Quellenstudien zur Geschichte des neueren französischen Einflusses auf die deutsche Kultur.

Von CURT GEBAUER.

IV. Der Traktat des Thomas Erpenius über die nützliche Einrichtung der Reise nach Frankreich. Dem seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts in Deutsch- land immer wachsenden und sich ausbreitenden Streben, die französischen Verhältnisse auf einer Reise nach Frankreich genauer kennen zu lernen, suchte eine Überschwemmung des deutschen Büchermarktes mit französischen Reiseführern, Wörterbüchern und Sprachlehren Genüge zu leisten. Für Reisende, die es mit ihren Studien ernst meinten, ist nun im zweiten Dezennium des 17. Jahrhunderts auch das Werkchen entstanden, das wir auf den folgenden Blättern modernen Lesern zugänglich machen wollen, des Thomas Erpenius De peregrinatione Gallica utiliter instituenda tractatus. In Holland geschrieben und gedruckt wie viele der bekanntesten Schriften jener Zeit, hat dieser Traktat sicher auch in Deutschland schnelle Verbreitung gefunden und vielen Reise- lustigen den Aufenthalt in Frankreich nutzbringend gestaltet, so aber auch nicht wenig zur Kenntnis und Nachahmung fran- zösischer Sitten in Deutschland beigetragen. Denn zugleich mit den Früchten ernsterer Studien pflegten die Reisenden eine ver- stärkte Neigung für das französische Wesen in das Vaterland heimzubringen.

Archiv für Kulturgeschichte. VI. 1

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Thomas van Erpe, latinisiert Erpenius, geboren am 11. Sep- tember 1584 in Gorkum (Holland), seit 1613 Professor der orientalischen Sprachen an der Universität Leyden, hatte die kleine Schrift im Jahre 1624 zu Nutz und Frommen eines jungen Freundes namens Johannes Nipartius verfaßt, der einen Winter in Frankreich zu verleben gedachte. Die Redaktion des Traktates läßt auch wohl hier und da erkennen, daß dem gelehrten Ver- fasser ursprünglich die Absicht der Veröffentlichung fern gelegen hatte. Sieben Jahre später (1631) veranlaßte Wilhelm Christiani in Leyden, ein Schüler des Erpenius, den Druck und widmete diesen unter Beigabe eines kurzen Briefes des gelehrten über italienische Reisen zwei jungen Männern, Wilhelm und Heinrich Scriverius, welche den Traktat auf ihren Reisen gebrauchen konnten, und zwar um sich dem Vater seiner Günst- linge für empfangene Wohltaten erkenntlich zu zeigen. Wir können diese Tatsachen aus dem in der mir vorliegenden Ausgabe der Breslauer Stadtbibliothek vorgedruckten Dedikationsbriefwechsel entnehmen. Die benutzte Ausgabe trägt die Jahreszahl 1721, ist in Hamburg bei Benjamin Schillers Witwe und Johann Christof Kisner erschienen, und zwar als Anfang einer Sammlung lite- rarischer Miszellen, deren Herausgeber, Adam Heinrich Lackmann, diesen Abdruck des Traktates als derr ersten in Deutschland hergestellten bezeichnet. Dem Traktat ist noch eine Beschreibung Frankreichs, eigentlich des alten Galliens, angefügt, wahrscheinlich gleichfalls aus der Feder des Erpenius. Der Traktat ist wie die Beschreibung Frankreichs in lateinischer Sprache abgefaßt. Er zerfällt in vier Abschnitte (Sectiones), diese wiederum in verschiedene durch Ziffern bezeichnete Paragraphen. Die vier Abschnitte führen die besonderen Überschriften: I. De lectione et studio durante peregrinatione; II. De ratione itineris instituendi; III. De observatione; IV. De libris circumferendis. Schon die Überschriften lassen erkennen, daß es dem Verfasser vor allem darauf ankam, den Leser zu belehren, wie er auf der Reise am besten seine Kenntnisse bereichern könne. Während die modernen Reiseführer fast ausschließlich das Unterhaltungs- bedürfnis der Reisenden zu befriedigen suchen, sollte der Reisende des 17. Jahrhunderts, dem gelehrten Bildungstriebe und der

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Neigung jenes Zeitalters zur Polyhistorie entsprechend, auf allen möglichen Gebieten lernen und wieder lernen, um seine Kennt- nisse in der Heimat später überall nutzbringend und interessen- förderlich verwerten zu können. Viel wissen galt als Kennzeichen eines „politischen", d. h. weltklugen Mannes, und die Reisen sollten das Vielwissertum möglichst befördern. Demgegenüber tritt das Interesse für die physische Natur des Landes sowie für seine Naturschönheiten noch fast ganz in den Hintergrund. Aüch in dem Traktat des Erpenius vermißt man alle entsprechenden Bemerkungen und Verweise. Das Aufleben des neueren Natur- gefühles in seinen verschiedenartigen Abwandlungen blieb im großen und ganzen erst dem 18. Jahrhundert vorbehalten. Was die Wiedergabe des Inhaltes unseres Reiseführers betrifft, so habe ich aus leicht ersichtlichen Gründen die möglichst wörtliche, jedenfalls aber sinngemäße Übersetzung einer umständ- lichen Übertragung in die indirekte Rede vorgezogen. Der Übersetzung werden sich allgemeine Betrachtungen über Wesen und Bedeutung des Traktates und schließlich die erforderlichen biographischen Bemerkungen passend anschließen.

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Abhandlung, wie man eine Reise nach Frankreich nutzbringend einrichten könne. Erster Abschnitt. Über Lesen und Studieren während der Reise. I. Niemand möge die Reise nach Frankreich antreten, bevor er sein theologisches, juristisches oder medizinisches Spezial- studium vollendet hat; auch soll man Bücher seiner Wissenschaft nicht bei sich führen, außer etwa einem kurzen Abriß, um das Gelernte im Gedächtnis zu bewahren.

II. Zweck der Reise sei es, die fremde Sprache, das Land, seine Regierung, seine Geschichte, seine Sitten und seine be- rühmten Männer kennen zu lernen.

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III. Die Bekanntschaft mit den Sitten und den berühmten Männern wird allein durch das Leben, durch tägliche Beobachtung und geselligen Umgang vermittelt. IV. Um Sprache, Landesbeschaffenheit, Regierung und Geschichte kennen zu lernen, bedarf es nicht nur einer gewissen Reisepraxis, sondern auch einiger Privatstudien aus wenigen, aber ausgewählten Büchern, die wir jetzt durchgehen wollen. V. Zur leichten und genauen Erlernung der Sprache studiere man die französische Grammatik des Carolus Maupasius aus Blois, die kürzlich ins Lateinische übersetzt worden ist, obgleich sie auch in französischer Sprache von einer des Lateinischen kundigen Person unschwer zu verstehen ist. Aufmerksam achte man auf alle Fälle, in denen Ausländer nach des Verfassers Angaben besonders häufig Fehler machen. Alle unregelmäßigen Zeitwörter präge man sich fest ein. Außer dieser Grammatik braucht man keine andere zu studieren. VI. Neben den grammatischen Studien lese man fleißig die fran- zösischen Gespräche des Philipp Garnerius aus Orleans, betitelt «Edelsteine der französischen Sprache" (Gemmulae Gallicae linguae), die durchaus in französischem Geist empfunden und angenehm zu lesen sind. Man merke sich dabei alle vom deutschen Sprach- gebrauch abweichenden Redensarten. VII. Darauf lese man die schönen, elegant geschriebenen „Abende" (Les serees) von Wilhelm Bouchet, drei Bände in Duodezformat, ferner die „Asträa", welche Liebesgespräche, keusch, anmutig und von seltener Beredsamkeit, enthält. VIII. Zur Abfassung von Briefen wird sich die Lektüre des Werkchens «Le secretaire des secretaires" (Rouen 1610, in Duodez) als recht nützlich erweisen, worin viele Briefe vertraulichen und ungeschminkten Charakters enthalten sind, durch welche man

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 5 leicht Übung im Schreiben französischer Briefe erlangen wird. Von den Dichtern wird Du Bartas allein genügen.

IX. Um sich Gewandtheit in der französischen Konversation zu verschaffen, muß man fortdauernd mit Franzosen sprechen und den Umgang mit Landsleuten meiden. Man verschaffe sich Zutritt zu einer französischen Familie und jungen Männern, mit denen man frei von der Leber weg schwatzen kann. Das nützt außerordentlich viel. X. Wenn irgend möglich, sollte man sich in größeren Städten, besonders in Paris, auch mit irgend einem angesehenen Buch- händler bekannt machen, dessen Laden Staatsräte, Advokaten und andere bedeutende Männer aufsuchen. Aus deren Unterhaltung wird man sehr viel lernen. Und man wird so auch Gelegenheit finden, mit solchen bedeutenden Männern bekannt und vertraut zu werden und mit ihnen zu sprechen.

XI. Die Kenntnis des Landes selbst ist aus der Kosmographie des Merula zu schöpfen, ferner aus dem französischen Werke »Les antiquites et recherches des villes, chateaux et places plus remarquables de toute la " (in acht Büchern, Paris 1614, Oktav)1) und aus dem Itinerarium Galliae des Jodokus Sincerus (Lyon 1616). Stets soll man die große in Frankreich verfertigte Holzschnittkarte des Landes (vom Jahre — ?) zu Rate ziehen, wenn man sie erhalten kann, oder eine große zu in Kupfer gestochene, obwohl diese weniger genau ist, sowie auch eine kleinere in Kupferstich. Letztere muß man der Bequemlichkeit wegen immer zur Hand haben.

XII. Um die Regierung des Landes kennen zu lernen, lese man das dritte und vierte Buch des Werkes »De Testat et succes des affaires de France" von du Haillan (Rouen, Oktavformat), ferner

!) Von Andre Duchesne. Siehe die biogr. Bemerkungen.

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 6 Curt Gebauer. den Abschnitt „Discours de la France« in dem großen Werke «Les estats, empires et principautes du monde". XIII. Was die geschichtlichen Studien anbetrifft, so lese man (und lerne man fast auswendig) die beiden ersten Bücher des Du Haillan, welche einen elegant geschriebenen Abriß der fran- zösischen Geschichte bieten. Darauf kann man die Memoiren von de Serres lesen, außerdem die Schrift des Cajus Julius Cäsar »De bello Gallico" in der Ausgabe von Rapheling; diese enthält ein von Scaliger angefertigtes kurzes Ortsnamenverzeichnis, das aber die der übrigen Ausgaben an Genauigkeit übertrifft. XIV. Die Lektüre dieser Bücher wird für den Reisenden genügen. Will aber jemand längere Zeit in Frankreich bleiben und außer- dem noch andere Bücher lesen, so wird er solche dort im Überfluß finden. Zweiter Abschnitt. Vom Reiseplan. I. Ratsam ist es für den Reisenden, sich so lange in der Hauptstadt Paris aufzuhalten, bis er hinlänglich gut französisch sprechen kann und alle oben genannten Schriftsteller aufmerksam gelesen hat. II. Während seines Aufenthaltes in Paris soll er reichlich über- legen, wie er seinen Neigungen entsprechend das übrige Frank- reich bereisen soll. Besonders hat er natürlich auf die zur Verfügung stehende Zeit und auf seinen Geldbeutel Rücksicht zu nehmen. Gewöhnlich machen die Besucher Frankreichs eine Rundreise durch die wichtigsten Städte des Landes, was auch ich empfehle. Nächst Paris sollte der lernbegierige junge Mann noch die folgenden Ortschaften kennen lernen, nämlich Orleans, Blois, Tours, Nantes, La Rochelle, , Montauban, , Narbonne, Montpellier, Nimes, Arles, Marseille, Aix, Avignon, Saumur, Angers, Rennes, Orange, Grenoble, Lyon, Genf, Be- sanQon, Dijon, Troyes, Reims, Amiens, Rouen, Dieppe und

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Calais. Und wenn irgend eine alte, besonders eine von Cäsar erwähnte oder sonst sehenswerte Stadt abseits vom Wege liegt, so lasse er sich's nicht verdrießen, auch nach dieser einen Ab- stecher zu machen und dann zur Hauptroute zurückzukehren. Man gebe sich Mühe, wenn möglich, einen unterrichteten fran- zösischen Führer zu finden. In Paris und anderen großen Städten wird demjenigen, der bei einem bedeutenden Buchhändler wohnt, Gelegenheit dazu nicht fehlen. Sobald er dann nämlich irgend einen hervorragenden Mann findet, von dem er nach irgend einer Richtung etwas lernen kann, so wird dieser sich ihm als Begleiter anbieten; das wird dem Franzosen nur ange- nehm, dem Reisenden aber höchst nützlich sein.1) III. Dringend ratsam ist es, sich in berühmten und großen Städten einige Zeit aufzuhalten und sie nicht eher zu verlassen, als bis man sich genaue Kenntnis davon durch Umherwandern, Betrachten einer Ortskarte und Lesen einer Ortsbeschreibung, wenn solche vorhanden (was man überall in den Buchhandlungen leicht erfahren kann), verschafft hat. Auch soll man die Sitten der Bewohner auf jede Weise erforschen, Bekanntschaft mit gelehrten Männern schließen, auch die Örtlichkeiten bedeutsamer Ereignisse aufmerksam betrachten und mit den Schriftstellern vergleichen. Zur Nachweisung vieler Stadtpläne und Stadt- beschreibungen gibt es ein gutes Buch von Chifflet aus Besangon (in Quartformat). Dritter Abschnitt. Vom Beobachten. Wenn man sich in den genannten Büchern über Regierung und Ämter in Frankreich wohl unterrichtet hat, soll man während der ganzen Reise noch nach folgenden Dingen eifrig forschen und darauf achten: I. Welche Personen die einzelnen Ämter verwalten, bei Hofe und außerhalb des Hofes, und welche Prinzen von Geblüt es gibt, welche Pairs, Herzöge, Grafen und Gouverneure der Pro-

>) Einen besseren Sinn habe ich aus der stilistisch unklaren Stelle nicht heraus- lesen können.

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 8 Curt Gebauer. vinzen und der Städte; wer Oberstallmeister, Kanzler, Großsiegel- bewahrer, Marschall oder Admiral ist und die anderen vornehmen und hohen Ämter verwaltet, auch wie es sich mit Herkunft, Kindern, Macht, Reichtum und Ansehen beim Könige, mit den Verwandten, Freunden, Feinden und politischen Nebenbuhlern dieser Personen und ähnlichen Dingen verhält.

II. Welches die hervorragendsten Rechtsgelehrten, Räte, Advo- katen, Professoren usw. sind. Der Rechtsbeflissene wird sogar gut daran tun, die meisten dieser Männer persönlich aufzusuchen, denn er wird von ihnen entschieden etwas lernen. Es ist nütz- licher, einen gelehrten Mann zu sehen als zehn Paläste; daher sollte ein eifriger Reisender, besonders ein Rechtsbeflissener, auch die acht französischen Parlamentsstädte besuchen, die ich in meinem Verzeichnis sehenswerter Orte vorangestellt habe.

III. Man unterrichte sich auch darüber, welches die bedeutenden kirchlichen Personen sind, die Pairs und die Kardinäle, die reichsten Äbte, die berühmtesten Jesuiten, die besten Prediger, die aus vornehmen Familien stammenden Kapuziner und andere Männer verschiedenen Ranges.

IV. Ferner welches der Zustand der Reformierten ist, welches die Haltung der Regierung in kirchlichen und politischen An- gelegenheiten, welches die feierlichen Versammlungen (der Refor- mierten) sind und ihre Maßregeln in politischen und kirchlichen Dingen; welche Sicherheitsplätze sie in den einzelnen Provinzen besitzen, wer die Gouverneure dieser Plätze sind und welches ihre Streitkräfte; welche Fürsten und Großen sie in ihren Reihen zählen, und wer sich von diesen auf das Kriegswesen versteht, welche Gesandte sie bei Hofe halten, welche durch Gelehrsamkeit und Beredsamkeit bedeutenden Prediger sie haben; welches die Zahl der Prediger in ganz Frankreich ist und welches die Zahl der Provinzialabteilungen, oder in wieviel Provinzen die Refor- mierten abgeteilt sind und in welche; welches die Größe der einzelnen Kirchengemeinden ist, welche Schulen sie besitzen,

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 9 welche Lehrer die vorzüglichsten sind, und, um es mit einem Worte zu sagen, wie es sich überhaupt mit allen Dingen verhält, welche irgendwie die Reformierten angehen.

Da man nun aber alles dieses am besten und richtigsten von den Predigern lernen kann, soll man während seines Auf- enthaltes in Paris von Zeit zu Zeit einige der zuvorkommendsten Prediger aufsuchen und auch später an den Orten, die man sonst berührt, irgend einen hervorragenden Geistlichen begrüßen, um Zustand und Beschaffenheit der Kirchen kennen zu lernen und zu erfahren, welchen Geistlichen man wiederum an dem später zu berührenden Orte aufsuchen solle. So wird man viel erfahren, woran man seine Freude hat, und was zur besseren Ausführung der Reise oder zur Vermehrung der Kenntnisse, welche fast der einzige Zweck der Reise sein soll, beiträgt. Wer eine genaue Kenntnis von jenen Kirchen zu erlangen begehrt (was für alle notwendig ist, die bei uns in kirchlichen oder politischen Ver- sammlungen oder bei der Unterhaltung zu zeigen wünschen, daß sie mit den französischen Verhältnissen vertraut und mit Nutzen gereist seien), der soll auch einen oder den anderen Monat in einer bedeutenderen Stadt bei einem angesehenen und zuvorkommenden Prediger wohnen, von welchem er ein voll- ständiges Wissen erlangen kann. So lebt in Rupelmonde der Doktor Lumäus, ein Mann von hervorragender Gelehrsamkeit und Bildung in allen französischen, die päpstliche und die refor- mierte Kirche betreffenden Angelegenheiten, von dem ein eifriger Jüngling unglaublich viel lernen kann. Aber auch in anderen großen Städten, wo blühende Kirchen sind, finden sich wohl einige Männer, mit deren Hilfe sich die gedachten Kenntnisse erwerben lassen.

V. Um das Gehörte und Beobachtete zu behalten, soll der Reisende immer eine ausreichende Schreibtafel bei sich führen, worauf er das Gelernte täglich genau in zeitlicher Reihenfolge vermerkt, ferner ein daumendickes Schreibheft in Oktav oder etwas größer mit gutem Papier (sog. Postpapier), worin er das auf der Tafel Notierte, sobald er Muße hat, mit kleinen Lettern

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 10 Curt Gebauer. genau abschreibt, und zwar nach besonderen Rubriken geordnet, etwa unter folgenden Titeln: Vom Könige und seinen Angelegenheiten. Von den Großen, den Fürstlichkeiten und allen Beamten. Von den Parlamenten oder obersten Gerichtshöfen. Von berühmten Männern. Von den reformierten Gemeinden. Erwähnenswerte Ereignisse und Naturalien. Gedanken und Sinnsprüche. Es wird nun nicht nötig sein, unter den einzelnen Titeln sorgfältig eine bestimmte Reihenfolge beim Schreiben einzuhalten, vielmehr wird die Folge der Titel allein genügen. Was darunter fällt, möge man der Reihe nach aufzeichnen und bei Gelegenheit besser ordnen. Man lasse einen mäßigen äußeren Rand wie bei gedruckten Büchern und mache darauf Notizen als Inhalts- angaben (nach Stichwörtern), so daß man das Gesuchte leicht zu finden vermag. Vierter Abschnitt. Über das Mitnehmen von Büchern. I. Man soll sich in Paris alle oben angeführten Bücher ver- schaffen und lesen. Verläßt man diese Stadt, so nehme man außer Schreibtafel und Schreibheft, die ich oben schon erwähnte, nur folgende Bücher zum Nachschlagen an den zu besuchenden Orten mit: Das Itinerarium Galliae des Jodokus Sincerus. Die Antiquites et recherches von Franz von Duchesne in Oktav, aber in zwei Bände gebunden, weil das Buch in einem Bande zu dick ist, um bequem in der Reise- tasche untergebracht zu werden. Ferner von der Kosmographie des Merula das dritte Buch des zweites Teiles über Frankreich. Dann den Discours de la France aus dem großen Werke: „Les estats, empires et principautes du monde." Das Werk Julius Cäsars über den gallischen Krieg mit Namenverzeichnis.

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Endlich eine größere Karte Frankreichs, aber in sechs oder acht Teile zerlegt zum bequemeren Gebrauch, und zwar mög- lichst eine Holzschnittkarte. Desgleichen eine kleinere Karte in Kupferstich und die Karte Altgalliens von Ortelius, die allerdings wenig genau ist, wie der aufmerksame Reisende an vielen Stellen beobachten wird. Die Fehler möge man auf dieser Karte sämtlich sorgfältig vermerken und verbessern. II. Um nun jene Bücherfragmente gesondert zu besitzen, soll man die Bücher ungebunden (broschiert) kaufen, aus ihnen zur Verminderung des Gewichts jene Teile herausnehmen und be- sonders binden lassen, und zwar in einfachen Lederumschlag, damit sie leicht zusammengefaltet und in das Reisegepäck hinein- getan werden können. Ratsam erscheint es mir, beständig das Itinerarium des Sincerus und den zweiten Teil des Werkes »Les antiquites" bei sich zu führen. Auch rate ich dazu, vier Ränzel aus Fell herstellen zu lassen, so tief, daß außer anderem eine Schreibkapsel aus Leder, welche das Tintenfaß, ein Feder- messer und einen eisernen Schreibgriffel enthält, darin enthalten sein kann. Solche Schreibzeuge sind für die Reisenden wunderbar bequem, aber in Frankreich nicht so gut wie hier bei uns zu haben. Auch bringe man in irgend einem Fache jenes Schreib- zeuges ein Stück Siegellack zum Versiegeln der Briefe unter und tue zu dem Federmesser noch zwei Federkiele. Hat man kein Feder- messer, so kann man den Kiel auch mit einem gewöhnlichen Messer zuschneiden. Wichtiger ist aber noch ein eiserner Schreibgriffel. III. Wer auf diese Weise die Reise nach Frankreich unternimmt, der wird mit bestem Erfolge nach Hause zurückkehren und so viel profitiert haben, daß er, sobald auf Frankreich die Rede kommt, im täglichen Gespräch zeigen kann, wie er die französische Sprache und die französischen Verhältnisse kenne. Und er wird für das tägliche Leben, für die Politik und die Kenntnis der Geschichte einen weit größeren Erfolg zu verzeichnen haben als die große Masse aller Reisenden.

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Wer den Geist der Zeit tiefer erfassen will, möge nach der Lektüre unseres Traktates sich hiermit noch einmal die leitenden Gedanken vergegenwärtigen, die der gelehrte Verfasser in den sehr ins Einzelne gehenden Vorschriften über das Ver- halten des Reiselustigen zum Ausdruck'bringt. Die Vermehrung der Kenntnisse wird an einer Stelle (3. Abschnitt, Ziffer IV) als der fast einzige Zweck der Reise bezeichnet; das Amüsement soll daneben völlig in den Hinter- grund treten. Dieser strenge Standpunkt erhält seine nähere Erläuterung in der Aufzählung jener Dinge, die dem Reisenden zu lernen nötig sind: die französische Sprache, die Beschaffenheit des Landes, seine Regierung, seine Geschichte, seine Sitten und seine berühmten Männer (1, II). Man muß gestehen, daß das Reiseprogramm erschöpfender und gründlicher kaum gefaßt werden könnte. Daß Erpenius diese Kenntnisse nicht nur durch Bücher, sondern, wo es irgend angeht, auch durch die Berührung mit dem Leben erwerben lassen will (ζ. B. 1, III), macht dem gesunden Sinne des Verfassers alle Ehre und beweist, daß das »gelehrte" 17. Jahrhundert nicht so einseitig in dem Wüste toten Bücher- wissens aufging, wie man es in unserer modernen Zeit gern annimmt. Jedenfalls sollte der Reisende auf allen möglichen Gebieten, besonders auf dem politischen und kirchlichen, selbständig beobachten (3. Abschnitt), um später in der Heimat im täglichen Leben und in der Politik Erfolge zu erzielen (4. Abschn., Schluß). Der praktische Nutzen soll also den Maßstab für die gesamte Tätigkeit, für das ganze Handeln und Denken des Reisenden im fremden Lande bilden (vgl. auch 3, V und 4, I u. II). Hinsichtlich des Sprachstudiums ist die Pflege der Grammatik in die erste Linie gestellt, denn dem humanistisch gebildeten Ver- fasser mußte ein formal richtiger Gebrauch der Sprache wesentlich erscheinen. Aber glatte Konversation und fließende schriftliche Anwendung des Französischen sind ebenso wichtig; sie werden durch passende Lektüre und durch steten Verkehr mit Franzosen erworben. Französische Briefsteller gehörten im 17. und 18. Jahr- hundert zu dem Hauptrüstzeug der neuen gesellschaftlichen Bildung. Die Auswahl der zu lesenden Bücher hat aber auch eine tiefere kulturgeschichtliche Bedeutung (1, VII u. VIII). Die Serees

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 13 des Wilhelm Bouchet, zuerst in Lyon 1584 erschienen, dann noch wiederholt gedruckt, sind Erzählungen in Gesprächsform zur Kürzung der Zeit, Unterhaltungsliteratur, wie sie durch die Renaissance in Italien, Frankreich und Deutschland aufgekommen war. Häufig obscön nach dem Empfinden der heutigen Welt, befriedigten sie durch Anlehnung an die griechischen und rö- mischen Klassiker, an Hesiod, Perikles, Demosthenes und , das gelehrte Interesse ihrer Zeit. Die „Asträa" des südfran- zösischen Edelmannes Honore d'Urfe, geschrieben 1610—1627, war eine Nachahmung des spanischen Romans „Diana" von Montemayor und wiederum die Urahne einer langen Reihe anderer französischer und deutscher Nachbildungen. Wir haben es hier mit den Anfängen der Schäfereien zu tun, die während des ganzen 17. Jahrhunderts in allen möglichen Variationen den beliebtesten Gegenstand der Salonunterhaltung bildeten und noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein den Charakter der feinen Geselligkeit bestimmt haben, schließlich aber noch bis zu unseren Klassikern in einigen Gattungen der Poesie ihr Dasein fristeten. Machte Erpenius mit den Serees Und der „Asträa" dem leichteren Modegeschmack seiner Zeit eine Konzession, so bedeutete die Lektüre der Werke des Du Bartas, die er dem Reisenden zur Einführung in die französische Gedankenwelt vorschlägt, denn doch etwas ganz anderes. Auffällig ist es, daß Erpenius den sittenstrengen, gläubigen Du Bartas, den hervorragendsten Dichter der Protestanten Frankreichs, dessen Ruhm die kalvinistischen Zeitgenossen bis an den Himmel erhoben, als einzigen lesens- werten Dichter bezeichnet, während er die weltlichen Dichter, Ronsard und die übrigen Mitglieder der „Plejade", des Studiums deutscher Reisender nicht für würdig zu halten scheint. Es spielt hier wohl die politisch-kirchliche Stellung des Erpenius mit, welcher als strenger Kalvinist seinen feurig-beredten Glaubens- genossen den lockeren katholischen Hofdichtern Frankreichs vor- ziehen mußte und durch die Lektüre des Du Bartas seine Lands- leute wohl auf die protestantische Kirche Frankreichs hinweisen wollte, deren genaues Studium er ihnen in seinem Traktat auch dringend anempfahl. Die kalvinistische Bildung blieb damals, wie es scheint, vornehmlich in einer extremen und ausschließ-

Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 7/12/15 8:29 AM 14 Curt Gebauer. lichen Richtung auf die Kirche befangen und darum etwas einseitig. Sie lehnte auch, dem asketisch-moralischen Charakter Calvins entsprechend, die von den Katholiken gepflegte künstlerisch- sinnliche Richtung in der Kultur hartnäckig ab. Von den Dichtungen des Du Bartas, deren Ziel allein die sittliche Erbauung war, meinte Erpenius wohl in erster Linie die gewaltigste, die sog. „Woche" (La sepmaine). Dieses in alle Kultur- sprachen übersetzte Werk war eine Darstellung der Schöpfungs- geschichte, eine große Apologie des christlich-reformierten Glau- bens. In ihrer Bedeutung für die kalvinistische Welt kam die «Woche" annähernd der Bibel selbst gleich, deren Sätze auch für sie die ausschließliche Grundlage der Erkenntnis bilden. Natürlich stand das seltsame Werk auf dem Index der katholischen Kirche. Ins Deutsche wurde es von Hübner (1577—1636) übersetzt. Seine Fortsetzung, die „zweite Woche" (1584—93), welche die Geschichte der Menschheit bis zum Jüngsten Tage behandeln sollte, hat der Verfasser nicht vollendet. Nächst der „Woche" und ihrer Fortsetzung hat der „Triumph des Glaubens" des Du Bartas die Zeitgenossen hingerissen und auch in Deutsch- land in Johann Valentin Andreä 1627 einen Übersetzer gefunden.1) Nähere Erörterungen über die reichhaltigen Literaturangaben des Erpenius zum Studium der französischen Verhältnisse, der Sprache und der Landesbeschaffenheit können wir hier unter- lassen; die angefügten biographischen und literarischen Be- merkungen sagen das Wissenswerte und geben damit einen Überblick über die Schriften, aus denen die Zeit zwischen 1620 und 1630 ihre Kenntnisse von den französischen Dingen schöpfte. Charakteristisch für das Zeitalter ist das antiquarische Interesse, das man an den Ereignissen des Altertums zu nehmen liebte. Darum wird dem Reisenden auch die Lektüre des „Gallischen Krieges" von Cäsar und die Beschäftigung mit der Topo- graphie des alten Galliens an Ort und Stelle anempfohlen (1, XIII, 2, II). Der Abhandlung ist in der mir vorliegenden Ausgabe, wie ich hier nicht unerwähnt lassen möchte, noch eine Beschreibung „Galliens" nachgedruckt, gleichfalls in lateinischer

!) Ober Du Bartas vgl. Suchier und Birch-Hirschfeld, Frz. L.-G., S. 363/4, und Coedeke, Grundriß z. Gesch. d. deutschen Dichtung, III, S. 28 ff.

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Sprache und, wie ich vermute, auch aus der Feder des Erpenius. Auch diese Beschreibung hat einen ganz antiquarischen Charakter. Der Begriff Gallien zeigt die weite Fassung, welche ihm das Altertum gegeben; er schließt Oberitalien und das linke Rhein- ufer nebst Holland und Belgien in sich ein. Dementsprechend ist in dieser doch für moderne Leser verfaßten Beschreibung von Gallia cisalpina die Rede und von Gallia transalpina, von Gallia belgica weiter, von Gallia celtica und Aquitania wie bei Cäsar. Auch die altgallischen Völkerschaften und ihre Hauptorte sind gewissenhaft aufgezählt, ebenso die Flüsse und Berge mit ihren alten Bezeichnungen. Im übrigen ist das Ganze eine ziemlich trockene Aufreihung von gelehrten Namen, nur hier und da finden sich kurze Angaben über die natürliche Beschaffenheit der genannten Örtlichkeiten und historische Notizen. Was ihm für den unmittelbaren Reisezweck zu wissen nötig war, fand der Leser in den im Traktat genannten Büchern und Karten. Höchst interessant sind die Bemerkungen, die Erpenius im 3. Abschnitt seines Traktates über das Studium der politischen und kirchlichen Verhältnisse Frankreichs macht. Der Reisende soll sich an Ort und Stelle auf das eingehendste mit der Ver- fassung und Verwaltung von Staat und Kirche beschäftigen, ja sogar über die gegenwärtig in den maßgebenden Ämtern sitzenden Personen unterrichten. Er soll sogar die berühmten Männer, die auf seinem Wege wohnen, besuchen, denn «es ist nützlicher, einen gelehrten Mann zu sehen als zehn Paläste!" Hier zeigt sich ganz unmittelbar und deutlich, ein wie dringendes Interesse man in Holland und in Deutschland an dem mächtig aufstrebenden französischen Staatswesen nahm. Und besonders galt dies in reformierten Kreisen für die Angelegenheiten der hugenottischen Kirche Frankreichs, deren Fortbestand und Wohlbefinden eine Schutzwehr gegen die reaktionären Bestrebungen der von den Jesuiten geleiteten habsburgisch-spanischen Weltmacht bedeutete. So finden sich denn auch bei Erpenius die nachdrücklichsten Hinweise auf beharrliches Studium an Ort und Stelle bei der Erörterung der reformierten Kirche (3, IV). Die Reformierten bildeten zur Zeit der Niederschrift des Traktates noch immer eine starke politische Partei im fran-

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zösischen Staatswesen. Wer die Bemerkungen des Erpenius über diesen Gegenstand verstehen will, muß sich die geschichtliche Ent- wicklung dieser hugenottischen Partei, die man als einen Staat im Staate bezeichnen kann, vergegenwärtigen.1) Das den Abschluß des langwierigen französischen Religions- krieges bildende Edikt von Nantes vom Jahre 1 598 gewährte den Kalvinisten in Frankreich nicht nur freie Ausübung ihres Kultus an zahlreichen, fest bestimmten Örtlichkeiten, eine staat- liche Beihilfe zur Unterhaltung ihrer Geistlichen und Schulen und gleiche bürgerliche Rechte wie den Katholiken, auch hin- sichtlich der Besetzung staatlicher Ämter, sondern auch eine staatlich garantierte Verfassung und eigenen militärischen Schutz. Sie durften besondere Versammlungen zur Verwaltung der geist- lichen und zur Wahrnehmung der politischen Sonderinteressen abhalten, bekamen 200 sogenannte Sicherheitsplätze, deren eine Hälfte sich in vorzüglichem Verteidigungszustand befand, und durften eine eigene Streitmacht zu Lande und zu Wasser unter- halten, die der König aus seiner Schatulle besoldete. In kirch- licher Beziehung bildeten ihre Gemeinden, 806 an Zahl, 16 Pro- vinzen, die wiederum in Distrikte geteilt waren; jede Provinz, jeder Distrikt, jede Kirche hatte eine besondere synodale Ver- tretung. In politischer Beziehung war das ganze Land in Kreise mit eigenen Kreisversammlungen geteilt; über dem Ganzen stand als oberstes Organ die assemblee generale. Solange Heinrich IV. lebte, verhielten sich die Hugenotten ruhig. Nach seinem Tode glaubten sie aber aus der schwierigen Lage des Staates Nutzen ziehen zu können. Als Ludwig XIII. einem Versprechen seines Vaters gemäß anordnete, daß in Beam die Katholiken wieder zur freien Ausübung ihres Gottesdienstes zugelassen werden sollten, den die dort herrschenden Reformierten bis dahin unterdrückt hatten, widersetzte sich die hugenottische Partei. Das gab dem Könige Anlaß zu bewaffnetem Einschreiten. Es gelang ihm, eine große Anzahl der festen Plätze der Huge- notten zu erobern; den Ausschlag gab der Abfall der bedeutendsten hugenottischen Führer vom hohen Adel zur Partei des Königs

1) Zum folgenden vgl. Rambaud, Histoire de la civilisation frangaise, Paris 1901, I, p. 541/2, 567/8, 570-572.

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und die Entmutigung in den Reihen der Protestanten. Der Friede zu Montpellier von 1623 bestätigte den Hugenotten zwar alle ihnen nach dem Edikt von Nantes zustehenden kirchlichen und politischen Rechte, beließ ihnen aber für die Zukunft nur noch zwei Sicherheitsplätze, La Rochelle und Montauban. So standen die Dinge noch 1 624, als Erpenius seinen Traktat nieder- schrieb. Die hugenottische Partei war zwar erheblich geschwächt, aber sie war doch noch immer ein politischer Körper innerhalb der französischen Monarchie. Freilich haben auch die eifrig gepflegten Beziehungen der Hugenotten zu den Protestanten des Auslandes den politischen Verfall der Partei nicht lange mehr aufhalten können; die deutschen Protestanten waren selbst in jenem Stadium des 30 jährigen Krieges hart vom Kaiser bedrängt und nicht mehr imstande, ihre französischen Glaubensgenossen gegen die ihrer politischen Selbständigkeit feindliche Staatsmacht zu stützen. In zwei Kriegen besiegt seit 1625 der Kardinal Richelieu Heer und Flotte der Hugenotten. Der Friede von Alais und das sogenannte Gnadenedikt von Nimes (1629) rauben den Protestanten Frankreichs alle äußeren politischen Sonder- rechte; ohne Sicherheitsplätze und ohne eigene politische Organi- sation, jedoch im Genüsse der religiösen Freiheit und der bürgerlichen Gleichberechtigung mit den katholischen Untertanen des französischen Königs, haben sie damals aufgehört, in der

Geschichte Frankreichs eine Rolle als Staat im Staate zu spielen.

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Biographische Bemerkungen zum Traktat des Thomas Erpenius, alphabetisch geordnet. Benutzt sind folgende Nachschlagewerke: Chr. G. Jöchers Allgemeines Gelehrtenlexikon, mit Er- gänzungsbänden von H. Chr. Adelung. Leipzig. (Aus dem 18. Jahrhundert.) Das Große vollständige Universallexikon aller Wissen- schaften und Künste. Leipzig und Halle, Verlag von Joh. Heinr. Zedier. (In vielen Bänden. Erschienen im 18. Jahrhundert.) Die Allgemeine Deutsche Biographie.

Archiv für Kulturgeschichte. VI. 2

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'Nouvelle biographie generale depuis les temps les plus recules jusqu'ä nos jours, publiee par Μ. M. Firmin Didot freres, sous la direction de Μ. le Dr. Hoefer, Paris. Suchier u. Birch-Hirschfeld, Gesch. d. franz. Literatur. 1900.

Guillaume Bouchet, geb. in Poitiers 1526, gest. 1606, Buchhändler und Richter der Kaufleute in seiner Geburtsstadt. Seine Serees (Abendgespräche) sind zuletzt 1635 — 38 in Rouen in drei Bänden erschienen und gleich den „Dijoner Abend- unterhaltungen" (Escraignes Dijonnoises) des Etienne Tabourot von 1606 satirisch gefärbte Sittenschilderungen, Anläufe zu einer Art von Wirklichkeitsroman, in denen noch der derbere alt- gallische Witz der Fabliaux sich behaglich breit macht. Chifflet, ausgebreitete Gelehrtenfamilie des 16. und des 17. Jahrhunderts aus Besangon. Das Buch zur Nachweisung von Stadtplänen, welches Erpenius empfiehlt, ist in den dieser Familie gewidmeten Artikeln meiner biographischen Hilfsmittel nicht aufgeführt. Wahrscheinlich handelt es sich hier um Jean- Jacques Chifflet, das bedeutendste Mitglied der Familie. Dieser wurde am 21. Januar 1588 in Besangon geboren, war von Beruf Mediziner, starb 1660 in Flandern als Leibarzt des Kardinals Ferdinand, Statthalters der Niederlande, und hinterließ medizinische und historisch-politische Schriften. Guillaume de Salluste, Seigneur Du Bartas, geboren 1544 in Montfort bei Auch, gest. im Juli 1590 infolge Verwundung in der Schlacht bei Ivry, die er auf protestantischer Seite mit- schlug. Heinrich IV. benutzte den Dichter auch zu mehreren diplomatischen Sendungen nach , Schottland und Däne- mark. Neben d'Aubigne, dessen „Tragische Poesien" (Les Tragiques, gedruckt 1616) das größte satirische Werk jener Zeit sind, war Du Bartas der berühmteste Dichter der Hugenotten. Sein Stil zeichnet sich durch seltsame Wortbildungen aus. Frangois Duchesne (latinisiert Quercetanus). Die Duchesne waren eine französische Gelehrtenfamilie wie die Chifflet. Das von Erpenius erwähnte Werk «Les antiquites et recherches des villes, chateaux et places remarquables de toute la France, suivant l'ordre des huit parlements", zuerst Paris 1610, dann 1614,

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1622 und öfter, ist aber nicht von Frangois D., sondern von dessen Vater Andre D. verfaßt. Doch hat es sein Sohn, wie noch andere Werke des Vaters, neu herausgegeben (zuletzt 1668 in zwei Bänden, welche Ausgabe als die beste gilt). Andre Duchesne, geb. 1584 in l'Ile-Bouchard in der Touraine, gest. 1640 bei Paris an den Folgen eines Sturzes aus dem Wagen, war könig- licher Hofgeograph und Historiograph von Frankreich und ein sehr früchtbarer Schriftsteller, dem man die Ehrenbezeichnung „Vater der französischen Geschichte" zuerkannt hat. Sein Sohn Frangois, Hofadvokat, dann ebenfalls Historiograph, wurde 1616 geboren und starb 1693. Bernard de Qirard, Seigneur Du Haillan, französischer Geschichtschreiber, geb. 1535 in Bordeaux, gest. 1610 in Paris. Sein Werk „De l'estat et succes des affaires de France, en quatre livres" (Paris 1570), widmete er dem Herzog von Anjou die zweite vermehrte Auflage (Paris 1572) aber König Karl IX. von Frankreich, der ihn zum Historiographen ernannt hatte. Das Werk wurde auch später noch mehrmals überarbeitet und neu gedruckt. Von Du Haitians sonstigen Schriften ist besonders eine „ Histoire generale des Rois de France" zu nennen. Er übersetzte auch lateinische Schriftsteller. Philipp Garnier (Garnerius), aus Orleans, französischer Philologe, wanderte nach Deutschland aus, lehrte seit 1608 in Gießen, seit 1614 in Leipzig die französische Sprache. Seine Gemmulae Gallicae linguae Lat. et Germ, erschienen 1610 in Straßburg. Er hat noch mehrere andere Bücher für den Sprach- unterricht geschrieben, so die „Praecepta Gallici sermonis", Straß- burg 1607, den «Thesaurus Adagiorum gallico-latinorum", Frank- furt a. M. 1610, und die „ Dialogues en cinq langues, espagnole, italienne, latine, frangaise et allemande«, vermehrt und verbessert von Philemon Fabri, Straßburg 1659. In eben diesem Jahre (1659) starb Garnier. Lumäus ist in den biographischen Werken nicht verzeichnet. Auch über Carolus Maupasius, den Grammatiker, habe ich nichts ausfindig machen können. In der Nouvelle biographie generale ist aber Henri Cauchon de Maupas du Tour, ein Prälat und Kirchenschriftsteller, Bischof von Puy, später von Evreux,

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angeführt, der von 1600 bis 1680 lebte und einem alten Ge- schlecht der Champagne entsprossen sein soll. Vielleicht gehörte unser Grammatiker derselben Familie an. Paul von Merle (Paulus Merula), holländischer Gelehrter, geb. 15 5J5 in Dordrecht, weit gereist, studierte an fran- zösischen, italienischen, deutschen und englischen Universitäten Rechte, Geschichte, Sprachen und Humaniora, war also ein viel- seitig gebildeter Mann. Seit 1 593 war er Professor der Geschichte in Leyden, später Bibliothekar und Historiograph der General- staaten. Er starb 1607 in Rostock. Von seinen zahlreichen geographischen, historischen und philologischen Schriften erschienen die im Text genannten „Cosmographiae libri tres" zu Amster- dam 1605 und 1636. Abraham Ortelius (Örtel, Orteis), geb. 4. April 1 527 in Antwerpen, gest. 28. Juni 1 598 ebenda, Kartograph, Geograph und Archäolog, von seinen Zeitgenossen der Ptolemäus des Jahrhunderts genannt. Sein „Thesaurus Orbis Terrarum", oft verbessert und vermehrt, war der erste für das große Publikum bestimmte Atlas, darum wohlfeiler als frühere Kartenwerke. Ortelius pflegte besonders die historische Geographie. Hier und da seine Karten an Ungenauigkeiten, welche auf fehler- hafte Quellen zurückgehen. Er „führte inmitten seiner museen- artigen Sammlungen das Leben eines Fürsten der Wissenschaft". (Allg. deutsch. Biogr.) Rapheling. Niederländische Gelehrtenfamilie. Am wich- tigsten Franz Rapheling, geb. 1539 zu Lanoy bei Ryssel, gest. 1 597 zu Leyden als Professor der hebräischen und arabischen Sprache, Schwiegersohn des bekannten Buchdruckers Christoph Plantinus in Antwerpen, dessen Bücher er korrigierte und mit Vorreden und Anmerkungen versah. Er leitete, seit 1585 in Leyden wohnhaft, auch die dortige Druckereioffizin. Seine Söhne Franz und Justus waren ebenfalls wohlbewandert in den alten Sprachen und leiteten die Druckerei. Scaliger. An der hier angeführten Cäsarausgabe ist wahrscheinlich , der Sohn des Verfassers der bekannten Poetik Julius Cäsar Scaliger (1484—1558), beteiligt. Joseph Justus, geb. 4. August 1 540 zu , gest. 21. Januar 1609

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in Leyden, soll als klassischer Philologe den Vater noch übertroffen haben. Er gab 1606 den Cäsar, kritisch bearbeitet, heraus. Jean de Serres (Serranus), geb. 1540 in Villeneuve, gest. 31. Mai 1 598 in Genf, Historiker und Theologe, jüngerer Bruder des berühmten landwirtschaftlichen Schriftstellers Olivier de Serres. Seine „Memoires de la troisieme guerre civile« erschienen zuerst 1 568/69. Jean de Serres war gemäßigter Kalvinist, der Katho- liken und Protestanten zu vereinigen dachte, weshalb er von beiden Seiten Anfeindungen erfuhr. Sein Werk »Apparatus ad fidem catholicam" (Paris 1597) verfocht die Ansicht, daß die protestantische Religion dem alten Katholizismus entspreche, während die römische Kirche sich von diesem entfernt habe. Jean de S. wurde 1 597 von Heinrich IV. zum Histöriographen von Frankreich ernannt. Jodokus Sincerus (Justus Zinzerling), Jurist, Philologe und Geograph, über dessen Leben wenig bekannt ist. Er wurde 1580 in Thüringen geboren und fand nach mehrjährigen Reisen durch Frankreich, England und die Niederlande 1610 zu Lyon als Doktor der Rechte Anstellung in einer Druckerei. Bald nach 1617 siedelte er nach Norddeutschland über, wo er Rat der mecklenburgischen Landstände und der Grafen von Oldenburg wurde und bald darauf (1620?) starb. Sein „Itinerarium Galliae cum appendice de Burdigalia" (Lyon 1616), welches in vierzig Jahren acht Auflagen erfuhr, gilt als bedeutendes geographisches Werk. Auch lateinische Gedichte sowie philologische und juristische Schriften hat Zinzerling verfaßt. Honore d'Urfe, Edelmann aus Südfrankreich, geb. 1568, gest. 1625. Von Heinrich IV. und Ludwig XIII. begünstigt, wurde er durch die „Asträa" schnell auch der Liebling des Publikums. In den Liebesepisoden des Romans schildert der Verfasser vielleicht zum Teil seine eigenen Erlebnisse. Das Werk besteht aus fünf eng gedruckten Bänden zu je 500 bis 600 Seiten.

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