Quellenstudien Zur Geschichte Des Neueren Französischen Einflusses Auf Die Deutsche Kultur
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Quellenstudien zur Geschichte des neueren französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. Von CURT GEBAUER. IV. Der Traktat des Thomas Erpenius über die nützliche Einrichtung der Reise nach Frankreich. Dem seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts in Deutsch- land immer wachsenden und sich ausbreitenden Streben, die französischen Verhältnisse auf einer Reise nach Frankreich genauer kennen zu lernen, suchte eine Überschwemmung des deutschen Büchermarktes mit französischen Reiseführern, Wörterbüchern und Sprachlehren Genüge zu leisten. Für Reisende, die es mit ihren Studien ernst meinten, ist nun im zweiten Dezennium des 17. Jahrhunderts auch das Werkchen entstanden, das wir auf den folgenden Blättern modernen Lesern zugänglich machen wollen, des Thomas Erpenius De peregrinatione Gallica utiliter instituenda tractatus. In Holland geschrieben und gedruckt wie viele der bekanntesten Schriften jener Zeit, hat dieser Traktat sicher auch in Deutschland schnelle Verbreitung gefunden und vielen Reise- lustigen den Aufenthalt in Frankreich nutzbringend gestaltet, so aber auch nicht wenig zur Kenntnis und Nachahmung fran- zösischer Sitten in Deutschland beigetragen. Denn zugleich mit den Früchten ernsterer Studien pflegten die Reisenden eine ver- stärkte Neigung für das französische Wesen in das Vaterland heimzubringen. Archiv für Kulturgeschichte. VI. 1 Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 2 Curt Gebauer. Thomas van Erpe, latinisiert Erpenius, geboren am 11. Sep- tember 1584 in Gorkum (Holland), seit 1613 Professor der orientalischen Sprachen an der Universität Leyden, hatte die kleine Schrift im Jahre 1624 zu Nutz und Frommen eines jungen Freundes namens Johannes Nipartius verfaßt, der einen Winter in Frankreich zu verleben gedachte. Die Redaktion des Traktates läßt auch wohl hier und da erkennen, daß dem gelehrten Ver- fasser ursprünglich die Absicht der Veröffentlichung fern gelegen hatte. Sieben Jahre später (1631) veranlaßte Wilhelm Christiani in Leyden, ein Schüler des Erpenius, den Druck und widmete diesen unter Beigabe eines kurzen Briefes des gelehrten Justus Lipsius über italienische Reisen zwei jungen Männern, Wilhelm und Heinrich Scriverius, welche den Traktat auf ihren Reisen gebrauchen konnten, und zwar um sich dem Vater seiner Günst- linge für empfangene Wohltaten erkenntlich zu zeigen. Wir können diese Tatsachen aus dem in der mir vorliegenden Ausgabe der Breslauer Stadtbibliothek vorgedruckten Dedikationsbriefwechsel entnehmen. Die benutzte Ausgabe trägt die Jahreszahl 1721, ist in Hamburg bei Benjamin Schillers Witwe und Johann Christof Kisner erschienen, und zwar als Anfang einer Sammlung lite- rarischer Miszellen, deren Herausgeber, Adam Heinrich Lackmann, diesen Abdruck des Traktates als derr ersten in Deutschland hergestellten bezeichnet. Dem Traktat ist noch eine Beschreibung Frankreichs, eigentlich des alten Galliens, angefügt, wahrscheinlich gleichfalls aus der Feder des Erpenius. Der Traktat ist wie die Beschreibung Frankreichs in lateinischer Sprache abgefaßt. Er zerfällt in vier Abschnitte (Sectiones), diese wiederum in verschiedene durch Ziffern bezeichnete Paragraphen. Die vier Abschnitte führen die besonderen Überschriften: I. De lectione et studio durante peregrinatione; II. De ratione itineris instituendi; III. De observatione; IV. De libris circumferendis. Schon die Überschriften lassen erkennen, daß es dem Verfasser vor allem darauf ankam, den Leser zu belehren, wie er auf der Reise am besten seine Kenntnisse bereichern könne. Während die modernen Reiseführer fast ausschließlich das Unterhaltungs- bedürfnis der Reisenden zu befriedigen suchen, sollte der Reisende des 17. Jahrhunderts, dem gelehrten Bildungstriebe und der Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 3 Neigung jenes Zeitalters zur Polyhistorie entsprechend, auf allen möglichen Gebieten lernen und wieder lernen, um seine Kennt- nisse in der Heimat später überall nutzbringend und interessen- förderlich verwerten zu können. Viel wissen galt als Kennzeichen eines „politischen", d. h. weltklugen Mannes, und die Reisen sollten das Vielwissertum möglichst befördern. Demgegenüber tritt das Interesse für die physische Natur des Landes sowie für seine Naturschönheiten noch fast ganz in den Hintergrund. Aüch in dem Traktat des Erpenius vermißt man alle entsprechenden Bemerkungen und Verweise. Das Aufleben des neueren Natur- gefühles in seinen verschiedenartigen Abwandlungen blieb im großen und ganzen erst dem 18. Jahrhundert vorbehalten. Was die Wiedergabe des Inhaltes unseres Reiseführers betrifft, so habe ich aus leicht ersichtlichen Gründen die möglichst wörtliche, jedenfalls aber sinngemäße Übersetzung einer umständ- lichen Übertragung in die indirekte Rede vorgezogen. Der Übersetzung werden sich allgemeine Betrachtungen über Wesen und Bedeutung des Traktates und schließlich die erforderlichen biographischen Bemerkungen passend anschließen. * * * Abhandlung, wie man eine Reise nach Frankreich nutzbringend einrichten könne. Erster Abschnitt. Über Lesen und Studieren während der Reise. I. Niemand möge die Reise nach Frankreich antreten, bevor er sein theologisches, juristisches oder medizinisches Spezial- studium vollendet hat; auch soll man Bücher seiner Wissenschaft nicht bei sich führen, außer etwa einem kurzen Abriß, um das Gelernte im Gedächtnis zu bewahren. II. Zweck der Reise sei es, die fremde Sprache, das Land, seine Regierung, seine Geschichte, seine Sitten und seine be- rühmten Männer kennen zu lernen. 1* Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 4 Curt Gebauer. III. Die Bekanntschaft mit den Sitten und den berühmten Männern wird allein durch das Leben, durch tägliche Beobachtung und geselligen Umgang vermittelt. IV. Um Sprache, Landesbeschaffenheit, Regierung und Geschichte kennen zu lernen, bedarf es nicht nur einer gewissen Reisepraxis, sondern auch einiger Privatstudien aus wenigen, aber ausgewählten Büchern, die wir jetzt durchgehen wollen. V. Zur leichten und genauen Erlernung der Sprache studiere man die französische Grammatik des Carolus Maupasius aus Blois, die kürzlich ins Lateinische übersetzt worden ist, obgleich sie auch in französischer Sprache von einer des Lateinischen kundigen Person unschwer zu verstehen ist. Aufmerksam achte man auf alle Fälle, in denen Ausländer nach des Verfassers Angaben besonders häufig Fehler machen. Alle unregelmäßigen Zeitwörter präge man sich fest ein. Außer dieser Grammatik braucht man keine andere zu studieren. VI. Neben den grammatischen Studien lese man fleißig die fran- zösischen Gespräche des Philipp Garnerius aus Orleans, betitelt «Edelsteine der französischen Sprache" (Gemmulae Gallicae linguae), die durchaus in französischem Geist empfunden und angenehm zu lesen sind. Man merke sich dabei alle vom deutschen Sprach- gebrauch abweichenden Redensarten. VII. Darauf lese man die schönen, elegant geschriebenen „Abende" (Les serees) von Wilhelm Bouchet, drei Bände in Duodezformat, ferner die „Asträa", welche Liebesgespräche, keusch, anmutig und von seltener Beredsamkeit, enthält. VIII. Zur Abfassung von Briefen wird sich die Lektüre des Werkchens «Le secretaire des secretaires" (Rouen 1610, in Duodez) als recht nützlich erweisen, worin viele Briefe vertraulichen und ungeschminkten Charakters enthalten sind, durch welche man Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 5 leicht Übung im Schreiben französischer Briefe erlangen wird. Von den Dichtern wird Du Bartas allein genügen. IX. Um sich Gewandtheit in der französischen Konversation zu verschaffen, muß man fortdauernd mit Franzosen sprechen und den Umgang mit Landsleuten meiden. Man verschaffe sich Zutritt zu einer französischen Familie und jungen Männern, mit denen man frei von der Leber weg schwatzen kann. Das nützt außerordentlich viel. X. Wenn irgend möglich, sollte man sich in größeren Städten, besonders in Paris, auch mit irgend einem angesehenen Buch- händler bekannt machen, dessen Laden Staatsräte, Advokaten und andere bedeutende Männer aufsuchen. Aus deren Unterhaltung wird man sehr viel lernen. Und man wird so auch Gelegenheit finden, mit solchen bedeutenden Männern bekannt und vertraut zu werden und mit ihnen zu sprechen. XI. Die Kenntnis des Landes selbst ist aus der Kosmographie des Merula zu schöpfen, ferner aus dem französischen Werke »Les antiquites et recherches des villes, chateaux et places plus remarquables de toute la France" (in acht Büchern, Paris 1614, Oktav)1) und aus dem Itinerarium Galliae des Jodokus Sincerus (Lyon 1616). Stets soll man die große in Frankreich verfertigte Holzschnittkarte des Landes (vom Jahre — ?) zu Rate ziehen, wenn man sie erhalten kann, oder eine große zu Amsterdam in Kupfer gestochene, obwohl diese weniger genau ist, sowie auch eine kleinere in Kupferstich. Letztere muß man der Bequemlichkeit wegen immer zur Hand haben. XII. Um die Regierung des Landes kennen zu lernen, lese man das dritte und vierte Buch des Werkes »De Testat et succes des affaires de France" von du Haillan (Rouen, Oktavformat), ferner !) Von Andre Duchesne. Siehe die biogr. Bemerkungen. Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download