SPORT AP Skiprofi Tomba beim Weltcup in : „Er allein hält diesen Sport am Leben“

Ski alpin Gottesdienst mit Albertone Matthias Geyer über den Kult um den skifahrenden Entertainer Alberto Tomba

er Matador locale spült den Gau- drei Kollegen waren in die Kälte gestürzt, men mit rotem Wein der Marke des Gepäcks wegen: drei Sporttaschen, DFiori d’Inverno, einem 96er Neu- ein Paar froschgrüne Skischuhe und eine ankömmling. Während seine Zunge auf äußerst coole Sonnenbrille. der Suche nach den Resten von Fettucci- Und dann war er wirklich da. Alberto ne con gamberi al curry durchs Gebiß trug schwarze Klamotten und beige Stie- wühlt, streift ein Kellner um seinen Stuhl fel und sagte, er wolle zuerst pinkeln und und erkundigt sich, ob das Befinden auch dann essen. in Ordnung sei. Kaum war er zurück im Foyer, schlang Was der späte Gast jetzt vor allem sich eine schöne Frau um Alberto, als sei braucht, ist Zuwendung. Mächtig sie seine Geliebte, was allerdings nicht Schmacht hat er zu dieser Stunde oh- den Tatsachen entsprach. Und am Tresen nehin immer, und außerdem war die An- hatten drei Carabinieri Stellung bezogen reise arg strapaziös. Nun ist Alberto Tom- und tranken Grappa, so lange, bis „Al- ba jedoch Stammgast hier im „Hotel Lo- bertone“ ins Bett stieg. renzetti“ von Madonna di Campiglio, das Zusammenkünfte mit Alberto Tomba Personal war auf alles eingestellt. Augen- sind Weihestunden. Jeder Augenblick ist blicke bevor der Meister in Begleitung kostbar für seine Gemeinde, gerade jetzt,

einer vierköpfigen Entourage vorfuhr, DPA wo es jeden Tag für immer zu Ende sein hatte ein Bediensteter noch flink den Liebespaar Tomba, Colombari kann. Vorvergangene Woche beging der flauschigen Läufer zurechtgezupft, und „Ich hatte drei Frauen in einer Nacht“ Campione seinen 30., des Morgens pla-

116 DER SPIEGEL 1/1997 dem Sessellift anstand – dummerweise war es jedoch so, daß zur gleichen Zeit zwei Herrschaften vom Fernsehsender RAI 2 vorbei wollten, auf der Jagd nach Alberto. Der war allerdings längst enteilt, da er sich nie anzustellen pflegt, was den Kameramann schwer in die Verdrückung brachte. „Permesso, permesso“, schnat- terte er einem Finnen ins Ohr, und weil der nicht gleich begriff, knirschten zuerst dessen Ski, dann hatte dieser die Kamera im Kreuz. Daß der ewig Umschwärmte als Sohn eines millionenschweren Tuchfabrikanten aus zur Welt kam, gibt ihm eine urbane Nonchalance, an die die Buben von der Alm ihr Leben lang nicht heran- reichen werden. Tomba hat, was seine Landsmänner bloß vom Anspruch her ha- ben, seit der Stimmbruch überwunden ist: schnelle Autos, schöne Frauen, einen Kel- ler voll des feinsten Weines und gelegent- lich kapriziöse Ausfälle, die allerdings nie so ernst waren, daß sie ihn in einen fol- genschweren Konflikt mit seiner römisch- katholischen Kirche getrieben hätten. Madonna, Albertone, wie war das da- mals in den Nächten vor den Olympi- schen Spielen? „Ich kam um fünf nach Hause und hatte drei Frauen.“ Dio mio? Wird er die Schlagzahl auch während der Wettkämpfe halten? „Nein, ich werde um drei nach Hause kommen und fünf Frau-

T. LARKIN / ATP T. en gehabt haben.“ Verbürgt ist, daß es zu- Fan-Klub in Madonna di Campiglio: „Erst schuf Gott Schnee, dann Tomba“ mindest mit Martina Colombari, einer ehemaligen Miss Italia, funktioniert hat. gen ihn neuerdings verstärkt die Kno- den eher Durchschnitt trägt. Und wer In Wahrheit handelt es sich bei ihm chen. Daß er die ganze Schinderei leid außer ihm findet nationenübergreifend natürlich um einen gnadenlosen Angeber. ist, hat er schon mehrfach wissen lassen, Beachtung, nur weil er eine eigene Un- Nicht, daß Tomba irgendeine Rolle spie- der Rücktritt scheint nicht mehr fern – terhosenkollektion mit dem Namen „La len würde – Tomba spielt immer nur und die Liebe wächst stündlich. Bomba“ auf den Markt trägt? Diese Tomba. Müßte er eine Rolle spielen, wür- Denn klar ist: Albertos Fortgang käme Nummer hatte zwar zur Folge, daß er sei- de das eine gewisse Intelligenz voraus- einer Katastrophe gleich. Ski-Weltcup nen Nebenberuf als Carabinieri verlor, setzen, aber Alberto ist nicht wirklich in- ohne Tomba wäre wie Italien ohne Frau- weil sie gegen den Kodex verstieß. Aber telligent. Sein Versuch, das Abitur zu be- en. Der Kollege etwa erstens war er da ohnehin nur pro forma stehen, kam auch nach drei Durchläufen glaubt, sein Gewerbe wäre „wahrschein- angestellt, und zweitens darf er jetzt die nicht ins Ziel. Alberto ist bloß ein schwe- lich längst tot“, gäbe es diesen Italiener Locken wieder länger tragen – das steht rer Chauvi, so wie es in Bologna Hunder- nicht. Volker Schmid, ein Vermarkter des ihm deutlich besser, zumal er sie mit te schwerer Chauvis gibt, der Unter- Winterspektakels, sieht im Fall von Tom- reichlich Gel behandelt. schied ist nur: Alberto kann höllisch gut bas Dahingehen die Baisse im Anzug – Könnte es ernsthaft jemanden interes- Ski fahren. Und weil er kapiert hat, daß Sponsorengelder und Zuschaueraufkom- sieren, was beispielsweise den Norweger damit eine Marktlücke zu besetzen ist, men und Fernsehminuten werden in den Ole-Christian Furuseth – durchaus auch hat er den Chauvi kultiviert. Keller purzeln, glaubt der Marketing- ein Meister seines Fachs – während sei- Um die zehn Millionen Mark werden Mann, „denn Tomba allein hält diesen ner Freizeit in der Stille des skandinavi- ihm von den Sponsoren im Jahr aufs Sport noch am Leben“. schen Waldes treibt? So wie Jean-Claude Konto gespült, und natürlich fühlt sein Gemeint ist damit weniger, daß sich Killy, oder Franz Klammer Anhang im Kern mit ihm: Muß er denn der etwas pummelig geformte Athlet auf die Helden ihrer Zeit waren, so versorgt wirklich noch immer jeden Morgen so eine Art durch die Stangen bewegt, die Alberto Tomba die Skiwelt der neunziger früh raus, wo doch jeder weiß, daß er vor seinen ersten Trainer an Nurejew erinner- Jahre mit Sauerstoff, er ist tätig als einzi- halb elf nicht zu gebrauchen ist? te. Gemeint ist vielmehr, was der zwei- ger Popstar des Winters in einer anson- Er muß. Zwar hätte der Genius im tief- malige Weltmeister nebenher zu leisten sten weitgehend charismafreien Zone. sten Grund seines Herzens längst eine im Stande ist. Seine Konkurrenz trägt rosige Wangen Filmrolle annehmen wollen – ein US- Wer schafft es schon, vom Siegespo- und grobgestrickte Pullover, den Herr- Produzent hat sich da angeblich etwas dest aus seinen Pokal auf einen Fotogra- gottswinkel im Herzen. Gelegentlich höchst Originelles im Sinne von fen zu schleudern und dabei auch noch zu stört sie auch nur. „Baywatch“ mit Schnee ausgedacht –, treffen? Alberto schleuderte und traf; er Sehr direkt mußte das während der aber nein: Transzendente Kräfte haben war nämlich zutiefst gekränkt, weil ihn Trainingsstunde in Madonna di Cam- dafür gesorgt, daß er der Welt erst mal als dieser Knipser nackt in der Sauna foto- piglio die finnische Herrenmannschaft Skifahrer erhalten bleibt. grafiert hatte, was ans Licht förderte, daß erfahren. Die machte eigentlich alles Wie genau das kam, vermittelt er in Ma- „Alberto Nazionale“ zwischen den Len- richtig, als sie anständig in der Reihe vor donna di Campiglio einer handverlesenen

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Journalistengemeinde, wenige Stunden gar nichts, nicht die Politik, nicht die den Nerven im Keller. Trainingsstunden bevor er sich da nach 281 Tagen Wett- Müllabfuhr, nicht mal Ferrari, Tomba mit Tomba waren zum Schluß zur Glücks- kampfpause mit einem zweiten Platz an funktioniert immer. sache geworden, der empfindliche Athlet die Weltspitze zurückkatapultierte: Sein Mit dem dreimaligen Olympiasieger, schmiß Termine, weil ihn des öfteren ge- Zeigefinger gleitet über das Sterlingsilber- nach Umfrageergebnissen fast so be- sundheitliche Malaisen plagten – mei- Kettchen am linken Handgelenk, dann legt kannt wie Sophia Loren und Luciano Pa- stens, wenn das Wetter schlecht war. Auch er die Stirn in Falten, befeuchtet die Lip- varotti, wächst Italien zu einer dampfen- Robert Brunner, der ihm zwölf Jahre lang pen und hebt an mit dieser Stimme, die den Gefühlsgemeinde zusammen, seine als Knecht zur Seite stand, wurde zur un- immer klingt, als habe er die letzte Nacht Läufe sind ein einziger nationaler Orgas- erträglichen Last. Der Südtiroler hatte durchgesoffen: „Also, jemand hat mir im mus. Tomba ist, vielleicht neben dem seinem Herrn aus reiner Liebe für lau ein Traum gesagt: Mach weiter.“ ehemaligen Mailänder Staatsanwalt An- Automobil besorgt. Den offiziellen Über- Wer genau ihm da erschienen ist, läßt tonio Di Pietro, der tatsächlich ein paar gabetermin mit hochrangigen Vertretern sich nur erahnen: Es muß Gianni Agnelli, bedeutende Korrupte zu fassen bekam, des Autoherstellers ließ der allerdings Fiats Konzernchef, gewesen sein. Der der letzte Italiener, auf den Verlaß ist. gleich fünfmal platzen – ein Tort, der das Avvocato stellt Albertone nämlich drei Das Volk weiß es ihm zu danken. Öf- Verhältnis zerbrechen ließ. Millionen Mark sowie ein edles Ge- fentliche Auftritte des Künstlers werden Wenngleich die Industrialisierung in schöpf aus dem Hause Ferrari zur Verfü- mit üppig Schmalz überzogen – etwa Italien gleich nach dem Zweiten Welt- gung und erwartet dafür, daß der Künst- wenn Tomba auf dem Marktplatz zur krieg Einzug hielt, besteht die Feudalord- ler im nächsten Februar bei der Weltmei- Auslosung der Startnummern einzieht. nung von einst fort, und die Ikone des sterschaft im italienischen an 15 Ragazzi, die weiße Strumpfhosen tra- Landes hält sich mit bemerkenswerter den Start geht. Das ist deshalb außeror- gen und rote Weihnachtsmann-Mützchen Konsequenz daran fest. dentlich wichtig, weil sich Sestriere in und zusammen alle irgendwie aussehen Auf dem Zenit seines Schaffens darf Agnellis Besitz befindet und Agnelli- wie „Die dicken Kinder von Landau“, Alberto Tomba zum erstenmal ganz al- Neffe Giovanni Organisationschef ist. führen zum Klang von „Jingle Bells“ ei- lein bestimmen, was richtig ist und was Und ohne den Matador kämen ein paar nen Tanz vor, der ausschließlich für den nicht. Die Miss Italia ist fort, die Mama – tausend Leute weniger. Dieses Phänomen Mann aus Bologna geschaffen wurde. die ihm einst den Abfahrtslauf verbot, läßt sich weltweit beobachten, Alberto Der entkorkt sodann eine Mammutfla- weil der so gefährlich ist – weit weg, hält ganze Wintersportregionen am Le- sche Champagner, befeuchtet zuerst die übrig geblieben ist eine Korona treffli- ben. In Sestriere jedenfalls wird Tomba Menge und dann sein Ohrläppchen, und cher Lakaien. dabeisein, beim Weltcup nur noch dann, was danach noch an seinen Fingern klebt, Seinem neuen Trainer Flavio Roda, ei- wenn es ihm gerade paßt. flitscht er mit ausgebreiteten Armen auf nem Mann, der sich wechselweise an ei- Madonna di Campiglio kommt ihm ge- die Köpfe seiner Kollegen – es ist, als ner Zigarette und einem Funktelefon legen, denn hier erfährt er noch die Be- würde er sie segnen. festsaugt und dabei immer aussieht wie handlung, die ihm zusteht. „Erst schuf Daß Tomba noch so schnell Ski fahren der kleine Bruder von Clint Eastwood, Gott den Schnee, dann schuf er Tomba kann, verblüfft die Fachwelt, zumal er kommt vornehmlich die Aufgabe zu, wichtig zu gucken. Als „PR-Agent“ dient ihm der etwas ölige Georgio Sgorlon, den Alberto einst bei den Carabinieri kennen- lernte – nun läßt er sich von ihm aus dem Ski helfen. Und als „Marketing-Ma- nager“ ist der Dottore Andrea Vidotti tätig, ein Mensch, der rastlos als Postillon d’amour zwischen Alberto und seinen Freunden hin- und hereilt. Wenn es die Zeit erlaubt, tüfteln der Dottore und der Carabinieri an neuen Vermarktungsstrategien. Von eher zag- haftem Erfolg erwies sich dabei die Idee, Alberto als Freund notleidender Bambini zu verkaufen – daß er neuerdings für Uni- cef und in Kinderkrankenhäusern unter- wegs ist, kam bei den Leuten bisher irgendwie nicht so richtig an. Zündender war da schon der Einfall mit dem Internet. Dort hat der Maestro seine eigene Seite, unter der Adresse „http://www.alberto.tomba.it.“ ist er für

ZB / DPA jedermann erreichbar. Mehrere tausend Geschäftspartner Giovanni Agnelli, Tomba: Ferrari für die Startzusage Kontaktaufnahmen werden angeblich täg- lich registriert, überwiegend von weibli- und sagte: Gehe hinaus und gewinne“, keinen mehr hat, der richtig auf ihn auf- chen Benutzern. Neulich schickte eine steht auf einem Transparent, das seine paßt. Seine ein gutes Dutzend starke Be- feurige Signora eine Arie auf die Datenau- Jünger am Hang Miramonti aufgespannt treuerrunde, die er als sein eigener Unter- tobahn: „Sono sposata ma non me ne fre- haben. Kein Zweifel, im wesentlichen nehmer beschäftigt, verzeichnete zuletzt ga niente. Voglio fare l’amore con te“ – sieht Tomba das genauso. eine beträchtliche Fluktuation. „Ich bin verheiratet, aber das ist mir egal. Italien und sein heimlicher Patron le- Der langjährige Privattrainer Gustav Ich möchte Liebe mit dir machen.“ ben in wundervoller Symbiose zusam- Thöni, in den siebziger Jahren selbst Alberto hat gemeint, unter Umstän- men: Das Land vergißt sein Nord-Süd- Weltcup- und Olympiasieger, gab im den werde er sogar antworten – die Si- Gefälle, sobald Tomba über die Piste Sommer auf. Thöni, ein Mann von preußi- gnora solle erst mal ein Foto von sich steigt. Zwar funktioniert noch immer rein scher Berufsauffassung, befand sich mit schicken.

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