabiert. Seine KritikerInnen kum «The Thing» so wenig goutiert haben. les einen Karton Sonnenbrillen, mit denen anarchistischen Kritik an den herrschen- haben das als Pornografie des Ekelerregen- Denn während Spielbergs freundlicher Aus­ man hinter die Fassaden der Konsumwelt den Verhältnissen. Seine Monster sind somit den verkannt. Tatsächlich aber erweisen sich serirdischer letztlich nur dazu dient, den blicken kann. Auf Zeitschriftencovern, Wer- wörtlich zu nehmen: Sie dienen der Demons­ etwa die zügellosen visuellen Effekte in «The kindlichen Glauben ans amerikanische bebannern und Fernsehschirmen sieht er nun tration, durchaus auch im Sinn der politi- Thing» (1982) als monströse Demonstration «home» zu restaurieren, höhlt Carpenters deren e­igentliche Botschaften prangen: «Ge- schen Agitation. So erweist sich in «Chris- des Klimas der Paranoia, um die es im Film Ding solche Fantasien restlos aus. horche!», «Konsumiere!», «Reproduziere!», tine» (1983) ausgerechnet das Automobil, geht. Das titel­gebende Ding ohne Namen, das Aus heutiger Perspektive erweist sich die- «Schlaf weiter!» steht in fetten Lettern, wo der dieses Statussymbol und die Verkörperung andauernd seine Form wechselt und sich alles se Vision freilich als möglicherweise hellsich- unbebrillte Blick nur Nachrichten und Wer- amerikanischer Fortschrittshoffnung, als einzuverleiben vermag, was sich ihm in den tiger, und Carpenters fatalistischer Schluss- bung sah. Und die Dollarnoten zeigen statt mordendes Monstrum. «Life’s a Highway», Weg stellt – es ist nichts anderes als materia­ satz («Why don’t we just wait here for a while des Konterfeis der Präsidenten singt Bruce Springsteen – «aber lisierte Ideologie, wuchernde Verkörperung and see what happens?») könnte auch gut als den Satz «This is your God!». der Highway ist eine Geister- imperialer Hegemonie­ansprüche wie auch Beschreibung jener Ratlosigkeit dienen, die Schliesslich entpuppen sich auch bahn», fügt Carpenter hinzu. der damit einhergehenden Verlust­ängste. einen gegenwärtig angesichts um sich beis­ die Mächtigen im Blick durch die Wie die Brille in «They Live» sender Ideologien ergreift. In diesen Tagen Brille als das, was sie eigentlich sind Carpenters Horrorwesen Totenkopf mit Toupet findet man auf Twitter wieder Bilder, die an sind: Aliens mit Totenkopffrat- Medien, die erlauben, eine sys- «They Live» angelehnt sind: mit einem Toten- zen. Der Banker, der neben dir temische Gewalt aufzudecken, Kurz nach Steven Spielbergs «E. T.» in die Ki- kopfzombie mit blondem Toupet. Carpenters am Kiosk steht, oder die reiche die hinter den properen Fassa- nos gekommen, zeigt der direkte Vergleich Demonstratio­nen sind wohl leider nötiger Dame im Supermarkt – alles lau- den der Alltagskultur lauert. In mit dem familienfreundlichen Blockbuster denn je. ter Monster um uns herum. einem Interview hat Carpen- ter einmal bemerkt, dass er bis Das Auto als Mörder heute besonders von Obdach- losen auf seinen Film «Prince Das Publikum freilich brauch- of Darkness» (1987) angespro- Fantastische Filme in Neuenburg te keine besondere Brille, um John Carpenter. chen werde – wohl vor allem dies als Allegorie auf den US- deswegen, weil sich diese in Kapitalismus der Reagan-Ära jenen verlorenen Figuren wie- S ynthesizer des Grauens und deren republikanische Elite zu erkennen. dererkennen, die dazu verdammt sind, als Am Festival des fantastischen Films in Neuen- bereits notorischen Nonsensfilm namens Gewiss, Carpenters Kritik ist so hemdsärm- Knechte Satans um die verlassene Kirche zu burg (NIFFF) wird John Carpenter nicht nur «Swiss Army Man» eine furzende Leiche lig wie sein lumpenproletarischer Protago- streichen, in der der Film spielt. Gibt es ein als Regisseur gewürdigt, sondern auch als spielt, die einen glücklosen Selbstmörder nist, doch genau in solcher Krudheit steckt schockierenderes Sinnbild für das Elend der Komponist seiner eigenen Soundtracks. Wäh- rettet. Unter den weiteren Attraktionen im die ungebrochene Brisanz seiner Filme, die Randständigen als die Grossaufnahme des rend sein letzter Film «The Ward» sechs Jahre Wettbewerb finden sich Zombies in Bolly- jetzt in Neuenburg mit einer grossen Retro­ Kaffeebechers, den die zerlumpte Frau dem zurückliegt, sind seit letztem Jahr gleich zwei wood («Miruthan»), ein beklemmendes Haus spektive geehrt werden. Dass das Horrorkino Priester entgegenstreckt und in dem sich kei- neue Platten von ihm erschienen, mit Instru- im Teheran der achtziger Jahre («Under the ein zutiefst politisches Genre sei, haben die ne Almosen, sondern nur Dreck und Maden mentalstücken, die er mit seinem Sohn Cody Shadow») oder ein polnisches Musical über systemkritischen Regisseure aus Carpenters befinden? Jene, die man auf Englisch heute eingespielt hat. Die Tracks auf «» kannibalistische Meerjungfrauen in einem Generation, wie Wes Craven, George Romero «dis­enfranchised» nennt, denen die «besse- und «Lost Themes II» klingen dabei wie Film- Nachtclub («The Lure»). Noch mehr meer- oder David Cronenberg, schon seit den sieb- re» Gesellschaft ihre Bürgerrechte entzogen musik für nie gedrehte Horrorfilme, mit Syn- jungfräuliches Empowerment gefällig? Das ziger Jahren vorgeführt. Gerade weil der Hor- und die man gänzlich an den Rand verdrängt thesizern wie aus der Retro-Chilbi. Carpenter gibts in der chinesischen Öko-Actionkomö- rorfilm von der ernsthaften Kritik so gerne hat, kehren in Carpenters Filmen wieder – erweist sich hier als Jean-Michel Jarre des die «The Mermaid» von Regisseur Stephen als niederer Nervenkitzel übersehen wird, camoufliert und doch gut erkennbar hinter Grauens, und ironischerweise hat er für diese Chow, wo eine schlagkräftige Meerjungfer bietet er Freiräume, die den respektableren Hockeymaske («») und Nebel- beiden Platten bessere Kritiken bekommen, gegen böse Investoren kämpft. Regisseuren verwehrt sind. So konnte etwa schwaden («»). als er es mit seinen Filmen gewohnt ist. Florian Keller George Romero mit «Land of the Dead» einen Louis Althussers These, wonach politi- Jenseitige Töne werden am NIFFF aber derart ätzenden Film über Klassenkampf in sche Ideologien nicht etwa abstrakte Denkge- auch im internationalen Wettbewerb zu hö- Neuchâtel International Fantastic Film Festival in: Neuenburg, 1.–9. Juli. Konzert von John den nuller Jahren machen, indem er die un- bäude, sondern materielle, handfeste Erschei- ren sein – zum Beispiel und namentlich von Carpenter: Théâtre du Passage, Dienstag, 5. Juli, terdrückten Arbeiter als Zombies verkleidete. nungen sind, die sich in konkreten Praktiken Daniel «Harry Potter» Radcliffe, der in dem 20 Uhr. Programm und Tickets: www.nifff.ch.