Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns

Nr. 78, August 2020

Aus dem Inhalt:

Ostarrichi-Urkunde nach Österreich ausgeliehen (S. 5) 10 Jahre bayerisch-tschechische Archivpartnerschaft (S. 9) Neue Verzeichnungsrichtlinien für die Staatlichen Archive Bayerns (S. 12) Direktorentagung der Gymnasien in Oberbayern-West im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (S. 15) Rückgabe zweier mittelalterlicher Urkunden aus den USA an das Staatsarchiv Nürnberg (S. 16)

Nachrichten • Nr. 78/2020

Inhalt

Aktuelles Historisch-politische Schriftgutverwaltung Ostarrichi-Urkunde nach Bildungsarbeit und Registrator*innen der schwä- Österreich ausgeliehen...... 5 bischen Landratsämter treffen Ausstellungen sich in Neu-Ulm ...... 35 10 Jahre bayerisch-tschechi- Vom Dreißigjährigen Krieg sche Archivpartnerschaft...... 9 Staatsarchiv Bamberg bei zum Naturschutz – Lehraus- Jahrestagung der Feldge- Neue Verzeichnungsrichtlinien stellungen im Bayerischen schworenen des Landkreises für die Staatlichen Archive Hauptstaatsarchiv...... 23 Forchheim...... 36 Bayerns...... 12 C’est bon, c’est bon, l’amitié Auszubildende des Landes- Fachgespräch „Archive im franco-allemande! Niederbay- amts für Digitalisierung, Alten Reich als Herrschafts­ erische P- und W-Seminare Breitband und Vermessung instrumente“...... 13 auf Spurensuche im Staatsar- besuchen das Staatsarchiv chiv Landshut...... 26 Direktorentagung der Gym­ Landshut...... 38 nasien in Oberbayern-West Der Historische Arbeitskreis im Bayerischen Hauptstaats- Hallertau zu Gast im Staats­ archiv...... 15 archiv Landshut...... 27 Bestände Rückgabe zweier mittelalter- Ausstellungen im Staatsarchiv licher Urkunden aus den USA Coburg...... 28 Bayerisches Hauptstaatsarchiv an das Staatsarchiv Nürnberg..... 16 „Von drüben rüber“ durchs Vermisstenbücher der Jahre Lager Hammelburg...... 39 1922 bis 1985 des Bayeri- Veranstaltungen Brandgefährliche Überliefe- schen Landeskriminalamts in Tag der Familienforschung rung: Nitrozellulose-Negativ­ e das Bayerische Hauptstaats- im Bayerischen Hauptstaats- in der Bildsammlung Nach-­ archiv übernommen...... 17 archiv...... 29 lässe...... 40 Aktivitäten der „Freunde und Tag der Archive im Staatsar- Analog und digital, schwarz Förderer des Bayerischen chiv Amberg: Auf den Spuren und grün, gut und böse: die Hauptstaatsarchivs e.V.“ der Postgeschichte in der Vielfalt der Nachlässe im Bay- 2018 und 2019...... 19 Oberpfalz...... 30 erischen Hauptstaatsarchiv ...... 42 Nachlass Richard Korherr erschlossen...... 43 Fundstücke Archivpflege Nachlass Julius Friedrich Leh- Thomas Mann im Kriegsarchiv....20 Tagung der niederbayerischen mann erschlossen...... 45 Archivpfleger*innen in Landau an der Isar...... 32 Von Herrsching nach Mün- Archive Digital chen: Akten des Landwirt- Gemeinsam stark: Gemeinden schaftlichen Vereins übernom- Datenbank „Archive in Bay- im Landkreis Bamberg koope- men...... 46 ern“ um Angaben zu Foto­ rieren bei der Archivierung...... 33 beständen erweitert...... 21 Seminar des Staatsarchivs Sudetendeutsches Archiv Kooperation mit dem Lehr- München zur Archivpraxis für Bestand Friedländer Bezirks- stuhl Digital Humanities der Gemeindearchivar*innen ...... 34 bahn AG erschlossen ...... 47 Universität Passau ...... 21 Nachrichten • Nr. 78/2020 Staatsarchiv Augsburg Aus- und Fortbildung Nachlass des Psychiaters Archivarsaustausch der ARGE Dr. Max Barth (1904–1966) Alp: Zu Besuch im „Gedächt- erschlossen...... 48 nis des Kantons Zürich“...... 67

Staatsarchiv Nürnberg Hospitation im Institut für Erhaltung von Archiv- und Bestand Appellationsgericht Bibliotheksgut in Ludwigsburg.....68 der Reichsstadt Nürnberg erschlossen...... 50 Einführung in die Schriftkunde des 19. und 20. Jahrhunderts für Mitarbeiter*innen der Ver- Archivbau messungsverwaltung...... 70 Neue Magazinklimatisierung für das Staatsarchiv Landshut.....52 Neue Veröffentli- chungen Bestandserhaltung Workshop „BKM Förderlinien Impressum zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts: Praktische Fragen der Antragstellung“...... 53 Mitarbeiter*innen Europäischer Tag der Restau- rierung: Beitrag des Bayeri- schen Hauptstaatsarchivs ...... 54 Kongress der iADA in Warschau...55 Schulung Schädlings- und Schimmelprävention in Registraturen...... 56 Fotografien – ein besonderer Bereich der Bestands- erhaltung...... 58

Notfallvorsorge Bergungsübung des Notfall- verbundes Augsburg mit dem THW...... 60 Notfallvorsorge und -bewälti- gung in tschechischen Archiven...... 62 Notfallverbünde Bamberg und Amberg – Sulzbach-Rosen- berg gegründet...... 65 Nachrichten • Nr. 78/2020 3

Verehrte Leserin, Hygienekonzepts für alle staatlichen Archive und eines an die jeweilige Situation des Lesesaals ei- verehrter Leser, nes Archivs angepassten Lüftungskonzepts unse- re Lesesäle für zunächst vier Tage wieder öffnen. Der Schutz unserer Mitarbeiter*innen und unse- die erste Jahreshälfte 2020 verlief anders als wir rer Benutzer*innen stand dabei an erster Stelle. es uns alle dachten. Als die leeren Straßen von So wurden die Personalbereiche der Lesesäle mit Wuhan in den Nachrichtensendungen zu sehen Kunststofftrennwänden ausgestattet und Konzep- waren, war doch alles sehr weit weg. Doch die Er- te für die Archivalienvorlage erarbeitet. Die Ab- eignisse holten uns mit der Ausbreitung der Pan- standsregelung von 20 Quadratmeter pro Benut- demie sehr schnell ein! Konfrontiert wurden wir zer/Benutzerin im Lesesaal bedingte, dass eine mit Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverboten, Benutzung nur nach Anmeldung möglich wurde. Schließung von Bildungs- und Kultureinrichtungen Nach der geglückten Testphase standen die Lese- und einem Rückgang der Wirtschaft, der sich in säle ab dem 25. Mai wieder an allen fünf Werkta- der Einführung von Kurzarbeit und am augenfäl- gen offen. Seit 15. Juni sind nun auch die Reper- ligsten in der Schließung von Geschäften und der torienzimmer wieder geöffnet, aber auch hier nur Gastronomie zeigte. nach Voranmeldung. Die Öffnung für den Benutz- Auch die Staatlichen Archive Bayerns wurden erbetrieb ist wegen des äußerst disziplinierten und durch das Coronavirus Sars-CoV-2 massiv betrof- kooperativen Verhaltens unserer Benutzer*innen fen. Vom 17. März bis 10. Mai waren das Bayeri- und des sehr verantwortungsbewussten Miteinan- sche Hauptstaatsarchiv und die Staatsarchive für ders voll gelungen. Dafür bedanke ich mich bei al- persönliche Benutzungen geschlossen. Die Beant- len vielmals! wortung schriftlicher Anfragen, die Beauskunftung Leider mussten auch wir zahlreiche Veranstaltun- aus Akten für die Klärung rechtlicher Sachverhalte gen absagen bzw. verschieben. Dazu gehören un- sowie die Anfertigung von bestellten Reproduktio- sere Ausstellungen nen konnten wir jedoch aufrechterhalten. Ein Kri- – im Staatsarchiv Amberg, Die Geschichte der senstab in der Generaldirektion arbeitete an der Post in der Oberpfalz im 19. und 20. Jahrhun- Umsetzung der Vorgaben der Infektionsschutzver- dert. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Am- ordnungen und ministeriellen Weisungen sowie an berg (Eröffnung mit dem Tag der Archive am Konzepten zum Home Office, zum Home Schooling 7. März; wäre geöffnet gewesen bis 9. April für unsere Auszubildenden und einer schrittweisen 2020); Wiedereröffnung des Benutzerbetriebs. Mit Hoch- druck konfigurierten eine Mitarbeiterin und zwei – im Staatsarchiv Augsburg, Die „Erbpolizei“ im Mitarbeiter der IT-Abteilung der Generaldirektion Dritten Reich. Staatliche Gesundheitsämter in Notebooks, die glücklicherweise rasch beschafft Schwaben (Eröffnung am 5. März; war primär werden konnten, damit das Arbeiten von zuhause für Augsburg Open erarbeitet; war geplant bis aus im Archivinformationssystem und im staat- 30. April, wurde verlängert bis 29. Mai; in Ko- lichen Rechenzentrum möglich wurde. Entspre- operation mit der Bayerischen Staatszeitung chend der Priorisierung gesundheitliche, familiäre sind die wichtigsten Exponate online zugäng- und strategische Gründe erfolgte die Verteilung lich gemacht worden, https://www.bayeri- der Geräte auf die Mitarbeiter*innen der einzelnen sche-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/ Häuser. Deren Personalräte sowie der Bezirksper- detailansicht-kultur/artikel/der-wahn-vom- sonalrat waren in alle Schritte eingebunden. Die gesunden-volkskoerper.html#topPosition; bis dahin geltenden Regelungen zur Heimarbeit – und im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Fol- wurden außer Kraft gesetzt, um der Situation ge- genschwer und doch vergessen. Der Deutsch- recht zu werden. Französische Krieg 1870/71. Eine Ausstel- Am 11. Mai konnten wir entsprechend den Vorga- lung der Bayerischen Archivschule, bearb. von ben der Vierten Infektionsschutzverordnung, eines Anton Gleißner und Ferdinand Sturm. 4 Nachrichten • Nr. 78/2020

Verschoben werden mussten die Ausstellungen – 5. Mai: Workshop „X-Archiv? Automatisierung und Standardisierung in der digitalen Archivie- – im Bayerischen Hauptstaatsarchiv „Brief und rung“ Siegel. Glaubwürdigkeit und Rechtskraft, ges- tern und heute. Eine Ausstellung der Staatli- – 11. Mai: Treffen der Notfallbeauftragten der chen Archive Bayerns im Bayerischen Haupt- Staatlichen Archive staatsarchiv“. Die Eröffnung ist für den 14. – 13. Mai: DIMAG-Tag September 2020 geplant; – 23. Juni: Vorträge „Impulse für die Forschung. – ebenfalls im Bayerischen Hauptstaatsarchiv Die Heimat im Kartenbild“ „Die brennendste aller sozialen Fragen“. Kom- munale Wohnungspolitik zwischen 1918 und Mein großer Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und 1954 in den Städten München, Nürnberg, Er- Mitarbeitern der Staatlichen Archive Bayerns für langen. Eine Ausstellung der Bayerischen Ar- das hervorragende und konstruktive Miteinander chivschule, bearb. von Thomas Gilgert, Johan- zu Bewältigung der Pandemie-bedingten Heraus- nes Hasselbeck, Andreas Schenker. Präsenta- forderungen. tion vom 29. Juni bis 7. September 2020; Margit Ksoll-Marcon – und im Staatsarchiv Würzburg, Der Fürst- bischof zieht in die Stadt. Die Anfänge der Würzburger Residenz vor 300 Jahren. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Verwal- tung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Das Präsentationsdatum steht noch nicht fest, vielleicht kann die Ausstellung erst bei der nächsten Residenznacht am 14./15. Mai 2021 gezeigt werden. – Die Ausstellung im Bayerischen Hauptstaats- archiv, „Deutungskämpfe“ anlässlich des 53. Deutschen Historikertags in München soll nun im Oktober 2021 gezeigt werden. – Die Ausstellung „100 Jahre Coburg bei Bay- ern“ des Staatsarchivs Coburg wird in Räum- lichkeiten der Stadt Coburg ab 20. Juli bis Dezember 2020 gezeigt, da die vorgeschrie- benen Abstandsregelungen im Ausstellungs- bereich des Staatsarchivs nicht eingehalten werden können. Aber auch Veranstaltungen mussten abgesagt wer- den, wie – 18. März: Mitgliederversammlung Freunde und Förderer des Bayerischen Hauptstaatsar- chivs e.V. – 19. März: Wässerungsübung Notfallverbund München mit Bayerischem Hauptstaatsarchiv und Staatsarchiv München – 8. April: Tag der Provenienzforschung, geplant war die Teilnahme von Bayerischem Haupt- staatsarchiv und Staatsarchiv München mit jeweils zwei Führungen und einem Vortrag Nachrichten • Nr. 78/2020 5

Aktuelles

Ostarrichi-Urkunde nach Österreich Jahre alte Dokument stammt aus der Überlieferung ausgeliehen des Hochstifts Freising und liegt deshalb zu Recht im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Ein österreichischer Astronaut nahm ein Faksimile Vor allem aus konservatorischen Gründen ver- der Urkunde mit ins All, der Schriftzug „Ostarrichi“ lässt diese Urkunde die konstanten klimatischen ziert einen österreichischen Kampfjet und viele Bedingungen im Magazin des Hauptstaatsarchivs Kaffeehäferl, eine Kaserne, ein Park, ein Marsch normalerweise nicht. Für das Haus der Geschichte sind nach ihr benannt. Die sogenannte Ostarrichi- Österreich in Wien wurde für die Sonderpräsentati- Urkunde, in der die Landschaftsbezeichnung „Ös- on „#Ostarrichi. Karriere einer Urkunde“ in der Zeit terreich“ (althochdeutsch „ostarrîchi“) erstmals er- vom 26. Oktober bis zum 3. November 2019 eine wähnt wird, hat für Österreich zweifellos eine hohe Ausnahme gemacht und mit erheblichem logisti- identitätsstiftende Bedeutung. Das über tausend schem und sicherheitstechnischem Aufwand das

Die Ostarrichi-Urkunde vom 1. November 996 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Hochstift Freising Urkunden 14). 6 Nachrichten • Nr. 78/2020

Dr. Bernhard Grau, Direktor des Hauptstaatsarchivs, erläutert dem österreichischen Bundeskabinett Geschichte und Bedeu- tung der Urkunde. V.l.n.r.: Arbeitsministerin , Kanzleramtsministerin , Finanzminister Eduard Müller, Wirtschaftsminis­­ terin Elisabeth Udolf-Strobl, Bildungsministerin Iris Eliisa Rauskala, Verkehrsminister Andreas Reichhardt, Nachhaltigkeits- ministerin , Justizminister , Innenminister Wolfgang Peschorn, Dr. Bernhard Grau (Bayerisches Hauptstaatsarchiv), Außenminister (verdeckt), Bundeskanzlerin , Dr. Monika Sommer (Haus der Geschichte Österreich) (Foto: Andy Wenzel, Bundeskanzleramt, Wien).

Original zur Verfügung gestellt. Erstmals seit 1996 schichte der Urkunde vorstellten, deren Inhalt war die Urkunde damit wieder in Österreich zu se- im Grunde wenig spektakulär ist. Sie dokumen- hen, zum ersten Mal überhaupt in Wien. tiert ein Rechtsgeschäft zwischen Kaiser Otto III. (983–1002) und dem Bischof von Freising, dem Dementsprechend stieß die Ausleihe der Urkunde der Kaiser Besitztümer in und um Neuhofen an bereits im Vorfeld auf größtes Medienecho. Ne- der Ybbs schenkte, im Gebiet, das im Volksmund ben dem österreichischen Fernsehen berichteten „ostarrîchi“ genannt werde. Mit der Säkularisation zahlreiche süddeutsche und österreichische Zei- im Jahr 1802 ging das in Bayern gelegene Terri- tungen. Die Wiener Zeitung titelte am 23. Oktober torium des Hochstifts Freising an das Königreich auf ihrer ersten Seite treffend: „Am Anfang war ein Bayern über, das als Rechtsnachfolger auch das Wort“ – neben einer Abbildung der Urkunde mit ei- Freisinger Archiv und damit die Ostarrichi-Urkunde ner Lupe über dem Begriff „ostarrichi“. übernahm. Auch wenn die Urkunde damit ihren Den Auftakt des Ereignisses bildete ein Presse- Charakter als Rechtsnachweis von Besitztümern gespräch im Hauptstaatsarchiv am 21. Oktober verlor, wirken – wie Dr. Roland Götz vom Archiv des 2019, bei dem Dr. Bernhard Grau, Direktor des Erzbistums München und Freising im Rahmen des Hauptstaatsarchivs, und Dr. Gerhard Immler als Pressetermins bezeugte – die darin begründeten Leiter der zuständigen Fachabteilung die Ge- engen historischen Verbindungen zwischen der Nachrichten • Nr. 78/2020 7

Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen wirft einen Blick auf die Ostarrichi-Urkunde. V.l.n.r.: Dr. Birgit Johler (Haus der Geschichte Österreich), Doris Schmidbauer, Dr. Bernhard Grau (Bayerisches Hauptstaats­ archiv), Dr. Monika Sommer (Haus der Geschichte Österreich), Prof. Dr. Alexander van der Bellen (Foto: Peter Lechner, HBF).

Neuhofener Gegend und dem Bistum Freising bis Wie der enorme Besucherandrang in Wien zeig- heute nach. te, war der Zeitpunkt klug gewählt. Rund 8000 Besucher*innen nutzten die exklusive Gelegen- Dr. Monika Sommer, die Leiterin des Hauses der heit, um die Urkunde im Original zu bestaunen. Geschichte Österreich, erläuterte die Gründe für Allein am Nationalfeiertag hatte das Haus der Ge- die Leihanfrage und die hohe ideelle Bedeutung schichte Österreich 2723 Gäste zu verzeichnen – der Urkunde für ihr Heimatland. 1946 war die jun- neuer Rekord für das junge Museum, das am 12. ge Republik Österreich auf der Suche nach einer November seinen ersten Geburtstag feierte. Auch neuen nationalen Identität auf die Urkunde vom Bundespräsident Alexander van der Bellen und das 1. November 996 gestoßen. Nach den Geschichts- gesamte Bundeskabinett um Bundeskanzlerin Bri- brüchen der Weltkriege wurde sie zum identitäts- gitte Bierlein gaben sich die Ehre, das vielfach als stiftenden Symbol einer eigenständigen österrei- „Geburtsurkunde Österreichs“ verklärte Dokument chischen Nation. Die eingangs erwähnten Benen- in Augenschein zu nehmen. nungen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Das Haus der Geschichte Österreich sehe als modernes zeit- Die Ausleihe der Ostarrichi-Urkunde als konser- geschichtliches Museum seine Aufgabe darin, die vatorische Herausforderung jüngere Vergangenheit kritisch zu hinterfragen und dabei eben auch die einzelnen Elemente des heu- Alte Handschriften auf Papier und Pergament, tigen österreichischen Nationalbewusstseins unter handgezeichnete Karten, aber auch bestimmte die Lupe zu nehmen. Da die Ostarrichi-Urkunde ge- Akten des 20. Jahrhunderts zählen zu den licht- wissermaßen das Fundament dazu darstelle, böte und klimaempfindlichsten Kulturdokumenten. Ihre sich eine Präsentation im Zusammenhang mit den Präsentation in einer Ausstellung widerspricht im großangelegten Feierlichkeiten zum Österreichi- Grunde dem Ziel des dauerhaften Substanzer- schen Nationalfeiertag (26. Oktober) an. halts. Transporte, schwankende klimatische Be- 8 Nachrichten • Nr. 78/2020 dingungen und Lichteinwirkung regen Abbaumechanismen an und beschleu- nigen so die Alterung des Materials. Um dennoch schriftliches Kulturgut der Öffentlichkeit präsentieren zu können, müssen bei einer Ausleihe neben den offensichtlichen Schutzmaßnahmen gegen Diebstahl, Vandalismus und Ha- varien vor allem die konservatorischen Anforderungen sorgsam beachtet wer- den. Dies gilt besonders für Pergamentur- kunden, gerade dann, wenn sie immer wieder für Ausstellungszwecke angefor- dert werden. In diesem Fall ist während des gesamten Transports und in der Ausstellung ein konstantes Klima von 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit bei 18 Grad Celsius einzuhalten. Nur ge- ringste Schwankungen der Werte sind erlaubt. Die Urkunde darf nur in einer absperrbaren, staubdichten und mit Verbundsicherheitsglas versehenen Vi- trine präsentiert werden. Die Beleuch- tung muss frei von UV- oder IR-Anteilen sein und Besucherandrang vor dem Haus der Geschichte Österreich darf 50 Lux Bestrahlungsstärke nicht überschrei- am Österreichischen Nationalfeiertag ten. Über die Anforderung eines sogenannten Fa- (Foto: Haus der Geschichte Österreich). cility Reports des Leihnehmers wird bereits vorab rine außerhalb der Öffnungszeiten abgedeckt wer- überprüft, ob die Ausstellungsräumlichkeiten den den, um jede unnötige Lichteinwirkung wie etwa Sicherheitsanforderungen und konservatorischen die Arbeitsbeleuchtung (bei Raumreinigung o.ä.) zu Bedingungen genügen können. Das wertvolle Stück vermeiden. Auf dem Hin- und Rücktransport wurde wird von einer Kunstspedition in einer maßgefertig- die Urkunde von einer Restauratorin des Bayeri- ten Klimakiste transportiert, die für die Einhaltung schen Hauptstaatsarchivs begleitet. Der Auf- und konstanter Klimabedingungen sorgt. Am Zielort Abbau in Wien durfte nur unter Aufsicht der Res- muss die Kiste erst 24 Stunden akklimatisieren, tauratorin und eines weiteren Kuriers des Haupt- bevor sie geöffnet und die Urkunde herausgenom- staatsarchivs stattfinden. Mittels eines Schock- men werden kann. Vor dem Transport werden alle und Vibrationsdatenloggers wurde die Belastung Eigenschaften und Beschädigungen der Urkunde für das wertvolle Objekt im Verlauf der Transporte in Wort und Bild in einem Zustandsprotokoll do- aufgezeichnet. kumentiert, sodass nach Abschluss des Leihver- fahrens die Auswirkungen von Transport und Prä- Die konservatorischen Erfordernisse und der sentation überprüft werden können. So können hohe Wert der Ostarrichi-Urkunde sind auch der eventuell entstandene Schäden zweifelsfrei dem Grund, weshalb sie unter den genannten konser- Verursacher zugeordnet werden, was aus versi- vatorischen Auflagen und sicherheitstechnischen cherungsrechtlichen Gründen unabdingbar ist. All Vorkehrungen nur für die Dauer von zehn Tagen diese Punkte gilt es bei der Planung zu beachten, ausgeliehen werden konnte. Wohlbehalten aus die bei einem derart hochkarätigen Exponat wie Wien zurückgekehrt, kann sich das Dokument nun der Ostarrichi-Urkunde dementsprechend etwa ein im heimatlichen Magazin des Bayerischen Haupt- Jahr im Voraus beginnt. staatsarchivs von den Strapazen der Reise zu er- holen. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung waren bei der Ostarrichi-Urkunde noch zusätzliche Siche- Ann-Kathrin Eisenbach, rungsmaßnahmen erforderlich. So musste ihre Vit- Johannes Moosdiele-Hitzler Nachrichten • Nr. 78/2020 9 10 Jahre bayerisch-tschechische Bei einem Festakt am 29. November 2019 im Archivpartnerschaft Staatsarchiv Amberg, zu dem die Generaldirekto- rin der Staatlichen Archive Dr. Margit Ksoll-Marcon Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ ist bereits Ge- eingeladen hatte, wurde im Beisein des Bayeri- schichte, die Erinnerung an die Trennung durchaus schen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst noch lebendig. Noch vor 30 Jahren war es unvor- Bernd Sibler, MdL das gemeinsam Erreichte gefei- stellbar, dass die Grenze eines Tages so durchläs- ert und zugleich in die Zukunft geblickt. Zahlreiche sig sein würde für politische, wirtschaftliche, sozi- Kolleg*innen waren aus tschechischen Archiven ale und kulturelle Kontakte und Kooperationen, ja gekommen. In seinem Grußwort erklärte Staats- sogar für kollegiale und private Freundschaften, minister Sibler: „Ein Blick in unsere Archive macht wie wir dies heute erleben. In vielen Bereichen offenkundig, wie eng Bayern und Tschechien ver-

Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Bernd Sibler, MdL (Foto: Andrea Meier, Staatsarchiv Amberg). konnte dabei an traditionelle nachbarschaftliche bunden sind. Seit Jahrhunderten teilen wir eine ge- Beziehungen angeknüpft werden, wie sie schon meinsame grenzüberschreitende Geschichte. Die vor dem Eisernen Vorhang zwischen Bayern und enge Zusammenarbeit unserer Archive hilft, dieses Böhmen bestanden hatten – und dies über viele wertvolle kulturelle Erbe, unsere gemeinsame eu- Jahrhunderte hinweg. ropäische Geschichte, noch sichtbarer zu machen. Zugleich setzen die Archive ein klares Zeichen für Mit Blick auf die Verzahnung der historischen Quel- unseren partnerschaftlichen Austausch und unse- len in ihren Häusern haben die staatlichen Archive re gute Nachbarschaft. Darauf lässt sich Zukunft auf beiden Seiten der Grenze bereits in den 1990er bauen!“ Von tschechischer Seite würdigten Dr. Jiří Jahren begonnen, grenzüberschreitende Kontakte Úlovec, Generaldirektor der staatlichen Archive der herzustellen und sich gegenseitige Besuche abzu- Tschechischen Republik, und Magister Petr Hupka, statten. Wechselseitige Einladungen zu Veranstal- Leiter des Gebietsarchivs Plzeň/Pilsen, die Bedeu- tungen wie den Kongressen der Tschechischen Ar- tung der grenzüberschreitenden Kooperation und chivarsgesellschaft und den Bayerischen Archivta- die Ergebnisse der darauf basierenden, mit EU-Mit- gen förderten den fachlich-kollegialen Austausch. teln geförderten Projekte. Das Informations- und Vor diesem Hintergrund lag es nahe, sich auf eine Forschungsangebot, das in 10-jähriger Archivpart- Kooperation zu verständigen. 2009 legten die nerschaft erarbeitet wurde und über das gemein- Staatlichen Archive Bayerns und das Gebietsarchiv same Webportal „Porta fontium“ (http://www.por- Pilsen mit dem gemeinsamen Projekt „Bayerisch- tafontium.eu/) online genutzt werden kann, sei in Tschechisches Netzwerk digitaler Geschichtsquel- seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen len“ den Grund für eine mittlerweile über 10 Jahre – nicht nur wegen der technischen Möglichkeiten, bestehende erfolgreiche bayerisch-tschechische die das digitale Zeitalter für die Zugänglichma- Archivpartnerschaft. 10 Nachrichten • Nr. 78/2020

V.l.n.r.: Mag. Karel Halla (Staatliches Bezirksarchiv Eger / Státní okresní archiv Cheb) – Mag. Milan Augustin (Staatliches Bezirksarchiv Karlsbad / Státní okresní archiv Karlovy Vary) – Dr. Maria Rita Sagstetter (Leiterin des Staatsarchivs Amberg) – Dr. Margit Ksoll-Marcon (Generaldirektorin der Staatlichen Archive) – Mag. Petr Hubka (Staatliches Gebietsarchiv Pilsen / Státní oblastní Archiv v Plzni) – PhD Milan Čoupek (Gesandter-Botschaftsrat an der Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin) (Foto: Sandra Lanz, Staatsarchiv Amberg). chung bereitstellt, sondern insbesondere auch vor dem Gebietsarchiv Pilsen und den ihm zugehörigen dem Hintergrund, dass es vor 30 Jahren noch un- Kreisarchiven (siehe Nachrichten Nr. 58/2010, S. denkbar gewesen war, dass Deutsche und Tsche- 18f., Nr. 60/2011, S. 19f., Nr. 64/2013, S. 32f.). chen eines Tages in dieser Form gegenseitig Ein- In einem nächsten Schritt wurde die Plattform mit sicht in Archivbestände nehmen können. dem „Tschechisch-Bayerischen Archivführer“, der auf der Grundlage eines zweiten Kooperationspro- Magister Karel Halla, Leiter des Staatlichen Kreis- jekts (2013–2015) unter Beteiligung aller bayeri- archivs Cheb/Eger, gab einen Überblick über die schen und tschechischen staatlichen Archive ent- bisherigen Stationen und Projekte der Zusammen- stand, wesentlich erweitert. Der Archivführer, der arbeit. Den Anfang machte 2009 bis 2012 das im Mai 2015 im Staatsarchiv Amberg der Öffentlich- Kooperationsprojekt „Bayerisch-Tschechisches keit präsentiert wurde (Nachrichten Nr. 69/2015, Netzw­ erk digitaler Geschichtsquellen“, in dessen S. 5–7), bietet als zweisprachige Online-Datenbank Rahmen historische Quellen des bayerisch-böhmi- einen ausführlichen Zugang zu „Bohemica“ in bay- schen Grenzraums aus bayerischen und tschechi- erischen Archiven und zu „Bavarica“ in tschechi- schen Archiven digitalisiert, teilweise neu erschlos- schen Archiven. Die auf diese Weise nachgewiese- sen und virtuell auf der zweisprachigen Präsenta- nen Dokumente reichen vom frühen 11. Jahrhun- tionsplattform „Porta fontium“ zusammengeführt dert bis in die jüngste Vergangenheit. Wie stark wurden. Schwerpunkte der Bearbeitung bildeten von dem Webangebot Gebrauch gemacht und mit Urkundenbestände des ehemaligen Zisterzienser- welcher Frequenz auf welche Archivaliengruppen klosters Waldsassen im Staatsarchiv Amberg und zugegriffen wird, konnte Halla mit einer Reihe von im Kreisarchiv Eger, Chroniken sowie Fotos und Statistiken zu den Besucherzahlen demonstrieren. Postkarten aus dem Sudetendeutschen Archiv, das Aktuell befindet sich als jüngstes Segment der Ar- im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt wird, chivpartnerschaft das Projekt „Moderner Zugang sowie Chroniken, Fotos und Kirchenbücher aus zu historischen Quellen“ in Arbeit, bei dem histo- Nachrichten • Nr. 78/2020 11

lender wurde bei dem Festakt als Vorgeschmack auf die Ergebnisse des Projekts präsentiert. Die Leiterin des Staatsarchivs Amberg Dr. Maria Rita Sagstetter veranschaulichte anschließend anhand­­ einer Auswahl von Archivalien, die mit Di- gitalisaten und Erschließungsinformationen auf „Porta fontium“ veröffentlicht sind, den Inhalt des Webangebots und dessen Nutzungsmöglichkeiten. Deutsche und tschechische Nutzer*innen, die zu familiengeschichtlichen, heimatkundlichen oder wissenschaftlichen Zwecken forschen, können sich über „Porta fontium“ in ihrer jeweiligen Mut- tersprache einen Überblick über Archive und ein- schlägige Bestände verschaffen. Grenzüberschrei- tende Archivreisen können durch Recherchen am heimischen Computer vorbereitet werden, ein Großteil der Archivalien ist digital einsehbar und kann von zu Hause aus ausgewertet werden. Aber nicht nur die Suche nach einschlägigen Quellen wird erleichtert, es sollen auch neue Impulse gege- ben werden für die Forschung: die Themenbreite, die die bayerisch-böhmische Geschichtslandschaft bietet, ist quellenmäßig noch lange nicht ausge- schöpft! Lehrkräfte, kulturvermittelnde Institutio- nen und interessierte Laien, insbesondere heuti- ge Bewohner*innen des Grenzraums, sollen sich angesprochen fühlen. Sagstetter betonte, dass die Kooperation zu einer Intensivierung des fachlich- kollegialen Austausches – auf institutioneller wie auf persönlicher Ebene – geführt, das gegenseitige Wissen über die Archivarbeit und Bestände erheb- lich erweitert und um persönliche Facetten berei- Generaldirektorin Dr. Margit Ksoll-Marcon und Staats- chert habe. Aus der langjährigen Zusammenarbeit minister Bernd Sibler, MdL, zeigen den großformatigen sei eine Partnerschaft entstanden, die über die Kalender für das Jahr 2020 (Foto: Andrea Meier, Staatsar- chiv Amberg). Planung und Bearbeitung von Projekten hinaus in den archivischen Alltag hinein wirkt. rische Karten und Pläne des bayerisch-tschechi- Magister Milan Augustin, Leiter des Staatlichen schen Grenzraums erschlossen, digitalisiert und Kreisarchivs Karlovy Vary/Karlsbad, präsentierte in „Porta fontium“ zugänglich gemacht werden. ergänzend einen sehr persönlichen Rückblick mit Mit Unterstützung der Universität Pilsen und der Erinnerungen an erste gemeinsame Treffen sowie Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wichtige Stationen der Zusammenarbeit und erläu- werden Präsentation und Nutzung durch moderne terte die Motive, die ihn und seinen Kollegen Ma- Methoden der Georeferenzierung, Bild- und Texter- gister Karel Halla bewogen hatten, 2009 bei den kennung auf neue Grundlagen gestellt. Als Begleit- Staatlichen Archiven Bayerns vorstellig zu werden publikation zu diesem Projekt hat das Gebietsar- und eine Kooperation vorzuschlagen. Neben dem chiv Pilsen einen großformatigen Kalender für das Wunsch nach grenzüberschreitendem Austausch Jahr 2020 herausgegeben, für den Magister Milan und nach gemeinsamer Zugänglichmachung histo- Augustin, Leiter des Staatlichen Kreisarchivs Kar- rischer Quellen, die die seit Jahrhunderten beste- lovy Vary/Karlsbad, eine attraktive Auswahl hand- henden bayerisch-böhmischen Beziehungen doku- gezeichneter Karten aus den beteiligten Archiven mentieren, sei ein weiteres Motiv die Vorstellung zusammengestellt und beschrieben hatte. Der Ka- gewesen, den aus den ehemals sudetendeutschen Gebieten Vertriebenen im Sinne der Versöhnung 12 Nachrichten • Nr. 78/2020 ein kleines Stück ihrer Heimat zurückzugeben. Er Ein Grundzug der neuen Richtlinien ist die weit- dankte der Generaldirektorin der Archive Dr. Margit gehende Standardisierung von Erschließungsin- Ksoll-Marcon dafür, dass sie dem Vorhaben von An- formationen. Breiten Raum nehmen folglich Aus- fang an aufgeschlossen begegnet sei und der Ko- führungen zu Verzeichnungselementen ein, die operation sehr rasch ihre Zusage erteilt habe. Hal- archivalientypologisch übergreifend zum Einsatz la, Augustin und Ksoll-Marcon sind damit Begrün- kommen. Durch die präzise Definition von Erfas- der und Protagonisten der Archivpartnerschaft, wo- sungsregeln, die vielfach durch Beispiele erläutert für sie im Oktober 2019 durch den tschechischen sind, soll eine möglichst einheitliche Datenqualität Vize-Innenminister JUDr. PhDr. Petr Mlsna, PhD mit erreicht werden. Diesem Zweck dient auch der er- der Medaille „Für Verdienste im Tschechischen Ar- weiterte Einsatz kontrollierter Vokabulare, die im chivwesen“ ausgezeichnet wurden. Archivinformationssystem in Auswahlfeldern hin- Am Ende des Festakts skizzierten Magister Halla terlegt sind. Datenqualität ist kein Selbstzweck, und Dr. Ksoll-Marcon Ausblicke auf künftige neue sondern dient einem effizienten Datenmanage- Projektthemen zum Ausbau von „Porta fontium“ ment ebenso wie dem Hauptzweck jeder Erschlie- – etwa auf dem Gebiet der Heimatkunde, Umwelt- ßung, einen transparenten Zugang zum Archivgut und Wirtschaftsgeschichte (z.B. Bayerischer Wald zu ermöglichen. Soweit möglich und sinnvoll, wur- und Böhmerwald, Handelswege, Glasmacher, den bereits angewendete Normen übernommen, Bergbau) – sowie Möglichkeiten der Zusammenar- wobei teils eine Angleichung notwendig wurde. In beit mit Universitäten, Museen und sonstigen Kul- anderen Fällen wurde bewusst die Anlehnung an tureinrichtungen. An Ideen für die nächste Dekade neue Standards gewählt, um archivische Erschlie- der Archivpartnerschaft fehlt es nicht! ßungsinformationen künftig leichter in institutio- nenübergreifende Daten- und Recherchesysteme Maria Rita Sagstetter einbeziehen zu können. So soll die Erfassung von Personennamen weitestgehend nach den aus dem Bibliotheksbereich stammenden, institutionen- übergreifend angelegten Regeln RDA (Ressource Neue Verzeichnungsrichtlinien für Description and Access) erfolgen. Hier wird die die Staatlichen Archive Bayerns Entwicklung auf absehbare Zeit weitergehen und, etwa hinsichtlich des Einsatzes von Normdaten wie Die Verzeichnung von Archivgut, also die inhaltliche der GND oder der Georeferenzierung, zu einer er- und formale Erschließung einzelner Archivalien, ist neuten Anpassung der archivischen Verzeichnung eine zentrale archivische Fachaufgabe. Für sie gibt führen müssen. Dasselbe gilt für die Erfassung es auf nationaler und internationaler Ebene keine bestimmter Formen digitalen Archivguts, etwa aus verbindliche Norm. Umso wichtiger sind die von Fachverfahren, die sich der gängigen Archivalienty- jeder Archivverwaltung in eigener Zuständigkeit er- pologie entziehen. lassenen Richtlinien. Die Richtlinien erfassen alle grundsätzlich vorge- Für die Staatlichen Archive Bayerns wurden die zu- sehenen und möglichen archivischen Erschlie- letzt 2010 überarbeiteten Verzeichnungsrichtlinien ßungsinformationen. Daraus ist nicht abzuleiten, von einer Arbeitsgruppe unter der breiten Beteili- dass in jedem Einzelfall eine vollumfängliche Er- gung von Mitarbeiter*innen aller neun staatlichen fassung dieser Metadaten vorgesehen ist. Es bleibt Archive grundlegend neu bearbeitet und erweitert. im Wesentlichen eine Aufgabe der Arbeitsplanung Im Gegensatz zu den alten Richtlinien, die lediglich und Priorisierung von Erschließungsprojekten, für Akten, Amtsbücher und Urkunden berücksichtig- konkrete Archivalien die jeweilige Intensität der ten, sieht die Neufassung zusätzlich auch Karten Verzeichnung festzulegen. Für Sachakten bieten und Pläne, Plakate und Flugblätter, Bilder, audiovi- die Richtlinien eine Kategorisierung von drei Ver- suelle Medien und digitale Abgabeportionen (SIPs) zeichnungsstufen, von der Basisverzeichnung an- vor. Zudem erschien es zweckmäßig, die auf (Sam- hand rudimentärer Angaben über die Standard- mel-)Sachakten ausgerichteten Vorgaben um sol- verzeichnung bis zur inhaltlichen und formalen che für eine Auswahl häufiger und in signifikantem Intensivverzeichnung. Daran anknüpfend sollen Umfang archivierter, massenhaft gleichförmiger einheitliche Kennzahlen für die Bearbeitungsdauer Akten (sog. Massenakten) zu ergänzen. ermittelt und als Steuerungselement bei der Pla- nung und Durchführung von Erschließungsarbei- ten eingesetzt werden. Mit der Standardisierung Nachrichten • Nr. 78/2020 13 der Erschließungsinformationen korrespondiert Fachgespräch „Archive im Alten das Ziel einer möglichst feingranularen Datenhal- Reich als Herrschaftsinstrumente“ tung im Archivinformationssystem. Dadurch wird die gleichförmige Erfassung einzelner Erschlie- Archive waren nicht immer offene Stätten der For- ßungsinformationen erleichtert, denen eindeutig schung. In den Zeiten des Alten Reichs und noch definierte Datenfelder in unterschiedlichen Erfas- zum Teil darüber hinaus galten sie vielmehr als sungsmasken zugeordnet sind. Zudem soll die Orte, die Zugangsbeschränkungen unterlagen. Die stärkere Strukturierung ein gezieltes Datenmana- darin verwahrten Urkunden, Amtsbücher und Ak- gement unterstützen. So können inhaltlich klar de- ten sicherten Rechts- und Herrschaftstitel und do- finierte Erschließungsinformationen, die gleichför- kumentierten Vorgänge aus dem innersten Kreis mig erfasst sind, gezielt angesteuert, ausgewertet der Herrschenden. In Zeiten, als die gesellschaftli- und verarbeitet werden. Im Fall von Massenakten che Ordnung auf Privilegien und Besitztiteln beruh- korrespondiert die feingranulare Datenstruktur im te, galten Archive daher als Schatzkammern und Archivinformationssystem vielfach mit der Daten- Herrschaftsgaranten. struktur beschreibender Informationen über diese Akten bereits bei den Abgabestellen. Um dieses Verhältnis von Archiv und Herrschaft an konkreten Fallbeispielen zu erörtern, widmete sich Mit den archivfachlichen Maßgaben muss die tech- das 2. Fachgespräch der Bayerischen Archivschu- nische Umsetzung im Archivinformationssystem le bei der Generaldirektion der Staatlichen Archive konform gehen. Dessen Performance bestimmt da- Bayerns am 28. November 2019 der Thematik „Ar- bei nicht unerheblich, welche fachlichen Anforde- chive im Alten Reich als Herrschaftsinstrumente“, rungen überhaupt umgesetzt werden können. In- was großen Anklang fand. Die Tagung setzte damit sofern war es günstig, dass zwischenzeitlich die Vo- die im Jahr 2018 begonnene Reihe der archivwis- raussetzung dafür geschaffen worden war, konse- senschaftlichen Fachgespräche fort (vgl. Nachrich- quent die Eins-Zu-Eins-Beziehung von physischem ten Nr. 76/2019, S. 31ff.). Archivale und Verzeichnungseinheit im Archivin- formationssystem auch bei Urkundenbeständen Ausgewiesene Expert*innen aus Archiven, Biblio- (Inserte!) zu gewährleisten. Und die Zerlegung ei- theken und der universitären Forschung gingen nes klassischen Verzeichnungselements „Betreff“ in drei Sektionen der Frage nach der besonderen in bei Massenakten die immer gleichen Elemente Rechtsstellung von Archiven und Archivalien im lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn dadurch Gegensatz zu behördlichen Registraturen nach. der heute obligatorische Export in das Austausch- Sie betrachteten die Funktion der Archive und erör- format EAD und damit die Onlinefähigkeit der Er- terten, welche Bedeutung die mittels der archiva- schließungsinformationen nicht erschwert wird. lischen Quellen betriebene Geschichtsschreibung für die Herrschaftssicherung hatte. Denn die Verzeichnung von Archivgut ist weder Selbstzweck noch ist sie gratis zu haben. Sie ist Dr. Margit Ksoll-Marcon, Generaldirektorin der eine Basisdienstleistung, die konsequent auf die Staatlichen Archive, begrüßte die Referent*innen Bedürfnisse eines zunehmend digital geprägten sowie die Besucher*innen. Unter dem Titel „Ge- Nutzerverhaltens auszurichten ist. Dabei sind fach- heimniss mit schwerem Schloss und Riegel“? – liche Anforderungen an diese Forschungsdaten, Skizzen zu einer Kulturgeschichte der Archive im denn um nichts weniger handelt es sich, mit den Alten Reich führte PD Dr. Anett Lütteken, Leiterin tendenziell knappen und eher noch knapper wer- der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek denden Ressourcen wenn schon nicht in Einklang Zürich und Privatdozentin am Institut für Germa- zu bringen, so doch wenigstens auszutarieren. Die nistik der Universität Bern, mit einem inhaltlich wie neuen Verzeichnungsrichtlinien der Staatlichen programmatisch inspirierenden Vortrag in das Ta- Archive Bayerns sollen dafür einen fachlich reflek- gungsthema ein. Sie warb dafür, Archivgeschichte tierten, praxistauglichen und für weitere Entwick- als Kulturgeschichte zu schreiben, und demonst- lungen offenen Rahmen bieten. Sie stehen auf der rierte in ihrem Vortrag die Relevanz eines solchen Homepage der Staatlichen Archive Bayerns zum integrativen Ansatzes, der die Entwicklung der Ar- Download bereit (https://www.gda.bayern.de/fach chive im Kontext einer weiteren ideengeschichtli- informationen/erschliessung/). chen Entwicklung verortet. Michael Unger Die erste Sektion der Tagung beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Archiven und Registratu- 14 Nachrichten • Nr. 78/2020

V.l.n.r.: Dr. Bernhard Grau, Dr. Paul Warmbrunn, Dr. Klaus Rupprecht, Dr. Andreas Schmidt, Prof. Dr. Joachim Wild, Dr. Gerhard Immler, Dr. Margit Ksoll-Marcon, Dr. Elisabeth Weinberger, Dr. Anett Lütteken, Prof. Joseph Freedman PhD., Dr. Udo Schäfer, Dr. Laura Scherr, Dr. Michael Unger, Dr. Daniel Burger (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv). ren anhand von drei Fallbeispielen aus Altbayern, und warf am Beispiel des Ius archivi die Frage Franken und Schwaben. Dr. Elisabeth Weinberger, nach dem Verhältnis von Recht und Rechtswirk- Bayerisches Hauptstaatsarchiv, nahm das Herzog- lichkeit auf. Prof. Joseph Freedman PhD., Alabama tum und Kurfürstentum Bayern in den Blick. Dr. State University, USA, zeigte, dass das Ius archivi Gerhard Immler, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, als Rechtsinstitut in der Literatur der Frühneuzeit beschäftigte sich mit dem Fürststift Kempten und breit behandelt und in die sich etablierende staats- Dr. Klaus Rupprecht, Staatsarchiv Würzburg, un- rechtliche Systematik eingebunden wurde. Dr. Udo tersuchte die Verhältnisse im Hochstift Bamberg. Schäfer, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Beziehung Hamburg, stellte fest, dass das eng mit der Lan- von Registratur und Archiv sehr unterschiedlich deshoheit verbundene Ius archivi zwar auch den gestaltete: In Kurbayern bestanden neben den Hansestädten zuerkannt wurde; allerdings ist ein beiden Archiven mehrere Registraturkörper, die Rückgriff darauf in der Rechtspraxis vor Gericht in ihrer Funktion mit dem Archiv konkurrierten. In nicht nachweisbar. Kempten wurde unter Abt Honorius bereits in der Die dritte Sektion widmete sich den Tätigkeitsfel- zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Verhältnis dern von Archivaren in der vorkonstitutionellen beider Einrichtungen zueinander in einer geradezu Zeit. Hier zeigte sich, dass der Beruf bereits damals modern anmutenden Archivordnung geregelt. Für sehr vielseitig war. Dr. Daniel Burger, Staatsarchiv das Hochstift Bamberg ließ sich zeigen, dass das Nürnberg, lotete in seinem Vortrag über die Ans- Archiv auch Registraturfunktion hatte und bereits bacher Geheimen Archivare des 18. Jahrhunderts im 18. Jahrhundert stark in das politische Tagesge- die Handlungsspielräume von Archivaren aus und schäft einbezogen wurde. Davon zeugt unter ande- beschrieb eindrücklich, dass es den Archivaren rem eine Taxordnung für unterschiedliche archivi- aufgrund ihrer verwahrenden, forschenden und sche Dienstleistungen. schriftstellerischen Tätigkeiten möglich war, auf Die zweite Sektion des Fachgesprächs fragte nach ihre Fürsten einzuwirken und auch auf dem Ge- der Rechtsstellung von Archiven und Archivalien Nachrichten • Nr. 78/2020 15 biet der Schriftgutverwaltung gestaltend Einfluss Die Ergebnisse der Tagung werden in der Archivali- zu nehmen. Prof. Dr. Joachim Wild, Direktor des schen Zeitschrift 98 publiziert. Bayerischen Hauptstaatsarchivs a.D., verfolgte die Andreas Schmidt Karriere des „Registratureinrichters“ und „Aktenre- visors“ Franz Joseph Samet bis zur Übernahme des Geheimen Landesarchivs. Hier zeigte sich, dass Samet aufgrund seiner Einbindung in das Akade- Direktorentagung der Gymnasien mieprojekt der „Monumenta Boica“ die archivali- in Oberbayern-West im Bayerischen schen Quellen der historisch-kritischen Forschung Hauptstaatsarchiv öffnete, wobei sich gleichzeitig noch Vorstellungen von einer besonderen Beweiskraft der im Archiv Erklärtes Ziel der Staatlichen Archive Bayerns ist verwahrten Unterlagen feststellen lassen. Johann es, Schüler*innen sowie Studierende für Archive Heinrich Bachmann und sein Sohn Georg August und das dort verwahrte einmalige Kulturgut zu be- Bachmann dürfen, wie Dr. Paul Warmbrunn, ehe- geistern. Wichtige Bausteine auf diesem Weg sind maliger stellvertretender Leiter des Landesarchivs der Ausbau der digitalen Angebote, die Möglichkeit Speyer, in seinem Beitrag ausführte, als exempla- zur Recherche von Archivgut vom heimischen PC risch für Archivare in der Umbruchszeit der Jahre aus und Kooperationen mit Schulen, Universitäten um 1800 angesehen werden. Beide repräsentie- sowie anderen Bildungseinrichtungen. Aufbau und ren den auf das regierende Fürstenhaus ausge- Erhalt von Kontakten zu Schulen und Bildungsein- richteten, juristisch ausgebildeten Archivar des richtungen ist in den inzwischen sehr eng getak- Ancien Regime, wobei gerade für Johann Heinrich teten Strukturen nicht immer ganz einfach. Umso die rechtsgutachterliche Tätigkeit im Vordergrund wichtiger ist es, dass Schuldirektor*innen über die stand. Dass Georg August mit der Abhandlung Angebote und die Quellenvielfalt der staatlichen „Ueber Archive“ ein Werk vorlegte, das das eigene Archive informiert sind und als Multiplikatoren in berufliche Tun reflektiert, weist bereits auf die Pro- ihren Schulen wirken. Sehr gerne begrüßte daher fessionalisierung des Berufs im 19. Jahrhundert die Generaldirektorin der Archive, Dr. Margit Ksoll- voraus. Marcon, am 17. Oktober 2019 die Direktor*innen

Schuldirektor*innen beim Sichten von Originalquellen (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv). 16 Nachrichten • Nr. 78/2020 der Gymnasien in Oberbayern-West zu ihrer jährli- chen Tagung diesmal im Bayerischen Hauptstaats- archiv. Eingeladen hatte der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Oberbayern-West, Dr. Chris- toph Henzler. In den Pausen zwischen den Veran- staltungsblöcken hatten die Direktor*innen die Möglichkeit, Originalquellen vom Mittelalter bis zur Gegenwart in Augenschein zu nehmen und in ei- nigen Archivalien auch zu blättern. Archivar*innen erklärten die bereitgelegten Stücke und die Über- lieferungszusammenhänge. Am Nachmittag wur- den die Tagungsteilnehmer*innen in mehreren Gruppen durch das Bayerische Hauptstaatsarchiv und seine Magazine geführt und konnten so einen Blick hinter die Kulissen eines Archivs werfen. Laura Scherr

Rückgabe zweier mittelalterlicher Urkunden aus den USA an das Gerichtsbrief des Nürnberger Stadtgerichts vom 12. Juli Staatsarchiv Nürnberg 1418 (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv).

Bereits im Februar 1940, also kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, begannen die Kultureinrichtungen in Nürnberg damit, ihre wert- vollsten Bestände in Bergungsräume zu schaffen. Angesichts der großen Menge suchte das Staats- archiv unter Leitung von Dr. Fridolin Solleder bald eigene Wege, um seine historische Überlieferung vor der Vernichtung durch Luftangriffe zu schützen. Als erstes Bergungslager wurde im Oktober 1940 Schloss Sandsee (50 km südlich von Nürnberg) angemietet, das mit etwa 2.000 laufenden Metern an Archivalien, darunter Urkunden, belegt wurde. Wegen Verschärfung des Luftkriegs entschloss sich Dr. Solleder, das Magazin an der Archivstra- ße vollständig zu räumen. Im August 1944 melde- te er die Verlagerung aller Archivalien im Umfang von 16.700 laufenden Metern. Dies erwies sich als Glücksfall, da das Archivgebäude am nördlichen Rand der Nürnberger Altstadt schwer beschädigt wurde. Die historische Überlieferung Mittelfrankens entging nur durch die Verteilung auf 32 verschiede- ne Bergungsorte im Umkreis bis 90 Kilometer um Nürnberg der vollständigen Vernichtung. Lediglich an zwei Bergungsorten kam es nach Kriegsende zu kleineren Verlusten. Sowohl auf Urkunde König Sigmunds vom 2. Juli 1418 der Willibaldsburg in Eichstätt als auch in Schloss (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv). Sandsee ereigneten sich unmittelbar nach dem Einmarsch US-amerikanischer Truppen kleinere Plünderungen. Berichten zufolge brachen zunächst Nachrichten • Nr. 78/2020 17 ehemalige kriegsgefangene Russen Kisten mit Ar- Vermisstenbücher der Jahre 1922 chivalien auf, Bewohner aus den umliegenden Dör- bis 1985 des Bayerischen Landes- fern taten es ihnen gleich. Als im Juli 1945 der Ver- lust von knapp 70 Urkunden aus dem 14. und 15. kriminalamts in das Bayerische Jahrhundert festgestellt wurde, sorgte Dr. Solleder Hauptstaatsarchiv übernommen schon im Herbst 1945 für die Rückführung dieser ausgelagerten Bestände nach Nürnberg. Die Abgabe von Schriftgut, das noch bis in die Anfän- ge der Weimarer Republik zurückreicht, ist sicher Die Urkunden blieben verschollen, bis einige davon nicht die Regel. Für das Bayerische Hauptstaats- nach der Wende im Jahr 1989 plötzlich unvermu- archiv war es daher eine Überraschung, aber auch tet wieder auftauchten. Aus den USA wurden insge- ein Grund zu großer Freude, dass das Landeskrimi- samt 20 Dokumente aus Privatbesitz dem Staats- nalamt im August 2019 insgesamt 57 Vermissten- archiv Nürnberg zurückgegeben (vgl. Nachrichten bücher übergab, die in den Jahren 1922 bis 1985 Nr. 36/1992, S. 4). Wahrscheinlich waren diese im entstanden sind. Formell vollzogen wurde dieser Sommer 1945 an ehemalige Soldaten veräußert Schritt bei einem Pressetermin am Dienstag, den worden, welche sie als Souvenirs mit in ihre Heimat 5. November 2019, zu dem der Präsident des Bay- nahmen. Im Frühjahr 2019 nahm ein älterer Privat- erischen Landeskriminalamts, Robert Heimberger, mann aus Kalifornien Kontakt mit dem Staatsar- das Bayerische Hauptstaatsarchiv besuchte, um in chiv auf. Im Nachlass seines Vaters hatte er zwei Urkunden gefunden, die er zurückgeben wollte. Dank der Mitwirkung des Auswärtigen Amts sind die beiden Dokumente im Deutschen Generalkon- sulat Los Angeles übergeben und mit Kurier nach Berlin transportiert worden. Zu einer kleinen Feierstunde am 15. Januar 2020 reiste Irmgard Maria Fellner, stellvertretende Lei- terin der Abteilung für Kultur und Kommunikation des Auswärtigen Amts, nach Nürnberg, um die seit 1945 vermissten Dokumente an das Staatsarchiv zu übergeben. In ihrer Begrüßung dankte die Ge- neraldirektorin der Staatlichen Archive, Dr. Margit Ksoll-Marcon, dem Auswärtigen Amt der Bundesre- publik Deutschland für die gute Zusammenarbeit bei der Rückführung. Der Leiter des Staatsarchivs Nürnberg, Prof. Dr. Peter Fleischmann nahm die beiden Urkunden in Empfang und stellte sie in das Magazin zurück. Beide Urkunden stammen aus dem Jahr 1418. In einem Brief vom 2. Juli teilte König Sigmund aus Straßburg mit, dass er den Städten Augsburg und Ulm ebenso wie der Reichsstadt Nürnberg unter- sagte, wegen des Kriegs mit der Stadt Venedig Han- del zu treiben. Bei der anderen Urkunde handelt es sich um einen Gerichtsbrief des Nürnberger Stadt- gerichts vom 12. Juli 1418. Darin bestätigten der Reichsschultheiß und die Schöffen den Verkauf ei- nes Anwesens vor dem inneren Frauentor in Nürn- berg. Sowohl für die Reichsgeschichte wie auch für die Häusergeschichte der Reichsstadt sind beide Urkunden sehr wichtige, einzigartige Zeugnisse. Bernhard Grau (Direktor des Hauptstaatsarchivs), Robert Peter Fleischmann Heimberger (Präsident des Bayerischen Landeskriminal- amts) (Foto: Tanja Augustin, Bayerisches Hauptstaatsar- chiv). 18 Nachrichten • Nr. 78/2020

Bernhard Grau (Bayerisches Hauptstaatsarchiv), Robert Heimberger (Bayerisches Landeskriminalamt), Gerhard Fürmetz (Bayerisches Hauptstaatsarchiv), Christoph Bachmann (Staatsarchiv München) (Foto: Tanja Augustin, Bayerisches Haupt- staatsarchiv).

Anwesenheit zahlreicher Vertreter der Münchner bayerischen Polizei mit den Staatlichen Archiven Lokalpresse und des Rundfunks dem Direktor des Bayerns. Das Bewusstsein für den dauerhaften Er- Hauptstaatsarchivs zwei weitere Vermisstenbücher halt von historisch wertvollem Verwaltungsschrift- zu übergeben, die im Nachgang zur eigentlichen gut prägt inzwischen den Kontakt zwischen den Po- Aussonderung noch aufgetaucht waren. lizeibehörden und den zuständigen Archiven. Es ist nun Aufgabe des Bayerischen Hauptstaatsarchivs Wie die Analyse der übernommenen Amtsbücher und des Staatsarchivs München, die neu erworbe- rasch zeigte, sind die Bände aus der Zeit vor 1945 nen Vermisstenbücher zu erschließen, konserva- allerdings nicht beim Bayerischen Landeskriminal- torisch zu behandeln und den gesetzlichen Vorga- amt, sondern beim Polizeipräsidium München ent- ben entsprechend für die Forschung zugänglich zu standen. So konnte sich nicht nur das Hauptstaats- machen. Sollte das Landeskriminalamt den einen archiv, sondern auch das für die Überlieferung des oder anderen Band noch einmal benötigen, weil al- Polizeipräsidiums zuständige Staatsarchiv Mün- lerletzte bislang unerledigte Vermisstenfälle doch chen über einen wertvollen Zuwachs freuen. In den noch aufgeklärt werden konnten, gibt es die Mög- beiden Nachbarhäusern steht damit eine zentrale lichkeit der Rückausleihe. Quelle mit Nachweisen aller in Bayern Vermissten, unbekannten Toten und unbekannten hilflosen Seit 1988 werden die Vermisstenbücher nicht Personen (VuT) aus rund 60 Jahren für die histori- mehr analog auf Papier in dicken Bänden geführt, sche Forschung zur Verfügung. Der unschätzbare sondern alle Vermisstenfälle in Bayern elektronisch Wert der Quelle liegt dabei vor allem darin, dass sie erfasst. Auch die digitalen Daten werden eines Ta- einen Gesamtüberblick über alle Vermisstenfälle in ges entbehrlich werden und dann zur Aussonde- Bayern in der fraglichen Zeit bietet, wobei sie zu je- rung anstehen. Um sie ins Bayerische Hauptstaats- dem Einzelfall standardisierte Detailinformationen archiv übernehmen und den Benutzer*innen zur bietet. So können die Vermisstenbücher zugleich Verfügung stellen zu können, müssen noch geeig- als Ausgangspunkt für vertiefte Einzelfallanalysen nete Methoden und Übertragungswege aufgebaut dienen und dabei helfen, weitere amtliche Quellen werden. sowie Medienberichte zu ermitteln. Bernhard Grau Die Archivierung der Vermisstenbücher ist Aus- druck der hervorragenden Zusammenarbeit der Nachrichten • Nr. 78/2020 19 Aktivitäten der „Freunde und die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt Förderer des Bayerischen Haupt- werden. Der Förderverein unterstützte die Druck- legung der umfangreichen Publikation und ermög- staatsarchivs e.V.“ 2018 und 2019 lichte damit deren Erscheinen. Der Band wurde am 30. April 2019 mit einem Festakt der Öffentlichkeit Die Mitglieder des Vereins der Freunde und Förde- vorgestellt. Im Anschluss an die Veranstaltung bot rer des Bayerischen Hauptstaatsarchivs e.V. hat- ein kleiner Empfang Gelegenheit zu anregenden ten in den Jahren 2018 und 2019 die Gelegenheit, Gesprächen zwischen und mit den Gästen, unter an einer ganzen Reihe von Ausstellungseröffnun- denen sich der eine oder andere „Vorlassgeber“, gen, Vorträgen, Präsentationen und Tagungen im wie der ehemalige bayerische Finanzminister Prof. Hauptstaatsarchiv teilzunehmen. Mitte März fand Dr. Kurt Faltlhauser, befand. Häufig übergeben jeweils die jährliche Mitgliederversammlung des politische Mandatsträger*innen ihre im Rahmen Vereins statt. Fester Bestandteil der Mitglieder- der beruflichen Tätigkeit entstandenen privaten versammlung ist die Vorstellung von Archivalien, Unterlagen bald nach dem Ausscheiden aus ihrer die mit Unterstützung des Vereins restauriert oder öffentlichen Funktion dem Bayerischen Haupt- erworben wurden: 2018 konnten zwei Urkunden staatsarchiv. Dieses Verfahren hat für Archiv und gezeigt werden, die aus Mitteln des Förderver- Nachlassgeber*innen viele Vorteile: die Nachlass- eins professionell gereinigt und restauriert worden geber werden von Unterlagen entlastet, die sicher waren. Es handelt sich um einen Ablassbrief von verwahrt im Archiv für sie jederzeit zugänglich sind. 1362 für die Pfarrkirche von Dechbetten und für Weitere Unterlagen können problemlos später hin- die Pfarrkirche St. Rupert von St. Emmeram mit ei- zugefügt werden. Einer späteren Zersplitterung der ner aufwendig gestalteten, farbigen Initiale sowie Unterlagen wird vorgebeugt, die Nachlassgeber um einen Wappenbrief Karis Karls V. aus dem Jahr können für Rückfragen, die sich bei der Erschlie- 1547. Dr. Thomas Paringer, Leiter der Abteilung V ßung ergeben, kontaktiert werden. Nachlässe und Sammlungen, präsentierte 2019 einige herausragende Stücke aus dem Nachlass Zwei historische Jubiläen waren 2018 Anlass für des bayerischen Finanzministers Emil von Riedel vom Förderverein des Hauptstaatsarchivs initiierte (1832–1906), der mit einem Zuschuss des Ver- Vorträge: Im Mai sprach Dr. Roland Götz, stellver- eins ergänzt worden war. tretender Leiter des Archivs der Erzdiözese Mün- chen-Freising, zum Konkordat von 1817 und des- Aufgrund von Sanierungsarbeiten im Hauptstaats- sen Auswirkungen auf die Grenzen zwischen den archiv konnten erst im Herbst 2018 wieder kleine Bistümern München-Freising und Salzburg. Ende Ausstellungen gezeigt werden. Die Eröffnungsver- November stellte Prof. Dr. Wild den letzten Staufer anstaltungen der beiden Ausstellungen „Über Land Konradin anlässlich dessen 750. Todestags vor. und Meer. Vom Orden der Johanniter und Malteser in Bayern“ (2.10.–27.11.2018 sowie „Handel im Die letzte Veranstaltung des Fördervereins im Jahr Herzen Europas“ (6.12.2018–1.2.2019) wurden 2019 war ein Vortrag zur Geschichte des Archivge- vom Förderverein unterstützt. Zur Eröffnung der bäudes an der Ludwig-/Schönfeldstraße am 12. großen Ausstellung „Getroffen – Gerettet – Ge- November. Die Referentinnen Dr. Elisabeth Wein- zeichnet. Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg“ wa- berger und Dr. Laura Scherr erzählten an Hand ren die Mitglieder des Freundeskreises eingeladen zahlreicher Bilder die Geschichte des Gebäudes, und konnten sich zusätzlich bei einer Sonderfüh- das in den 1830er Jahren von Leo von Klenze rung näher mit den Exponaten befassen. geplant und ursprünglich als bayerisches Kriegs- ministerium errichtet worden war, und erläuterten Mitte Februar 2019 starteten mit einer Ausstellung zudem archivbauliche Grundsätze und Erfordernis- zur Sicherung von Inhalten im Archiv die Lehraus- se. stellungen (siehe S. 23 ff.), die in den Vitrinen des Foyers vor dem Lesesaal im Obergeschoss des Elisabeth Weinberger Hauptstaatsarchivs gezeigt werden. Die Mitglieder waren zu den in regelmäßigen Abständen bis in den Spätherbst stattfindenden Eröffnungen dieser Ausstellungen eingeladen. Ein besonderes Ereignis war die Präsentation der Neuauflage des Verzeichnisses der Nachlässe, 20 Nachrichten • Nr. 78/2020

Fundstücke

Thomas Mann im Kriegsarchiv schuldfrage nachlegte und sich intensiv mit dem Kriegsgeschehen beschäftigte – wurden boykot- In Folge der Mobilmachung vom 1. August 1914 tiert. Sogar sein eigener Sohn, Kurt Grelling, wider- und des Gesetzes über den Kriegszustand von sprach ihm öffentlich mit einer 1916 in Zürich er- 1912 wurde im bayerischen Kriegsministerium ein schienenen Abhandlung namens „Anti-J’accuse“. Pressereferat als oberste bayerische Zensurstelle Erschwerend kam für Grelling hinzu, dass er als eingerichtet. Dieses Referat, das noch im Oktober Pazifist mit entsprechenden Kontakten, etwa zu 1918 zur „Pressesektion“ aufgewertet wurde, be- Ludwig Quidde, sowieso unter besonderer Beob- schäftigte unter seinem Leiter Alfons Falkner von achtung der Zensurbehörden stand. Sonnenburg (1851–1929) zeitweise bis zu 15 Zen- soren. Die Zensoren beobachteten die bayerische, sonstige deutschsprachige und ausländische Pres- se, verfolgten die Weitergabe militärischer Nach- richten und überwachten die Ein- und Ausfuhr von Druckerzeugnissen jeglicher Art. Ebenfalls zum Aufgabenbereich des Pressereferates gehörte die Zensur der Briefe im Auslandsverkehr, die zentral Unterschrift von Thomas Mann (Abbildung mit Genehmi- für ganz Bayern durch die militärische Überwa- gung der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main). chungsstelle des I. Armeekorps im Bahnpostamt München I durchgeführt wurde. Thomas Mann, zu jener Zeit durchaus „national“ Selbst bekannte Künstler und Literaten, wie Tho- denkend und schreibend (vgl. sein Essay „Gedan- mas Mann (1875–1955), blieben nicht von der ken im Kriege“ vom November 1914) sollte, so der Zensur verschont. In der Überlieferung des Stell- Wunsch der Schweizer Absenderin der Publikati- vertretenden Generalkommandos des I. Armee- on, eine Entgegnung auf das in ihren Augen üble korps ist ein Brief des Schriftstellers vom 8. Sep- Pamphlet verfassen. Was Thomas Mann zu diesem tember 1915 erhalten: Thomas Mann beschwerte Zeitpunkt nicht wusste, war, dass die militärische sich darin bei der Zensurbehörde, dass eine an Überwachungsstelle in München bereits am 4. Au- ihn adressierte Drucksache aus der Schweiz noch gust 1915 einen Brief an ihn aus der Schweiz, in nicht eingetroffen sei. Bei der erwarteten Publika- dem das Päckchen angekündigt worden war, ab- tion handelte es sich um eine 1915 in Lausanne gefangen und kurz darauf am 16. August auch die erschienene Schmähschrift gegen Deutschland zwischenzeitlich eingetroffene Schrift selbst ein- mit dem Titel „J’accuse“. Die anonym publizierte behalten hatte. Die restliche, unverfängliche Sen- Schrift stammte von dem in die Schweiz emigrier- dung wurde ihm ausgehändigt. Um die Herausgabe ten ehemaligen Berliner Rechtsanwalt Dr. Richard der Publikation bat er jedoch vergeblich. Grelling, einem Gründungsmitglied der Deutschen Die Überlieferung des bayerischen Kriegsministe- Friedensbewegung. Grelling vertrat die These, dass riums, seiner nachgeordneten Behörden und der es sich beim Ersten Weltkrieg um einen von den bayerischen Armee wird heute in der Abteilung IV Mittelmächten systematisch vorbereiteten Kon- Kriegsarchiv des Bayerischen Hauptstaatsarchivs flikt mit dem Ziel territorialer Eroberungen hand- verwahrt. Ein originaler Brief von der Hand Tho- le. Deutschland und Österreich-Ungarn hätten die mas Manns ist in dieser Beständestruktur ein sehr Julikrise bewusst genutzt, um den Kontinent in ei- ungewöhnliches und besonders Stück. Der Zen- nen Krieg zu treiben. Obgleich die Behauptungen surbehörde verdankt das Kriegsarchiv noch einen nicht wirklich belegt waren, wurde die Publikation zweiten eigenhändig verfassten Brief des Schrift- in zahlreiche Sprachen übersetzt und erlebte hohe stellers: In diesem Schreiben vom 20. August 1914 Auflagen. In Deutschland verhinderte die Zensur verwandte sich Thomas Mann für seinen Freund, eine weitergehende Verbreitung. Grellings deutsch- den aus München verwiesenen russischen Schrift- landkritische Schriften – 1917/18 erschien die Pu- steller Alexander Eliasberg. blikation „Das Verbrechen“, die in Sachen Kriegs- Martina Haggenmüller Nachrichten • Nr. 78/2020 21

Archive Digital

Datenbank „Archive in Bayern“ um ten Institutionen aufgerufen, regelmäßig ihre Da- Angaben zu Fotobeständen erwei- ten zu prüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Eine E-Mail an [email protected] genügt. tert Im Zuge der laufend eingehenden Aktualisierungen wurde die Datenbank 2019 ganz wesentlich durch Die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bay- das Einpflegen aller Einträge aus „Fotobestände in erns pflegt auf der Homepage der Staatlichen Ar- bayerischen Archiven – ein Archivführer“ ergänzt. chive die Datenbank „Archive in Bayern“ (https:// www.gda.bayern.de/service/archive-in-bayern/). Laura Scherr In der Datenbank enthalten sind Kontaktdaten, In- formationen zu Öffnungszeiten und Erreichbarkeit sowie Kurzinformationen zu Beständen von etwa 1200 Einrichtungen in Bayern. Kommunalarchive, Kooperation mit dem Lehrstuhl Unternehmens- und Wirtschaftsarchive, Adelsar- Digital Humanities der Universität chive, alle Sparten und Orte von A wie Abenberg in Mittelfranken bis Z wie Zwiesel in Niederbayern Passau sind vertreten. Jede Datenbank ist allerdings nur Seit 2018 kooperieren die Staatlichen Archive Bay- so aktuell wie ihre Inhalte und so sind die geliste- erns mit dem Lehrstuhl Digital Humanities der Uni- versität Passau. Erklärtes Ziel des Lehrstuhlteams um Prof. Dr. Malte Rehbein ist die Anwendung di- gitaler Techniken auf analoges Kulturgut. Im Rahmen der Koope- ration engagierte sich im Winter- semester 2019/20 erstmals das Staatsarchiv Landshut im Rah- men des Proseminars „Einfüh- rung in die Digital History“ unter der Leitung von Markus Gerst- meier, wissenschaftlicher Mitar- beiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Malte Rehbein. In einer ersten Proseminarsitzung am 27. November 2019 stellte Dr. Martin Rüth das Staatsarchiv Landshut als Institution mit sei- nem Aufgabenspektrum vor. Es folgte ein detaillierter Überblick über die Bestände des Staatsar- chivs Landshut und deren Benut- zung. Am 15. Januar 2020 erläuter­te Dr. Irmgard Lackner 3D-Photogrammetrie-Modell der ehemals fürstbischöf- den Proseminarteilnehmer*innen die Staatlichen lichen Burgkapelle St. Georg auf der Veste Oberhaus oberhalb von Passau, angefertigt 2018 von Nina Kunze Archive Bayerns und ihre Aufgaben. Neben der Glie- im Rahmen ihrer preisgekrönten Bachelorarbeit. (https:// derung der Staatlichen Archive Bayerns, der Band- wp.uni-passau.de/kulturgut3d/2018/09/01/3d-photo- breite der Fachaufgaben und den wichtigen rechtli- grammetrie-modell-der-st-georgskapelle-in-der-veste-ober- chen Aspekten bei der Archivbenutzung wurde ein haus/) (Foto: Lehrstuhl für Digital Humanities, Universität Passau). besonderer Schwerpunkt auf das Digitale Archiv der Staatlichen Archive Bayerns gelegt. Die Digital 22 Nachrichten • Nr. 78/2020

Humanities sind die Schnittstelle zwischen Geis- Die fortlaufend ausgebaute digitale Archivbenüt- teswissenschaften und Informatik. Digitale Daten zung der staatlichen Archive wurde von einigen sind die Basis für Forschungsarbeiten aus diesem Studentinnen und Studenten mittels mobilen End- Bereich der Wissenschaft, so auch die Erzeugung geräten gleich in der Proseminarsitzung getestet. und Bereitstellung digitaler Daten, etwa bei der Die Findmitteldatenbank der staatlichen Archive Einrichtung und Bereitstellung von Datenbanken (https://www.gda.bayern.de/service/findmittelda- digitalisierter Kulturgüter für die Öffentlichkeit. Die tenbank/) oder die verschiedenen Internetportale digitale Archivierung bei den staatlichen Archiven mit Beteiligung der staatlichen Archive, wie bava- Bayerns stieß daher erwartungsgemäß auf großes rikon (https://www.bavarikon.de/), monasterium Interesse bei den Teilnehmer*innen des Prosemi- (https://www.monasterium.net/mom/home?_ nars. Die dauerhafte Lesbarhaltung der Daten als lang=deu) oder porta fontium (http://www.porta- grundsätzliches Problem wurde ebenso diskutiert, fontium.de/?language=de), erfreuten sich neuer wie mögliche Hemmnisse für die Archivierung elek- Zugriffe. tronischer Informationen. Neben der Konzeption Die Rückmeldungen der Proseminar­teilneh­mer*­ der staatlichen Archivverwaltung, der Formatmi- in­nen waren sehr positiv. Eine Fortführung dieser gration als Erhaltungsstrategie für die Langzeitar- Zusammenarbeit in diesem Rahmen ist für das chivierung, und der technischen Infrastruktur des Wintersemester 2020/21 bereits vorgesehen. Digitalen Archivs stellte Dr. Lackner auch verschie- dene Typen digitaler Archivalien mit Beispielen und Irmgard Lackner ihre Speicherungsformate vor.

Prof. Dr. Malte Rehbein, Inhaber des Lehrstuhls für Digital Humanities, Universität Passau vor dem RTI Dome. Dieser wurde im Labor für Kulturgutdigitalisierung des Lehrstuhls gebaut und mit einer selbst entwickelten Software zur Bedienung ausgestattet. (https://visit.uni-passau.de/de/buildings/ueber-das-projekt/digitalisierung/ueber-das-projekt/digitalisierung/ rti-dome) Mit RTI (Reflectance Transforming Imaging) können besonders flache Objekte mit Reliefstruktur bearbeitet werden. Eine Software rekonstruiert die Oberfläche der Objekte anhand der Reflexionen und der fotografisch erfassten Textur. Da- durch werden die Details des Objekts plastisch sichtbar (Foto: Lehrstuhl für Digital Humanities, Universität Passau). Nachrichten • Nr. 78/2020 23

Historisch-politische Bildungs- arbeit und Ausstellungen

Vom Dreißigjährigen Krieg zum Na- turschutz – Lehrausstellungen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv

Von Februar 2019 bis Januar 2020 präsentierten die Anwärterin und die Anwärter des Vorberei- tungsdienstes 2017/2020 für den Einstieg in der 3. Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Bildung und Wissenschaft, fachlicher Schwerpunkt Archiv- wesen, an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern ihre Lehrausstellungen. Konzep- tion, Ausarbeitung und Organisation dieser Aus- stellungen, die jeweils sechs Wochen lang in den Wandvitrinen im Treppenhaus des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zu sehen waren, bilden einen festen Bestandteil des Studiums. Als Diplomarbeit bewertet werden dabei das wissenschaftliche Be- gleitheft, die Auswahl der Exponate und die Kon- zeption der Ausstellung. Die sechs Ausstellungen deckten ein breites The- menspektrum ab, das vom Archivwesen über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie die politi- sche Geschichte bis zum Naturschutz reichte und sich zeitlich im 17., 19. und 20. Jahrhundert be- wegte. Den Anfang (19. Februar bis 2. April) machte Joa- Originals und seiner Inhalte anwenden: richtige chim Friedl, der zehn Jahre nach dem Einsturz des Lagerung, Schädlingsmanagement, Beglaubigung Kölner Stadtarchivs mit seiner Ausstellung „Auf und Heftung, Diebstahlsicherungen, Normen und Nummer sicher! Die Sicherung von Inhalten im Ar- Regeln, Abschriften und Verfilmung. chiv“ der Frage nachging, wie Archive seit Jahrhun- Es folgte Benjamin Blumenthal, der die Entwick- derten schriftliche Dokumente und ihre Inhalte be- lung der Pressefreiheit in Bayern während des 19. wahren. Als Gedächtnis einer Gesellschaft haben Jahrhunderts in den Blick nahm (11. April bis 21. Archive die Aufgabe, das ihnen anvertraute Kultur- Mai). Ausgehend von den Wurzeln des Begriffs gut zu erhalten, zu sichern und auf Dauer zu ver- „Preßfreiheit“ im Zeitalter der Aufklärung und wahren. Die konkrete Umsetzung der dazu nötigen dessen Politisierung während der Französischen Maßnahmen und die dabei zu berücksichtigenden Revolution beleuchtete die Ausstellung den stän- Gefahren illustrierte die kleine Ausstellung mit rund digen Wechsel von Zensur und Pressefreiheit am 35 Exponaten. In einem ersten Teil waren die Ge- Übergang Bayerns zum modernen Staat. Obwohl fahren, denen Archivalien ausgesetzt sein können, sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu sehen: vom totalen Verlust durch Krieg, Feuer verschiedene Schriften mit dem Thema Presse- oder Diebstahl über die teilweise Schädigung durch freiheit auseinandersetzten, wurde die Presse in Nager- oder Insektenfraß bis hin zur gezielten, un- Bayern aufgrund eines Befehls von Kurfürst Max befugten Manipulation des Inhalts. Im zweiten Teil III. Joseph seit 1769 staatlich überwacht. Wichtige wurden Schutzmaßnahmen vorgestellt, die Archive Zäsuren im Ringen um die Pressefreiheit ergaben und Archivare gestern und heute für den Erhalt des 24 Nachrichten • Nr. 78/2020 sich durch die Verfassung des Königreichs Bayern (1818), das Hambacher Fest (1832), die Märzre- volution (1848) und die deutsche Reichsgründung (1871). Im 19. Jahrhundert übernahm die Presse die Rolle eines Meinungsführers. Die bürgerliche Öffentlichkeit wurde für die demokratischen Be-

seines Ruhestandes als Gutsherr auf Schloss Egg bei Deggendorf nahm ihn schließlich König Maxi- milian II. in den Wirren der Revolution von 1848 wiederholt als politischen Berater in Anspruch. Die Ausstellung illustrierte mit rund 30 Exponaten, die größtenteils aus den Beständen der Staatlichen Ar- chive Bayerns stammten und durch Museums- und lange der Presse sensibilisiert. Stellvertretend für Bibliotheksobjekte sowie private Photographien diese Bewegung stehen liberale Journalisten wie ergänzt wurden, zentrale Stationen im Leben und Johann Georg August Wirth. In 29 Exponaten zeig- Wirken Armanspergs. te die kleine Ausstellung wichtige Etappen auf dem Die hohe bayerische Politik im Zeitalter des Dreißig- Weg hin zu einer Pressefreiheit in Bayern im 19. jährigen Krieges behandelte Christopher Pfaffel in Jahr­hundert. seiner Ausstellung „Bayerns Weg zum Kurfürsten- Der Biographie eines hochrangigen Beamten und tum“ (23. Juli bis 10. September). Am 8. Oktober Politikers im jungen Königreich Bayern, Joseph 1619 schlossen Herzog Maximilian I. von Bayern Ludwig Graf von Armansperg, widmete Andreas und Kaiser Ferdinand II. den Münchner Vertrag. Hutterer seine Ausstellung (3. Juni bis 16. Juli). Ar- Eine Nebenabrede zu dieser Vereinbarung kenn- mansperg, Spross einer alten niederbayerischen zeichnet den Beginn der Bemühungen Maximilians Adelsfamilie, diente vier wittelsbachischen Köni- um die Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf gen als Beamter, Minister und politischer Berater. Bayern. Nach der Ächtung Friedrichs V. von der Er startete sein Berufsleben im Verwaltungsdienst Pfalz 1621 erfolgte zunächst eine Geheimbeleh- unter König Maximilian I. Joseph und erreichte nung, 1623 schließlich die Übertragung der Kur- seine Karrierehöhepunkte als Doppelminister Lud- würde auf Lebenszeit. Erst der Westfälische Frie- wigs I. sowie anschließend als Regentschaftsrats- de 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, präsident und Erzkanzler im neu gegründeten Kö- bestätigte die Kurwürde für Bayern. Die Ursprünge nigreich Griechenland unter König Otto. Während des bayerischen Strebens nach dieser Rangerhö- Nachrichten • Nr. 78/2020 25

schnitt reichte von den 1830er Jahren, als in Bay- ern die ersten Fabriken entstanden, bis zur Grün- dung des Deutschen Reichs, der zweite Abschnitt widmete sich der Zeit nach der Reichsgründung, als in Bayern Gesetze und Verordnungen des Deut- schen Reichs galten. Im 19. Jahrhundert reglemen- tierte der Staat die Fabrikkinderarbeit zunächst schrittweise, bevor 1903 ein allgemeines Kinder- schutzgesetz für das gesamte Deutsche Reich folg- te. Generell verboten wurde Kinderarbeit aber erst 1960 durch das Jugendarbeitsschutzgesetz des Bundes.

hung reichen jedoch bis ins Spätmittelalter zurück. Im Hausvertrag von Pavia war 1329 zwischen der bayerischen und der pfälzischen Linie der Wittels- bacher eine wechselnde Bekleidung der Kurwürde vereinbart worden, die Goldene Bulle von 1356 band die Kurwürde dann an das pfälzische Territo- rium. In 20 Exponaten zeigte die kleine Ausstellung die wichtigsten Etappen des Aufstiegs Bayerns zum Kurfürstentum. Am 5. August 2019 besuchte der Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler, MdL, die Ausstellung. Der Minister lobte die Ausstellung und regte die Erarbeitung einer großen Ausstellung zum Thema für das Jahr 2023 an. Mit dem Thema „Fabrikkinderarbeit in Bayern im Den Schlusspunkt (19. November 2019 bis 10. Ja- 19. Jahrhundert“ (24. September bis 7. November) nuar 2020) setzte Andrea Sturm mit einem Blick befasste sich Andreas Frasch. Erwerbstätigkeit auf die Entwicklung des Naturschutzes in Bay- von unter 14-Jährigen war in Bayern im gesamten ern von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis in 19. Jahrhundert Realität, etwa im Handwerk und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit dem im Dienstleistungsgewerbe, vor allem aber in der 19. Jahrhundert beschäftigen sich Naturschüt- Landwirtschaft. Seit Beginn der Industrialisierung zer neben dem Artenschutz mit dem Schutz der waren Kinder als billige Arbeitskräfte zudem in Landschaft und einzelner Naturdenkmale. Vorge- Fabriken beschäftigt. Die Ausstellung beleuchtete hensweisen, Personalstruktur und Beweggründe dieses Kapitel bayerischer Wirtschafts- und Sozial- des Naturschutzes unterlagen im Laufe der Zeit geschichte aus verschiedenen Perspektiven, etwa Veränderungen, waren aber immer schon vielfäl- der des Staates, aber auch aus Sicht von Eltern, tig. Die kleine Ausstellung zeigte anhand von 31 Arbeitgebern, Ärzten und Kirchen. Der erste Ab- Exponaten in 6 Abschnitten einige zentrale Hand- 26 Nachrichten • Nr. 78/2020 C’est bon, c’est bon, l’amitié fran- co-allemande! Niederbayerische P- und W-Seminare auf Spurensuche im Staatsarchiv Landshut

Anlässlich des Tags der deutsch-französischen Freundschaft am 22. Januar beschäftigten sich ei- nige Schüler*innen der elften Jahrgangsstufe des Hans-Leinberger-Gymnasiums Landshut in einem P-Seminar mit der wechselvollen deutsch-franzö- sischen Geschichte. Bei einem Archivbesuch am 18. Dezember 2019 stellte Dr. Irmgard Lackner das Staatsarchiv Landshut als Institution sowie die Aufgaben der Staatlichen Archive Bayerns vor. Die Zugänglichkeit von Archivalien unter Berücksichti- gung des Datenschutzes wurde dabei rege disku- tiert. Großes Interesse zeigten die Schüler*innen an den von Dr. Lackner skizzierten digitalen Her- ausforderungen und Neuerungen in der bayeri- schen Verwaltung und am Digitalen Archiv der staatlichen Archivverwaltung. In einem anschlie- ßenden praktischen Teil konnten Originalquellen zu verschiedenen Themen mit paläographischer Hilfestellung durch Dr. Monika Franz und Dr. Lack- ner eingesehen werden. Als erstes Ergebnis dieser sehr engagierten Quellenrecherche im Staatsar- lungsweisen des Naturschutzes bis 1979 auf. Sie chiv Landshut präsentierten die Schüler*innen ein stellte als Handelnde große Institutionen wie den buntes Programm zu den wechselvollen deutsch- Bund Naturschutz und Staatsministerien sowie französischen Beziehungen im Café International kleinere Vereine und kommunale Einrichtungen in Landshut. Die vielseitigen Beiträge der Schüle- vor. Darüber hinaus gab sie Einblicke in die ver- rinnen und Schüler umspannten dabei Ausführun- schiedenen Motivationen für Naturschutzbestre- gen zum Stalag Moosburg, einem Lager für zeit- bungen. Der zeitliche Endpunkt ergab sich aus der weise 80.000 Kriegsgefangene ganz in der Nähe Neugründung einer Umweltschutzpartei in Bayern, Landshuts, aber auch unterhaltsame und lustige die sich in ihrem Programm auch dem Naturschutz Beiträge über Wissenswertes zu den Grenzregi- verpflichtete und damit der Diskussion eine neue onen Elsass und Lothringen, über nationale Kli- Komponente auf politischer Ebene verlieh. schees oder eine kuriose Ballonfahrt von Paris bis Benjamin Blumenthal, Andreas Frasch, Zwiesel während des deutsch-französischen Krie- Joachim Friedl, Andreas Hutterer, ges 1870/71 (vgl. hierzu auch die Lehrausstellung Christopher Pfaffel, Andrea Sturm „Folgenschwer und doch vergessen. Der Deutsch- Französische Krieg 1870/71“ und das begleitende Faltblatt). Alle Plakate gestaltet von Karin Hagendorn (Generaldirek- tion der Staatlichen Archive Bayerns). Auch die Teilnehmer*innen des W-Seminars „Spu- rensucher vor Ort“ des Donau-Gymnasiums Kel- heim fanden im Mai 2018 den Weg ins Staatsar- chiv Landshut, um Forschungen zu verschiedens- ten Themen zu betreiben (vgl. Nachrichten Nr. 75/2018, S. 27f.). Diese Kooperation mit dem Staatsarchiv Landshut fand einen besonders schö- nen Abschluss: Julian Todt, einer der Schüler des W-Seminars von Frau OStRin Michaela Mallmann, konnte den W-Seminarpreis Niederbayern für die Nachrichten • Nr. 78/2020 27 beste W-Seminararbeit mit dem Titel „Dichtung lianeum mit dem Preis des Bayerischen Clubs aus- oder Wahrheit? Die Darstellung des Kriegsendes gezeichnet. Die Erfolgsgeschichte soll fortgesetzt im Altmühl-Boten im November 1918“ im Leitfach werden. Geschichte gewinnen und wurde dafür im Maximi- Irmgard Lackner

Schüler*innen des Hans-Leinberger- Gymnasiums Landshut feiern den Tag der deutsch-franzö- sischen Freund- schaft (Foto: Hans-Lein- berger-Gymnasium Landshut).

Der Historische Arbeitskreis Haller- tung und die dabei für die Archive mit dem Aufbau tau zu Gast im Staatsarchiv Lands- des „Digitalen Archivs“ zusätzlich entstehenden neuen Arbeitsfelder wurden skizziert. Von großem hut Interesse bei den Forscher*innen war natürlich der konkrete Ablauf einer Archivbenutzung. Hier Der „Historische Arbeitskreis Hallertau“ hat beantworteten die beiden Archivarinnen zahlreiche sich aus einem 1997 gegründeten Stammtisch Fragen zu Benutzungsantrag, Gebührenpflicht, For- zu einem Arbeitskreis mit mehreren Dutzend schungszwecken und Archivalienbestellungen. Teilnehmer*innen entwickelt, die regelmäßig ein- mal im Monat aus den drei Regierungsbezirken Der zweite Teil des Abends war dann dem Umgang Niederbayern, Oberpfalz und Oberbayern in Pfef- mit konkreten Quellen gewidmet. Dr. Monika Franz fenhausen zusammenkommen. Unter dem 1. Vor- führte den Besucher*innen mit Grundsteuerkatas- sitzenden Johann Biberger und weiteren rührigen tern und Briefprotokollen die Bedeutung dieser bei- Organisatoren werden dort Vorträge und Diskussi- den wichtigen Archivguttypen und die darin für die onen zu geschichtlichen Fragestellungen und Lese- Heimat- und Familienforschung enthaltenen Infor- übungen an historischen Quellen geboten. Außer- mationen vor. Die ausgewählten Beispiele aus dem dem pflegt der Arbeitskreis ein „Friedhofsalbum“, Raum Hallertau/Rottenburg trafen das besondere das online die Grabsteine von mittlerweile fast 500 Interesse auch der erfahrenen Forscher*innen und Friedhöfen in den drei Bezirken umfasst und nach demonstrierten beiläufig die Tücken verwaltungs- Orts- und Personennamen erschließt. geschichtlicher Entwicklungen, von denen gerade dieser Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- Vereinzelt werden auch Exkursionen unternom- derts betroffen war. Anhand der Quellen entwickel- men, und eine solche führte den Arbeitskreis mit te sich eine ausführliche Fragestunde mit reger Dis- zahlreichen Interessierten zum November-Termin kussion. Der nachhaltige Erfolg dieser Veranstal- ins Staatsarchiv Landshut. Von Dr. Irmgard Lackner tung ist sicher auch daran zu erkennen, dass seit- wurden den Gästen dort zunächst die Aufgabenbe- dem bereits einige der fast 50 Teilnehmer*innen reiche der Staatlichen Archive Bayerns vorgestellt zum ersten Mal als Benutzer*innen im Staatsar- und Kernaufgaben wie Aussonderung und Erschlie- chiv begrüßt werden konnten. ßung erläutert. Auch die rasanten Veränderungen im Bereich der Digitalisierung der Staatsverwal- Monika Ruth Franz 28 Nachrichten • Nr. 78/2020 Ausstellungen im Staatsarchiv und gestaltet hatte. Damit ist der Coburger Verein Coburg einer der ältesten in ganz Deutschland. Größere Bekanntheit erlangte die Sektion durch den Bau Das Veranstaltungsjahr 2019 endete im Staatsar- und den Unterhalt der Coburger Hütte in den Tiroler chiv Coburg mit zwei Ausstellungen, die innerhalb Alpen. Die liebevoll gestalteten Hüttenbücher wa- kurzer Folge im Foyer des Zeughauses gezeigt ren ein Highlight dieser Ausstellung. Gezeigt wurde wurden. Ende Oktober eröffnete zunächst eine die Seite im Hüttenbuch, aus der hervorgeht, dass Ausstellung des Coburger Städtepartnerschafts- die Geschwister Scholl und einige Freunde, später vereins. Aus Anlass des 45jährigen Bestehens der allesamt Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Partnerschaft zwischen den Städten Coburg und Rose“, Silvester 1941/42 auf der Coburger Hütte Niort in Frankreich wurde anhand von aktuellen zubrachten. und historischen Fotografien gezeigt, wie sich die Wie bei allen Veranstaltungen im Zeughaus üblich, Partnerstädte Coburgs in den letzten Jahrzehnten nutzte das Staatsarchiv Coburg auch diesmal die entwickelt und verändert haben. Die Partnerschaf- Gelegenheit, zu den Ausstellungen Exponate aus ten mit Niort, Gais/Südtirol, Oudenaarde/Belgien den eigenen Beständen zu präsentieren. So wurde und der Isle of Wight zeugen von dem regen Aus- gezeigt, dass nicht nur die Coburger Herzöge, son- tausch zwischen den Völkern Europas. Oberbürger- dern auch „einfache“ Coburger*innen seit jeher meister Norbert Tessmer betonte in seinem Gruß- Kontakte ins nahe und ferne Ausland pflegten, also wort, dass durch diese Kontakte das gegenseitige international vernetzt waren. Fotoalben der herzog- Verständnis und damit der Frieden in Europa er- lichen Familie sowie aus privaten Nachlässen zei- reicht werden sollen. gen, dass man in Coburg schon immer ein Herz für Anfang Dezember folgte eine Ausstellung des die Berge hatte. Deutschen Alpenvereins, die die Sektion Coburg Alexander Wolz aus Anlass ihres 140jährigen Bestehens konzipiert Nachrichten • Nr. 78/2020 29

Veranstaltungen

Tag der Familienforschung im Baye- seinen Ständen Informationen zu Genealogie und rischen Hauptstaatsarchiv Wappenkunde, Paläographie, Familienforschung per EDV, Erstellen von Familienchroniken, Namen- Der Tag der Familienforschung fand im Jahr 2019 forschung und zu den Projekten Grabstein- und nicht zum ersten Mal im Bayerischen Hauptstaats- Sterbebilderdokumentation. Außerdem fand ein archiv statt. Schon 2013 hatte die traditionell vom Bücherverkauf statt. Auch das Stadtarchiv Mün- Bayerischen Landesverein für Familienkunde e.V. chen und das Haus des Deutschen Ostens waren (Bezirksgruppe Oberbayern) organisierte Veran- mit Infoständen vertreten. Dr. Florian Sepp, Mit- staltung im Treppenhaus des Bayerischen Haupt- arbeiter der Bayerischen Staatsbibliothek für das staatsarchivs gastiert. Dass es nun sechs Jahre Kulturportal „bavarikon“ (https://www.bavarikon. gedauert hat, bis eine erneute Zusammenarbeit de/), präsentierte die für die Familienforschung mit dem Landesverein zustande kam, hatte nicht besonders relevanten Angebote des Kulturgutpor- zuletzt mit den Baumaßnahmen der letzten Jahre tals und das Zeitungsportal „digipress“ (https:// zu tun, die die Nutzung der benötigten Räumlich- digipress.digitale-sammlungen.de/). Herr Harald keiten massiv erschwert hatten. Müller-Baur führte in das evangelische Kirchen- buchportal Archion ein (www.archion.de). Am 12. Oktober 2019 stand der „Tag der Famili- enforschung“ unter der Schirmherrschaft des Das Bayerische Hauptstaatsarchiv war durch Dr. Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter und Martina Haggenmüller (Abteilung IV Kriegsarchiv), wurde deshalb vom Kulturreferenten der Landes- Frau Alexandra Scharmüller (Abteilung I Ältere Be- hauptstadt, Anton Biebl, eröffnet. Der Landesver- stände) und Frau Ingrid Sauer M.A. vertreten. Letzte- ein empfing die Besucher*innen bereits im- Vor re präsentierte die Angebote des in der Abteilung V raum des Hauptstaatsarchivs und bot im Foyer an des Hauptstaatsarchivs verwahrten Sudetendeut-

V.l.n.r.: Dr. Martina Haggenmüller, Alexandra Scharmüller, Ingrid Sauer M.A. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv). 30 Nachrichten • Nr. 78/2020 schen Archivs. Sie hatte Herrn Heidrich von der sichts des ausgesprochen schönen Herbstwetters Vereinigung Sudetendeutscher Familienforscher kann dies als beachtlicher Erfolg gewertet werden, zu Gast. Frau Dr. Haggenmüller präsentierte die di- der wohl nicht zuletzt dem sehr umfassenden und gitalisierten Kriegsstammrollen auf „Ancestry“ und interessanten Vortragsprogramm zu verdanken ist. hatte ergänzend eine Kriegsstammrolle und einen Einige Teilnehmer*innen hätten sich freilich eine passenden Offizierspersonalakt zur Ansicht dabei. Pause zwischen den Vorträgen zum Essen oder Generell stieß die Vorstellung der digitalen Ange- zum Besuch der Informationsstände gewünscht. bote auf großes Interesse, speziell die von den Gleichwohl zeigten sich die Veranstalter und die Staatlichen Archiven Bayerns angebotene Internet- teilnehmenden Institutionen äußerst zufrieden mit Plattform „Digitale Schriftkunde“ zum Kennenler- dem erzielten Zuspruch, so dass eine Neuauflage nen und Üben älterer Schriften in Dokumenten aus der Zusammenarbeit in etwa drei Jahren ins Auge den bayerischen Staatsarchiven, gegliedert nach gefasst werden kann. Archivalientyp und Schwierigkeitsgrad (https:// Alexandra Scharmüller www.gda.bayern.de/DigitaleSchriftkunde/), die of- fensichtlich in Kreisen der Familienforschung noch viel zu wenig Bekanntheit erlangt hat. Absatz fand auch das angebotene Informationsmaterial. Insbe- sondere die Broschüre „Unsere Quellen – unsere Tag der Archive im Staatsarchiv Wurzeln“ zur schulischen Archivarbeit wurde von Amberg: Auf den Spuren der Post- viele Interessenten gerne mitgenommen, da sie geschichte in der Oberpfalz eine nützliche Einführung in das Thema „Forschen im Archiv“ bietet (Download: https://www.gda.bay- Zum Tag der Archive bot das Staatsarchiv Amberg ern.de/fileadmin/user_upload/PDFs_fuer_Publi- am 6. März 2020 ein Vortragsprogramm, eine Aus- kationen/Sonderpublikationen/Sonderheft_14_ stellung sowie Führungen durch das Archiv an. Ins- Kulturerbejahr_Archive_und_Schulen.pdf). gesamt wurden etwas mehr als 50 Besucher*innen gezählt. Sehr gut angenommen wurden die 13 Vorträge, die von 10.15 Uhr bis 17.00 Uhr im Halbstundentakt Zu Beginn begrüßte die Leiterin des Staatsarchivs, angeboten wurden. Prof. Wulf von Restorff, Tho- Archivdirektorin Dr. Maria Rita Sagstetter M.A., die mas Hammer und Winfried Müller vom Landesver- Anwesenden und führte in das Anliegen des Tags ein informierten über den Einstieg in die Familien- der Archive und die Zielsetzung der Veranstaltung, forschung, über die Nutzung des Internets für die auf die Geschichte der Post in der Oberpfalz und Familienforschung sowie über die auf dem Markt die zu ihrer Erforschung zur Verfügung stehenden befindlichen Genealogie-Programme. Dr. Bernhard Bestände hinzuweisen, ein. Als Gastredner refe- Grau und Frau Sauer vom Bayerischen Haupt- rierte Dr. Martin Dallmeier, langjähriger Leiter des staatsarchiv referierten zu Porta Fontium und Zentralarchivs des Hauses Thurn und Taxis in Re- dem Sudetendeutschen Archiv, Dr. Julian Holzapfl gensburg, zum Thema „Die Post in der Oberpfalz. (Staatsarchiv München), zur Digitalen Schrift- und Entstehung – Strukturen – Ausformung“. Sein Vor- Archivalienkunde. Dr. Florian Sepp von der bavari- trag zeichnete die Entwicklung der Post von den kon-Geschäftsstelle und Dr. Roland Götz vom Ar- Anfängen im späten 15. Jahrhundert bis zum Ende chiv des Erzbistums München und Freising stellten des Alten Reichs nach. Eine ursprünglich zu dynas- die digitalen Angebote ihrer jeweiligen Institution tischen Zwecken eingerichtete Post wurde allen zu- vor. Außerdem gab es Vorträge über Personenre- gänglich und dehnte ihre Leistungen und das von cherche im Stadtarchiv München (Angela Stilwell, ihr abgedeckte Gebiet stark aus. Mit dem Postkurs Matthias Hinghaus), über das Kirchenbuchportal Augsburg – Regensburg – Prag kam die Post 1527 Archion (Harald Müller-Baur), zur Namenforschung erstmals in das Gebiet der heutigen Oberpfalz, die (Alexander Peren) sowie zur Ahnenforschung in der Ende des 18. Jahrhunderts schließlich von meh- Zeit vor den Kirchenbüchern (Gaby Chaudry). reren Routen durchzogen wurde. Zahlreiche Abbil- dungen von Karten, Postreitern und Postkutschen Die Zahl der Besucher*innen lag laut Zählung illustrierten den Vortrag. des Landesvereins für Familienkunde bei 176. Sie sorgten durch ihre hohe Verweildauer dafür, dass Archivoberrat Dr. Till Strobel stellte in seinem Vor- nicht nur die Vorträge, sondern auch die einzelnen trag „Bestände zur Postgeschichte im Staatsarchiv Stände fast durchgehend gut besucht waren. Ange- Amberg“ vor. Auf einen Überblick über die Verwal- Nachrichten • Nr. 78/2020 31

Tag der Archive im Staatsarchiv Amberg (Foto: Staatsarchiv Amberg).

Daran anschließend führte Archiv­ amtmann Jochen Rösel M.A. in die anlässlich des Tages der Ar- chive konzipierte Ausstellung „Die Geschichte der Post in der Ober- pfalz im 19. und 20. Jahrhundert“ ein. Er stellte den Aufbau der Aus- stellung vor und verwies auf be- sonders interessante Exponate. Exemplarisch genannt seien die Themen Briefbeförderung, Ver- mittlung von Telefonaten, öffentli- cher Personentransport, die Rolle von Postbeamtinnen und gegen die Post gerichtete Verbrechen sowie Planunterlagen zu Postge- bäuden. Zum Abschluss des Tages der Archive wurden Ausstellung„ „Die Geschichte der Post in der Oberpfalz im 19. und 20. Jahrhundert“ (Abbildung aus: Staatsarchiv Führungen durch das Staatsarchiv angeboten, an Nürnberg, Postakten 662-1-0005). denen neben den Teilnehmer*innen des Vortrags- programms auch zahlreiche weitere Personen teil- nahmen. tungsgeschichte und -strukturen der Post in Bayern und der Oberpfalz von 1808 bis zur Privatisierung Die Ausstellung war über den Tag der Archive hin- der Deutschen Bundespost 1995 folgte die Vorstel- aus zu den üblichen Öffnungszeiten des Staatsar- lung der einschlägigen Bestände des Staatsarchivs chivs für die Öffentlichkeit zugänglich. In Folge der (Oberpostdirektion Regensburg, Oberpostdirekti- Corona-bedingten Schließung des Staatsarchivs ab on Regensburg Plansammlung, Abgabe aus dem 16. März 2020 musste auch sie früher als geplant ehemaligen Postarchiv Nürnberg, Nachlass Josef beendet werden. Höfler, Poststempelsammlung Wilhelm Eisenbeiß). Till Strobel Ergänzend wurde auch auf relevante Bestände in anderen Archiven verwiesen. 32 Nachrichten • Nr. 78/2020

Archivpflege

Tagung der niederbayerischen zeichnen, wie am besten zugänglich machen und Archivpfleger*innen in Landau an vor allem, wie sie langfristig sichern? Diese Fragen mussten sich alle Anwesenden schon stellen und der Isar nur selten gab und gibt es allseits befriedigende Antworten. In den meisten Fällen ist weder eine Am 19. November 2019 tagten die niederbayeri- adäquate Unterbringung noch eine eventuelle Re- schen Archivpfleger*innen in Landau a.d.Isar. Auf staurierung oder Digitalisierung möglich. Vor allem Einladung der Stadt Landau und vorbereitet durch der Zustand der Farbfotos, -filme und -dias ab den den hauptamtlichen Stadtarchivar, Herrn Manfred 1960er Jahren bereitet große Probleme. Die Ver- Niedl, kamen fast 30 Personen in dem neuen Ta- wahrung derartiger Medien ist daher längerfristig gungssaal des erst kurz zuvor eröffneten Muse- sehr schwierig und – korrekt durchgeführt – kost- ums für Steinzeit und Gegenwart im Kastenhof

Tagung der niederbayerischen Archivpfleger*innen in Landau an der Isar (Foto: Staatsarchiv Landshut).

Landau zusammen. Neben den Genannten waren spielig. Auf der anderen Seite können gerade diese es vor allem Stadt- und Gemeindearchivar*innen, in Ausstellungen, Publikationen und Zeitungsarti- die über das Tagungsthema, die Archivierung von keln eine große Breitenwirkung erzielen und locken besonderen Medien wie Film- und Fotosammlun- auch ein historisch weniger interessiertes Publi- gen diskutierten. Herr Niedl hatte dazu aus den kum an. Viele gute Ideen und Anregungen kamen Beständen des Stadtarchivs einige prägnante Bei- auf, aber auch ungelöste, vielleicht auch generell spiele, Kartensammlungen, Fotoalben, Dias etc. nicht zu lösende Fragen und Probleme. in den Tagungsort mitgebracht. Es begann schnell Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Restau- eine lebhafte Diskussion, denn fast alle Anwesen- rant des Museums konnten das Stadtarchiv sowie den haben derartige Medien in ihren Häusern und die Stadtkirche besichtigt werden. Anschließend arbeiten an deren Pflege und Erhalt. Oft sind es führte die Leiterin des Steinzeitmuseums durch die nicht nur verwaltungsinterne Bestände, auch in Ausstellung und erläuterte Exponate und Gesamt- Nachlässen und Schenkungen von Privatpersonen konzept ihres Hauses. oder Vereinen finden sie sich häufig. Wie kann man solche Medien bekommen, wie verwahren, wie ver- Martin Rüth Nachrichten • Nr. 78/2020 33 Gemeinsam stark: Gemeinden im pflege im Landkreis Bamberg“ gegründet. Landrat Landkreis Bamberg kooperieren Johann Kalb und Archivdirektor Dr. Christian Kruse, Leiter des Staatsarchivs Bamberg, beglückwünsch- bei der Archivierung ten die Gemeinden bei der Gründungsversamm- lung. Das Bayerische Archivgesetz legt in Art. 13 fest: „Die Gemeinden, Landkreise und Bezirke und die Nach dem Vorbild des Landkreises Regensburg sonstigen kommunalen Körperschaften, Anstal- (www.landkreis-regensburg.de/kultur/verein- ten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und kommunale-archivpflege) handelt es sich um den ihre Vereinigungen regeln die Archivierung der bei zweiten größeren Verbund in Bayern, der speziell ihnen erwachsenen Unterlagen in eigener Zustän- der Förderung und Weiterentwicklung der kommu- digkeit.“ Was unter dem Begriff „Archivierung“ zu nalen Archivpflege in den Gemeinden dient. Nach verstehen ist, lässt sich in Art. 2 nachlesen: „Archi- einer Bedarfsabfrage schlossen sich in Bamberg vierung umfaßt die Aufgabe, das Archivgut zu erfas- etwas mehr als die Hälfte der 36 kreisangehöri- sen, zu übernehmen, auf Dauer zu verwahren und gen Kommunen dem Verein an, die kleinste betei- zu sichern, zu erhalten, zu erschließen, nutzbar zu ligte Gemeinde ist Wattendorf, die größte Markt machen und auszuwerten.“ Die Unterhaltung eines Hirschaid. Der Verein beschäftigt insbesondere Archivs zählt zu den Pflichtaufgaben im eigenen geeignetes Fachpersonal, das den Gemeinden für Wirkungskreis der Kommunen, die in kommunaler die Archivarbeit vor Ort zur Verfügung steht. Die Zusammenarbeit erledigt werden kann, wenn sie Archivar*innen werden im ersten Halbjahr 2020 die Leistungsfähigkeit einer einzelnen Gemeinde die Arbeit aufnehmen. übersteigt (Gemeindeordnung für den Freistaat Landrat Kalb, der die Idee zur Gründung von An- Bayern Art. 57). fang an maßgeblich unterstützte und beförderte, betonte bei der Gründung, dass für jede Gemeinde allein die Erledigung der Archivaufgabe sehr her- ausfordernd sei. Gemeinsam sei aber eine Inten- sivierung möglich. Archivdirektor Dr. Kruse zeigte sich davon überzeugt, dass durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit die Qualität weiter gesteigert werde. Der Landkreis ist laut Satzung ständiges Mit- glied des Vereins, der Vorsitz liegt beim Landrat. Zum stellvertretenden Vorsitzenden bestimmte die Gründungsversammlung Thilo Wagner, Bür- germeister der Gemeinde Stegaurach. Die Finan- zierung der Vereinstätigkeit speist sich aus einer Umlage für die Erstanschaffungen, einem regel- mäßigen Sockelbeitrag zur Deckung der laufenden Kosten sowie Zusatzbeiträgen für die bedarfsori- entierte Buchung der Personalkontingente. Durch V.l.n.r.: Dr. Johannes Haslauer (Staatsarchiv Bamberg), Zuwendungen des Freistaates Bayern zur Förde- Johann Kalb (Landrat des Landkreises Bamberg), Dr. Christian Kruse (Leiter des Staatsarchivs Bamberg), rung der interkommunalen Zusammenarbeit wird Thilo Wagner (Bürgermeister der Gemeinde Stegaurach), die Anschaffung eines zeitgemäßen IT-Systems Barbara Spies M.A. (Kreisarchivpflegerin) (Foto: Landrats­ möglich, das die effiziente und nachhaltige Wahr- amt Bamberg). nehmung der Aufgaben gewährleisten soll. Dazu gehört mittelfristig auch die Bereitstellung von Er- 19 Gemeinden im Landkreis Bamberg erledigen schließungsdaten im Internet, um so die kommu- künftig die Aufgaben der Archivierung in kommu- nale Archivlandschaft für die Öffentlichkeit greifbar naler Zusammenarbeit. Unter Federführung des zu machen (Ansprechpartnerin: Renate Kühhorn, Landratsamts Bamberg und mit fachlicher Unter- Leiterin des Fachbereichs Kultur und Sport, renate. stützung durch das Staatsarchiv Bamberg und [email protected]). Kreisarchivpflegerin Barbara Spies M.A. haben sie Johannes Haslauer im Herbst 2019 den Verein „Kommunale Archiv- 34 Nachrichten • Nr. 78/2020

Seminarteilnehmer*innen vor dem Hilgerhof (Foto: Helga Pis).

Seminar des Staatsarchivs zeigten: Praktische Fallbeispiele und die rege Dis- München zur Archivpraxis für kussion archivfachlicher Standards einerseits zu- sammen mit dem Aufzeigen machbarer Lösungen Gemeindearchivar*innen und erreichbarer Ziele andererseits machten aus dem Praxisseminar einen produktiven Tag. Gemeindearchivar*innen der Landkreise Traun- stein, Rosenheim, Mühldorf a. Inn und Altötting Das Seminar fand in der besonderen Atmosphäre konnten sich auf Initiative der drei Kreisarchiv- des Hilgerhofs (Gde. Pittenhart, Lkr. Traunstein) pfleger zu einem ganztägigen Intensivseminar statt. Der 1724 erbaute Hof wurde in einem frü- des Staatsarchivs München zur Archivpraxis an- hen privaten, später dann kreiseigenen Denkmal- melden. Das Interesse war enorm, und die Ver- schutzprojekt restauriert und wird inzwischen von anstaltung am 23. Oktober 2019 mit über 60 der Gemeinde Pittenhart und dem Kulturverein Teilnehmer*innen bis auf den letzten Platz ausge- Hilgerhof e.V. als Veranstaltungsort und Heimat- bucht. museum betrieben – auch für die Referenten des Staatsarchivs eine angenehme Abwechslung von Das Staatsarchiv München bestritt den fachlichen der technisch aktuelleren, aber unpersönlichen Teil mit zwei Schwerpunkten: Rechtliche und fachli- Einrichtung sonstiger Veranstaltungsräume. che Fragen der Bewertung, Aussonderung und Be- ständebildung (Dr. Bachmann) und Praxistipps für Julian Holzapfl eine fachgerechte Archivausstattung (Dr. Holzapfl). Aus dem großen Interesse und aus den vielen Fra- gen, die gestellt wurden, ganz konkreten bis sehr grundsätzlichen, wurde deutlich, welche Spannwei- te es bei den fachlichen Voraussetzungen und der Ausstattung von Gemeindearchiven nach wie vor gibt. Die Rückmeldungen der Teilnehmer*innen Nachrichten • Nr. 78/2020 35

Schriftgutverwaltung

Registrator*innen der schwäbi- gen kann. Vorgesetzte lassen sich so leichter für schen Landratsämter treffen sich das Thema sensibilisieren. Herr Jedlitschka erin- nerte an die Behandlung dieses Themas beim Re- in Neu-Ulm gistratorentreffen im Jahr 2008, als es um „Fragen der Bestandserhaltung in der Behördenregistra- Die jährlichen Treffen der Registrator*innen der tur“ ging und entsprechende Empfehlungen für ein zehn schwäbischen Landratsämter sind inzwi- günstiges Raumklima verteilt wurden. Ergänzend schen fester Bestandteil der Behördenberatung sprach er noch ein aktuelles Thema an, das seit ei- des Staatsarchivs Augsburg. Dieses Jahr hatte nigen Jahren die Archiv- und Museumswelt bewegt: das Landratsamt Neu-Ulm zum Erfahrungsaus- die zunehmende Verbreitung von Papierfischchen, tausch eingeladen. Am 5. November 2019 kamen die den bekannten Silberfischchen ähneln, aber die Teilnehmer*innen im großen Sitzungssaal des für Schriftgut ungleich gefährlicher sind. Wie der Landratsamtes in der Kantstraße zusammen. Name schon sagt, haben sich diese Schädlinge In Vertretung des Landrats begrüßte der Leiter des bei der Nahrungsaufnahme auf Papier spezialisiert Fachbereichs Organisation und Personal, Herr Ale- und verursachen so große Schäden an Kulturgut. xander Feig, die Gäste. Anschließend führte er mit In die Archive gelangen sie durch Aktenübernah- seinem Vortrag in das für den Vormittag vorgese- men aus den Behörden und über Industriepapie- hene Thema „Arbeitsschutz in der Registratur“ ein. re in Form von Kopier-, Haushalts- oder Toiletten- Dabei ging er zum einen auf den richtigen Umgang papier, wie sie in jedem Büro verwendet werden. mit bei der täglichen Arbeit in Registraturen unver- Um einen Befall möglichst zu vermeiden, sollten zichtbaren Tritten und Leitern, die entsprechende bereits in den Registraturen geeignete Maßnah- Handlungsanleitung der Deutschen Gesetzlichen men ergriffen werden. Dazu zählen neben einem Unfallversicherung (DGUV Information 208-016), Schädlings-Monitoring mit Klebefallen regelmäßi- auf Prüfung und Instandhaltung ein. Zum anderen ges Absaugen von Böden, Regalen und Ecken. Da betrachtete er die Problematik von Schimmelbil- Papierfischchen sich bevorzugt an Wänden und am dung in Registraturen vom Standpunkt des Arbeits- Boden bewegen, an sehr glatten Flächen aber nicht schutzes, d.h. der gesundheitlichen Gefährdung der herauflaufen können, ist es neben den genannten Mitarbeiter*innen her. Er stellte die „Technischen Hygienemaßnahmen wichtig, Schriftgut möglichst Regeln für Biologische Arbeitststoffe“ (TRBA 240) in lackierten Stahlregalen zu lagern, die nicht un- vor und betonte die Bedeutung präventiver Maß- mittelbar an der Wand positioniert sind. Papier, nahmen. So sei es wichtig, auf geeignete raumkli- Pappe oder Verpackungsmaterialen sollten nicht matische Verhältnisse zu achten (Temperatur 18 ± auf dem Boden oder direkt an der Wand stehen. 2°C, relative Luftfeuchte 50 ± 5 %), bei der Raum- Nach einer Fragrunde zu den angesprochenen gestaltung die Ausstattung, Einrichtung und Mate- Themen folgte die traditionelle Berichtsrunde, in rialien so auszuwählen, dass Staubablagerungen der alle Teilnehmer*innen aus ihren Häusern über möglichst gering gehalten werden und Wände, Ausstattung, Personal, Baumaßnahmen und den Oberflächen und Böden leicht zu reinigen sind. Im Stand der Einführung eines Dokumentenmana- Bereich der Organisation seien regelmäßige Hygi- gementsystems (DMS, überwiegend komXwork) enemaßnahmen unverzichtbar, ebenso sollte das berichteten. Herr Ruf, stellvertretender Leiter des Registraturgut stichprobenhaft auf Kontamination Hauptamtes im Landratsamt Augsburg, der eben- geprüft, bei Schimmelbefall räumlich getrennt, auf falls am Treffen teilnahm, betonte hier, dass er die geeignete Weise gereinigt und die Ursache für den Einführung eines DMS bewusst als Organisations- Befall ermittelt und beseitigt werden. projekt und nicht als reines IT-Projekt verstehe, in Es wurde deutlich, dass man die Prävention von das selbstverständlich die Registratur von Anfang Schimmelbildung, die sonst meist nur als Aspekt an einzubeziehen sei. des Kulturgutschutzes gesehen und daher im Ver- Nach einem gemeinsamen Mittagessen besichtig- waltungsbereich eher ignoriert wird, vom Stand- ten die Teilnehmer*innen unter Führung des Re- punkt des Arbeitsschutzes sehr gut zu Gehör brin- gistraturleiters Herrn Hecker, seiner Kollegin Frau 36 Nachrichten • Nr. 78/2020

Die Tagungsteilnehmer*innen vor dem Landratsamt (Foto: Daniela Richter, Landratsamt Neu-Ulm).

Schempp und den Kollegen Herr Pelzer und Herr Staatsarchiv Bamberg bei Jahres- Ranker die Zentralregistratur des Landratsamtes. tagung der Feldgeschworenen des Diese befindet sich im Untergeschoss des 1979 bis 1982 nach Entwürfen des Architekturbüros Landkreises Forchheim Karl Glöckler erbauten polygonalen Gebäudes. Das Staatsarchiv erhielt die Gelegenheit, sich am Auf dieser Ebene liegt auch der ehemalige Schutz- 22. November 2019 den Feldgeschworenen des raum für den Katastrophenfall für 1270 Personen. Landkreises Forchheim auf ihrer Jahrestagung in Dieser Bereich wird zur Zeit umgebaut und mit zu- Weingarts (Gemeinde Kunreuth) vorzustellen. Ein- sätzlichen Funktions- und Schulungsräumen neu geladen hatte deren Vorsitzender Bernhard Mehl. gestaltet. Feldgeschworene, auch Siebener genannt, unter- Blickfang in der Registratur war zunächst die haus- stützen in Bayern im ältesten kommunalen Ehren- interne Aktentransportanlage „Telelift“. Sie besteht amt die Vermessungsverwaltung, indem sie über aus fest im Gebäude installierten Profilschienen, die korrekte Abmarkung von Feldern und Grund- Kurven- und Bogenelementen sowie Umsetzwei- stücken wachen (vgl. https://www.ldbv.bayern.de/ chen zur Änderung der Fahrtrichtung. Der Trans- vermessung/feldgeschworene.html). port der Akten erfolgt durch selbstfahrende Behäl- Dr. Christian Kruse, Leiter des Staatsarchivs, er- ter, die mit einem Elektromotor ausgerüstet sind. In läuterte 220 Gästen einleitend Organisation und dem trockenen und warmen Raum mit insgesamt Aufgaben der staatlichen Archive in Bayern. An 563 Quadratmetern Fläche ist neben dem Regist- drei Bespielen vermittelte er eine Vorstellung vom raturgut auch die Amtsbücherei in den elektrisch weiten Spektrum der im Staatsarchiv Bamberg ver- betriebenen Rollregalen mit insgesamt ca. 5500 wahrten Archivalien. Auf besonderen Wunsch von lfdm untergebracht. Daneben gibt es ein Büro mit Herrn Mehl begann er mit einer Urkunde König ca. 30 Quadratmetern. In der Registratur hatten Heinrichs IV. aus dem Jahr 1062, in der 35 Orte die Teilnehmer*innen auch die Möglichkeit, sich aus der Umgebung Forchheims genannt werden. das in Neu-Ulm im Einsatz befindliche DMS der Fir- ma Regisafe vorführen zu lassen. Wie in den ver- Als nächste Archivaliengruppe stellte er die Kata- gangenen Jahren waren die Registrator*innen mit sterunterlagen aus dem frühen 19. Jahrhundert der Veranstaltung äußerst zufrieden. zur Gemeinde Kunreuth vor: die Besitzfassionen von 1808 mit Selbstauskünften der Haus- und Rainer Jedlitschka Nachrichten • Nr. 78/2020 37

Der Deutsche Trutz- und Schutzbund, gegründet im Februar 1919 in Bamberg, klebte in der Nacht vom 25. auf den 26. De- zember 1919 in Staffelstein mehrere antisemitische Plakate an Hauswände. Sie wurden vom zuständigen Bezirksamtmann im Wochenbericht an die Regierung von Oberfranken gesandt und sind dadurch überliefert. Auf der Rückseite befindet sich noch Kalkfarbe der Hauswand (Staatsarchiv Bamberg, Regierung von Oberfranken [K3], Präsidialregistratur 1843).

Grundbesitzer, den zusammenfassenden Häu- nachten 1919 eine offen antisemitische Plakat­ ser- und Rustikalsteuerkataster von 1809 und die aktion des Deutschen Trutz- und Schutzbundes ebenfalls 1809 beginnenden Umschreibhefte mit in Staffelstein. Weil der Forchheimer Bezirksamt- späteren Besitzveränderungen. Eine Besonderheit mann die Plakate seinem Bericht beilegte, sind sie von Kunreuth ist der mit 20 Prozent hohe Anteil jü- überliefert, noch mit der Kalkfarbe der Hauswände discher Bevölkerung mit wertvollen Informationen. auf den Rückseiten. 13 Hausbesitzer waren in den Besitzfassionen als Das Staatsarchiv Bamberg konnte sich am 3. und „Handelsiuden“ vermerkt, einer als „Jude“, ein wei- 4. März 2020 erneut in Weingarts vorstellen, dies- terer war unmündig. mal auf zwei Fortbildungsveranstaltungen des Bay- Dr. Kruse schloss mit Informationen zum Leben erischen Landesamtes für Digitalisierung, Breit- in der Stadt Forchheim und Umgebung im Herbst band und Vermessung. 1919, die er aus den Wochenberichten des Bür- Christian Kruse germeisters und des Bezirksamtmannes in Forch- heim an den Regierungspräsidenten in Bayreuth gewann. Im Vordergrund standen ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Kriegsfolgen: die schlechte Ernährungslage der Bevölkerung, eine hohe Arbeitslosenrate, die noch ausstehen- de Rückkehr von Soldaten aus der englischen und französischen Kriegsgefangenschaft und Weih- 38 Nachrichten • Nr. 78/2020 Auszubildende des Landesamts für zinräume besichtigt. Neben den Grundsteuerkata- Digitalisierung, Breitband und Ver- sterserien und den Grundbüchern begeisterte vor allem die Plansammlung des Staatsarchivs Lands- messung besuchen das Staatsar- hut die Expert*innen der Vermessungsverwaltung chiv Landshut und ihre künftigen Nachwuchskräfte. In den lau- fenden Kursen sind ausschließlich Frauen. Die Angehörige der Regionalabteilung Ost des Landes- bayerische Vermessungsverwaltung beteiligt sich amts für Digitalisierung, Breitband und Vermes- zur Rekrutierung ihrer Nachwuchskräfte regelmä- sung (LDBV) und des Amts für Digitalisierung, Breit- ßig und mit großem Erfolg an der „MINT-Initiative“ band und Vermessung Landshut besuchten mit des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. ihren Auszubildenden der Qualifizierungsebenen 2 Ziel ist es, bei den Schüler*innen das Interesse für und 3 sowie einer dualen Studentin im Rahmen ih- die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissen- res verwaltungsinternen Fortbildungsprogrammes schaft und Technik – kurz MINT – zu wecken, um am 17. Februar 2019 das Staatsarchiv Landshut. den sowohl bei der Wirtschaft als auch beim Staat Im kleinen Vortragsraum des Staatsarchivs stell- bestehenden großen Bedarf an Arbeitskräften im te Dr. Irmgard Lackner den Besucher*innen die technischen Bereich zu decken. Struktur der Staatlichen Archive Bayerns mit ihren Zuständigkeiten und ihrem Aufgabenspektrum vor. Der Besuch war für beide Seiten äußerst gewinn- Neben der Archivierung von analogem Schriftgut bringend: eine Exkursion in das Staatsarchiv Lands- stand besonders die digitale Archivierung im Fokus hut soll künftig fest im Ausbildungsprogramm der der Veranstaltung. Die Formatmigration als Erhal- Regionalabteilung Ost des Landesamts für Digi- tungsstrategie bei der digitalen Langzeitarchivie- talisierung, Breitband und Vermessung mit Sitz in rung, Anforderungen an Archivierungsformate und Landshut etabliert werden. Nebeneffekt wird die eine Auswahl der Standardarchivformate wurden Abgabe älterer Karten aus dem Bereich des 1933 von Dr. Lackner vorgestellt. eingerichteten NS-Gaus „Bayerische Ostmark“ sein, die den bayerisch-tschechischen Grenzraum Bei einem anschließenden Rundgang durch das betreffen. Staatsarchiv Landshut wurden der Anlieferungsbe- reich, die Fotostelle, der Öffentlichkeitsbereich mit Irmgard Lackner Repertorienzimmer und Lesesaal sowie die Maga-

Dr. Irmgard Lackner, Staatsarchiv Landshut (2.v.r.), mit den Mitarbeiter*innen der Regionalabteilung Ost des Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung und des Amts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Landshut (Foto: Johannes Stoiber, Staatsarchiv Landshut). Nachrichten • Nr. 78/2020 39

Bestände

Bayerisches Hauptstaatsarchiv wurden sie an die Grenz- bzw. Landesdurchgangs- lager „weiterverschubt“ und von dort, nach mög- „Von drüben rüber“ durchs Lager lichst kurzem Aufenthalt, in ein Regierungslager eingewiesen. Bei sämtlichen Transport- und Bele- Hammelburg gungsfragen entschied das Staatssekretariat für Angelegenheiten der Vertriebenen, dem das Lan- Spitzenvertreter des Landtags, des Arbeits-, Son- desdurchgangslager fachlich unterstellt war, wäh- der- und Landwirtschaftsministeriums sowie des rend die Lagerverwaltung über das örtliche Land- Staatssekretariats für Flüchtlingswesen entschie- ratsamt lief. Ende 1962 wurde Hammelburg aufge- den im Frühjahr 1948, das ehemalige Internie- löst und stattdessen die Landesdurchgangsstelle rungslager Hammelburg als Reserve für einen Aschaffenburg eingerichtet. wahrscheinlich zu erwartenden Flüchtlingsstrom aus den östlichen Ländern beizubehalten. Nach Im Januar 2008 bot der Bereichsleiter Lastenaus- längeren innerbehördlichen Kompetenzabgrenzun- gleich und Flüchtlingswesen der Regierung von gen wurde der Lagerbetrieb im Herbst 1948 aufge- Unterfranken dem Staatsarchiv Würzburg Akten nommen. Viele Flüchtlinge und Aussiedler*innen und Karteien des Landesdurchgangslagers Ham- aus der Sowjetischen Besatzungszone gelangten melburg an. Wegen der gesamtbayerischen Zu- meist über die Notaufnahmelager Gießen (Hes- ständigkeit wurde festgelegt, die archivwürdigen sen) und Uelzen (Niedersachsen) in die Bundesre- Unterlagen ins Bayerische Hauptstaatsarchiv zu publik Deutschland. Von den Notaufnahmelagern übernehmen. Es handelt sich hauptsächlich um

Für Fritz Apel angelegte Registrierkarte des Landesdurchgangslagers Hammelburg (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Landesdurchgangslager Hammelburg 1). 40 Nachrichten • Nr. 78/2020

Registrierkarten der Bewohner*innen des Lan- desdurchgangslagers Hammelburg in mehreren Karteischränken. Die Karteien enthalten die Daten sämtlicher jemals im Durchgangslager aufgenom- menen Personen. Auf den Karteikarten sind je- weils Angaben zu einer Person, zu deren früherem Wohnsitz, zum Grenzübertritt, zur Lagereinweisung und der Weiterreise, sowie zu mitreisenden Fami- lienangehörigen eingetragen. Jede Archivsignatur steht für einen Archivkarton mit ca. 800 einzelnen Karteikarten. Von den darüber hinaus angebote- nen Akten wurden ins Bayerische Hauptstaatsar- chiv lediglich solche mit Berichten, Statistiken und Schriftverkehr über die soziale Betreuung sowie die Verwaltung des Lagers in Hammelburg bzw. der Nitrozellulose-Negative BS N 23/1 (Otto Welsch) (Foto: Landesdurchgangsstelle Aschaffenburg übernom- Heinz-Jürgen Weber, Bayerisches Hauptstaatsarchiv). men. Die 96 Karteikästen wie auch die 28 Akten enthalten viele personenbezogene Informationen, weshalb der Bestand Landesdurchgangslager Diese brandgefährliche Bild- bzw. Fotoüberliefe- Hammelburg für viele Familienforschungen, aber rung im Kriegsarchiv umfasst mehrere tausend auch für sozialwissenschaftliche Forschungen, die Aufnahmen und besteht überwiegend aus Einzel- sich mit der Nachkriegsmigration beschäftigen, negativen, zum Teil auch aus Filmstreif­en. Die For­ von Interesse sein dürfte. mate der Negative sind mit den Maßen 6 x 6 cm, 5 x 8 cm, 6 x 9 cm, 7 x 11 cm, 8 x 11 cm, 9 x 14 Renate Herget cm, 10 x 14 cm und 9 x 15 cm äußerst vielfältig. Im Jahr 2017 wurde eine Digi­ ­­talisierung der be- troffenen Nitrozellulose-Ne­ga­tive beschlossen,­ in Auftrag gegeben und erfolgreich durchgeführt: Brandgefährliche Überlieferung: Über 14.000 fotografische Aufnahmen aus 16 Nitrozellulose-Negati­ve in der Bild- Bild-Nachlässen wurden gescannt. Für die Nega- sammlung Nachlässe tive lagen allerdings noch keine elektronischen Erschließungsdatensätze vor. Es wurden daher Der Bestand Bildsammlung Nachlässe in der Abtei- für die Digitalisate Dateinamen nach geltender Da- lung IV Kriegsarchiv des Bayerischen Hauptstaats- teinamenskonvention vergeben­ und diese Datei- archivs vereint derzeit 103 fotografische Nachläs- namen wiederum in die Erschließungsdatenbank se und Schenkungen aus Privatbesitz. übernommen. Auf diese Art war die eindeutige Die fotografische Überlieferung besteht vor allem Verknüpfung von Erschließungsdatensatz und Di- aus Fotoalben, Einzelbildsammlungen, Glasplat- gitalisat sichergestellt. Diese Datensätze werden ten, Dia­po­sitiven und Fotonegativen. Ebenso wie nun anhand der Digitalisate sukzessive um die Ver­ das Dargestellte stammen auch die Bildträger aus zeichnungs­dat­en im engeren Sinne ergänzt. Eine einer inzwischen mehr als hundert Jahre zurück- Hilfe dazu sind maschinen- oder handschriftliche liegenden Zeit. Während die Papier- bzw. Kontakt- Bildverzeichnisse­ bzw. auf Papierabzügen rücksei- abzüge und auch die Glasplatten bis heute meist tig angebrachte handschriftliche Vermerke, wie sie völlig intakt und im wahrsten Sinne des Wortes für einige der 16 digitalisierten Bildsammlungs- ansehnlich sind, bedeutet die chemische Zusam- Nachlässe vorhanden sind. mensetzung zahlreicher Bildnegative nicht nur für Seit dem Frühjahr 2019 wird die Verzeichnung die- die Er­hal­tung ein Problem, sondern in Einzelfäl- ser Fotobestände intensiv vorangetrieben. len sogar eine ernstzunehmende Gef­ahr. Dies gilt Komplett erschlossen sind bisher die Bildbestän- insbesondere für die in dem Bestand enthaltenen de: Nachlass Otto Ritter von Lang (1887–1916), Nitrozellulose-Negativ­e, ist dieses Material doch BS N 1 (1.545 Bilder); Nachlass Herbert Knorr leicht brennbar und bereits bei 38° C selbstent- (1888–1967), BS N 5 (461 Bilder); Nachlass Otto zündlich. Es un­terliegt dem Spreng­stoffgesetz vom Hanemann (1872–1945), BS N 20 (768 Bilder) 17.4.1986 (BGBl I S. 577). Nachrichten • Nr. 78/2020 41 und Nachlass Otto Welsch (1876–1939), BS N Nachlass Herbert Knorr (1888–1967) 23/1 (944 Bilder). Herbert Knorr begleitete fotografisch den Weg und Für die vier Bildnachlässe liegen unterschiedlich die Gefechte des 1. Bayerischen Infanterie-Re­ ausführliche ältere Bildverzeichnisse vor, deren ori- giments „König“ von den Stellungskämpfen an der ginaler Inhalt als Betreff in das Archivinformations- Somme im Frühjahr 1915 bis zur Herbst­schlacht system übernommen werden konnte. Darüber hin- bei La Bassée und Arras im Oktober 1918. Doku- aus erfolgten eine möglichst genaue Auflösung der mentiert wurden neben den kriegerischen Ausein- ausländischen Or­te und Gegenden und eine mög- andersetzungen auch Front- und Etappenszenari- lichst genaue Datierung. Angaben über das Motiv, en an der Somme, im Artois, in Französisch- und über interessant­ e Details, über abgebildete Per- Belgisch-Flandern und bei La Bassée und Arras. sonen, Grabinschriften oder auch Gebäude- und Ladenschilder wurden ebenfalls in den Erschlie- ßungsdatensatz übertragen. Die Nachlässe bieten Nachlass Otto Hanemann (1872–1945) Anschauungsmaterial über die Kriegsereignisse Die Fotografien sind eine ausführliche, aber nicht aus der Sicht der Infanterie und der Kavallerie und vollumfassende Dokumentation des Weges bzw. dokumentieren die Kriegsführung an der West- und der Gefechte des Königlich Bayerischen 6. Che- Ostfront sowie im Nahen Osten. vauleger-Regiments „Kress“ im Ersten Weltkrieg. Obwohl das Regiment von 1914 bis Anfang 1919 im Felde war, endet die fotografische Überlieferung schon im Jahr 1917. Das 6. Chevauleger-Regiment kämpfte von August 1914 bis März 1915 in Frankreich und wurde ab April 1915 an die Ostfront verlegt. Schwerpunkte des Einsatzes und daher auch der fotografischen Dokumentation waren dort die Komaika-Stellung, das Gebiet zwischen Na­rocz-See und Postawy und die Stellung am Stochod. Die Sammlung enthält Aufnahmen von Offizieren, von den Stabsquartieren, von Reitern und Pferden, von Landschaften und von Gefechtsstellungen. Hervorzuheben sind die Fotos von Einheimischen Bildverzeichnis und Papierabzüge BS N 1 (Otto Ritter von und landestypischen Ortschaften und Plätzen. Ne- Lang) (Foto: Heinz-Jürgen Weber, Bayerisches Hauptstaats- ben dokumen­ tierten Einmärschen, Heeresübun- archiv). gen und Feldlagern finden sich auch Bilder von Kriegsopfern und von Zerstörungen. Nachlass Otto Ritter von Lang (1887–1916) Die von Otto Ritter von Lang erstellten Fotografien sind eine Dokumentation des Weges und der Ge- Nachlass Otto Welsch (1876–1939) fechte der 11. und überwiegend der 10. Kompa- Otto Welsch erlebte den Ersten Weltkrieg im Zeit- nie des 1. Bayerischen Infanterie-Regiments vom raum 18.4.1914–1.3.1917 in kaiserlich osmani- Aufbruch in den Krieg 1914 bis zum Tod Otto Rit- schen Heeresdiensten. Vor Kriegsausbruch war er ter von Langs auf dem Feld. Hervorzuheben sind Reitlehrer an der Reitschule in Haidar-Pascha in seine Fotografien der Innenstadt von München und Konstantinopel. Die Ereignisse führten ihn nach Sy- des Stuttgarter Schlossplatzes, wahrscheinlich aus rien, nach Salem Tschiflik (Dardanellen), nach Ad- dem Jahr 1915. rianopel, in den Kaukasus und dann wieder an die Die Aufnahmen Otto Ritter von Langs dokumentie- kleinasiatische Küste. Welsch schied Anfang März ren aber auch die kriegerischen Handlungen und 1917 aus der Militär-Mission in die Türkei aus. die Situation seiner Einheit an den französischen Die von Otto Welsch stammenden Fotografien do- Kriegsschauplätzen Badonviller, Lothringen, Nan- kumentieren auf teilweise faszinierende Weise cy-Épinal, Somme, Neuville-Saint-Vaast und Ver- Land und Leute, das Kriegsgeschehen rückt eher dun. in den Hintergrund. 42 Nachrichten • Nr. 78/2020

Es ist geplant, die vier Fotonachlässe zügig über und etwa 520.000 Archivalieneinheiten machen die Homepage der Staatlichen Archive Bayerns die Bestände der Abteilung V umfangmäßig fast auch online zugänglich zu machen, hierzu müssen 8 % und zahlenmäßig gut 14 % des im Bayerischen allerdings noch einige urheberrechtliche Fragen Hauptstaatsarchiv verwahrten Archivguts aus. In geklärt werden. der Abteilung V finden sich derzeit etwa 450 Nach- lässe und Familienarchive, davon gut 110 aus dem Heinz-Jürgen Weber Sudetendeutschen Archiv. Die Nachlässe bayeri- scher Militärs werden in der Abteilung IV Kriegs- archiv verwahrt (derzeit gut 40), die von Angehö- rigen des Hauses Wittelsbach und Mitgliedern der Analog und digital, schwarz und Hofstäbe in der Abteilung III Geheimes Hausarchiv grün, gut und böse: die Vielfalt der (derzeit über 40). Zuletzt beherbergt auch die Ab- Nachlässe im Bayerischen Haupt- teilung I Ältere Bestände einige Bestände mit der staatsarchiv Bezeichnung „Nachlass“ (z.B. NL Kreittmayr). Da- bei handelt es sich jedoch nicht um echte Nach- Das Bayerische Hauptstaatsarchiv ist eine der gro- lässe im archivwissenschaftlichen Sinn, die eben ßen, Nachlässe verwahrenden Institutionen in der erst ab dem 19. Jahrhundert einsetzen, sondern Bundesrepublik Deutschland. Anders als bei amtli- eher um Materialsammlungen. Lediglich der „ech- chem Schriftgut, für das es festgelegte Zuständig- te“ Nachlass des Grafikers und Heraldikers Otto keiten für die Aussonderung gibt, folgt die Überlie- Hupp (1859–1949) wird wegen seiner engen Ver- ferung von Nachlässen keinen festgelegten Regeln. bindung zur Wappen- und Siegelsammlung in der Zwar geschieht der Nachlasserwerb keineswegs Abteilung I aufbewahrt. wahllos oder zufällig, dennoch überschneiden sich die Zuständigkeiten und Erwerbungsprofile von Ar- chiven häufig. Der Nachlass von Politiker*innen Erwerbungsprofil kann – jeweils mit guten Argumenten – in ein Der Schwerpunkt der Nachlassbestände liegt im staatliches Archiv, ein Parteiarchiv oder ein kom- Bayerischen Hauptstaatsarchiv naturgemäß bei den munales Archiv gelangen. Gekrönte Häupter, Mi- Staatsmännern, Staatsfrauen und Politiker*innen litärs, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, und hier wiederum bei Landespolitiker*innen. Ne- Unternehmer*innen, Künstler*innen – für fast alle ben bayerischen Ministerpräsidenten, Minis­ter*­ Kategorien von Nachlassgeber*innen lassen sich innen, Staatssekretär*innen und „einfachen“ Ab- so eine oder gar mehrere geeignete Aufbewah- geordneten finden sich darunter auch Reichs- oder rungsstätten finden. Bundespolitiker*innen sowie wirkmächtige Persön- lichkeiten aus der zweiten Reihe, etwa Amtschefs und -chefinnen und hohe Ministerialbeamt*innen Vielzahl an Nachlässen sowie Vertreter*innen von Verbänden und Körper- Das Bayerische Hauptstaatsarchiv verwahrt aktuell schaften. Die Parteizugehörigkeit reicht dabei von mehr als 500 Nachlässe und Familienarchive. Der den Parteien des Königreichs und der Weimarer Re- Großteil wird von der im Jahr 1978 eigens einge- publik bis zu den politischen Vereinigungen der Ge- richteten Abteilung V Nachlässe und Sammlungen genwart. Neben Verfassungsvätern und -müttern, betreut. Sie ist seither trotz der etwas verengen- hohen Jurist*innen und Wissenschaftler*innen den Abteilungsbezeichnung die zuständige Stel- finden sich auch Revolutionäre, Journalist*innen le für privates bzw. nichtstaatliches Schriftgut ab und Zeitzeug*innen. Die NS-Zeit ist auf zweier- dem 19. Jahrhundert in seiner ganzen Breite. Dies lei Weise dokumentiert, nämlich einerseits durch betrifft neben Nachlässen und Familienarchiven Protagonist*innen des NS-Regimes und anderer- auch allgemeines Sammlungsgut und vor allem seits durch Widerständler*innen und Verfolgte aus auch das Schriftgut von Vereinen, Körperschaf- dieser Zeit, so aus dem Kreis der Weißen Rose ten und Verbänden. Die größte Bestandsgruppe oder der Freiheitsaktion Bayern. bildet hier das Sudetendeutsche Archiv, das als Das Erwerbungsprofil für Nachlässe und weite- Depositum seit dem Jahr 2007 vom Bayerischen res nichtstaatliches Archivgut wurde erst kürzlich Hauptstaatsarchiv verwahrt, betreut und laufend überarbeitet und neu formuliert (online abruf- ergänzt wird. Mit knapp 3,8 laufenden Kilometern bar unter https://www.gda.bayern.de/fileadmin/ Nachrichten • Nr. 78/2020 43 user_upload/Medien_fuer_Unterseiten/BayHS- lieferanten dieser bundesweiten Datenbank ist, tA_Erwerbungsprofil-Nachlaesse.pdf). Hier werden ist die ZDN ein unverzichtbares Hilfsmittel für die neben dem Personenkreis zeitliche und sachliche Beantwortung von Anfragen im Bereich der Nach- Schwerpunkte formuliert: Erster Weltkrieg, Revo- lässe. In der Findmitteldatenbank der Staatlichen lution 1918/1919, Aufstieg des Nationalsozialis- Archive Bayerns sind die Findmittel von bereits mus, NS-Diktatur und NS-Verfolgung, Flucht und 185 Nachlässen und Familienarchiven vollständig Vertreibung nach 1945 sowie Staats- und Verfas- online zugänglich, was einen Anteil von bald zwei sungsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Ne- Drittel aller von der Abt. V direkt verwahrten Nach- ben dem Fokus auf die Abdeckung des gesamten lassbestände ausmacht. Die übrigen Bestände un- politischen Spektrums werden als neuere Schwer- terliegen entweder noch Schutzfristen, sind noch punkte für die Nachlasserwerbung insbesondere nicht vollständig erschlossen oder können wegen die Themenbereiche Umweltschutz, direkte De- fehlender Freigaben durch Kooperationspartner mokratie und bürgerschaftliches Engagement be- noch nicht online gestellt werden. Neu erschlos- nannt. Damit soll eine verlässliche Quellenbasis sene Bestände werden, sofern rechtlich möglich, auch für diese teils flüchtigen, bisweilen nur sehr jeweils zeitnah online zugänglich gemacht. flach organisierten politischen Bewegungen und Alle im Bayerischen Hauptstaatsarchiv mit einem ihre Protagonist*innen geschaffen werden. Nachlass vertretenen Personen sind in irgendeiner Trotz aller Schwerpunkt- und Profilbildung, trotz Weise – durch ihren Beruf, ihre politische Funkti- partnerschaftlicher Abstimmung der Archive im on, durch ihr Leben – für die Geschichte Bayerns Sinne einer Überlieferung im Verbund finden von Bedeutung gewesen. Sie haben Spuren in sich doch im Einzelfall immer wieder unerwarte- den Köpfen ihrer Mitmenschen, aber eben auch te Nachlässe an unerwarteten Orten. Dies mag in den Magazinen des Bayerischen Hauptstaats- historischer Entwicklung, einem ausdrücklichen archivs hinterlassen. Als Nachlässe können deren persönlichen Wunsch eines Nachlassers/einer persönliche Unterlagen bisweilen Einblicke in das Nachlasserin bzw. seiner/ihrer Nachkommen oder Leben ganz nah am Menschen geben. Viel mehr schlicht dem Zufall geschuldet sein. Es macht aber noch als in den amtlichen Akten begegnen uns die deutlich, dass es für die Archive unerlässlich ist, Menschen hier sehr direkt und persönlich, dies auf die verwahrten Nachlässe aktiv aufmerksam macht den Reiz dieser besonderen Quellengattung zu machen. Dies geschieht im Bayerischen Haupt- aus. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv setzt daher staatsarchiv auf verschiedenen Wegen: Neben den alles daran, nicht nur die vorhandenen Bestände (gedruckt und online verfügbaren) Beständeüber- bestmöglich zugänglich zu machen, sondern die sichten ist erst 2019 das gedruckte „Verzeichnis künftige Quellenbasis für die Geschichte der Ge- der Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv“ genwart weiterhin in der gebotenen Breite und in zweiter Auflage erschienen (Bayerische Archivin- Vielfalt, gleichzeitig aber mit einer erkennbaren ventare 58, vgl. Nachrichten Nr. 77/2019, S. 18 f.). Schwerpunktsetzung zu erweitern. Es dient als Inventar, Nachschlagewerk und Hilfs- Thomas Paringer mittel für die Archivbenützung und gleichzeitig als Aushängeschild und Werbeträger für den Nachlass­ erwerb. Daneben sind sämtliche Nachlässe des Bayerischen Hauptstaatsarchivs jeweils aktuell in der Zentralen Datenbank Nachlässe (ZDN: online Nachlass Richard Korherr erschlos- unter www.nachlassdatenbank.de) nachgewie- sen sen, die vom Bundesarchiv betrieben wird. Neben den vollständigen Bestandsinformationen ist dort Richard Korherr (1903–1989) studierte Volks- gegebenenfalls ein direkter Link auf die Findmit- wirtschaft und Staatswissenschaften von 1922 teldatenbank der Staatlichen Archive Bayerns ent- bis 1925 an der Ludwig-Maximilians-Universität halten, so dass Recherchen plattformunabhängig München und wechselte 1925 an die Friedrich- auf schnellstem Weg direkt zum gesuchten Archi- Alexander-Universität Erlangen, wo er 1926 zum vale führen. Die ZDN weist derzeit mehr als 31.000 Doktor der Staatswissenschaften promovierte. In Nachlässe in über 1.100 Institutionen nach und seiner Dissertation thematisierte er den Geburten- stellt damit den wichtigsten Einstieg in die Welt rückgang. 1927 wurde diese Arbeit unter dem Ti- der Nachlassüberlieferung dar. Für das Bayerische tel Geburtenrückgang – Mahnruf an das deutsche Hauptstaatsarchiv, das einer der größten Daten- Volk mit einem Vorwort von Oswald Spengler veröf- 44 Nachrichten • Nr. 78/2020

lini selbst (die Korrespondenz lief über das italienische Generalkon- sulat in München bzw. die italie- nische Botschaft in Berlin), kuri- oserweise aber einen Brief von Margherita Sarfatti, der Geliebten Mussolinis, aus dem Jahr 1933. Wohl 1931 wurde das Werk dann von Kozo Mori übersetzt und mit einem Vorwort von General Ma- sahura Ugaki, Generalgouver- neur von Korea, veröffentlicht. Mit Kozo Mori findet sich ein um- fangreicherer Schriftverkehr im Nachlass. Korherr arbeitete 1930 für kurze Zeit in einer Abteilung des Statis- tischen Reichsamts in Berlin. Im gleichen Jahr wurde er Geschäfts- führer des Arbeitsausschusses „Reich und Heimat“, der vom bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held als Arbeitsstelle für den Föderalismus ins Leben gerufen worden war und dessen Überlieferung ebenfalls in der Ab- teilung V des Bayerischen Haupt- staatsarchivs verwahrt wird. Ab 1. Januar 1934 war Korherr beim Bayerischen Statistischen Landesamt tätig, wechselte aber schon 1935 an die Stadt Würz- burg, wo er bis 1940 Direktor des Statistischen Amts war und zusätzlich eine Lehrverpflichtung an der Universität Würzburg inne- hatte. Am 9. Dezember 1940 wurde Titelblatt des „Korherr-Berichts“ in einer von Richard Kor- Korherr – angeblich gegen seinen eigenen Willen herr kommentierten Abschrift (Bayerisches Hauptstaats­ – zum Leiter der Statistischen Abteilung im SS- archiv, NL Korherr 47). Hauptamt ernannt, verantwortlich für die Statis- tik in sämtlichen Ämtern der SS. Zugleich wurde fentlicht. Eine spätere Auflage aus dem Jahr 1935 er in Personalunion Inspekteur für Statistik beim erschien mit einem Geleitwort Heinrich Himmlers. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Im Jahre 1928 wurde die Arbeit in Rom unter dem und beim Reichskommissar für die Festigung deut- Titel Regresso delle nascite. Morte dei popoli auf schen Volkstums. 1943 übertrug Heinrich Himmler Italienisch gedruckt. Benito Mussolini, den Korherr Korherr den Auftrag, einen umfassenden Bericht bei zwei Reisen nach Rom persönlich kennenlern- „Die Endlösung der Europäischen Judenfrage“ an- te, verfasste für diese Ausgabe ein Vorwort. Zwar zufertigen, der heute meist unter der Bezeichnung enthält der in der Abteilung V des Bayerischen „Korherr-Bericht“ firmiert. Dieser Bericht gilt als ei- Hauptstaatsarchivs verwahrte schriftliche Nach- nes der wichtigsten Dokumente über den Genozid lass von Richard Korherr keine Briefe von Musso- der Nationalsozialisten. Im Nachlass finden sich Nachrichten • Nr. 78/2020 45 zwei Abschriften dieses Berichts, die allerdings erst eidesstattlichen Erklärungen Dritter zugunsten von im Rahmen der nachkriegszeitlichen Auseinander- Richard Korherr nieder. Der Nachlass dokumen- setzung mit diesem Dokument entstanden sind. tiert fast alle Lebensstationen Richard Korherrs, Das Original sowie weiteres Material findet sich im freilich in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit. Bundesarchiv. Umfang des Nachlasses: 0,6 lfm, 53 Archivalien­ Zum 1. Januar 1944 wurde Korherrs Dienststelle in einheiten. das Jagdschloss Thiergarten der Fürsten von Thurn Joachim Glasner und Taxis bei Sulzbach an der Donau in der Nähe von Regensburg verlegt und in „Statistisch-wissen- schaftliches Institut beim Reichsführer SS“ umbe- nannt. Dies erklärt, warum der Nachlass freund- Nachlass Julius Friedrich Lehmann schaftliche Korrespondenz mit Prinz Karl August erschlossen von Thurn und Taxis enthält, die auch nach dem Krieg aufrechterhalten wurde. Im Juli 2015 übergab Felizitas Kühhorn, eine En- Von 1945 bis 1946 war Korherr in Darmstadt in- kelin von Julius Friedrich Lehmann, einen Teil des terniert, im Verfahren vor der Spruchkammer Re- Nachlasses ihres Großvaters dem Bayerischen gensburg-Land wurde er in die Gruppe der Mitläu- Hauptstaatsarchiv (vgl. Nachrichten Nr. 71/2016, fer eingereiht. Ab 1950 konnte Korherr daher vom S. 35 f.). Zwei Monate später konnte von Prof. Gün- Bundesministerium der Finanzen übernommen ther Spatz, ebenfalls ein Lehmann-Enkel, ein wei- und 1952 als Ministerialrat wiedereingesetzt wer- terer Nachlassteil erworben werden. Der Nachlass den. Als Gerald Reitlingers Buch Die Endlösung. wurde nun in der Abteilung V des Hauptstaatsar- Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945 (Titel der deutschen Ausgabe) 1956 den Bericht Korherrs einer breiten deutschen Öf- fentlichkeit bekannt machte, wurde dieser zum 1. April 1958 in den Ruhestand versetzt. Korherrs Kontakte zu Prof. Karl Valentin Müller vermittelten ihm allerdings vom Wintersemester 1959/60 bis Sommersemester 1962 einen Lehrauftrag an des- sen Lehrstuhl an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Erlangen-Nürnberg. Neben persönlichen Dokumenten besteht der Nachlass ganz überwiegend aus Schriftverkehr mit sehr unterschiedlichen Korrespondenzpart- nern, unter anderem aus Politik und Wissenschaft. Zu nennen sind hier stellvertretend der Schrift- steller H. G. Adler, das Leo Baeck Institut in Lon- don, Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg (1945 vom NS-Regime ermordet) und seine Frau, Hermann Höcherl, u.a. Bundesinnen- und Bun- deslandwirtschaftsminister, der Philosoph Oswald Spengler und seine Nichte Hildegard Kornhardt, Fritz Schäffer, der Religionswissenschaftler und Philosoph Prof. Pater Erhard Schlund OFM. Mehr- heitlich datiert diese Korrespondenz zwar aus der Nachkriegszeit, doch findet sich im Nachlass auch immer wieder Schriftverkehr vor Mai 1945. Haupt- anliegen Richard Korherrs vor allem ab 1956 war es, sich zu rehabilitieren, da er sich zu Unrecht von Staat und Gesellschaft verurteilt fühlte. Dies Julius Friedrich Lehmann im Jahr 1931 (Bayerisches schlägt sich in zahlreichen Korrespondenzen, Noti- Hauptstaatsarchiv, NL Lehmann, Julius Friedrich 1). zen und Quellensammlungen, aber auch in vielen 46 Nachrichten • Nr. 78/2020 chivs erschlossen und steht der Forschung zur Ver- zur Tierärzteschulungsburg ausgebaut wurde, sind fügung. bestens dokumentiert. Als früher Förderer der NSDAP trug Julius Fried- Im Nachlass enthalten sind ebenfalls Unterlagen rich Lehmann (1864–1935) dazu bei, dieser Par- von Melanie Lehmann, der Frau von Julius Fried- tei und ihrem Gedankengut die für ihren Aufstieg rich Lehmann, u.a. persönliche Dokumente, Kor- notwendige publizistische Unterstützung zu liefern respondenzen, Tagebücher und Chroniken. Eine und den Boden zu bereiten, dass sich München zu Tochter Julius Friedrich Lehmanns war mit Fried- einem Zentrum des Antisemitismus entwickelte. rich Weber (1892–1955), Freikorpsführer und Lehmann gehörte der NSDAP bereits von 1920 bis Reichstierärzteführer im Dritten Reich, verheiratet, zu deren Verbot 1923 an und trat ihr Ende 1931 dessen Nachlass ebenfalls im Bayerischen Haupt- erneut bei. Zu seinem 70. Geburtstag 1934 wurde staatsarchiv verwahrt wird. Umfang des Nachlas- Lehmann für sein Engagement von der NSDAP mit ses: 1,2 lfm, 75 Archivalieneinheiten. dem Adlerschild des Deutschen Reiches und der Joachim Glasner Goldenen Ehrennadel der Partei ausgezeichnet. Die medizinische Fakultät der Universität München verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. Der im September 1890 in München gegründete Von Herrsching nach München: J. F. Lehmanns Verlag veröffentlichte medizinische, Akten des Landwirtschaftlichen völkische und rassische Literatur. Einen wichtigen Stellenwert innerhalb des Nachlasses nimmt die Vereins übernommen Überlieferung des J.F. Lehmanns Verlags ein. Ent- Landwirt*innen organisieren sich heute im Bauern- halten sind u.a. geschäftliche Korrespondenz und verband als einer der größten berufsständischen organisatorische Unterlagen. Organisationen zur Verteidigung ihrer Interessen. Neben familiengeschichtlichen und persönlichen In Bayern gibt es dafür seit 1945 den Bayerischen Papieren von Julius Friedrich Lehmann enthält der Bauernverband. Vorläuferorganisation im 19. und Nachlass weitere umfangreiche Schriftwechsel: Ei- frühen 20. Jahrhundert war der Landwirtschaftli- nerseits auf privater Ebene u.a. mit seinen Eltern, che Verein. Dieser geht auf das Jahr 1810 zurück seiner Frau und seinen sechs Kindern, anderer- und bestand bis ins Jahr 1937. Sein Wirken schlug seits auf politischer und geschäftlicher Ebene vor sich in 1738 Akten nieder, die überwiegend gut er- allem mit Politikern, Militärs, Medizinern, vielfach halten sind und bis Ende 2019 im Haus der Bayeri- aus dem rechtsnationalen, völkischen und anti- schen Landwirtschaft in Herrsching am Ammersee semitischen Umfeld. Besonders zu nennen ist die verwahrt wurden. Korrespondenz mit dem Hause Hohenzollern, mit Zwar hat der Bayerische Bauernverband als Kör- der Familie Wagner, mit Adolf Hitler sowie Erich Lu- perschaft des öffentlichen Rechts die Möglichkeit, dendorff. ein eigenes Archiv zu unterhalten. er kann seine Dokumentiert ist zudem Lehmanns aktive Beteili- Bestände aber auch in die Obhut des Bayerischen gung bei der Zerschlagung der Räterepublik sowie Hauptstaatsarchivs geben. Mit der Übergabe der seine Unterstützung für die Teilnehmer des Hitler- schriftlichen Überlieferung des Landwirtschaftli- Putsches, u.a. für seinen Schwiegersohn Friedrich chen Vereins als Vorläufer des heutigen Verbandes Weber. Weiterhin findet sich Material zu Lehmanns wurde dazu ein erster Schritt gemacht. Aktivitäten für den Verein für das Deutschtum im Der Bestand wurde 1989 von Barbara Fürbeth vor- Ausland und die Ortsgruppe München des Alldeut- bildlich erschlossen, das Findbuch kann auf der schen Verbandes sowie über die von ihm initiierte Homepage des Hauses der Bayerischen Landwirt- Münchner Aktiengesellschaft zur Erwerbung und schaft nach wie vor eingesehen werden. Künftig Restaurierung der im Trentino gelegenen Burg soll dies aber auch auf der Internetseite der Staatli- Persen (Pergine). Ziel war es, die Anlage für die chen Archive Bayerns möglich sein. Die Vorlage der Alldeutsche Bewegung und den deutschnationa- Akten findet im Lesesaal des Bayerischen Haupt- len Tiroler Volksbund zu nutzen. Auch die Aktivitä- staatsarchivs statt. ten auf Burg Hoheneck bei Ipsheim, die Lehmann 1921 erworben und der NSDAP für verschiedenste In den Akten des Landwirtschaftlichen Vereins mit Veranstaltungen überlassen hatte und die 1939 einem Generalcomité für die zentralen Angelegen- Nachrichten • Nr. 78/2020 47 heiten und Kreiscomités für Schwaben-Neuburg, Lázně Kundratice und die Spinnerei in Mildenau Unterfranken-Aschaffenburg sowie den Bezirksco- von wirtschaftlicher Bedeutung als Maßnahme zur mités Bamberg, Hof und Weilheim für die einzel- Verbesserung der Infrastruktur. nen Landesteile findet sich die gesamte Bandbrei- Mit Abschluss eines Vertrags zwischen der Bank te agrarischer Fragestellungen: Tierhaltung und für Handel und Industrie in Darmstadt, der „Cen- Tierzucht, Düngezyklen, der Einsatz von Maschi- tralverwaltung für Secundärbahnen Herrmann nen, der Versicherungsschutz, die landwirtschaftli- Bachstein“ (*15.4.1834, †4.2.1908) in Berlin und che Ausbildung und die Verwaltung eines landwirt- dem Bezirks-Ausschuss Friedland in Böhmen vom schaftlichen Anwesens. 4. März 1898 (BayHStA, Friedlandbahn AG 4) war Im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herr- die neu gegründete Friedländer Bezirksbahnen sching befindet sich noch das Schmuckstück der AG angestoßen worden. Sie verpflichtete sich zur Agrarhistorischen Bibliothek, die vom 16. Jahrhun- Herstellung einer normalspurigen Lokalbahn von dert bis ins 19. Jahrhundert reicht und weiter dort Raspenau nach Weißbach (6,6 km Länge) und bleiben soll. Mit der Leitung in Herrsching war man einer schmalspurigen Bahn von Friedland bis zur sich aber einig, dass der Aktenbestand des Land- Reichsgrenze nach Hermsdorf (10,4 km Länge). wirtschaftlichen Vereins im Bayerischen Haupt- Die Bauzeit wurde auf zwei Jahre festgelegt; die staatsarchiv in zentraler Lage in München eher Aktiengesellschaft hinterlegte eine Kaution für die die wissenschaftliche Würdigung erfährt, die ihm Einhaltung. zusteht. Mit Blick auf die historischen Lehrstühle der LMU besteht die Hoffnung auf eine intensive Nutzung dieses Bestandes, der demnächst durch weitere Aktenabgaben seines Nachfolgers, des Bayerischen Bauernverbandes ab 1945 ergänzt werden soll. Johann Pörnbacher

Sudetendeutsches Archiv

Bestand Friedländer Bezirksbahn Kurplatz von Bad Liebwerda in Böhmen. Kolorierte Aufnah- AG erschlossen me um die Jahrhundertwende (Bayerisches Hauptstaatsar- chiv, SdA, Bildersammlung 5173). Ein ganz besonderer Bestand mit 105 Archivalien­ einheiten (2,60 lfm), dessen Existenz bisher unbe- Die Akten umfassen neben dem Gründungsakt mit kannt war, kam durch eine zufällige Entdeckung Katasteraufzeichnungen der erworbenen Grund- in den Räumen des Collegium Carolinum an das stücke auch Finanzierung und Bilanzen sowie die Bayerische Hauptstaatsarchiv: Die Altregistratur rechtliche Konstituierung als Aktiengesellschaft. der Friedländer Bezirksbahn AG, welche im Febru- Aufsichtsratsprotokolle, Personalakten, Baupla- ar 1898 gegründet worden war und die böhmische nungen der Bahnhöfe und Dienstwohnungen, Do- Stadt Friedland / Frýdlant v Čechách mit der säch- kumente zur Anschaffung von Lokomotiven bei der sischen Grenze, vor allem Hermsdorf / Heřmanice Firma Krauss & Comp. AG in München und Fahrplä- u Frýdlantu, verband. Die neuen drei Linien (Raspe- ne sind ebenso vorhanden, wie die Pachtverträge nau / Raspenava – Weißbach / Bílý Potok, eröffnet der Gastronomie. Selbst Beschwerden wegen Ver- am 3. Mai 1900; Friedland – Hermsdorf, eröffnet spätungen, Dienstanweisungen und bahnpolizeili- am 25. August 1900; Friedland – Heinersdorf / che Anordnungen haben sich erhalten. Jindřichovice pod Smrkem, eröffnet am 2. August In der Mitgliedschaft im „Verband der k. und k. 1902) erschlossen vor allem das obere Wittigtal Bezirksbahnen“ sowie nach 1919 dem „Verband und sollten den Wanderverkehr im Isergebirge stei- der Lokal- und Kleinbahnen in der CSR“ spiegeln gern sowie den Besuch von Bad Liebwerda / Lázně sich die politischen Umwälzungen zu Beginn des Libverda fördern. Darüber hinaus war sie für die 20. Jahrhunderts. Diese zeigen sich auch in der Simonsche Dampfziegelei in Bad Kunnersdorf / 48 Nachrichten • Nr. 78/2020

Lageplan des Bahnhofs Friedland 1:1000 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, SdA, Friedlandbahn AG 79).

Korrespondenz um die Kriegsfreistellungen von te der Friedlandbahn. In einem Akt aus dem Jah- Bediensteten 1917. Zwei Jahre später sorgte die re 1942 werden Ansprüche wegen Beschädigung steigende Arbeitslosigkeit und Radikalisierung durch Kriegseinwirkung beim deutschen Reichs- der Arbeiterschaft nach dem Ersten Weltkrieg für verkehrsministerium gestellt. Aufruhr. Berichte der Eisenbahnergewerkschaft Ingrid Sauer und Resolutionen der Arbeiter, die aus wirtschaft- licher Not Teuerungszuschläge verlangen, liefern eindrückliche Bilder der Lage. Schließlich wurden die ehemals k. und k. Beamten in das Schema der Staatsbahnbediensteten der CSR aufgenommen Staatsarchiv Augsburg und Betriebsvereinbarungen geschlossen. Da- durch verbesserten sich die Perspektiven und die Nachlass des Psychiaters Dr. Max Proteste ebbten ab. Barth (1904–1966) erschlossen

Am 13. Januar 1925 wurde die Friedlandbahn „Übrigens wissen hier alle längst, was jetzt zu Hau- durch Erlass des Eisenbahnministeriums der tsche- se in den Anstalten vor sich geht“ – so schrieb Dr. choslowakischen Republik verstaatlicht, wobei ein Max Barth, Psychiater an der damaligen Heil- und Betriebsvertrag geschlossen wurde, in dem die An- Pflegeanstalt Günzburg, seit Mitte 1939 im Kriegs- sprüche der Aktiengesellschaft in Berlin sowie die dienst, im Oktober 1940 an seine Frau Gertrud. Dienstverhältnisse der Bediensteten festgehalten Zu dieser Zeit hatte die erste Deportation von Pa- wurden. Tschechisch wurde nun verbindlich als tientinnen und Patienten aus Günzburg in andere Dienstsprache eingeführt. Darüber hinaus wurden Anstalten im Rahmen der „Aktion-T 4“, der syste- noch Regelungen für die Sozialfürsorge getroffen. matischen Ermordung von Menschen mit körper- Die Bahn mit einem Gleisnetz von insgesamt 42 lichen, geistigen und seelischen Behinderungen km wurde von der Staatsbahndirektion Königgrätz während der Zeit des Nationalsozialismus, bereits verwaltet. stattgefunden. Im Zeitraum 1940/41 wurden von Die Übernahme durch die Deutsche Reichsbahn im Günzburg aus 394 Patienten in Tötungsanstalten Jahre 1938 beendete die eigenständige Geschich- Nachrichten • Nr. 78/2020 49

Christine Hähl und Dr. Raimund Barth mit Rainer Jedlitschka vom Staatsarchiv Augsburg bei der Übergabe des Nachlasses ihres Vaters (Foto: Paul John, Staatsarchiv Augsburg). gebracht. Zwangssterilisationen und Menschen- hältnissen auf. Er spielte Klavier und Violoncello, versuche fanden in Günzburg ebenfalls statt. ein erträumtes Musikstudium erlaubte ihm sein Vater aber nicht. So studierte er in München und Die zitierte private Äußerung Dr. Barths entlarvt die Kiel Medizin und promovierte im Jahr 1930. Nach nach 1945 durch die ärztliche Standesvertretung einer Assistententätigkeit am physiologisch-chemi- lange Zeit ausgegebene Schutzbehauptung, die schen Institut der Universität Leipzig arbeitete er Masse der deutschen Ärzte habe während des Na- seit 1933 als Assistenzarzt an der Universitätsner- tionalsozialismus ihre Pflichten getreu den Forde- venklinik in München, ab 1. Dezember 1936 als As- rungen des hippokratischen Eides erfüllt, von den sistenzarzt in Eglfing/Haar, bis er am 1. Mai 1939 verbrecherischen Vorgängen nichts gewusst und als Medizinalrat an die Heil- und Pflegeanstalt in mit ihnen nicht in Zusammenhang gestanden. Günzburg wechselte. Bereits am 1. Mai 1933 Der eingangs zitierte Brief befindet sich im Nach- war er der NSDAP beigetreten, zum 1. Dezember lass Dr. Max Barths, des ehemaligen Direktors des 1939 erfolgte der Einzug zur Wehrmacht. In den heutigen Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie, Jahren 1939 bis zur Rückkehr aus der britischen Psychotherapie und Psychosomatik in Günzburg. Kriegsgefangenschaft im Januar 1946 war er bei Aufgrund des beruflichen Bezugs zu Schwaben ha- der Wehrmacht als Psychiater eingesetzt. Dazwi- ben seine Kinder Christine Hähl und Dr. Raimund schen liegen Heimaturlaube und ein Arbeitsurlaub Barth diese Unterlagen im November 2019 dem in Günzburg. Nach glimpflich verlaufener Entnazifi- Staatsarchiv Augsburg zur dauerhaften Verwah- zierung als „Mitläufer“ im Januar 1947 war er bald rung übergeben. Hier werden sie geordnet, inhalt- wieder als Psychiater in der Anstalt in Günzburg lich erfasst und konservatorisch gesichert. tätig, ab 1953 bis zu seinem Tod im Jahr 1966 als Dr. Barth, geboren am 26. April 1904 in München deren Direktor. als Sohn des Kommerzienrates Karl Barth, Direktor Der Nachlass Dr. Barths ist ein Beispiel, wie die der Hackerbräu AG, wuchs in wohlhabenden Ver- im Staatsarchiv Augsburg verwahrten Unterlagen 50 Nachrichten • Nr. 78/2020 staatlicher Behörden, Gerichte und sonstiger Ein- Staatsarchiv Nürnberg richtungen durch privates Schriftgut äußerst wert- voll ergänzt werden. Einschlägig aus dem Bereich Bestand Appellationsgericht der der staatlichen Überlieferung sind die Unterlagen der Gesundheitsämter, Erbgesundheitsgerichte Reichsstadt Nürnberg erschlossen oder die Spruchkammerakten. Der Nachlass ent- Im Jahr 1972 gab das Stadtarchiv Nürnberg im hält mit Notizen, Korrespondenzen und Fotos au- Tausch einen als „Handelsvorstand“ deklarierten thentische Zeitzeugnisse, die einen unmittelbaren Bestand an das Staatsarchiv Nürnberg ab. Jahr- Einblick in das Denken und Handeln des späteren zehntelang standen 440 gebündelte Faszikel im Direktors der Anstalt im schwäbischen Günzburg Umfang von 7,5 Laufmetern unerschlossen im und seiner Kommunikationspartner bietet. So gibt Magazin, da andere archivische Fachaufgaben vor- es Briefe Dr. Barths an seine Frau ab 1933, die dringlicher waren. Angesichts der bevorstehenden neben sehr persönlichen Mitteilungen auch Nach- Sanierung des Staatsarchivs Nürnberg und der richten über seine Arbeit an der Klinik enthalten. damit verbundenen Verlagerung aller Archivalien Zudem gibt es die sehr umfangreiche Feldpost mussten sämtliche Bestände verpackt werden. Es nach 1939 aus Frankreich, Ostpreußen, Lettland wurde entschieden, die vermeintliche Überliefe- und Königsberg sowie aus der englischen Kriegs- rung von Merkantilsachen der Nürnberger Groß- gefangenschaft in Putlos/Schleswig-Holstein. Auch kaufleute nicht nur zu verpacken, sondern parallel ist ein Fotoalbum überliefert, das u. a. Portraits aus abschließend zu erschließen. Bei der Analyse des dem damaligen Münchner Freundeskreis enthält, Bestandes tauchten tatsächlich einige Akten des viele wie Dr. Barth Mitglied im Akademischen Ge- Handelsvorstands selbst, des Banco Publico, des sangsverein (AGV) München. Zu nennen sind hier Bancoamts und des Bancogerichts auf, doch die z. B. Karl Wien (geb. 1906 in Würzburg), der 1937 überwiegende Mehrzahl konnte einer Registratur die deutsche Nanga-Parbat-Expedition leitete und zugewiesen werden, von der bislang kaum Überlie- dabei den Tod fand, der Kernphysiker Wolfgang ferung bekannt war. Es handelte sich um das 1615 Riezler (geb. 1905 in Freiburg), im Jahr 1957 ei- gegründete „Appellationsgericht“ der Reichsstadt ner der 18 Unterzeichner der „Göttinger Erklärung“ Nürnberg. Bis zur Gründung dieses Gerichts hatte gegen die geplante atomare Bewaffnung der Bun- der reichsstädtische Rat bzw. ein Ratskollegium deswehr oder der Gynäkologe Richard Fikentscher wie in den meisten anderen Städten als zweite In- (geb. 1903 in Augsburg), später Direktor der II. stanz für Berufungen von untergeordneten Gerich- Frauenklinik der Universität München. ten und Behörden in der Stadt und auf dem Land Die durch das Bayerische Archivgesetz festgeleg- fungiert. Mit der Ausgliederung wurde seinerzeit ten allgemeinen und personenbezogenen Schutz- ein eigenes Gericht für Appellationen sowohl in zi- fristen sind inzwischen abgelaufen, somit stehen vil- als auch in strafgerichtlichen Fällen ins Leben die Unterlagen der Forschung zur Verfügung. Ver- gerufen. Im Laufe der Zeit erhielt es zudem die schiedenste thematische Anknüpfungspunkte sind Oberaufsicht über die erstinstanzlichen Gerichte in denkbar, etwa Fragen nach Sozialisation, Netzwer- Personal- und Fachfragen. ken und Prägungen der „Kriegsjugendgeneration“, Wie diese Akten ihren Weg in die vom Stadtarchiv nach Karrieren nach 1933 und Kontinuitäten nach übernommene Registratur des Handelsvorstands 1945, nach Reflexion persönlicher Verstrickung bzw. der 1843 gegründeten Industrie- und Han- und Schuld oder allgemein zur Geschichte der Psy- delskammer Mittelfranken als dessen Rechtsnach- chiatrie in Schwaben und Bayern. folger gefunden hatten, ist nicht mehr endgültig zu Rainer Jedlitschka klären. Allerdings war das Handelsappellationsge- richt Nürnberg ab 1808 im selben Gebäude am Hauptmarkt in Nürnberg wie der Handelsvorstand untergebracht. Die Übernahme von Schriftgut in dessen Registratur liegt daher nahe. Der überwiegende Teil der Akten ist nicht reichs- städtischer Provenienz, sondern stammt aus der Zeit nach 1806 und trägt den Stempel des König- reichs Bayern. Dennoch wurde entschieden, diese Akten nicht als eigenen Bestand zu formieren, son- Nachrichten • Nr. 78/2020 51 dern das „königlich-bayerische Ober- und Appel- richt für den Pegnitz- und den Naabkreis in Amberg lationsgericht Nürnberg“ lediglich als kurzlebigen transferiert. Dieses war nun zweite Instanz in Zi- Nachfolger des reichsstädtischen Gerichts mit im vilstreitigkeiten, zweite und zugleich letzte Instanz Wesentlichen gleichen Aufgaben, gleicher Organi- in Merkantilsachen sowie erste Entscheidungsin- sation, gleichem Sprengel und v.a. derselben Re- stanz in Strafgerichtsprozessen. Als dritte Instanz gistratur zu bewerten. trat an Stelle der aufgelösten Obersten Justizstelle das Oberappellationsgericht in München. Die äußerst differenzierte Gerichtsverfassung der Reichsstadt Nürnberg kannte eine Vielzahl an Ge- Dieser Instanzenzug wurde nach massiven Protes- richten und mit juristischen Kompetenzen ausge- ten aus der Nürnberger Kaufmannschaft zumindest statteten Ämtern. Im Stadtgebiet waren dies bei- hinsichtlich der Handelsgerichtsbarkeit ein wenig spielsweise das Hals-, das Fünfer-, das Rug-, das geändert, als am 15. Juni 1809 mit dem Handels- Stadt-, das Ehe-, das Unter- oder das Bancogericht appellationsgericht eine eigene Berufungsinstanz sowie die Forst- und Zeidelgerichte; auf dem Land geschaffen wurde, die in Nürnberg – dem Ort des fungierten die Pflegämter als rechtsprechende Or- Geschehens und der fachlichen Expertise – ange- gane erster Instanz. In zweiter Instanz konnte von siedelt war. all diesen Justizstellen beim Appellationsgericht Da kein zeitgenössischer Aktenplan vorliegt und der Reichsstadt Berufung eingelegt werden. die Akten keine Aktenzeichen oder Registratursig- Das Appellationsgericht setzte sich aus sechs naturen tragen, wurde für die Gliederung des Be- Mitgliedern des Inneren Rats sowie zwei Ratskon- stands anhand der vorliegenden Aktenbetreffe ein sulenten zusammen und tagte an jedem zweiten zweistufiger Thesaurus entworfen. Er gliedert sich Samstag. Die prächtig ausgestaltete Gerichtsord- in die zwei Hauptgruppen „Aufgaben als überge- nung von 1615, mit der die Besetzung ebenso wie ordnete Gerichtsstelle“ und „Zivilgerichtliche Ap- die Prozessordnung und die Gebühren fixiert wur- pellationsinstanz“. Anders als es die Befugnisse den, ist als handschriftliches Exemplar im Staats- gemäß den oben erwähnten Appellationsgerichts- archiv überliefert. Die Ordnung wurde 1657 erneu- ordnungen erwarten ließen, sind – ohne dass ein ert und 1732 im Druck herausgegeben. Grund hierfür genannt werden kann – leider keine Appellationen in Strafgerichtsfällen überliefert. Un- Die 1797 berufene Kaiserliche Subdelegations- ter den Zivilstreitigkeiten stechen quantitativ ne- Kommission hat viele Verwaltungsreformen an- ben den Erbschaftsklagen (52 Akten) vor allem die gestoßen und 1802 auch eine neue Ordnung des Schuldsachen (116 Akten) hervor. seit dem 18. Jahrhundert sogenannten Ober- und Appellationsgerichts erlassen. Darin wurden Auf- Nach Erschließung dieses Bestandes konnten aus gaben und Befugnisse genauer definiert, indem einem Mischbestand Nürnberger Archivalien 23 man die Anzahl der Senatoren auf fünf reduziert, Bände der Provenienz Appellationsgericht entnom- dagegen die Häufigkeit der Sitzungstage auf zwei men und neu zugeordnet werden. Dabei handelt pro Woche erhöht hat. Erst ab einem gewissen es sich um Sitzungsprotokolle (sog. Manuale bzw. Streitwert war eine weitere, drittinstanzliche Beru- Conceptionalia Sententiarum) und Terminkalender fung bzw. Revision möglich. Bis 1806 erfolgte die (sog. Signaturbüchlein) des Gerichts aus der Zeit Appellation an das Reichskammergericht bzw. an zwischen 1615 und 1729. Der Gesamtumfang von den Reichshofrat, danach an die königlich-bayeri- 440 Archivalieneinheiten aus der Zeit von 1615 bis sche Oberste Justizstelle in Franken zu Bamberg. 1808 umfasst am Fach 5,60 Laufmeter. Mit der Inbesitznahme der Reichsstadt durch das Johannes Staudenmaier Königreich Bayern am 15. September 1806 wurde das Appellationsgericht wie alle anderen reichs- städtischen Ämter und Gerichte nominell königlich- bayerisch, blieb jedoch vorerst organisatorisch und personell unangetastet. Erst mit dem Organischen Edikt vom 24. Juli 1808 wurde die Justizverfas- sung geändert und die Nürnberger Gerichte in die bayerische Organisation integriert. Das ehemals reichsstädtische Appellationsgericht wurde aufge- löst und seine Befugnisse an das Appellationsge- 52 Nachrichten • Nr. 78/2020

Archivbau

Neue Magazinklimatisierung für wenden. Allerdings kann die Lüftungsanlage durch das Staatsarchiv Landshut eine Umluftklappe auch komplett auf Außenluft verzichten und nur die bereits im Magazin vorhan- Im Sommer 2016 wurde der Neubau des Staatsar- dene Luft konditionieren. Dies führt natürlich im chivs Landshut durch die Archivar*innen und vor Vergleich mit einer Außenluftaufbereitung zu einer allem mit ca. 2,8 Millionen Archivalien bezogen. erheblichen Energieersparnis. Die Lüftungsanlage Bereits im Juli 2016 wurde man erstmals auf die bläst mit bis zu 7000 m³/h in die Magazine ein. Die viel zu hohen Temperaturen im Magazin von über Luft kann zuvor durch ein eigenes Kühlaggregat 25°C aufmerksam. Diese Klimawerte wurden da- auf 14–18°C heruntergekühlt werden. Sollte Luft- mals fälschlicherweise auf die im Jahr 2016 noch feuchtigkeit aus der Luft entzogen werden müssen, nicht funktionsfähige Lüftungsanlage zurückge- kann die Lüftung bis unter den Taupunkt kühlen führt. Ab dem Jahr 2017 war die Lüftungsanlage und die so getrocknete Luft durch zwei Nachheizre- funktionsfähig, aber auch damit konnten die ge- gister wieder nacherhitzen. Wenn Feuchtigkeit der wünschten Klimawerte nicht eingehalten werden. Luft hinzugefügt werden müsste, kann dies durch Die Lüftungsanlage konnte nur Außenluft in die einen Nachbefeuchter erfolgen. Magazine einleiten. Dazu glich aber die Gebäude- Der Heizkreislauf der Magazine wurde mit einem leittechnik die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit Kühlaggregat und einem Plattenwärmetauscher der Umgebungsluft mit den Werten im Abluftstrom versehen. Da sich die Wassertemperatur im Heiz- der Lüftungsanlage ab. Daraus resultierte, dass bzw. Kühlkreislauf im Magazin natürlich nie unter die Lüftungsanlage nur an wenigen Tagen im Früh- den Taupunkt bewegen darf, wurde hier ein Kon- ling und im Herbst in Betrieb ging. Der Klimawan- densatwächter eingebaut. Die Heizkörper werden del und die damit verbundenen steigenden Außen- somit mit 15°C kaltem Wasser gespeist. Die Ge- temperaturen hatten den Versuch einer möglichst bäudeleittechnik kühlt so lange, bis eine Raum- technikarmen Regelung des Magazinklimas im temperatur von höchstens 18°C erreicht wird. Staatsarchiv Landshut über eine reine Lüftungsan- Der Kühl- und Heizbetrieb der Heizung wird über lage ohne Kühlmöglichkeit zunichte gemacht. einen hinterlegten Kalender zeitlich reguliert. Um Um einem kompletten Austausch der Anlage zu allerdings die nötige Kühlleistung in die Magazine vermeiden, wurde über die Jahre 2017 und 2018 zu bringen, mussten die Heizflächen stark um leis- versucht, die bestehende Lüftungsanlage durch tungsstarke und großflächige Heizkörper erweitert die Regelungstechnik soweit wie möglich zu opti- werden. mieren. Allerdings konnten auch so keine wesent- Bevorzugt, da energetisch sinnvoller, wird die Küh- lich besseren Klimawerte erzielt werden. Im Ma- lung der Magazine über die Heizkörper stattfinden. gazin wurden immer noch Temperaturen von über Sollte eine zu hohe Luftfeuchtigkeit oder ein zu ho- 27°C erreicht. her CO2-Wert im Magazin erreicht werden, wird die Im Frühjahr 2019 wurde daher in Zusammenar- Lüftungsanlage zugeschaltet. beit mit dem Staatlichen Bauamt Landshut, der Die nächsten zwei Jahre wird das Staatsarchiv Regierung von Niederbayern und dem Ministeri- Landshut noch durch das Staatliche Bauamt um für Wohnen, Bau und Verkehr beschlossen, Landshut begleitet, um die Regelung und Steue- die Lüftungsanlage beim Staatsarchiv Landshut rung der neuen Raumlufttechnik zu optimieren. auszutauschen und zusätzlich die vorhandene Hei- Johannes Stoiber zungsanlage für die Kühlung der Magazine zu ver- wenden. Die Lüftungsanlage wurde komplett ausgebaut und durch eine neue Anlage ersetzt. Diese Lüf- tungsanlage, die sich weitestgehend über die Gebäudeleittechnik regeln lässt, verfügt über die Möglichkeit, Außenluft zur Magazinlüftung zu ver- Nachrichten • Nr. 78/2020 53

Bestandserhaltung

Workshop „BKM Förderlinien zur der zusätzlich zu erbringende Beratungsaufwand. Erhaltung des schriftlichen Kultur- Dabei zeigte es sich, dass sich viele Fragen äh- neln und bestimmte Fehler oder Ungenauigkeiten guts: Praktische Fragen der Antrag- beim Ausfüllen der Formulare gehäuft auftraten. stellung“ Um vermeidbare Rückfragen und Fehlerquellen bereits im Vorfeld der Antragstellung abzufangen, Viele historische Dokumente in Deutschlands Ar- wurde im November 2019 erstmals ein Workshop chiven und Bibliotheken sind u.a. durch Säurefraß, zu praktischen Fragen der Antragstellung für alle Schimmel, Schädlingsbefall oder – ganz banal – bayerischen Archive angeboten. Mit schließlich unzureichende Verpackung akut in ihrem Bestand etwa 50 Teilnehmer*innen aller Archivsparten gefährdet. Um dieses national wertvolle Kulturgut war die Veranstaltung im Hörsaal des Bayerischen für künftige Generationen zu bewahren, werden Hauptstaatsarchivs gut besucht, der letztlich doch über die Beauftragte der Bundesregierung für Kul- überschaubare Kreis ermöglichte einen ergiebigen tur und Medien jährlich zusätzliche Mittel für das Sonderprogramm zum Erhalt des schriftlichen Kul- turguts in Deutsch- land bereitgestellt. Die Vergabe der Mittel – 2019 wur- den 4,5 Mio Euro ausgeschüttet – er- folgt über die Koor- dinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kultur- gutes (KEK), welche Anträge zum Zug kommen, entschei- det ein mit Experten besetzter Fachbeirat. In Bayern werden die Anträge aller Ar- chive zentral in der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns gesammelt, geprüft und an das Ministerium für Wis- senschaft und Kunst zur Gegenzeichnung weitergeleitet. Für Bibliotheken über- nimmt die Bayeri- sche Staatsbiblio- thek diese Funktion. V.l.n.r.: Dr. Wiltrud Fischer-Pache (Stadtarchiv Nürnberg), Peter Halicska (Landeskirchliches Archiv der Evangelisch- In den letzten Jahren nahm erfreulicherweise die Lutherischen Kirche in Bayern), Dr. Laura Scherr, Dr. Mar- Anzahl der über die Generaldirektion koordinier- git Ksoll-Marcon (beide Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns), Dr. Ursula Hartwieg (Leiterin der KEK) ten Anträge stark zu. Gleichzeitig wuchs natürlich (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv). 54 Nachrichten • Nr. 78/2020

Erfahrungsaustausch und eine lebendige Frage- ein „Europäischer Tag der Restaurierung“ statt. runde. Bestandserhaltende Einrichtungen haben die Möglichkeit, an diesem Tag ihr Arbeitsspektrum Die Generaldirektorin der Archive, Dr. Margit Ksoll- vorzustellen. Aus konservatorischen und sicher- Marcon, begrüßte die Teilnehmer*innen. Als erste heitstechnischen Gründen findet die Arbeit am Er- Referentin des Workshops konnte die Leiterin der halt von Originalen aller Art – ob es sich nun um KEK, Dr. Ursula Hartwieg, gewonnen werden. Frau Schriftgut oder Gegenständliches handelt – im für Hartwieg stellte die KEK und die beiden Förderlini- die Öffentlichkeit Verborgenen statt. Umso span- en vor und stand während des ganzen Workshop- nender ist es, einmal einen Blick hinter die Kulis- tages ausgiebig und geduldig für alle Fragen zur sen werfen zu dürfen. Verfügung. Im Anschluss an Frau Hartwiegs Vortrag ging es in die Details der Antragstellung. Dr. Laura Dieses öffentliche Interesse wurde nun ein weite- Scherr, Referentin für Bestandserhaltung der Ge- res Mal vom Europäischen Dachverband der Re- neraldirektion und in dieser Funktion zuständig für stauratorenverbände (E.C.C.O.) aufgegriffen. Mit die Antragskoordination, skizzierte den Ablauf der zahlreichen Aktionen und Angeboten rund um das Antragstellung in Bayern, stellte die Formulare vor, Thema Restaurierung war das Publikum eingela- gab Formulierungshinweise und wies auf verschie- den, sich Werkstätten, Techniken und Arbeitsbei- dene Fallstricke hin. Die beiden nachfolgenden spiele anzusehen. Auch Informationen über das Referent*innen, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Stadt- Berufsbild „Restaurator/in“ kamen dabei nicht zu archiv Nürnberg, und Peter Halicska, Landeskirch- kurz. Allein in Deutschland beteiligten sich rund liches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche 200 Restaurator*innen, rund 13.000 neugierige in Bayern, berichteten von ihren Erfahrungen aus Besucher*innen fanden den Weg in die Werkstät- mehreren Antragsjahren. Für den Nachmittag wa- ten. ren zwei Programmvarianten vorgesehen: Entwe- Ein kleiner Teil dieses Besucherstroms konnte in der der die konkrete Bearbeitung von Antragsentwür- Restaurierungswerkstatt des Bayerischen Haupt- fen in Kleingruppen oder die Beantwortung von staatsarchivs begrüßt werden. Trotz großer Konkur- Rückfragen zum Antragsformular anhand eines renz durch andere Veranstaltungen in der an kultu- echten Projektantrages. Die Teilnehmer*innen rellen Attraktionen reichen Stadt München, lockte entschieden sich für die zweite Variante. Zwei An- das Angebot an diesem sonnigen Herbstsonntag träge der Staatlichen Archive aus der letzten An- viele in die Schönfeldstraße. Mitarbeiter*innen der tragsrunde wurden systematisch durchgegangen Werkstatt präsentierten in Führungen die Vielfalt und besprochen. Die rege Fragerunde und die sehr an restauratorischen Arbeiten, die in einem Archiv positiven Rückmeldungen der Teilnehmer*innen anfallen. Darüber hinaus konnten sich Interessierte zeigten, dass das gewählte Format seinen Zweck über den Ausbildungsweg Restaurator*in informie- erfüllt hat. Zur Vorbereitung der für 2021 zu stel- ren und verschiedene Tätigkeitsfelder entdecken. lenden Anträge ist im Herbst 2020 ein erneuter Fachlich unterfüttert wurde dieser recht anschauli- Workshop geplant. che Teil des Berufsalltags durch einen Kurzvortrag Die Präsentationen zu den im November 2019 im Hörsaal. Dieser bot eine kurze Einführung in die gehaltenen Vorträgen ist über die Homepage der Aufgaben und Zuständigkeiten der Restaurierungs- Staatlichen Archive Bayerns abrufbar (https:// werkstatt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, die www.gda.bayern.de/fachinformationen/bestands als zentrale Werkstatt für alle neun staatlichen Ar- erhaltung/). chive tätig ist. Laura Scherr Insgesamt hat sich der außertourliche Einsatz aller Mitarbeiterinnen an diesem Sonntag gelohnt und die so wichtige Aufgabe der Bestandserhaltung konnte wieder ein bisschen weiter in den Fokus der Europäischer Tag der Restaurie- Öffentlichkeit gerückt werden. Auch für den dritten rung: Beitrag des Bayerischen „Europäischen Tag der Restaurierung“ am 11. Ok- tober 2020 plant die Restaurierungswerkstatt des Hauptstaatsarchivs Hauptstaatsarchivs eine Teilnahme. Unter dem Motto „Sehen, was man sonst nicht Katrin Marth sieht“ fand am 13. Oktober 2019 zum zweiten Mal Nachrichten • Nr. 78/2020 55 Kongress der iADA in Warschau hafte Erhebungen startete das Vortragsprogramm. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Vom 23. bis 27. September 2019 fand der 14. Kon- Vortrag der Restauratorin Cristina Duran-Casablan- gress der iADA (Internationale Arbeitsgemeinschaft cas „Linking the pieces: Systems modelling for de- der Archiv-, Bibliotheks- und Graphik­restauratoren) cision support in preservation management“. Das im Warschauer POLIN Museum (Museum der sich noch in der Entwicklung befindliche Programm Geschichte der Polnischen Juden) statt. Die Kon- simuliert die Auswirkung von bestandserhalteri- gresse werden alle vier Jahre veranstaltet und schen Entscheidungen auf die Bestände im Be- gehören mittlerweile zum Pflichtprogramm für zug auf Erhaltung, Zugänglichkeit und Kosten. Es alle Papier- und Grafikrestaurator*innen, um auf könnte in Zukunft dazu beitragen, Entscheidungen dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben stärker auf Basis der real zur Verfügung stehenden und den fachlichen Austausch mit Kolleg*innen Mittel zu treffen bzw. den Mitteleinsatz besser zu über die Ländergrenzen hinweg zu pflegen. Von planen. Bestandserhaltungsplanung auf Bestands­ den ca. 460 Teilnehmer*innen kam knapp die ebene stand auch im Fokus mehrerer Vorträge Hälfte aus dem deutschsprachigen Raum, einige rund um stichprobenhafte Erhebungen, wie das in Teilnehmer*innen reisten sogar aus China, Aus- den Niederlanden weiterentwickelte und auf Archi- tralien oder Indien an. Mit 66 Vorträgen an vier tekturpläne angepasste UPAA (universal procedure Tagen war wie immer ein straffes, aber spannend for archive assessment). breit gefächertes Vortragsprogramm geboten, das Daneben wurden viele wiederkehrende restaura- neben Fragestellungen aus Restaurierung und torische Fragestellungen und Lösungsansätze the- Konservierung auch angrenzende Themen wie Be- matisiert, u.a. die Entfernung von Klebestreifen, standserhaltungsmanagement oder Depotverwal- die Reduzierung von Wasserflecken unter Einsatz tung in den Blick nahm. von Gelkompressen oder die Herstellung translu- Mit gleich mehreren Vorträgen zu computerge- zenter Materialien zur Rissverklebung an Transpa- stützter, strategischer Bestandserhaltungsplanung rentplänen. Der Beitrag von Johanna Ziegler „Tes- sowie zur Schadenserfassung durch stichproben- ting aquazol. An evaluation of its suitability for the use in paper conservation“ stellte das relativ neue Klebemittel Aquazol und dessen Anwendungsge- biet in der Papierrestaurierung vor. Es eignet sich aufgrund positiver (Alterungs-) Eigenschaften und seiner Opazität für die Rissverklebung an trans- parenten und glatten Papieren, weist jedoch auch nachteilige Eigenschaften auf und kann zudem nur bei stabilen Klimabedingungen eingesetzt werden. Auch der Einsatz von Nanozellulose war wieder Thema und wurde u.a. in Bezug auf brandgeschä- digte Papiere untersucht. Seit langem ist zudem die Untersuchung von Eisengallustinte und ihrer Abbaumechanismen ein Kernthema in der Fach- welt. 2019 beschäftigten sich mehrere Vorträge mit dem Einsatz der Röntgenfluoreszenzanalyse zur Untersuchung und Differenzierung anhand des sogenannten Fingerprints der Tinte. Grzegorz Nehring fand dabei heraus, dass das historische Tintenbehältnis die Ergebnisse beeinflussen und verfälschen kann. Auch das Thema Bleichen wurde schon häufiger auf den iADA-Kongressen thematisiert und disku- tiert, so auch diesmal. Ute Henniges berichtete über die Ergebnisse einer Umfrage zur Nutzungs- Gastgeber der Tagung war das POLIN Museum (Foto: Ann- häufigkeit und Anwendung der bekannten Bleich- Kathrin Eisenbach, Bayerisches Hauptstaatsarchiv). mittel durch Restaurator*innen in Deutschland. 56 Nachrichten • Nr. 78/2020

Benjamin Kirschner stellte dagegen unter dem Bestandserhaltung beginnt also nicht erst im Ar- Vortragstitel „Light emitting diodes (LED). A new chiv, sondern bereits in den Registraturen! Auch source of radiation for light bleaching of paper“ die Registrator*innen bzw. die Leiter*innen der eine neu entwickelte Methode zur Lichtbleiche auf Amtsverwaltungen der abgebenden Behörden Grundlage von LEDs vor. LEDs erlauben eine inten- müssen auf den aktuellen Wissensstand in Sa- sive und kontrollierte Bestrahlung, die ohne die ne- chen Schadensprävention gebracht und in geeig- gativen Aspekte anderer Lichtquellen auskommt. neten und machbaren Präventionsmaßnahmen Das Bleichen erfolgt hier in einem verdünnten Cal- geschult werden. In Kooperation mit dem Staatsar- ciumhydroxidbad und mittels 64 LED-Lampen. Die chiv München hat die Restaurierungswerkstatt des Methode zeigt in den Testläufen vielversprechende Bayerischen Hauptstaatsarchivs eine entsprechen- Resultate. de Schulung fachlich konzipiert und durchgeführt. Trotz der Vielfalt an Vorträgen gab es nach jedem Die Schulung sollte nicht nur theoretisches Fach- Vortrag Zeit für Publikumsfragen oder Anmerkun- wissen vermitteln, sondern die Teilnehmenden in gen und auch die Pausen sowie Postersessions Kleingruppen auch ganz praktisch an die Themen wurden intensiv für den Austausch genutzt. Eine ei- heranführen. Aufgrund des großen Interesses wur- gene Verkäufersession bot zudem die Möglichkeit, de die Veranstaltung an zwei Terminen im Septem- sich bei den Spezialanbietern über neue Produkte ber und Oktober 2019 angeboten. Insgesamt nah- und Materialien zu informieren. Der letzte Tagungs- men 43 Personen aus 26 Behörden teil. tag war für Workshops und Führungen reserviert. Auch hier wurde eine große Bandbreite geboten: Das Angebot erstreckte sich von praktischen Kur- sen zum Kleisterkochen auf japanische Art oder Ergänzungstechniken mit Papierpulpe, über Unter- suchungstechniken wie GC/MS oder Microfading Tests bis hin zu klassischen Führungen durch pol- nische Institutionen. Ann-Kathrin Eisenbach

Schulung Schädlings- und Schim- melprävention in Registraturen Reinigung von verschmutztem Archivgut. Josefine Echens­ perger, Restaurierungswerkstatt des Bayerischen Haupt- Neben Dauerherausforderungen wie dem säurebe- staatsarchivs, demonstriert die konservatorische Behand- dingten Zerfall moderner Papiere sind in der archi- lung unter der reinen Werkbank (Foto: Elisabeth Miletic, vischen Bestandserhaltung in letzter Zeit vor allem Bayerisches Hauptstaatsarchiv). zwei Themen bestimmend gewesen: Die lange un- terschätzte Belastung von Archivgut mit Staub und Die beiden Themenblöcke „Schimmel“ und „Pa- Schimmel und das Auftreten des Papierfischchens pierfischchen“ wurden je in einem fachlichen Vor- als neuem, schwer zu bekämpfenden Archivschäd- trag und einem praktischen Kursmodul behandelt. ling. Beide Themen sind miteinander verknüpft: Zum Bereich Schimmel wurden praktische Fälle Schlechte klimatische Bedingungen und eine hohe von Verschmutzung und Schimmelbefall gezeigt. Staubbelastung begünstigen sowohl die Schim- Erkennung und Bestimmung wurden ebenso ge- melbildung als auch Schädlingsbefall und beide übt wie die konservatorische Reinigung unter einer entstehen nicht erst im Archiv. Archivgut hat immer reinen Werkbank. Demonstrationen der speziali- schon eine längere Lagerzeit als Registraturgut bei sierten Restaurierungstechniken, mit denen auch den Behörden hinter sich, wenn es übernommen stark schimmelgeschädigte Einzelstücke wieder wird. Somit ist der Vorzustand entscheidend für benutzbar gemacht werden können, rundeten den die Aufwände, die im Archiv entstehen, und für die Themenblock ab. Zum Schädlingsproblem wurden Möglichkeiten, bereits eingetretene Schäden zu gefangene Papierfischchen sowie gängige Fallen- begrenzen und zu beheben. modelle gezeigt und die Verwendung geübt. Vor dem fachlichen Hintergrund des IPM (Integrated Nachrichten • Nr. 78/2020 57

Das Papierfischen. Ann-Kathrin Eisenbach, Restaurierungswerkstatt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, zeigt ein lebend gefangenes Papierfischchen (Foto: Elisabeth Miletic, Bayerisches Hauptstaatsarchiv).

Pest Management – Integriertes Schädlingsma- gen und Organisationsreferate. Es bleibt zu hoffen, nagement) wurden dabei Techniken der Überwa- dass Staatsarchiv und Restaurierungswerkstatt chung und der Vorsorge besprochen, die zunächst mit ihrem Anliegen auf der Arbeits- wie auf der Or- ohne giftige Bekämpfungsmittel auskommen und ganisationsebene Gehör gefunden haben. an die fachlich-technischen Möglichkeiten vor Ort Julian Holzapfl angepasst werden können. Generell war es erklär- tes Ziel der Schulung, nicht an den lokalen Gege- benheiten vorbei über ein fachliches Maximalpro- gramm zu dozieren, sondern vielmehr mit Prob- lembewusstsein, praktischem Wissen und niedrig- schwelligen Maßnahmen dem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Im Nachgang zur Schulung hat sich das Staatsar- chiv München nochmals mit einem Schreiben an die Abgabebehörden gewandt, um die Ergebnisse in Erinnerung zu rufen und die Umsetzung anzure- gen. Besonders ging es auch um die Eignung von Registraturräumen im Hinblick auf Temperatur und Feuchtigkeit. Die fachgerechte Verwahrung archivwürdigen Schriftguts beginnt mit geeigneten Räumlichkeiten und über diese entscheidet meist Papierfischen in einer Lebendfalle (Foto: Restaurierungs- nicht das Registraturpersonal, sondern Amtsleitun- werkstatt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs). 58 Nachrichten • Nr. 78/2020 Fotografien – ein besonderer Be- rung von Fotomaterial bedarf spezieller Kenntnisse reich der Bestandserhaltung zu Material, Aufnahmetechnik und Chemie. Angesichts der Masse an behandlungsbedürftigem Audiovisuelles Archivgut, wie z.B. Fotografien, ist Fotomaterial hatte das Werkstatt-Team daher seit ein in vielerlei Hinsicht nicht unproblematischer Langem den Wunsch nach einer intensiven Fort- Bereich der archivischen Bestandserhaltung. Ei- bildung auf diesem Gebiet, der im Oktober 2019 nerseits sind diese im wahrsten Sinne des Wor- erfüllt werden konnte. Um möglichst vielen Team- tes anschaulichen Dokumente aufgrund der den mitgliedern die Teilnahme an der Schulung zu er- Aufnahme- und Entwicklungsverfahren zu Grunde möglichen, wurde kein externes Angebot gewählt, liegenden chemischen Prozesse, Medien, die sich sondern eine Dozentin in die Werkstatt des Bayeri- den in Archiven üblichen Definitionen von „Dauer“ schen Hauptstaatsarchivs eingeladen. Gewonnen widersetzen. Eine Konservierung für die weitere werden konnte für diesen zweitägigen Workshop Zukunft ist nur möglich durch eine Transformation Dipl. Ing. Marjen Schmidt, eine absolute Koryphäe in ein anderes Medium, sprich eine Digitalisierung. auf dem Gebiet der Fotorestaurierung und Auto- Gleichzeitig sollte es natürlich das erklärte Ziel rin zahlreicher Fachbücher zu diesem Thema. Die sein, solange wie möglich die ursprünglichen Trä- Konservierung und Restaurierung fotografischer ger bestmöglich zur erhalten. Hier sind adäquate Materialien ist dabei der Schwerpunkt ihrer Tätig- Lagerungsbedingungen von zentraler Bedeutung. keit und sie fungiert zudem als öffentlich bestell- Hinzu kommen – im Schadensfall – Eingriffsmög- te und vereidigte Sachverständige für Fotografie­ lichkeiten einer Restaurierungswerkstatt. Für die restaurierung. Zum Aufgabenspektrum gehört da- Restaurierungswerkstatt des Hauptstaatsarchivs her die Anfertigung von Schadensgutachten, die wären alle Arten von Fotografien, von den ersten Veranstaltung von Workshops zu Identifizierung Daguerrotypien bis hin zum modernen Farbfotoab- fotografischer Verfahren sowie zur Archivierung zug, somit immer wieder Teil des Alltagsgeschäfts. und Konservierung, die Sammlungs- und Ausstel- Ja, tatsächlich, sie „wären“ es, denn die Restaurie- lungsbetreuung und Beratung zu präventiver Kon- servierung. Der Ablauf des zweitägigen Workshops orientierte sich an der historischen Entwicklung der Fotografie mit Ausblicken in die neuzeitliche Entwicklung von digitalen Drucken. Anhand einer breit gefächerten Mustersammlung der Referentin konnten die ver- schiedenen fotografischen Produkte auch vor Ort angeschaut und untersucht werden. Voraussetzung für den korrekten konservatori- schen Umgang mit Fotografien ist die Identifizierung ihres Herstellungsverfahrens. Dabei werden unter- schiedlichste Merkmale zu Rate gezogen: Handelt es sich um einen Druck oder eine Fotografie? Positiv oder Negativ? Einfarbig oder mehrfarbig? Welche lichtempfindliche Substanz wurde verwendet? Um welche Trägermaterialien und Bindemittel handelt es sich? Wie sind Oberfläche und Farbton beschaf- fen? Auch Format, Beschriftungen und nicht zuletzt Schadensbilder können Aufschluss über das Ver- fahren geben. Viele der Merkmale sind bei einer visuellen Untersuchung und unter dem Mikroskop erkennbar, für einige der Fragestellungen müssen chemische oder instrumentelle Untersuchungsver- fahren hinzugezogen werden. Die Identifizierung der lichtempfindlichen Substanz beispielsweise Sichtung von Fotografien am Mikroskop (Foto: Restaurie- kann mit energiedispersiver Röntgenspektrosko- rungswerkstatt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs). pie erfolgen. Die zweifelsfreie Unterscheidung von Nachrichten • Nr. 78/2020 59

Workshop des Werkstatt-Teams der Restaurierungswerkstätte des Bayerischen Hauptstaatsarchivs mit Dozentin Dipl. Ing. Marjen Schmidt (Mitte) (Foto: Elisabeth Miletic, Bayerisches Hauptstaatsarchiv).

Celluloseacetat und -nitrat erfordert dagegen den ginalmaterial beim Übergang von kalter Lagerung Einsatz von Infrarotspektroskopie. zu Raumtemperatur stark geschädigt wird. Insbe- sondere bei mehrschichtigen Fotografien führen Aufgrund ihrer Herstellungsart sind die meisten Klimaschwankungen zu einer starken mechani- Negative und Positive stark feuchtigkeitsempfind- schen Beanspruchung des Materials. Und auch lich und sollten daher ausschließlich mit Hand- Luftschadstoffe, die beispielweise aus Holzregalen schuhen angefasst werden. Die angemessene oder ungeeigneten Verpackungsmaterialien ent- relative Luftfeuchtigkeit liegt dementsprechend weichen, können zu diversen Schäden wie Verfär- im Bereich von 30–50 % rF bei kühleren Tempe- bungen, Ausbleichen und Verspröden führen. raturen. Bei zu hoher Luftfeuchtigkeit wird die Ge- latineschicht klebrig und kann sich mit dem direk- Der Kurs machte eindrücklich klar, wie wichtig die ten Verpackungsmaterial irreversibel verbinden. präventiven Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Zudem werden biologische Schäden begünstigt: Fotografien sind. Die Mehrzahl der Schäden an Schimmel und Insektenfraß können Fotografien Fotografien ist irreversibel, nicht restaurierbar. So mit hygroskopischer Bildschicht unwiederbringlich widmete sich ein Großteil des Workshops den rich- zerstören. Schimmelschäden zeigen sich durch tigen Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Ori- weißlichen, gräulichen oder auch farbigen Belag ginale. Entgegen üblicher Vorgaben bei papierba- auf der Oberfläche der Fotografie; schimmelige sierten Archivalien sollte bei fotografischen Materi- Fotos müssen separiert werden, bis konservatori- alien grundsätzlich auf eine alkalische Reserve im sche Maßnahmen durchgeführt wurden. Ein weite- Verpackungspapier verzichtet werden. Bestimmte rer Bereich ist die Attraktivität für Schädlinge: Vor Fotografien können durch den Kontakt verbleichen allem Silber- oder Papierfischchen fressen liebend oder vergilben. Nur Materialien, die den Photogra- gerne die Gelatineschicht von Fotografien ab, bis phic Activity Test (PAT) bestanden haben, sind nach die Bildinformation vollständig verloren ist und nur ISO 18916 geeignet. noch die darunterliegende weiße Barytschicht zu Die zweitägige In-House-Schulung verlief in einer sehen ist. sehr angenehmen und kollegialen Atmosphäre, Die genauen klimatischen Idealbedingungen kön- die viel Raum für die speziellen Fragen aus dem nen je nach Verfahren unterschiedlich sein: Ins- restauratorischen Alltag im Archiv bot. Fotografi- besondere Negativmaterialien und empfindliche en werden in all ihren Ausformungen immer eine Farbfotografien sollten kalt (0 bis 8°C) oder unter Besonderheit für das Werkstattteam bleiben, aber Null (-20 bis 0°C) gelagert werden. Bei einer sol- die Schulung hat für deutlich verbesserte Grundla- chen Lagerung ist zu beachten, dass geeignete gen bei der Erkennung und Behandlung typischer „Klimaschleusen“ für Aushebevorgänge zur Ver- Schäden gesorgt. fügung stehen – diese verhindern, dass das Ori- Katrin Marth, Ann-Kathrin Eisenbach 60 Nachrichten • Nr. 78/2020

Notfallvorsorge

Bergungsübung des Notfallverbun- des Augsburg mit dem THW

Dem Kulturgutschutz verpflichtet, gründeten Augsburger Archive, Bibliotheken und Museen im Frühjahr 2015 den ersten Notfallverbund in Bay- ern (http://notfallverbund-augsburg.de). Die Mit- glieder des Verbundes leisten sich gegenseitig im Schadensfall schnelle und unbürokratische Hilfe und stellen bei Bedarf auch Personal- und Sach- mittel zur Verfügung. Zur Tätigkeit des Verbundes gehören außerdem regelmäßige Schulungen und Übungen seiner Mitglieder. Bereits im Herbst 2016 war eine Brandschutzunterweisung mit nachfol- gender Lösch- und Bergungsübung mit der Berufs- feuerwehr Augsburg abgehalten worden. Bei der diesjährigen Übung ging es um die Kooperation mit dem THW.

Dokumentation und Erstversorgung des Archivales durch Einstretchen in Folie für das spätere Einfrieren (Foto: Kerstin Lengger, Stadtarchiv Augsburg).

Staatsarchivs und Initiator der Übung Rainer Jed- litschka die weiteren Schritte, Einsatz von Personal und Material plante. Im Übungsszenario war die THW-Helferinnen bergen das Archivgut aus dem Regal Brandstelle durch die Feuerwehr gerade freige- (Foto: Dieter Seebach, OV THW Augsburg). geben worden. Es galt nun, die durch Feuer und „Unterstützung bei der Bergung von Kulturgut nach Löschwasser in Mitleidenschaft gezogenen Archi- Brand im Staatsarchiv Augsburg“ – so lautete die valien zu bergen. Dabei handelte es sich um etwa Meldung, mit der das Technische Hilfswerk (THW), 400 vorbereite Stülpdeckelkartons mit Stampfgut, Ortsverband Augsburg, am Morgen des 28. Sep- d.h. zu vernichtenden Unterlagen, sowie einzelne tember 2019 alarmiert wurde. Glücklicherweise großformatige Bände und gerollte Pläne. Diese handelte es sich nur um eine Übung des Notfall- waren aus dem dritten Magazingeschoss des Er- verbundes Augsburg in Zusammenarbeit mit dem weiterungsbaus des Staatsarchivs ohne Aufzug zu THW. Dort fand die Übung im Rahmen des internen bergen. Dazu kam noch etwas vorab in Wannen ge- monatlichen Ausbildungsdienstes statt, allerdings wässertes Archivgut im Erdgeschoss des Bestands- mit der Besonderheit, dass sie nicht angekündigt magazins, um den Umgang mit durchnässtem Kul- wurde und nur ein kleiner Personenkreis des Orts- turgut üben zu können. verbandes eingeweiht war. Das THW stellte zwei Bergungsgruppen sowie Als erstes schickte das THW einen Zugführer, der durch die Fachgruppe Logistik ein großes Zelt, Bier- sich vor Ort einen Überblick verschaffte und in bänke, Paletten und Gitterboxen für die einzurich- Rücksprache mit dem Notfallbeauftragten des tende Dokumentationsstelle des Notfallverbundes. Nachrichten • Nr. 78/2020 61

Ein Mannschaftstransport- wagen, zwei Gerätekraftwa- gen, ein Mannschaftslastwa- gen und ein LKW Kipper mit Ladekran waren innerhalb kürzester Zeit mit insgesamt 28 Helfer*innen und Materi- al vor Ort. Die Helfer*innen wurden für eine Bergungs- kette vom Magazinregal im Obergeschoss über das Treppenhaus hinunter und hinaus auf den Parkplatz eingeteilt, wo bereits weitere Helfer*innen des THW das Zelt aufbauten. Zügig begann die Bergung der Archivalien in Kunststoffwannen, die auf dem Parkplatz vor dem Zelt auf Paletten gestapelt wur- den. Im Magazin stand ein Mitglied des Notfallteams Fotodokumentation mit Smartphone des Staatsarchivs als Ansprechpartner für das (Foto: Kerstin Lengger, Stadtarchiv Augsburg). THW zur Verfügung. Alles lief beeindruckend routi- niert und professionell ab.

Die Helferinnen und Helfer vom THW und Notfallverbund Augsburg (Foto: Dieter Seebach, OV THW Augsburg). 62 Nachrichten • Nr. 78/2020 Inzwischen waren auch die 18 Helfer*innen des Notfallvorsorge und -bewältigung Notfallverbundes eingetroffen. In wechselnden in tschechischen Archiven Dreierteams eingeteilt, machten sie sich an die weitere Bearbeitung des Bergungsgutes. Dazu hat- Im Rahmen des gegenseitigen Austauschpro- te das THW im Zelt Biertische aufgestellt. Daran gramms zwischen dem Bundesarchiv und der wurden Folienabroller aus den Notfallboxen und Abteilung für Archivverwaltung und Archivierungs- vorbereitete Merkblätter des Verbundes zum Work- dienste im tschechischen Innenministerium konn- flow befestigt: die geborgenen Akten, Bände und te Rainer Jedlitschka vom Staatsarchiv Augsburg Pläne sollten zunächst mit fortlaufender Nummer im Zeitraum vom 30. September bis 4. Oktober in einer Liste und mit mindestens einem Digitalfoto 2019 das Nationalarchiv (Národní archiv České mittels Smartphone dokumentiert werden. Vorbe- republiky) in Prag besuchen. Dort hatte der Notfall- reitete Zählkarten, die auf oder neben das gebor- beauftragte des Staatsarchivs die Möglichkeit, sich gene Objekt gelegt werden konnten, gewährleiste- mit den tschechischen Kolleg*innen über die Not- ten die eindeutige Zuordnung. Je nach vorgenom- fallvorsorge und -bewältigung auszutauschen. mener Kategorisierung (trocken – feucht – nass) waren die Objekte anschließend so mit Stretchfo- Dieses Thema ist in Tschechien nach der Jahrhun- lie zu verpacken, dass man sie in Gitterboxen – je dertflut vom August 2002 sehr aktuell geworden. nachdem – zur Einlagerung in Gefrieranlagen oder Moldau und Elbe traten über die Ufer, zerstörten direkt für eine Restaurierung in eigenen Werkstät- Häuser und Straßen, brachten Brücken zum Ein- ten abtransportieren könnte. Gefrorenes Archivgut sturz und verwüsteten ganze Dörfer. Besonders könnte dann später nach einer Vakuum-Gefrier- hart traf es damals die Hauptstadt Prag, weite Tei- trocknung restauriert werden. Trockenes Material le der Stadt standen unter Wasser. Auf diese Wei- würde in ein Asylarchiv verbracht. Die Helfer*innen se mussten die Mitarbeiter*innen der betroffenen des THW waren mit der Bergung erstaunlich rasch Kulturinstitutionen viel Erfahrung im Umgang mit fertig, eine ermutigende Erfahrung für den Ernst- wassergeschädigtem Archiv- und Bibliotheksgut fall. Es wurde auch deutlich, dass die Dokumenta- sammeln. tion und Erstversorgung der Objekte, wie nicht wei- Dr. Benjamin Bartl, der Leiter des Bereichs Be­ ter verwunderlich, deutlich mehr Zeit beansprucht. standser­ haltung im Nationalarchiv, stand als äu- Eine Person sollte am Ort der Erstversorgung ein- ßerst zuvorkommender Betreuer während des deutige Anweisungen geben. Alle Helfer*innen des gesamten Aufenthaltes zur Verfügung. Einleitend Notfallverbundes konnten in ihren Teams wertvolle gab Prof. Dr. Ing. Michal Ďurovič, früher am Natio- Erfahrungen sammeln. Eine gemeinsame Brotzeit nalarchiv, heute an der Universität für Chemie und schloss die erfolgreiche Übung ab. Technologie in Prag, einen Überblick über die Er- Ziel war es gewesen, das THW als Partner für den fahrungen aus der Flutkatastrophe von 2002, die Kulturgutschutz in Augsburg zu gewinnen und die internationale Zusammenarbeit bei deren Bewälti- technische und personelle Unterstützung des Not- gung sowie die organisatorischen und technischen fallverbundes für den Ernstfall zu trainieren. Außer- Mittel zur Rettung des zum Teil stark geschädigten dem war es ein wichtiges Anliegen, die Abläufe bei Kulturgutes. So wurden in Tschechien insbeson- der Bergungsdokumentation abzustimmen. Auch dere unterschiedliche Methoden der Trocknung wenn diese an manchen Stellen noch verbessert von nassem oder feuchtem Archivgut in der Praxis werden können, wurde von den Teilnehmer*innen erprobt und deren Auswirkungen auf physische, des Notfallverbundes ein sehr positives Fazit gezo- chemische und mikrobiologische Eigenschaften gen. Auch das THW war äußerst zufrieden mit dem des Materials untersucht. Prof. Ďurovič erläuterte koordinierten Ablauf der Übung. den Einsatz von Heißluft, Vakuumgefriertrocknung, feuchter Hitze, normaler Lufttrocknung, Vakuum- Dem THW und seinen ehrenamtlichen Helfer*innen, trocknung, Vakuumverpackung sowie Mikrowel- die eindrucksvoll organisiert, professionell, aber len. auch mit großem Interesse am Thema der Bergung von Kulturgut ans Werk gingen, sei an dieser Stelle Anschließend ging es um Alarmpläne und präventi- für ihre ausgezeichnete Unterstützung noch einmal ve Übungen in den Archiven. Von Seiten der tsche- herzlich gedankt chischen Kolleg*innen bestand großes Interesse an der Arbeit von Notfallverbünden, die dort bisher Rainer Jedlitschka nicht existieren. Hier konnte der Gast aus Bayern Nachrichten • Nr. 78/2020 63

Nationalarchiv in Prag, vorne der Verwaltungsbau, hinten das Magazin (Foto: Rainer Jedlitschka, Staatsarchiv Augsburg).

über den Augsburger Verbund sowie die mit die- sem in den letzten Jahren durchgeführten zwei gro- ßen Bergungsübungen mit Feuerwehr und Techni- schem Hilfswerk (THW) berichten. Die Möglichkeit der Unterstützung durch das THW rief Bewunde- rung hervor. Denn eine vergleichbare Organisation gibt es in Tschechien nicht. Auch eine Führung durch das Hauptgebäude des Nationalarchivs, das sich im ehemaligen Prager Vorort und heutigen Stadtteil Chodovec am süd- lichen Rand der Stadt befindet, stand auf dem Programm. Der Grundstein zum Funktionsbau mit einer auffälligen Magazinfassade — blaue, spie- gelnde Platten im oberen Drittel, darunter Farb- bänder in Rot, Gelb, Orange, Blau und Grün auf weißem Hintergrund und Haubendächer auf den Treppentürmen — wurde 1992 gelegt. Die offizielle Dekontaminationsanlage für Archiv- und Bibliotheksgut Eröffnung des Hauses erfolgte nach abgeschlosse- im Nationalarchiv (Foto: Rainer Jedlitschka, Staatsarchiv nem Umzug der Archivbestände aus den früheren Augsburg). Standorten nach Chodovec im September 2001. Die Klimaanlage und stationäre Feuerlöschan- sorgfältig überwacht werden. Dieses massentaug- lage des Nationalarchivs überwacht eine Firma, liche Verfahren erwies sich besonders nach dem die dazu einen Kontrollraum im Gebäude nutzt. Hochwasser von 2002 als äußerst hilfreich, und so Als Löschmittel wird Inergen eingesetzt, ein Gas- wird die Anlage heute auch von externen Institutio- gemisch aus Argon, Stickstoff und Kohlendioxid, nen genutzt. das in Flaschen in einem Kellerraum vorgehalten wird. In ihrer Größe und Technik beeindruckend Um den Umgang mit wassergeschädigtem Archiv- ist die ebenfalls in Chodovec installierte Dekonta- gut in der Praxis aufzuzeigen, hatte Dr. Bartl zwei minationsanlage für z.B. mit Schimmel befallenes weitere Kulturinstitutionen im Stadtgebiet ausge- Archiv- und Bibliotheksgut. Dieses wird in fahrbare wählt. Zunächst wurde das Nationale Technikmu- Gitterboxen geschichtet und in der geschlossenen seum (Národní technické muzeum) besucht. Sitz Anlage mit Ethylenoxidgas behandelt. Ethylenoxid dieses 1908 gegründeten Museums ist seit 1941 ist ein farbloses, hochentzündliches und auch für ein monumentales, funktionalistisches Gebäude Menschen giftiges Gas, das Bakterien, Viren und unweit des Letná-Parks nordwestlich des Stadt- Pilze abtötet. Der Sterilisationsprozess muss daher zentrums. Es verfügt über umfangreiche Sammlun- gen, die die Entwicklung der Technik, der Naturwis- 64 Nachrichten • Nr. 78/2020

Oben: Trockenkammer in der Nationalbibliothek mit Dr. Neu- virt, Dr. Vavrova und Dr. Bartl (v.l.n.r.) rechts: Innenansicht (Stapel mit unterschiedlichen Formaten) (Fotos: Rainer Jedlitschka, Staatsarchiv Augsburg). senschaften und der Industrie dokumentieren. Da- neben besitzt es äußerst bedeutende archivische Bestände zur Architektur- und Technikgeschichte. Etwa 200 Kubikmeter dieses Archivguts waren 2002 ebenfalls durch das Hochwasser geschädigt worden. Die Leiterin der Abteilung für Trocknung und Restaurierung wassergeschädigter Archivalien Frau Ing. Kateřina Šupová führte durch die Werk- stätten ihres Hauses und stellte die dort verwende- ten Arbeitsmethoden zur Trocknung von Archivgut vor. Für die zweite Besichtigung war die berühmte Nati- onalbibliothek der Tschechischen Republik (Národ- ní knihovna České republiky) ausgewählt worden. Deren Hauptsitz befindet sich im historischen Ge- bäude des Clementinums im Zentrum von Prag, ei- nem ehemaligen Jesuitenkolleg. Dort wird etwa die Hälfte des Bücherbestandes aufbewahrt. In einem neuen Magazin- und Technikgebäude im Stadtteil Hostivař im Südosten Prags befinden sich neben der anderen Hälfte der Bestände technische Ein- richtungen und Labore. Dort erläuterte Frau Dr. Pe- Nachrichten • Nr. 78/2020 65 tra Vavrova, die Leiterin der Abteilung für Entwick- Archivabteilung des tschechischen Innenministeri- lung und Forschungslaboratorien, zunächst die ums. Die großzügige Gastfreundschaft der tsche- Notfallplanung. Anschließend führte Dr. Jiři Neuvirt chischen Kolleg*innen sowie besonders die kom- die von ihm in den Jahren 2003 bis 2005 kon­ petente und freundliche Betreuung durch Dr. Bartl struierte, universell einsetzbare Trockenkammer ermöglichten einen sehr fruchtbaren Aufenthalt für flutgeschädigtes Archiv- und Bibliotheksgut vor. in Prag mit vielerlei neuen Einblicken, kollegialem Die Konstruktion erinnert auf den ersten Blick an Austausch und mancher Anregung für die Notfall- ein Kleinst-U-Boot. An einen Zylinder aus rostfrei- vorsorge und -bewältigung im Archivwesen. em Stahl mit einem Durchmesser von 1,4 m und Rainer Jedlitschka einem Volumen von 3,3 Kubikmetern lassen sich mit Hilfe eines Schwenkkranes an beiden Enden halbrunde Stahlkappen mit aufgesetzten Sicht- fenstern luftdicht ansetzen. Die Anlage ermöglicht drei unterschiedliche Methoden, Material zu trock- Notfallverbünde Bamberg und nen: Vakuumtrocknung, Vakuumgefriertrocknung Amberg – Sulzbach-Rosenberg und Trocknung der Materialien in einer Atmosphä- gegründet re kontrollierter Feuchte. Um eine Verformung von Archivalien oder Büchern während der Behandlung Nach den Notfallverbünden Augsburg (gegründet zu vermeiden, werden diese vertikal gestapelt. Zwi- 2015), München (gegründet 2016) sowie Nürn- schen den Stapeln befinden sich innovative Heiz- berg (gegründet 2016) wurden 2019 neue Verbün- kacheln unterschiedlich wählbarer Größe, die eine de in Landshut (vgl. Nachrichten Nr. 77/2019, S. unabhängige Steuerung der Temperatur für jeden 44f.), Bamberg und Amberg – Sulzbach-Rosenberg Stapel erlauben. ins Leben gerufen. Herzlicher Dank für Vorbereitung und Organisation Die Generaldirektorin der Staatlichen Archive, des Besuchs gebührt Frau Ilona Dostálová von der Dr. Margit Ksoll-Marcon, der Oberbürgermeister der Stadt Bamberg, Andreas Starke, der General- vikar des Erzbistums Bamberg, Monsignore Georg Kestel, der Präsident der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert, und die Leiterin der Staatsbibliothek Bamberg, Bibliotheksdirektorin Prof. Dr. Bettina Wagner, un- terzeichneten am 14. Oktober 2019 im Stadtarchiv Bamberg die Vereinbarung zur gegenseitigen Un- terstützung der Bamberger Archive, Bibliotheken und Museen in Notfällen („Notfallverbund Bam- berg“). Die Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstüt- zung der Archive und Bibliotheken in Amberg und Sulzbach-Rosenberg in Notfällen („Notfallverbund Amberg – Sulzbach-Rosenberg“) wurde von Ge- neraldirektorin Dr. Ksoll-Marcon, stellvertretend für den Amberger Oberbürgermeister vom 2. Bür- germeister der Stadt Amberg Martin Preuß, dem Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, Dr. Klaus Ceynowa, und dem 1. Vorsitzenden des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg e.V., PD Dr. habil. Heribert Tommek am 15. November 2019 im Staatsarchiv Amberg unterzeichnet. Schwindende Magazinkapazitäten zwingen Archi- ve, Ausweichdepots anzumieten. Durch ihre dezen- Rainer Jedlitschka M.A. und Dr. Benjamin Bartl vor dem trale Lage sind Depots häufig nicht dauerhaft per- Nationalarchiv. sonell besetzt, werden schlechter überwacht und 66 Nachrichten • Nr. 78/2020

Unterzeichnung der Notfallvereinbarung am 15. November 2019 im Staatsarchiv Amberg. V.l.n.r.: PD Dr. habil. Heribert Tommek (1. Vorsitzender des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg e.V.), Dr. Margit Ksoll- Marcon (Generaldirektoin der Staatlichen Archive), Martin Preuß (2. Bürgermeister der Stadt Amberg), Dr. Klaus Ceynowa (Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek) (Foto: Andrea Meier, Staatsarchiv Amberg). weniger intensiv in die Notfallplanung einbezogen. Vergangenheit sorgten in mehreren bayerischen Umso wichtiger ist es, dass zum Notfallverbund Adelsarchiven für Havarien, die mit vereinten Kräf- Amberg – Sulzbach-Rosenberg ausdrücklich auch ten bewältigt werden konnten. Glücklicherweise das Depot des Staatsarchivs Amberg in Sulzbach- mussten die an bayerischen Notfallverbünden be- Rosenberg gehört und in Übungen und Planungen teiligten Institutionen bisher keine wirklich großen des Verbundes einbezogen wird. Alle Notfallver- Notfälle bewältigen. Nach wie vor in Erinnerung ist bünde stehen weiteren Kulturinstitutionen für eine vielen der Brand der Burg Trausnitz in Landshut künftige Zusammenarbeit offen. am 21. Oktober 1961, der das zu der Zeit dort un- tergebrachte Staatsarchiv Landshut schwer in Mit- Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Mitarbei­ ­ leidenschaft zog. Die bayerische Archivverwaltung ter*innen der einzelnen Einrichtungen bei großen musste damals eigene Erfahrungen mit einer gro- Schadensereignissen ohne externe Hilfe oftmals ßen Brandkatastrophe und Schäden an Archivalien überfordert sind. Große Katastrophen wie das Elb- und Bausubstanz machen. hochwasser 2002, der Brand in der Weimarer Her- zogin Anna Amalia Bibliothek 2004 oder der Ein- Johannes Staudenmaier, Erwin Stoiber, sturz des Historischen Archivs der Stadt Köln 2009 Laura Scherr haben das eindringlich veranschaulicht. Starkre- gen und Hochwasserereignisse in der jüngeren Nachrichten • Nr. 78/2020 67

Aus- und Fortbildung

Archivarsaustausch der ARGE Alp: angenehme Arbeitsumgebung. Die Arbeiten selbst Zu Besuch im „Gedächtnis des Kan- werden mit einem hohen Anteil an Arbeitsteilung ausgeführt, die von technischen Assistent*innen, tons Zürich“ Buchbinder*innen sowie studentischen Hilfskräf- ten wahrgenommen werden. Der Anspruch der Gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft der Al- Abteilung ist es, nichts ins Magazin zu überneh- penländer (ARGE ALP) konnte im November 2019 men, was nicht zuvor begutachtet und in einen ein Besuch im Staatsarchiv des Kantons Zürich akzeptablen konservatorischen Zustand gebracht realisiert werden. Der Schwerpunkt lag dabei auf worden ist. Mit einem Durchsatz von ca. 300 bis dem fachlichen Austausch zwischen den Berei- 400 laufenden Metern pro Jahr kann diesem An- chen Archivtechnik / Bestandserhaltung des Bay- spruch gut entsprochen werden. Unterstützt wird erischen Hauptstaatsarchivs und des Züricher die „Handarbeit“ durch verschiedene technische Staatsarchivs. Die Referentin für Archivtechnik im Gerätschaften wie beispielsweise einer Nassbe- Bayerischen Hauptstaatsarchiv erhielt während handlungsstation, in der entsäuert und stabilisiert ihres Aufenthalts durch die hervorragende Betreu- werden kann. Hinzu kommt eine Anfasermaschi- ung tiefgehende Einblicke in den Arbeitsalltag der ne zur Ergänzung von Fehlstellen, wie sie auch im Schweizer Kolleg*innen.

Kunst am Bau im Staatsarchiv Zürich (Foto: Katrin Marth, Bayerisches Hauptstaatsarchiv).

Koordiniert wurde der Aufenthalt von Züricher Sei- Bayerischen Hauptstaatsarchiv im Einsatz ist. Zur te durch Dipl.-Rest. Ines Rauschenbach, die sich Grundausstattung gehören natürlich auch reine mehrere Tage Zeit nahm, ihre Abteilung „Bestän- Werkbänke sowie ein Klimaschrank zum Feuchten deerhaltung“ vorzustellen. Erst im Sommer 2019 und Glätten verschiedener Trägermaterialien. war die Restaurierungswerkstatt mit ihren bei- Ein besonderer Bereich dieser Abteilung ist die Be- den Teams „Lose Blatt“ und „Buch“ in die neuen treuung der umfangreichen AV-Medien-Sammlung, Räumlichkeiten im Staatsarchiv umgezogen. Die für die Romano Padeste M.Sc. verantwortlich ist. Werkstatt beeindruckt durch eine hervorragende Benutzer*innen dürfen im Lesesaal des Staats- technische Ausstattung und eine insgesamt sehr archivs selbst fotografieren, besondere Reproduk- 68 Nachrichten • Nr. 78/2020 tionswünsche werden jedoch zentral im hausei- Für den fachlichen Austausch, der über die Klärung genen Labor angefertigt. Hier werden zudem AV- einzelner, konkreter Fragen hinausgeht, ist der von Medien erschlossen und für die Präsentation im der ARGE Alp geförderte Archivarsaustausch ein Internet vorbereitet. Eine umfangreiche Sammlung äußerst wertvoller Weg. Auf beiden Seiten können an alten und modernen Abspielgeräten erleichtert Impulse aufgegriffen und bisherige Verfahrenswei- das Arbeiten. sen gegebenenfalls hinterfragt werden. Im Rah- men von „Best practice“-Strategien bleibt diese Die starke Arbeitsteilung spiegelt sich auch in den Möglichkeit hoffentlich im ARGE-ALP-Raum noch anderen Bereich des Staatsarchivs wider. So stell- lange erhalten. te Dr. Ralph Ruch die Abteilung „Überlieferungsbil- dung“ vor, die ausschließlich mit der Übernahme Katrin Marth von Registraturgut befasst ist. Die tatsächliche Erschließung erledigt die Abteilung „Aktenerschlie- ßung“ mit drei Teams, was von Monika Rhyner prä- sentiert wurde. Hier findet neben der Erschließung Hospitation im Institut für Erhal- auch die Vorbereitung der Magazinierung, also das tung von Archiv- und Bibliotheksgut Verpacken und Tektieren, des Archivgutes statt. Auch Altbestände werden zum Teil einer Revision in Ludwigsburg unterzogen, vergleichbar mit der in den Staatlichen Im November 2019 besuchte im Rahmen des von Archiven Bayerns vorgenommenen Provenienzana- der Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer (ARGEAlp) lyse. Hiermit beschäftigt sich die Abteilung „Nach- geförderten Archivarsaustauschs eine Mitarbeite- erschließung und Digitalisierung“. Wie der Name rin der Restaurierungswerkstatt des Bayerischen schon vermuten lässt, sind hier auch größere Di- Hauptstaatsarchivs das Institut für Erhaltung von gitalisierungs- und Editionsprojekte angesiedelt, Archiv- und Bibliotheksgut (IFE) in Ludwigsburg. An die Michael Schaffner näher erläuterte. Einen be- fünf Arbeitstagen konnten intensive Einblicke in die sonderen Status nimmt die Abteilung „Individuelle Arbeits- und Organisationsweise des IFE gewonnen Kundendienste“ ein, die sich um alle Belange der werden. Teil des Erfahrungsaustausches war ein Benutzung kümmert. Hier werden sämtliche Wün- Besuch im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, hier konn- sche der Benutzer*innen wahrgenommen, sei es te ein überformatiger Planschrank besichtigt wer- die Bearbeitung schriftlicher Anfragen, die Akten- den. Der zuständige Restaurator informierte über aushebung, die Beratung im Einzelfall, die Lese- saalaufsicht und die Betreuung der umfang- reichen Präsenzbibliothek. Dr. Karin Huser stellte ihre Abteilung ausführlich vor. Mit dem Erweiterungsbau 3 des Staatsarchivs wurde auch die Magazinstellfläche deutlich vergrößert und nach modernsten technischen und archivbaulichen Vorgaben auf die Bedürf- nisse der Bestandserhaltung angepasst. Der Einbau von vier Kühlkammern ermöglicht eine optimale Aufbewahrung für AV-Medien, auch solche, die auf potentiell gefährlichem Träger- material vorhanden sind, z.B. selbstentzünd- liche Zellulosenitratfilme. Zudem verfügt das Staatsarchiv nicht nur über eine Priorisierung der zu rettenden Bestände im Notfall (farbi- ge Markierungen an den Regalen), sondern beispielsweise auch über spezielle Rettungs- rampen. Auch die Öffentlichkeitsbereiche des Staatsarchivs sind im Zuge der Erweiterung ausgebaut und mit Verweilmöglichkeiten und Hildegard Hagen im Kreise der Restaurator*innen des Pausenräumen äußerst kundenfreundlich ge- Instituts (Foto: Nadja Göhlich, Institut für Erhaltung von staltet worden. Archiv- und Bibliotheksgut). Nachrichten • Nr. 78/2020 69

Jezet-Planschrank 320 x 220 x 140 cm für Überformate im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Foto: Nadja Göhlich, Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut).

Besonderheiten im Umgang. Auch im Bayerischen festgelegt. Bei Annahme der Aufträge erfolgt eine Hauptstaatsarchiv sollen im Zuge des bereits 2016 grobe Einschätzung der Bearbeitungsdauer. Die angestoßenen schrittweisen Um- bzw. Rückbaus Ablaufsteuerung erfolgt digital, so dass der Bear- der Hängeplananlage vergleichbare Schränke be- beitungsstatus des Auftrages jederzeit einsehbar schafft werden. Durch die offene Lagerung der Plä- ist. ne in der Hängeplananlage (die bei ihrer Einrich- Auch allgemeine Themen der präventiven Kon- tung als gute Lagerungsmöglichkeit galt) zeigen die servierung kamen zur Sprache. Dabei konnten Pläne mittlerweile erhebliche Schäden und eine die langjährigen Erfahrungen des Bayerischen starke Verschmutzung. Hauptstaatsarchivs im Bezug auf Integrated Pest In Ludwigsburg tauschte sich die Restauratorin in- Management (IPM) weitergegeben werden. Dieser tensiv über den organisatorischen Ablauf von der Aspekt der Prävention ist auch beim IFE in Vorbe- Auftragsannahme bis zur Abgabe von Restaurie- reitung (Stand November 2019). rungsaufträgen aus. Das IFE ist für die Betreuung Insgesamt war es ein äußerst informativer Aufent- von Archiven und Bibliotheken in Baden-Württem- halt. Frau Dr. Anna Haberditzl und dem Team des berg zuständig. Die Werkstatt ist in großzügigen IFE sei ganz herzlich für die aufgewendete Zeit, die und sehr gut ausgestatteten Räumlichkeiten unter- Flexibilität und die Ermöglichung des Aufenthaltes gebracht, die ursprünglich für 20 Mitarbeiter*innen gedankt. konzipiert wurden. So gibt es z.B. Wandanschlüs- se für Druckluft, die für die Trocknung verwendet Hildegard Hagen werden können. Drei getrennte Wasserkreisläufe sorgen dafür, dass eine Anlage mit Tauchbecken wahlweise mit Leitungswasser, angereichertem Wasser oder entsalztem Wasser befüllbar ist. Ins- gesamt sind 10 Mitarbeiter*innen in drei Berei- chen beschäftigt: Einbände und Urkunden, Mas- senbehandlung, Großformate. Diese drei Bereiche werden jeweils von einer/einem Gruppenleiter*in angeleitet. Die Aufträge, die bearbeitet werden können, werden im Vorjahr durch Beratung vor Ort 70 Nachrichten • Nr. 78/2020 Einführung in die Schriftkunde terialien wie z.B. Schrifttafeln und Hinweise auf des 19. und 20. Jahrhunderts für weiterführende Unterrichtsangebote gelang es, die 12 Teilnehmer*innen, die fast ausnahmslos keine Mitarbeiter*innen der Vermes- Vorkenntnisse hatten, zur selbständigen Beschäfti- sungsverwaltung gung mit der Kurrentschrift anzuleiten und zu einer weiteren Vertiefung der Lesekenntnisse anzure- Im Rahmen einer Fortbildungswoche für Vermes- gen. Als Lesebeispiel diente anlassbezogen unter sungsingenieure beim Landesamt für Digitalisie- anderem eine mehrseitige Grenzbeschreibung des rung, Breitband und Vermessung bot das Bayeri- Englischen Gartens von 1845 mit zugehörigem sche Hauptstaatsarchiv am 28. Januar 2020 vor Schriftverkehr (Signatur: Bayerisches Hauptstaats- Ort beim Landesamt für Digitalisierung, Breitband archiv, Landesvermessungsamt 233). Als weite- und Vermessung eine vierstündige Fortbildungs- res Übungsmaterial lagen ausgewählte, inhaltlich veranstaltung zur Deutschen Schriftkunde des kurzweilige Briefe aus einem Akt des Innenminis- 19. und 20. Jahrhunderts an. Der Unterricht war teriums zum Polizeiwesen des 19. Jahrhunderts auf Wunsch des Fachbereichs überregionale Aus- in München vor. Obwohl das Entziffern der Wörter bildung des Landesamts zustande gekommen. und der Umgang mit dem ungewohnten Vokabular Mitarbeiter*innen müssen im Rahmen ihrer täg- anfänglich Schwierigkeiten bereiteten, zeigten alle lichen Arbeit relativ häufig auf ältere Unterlagen Teilnehmer*innen großes Interesse und Engage- des 19. Jahrhunderts zurückgreifen. Gerade den ment und waren bis zum Ende mit viel Elan bei der jüngeren Kolleg*innen bereitet das zunehmend Sache. Probleme, da die nötigen schriftkundlichen Kennt- nisse fehlen. Durch ausgewählte Unterrichtsma- Monika von Walter

Ausschnitt aus dem Urpositionsblatt der Stadt München von 1853 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Landesvermessungsamt – Urpositionsblätter 692). Nachrichten • Nr. 78/2020 71

Neue Veröffentlichungen

Ministerratsprotokolle 100 Jahre Coburg bei Bayern. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Coburg, Coburg 2020. Konzeption Das Kabinett Ehard III, 18. Dezember 1950 bis 14. und Bearbeitung: Alexander Wolz (Staatliche Archi- Dezember 1954. Band 3: 8.1.–29.12.1953, bearb. ve Bayerns – Kleine Ausstellungen 62), München von Oliver Braun (Die Protokolle des Bayerischen 2020, ISBN 978-3-938831-96-0, 92 S., zahlr. sw- Ministerrats 1945–1962, hrsg. von der Histori- Abb. schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Andreas Wirsching und „Die brennendste aller sozialen Fragen“. Kommu- der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bay- nale Wohnungspolitik zwischen 1918 und 1954 erns durch Margit Ksoll-Marcon, Bd. 5/3) Mün- in München, Nürnberg, Erlangen. Eine Ausstellung chen-Berlin-Boston 2019, ISBN 978-3-11-035004- der Bayerischen Archivschule. München 2020. 3, XCIV, 914 Seiten, 4 ungezählte Bildtafeln. Konzeption und Bearbeitung: Thomas Gilgert, Jo- hannes Hasselbeck, Andreas Schenker (Staatliche Archive Bayerns – Kleine Ausstellungen 63), Mün- Ausstellungskataloge chen 2020, ISBN 978-3-938831-95-3, 82 S., zahlr. Brief und Siegel. Glaubwürdigkeit und Rechtskraft, sw-Abb. gestern und heute. Eine Ausstellung der Staatli- Folgenschwer und doch vergessen. Der Deutsch- chen Archive Bayerns im Bayerischen Hauptstaats- Französische Krieg 1870/71. Eine Ausstellung der archiv, München 2020. Idee: Margit Ksoll-Marcon. Bayerischen Archivschule, bearbeitet von Anton Ausstellung und Katalog: Laura Scherr, Elisabeth Gleißner und Ferdinand Sturm, München, Baye- Weinberger, Andreas Nestl, Ulrike Claudia Hof- risches Haupstaatsarchiv, 16.3.–19.5.2020, Ge- mann, Klaus Rupprecht, Andreas Schmidt und heft. Team. Mit einer Einleitung von Andreas Nestl und Maria Rita Sagstetter (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns, 61), München 2020, Hinweise ISBN 978-3-938831-93-9, 220 Seiten, zahlr. Farb- Ulrike Claudia Hofmann, Aktenzeichen 1 KL-So abb. 59/42. Die Ermittlungsakte Cäzilie Bauer. Doku- Bayern und Polen in der ersten Hälfte des 20. mentation eines Verbrechens, Norderstedt : TWEN- Jahrhunderts. Schlaglichter auf eine wechselvolle TYSIX 2019, ISBN 978-3-7407-4408-3, 220 S. Beziehung. Eine Ausstellung der Bayerischen Ar- chivschule. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 21.1.– 7.3.2020. Konzeption und Bearbeitung: Katharina Aubele, Julia Oberst, Hubert Seliger (Staatliche Archive Bayerns – Kleine Ausstellungen 60), Mün- chen 2020, ISBN 978-3-938831-92-2-1, 119 S., sw-Abb.

Staatsarchiv Nürnberg voraussichtlich ab 1. September 2020 an neuer Adresse erreichbar Der Gebäudekomplex des Staatsarchivs Nürnberg an der Archivstraße in Nürnberg wird bis voraussicht- lich 2025 generalsaniert. Während der Sanierung sind die Bestände an unterschiedliche Standorte aus- gelagert. Die Mitarbeiter*innen des Staatsarchivs sind ab voraussichtlich 1. September 2020 in ihrem Übergangsquartier in der Rollnerstraße 14/4 in Nürnberg unter den gewohnten Telefonnummern und email-Adressen zu erreichen. Aktuelle Informationen unter: https://www.gda.bayern.de/nuernberg/ Impressum

Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns Herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns 80501 München • Postfach 22 11 52 • Tel. (089) 28638-2482 • Fax (089) 28638-2615 E-Mail: [email protected] Redaktion: Dr. Laura Scherr unter Mitarbeit von Claudia Pollach Umschlag, Satz und Gestaltung: Karin Hagendorn Umschlag außen: Lesesaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, Aufsteller zu Hygienehinweisen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, zwei Blätter zum Choleraausbruch 1836, aus: Staatsarchiv München, Landratsamt 98913 (Fotos: Elisabeth Miletic, Bayerisches Hauptstaatsarchiv). Umschlag innen: Plakat zur Ausstellung „Brief und Siegel“ und Flyer „Moderner Zugang zu historischen Quellen“ (beide Gestaltung: Karin Hagendorn, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns), Plakat zur Ausstellung „100 Jahre Coburg bei Bayern“ (Entwurf: Karin Hagendorn/Rainer Grimm, Gestaltung: Fa. Contactdesign). Erscheinungsweise: zweimal jährlich, Auflage: 3350

Mitarbeiter*innen

Ann-Kathrin Eisenbach M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Prof. Dr. Peter Fleischmann (Staatsarchiv Nürnberg). – Dr. Monika Ruth Franz M.A. (Staatsarchiv Landshut). – Joachim Glasner (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Bernhard Grau M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Hildegard Hagen (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Martina Haggenmüller M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Johannes Haslauer M.A. (Staatsarchiv Bamberg). – Renate Herget (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Julian Holzapfl M.A. (Staatsarchiv München). – Rainer Jedlitschka M.A. (Staatsarchiv Augsburg). – Dr. Christian Kruse (Staatsarchiv Bamberg). – Dr. Margit Ksoll-Marcon M.A. (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). – Dr. Irmgard Lackner M.A. (Staatsarchiv Landshut). – Dr. Katrin Marth M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Johannes Moosdiele- Hitzler M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Thomas Paringer M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Johann Pörnbacher M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Martin Rüth (Staatsarchiv Landshut). – Dr. Maria Rita Sagstetter M.A. (Staatsarchiv Amberg). – Ingrid Sauer M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Alexandra Scharmüller (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Mag. Dr. Laura Scherr (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). – Dr. Andreas Schmidt (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). – Dr. Johannes Staudenmaier M.A. (Staatsarchiv Nürnberg). – Erwin Stoiber (Staatsarchiv Amberg). – Johannes Stoiber (Staatsarchiv Landshut). – Dr. Till Strobel (Staatsarchiv Amberg). – Vorbereitungsdienst 2017/20 für den Einstieg in die 3. Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Bildung und Wissenschaft, fachlicher Schwerpunkt Archivwesen: Benjamin Blumenthal B.Sc., Andreas Frasch M.A., Joachim Friedl M.A., Dr. Andreas Hutterer M.A., Christopher Pfaffel, Andrea Sturm [vormals Kurzböck] (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). – Dr. Michael Unger M.A. (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). – Dr. Monika von Walter M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Heinz-Jürgen Weber (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Elisabeth Weinberger M.A. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv). – Dr. Alexander Wolz M.A. (Staatsarchiv Coburg).

Der Text dieses Heftes ist im Internet abrufbar: http://www.gda.bayern.de ISSN 0721–9733 Druck: Grafik + Druck digital K.P. GmbH, Landsberger Str. 318a, 80687 München

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