Ausgabe 2.11

Denkmalpflege in Westfalen-Lippe

Denkmäler des Verkehrs im 19. und 20. Jahrhundert © 2011 Ardey-Verlag Münster Alle Rechte vorbehalten Druck: DruckVerlag Kettler, Bönen Printed in ISSN 0947-8299 17. Jahrgang, Heft 2/11

Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von 4,50 Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den Ardey-Verlag Münster An den Speichern 6 48157 Münster

Herausgeber: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Redaktion: Dr. Jost Schäfer (Leitung) Dr. Barbara Pankoke Dr. Thomas Spohn Dr. Dirk Strohmann

Anschrift: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Fürstenbergstr. 15 48147 Münster [email protected]

Die Autoren der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Peter Barthold Dr. Dorothee Boesler Dipl. Rest. Sigrid Engelmann Dr. Hans H. Hanke Dipl.-Ing. Christian Hoebel Dr. Michael Huyer Dr. Oliver Karnau Dipl. Rest. Leonhard Lamprecht Dr. Jost Schäfer Dipl.-Ing. Uwe Siekmann Dr. Thomas Spohn Dr. Dirk Strohmann Dipl.-Ing. Imme Wittkamp Dipl.-Ing. Udo Woltering

Dr. Hubertus Michels LWL-Freilichtmuseum Detmold Krummes Haus 32760 Detmold Inhalt

Seite 51 Editorial

Aufsätze

Seite 52 Alleen – Mit Bäumen bepflanzte Straßen und Wege Uwe Siekmann

Seite 57 Die Geschichte des Autobahnbaus im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 Ein Überblick für Westfalen Christian Hoebel

Seite 63 Sieben denkmalwerte Eisenbahnbrücken am Rand der nördlichen Innenstadt Zeugnisse der Bochumer Verkehrs- und Stadtentwicklung Imme Wittkamp

Seite 69 Die älteste Tiefgarage Deutschlands – ein Aprilscherz? Hans H. Hanke

Seite 74 „Für Fuhrwerk verboten“ – oder: Über die Ablesbarkeit des Baumaterialtransports Thomas Spohn

Seite 77 Die Suche nach der zeitgemäßen Mitte: Marl und sein Rathaus Michael Huyer

Berichte

Seite 84 Bericht über den Austausch der Denkmalfachämter der BRD zu Projekten zur mittelalterlichen Wandmalerei Sigrid Engelmann

Seite 85 Monumentale Kirchendächer von Soest bis Stralsund Werkstattgespräch im Rahmen des Frühjahrstreffens der AG Historische Bauforschung Peter Barthold / Michael Huyer

Seite 87 Wiederaufbau der Tankstelle aus Siegen-Niederschelden im LWL-Freilichtmuseum Detmold Hubertus Michels

Aus der Praktischen Denkmalpflege

Seite 87 Lügde: Pilotobjekt zur Erfassung und Erforschung romanischer Wandmalerei – Paderborn-Neuenbeken: Figürliche romanische Wandmalereien restauriert

Seite 90 Neuerscheinungen

Mitteilungen Seite 91 Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) Seite 92 Neues Bibliotheksportal geht mit 280.000 Medien ins Netz

Seite 93 Aus dem Bildarchiv

Preise Seite 94 Europa-Nostra-Preis für den Förderverein Kloster Bredelaer e.V. in Marsberg

Personalia Seite 95 Dr. Kurt Röckener im Ruhestand

Seite 96 Verkäufliches Baudenkmal Umschlag-Foto: Bochum, Dr.-Ruer-Platz. Fahrrampen. Ausschnitt aus Abb.4 auf Seite 72. 51

Editorial

Einen anderen großen Themenblock eröffnet der Aufsatz von Michael Huyer über den architekto- nisch und städtebaulich spektakulären Rathaus- komplex von Marl, der zwischen 1960 und 1967 nach Plänen des niederländischen Architekturbü- ros Broek & Bakema (Rotterdam) errichtet worden ist. Dieser Aufsatz ist damit auch ein Beitrag zur nach wie vor vielfach fehlenden „Feldforschung“ zum Thema Verwaltungsbauten der 1960er Jahre: Auf Bundesebene bereitet die AG Inventarisation der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, in der Michael Huyer die LWL-Denkmalpflege, Land- schafts- und Baukultur in Westfalen vertritt, zu die- sem Thema eine Publikation vor. Unter Federführung des Sachgebietes Restaurie- rung ist ein Projekt zur Erforschung figürlicher ro- manischer Wandmalereien in Westfalen in Vorbe- Diese Ausgabe unserer Zeitschrift „Denkmalpflege reitung. Zum fachlichen Austausch zu diesen Fra- in Westfalen-Lippe“ beschäftigt sich schwerpunkt- gen trafen sich in Hamm Vertreter auch anderer mäßig mit dem facettenreichen Thema „Verkehr/ Denkmalfachbehörden und Universitäten; den Transport“ oder genauer: mit Baudenkmalen, die Bericht hierzu verfasste Sigrid Engelmann, die als im Zusammenhang mit dem Ausbau von Straßen diplomierte Restauratorin und Absolventin des und Wegen, von Eisenbahnstrecken, aber auch für Masterstudiums Denkmalpflege an der Universität den „ruhenden Verkehr“ entstanden sind. Bamberg derzeit ein Volontariat in der LWL-Denk- Der Beitrag unseres Gartendenkmalpflegers Uwe malpflege, Landschafts- und Baukultur durchläuft. Siekmann lenkt das Augenmerk auf Alleen, also Monumentale Kirchendächer von Soest bis Stral- straßenbegleitende Baumreihen, die neben einer sund behandelte das Frühjahrstreffen der AG His- hohen repräsentativen Wirkung und Funktion torische Bauforschung der Vereinigung der Lan- auch sehr pragmatische Aufgaben – Beschattung desdenkmalpfleger, die sich hierzu in Soest traf; und Schutz von Reisenden und Fahrbahn – zu er- die dort vorgestellten Beispiele werden in einem füllen hatten. Das schwierige Thema der denkmal- Arbeitsheft unseres Amtes publiziert werden. kundlichen Beschäftigung mit den westfälischen Zuletzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Die Streckenabschnitten der „Reichsautobahnen“ be- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur handelt der Beitrag von Christian Hoebel, der auch in Westfalen – eine Fusion der bis zum 1. April 2011 auf die mythenbildende Aneignung des Themas eigenständigen Ämter des LWL-Amtes für Denk- durch die NSDAP eingeht. malpflege in Westfalen mit dem LWL-Amt für Mit sieben eindrucksvollen Zeugnissen der Bochu- Landschafts- und Baukultur in Westfalen – wird mer Verkehrs- und Stadtentwicklungsgeschichte, sich in den nächsten Monaten im Rahmen der Er- die auf einem kurzen Streckenabschnitt eine be- arbeitung eines gemeinsamen Leitbildes konzep- merkenswerte Konstruktionsvielfalt vorführen, tionell mit der bedarfsgerechten Weiterentwick- setzt sich Imme Wittkamp auseinander. Die Denk- lung der Kompetenzen im gemeinsamen Kultur- malwürdigkeit einer ganzen Baugattung – der der dienst auseinandersetzen. Über die Ergebnisse die- Tiefgaragen – ist Gegenstand von Hans Hankes ses Prozesses werde ich im nächsten Heft berich- exemplarischer Auseinandersetzung mit dem City- ten. Parkhaus in Bochum; ein Aufsatz, der zugleich die sozial- und arbeitsgeschichtlichen Verweise dieses Garagenbaus aufzeigt. Man sieht nur, was man weiß: Die Geschichte hinter vielsagenden Verbots- tafeln einerseits und Floßholzlöchern andererseits Dr. Markus Harzenetter einerseits erklärt der Beitrag von Thomas Spohn – Landeskonservator Denkmalpflege als Realienkunde. 52

Uwe Siekmann Alleen – Mit Bäumen bepflanzte Straßen und Wege

Alleen prägen unsere Umwelt in hohem Maße und sind ein wertvolles Kultur- und Naturgut. Sie werden daher vom Naturschutz und von der Denkmalpflege gleichermaßen geschützt und erhalten.

Das Wort Allee kommt vom französischen „aller“ (= ckung der Perspektive durch Brunelleschi um 1420 gehen) und bezeichnete noch im 18.Jahrhundert führte zu einer Vorliebe für geradlinig verlaufende recht allgemein einen von Vegetation eingefassten Alleen (vgl. Wimmer 2001). Weg im Garten oder im Park. Heute verstehen die Den Höhepunkt ihrer Beliebtheit erreichte die Al- meisten Menschen unter Alleen parallel verlau- lee in der von Frankreich dominierten Gartenkunst fende Baumreihen an Straßen und Wegen. Die Gar- des Barocks. Damals entstanden von den Herren- tenkunst hat jedoch viele verschiedene Formen von sitzen weit in die Landschaft ausgreifende Alleen- Alleen hervorgebracht. So unterscheiden sich Alleen systeme, die die absolutistische Staatsidee versinn- durch ihren Verwendungsort, ihren Aufbau, durch bildlichten und dem gesteigerten Repräsentations- die Art des Wegebelages, durch die verwendeten bedürfnis des Barocks in idealer Weise entspra- Baumarten und durch ihre Zweckbestimmung (vgl. chen. Auch in Westfalen gibt es über den zum Her- Vereinigung der Landesdenkmalpfleger 2000). rensitz gehörenden Park hinausgreifende raum- Schon im alten Ägypten, in Mesopotamien und in gliedernde Alleen, so z.B. bei der Burg Gemen und der griechischen und römischen Antike waren Al- den Schlossanlagen Lembeck, Nordkirchen und leen als Schattenspender, als Frucht- und Holzpro- Westerholt. Auch wurden die zu einem Herrensitz duzenten, aber auch als raumgliedernde Struktu- führenden Zufahrtswege zuweilen über lange ren bekannt (Klausmeier 2006). Die mittelalterli- Strecken mit Alleen bepflanzt, zum Beispiel die in che Landschaft kannte jedoch offenbar keine Al- der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ange- leen (Wimmer 2006). Erst seit der italienischen Re- pflanzte Ulenburger Allee im Kreis Herford oder naissance wurde die Allee in Gärten wieder als die Vortlager Allee im Kreis Steinfurt. raumbildendes Gestaltungselement eingesetzt, Die Verwendungsgeschichte der Alleen zeigt, dass das der gartenkünstlerischen Repräsentation sich die Allee zunehmend aus dem Zusammenhang diente und verschieden genutzte Teilbereiche ei- mit dem Garten oder Park löste und zum selbst- ner Gartenanlage miteinander verband. Die Entde- ständigen raumordnenden Gestaltungsmittel

1 Querschnitt der bei Wetter, Kreis Ennepe-, 1831/32 geplanten Chaussee. 53 wurde. Von herrschaftlichen Gärten unabhängige trieb durch Tendenzen der Landesverschönerung. Baumalleen an Straßen und Wegen gab es verein- Bereits 1808 erschien die vielbeachtete Schrift: zelt schon im 16. und 17. Jahrhundert. So sollen um Ueber Verschönerung Deutschlands. Ein Fingerzeig 1540 in Frankreich Ulmen an Landstraßen ge- des Architekten Gustav Vorherr (1778–1847), in pflanzt worden sein und in Sachsen ließ August der der er dazu aufforderte, das ganze Land auch Starke schon um 1580 an den aus Dresden hinaus- durch Förderung der Gartenkunst planmäßig zu führenden Straßen Obstbäume pflanzen (vgl. verschönern. Karl Arnd, kurhessischer Straßen- und Wimmer 2001). Wasserbaumeister, wies in seiner Schrift Straßen- Im Zuge der Entfestigung zahlreicher westfälisch- und Wegebau in staatswirtschaftlicher und techni- lippischer Städte im 18. und 19.Jahrhundert wur- scher Beziehung aus dem Jahr 1827 auf die Bedeu- den Wälle und Gräben nicht selten in öffentliche tung von (Obst-)Baumpflanzungen entlang von Grünanlagen umgewandelt und mit baumbestan- Straßen und Wegen hin. Eine 1836 anonym er- denen Promenaden ausgestattet. Städte wie Soest, schiene Schrift Belehrung über die zweckmäßigste Lemgo, Paderborn, Höxter, Minden und Waren- Art der Anpflanzung von Alleen an Landstraßen dorf sind dafür ebenso Beispiele wie Münster, des- machte genaue Angaben zur Artenwahl, Anzucht sen Befestigungsanlagen ab 1772/73 unter Johann und Pflanzung von Alleebäumen (vgl. Hagner Conrad Schlaun und seinem Nachfolger Wilhelm 2007). Für bedeutende Gartenkünstler des 19.Jahr- Ferdinand Lipper (1733–1800) in eine Promenade hunderts wie Peter Joseph Lenné (1789–1866), mit vierreihigen Lindenalleen verwandelt wurden Gustav Meyer (1816–1877), Eduard Petzold (1815– oder auch Detmold mit seiner ab 1704 angelegten, 1891) oder Hermann Jäger (1815–1890) war die heute nachgepflanzten Linden- und Ahornallee Pflanzung von Alleen entlang von Straßen ein un- entlang des Friedrichstaler Kanals. trennbarer Bestandteil ihres Verständnisses von Während der Zeit des Landschaftsgartens seit dem Landesverschönerung. ausgehenden 18.Jahrhundert waren geradlinige In napoleonischer Zeit wurden im heutigen West- Alleen in den Gärten und Parkanlagen weitgehend falen-Lippe einige wenige Überlandstraßen ge- unerwünscht. Vorhandene Alleen wurden in na- baut. Es entstand auf alten Verkehrseinrichtungen türlich wirkenden Anpflanzungen versteckt, teil- aus dem Osnabrückschen über Münster eine Straße weise auch gefällt, doch zumeist in die neue land- nach Büderich, die heute noch in Teilen so genutzt schaftliche Gestaltung integriert, wie es im Herte- wird (B51). Unter preußischer Herrschaft entstan- ner Schlosspark zu beobachten ist. Die Allee kam den als Fernverbindungen die Koblenz–Mindener selbst während der Vorherrschaft des Landschafts- Militär- und Landstraße, die 1828 fertig gestellt gartens nicht außer Anwendung, sondern wurde wurde, die Strecke Münster–Schwelm und die für spezielle Zwecke wie Promenaden und Kur- Strecke Köln–Bochum–Münster (vgl. Spohn/Barth/ parks sogar von Christian Cay Lorenz Hirschfeld, Brockmann-Peschel 2010). Die sogenannten Kunst- dem führenden deutschen Landschaftsgartentheo- straßen waren ausgebaute, mit einer festen Fahr- retiker des 18.Jahrhunderts, befürwortet. bahndecke versehene Landstraßen, die ingenieur- Im 19.Jahrhundert erhielt die Pflanzung von mäßig geplant waren und über weite Strecken Alleen außerhalb von Gärten und Parks neuen Auf- geradlinig verliefen. Den „Anweisungen zur

2 Allee an der Höhenchaussee zwischen Breckerfeld und Halver bei Grünenbaum im Zustand um 1900. 54

Anlegung und Erhaltung der Kunst- und Landstra- Herford sind ebenfalls noch Lindenalleepflanzun- ßen“ der königlich-preußischen Oberbaudeputa- gen aus der Zeit um 1900 an der Bischofshagener tion aus dem Jahr 1816 ist zu entnehmen, Straße/Schweichelner Straße (heute K8) in Herford dass Kunststraßen von Bäumen begrenzt werden und der Kilverstraße in Rödinghausen erhalten. Die sollten. Platanenallee entlang der B1 in den Städten Dort- Auch in der preußischen Provinz Westfalen wur- mund (Rheinland-/Westfalendamm) und Soest den die Chausseen mit Bäumen bepflanzt. Mit den wurde in den 1920er Jahren angepflanzt. Baumpflanzungen bezweckte man gleichzeitig Be- Die Landstraße L942 von Oerlinghausen nach Pa- quemlichkeit sowie Schutz der Reisenden und der derborn wird zwischen dem ehemaligen Dorf Fahrbahn (vgl. Kaspar/Spohn 1992). Allerdings Haustenbeck und Augustdorf über fünf Kilometer durften die Bäume das schnelle Abtrocknen der Länge von einer Allee begleitet. Der historische Straßen nach Regen- oder Schneefällen nicht ver- Straßenbelag aus Basaltpflaster ist – bis auf einige hindern, wozu einerseits bestimmte Pflanzab- wenige Querungen – erhalten. Es handelt sich um stände eingehalten und andererseits möglichst eine historische Wegstrecke, die 1880 als „Haus- schnell wachsende Baumarten verwendet wurden. tenbecker Allee“ im Urkataster des Fürstentums Neben Pappel, Ahorn, Rosskastanie, Ulme, Linde Lippe eingemessen wurde und als eigenständiges und Eiche wurden besonders Obstbäume wie Nuss, Flurstück mit der Bezeichnung „Der Landweg“ dar- Birne, Kirsche, Apfel bevorzugt verwendet. Der ra- gestellt ist. Die Lindenbäume sollen nach der Aus- sant gestiegene Bedarf an entsprechenden Jung- sage von Zeitzeugen 1920 gepflanzt worden sein, pflanzen wurde zum Teil in eigens in der Nähe der offenbar eine Nachpflanzung, da der überlieferte Chausseen angelegten Baumschulen, aber auch in Name schon auf eine früher bestehende Allee hin- den sogenannten Industrieschulen1, einem durch deutet. Die denkmalgeschützte und überregional die Reformideen der Aufklärung geprägten Volks- bekannte Haustenbecker Allee erinnert noch schultyp, in denen der Obstbau einen festen Be- heute an das im Zuge der Anlage des Truppen- standteil des Unterrichts darstellte, von den Schul- übungsplatzes Senne aufgegebene Dorf Hausten- kindern angezogen, verpflanzt und veredelt (vgl. beck und seine Straßenverbindung zum nördlich Kirsch-Stracke 1991). gelegenen Ort Augustdorf. Ab der Mitte des 19.Jahrhunderts lassen sich in Eine der frühesten Alleen in Westfalen-Lippe Westfalen vermehrt Alleepflanzungen entlang von dürfte die um 1725 gepflanzte vierreihige Eichen- Straßen im Zuge der Landesverschönerung feststel- allee mit Fahr- und Sommerwegen in der Ge- len. So entlang der Weseler Straße (heute B58) zwi- meinde Schlangen sein, die als „Fürstenallee“ noch schen Büderich und Haltern (Rotbuchen- und Stiel- heute vom Südhang des Teutoburger Waldes bis eichenalleepflanzung ab 1851, vgl. Alleenkataster zum ehemaligen fürstlichen Jagdschloss Oester- NRW). Die Hagener Straße (heute L684) zwischen holz und zur Ortschaft Schlangen führt. Angelegt Hagen und Dortmund wurde ab 1901 strecken- zu Repräsentationszwecken, ermöglichte sie den weise mit einer Lindenallee bepflanzt und im Kreis adligen Reisenden angenehme Kutschfahrten

3 Die wohl um 1920 gepflanzte Haustenbecker Lindenallee auf dem Gebiet des Truppenübungsplatzes Senne. 2011. 55 unter einem beschattenden Laubdach. Im Lauf der len-Lippe erhalten geblieben. Das hat sicher auch Zeit sind Abschnitte der ursprünglichen Eichenal- seinen Grund darin, dass durch Verkehrsneu- und lee mit Rotbuchen nachgepflanzt worden. In heu- ausbauten nach dem Zweiten Weltkrieg viele alte tiger Zeit stellen die alten Alleebäume für den Au- Alleen gerodet worden sind. So wurde (laut Röthig toverkehr ein Risiko dar, so dass aufgrund der aku- 2006) zwischen 1960 und 1970 das Münsterland ten Sanierungsbedürftigkeit der Allee in den letz- vieler seiner historisch gewachsenen, landschafts- ten Jahren mit der Pflege und Nachpflanzung der prägenden Alleen beraubt. Gewiss haben auch die Bäume begonnen worden ist. von der Europäischen Gemeinschaft seit den Insgesamt sind relativ wenige aus dem 18., 19. und 1950er Jahren bis 1974 gezahlten Rodungsprämien frühen 20.Jahrhundert stammende Alleen entlang für Obstbäume zum Alleenverlust im ländlichen von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen in Westfa- Raum beigetragen.

4 Die vierreihige Fürstenallee bei Schlangen wurde in der Vergangenheit abschnittsweise mit Rotbuchen nachgepflanzt. Juni 2011.

5 Seit 2009 ist mit der Nachpflanzung der Fürstenallee begonnen worden. Markante Stieleichen bleiben als Dokumentationsbäume erhalten. Juni 2011. 56

Erst als mit dem Aufkommen der Ökologie- und Rohde. 2006, S.30–35. – Fred Kaspar/Thomas Naturschutzbewegung seit den 1970er Jahren Um- Spohn, Unterwegs in Westfalen. Verkehrsentwicklung im weltthemen stärker in das Zentrum gesellschafts- Wandel der Zeit in Bildern und Berichten aus westfäli- politischer Diskussionen rückten, setzte ein Um- schen Archiven. Rheda-Wiedenbrück 1992, S.47–60. – Ros- denken ein. Seither sind in Westfalen-Lippe eine witha Kirsch-Stracke, „Es ist ihnen Freude und Jubel, Reihe von Alleen entlang von Straßen unter Be- wenn ihre Versuche gelingen“. Zur Geschichte der ersten achtung verkehrlicher Gesichtspunkte neu ge- Schulgärten im Sauerland mit Beispielen aus dem Kreis pflanzt oder ergänzt worden. Dabei standen vor Olpe, in: Olper Heimatblätter, 62.Jg., 1991, Nr.4, S.218– allem landschaftsgestalterische und ökologische 233. – Axel Klausmeier, Vom Nutzen und der Funktions- Aspekte wie Einbindung in die Landschaft, Lärm-, vielfalt der Allee, in: Alleen in Deutschland, Bedeutung – Sicht- und Windschutz, Staubfilterung, Lebens- Pflege – Entwicklung, hg. von Ingo Lehmann und Michael raum für Tier- und Pflanzenarten, aber auch ver- Rohde. Leipzig 2006, S.58–63. – Hans-Ludwig Knau/Reiner kehrliche Gesichtspunkte wie bessere Orientierung Potyka, Kierspe. Wirtschaft – Kultur – Geschichte. Stutt- der Verkehrsteilnehmer im Vordergrund. Nachtei- gart 1994. – Achim Röthig, Nordrhein-Westfalen – ein lig für den Straßenverkehr sind u.a. Gefahren Bundesland der vergessenen Alleen?, in: Alleen in durch herabfallende Äste, Erhöhung des Verlet- Deutschland, Bedeutung – Pflege – Entwicklung, hg. von zungs- und Todesrisikos sowie der Sachschäden bei Ingo Lehmann und Michael Rohde. Leipzig 2006, S.146– Unfällen. 149. – Thomas Spohn/Ulrich Barth/Angelika Brockmann- In jüngerer Zeit wird durch das Land NRW die Neu- Peschel, Die Geschichte Westfalen-Lippes im Spiegel der pflanzung von Alleen entlang von Bundes-, Land-, Baudenkmäler (= 8. Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denk- Kreis- und sonstigen Straßen gefördert und damit malpflege in Westfalen). Münster 2010, S.207–209. – Ver- die herausragende kulturlandschaftliche Bedeu- einigung der Landesdenkmalpfleger (VdL), Alleen – Ge- tung von Alleen deutlich gewürdigt. genstand der Denkmalpflege, Arbeitsheft der Arbeits- gruppe Gartendenkmalpflege. Berlin 2000. – Clemens Anmerkung Alexander Wimmer, Alleen – Begriffsbestimmung, Ent- 1 Mit der späteren Bedeutung des Begriffes „Industrie“, wicklung, Typen, Baumarten, in: Alleen in Deutschland, der gewerblichen Produktion in Fabriken, hatten die In- Bedeutung – Pflege – Entwicklung, hg. von Ingo Lehmann dustrieschulen noch nichts zu tun; der Begriff wird viel- und Michael Rohde. Leipzig 2006, S.14–23. – Ders., Bäume mehr in einer ursprünglichen Bedeutung – „industria“ und Sträucher in historischen Gärten. Gehölzverwendung (lat.) = Betriebsamkeit, Fleiß – verwendet. in Geschichte und Denkmalpflege. Dresden 2001.

Quellen und Literatur Bildnachweis Alleenkataster NRW, Stand 2011. – Dietger Hagner, Alleen Archiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen: 1. zur Zeit des Landschaftsgartens – von der Aufklärung zum – Manfred Wagner (Gemeinde Augustdorf): 3. – LWL- Historismus, in: Alleen in Deutschland, Bedeutung – Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Pflege – Entwicklung, hg. von Ingo Lehmann und Michael 4, 5, 6 (Siekmann). – Repro aus Knau/Potyka (1994): 2.

6 Rest einer Birn- und Apfelbaumallee südlich von Ottmarsbocholt, Gemeinde Senden. Im Zuge einer Kurven- begradigung der Kreisstraße 2 blieb dieser Alleeabschnitt als Wirtschaftsweg erhalten. Juli 2011. 57

Christian Hoebel Die Geschichte des Autobahnbaus im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 Ein Überblick für Westfalen In der Zeit um 1925 befanden sich als größter Übelstand der deutschen Landstraßen vor allem die vielen und meist ungeschützten Eisenbahnübergänge in einem miserablen Zustand. Die als notwendig erkannten Straßenverbreiterungen wurden nicht radikal durchgeführt. Man wagte sich oft nur einen halben oder dreiviertel Meter heran und sorgsam wurde auf jeden Telegrafenmast und jeden Baum Rücksicht genommen. Die Geschwindigkeitsmöglichkeiten des Kraftfahrzeuges wurden einerseits durch die starken Wölbungen der Straßen und die be- rüchtigten Sommerwege, andererseits durch die noch in großer Zahl vorhandenen anderen Straßenbenutzer, vor allem Fuhrwerke, gehemmt, die dazu weder Verkehrsrücksichtsnahme kannten, noch die Kraftfahrer besonders liebten und diese, trotz lauter Hupensignale, gehäs- sig am Überholen hinderten.1

Zur Geschichte des Autobahnbaus Diese Verbände legten zwar umfangreiche Pla- Die Geschichte des Autobahnbaus in Deutschland nungs- und Umsetzungskonzepte sowie Vor- begann mit der Planung der AVUS, einer neun Ki- schläge zu deren Finanzierungen vor, scheiterten lometer langen, privat finanzierten „Automobil- jedoch bei der Realisierung u.a. an planerischen, Verkehrs- und Übungsstraße“, in Berlin im Jahre organisatorischen und finanziellen Voraussetzun- 1909 durch die neu gegründete „Automobil-Ver- gen sowie der fehlenden Bereitschaft der Regie- kehrs- und Übungsstraße GmbH“. Diese GmbH rung der Weimarer Republik, eine Finanzierung wurde mit dem Ziel gegründet, die Wettbewerbs- dieser „Luxusstraßen“ gesetzlich zu regeln. fähigkeit der deutschen Automobilindustrie zu Erst die am 6.11. 1926 gegründete HAFRABA (Ver- fördern. Planung und Baudurchführung der AVUS ein zur Vorbereitung der Autostraße „Hanse- schlossen 1921 mit der Inbetriebnahme ab. Sie ver- städte––Basel“) ermöglichte den Pla- lor ihren mautpflichtigen Privatstraßencharakter nungsdurchbruch durch genaue Vorgaben techni- 1940 mit dem an den Berliner Ring. scher Richtlinien sowie die Entwicklung einer um- Heute ist die AVUS Bestandteil der A115. fassenden Netzgestaltung der zukünftigen, visio- Nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigten sich im nären deutschen Autobahnen. Deutschen Reich mehrere Verbände mit der Pla- Die erste auf dieser Grundlage entstandene deut- nung von „Nur-Autostraßen“. Vorbild für diese Ini- sche Schnellstraße – als reine geplant – tiativen war die Autostraße des Italieners Dr.-Ing. ist die von 1929 bis 1932 erbaute Strecke von Köln Puricelli, der zwischen 1922 und 1924 Mailand mit nach , die heutige A555. Die Durchführung den oberitalienischen Seen durch eine privat er- erfolgte unter der Federführung der Rheinischen richtete und betriebene mautpflichtige Auto- Provinzialverwaltung im Rahmen einer Notstands- straße, die „Autostrada Milano–Laghi“, verband. maßnahme. Bis zu 5.500 Erwerbslosen konnte eine Diese und auch weitere Planungen wiesen keine Beschäftigung geboten werden. Die Eröffnung höhengleichen Kreuzungen mehr auf, waren je- durch , dem damaligen Oberbür- doch (noch) nicht in Richtungsfahrbahnen ge- germeister der Stadt Köln, fand am 6.August 1932 trennt. statt. Der Begriff „Autobahn“, in Analogie zu „Eisen- Es muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass bahn“, setzt neben der Kreuzungsfreiheit aber der damalige Autobahnbau, sei es die Planung voraus, dass die Richtungsfahrbahnen durch einen oder die Umsetzung, keine deutsche Erfindung Mittelstreifen getrennt und damit klar definiert war. In fast allen europäischen Ländern wurden sind. während der 1920er Jahre entsprechende Planun- An privaten Verbänden, die sich in Deutschland gen betrieben. schon frühzeitig mit der Planung von Autostraßen Zu Zeiten der Weimarer Republik war das Verhält- beschäftigt haben, können genannt werden: nis der NSDAP zu der Automobilisierung höchst wi- 1. Der Deutsche Straßenbauverband. Gegründet dersprüchlich. Auf der einen Seite wurde heftig ge- 1921. gen den Luxus der Privilegierten gestritten, daher 2. Die Studiengesellschaft für Automobilstraßen- auch der Begriff „Luxusstraßen“, auf der anderen bau (STUFA). Gegründet 1924. Seite wurde die Faszination des Autos bei Wahlrei- 3. Die Studiengesellschaft für die Finanzierung des sen eingesetzt. Gleichwohl lehnte die NSDAP einen deutschen Straßenbaus (STUFISTRA). Gegründet Autobahnaufbau zu Zeiten der Weimarer Republik 1928. vehement ab. Dies änderte sich mit der Macht- 58

1 Autobahnmeisterei Oelde (Kreis Warendorf), Mannschaftsraum. Wandbild aus den 1950er Jahren. 2010.

übernahme. Nun verfolgte die NSDAP mythenbil- Trassierung dend den Aufbau des Autobahnnetzes. Und leider Wie bereits angesprochen, lagen in Deutschland hat sich dieser Mythos bis heute gehalten. keinerlei Erfahrungen für die Planung und den Begonnen wurde mit der Autobahnstrecke Frank- Bau von Autobahnen vor. In Amerika wurden je- furt–, da hier die geringsten techni- doch derartige Vorhaben schon in den 1920er Jah- schen Probleme anstanden. Das Datum 23.Septem- ren abgehandelt und waren Todt durchaus be- ber 1933 steht somit für den Beginn des staatlichen kannt. deutschen Autobahnbaus. Für eine solide Fahrbahntrasse musste Folgendes berücksichtigt werden: Der Unterbau musste frost- Zur Organisationsform des Autobahnbaus sicher und stabil sein. Durch learning by doing wur- im Dritten Reich den die Betonfahrbahn und die alternative Ober- Bereits am 27.6. 1933 wurde das Gesetz über die bauausführung mit Kleinpflaster entwickelt. Die Errichtung eines Unternehmens „Reichsautobah- asphaltierte Fahrbahn wurde als nicht sonderlich nen“ erlassen und am 30.6. 1933 Dr.-Ing. F. Todt effektiv beurteilt. zum Generalinspekteur für das deutsche Straßen- Bis in die 1930er Jahre hinein wurden Autobahnen, wesen ernannt. Zu diesem Zeitpunkt lagen seitens analog den Eisenbahnen, in langen Geraden ange- der HAFRABA, gegliedert in jeweils 20-Kilometer- legt. Erst danach griff die Erkenntnis, dass die Tras- Abschnitte, 70 Bände detaillierter Beschreibungen sierung entsprechend der Topographie anzulegen für den Autobahnbau vor. sei, um eine harmonische Linienführung zu errei- Am 18.8. 1933 erfolgte die Umwandlung der bis chen. Die Einbindung der Autobahn in die Land- dahin durch Firmen- und Privatinitiative getrage- schaft erfolgte u.a. über Pflanzpläne. Zu erwähnen nen HAFRABA in die „Gesellschaft zur Vorberei- ist hier , der, 1940 zum „Reichsland- tung der Reichsautobahn e.V.“. Es folgte am 25.8. schaftsanwalt“ ernannt, eine Vorreiterrolle bei der 1933 die Gründung der „Gesellschaft Reichsauto- landschaftlichen Planung von Autobahnen über- bahnen“ als Tochter der Deutschen Reichsbahn. Ab nahm. Bis 1936 wurden Gradienten aus Geraden 1933 erfolgte die Durchführung des Autobahn- und Kreisabschnitten bzw. aus verschiedenen Ra- baus durch 15 regional organisierte „Oberste Bau- dien zusammengesetzten Bögen entwickelt. Erst leitungen“. 1934 wurde die STUFA in die „For- ab 1936 setzte sich der Gebrauch von Klothoiden, schungsgesellschaft für das Straßenwesen“ umge- einem Spiralabschnitt, durch. Die Verwendung von wandelt. Klothoiden folgte der Fahrgeometrie von Fahrzeu- Nachdem am 19.5. 1935 das erste Teilstück einer gen, deren Kurvenfahrten folglich harmonischer deutschen Autobahn freigegeben wurde, konnten wurden. Dies machte sich vor allem bei höheren bis Ende 1938 insgesamt 3.000km befahren wer- Fahrgeschwindigkeiten bemerkbar. den. Im Jahr 1939 wurden aber noch weitere Systembedingt, denn eine Autobahn weist keine 237km fertiggestellt, bis 1945 insgesamt nochmals höhengleichen Kreuzungen auf, mussten die 560km. Weitere 3.000km befanden sich zwar in Theorien zum Aufbau von verbindenden Fahrbah- Planung bzw. waren bereits in Bau, seit Oktober nen entwickelt werden. So entstanden z.B. die 1940 jedoch wurde der Baubetrieb weitgehend zu- Kreuzungen in Form eines Kleeblattes. rückgefahren und mit Ende des Jahres 1941 end- Notwendig wurden Tank- und Rastanlagen, reine gültig eingestellt. Parkplätze und Autobahnmeistereien. 59

2 Tankstelle in der Anschlussstelle Bottrop Nord der BAB 2. 1980.

3 Tankstelle Hamm-Rhynern Nord an der BAB 2, heute genutzt als Autobahnkapelle. 2011.

Die damals führenden Architekten Deutschlands – mit heute den Anfang einer Entwicklung doku- , Friedrich Tamms, Kurt Dübbers, Carl- mentieren. August Bembé, Werner March und andere – setz- ten sich, parallel zum Autobahnausbau, mit diesem Tankstellen neuen Architekturthema auseinander und entwi- Die ersten typisierten Anlagen wurden in den Drei- ckelten Musterentwürfe. Durch sie – aber auch ecken zwischen Auf- und Abfahrten errichtet. Ein durch andere zahlreiche Architekten – wurden typisches Beispiel ist die Tankstelle Bottrop Nord, Vorgaben gemacht, denen sich die Errichtung der Form Bembé, von 1937 (Abb.2). Diese Tankstellen Tankstellenbauten unterzuordnen hatten. Es wa- aus der Frühzeit des Autobahnbaues standen noch ren dies neben der gestalterischen Einbindung in in der Tradition des Neuen Bauens der 1920er die Kulturlandschaft auch die Bedingungen, dem Jahre. Dieser Typus von Tankstelle wurde aber aus rauen Autobahnbetrieb standzuhalten und in der mehreren Gründen nicht weiter entwickelt: Die Bauausführung auf „widerstandsfähiges Material Anlage hatte keine oder nur beschränkte Entwick- und gesundes Handwerk“ zu achten. lungsmöglichkeiten, in der Regel eine ungünstige Verkehrszu- und -abführung sowie einen Park- Nebenanlagen platzmangel. Außerdem: Diese, eine gewisse Ging die HAFRABA noch von einer gebühren- Leichtigkeit ausstrahlenden Bauten, passten nicht pflichtigen Autobahnbenutzung aus, so wurde mit in das Bild der „raueren“ Autobahn und fügten Einführung der Mineralölsteuer die Autobahnbe- sich entsprechend der damaligen Architekturauf- nutzung generell kostenfrei ermöglicht. Somit ent- fassung nicht in die Landschaft ein. Im Zuge des fiel auch die Notwendigkeit, die von der HAFRABA Ausbaus der Bundesautobahn2 ist diese Tankstelle bereits entwickelten „Stationen“ zur Gebührener- Anfang der 1980er Jahre beseitigt worden. hebung aufzubauen. Mit dem Autobahnausbau der 1930er Jahre wurde Autobahn A2 auch das Problem der Kraftstoffversorgung, der Nach einer Bauzeit von knapp drei Jahren wurde Fahrzeugwartung und die Befriedigung der Be- der Abschnitt Helmstedt–Burg am 10.1. 1937 frei- dürfnisse der Reisenden gelöst. Übertragen wurde gegeben. Die Abschnitte Düsseldorf–Recklinghau- diese Aufgabe der „Reichsautobahn-Kraftstoffge- sen wurden am 17.12. 1937 und Recklinghausen sellschaft“, die ihrerseits straff organisiert und der bis Gütersloh am 12.11. 1938 freigegeben. Reichsaufsicht unterstellt, den Kundendienst vor Das Teilstück Bad Nenndorf–Hannover Ost konnte Ort an den Autobahnen versah. Stützpunkte wa- am 14.12. 1938 freigegeben werden und der ren die Autobahntankstellen, die, dem vorge- Streckenabschnitt Gütersloh–Herford/Bad Salz- schriebenen Architekturverständnis dieser Zeit fol- uflen am 15.12. 1938. Aber erst am 23.9. 1939 gend, nach festen Regeln erbaut wurden und so- wurde die letzte Lücke zwischen Bad Nenndorf 60

4 Vlotho-Exter, Kreis Herford, Autobahnbrücke Exter. 2011. und Bad Salzuflen, wenn auch nur einbahnig, ge- Westfälische Anlagen schlossen, um sie in der Folgezeit bis zum 14.11. Die vorgenannten Gründe führten zu der Entwick- 1940 durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und lung des Typs von Tankstelle, der auf westfälischem polnischen Fremdarbeitern bis auf den Weserüber- Gebiet sowohl in Hamm-Rhynern als auch in Gü- gang regelhaft auszubauen. tersloh zu finden ist. Dieser Typus liegt immer seit- Die erste Veröffentlichung des Netzplanes im Mai lich der Autobahn, ist auch heute noch beliebig er- 1934 enthält die Linienführung Hamm–Kassel–Ei- weiterungsfähig und kann, architektonisch ge- senach–Dresden mit einer Ergänzungsstrecke, die schickt, mit ergänzenden Bauten verbunden wer- in Dortmund beginnt und die Linie Hamm–Kassel den. etwa bei Geseke trifft. Diese Linien entsprechen Bei der Tankstellenanlage Hamm-Rhynern (Abb.3) der Hauptachse der in Ost-West-Richtung verlau- kommt noch hinzu, dass die Anlage beidseitig ge- fenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem genüberliegend angeordnet ist – ein weiterer Ruhrgebiet, Sachsen und Oberschlesien. Schritt der damaligen Typisierung und Verweis da- Die Bauplanung und Bauvorbereitung für die Linie rauf, dass man bewusst auf eine markengebun- Hamm–Kassel, der damaligen Strecke77, wurden dene Treibstoffversorgung verzichtet hat. So ist so weit vorangetrieben, dass im Jahre 1937 mit der selbst heute noch das schlichte „T“ für Tankstelle Errichtung der Unterbauten des Kreuzungsbau- an beiden Anlagen vorhanden. werks mit der Autobahn Hannover–Kassel begon- Die äußere Bauform und Auflösung des Gebäudes nen werden konnte und in den Jahren 1938–1941 in die Funktionsbereiche Tanken und Nebenbe- die Pfeiler der Fulda-Brücke Bergshausen teilweise trieb entspricht der Planung des Architekten Prof. erstellt waren. Ebenso wurden in dem Abschnitt Gustav Gsaenger aus München. Die Dachform des Hamm–Rhynern bis Schmerlecke Brückenbauar- steilen Satteldaches mit den Giebelschilden lässt beiten sowie die Trassierung aufgenommen. Mit eine Nähe zum westfälischen Bauernhaus erken- Schreiben vom 3.3. 1942 wurden alle Ausbauarbei- nen. In anderen Regionen hätte ein Architekt si- ten an dieser Streckenführung bis auf Weiteres cherlich flachere Dächer, so in Bayern Walm- oder kriegsbedingt eingestellt. Krüppelwalmdächer, gewählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in dem Jahr Der Tankstellenbereich Rhynern-Süd wurde in den 1959 sowie zwischen 1963 und 1965 die Linienfüh- Jahren 1938/39 entsprechend einem Entwurf des rung der heutigen Bundesautobahn44 erneut un- Architekten Helmut Hentrich, Düsseldorf, gebaut tersucht. Die verkehrswirtschaftlichen Untersu- und Ende 1939 in Betrieb genommen, der Tank- chungen ergaben für den Bereich um Kassel keine stellenbereich Rhynern-Nord Ende der 1940er grundlegenden Änderungen, in Nordrhein-West- Jahre aufgebaut und in Betrieb genommen. Im falen jedoch wurde die ursprüngliche Planungs- Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der A 2 wurde konzeption mit der Anbindung an die A2 in zwischen 2004 und 2006 die Tankanlage Rhynern- Hamm-Rhynern aufgegeben und statt dessen die Süd um eine moderne Tank- und Rastanlage erwei- heutige A44 südlich der B1 geplant. Diese Linien- tert und ein Teilbereich des dortigen historischen führung entsprach einer bereits 1934 vorgelegten Gebäudes in den Nutzungsbereich der Tankanlage Ergänzungslinie zur Trassierung Hamm – Rhynern – integriert. Die Tankanlage Rhynern-Nord wurde Kassel. zeitgleich durch eine moderne, östlich vorge- 61

5 Beckum, Kreis Warendorf, Spannbetonbrücke im Zuge des Weges Schulze Hessler. 2011. lagerte Tank- und Rastanlage ersetzt. Das leerste- ckenergänzungsbau konnte der bauzeitliche hende Gebäude konnte 2009 durch eine Initiative Querschnitt der Extertalbrücke beibehalten wer- des Kirchenkreises Hamm zu einer Autobahn- den. kapelle umgenutzt werden. Sind diese drei Bauwerke noch traditionell errich- tet worden, so wurde mit der technischen Entwick- Brücken lung des Spannbetons in den 1930er Jahren der Auch die Brücken der A2 sind nicht solitäre Zweck- Weg geebnet für andere Lösungen. Mit dem Ein- bauten, sondern von ihrer Zeit geprägte Bestand- satz von vier Spannbeton-Fertigteilträgern bei teile eines großtechnischen Systems. Dass dabei die dem Überführungsbauwerk des Feldweges Architektur und die Einbindung in die Landschaft „Schulze Hessler“ in Beckum wurde technisches von den Ingenieuren seinerzeit bewusst als Gestal- Neuland beschritten. Die Neue Baugesellschaft tungsmerkmale einbezogen wurden, ist als Ziel- Wayss & Freitag AG bekam im Sommer 1938 den vorstellung vielen zeitgenössischen Quellen zu Auftrag, eine Spannbetonbrücke mit 33m Spann- entnehmen und durch die Massstäblichkeit, durch weite zu errichten. Als Besonderheit ist anzumer- die Materialauswahl und in der Detail-Gestaltung ken, dass die vier Hauptträger in Stahlschalungen verwirklicht. Hierbei haben Architekten wie Paul mit Dampf ausgehärtet wurden und dass auch die Bonatz, Fritz Leonhardt, Karl Schächterle, Friedrich Bügel der Träger vorgespannt worden sind. Dieses Tamms und andere mitgewirkt. Brückenbauwerk kann somit als älteste Spannbe- Von besonderer Bedeutung in Westfalen sind da- tonbrücke eingeordnet werden. Aktuell wird die bei die nachfolgend genannten vier Bauwerke. Instandsetzungsfähigkeit des Brückenoberbaues In dem Teilstück der Reichsautobahn zwischen Bie- mit der Zielsetzung diskutiert, dass dieses bedeu- lefeld und Bad Eilsen befinden sich drei Bogenbrü- tende Dokument der Brückenbautechnik erhalten cken. Es handelt sich um die Talbrücke Steinegge werden kann (Abb.5). (255m Länge) und die Extertalbrücke (227m Länge), beide Vlotho, sowie die Talbrücke Finne- Autobahnmeistereien bach (158m Länge) in Herford. Gebaut seit dem September 1938 als „Straßen- Sowohl die Finnebach- als auch die Steinegge-Tal- meisterei der Reichsautobahn“ bestand die Auto- brücke wurden in den Jahren 1979 bis 1984 im bahnmeisterei Oelde anfänglich aus folgenden Be- Bestand verbreitert. In Exter sind dagegen die triebsteilen: dem Betriebs- und Wohngebäude mit Richtungsfahrbahnen getrennt worden. Die Fahrt- fünf Wohnungen, einer offenen Gerätehalle, einer richtung Hannover nutzt das historische Viadukt, Werkstatt mit Wagenhalle sowie einem Streusplitt- die Fahrtrichtung Oberhausen ein neues, nördlich Hochsilo. Im Zuge der betrieblichen Erweiterung errichtetes Brückenbauwerk. Durch diesen Brü- und Modernisierung entstanden 1962/63 eine 62

6 Oelde, Kreis Warendorf, Bökenfördeweg 2, Autobahnmeisterei. 2010.

7 Reichsautobahn1935 (Karte auf Grundlage einer Veröffentlichung der Direktion der Reichsautobahnen, Nachzeichnung Barth Juli 2011).

Holzhalle für die lose Salzlagerung sowie 1973 und gen der heimischen Bauweise angepasst (etwa 1988 weitere Wagenhallen. Die heutige Tankstelle durch die von Bauernhäusern übernommenen stei- von 1973 ersetzte die bis dahin übliche Versorgung len Satteldächer) und in die Landschaft eingefügt. mit Kraftstoffen über Fässer. Diese Autobahnmeis- Die zeittypische Bauaufgabe, die Straßenmeisterei terei ist einer Hofanlage nachempfunden und ent- schon äußerlich als einen Bestandteil der Auto- sprechend den damaligen Architekturvorstellun- bahn kenntlich zu machen und sie zugleich unter 63

Aufnahme örtlicher Bauweisen der Landschaft an- hard Gruber, Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenie- zupassen, ist in Oelde vorbildlich gelöst. rung der „Straßen des Führers“ 1933–1944. Berlin 1996. – Ein für Westfalen einzigartiges und funktionsfähig Kurt Kaftan, Der Kampf um die Autobahn. Berlin 1955. – erhaltenes Hochsilo für Split-Streumaterial doku- Claudia Windisch-Hojnacki, Die Reichsautobahn, Konzep- mentiert darüber hinaus die bis in die späten tion und Bau der RAB, ihre ästhetischen Aspekte, sowie 1950er Jahre betriebene Praxis, bei Eis und Schnee ihre Illustration in Malerei, Literatur, Fotografie und Plas- die Fahrstraßen nur mit Splitt zu streuen, also we- tik (Diss.). Bonn 1989. – Bernd Polster, Tankstellen / Die der Salz noch Sole einzusetzen. Benzingeschichte. Berlin 1982. – Richard Auberlen, Richt- Bis heute erfüllt die Autobahnmeisterei Oelde die linien für den Ausbau der Landstrassen, in: Schriftenreihe betrieblichen Anforderungen an einen modernen der „Strasse“ Band15. Berlin 1943. – LWL-Straßenneubau- Autobahnunterhaltungsdienst und wird herausra- verwaltung (Hg.), 1939–1989 / 50 Jahre Autobahnbe- gend gepflegt (Abb.6). triebsdienst in Westfalen-Lippe. Münster 1989. – Paul Bo- Die westfälischen Streckenabschnitte sind Teile des natz/Bruno Wehner, Reichsautobahn – Strassenmeiste- reichsweiten Aufbaues eines Autobahnnetzes. reien. Berlin 1942. – Paul Bonatz/Bruno Wehner, Reichsau- tobahn – Tankanlagen. Berlin 1942. – Ralph Johannes/Ger- Anmerkung hard Wöli, Die Autobahn und ihre Rastanlagen – Ge- 1 Kurt Kaftan, Der Kampf um die Autobahnen. Berlin schichte und Architektur. Petersberg 2005. – Karl-Heinz 1955. Hehenkamp/Horst Metzler, Manuskript für „50 Jahre Au- tobahnbetriebsdienst in Westfalen-Lippe“ – Die Brücken. Literatur Münster 1989. Heimatjahrbuch Kreis Gütersloh (2008), S.124–128. – Ben- Auskünfte von Dr. Horst Metzler und Manfred Zellerhoff. jamin Steininger, Raum-Maschine Reichsautobahn – Zur Dynamik eines bekannt/unbekannten Bauwerks. Berlin Bildnachweis 2005. – Franz Volk (Bearb.), Der Aufbau der Gesellschaft LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- „Reichsautobahnen“. Leipzig 1935. – Erhard Schütz/Eck- falen: 1, 3, 4, 5, 6 (Hoebel), 2 (Brockmann-Peschel).

Imme Wittkamp Sieben denkmalwerte Eisenbahn- brücken am Rand der nördlichen Innenstadt Zeugnisse der Bochumer Verkehrs- und Stadtentwicklung Die Bochumer Innenstadt wird definiert durch ein aus den Eisenbahnlinien der Bergisch-Mär- kischen und der Rheinischen Bahn gebildetes Gleisdreieck, das ab 1860 bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt entstanden ist. Sieben denkmalwerte Eisenbahnbrü- cken liegen in dem am 15.10. 1874 eröffneten Streckenabschnitt der ehemaligen Rheinischen Eisenbahn von Gelsenkirchen-Wattenscheid bis Bochum-Nord, der die Innenstadt im Norden begrenzt.

Jenseits des Nordrings, der Teil des Innenstadtrings aufgeständerter Fahrbahntafel. Sie wurden nach ist, folgen sie in kurzem Abstand aufeinander. In Plänen der Bauabteilung der Königlichen Eisen- der Reihenfolge von Westen nach Osten handelt es bahndirektion Essen von 1912 errichtet. Die Brü- sich um die Brückenbauwerke über die Dorstener cken bestehen jeweils aus acht segmentförmigen Straße, die Herner Straße, die Wielandstraße, die Bögen mit parallel verlaufendem Ober- und Unter- Uhlandstraße, die Kortumstraße, die Bergstraße gurt, die paarweise zusammengefasst sind. Die und die Castroper Straße. Die Brücken Herner Fußgelenke sind als Kipplager ausgebildet, die Straße, Kortumstraße und Uhlandstraße sowie die Fußplatten auf quadratischen Betonwiderlagern Brücken Bergstraße und Wielandstraße sind je- verankert. Die seitlich angeordneten Wartungs- weils baugleich. Abweichend hiervon sind die Brü- stege mit schlichten, teils jugendstilhaften Gelän- cken über die Castroper und die Dorstener Straße dern werden von Konsolen unterstützt, die im Fall konstruiert. Herner Straße dekorativ mit einem wellenförmi- gen Abschlussblech versehen sind. Die Widerlager- Herner Straße, Kortumstraße und Uhland- wände und Brückenpfeiler sind rustikal mit Qua- straße dermauerwerk verkleidet. Über alle drei Straßen führen Bogenbrücken aus Besondere Aufmerksamkeit verdient ein im Zu- genieteten Vollwandträgern mit oben liegender, sammenhang mit der Herner-Straßenunterfüh- 64 rung stehende kleine öffentliche Bedürfnisanstalt stilistisch der Reformbewegung zuzuordnende auf der Nordseite der Brücke am Fuße des östlichen Architektur mit zwei Bogenstellungen, unter Widerlagers. Es handelt sich um eine kompakte, denen sich die beiden Eingänge zu den Toiletten

1 Bochumer Innenstadt, Gleisdreieck und Innenstadtring.

2 Bochum, Eisenbahnbrücke und Toilettenhäuschen von 1912, Herner Straße. 2011. 65 befinden. Das Gebäude wurde von der Stadt 1912 hohen, genieteten Vollwandträgern bestehen. Die errichtet und ist an dieser Stelle bewusst wie ein schmalere über die Wielandstraße besteht aus Torhaus platziert. Erforderlich wurde ein öffentli- fünf, die Brücke über die Bergstraße aus fünfzehn ches Toilettenhäuschen an dieser Stelle offensicht- Trägern. Die Wartungsstege werden auch hier von lich, weil die Herner Straße aufgrund des damals Konsolen mit dekorativen Abschlussblechen getra- nahe gelegenen Schlachthofes und des „Hotels gen. Schlichte Eisengeländer mit geometrischem zum Schlachthof“ von zahlreichen Passanten und Dekor dienen als Absturzsicherung. Die Wider- Reisenden frequentiert wurde. lagerwände sind mit graugrünen Fliesen, die Brü- ckenpfeiler mit Quadermauerwerk verkleidet. Bergstraße und Wielandstraße Auch diese beiden Brücken entstanden nach Plä- Castroper Straße nen der Königlichen Eisenbahndirektion Essen von Die Eisenbahnbrücke über die Castroper Straße ist 1912. Es handelt sich um Balkenbrücken, die aus eine Bogenbrücke aus genieteten Vollwand-

3 Bochum, Eisenbahnbrücke von 1912, Kortumstraße. 2011.

4 Bochum, Eisenbahnbrücke von 1912, Bergstraße. 2011. 66 trägern mit Wartungsstegen zu beiden Seiten. Sie Süden der Stadt, entwickelten sich mit dem weite- wurde ebenfalls nach Bauplänen der Königlichen ren Vorrücken der Abbaugrenze auch im Norden Eisenbahndirektion Essen von 1913 errichtet und Zechenbetriebe mit oftmals umfangreichen Ne- besteht aus zwölf Bögen mit korbbogenähnlichem bengewinnungsanlagen. An der Ausfallstraße nach Untergurt und gerade verlaufendem Obergurt. Essen, der heutigen Alleestraße, entstand 1842 der Die Fußgelenke sind als Kipplager ausgebildet. spätere Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation, Geometrische Elemente zieren die bauzeitlichen einer der wichtigsten Industriebetriebe der Stadt. Brückengeländer. Die Widerlagerwände und Brü- Ohne Hafenanschluss war Bochum auf den Güter- ckenpfeiler sind teils mit bossiertem Quadermau- transport per Bahn oder Straße angewiesen. 1860 erwerk verkleidet, teils verputzt. wurde die Stadt deshalb zunächst durch eine Stich- bahn von Witten aus über Langendreer an die Ber- Dorstener Straße gisch-Märkische Eisenbahnlinie zwischen Düssel- Die Eisenbahnbrücke über die Dorstener Straße dorf und Dortmund über (Wuppertal-)Elberfeld, wurde erst 1925 fertiggestellt. Neun genietete, an Hagen und Witten angeschlossen. Im Südwesten, den Enden konkav gerundete Vollwandrahmen an der Grenze zur Gemeinde Wiemelhausen, er- aus Stahl mit rundbogigen Queraussteifungen und richtete man den Bahnhof Bochum-Süd, der auch Kragbalken zu beiden Seiten überspannen die Bergisch-Märkischer Bahnhof genannt wurde und Fahrbahn und die beiden Gehsteige. Die Fuß- bis zu seiner Stilllegung 1957 Hauptbahnhof war. punkte der Rahmen befinden sich nach Anhebung Bereits 1862 konnten die weiterführenden Stre- der Gehsteige unterhalb des Bodenniveaus. Die cken von Bochum nach Mülheim/Ruhr über (Essen-) Wartungsstege werden auch hier von Konsolen ge- Steele und von Langendreer nach Dortmund in tragen. Die Brücke fällt durch eine besondere Niet- Betrieb genommen werden. Die Kernstadt entwi- optik ins Auge. Große Putzfelder sind in die mit ckelte sich nun zunächst in südlicher Richtung. bossiertem Quadermauerwerk verkleideten Wi- Dort stieß die Bebauung aber bald an die dort ver- derlagerwände eingelassen. laufende Bahnlinie. Im Westen erreichte die Bergisch-Märkische Bahn Alle sieben Brückenbauwerke sind eindrucksvolle 1867 von ihrem Bahnhof Bochum-Süd aus das Zeugnisse der Bochumer Verkehrs- und Stadtent- Gussstahlwerk Bochumer Verein und die Zeche Prä- wicklungsgeschichte, die in direktem Zusammen- sident (sog. Gussstahlstrecke) und bald darauf die hang mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Zechen der späteren Gemeinde Wanne-Eickel. Sie Stadt steht. Diese wurde seit Mitte des 19.Jahrhun- verhinderte damit vorerst auch eine Ausdehnung derts durch die nach Norden vordringende Indus- der Stadt in diese Richtung. Später entstanden jen- trie und den ab den 1860er Jahren beginnenden seits der Bahnlinie in Zusammenhang mit dem Bo- Bau der Eisenbahn begünstigt und beeinflusst. Zu chumer Verein ausgedehnte Arbeiterquartiere. den maßgeblichen Industriezweigen gehörten der Nachdem die Bergisch-Märkische Bahn im Süden Bergbau, die Eisen- und Hüttenindustrie und der und Westen Grenzen gesetzt hatte, lag eine Aus- Maschinenbau. Lagen die ersten Zechen zumeist im breitung der Stadt in nördlicher und östlicher Rich-

5 Bochum, Eisenbahnbrücke von 1913, Castroper Straße. 2011. 67 tung nahe. Schon 1874 entstand hier jedoch eine Mit Verstaatlichung der Privatbahnen um 1880 Linie der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, die gingen auch die Rheinische und die Bergisch-Mär- von Gelsenkirchen-Wattenscheid über Bochum- kische Eisenbahn in preußisches Eigentum über. Präsident, den rheinischen Bahnhof Bochum-Nord Nach Verknüpfung der Strecken entstand im Ruhr- Richtung Langendreer führte und in deren Verlauf gebiet zum ersten Mal eine direkte Verbindung die sieben Eisenbahnbrücken liegen. Zahlreiche Ze- zwischen dem mittleren Ruhrgebiet mit dem Ran- chen, darunter die Zechen Centrum, Holland3/4, gierbahnhof in (Herne-)Wanne-Eickel und dem Fröhliche Morgensonne, Hannover, Carolinenglück südöstlichen Revier mit den Rangierbahnhöfen und Präsident sowie andere Industriebetriebe wie (Bochum-)Langendreer und Hagen. Die Ballung das Bochumer Gussstahlwerk und die Victoria- der Industrie im Bochumer Nordwesten und in den Brauerei waren mit dieser Strecke, die in erster Li- angrenzenden Orten führte zu einer hohen Fre- nie dem Gütertransport diente, durch Anschluss- quentierung der Rheinischen Bahnlinie wie auch gleise verbunden. der Gussstahlstrecke.

6 Bochum, Eisenbahnbrücke von 1925, Dorstener Straße. 2011. 68

7 Die Gleisanlagen im Raum Bochum um 1928.

Die Stadt Bochum entwickelte sich zunächst inner- nen in Erscheinung. Diese entsprachen damals halb des Gleisdreiecks, das durch die Linien der Ber- zwar dem Stand der Ingenieurtechnik, bemerkens- gisch-Märkischen und der Rheinischen Bahn gebil- wert und selten ist jedoch die Konstruktionsviel- det wurde. Um die Verkehrssituation im innerstäd- falt, die hier auf einem kurzen Streckenabschnitt tischen Bereich zu verbessern und die Behinderun- erlebbar ist. Inzwischen sind die sieben Brücken gen an den Kreuzungspunkten von Schiene und neben neun weiteren Teil der im Oktober 2003 Straße zu beseitigen, verlegte man nach und nach fertiggestellten Lichtinstallation „KunstLichtTore die Gleise der Eisenbahnlinien innerhalb der Stadt Bochum“, deren Ziel es war, die besonderen städte- auf Dämme. Nachdem 1937/38 die sog. Gussstahl- baulichen Strukturen der Bochumer Innenstadt he- strecke höher gelegt worden war, wurde die ge- rauszustellen und zu verdeutlichen. Die aus den samte Innenstadt auf allen Seiten durch Bahn- umliegenden Städten und den angrenzenden Vier- dämme abgeriegelt. teln sternförmig auf die Innenstadt führenden Im Zuge der Anhebung der Gleisanlagen entstan- Straßen unterfahren die hochgelegten Bahnkörper den kurz vor dem Ersten Weltkrieg die oben ge- und führen auf den innerstädtischen Ring, wobei nannten Eisenbahnbrücken mit Ausnahme der die Brücken gleichsam als „neue Stadttore“ erlebt Brücke über die Dorstener Straße. Diese wurde erst werden. Bedauerlicherweise ist das Erscheinungs- mit dem Umbau des Personenbahnhofs Präsident bild der Brücken durch Werbeanlagen und unkon- (ab 1922), der zwischen dem Güterbahnhof Präsi- trollierten Bewuchs teilweise sehr beeinträchtigt. dent und der Dorstener Straße lag, und der Tiefer- legung dieser Straße zum störungsfreien Betrieb Quellen und Literatur von Straßen- und Bahnverkehr errichtet. Bereits Stadtarchiv Bochum, Akte Nr. B1653. – Irmtraud-Dietlinde vor dem Ersten Weltkrieg plante der Bochumer Wolcke, Die Entwicklung der Bochumer Innenstadt, in: Stadtbaurat Franz Knipping zudem einen Innen- Schriften des Geographischen Institutes der Universität stadtring zur Verkehrsentlastung des innerstädti- Kiel, Bd.XXVIII, Heft1. Kiel 1968. – KunstLichtTore Bo- schen Geschäftsviertels. Dieser sollte möglichst nah chum. Hg. Stadt Bochum, 5/2006. – Rolf Swoboda/Harald an dem Gleisdreieck vorbeigeführt werden. Die Vogelsang/Wolfgang Klee, Die Eisenbahn in Bochum. Hö- Planung wurde aber erst nach dem Zweiten Welt- velhof 2007. krieg realisiert. Der vierspurige Innenstadtring wie auch das durch die Linien der Bergisch-Märkischen Bildnachweis und der Rheinischen Bahn entstandene Gleisdrei- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- eck, das die Bochumer Innenstadt definiert, sind falen: 2–6 (Wittkamp). – Ausschnitt aus dem Hist. Stadt- zentrale Elemente dieser Stadt. plan Bochum, Jg.1992. Vervielfältigt mit Genehmigung Seit nahezu 100 Jahren prägen die im Verlauf der des Amtes für Geoinformation, Liegenschaften und Ka- Rheinischen Bahnlinie gelegenen sieben Eisen- taster der Stadt Bochum vom 30.6. 2011, Kontrollnum- bahnbrücken das Bild der nördlichen Innenstadt. mer: Bo/11/239: 1. – Repro aus: Rolf Swoboda/Harald Vo- Sie treten besonders durch ihre für die Zeit typi- gelsang/Wolfgang Klee, Die Eisenbahn in Bochum. Hövel- schen, qualitätvollen und soliden Stahlkonstruktio- hof 2007, S.64: 7. 69

Hans H. Hanke Die älteste Tiefgarage Deutschlands – ein Aprilscherz?

„Die vermutlich älteste öffentliche Tiefgarage Deutschlands unter dem Bochumer Dr.-Ruer- Platz wird 50 Jahre alt. Im Nachkriegs-Bochum war das Riesenloch in der Stadt eine kleine Sen- sation“, berichtete der Journalist Michael Weeke am 1.April 2011 im Lokalteil der Westdeut- schen Allgemeinen Zeitung. Einerseits glaubt man an einen Aprilscherz, andererseits macht die Behauptung neugierig auf die Geschichte der allgegenwärtigen Bauten für den ruhenden Verkehr. Automatisch erwächst daraus die Frage: Wenn das stimmt, kann dieses Bauwerk dann ein Denkmal sein?

Besser als in einem Artikel vom 28.10. 1961 lassen bei 200 Regentagen – konnte am Freitag das nach sich die Anlage und ihre Wirkung auf die Zeitge- Plänen von Dipl.-Ing. Korn und Verkehrsingenieur nossen kaum beschreiben (Abb.1): „200 Autos ver- Krings nach neuesten technischen Erkenntnissen schwinden im Keller“, lautete die Überschrift. Wei- geschaffene Bauwerk an den Bauherren, die ter wird informiert: „Bei der Suche nach sinnvollen Rheinpreußen GmbH, und damit an die Öffentlich- Lösungen zur Behebung der Parkraumnot in der keit übergeben werden. Bürgermeister Liedtke dichtbebauten Innenstadt haben die städtischen zerschnitt in Anwesenheit vieler hundert Schaulus- Planer zweifellos das Ei des Kolumbus gefunden, tiger das blau-weiße Band, das die Einfahrt in die als sie den Dr.-Ruer-Platz für die Errichtung einer Tiefgarage sperrte. Unter Berücksichtigung der be- mehrgeschossigen Tiefgarage, der ersten Anlage trächtlichen Schwierigkeiten, die sich beim Bau des dieser Art in der Bundesrepublik, freigaben. Nach Parkhauses ergaben – es musste unter anderem einer Bauzeit von nicht einmal eineinhalb Jahren – auch eine Quelle in zwölf Metern Tiefe abgefan-

1 Bochum, Dr.-Ruer-Platz, Baugrube für die Tiefgarage. 1960. 70

2 Bochum, Dr.-Ruer-Platz, Obertägiger Eingangsbereich der Tiefgarage nach der Fertigstellung im Oktober 1963. gen werden –, kann heute festgestellt werden, fohlenen Variante: Eine äußere Spindel dient der dass die vielfältigen Schwierigkeiten gemeistert Auffahrt, eine innere der Abfahrt; darin eingestellt und besonders das Problem der Ein- und Ausfahr- ist ein Treppenhaus mit Aufzugsschacht im Trep- ten auf engstem Raum in glücklicher Weise gelöst penauge. Diese komprimierte Anordnung der wurde. In drei Geschossen von je 2450 Quadratme- senkrechten Erschließung gewährt gegenüber an- tern steht Parkraum für je 70 Personenkraftwagen deren Systemen eine optimale Ausnutzung des zur Verfügung. Die einzelnen Parkebenen sind Raumes zugunsten der Parkplätze und der oberir- über Rampen mit leichten Steigungen auch von dischen Anlagen (Abb.2) sowie des Personaleinsat- ‚Sonntagsfahrern‘ ohne Gefahr zu erreichen. Größ- zes im Service. Heute ist das unterirdische Bauwerk ter Wert wurde auf Sicherheit gelegt. Ein vollauto- mit seinen Rampen und Ebenen trotz mehrfacher matisch arbeitendes System gewährleistet eine Erweiterung weitgehend erhalten (Abb.3). Zwar einwandfreie Durchlüftung in allen Parkebenen. wurden Ein- und Ausfahrt etwa um 50 Meter ver- Die Abwicklung des Parkvorganges ist verblüffend legt, jedoch führen sie mit verlängerter Zuwegung einfach und wird für alle drei unterirdischen Ebe- immer noch über die Rampen von 1961 (Abb.4). nen von einem Mann überwacht, der dem einfah- Die technische Ausstattung allerdings ist wohl renden Fahrzeug durch Leuchtzeichen die Park- mehrfach ausgetauscht worden und die Service- ebenen anweist und den Kraftfahrer erst bei Ver- einrichtungen mitsamt der Tankstelle in der ersten lassen der Tiefgarage um die Gebühren erleichtert. Tiefebene sowie die Parkuhren auf dem Deck sind Zu den 210 unterirdischen Parkplätzen kommen 70 längst verschwunden. Einstellplätze auf dem ‚Dach‘ der Tiefgarage, die Diese Anlage scheint tatsächlich eine der, wenn von Parkuhren kontrolliert werden und in erster Li- nicht die älteste ihrer Art in den alten Bundeslän- nie für Kurzparker gedacht sind. Modern einge- dern zu sein, wenngleich in der bisher eingesehe- richtete Warte- und Pflegehallen sowie ein Tank- nen Literatur zumeist nur die gleich alte Tiefga- stellenbetrieb bieten den Parkkunden einen aus- rage genannt ist, die 1960–61 unter dem Vorplatz gezeichneten Service. Die überdachte Ein- und der Oper in Hannover entstand. Da sie jedoch au- Ausfahrt, die mit der Tankstelle gekoppelt ist, hat ßer 350 Parkplätzen in zwei Tiefebenen keinerlei einen optisch günstigen Abschluss zur Huestraße Service bot, mag der Bochumer Tiefgarage in der durch zwei moderne Ladenpavillons gefunden. Vollständigkeit ihres Serviceangebotes zumindest Kritisch sei hier angemerkt, dass die Einfahrt in den das Prädikat „älteste öffentliche Anlage dieser Art Platz von der Huestraße aus ein wenig eng er- in Deutschland“ (!) bis auf weiteres zugestanden scheint und ferner die Befürchtung besteht, dass sein, zumal Kleinmanns die Münchener Tiefgarage bei ungünstigem Wetter die aus den Tiefgeschos- unter dem Max-Josef-Platz von 1965 bereits für ein sen abgesaugten Gase die Luft über dem Dr.-Ruer- frühes Beispiel hält.2 Für die Weimarer Republik Platz nicht sonderlich reiner machen werden.“1 nennt Kleinmanns zwei private eingeschossige Das Bauwerk folgt in seiner Konstruktion einer in Tiefgaragen von 1928 und 1930 – diese mit Auto- der zeitgenössischen Fachliteratur vielfach emp- service und Tankstelle – in Berlin. Im Ausland dage- 71

3 Bochum, Dr.-Ruer-Platz, Obertägiger Eingangsbereich der Tiefgarage. 2011. gen finden sich weit ältere Tiefgaragen,3 mit der Wagen mit Tankstelle und PKW-Betreuungsanla- Anlage unter der Casa Milà des Architekten Antoni gen in Brüssel am internationalen Kongressge- Gaudi in Barcelona schon 1906–10. Von 1928 bäude; 1960 eine Tiefgarage für 334 PKW in Lon- stammt eine ebenfalls private Anlage in Mailand don unter dem Finsbury Square. und die Brüder Perret bauten 1935 bis 1941 ein un- Tiefgaragen galten den Stadtplanern und vielen terirdisches Parkhaus in Algier. Jedoch bleibt die Zeitgenossen als Mittel gegen die verheerenden Zahl der Anlagen bis in die 1950er Jahre noch recht Auswirkungen des Individualverkehrs. Mit großer gering; selbst in den schon damals bekanntlich Beharrlichkeit wurde und wird bis heute von den stärker motorisierten USA scheinen die ersten öf- Experten darauf verwiesen, dass der ruhende Ver- fentlichen Tiefgaragen erst 1952 in Los Angeles kehr eine noch stärkere Zerrüttung des öffentli- und Chicago gebaut worden zu sein, in Kanada chen Raumes mit sich bringt als der fließende Ver- 1957/58 in Toronto. Als älteste europäische Tiefga- kehr: Der Flächenverbrauch des ruhenden Ver- ragen werden in der Literatur genannt: 1954/57 kehrs ist tatsächlich mehrfach höher. In diesem Zu- ein unterirdisches Parkhaus mit Service für 320 sammenhang versprachen Tiefgaragen ein Stück Fahrzeuge in Bern; 1958 eine Tiefgarage für 950 Stadtreparatur und nicht selten folgte aus diesen 72

4 Bochum, Dr.-Ruer-Platz, Fahrrampen im dritten Untergeschoss. 2011.

Projekten die Rückgabe von Plätzen und Straßen Tausende von Bergmännern, die in unmittelbarer an die übrigen Verkehrsteilnehmer zu Fuß, auf Nachbarschaft zur Zeche wohnen; Hunderte Fahr- dem Fahrrad oder mit dem öffentlichen Nahver- rad fahrender Kumpel, die bei Schichtwechsel kehr. Gegen die Anlage von Tiefgaragen sprachen durch die Kolonien radeln – verschwanden. Waren in den Jahren des ‚Wirtschaftswunders‘ die hohen es in Bochum 1957 täglich lediglich 9.000 Men- Erstellungs- und Unterhaltungskosten, die auch schen, die ihre Arbeit außerhalb der Stadtgrenzen durch Parkgebühren und Tankstellenpacht kaum aufnehmen mussten, so waren es 1959 schon wieder eingenommen werden konnten. Allgemein 16.000 und 1960 18.000. Diese Jahre bedeuteten galt, dass ein Einstellplatz in einer Tiefgarage rund für die Industriegemeinde Bochum eine erzwun- vier Mal teurer ist als der in einer gleich großen gene Mobilität von Arbeitskraft mit damit einher Hochgarage. Erst als ab etwa 1963 Tiefgaragen mit gehender, schrittweiser Motorisierung, für die dem Bau von (vermeintlich) atomsicheren Bunkern Menschen gleichzeitig den unaufhaltsamen Weg kombiniert werden konnten, war die Zuschusssi- zur Individualisierung, herausgerissen aus der ver- tuation durch den ‚Zivilschutz‘ so gut, dass die un- trauten „Zeche und Gemeinde“. Das Auto wurde terirdische Erstellung von Parkraum rentierlich zur Versinnbildlichung dieser Veränderungspro- wurde und entsprechend zunahm. zesse. Nur wer mobil und unabhängig war, nur wer Zurück nach Bochum. Es ist schon auffällig, dass in einen eigenen Wagen besaß, der hatte Chancen, in der oben genannten Liste berühmter Großstädte dieser neuen Epoche Schritt zu halten. Nur mit die eigentlich weniger bekannte Stadt Bochum dem Auto ging es wieder aufwärts.4 eine prominente, wenn nicht gar eine Vorreiter- Dazu passte die Ansiedlung des Opel-Werkes in Bo- stellung einnimmt. Das erklärt sich aus den spezifi- chum im Jahr 1960, dessen erste Produktion des schen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen Kadetts fast vollständig von der Werksbelegschaft des Ruhrgebiets in den 1950/60er Jahren: Auch Bo- aufgekauft worden sein soll. 1961 verhieß die chum wurde über den gesamteuropäischen Trend Gründung der Ruhr-Universität Bochum unter an- hinaus ungeheuer mobil. Die Löhne der Arbeiter in derem auch einen großen Zustrom mobiler Studie- Bergbau und Stahlindustrien waren relativ hoch, render. Und schließlich ist auch auf das 1964 eröff- so dass sich viele Familien erstmals zumindest ei- nete Einkaufszentrum „Ruhr-Park“ zu verweisen, nen Kleinwagen leisten konnten. Die 1957 zu- das mit seinem Kaufangebot, guter Verkehrser- nächst harmlos einsetzende Bergbaukrise bedeu- schließung und 6.500 kostenlosen Parkplätzen pri- tete eine Mobilisierung und Neustrukturierung der mär die motorisierten Kunden anlockte. Ihm sollte gesamten Region, Bochum war dabei wie keine an- mit einem entsprechenden Parkraumangebot in dere Stadt im Revier vom Zechensterben betroffen. der Innenstadt Paroli geboten werden. Das Leben in der Stadt änderte sich merklich. Die Vor diesem Hintergrund der 1950/60er Jahre sah gewohnten Bilder in den Bochumer Vororten – sich die Bochumer Stadtplanung – trotz einer 73

5 Bochum, Dr.-Ruer-Platz, Werbung für das neu eröffnete „City-Parkhaus Bochum“, Ruhrnachrichten Bochum 27.10. 1960. schon sehr großzügigen Wiederaufbauplanung – Bauwerke für den ruhenden Verkehr ist. Und es mit einer unvorhergesehenen Flut von PKWs in der soll auch nicht als Scherz verstanden werden, dass Innenstadt konfrontiert, die dringend einge- eine solche bauliche Anlage als eigenständiges dämmt werden musste. 1951 waren 10.000 PKW in Baudenkmal eingeordnet werden kann. Das Bo- der Stadt angemeldet, 1956 20.000 und 1961 be- chumer Exemplar ist für solche Überlegungen als reits 40.000. 1960 wurde auf einer Bochumer Ta- die „erste Anlage dieser Art in der Bundesrepu- gung von Verkehrsexperten formuliert, „Personen- blik“ sicherlich ein geeignetes Studienobjekt. kraftwagen seien das entscheidende Moment aller Verkehrsplanung“, ob man das nun wolle oder Anmerkungen nicht. Für den ruhenden Verkehr in der Innenstadt 1 Stadtarchiv Bochum, Westdeutsche Allgemeine Zei- errechnete man einen Bedarf von 10.000 Parkplät- tung, Stadtanzeiger 28.10. 1961. zen, was ungefähr einem Viertel der Innenstadt- 2 Kleinmanns a.a.O., S.145 fläche entsprochen hätte. Hier gäbe es nur ein Aus- 3 Der Bautyp der Hochgarage bzw. des Parkhauses muss weichen in mehrere Ebenen.5 Dementsprechend hier außerhalb der Betrachtung bleiben. plante die Stadt einen Kranz von Hochgaragen um 4 Manfred Wannöffel: „Rette sich, wer kann.“ Anmer- die Innenstadt, deren erste gleichzeitig mit der kungen zur jüngeren Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Tiefgarage am Dr.-Ruer-Platz eröffnet wurde. Sie Bochums, in: Hans H. Hanke (Hg.), Bochum. Wandel in Ar- war vermutlich die erste deutsche Hochgarage aus chitektur und Stadtgestalt. Bochum 1985, S.35 Fertigbetonteilen.6 Es folgten in rascher Folge fünf 5 Stadtarchiv Bochum, Ruhrnachrichten, Bochum, 11.10. weitere ober- und unterirdische Anlagen, deren 1961. Gesamtzahl heute auf neun mit insgesamt 5.000 6 Kleinmanns a.a.O., S.154–157. Stellplätzen angewachsen ist. Bereits der Bau der ersten öffentlichen Großgaragen wurde zum An- Quellen und Literatur lass genommen, nach und nach die Innenstadt mit Oskar Büttner, Parkplätze und Großgaragen. Bauten für Fußgängerzonen und verkehrsfreien Plätzen neu den ruhenden Verkehr. Berlin 1967. – Dietrich Klose, Park- zu gestalten. häuser und Tiefgaragen. 1965. – Parkhäuser – Bauten für den ruhenden Verkehr gehörten also Oasen im Verkehr (hg. von Fren Förster im Auftrag der BP ohne Zweifel zu den wichtigen Planungs- und Bau- Benzin und Petroleum Aktengesellschaft). Lengerich aufgaben der öffentlichen Hand. Tiefgaragen 1970. – Stadtarchiv Bochum, Ruhrnachrichten, Bochum, kommt dabei seit etwa 1960 in Deutschland eine vom 11.10. 1961; Westdeutsche Allgemeine Zeitung, besondere Bedeutung zu. Sie sind daher einer Stadtanzeiger 28.10. 1961. – Manfred Wannöffel, „Rette denkmalkundlichen Würdigung nach den Krite- sich, wer kann.“ Anmerkungen zur jüngeren Sozial- und rien der Denkmalschutzgesetze zugänglich, was Wirtschaftsgeschichte Bochums, in: Hans H. Hanke (Hg.), sich meines Wissens jedoch bislang in den Denk- Bochum. Wandel in Architektur und Stadtgestalt. Bochum mallisten noch nicht wiederspiegelt. Bundesweit 1985, S.31–42. – Hans H. Hanke, Wege zum Heil. Das sind ungezählte Verkehrsbauten unter Schutz ge- Auto, das Ruhrgebiet, Bochum und Essen, in: Rainer stellt. Es handelt sich jedoch häufiger um Bauten Wirtz, Burkhardt Zeppenfeld: War die Zukunft früher bes- für die Eisenbahn als für den motorisierten (Indivi- ser? Visionen für das Ruhrgebiet. Bottrop, Essen 2000, dual-)Verkehr. In den kommunalen Denkmallisten S.231–250. – Jan Gympel, Schrittmacher des Fortschritts, Westfalen-Lippes finden sich Tankstellen und Stra- Opfer des Fortschritts? Bauten und Anlagen des Verkehrs. ßenbrücken, Autohöfe der 1920er Jahre, Garagen Bühl/Baden 1999 (= Schriftenreihe des Deutschen Natio- als Bestandteile denkmalwerter gehobener Wohn- nalkomitees für Denkmalschutz, Bd.60) – Joachim Klein- häuser, u.a.m.; Tiefgaragen sind aber als Einzel- manns, Parkhäuser. Architekturgeschichte einer ungelieb- bauwerke noch nicht als denkmalwert benannt ten Notwendigkeit. Marburg 2011 worden, sondern höchstens als Bestandteile größe- rer Anlagen, wie etwa der Ruhr-Universität Bo- Bildnachweis chum. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- Es ist also kein Aprilscherz gewesen, dass die Tief- falen: 3, 4 (Hanke). – Stadt Bochum, Presseamt: 1, 2. – garage in Bochum ein bedeutendes Beispiel der Stadt Bochum, Stadtarchiv: 5. 74

Thomas Spohn „Für Fuhrwerk verboten“ – oder: Über die Ablesbarkeit des Baumaterialtransports

Diese Ausgabe der „Denkmalpflege in Westfalen Lippe“ hat als Schwerpunktthema die Bau- denkmäler von Verkehr/Transport des 19. und 20.Jahrhunderts, so dass fast zwangsläufig Mo- numente der Eisenbahn und des motorisierten (Individual-)Verkehrs im Vordergrund stehen. Leicht gerät in Vergessenheit, dass noch im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts und erneut in den Jahren des Mangels nach 1945 wenn nicht der Personenverkehr so doch der Material- transport mit den weit älteren Verkehrsmitteln von statten ging. Zumindest für die Nahver- sorgung und damit auch für den Transport von Baumaterialien zur Baustelle waren von Pfer- den gezogene Fuhrwerke und -karren unverzichtbar.1

Die Sandsteintafel mit der Inschrift „Für Fuhrwerk heitlich mit Ziegelbauten in karger, zuletzt auch verboten“ (Abb.1) ist ein solches ‚Denk Mal‘ mit von der Stilrichtung der ‚Neuen Sachlichkeit‘ Aufforderungscharakter. Sie ist eingemauert in der beeinflusster Architektur um das Rathaus von zweijochigen und deshalb eigentlich zum Durch- 1912–16 und das Amtsgericht von 1909. Lyzeum fahren verlockenden Bogenhalle eines Backstein- (1921–23), Feuerwache (1923), Finanzamt (1923– hauses von 1923 an einer der Hauptstraßen Bott- 24), Polizeiamt (1925), Bergrevieramt (1927) und rops, umgangssprachlich „Torbogenhaus“ ge- Arbeitsamt (1930) formieren eines der – auch über nannt. Durch das weitgehend geöffnete Erdge- Westfalen hinaus – bedeutenden Dienstleistungs- schoss vermittelt das stattliche, ursprünglich drei- und Verwaltungszentren der 1920er Jahre. und nach Kriegsschaden seit 1955 vierstöckige Die vom damaligen Stadtbaurat Lange veranlasste Haus zwischen der Einzelhandelszone der durch Verbotstafel – „Dieses Geschäftsviertel muß frei den Bergbau gewachsenen Stadt und der nach der vom Wagenverkehr werden“3 – verblüfft heute in Stadtrechtsverleihung (1919) in den 1920er Jahren erster Linie durch ihren Standort mitten in einer neu geschaffenen Zone mit den öffentlichen Bau- Fußgängerzone und in zweiter Linie als Hinweis ten und weiterführenden Schulen.2 Dieses Behör- darauf, dass das Material für alle diese Großbauten denviertel entstand innerhalb weniger Jahre ein- mit Pferdefuhrwerken herangeschafft wurde.4

1 Bottrop, Gladbecker Straße 13 von 1923. Detail 2010. 75

Kaum anders als in den teils riesigen Wohnvierteln Einziehenden. Fotografien dieser Vielfachbaustel- der Zeit um 1900 vor den Toren der historischen len liegen nicht vor; selten bezeugt wenigstens das Städte muss angesichts der Vielzahl fast gleichzei- Foto einer einzelnen Bau- oder Abbruchstelle das tig begonnener Baumaßnahmen ein Tohuwabohu Fuhrwerk als Transportmittel (Abb.2). der verschiedensten Wagen und Karren geherrscht Dabei stellten die Kosten für den zeit- und perso- haben, kaum geringer als anlässlich der großen nalintensiven Transport nebst den erhobenen We- Wochen- und vor allem Jahrmärkte:5 Gespanne mit gegeldern in der vor-motorisierten Zeit einen we- Gerüststangen und Bauholz, Ziegelsteinen und sentlichen Anteil der gesamten Bausumme dar. In Dachpfannen sowie aller sonstigen Bau- und Aus- den heutigen Kostenaufstellungen kaum mehr als baugewerke, dazwischen die Milch- oder Kohle- eigener Posten ausgewiesen, lässt sich bis ins karren für die Bewohner der ersten schon fertigen 19.Jahrhundert hinein aus den Baurechnungen er- Häuser und die Fuhrwerke mit dem Hausrat der mitteln, dass die Transportkosten bzw. der „Fuhr-

2 Halver-Heedfeld (Märkischer Kreis), Bau der Mühle. 1894.

3 Soest, Wiesenkirche, ausgebauter Gesimsstein vom Treppenturm. Mittig ist der – später zugestrichene – „Wolff“ zu erkennen, links und rechts Spuren der Verklammerung mit den einst daneben vermauerten Steinen. 2011. 76 lohn“ – in Abhängigkeit natürlich von der zu über- sung der Eigenbehörigen“, wofür z.B.Caroline von brückenden Distanz und damit auch von der Art Bandemer, Stiftsfräulein im Herforder Marienstift des Materials – mit bis zu 50% zu Buche schlagen auf dem Berge, beim Bau ihres Kuriengebäudes im konnten. Als 1806 die neue Schule in Hagen mit Jahr 1804 mehrfach Speck, Graupen, Butter, Buch- Schiefer eingedeckt wurde, betrugen der Lohn für weizen- und Hafergrütze sowie Branntwein besor- den Schieferdecker 27Reichstaler (Rt.) und der gen ließ.7 Die Mühen und die Dauer des Transports Fuhrlohn für die Landstrecke von Mühlheim an der werden nur selten fassbar, wenn etwa 1565 für den Ruhr bis Hagen 56Rt. (= 39,4%), der Schiefer selbst Antransport der neuen, eisernen Kamin- und Ofen- kostete 59Rt., wobei in dieser Summe nochmals platten für das Schloss Horst aus dem Herkunftsort Transportkosten für die Schiffsfracht von der Mosel Obermarsberg bis zum Auftraggeber im heutigen enthalten waren; für das Pfarrhaus in Münster- Gelsenkirchen die sieben Tage vom 1. bis 7.März Altenberge kaufte man für 92Rt. Ziegelsteine und benötigt wurden.8 für 145Rt. Bruchsteine, deren Brechen zusätzlich Die historischen Gebäude selbst bekunden einzig 72Rt. kostete, während der Fuhrlohn für sämtliche und allein durch ihr Dasein einen Baumaterial- Steine 213Rt. (= 40,8%) betrug; aber selbst die transport als Grundvoraussetzung ihrer Existenz. Transportkosten für Bauholz waren nicht gering, Dies ist umso offenkundiger, je weiter der Standort denn sie machten etwa beim Pfarrhausneubau in der Häuser vom (bekannten) Gewinnungsort ihrer Sendenhorst neben dem reinen Materialpreis von Materialien entfernt liegt, wie etwa Schieferdä- 581Rt. und den Kosten für das Zuschneiden von cher des Münsterlandes von den Vorkommen im 267Rt. mit 187Rt. immerhin 22,4% aller Holzkos- Sauerland oder Sandsteinfassaden bis hinab nach ten vor dem Aufrichten aus.6 Und selbst wer vor Bremen von den Hängen bei Oberkirchen an der der Befreiung der Bauern von den alten Lasten auf mittleren Weser. Die Baudenkmäler verraten je- deren Hand- und Spanndienste zurück greifen doch fast nie etwas über die Art und die Technik konnte, blieb nicht ohne Ausgaben, sondern hatte des Materialtransports. Nur zwei Ausnahmen sind für die Fuhren Wege- und gegebenenfalls Chaus- zu erwähnen. Da ist zum Ersten der „Wolff“, jene seegeld zu entrichten und „Unkosten für die Spei- Auskerbung in Sandsteinblöcken (Abb.3), in die schon im mittelalterlichen Baubetrieb Steinzangen bzw. Spreizzangen greifen konnten.9 Allerdings bleiben diese Vorrichtungen im verbauten Zustand verdeckt, und sie dienten zumeist nur dem aller- letzten Teil des Transports, nämlich zum Hochzie- hen durch den Baustellenkran. So bleiben zum Zweiten als einzige echte Spuren eines Transports über längere Strecken die sogenannten Floßholz- löcher, deren Entstehung aus der Notwendigkeit des Zusammenbindens von Stämmen zu steuerba- ren Flößen resultiert. Allerdings sind Spuren dieses Holztransports in Westfalen äußerst selten, denn weder ergibt sich hier – mit Ausnahme der Teilhabe an der Weser – die Möglichkeit des Flößens, noch die Notwendigkeit: Zumindest bis ins frühe 19.Jahrhundert standen in den meisten Landestei- len hinreichend Bestände an Eichenholz zur Verfü- gung. Nur an wenigen Nadelhölzern im Raum Höx- ter/Minden finden sich die charakteristischen Lö- cher (Abb.4), in denen Holzkeile die Ruten oder Schnüre fixierten, mit denen die Stämme zusam- mengebunden wurden.10 Es sind dies die derzeit einzigen echten Realien-Belege für den (Wasser-) Transport von Baumaterial in Westfalen-Lippe.

Anmerkungen 1 Den westfälischen Baudenkmälern des Verkehrs in älte- rer, vorindustrieller Zeit war aus Anlass des Tages des of- fenen Denkmals im Jahr 2010 die „Denkmal-Zeitung“ des LWL-Amts für Denkmalpflege und der LWL-Archäologie für Westfalen gewidmet. – Zu den baulichen Zeugnissen und Baudenkmälern des Luftverkehrs in Westfalen s. Hoe- 4 Hille (Kreis Minden-Lübbecke), Dachwerk eines Bau- bel 1999. ernhauses mit Floßholz der Zeit um 1860 aus dem Holz- 2 Krix 2005; Wallmann 2010. handel an der Weser. 2009. 3 Nach Krix 2005, S.58. 77

4 Zur Technik dieses Verkehrsmittels s. Stenkamp 1997. Westfalen A2, 118. – Thomas Spohn, Kostenvoranschläge 5 Fotografien z.B. bei Kaspar/Spohn 1992, S.96f, 108f. und Baurechnungen als Quellen zur Geschichte des Bau- 6 Spohn 2005, S.115. handwerks. Beispiele des späten 17. bis frühen 19.Jahr- 7 LAV NRW W Münster, Königreich Westfalen A2, 118. hunderts in Westfalen, in: Heinrich Stiewe (Red.), Auf den 8 Thier 2009, S.54. Spuren der Bauleute. Historische Bau- und Ausstattungs- 9 Historische Abbildungen u.a. bei Binding 1993, S.423f. gewerke in Nordwestdeutschland. Marburg 2005, S.113– 10 Mit Fotografien und Schemazeichnungen Delfs 1952, 135. – Hermann Josef Stenkamp, Karren und Wagen. Keweloh 1987; zu geflößten Bauhölzern vor allem Klages Fahrzeugbauer und Fahrzeugtypen in der Region Nieder- 1993. rhein, Westmünsterland, Achterhoek und Liemers vom 18.Jahrhundert bis in die Gegenwart. Pulheim 1997. – Literatur und Quellen Bernd Thier, Die gusseisernen Ofen- und Kaminplatten Günther Binding: Baubetrieb im Mittelalter. von 1561 und 1563 in den Rechnungsbüchern des Rutger 1993. – Jürgen Delfs, Die Flößerei im Stromgebiet der von der Horst, in: Hans-Werner Peine/Julia Hallenkamp- Weser. Bremen 1952. – Christian Hoebel, Abschied von Lumpe, Forschungen zu Haus Horst in Gelsenkirchen. Die den alten Luftstraßen, in: Denkmalpflege in Westfalen- mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Öfen. Mainz Lippe 1999, S.25–30. – Fred Kaspar/Thomas Spohn, Unter- 2009, S.37–80. – Verkehrs- und Heimatverein Halver (Hg.), wegs in Westfalen. Rheda-Wiedenbrück 1992. – Hans- Bilder und Geschichten aus Halver. (Bd.I) Halver 1986. – Walter Keweloh, Die Flößerei auf der Weser, in: Jutta Norbert Wallmann, Bottrop – Persönlichkeiten und ihre Bachmann/Helmut Hartmann (Hg.), Schiffahrt, Handel, Stadt: Dr. Erich Bauer, Oberbürgermeister 1920–1933 (hg. Häfen. Beiträge zur Schiffahrt auf Weser und Mittelland- von der Historischen Gesellschaft Bottrop). (Ausstellungs- kanal. Minden 1987, S.171, 186. – Ulrich Klages, Floßhöl- katalog) Bottrop 2010. zer in Marschenhäusern an der unteren Elbe, in: Jahrbuch für Hausforschung 42, 1993, S.181–214. – Wilfried Krix, Bildnachweis Der Wandel vom Dorf zur Stadt. Baurat Albert Lange legt LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- die städtebaulichen Grundlagen für ein städtisches Bott- falen: 1, 3 (Spohn); 4 (Barthold). – Verkehrs- und Heimat- rop. Bottrop 2005. – LAV NRW W Münster, Königreich verein 1986, S.164: 2.

Michael Huyer Die Suche nach der zeitgemäßen Mitte Marl und sein Rathaus Mit dem Einsetzen der Kohleförderung an der Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert war der Startschuss für einen grundlegenden Wandel in dem von der Landwirtschaft geprägten Dorf Marl am nördlichen Rand des Ruhrgebiets (Kreis Recklinghausen) gefallen. Die 1899/1900 ein- gerichtete Zeche Auguste Victoria sorgte dafür, dass dem Bergbau rasch die dominierende Rolle im örtlichen Wirtschaftsleben zuwuchs.

Durch stetigen Zuzug von Arbeitern, aber auch ei- dings konnte Marl nicht zuletzt dank Hilfeleistun- nige Eingemeindungen in den 1920er Jahren, mit gen im Rahmen des Marshall-Plans schon in der denen sich die Fläche des aus mehreren Siedlungs- frühen Wiederaufbauzeit weit über den Bundes- arealen bestehenden Marl vergrößert hatte, stieg und Landesdurchschnitt hinaus expandieren. Ins- die Bevölkerungszahl eindrucksvoll von etwa 4.700 besondere durch den Zuzug von Flüchtlingen und gegen Ende des 19.Jahrhunderts auf ca.33.000 im Vertriebenen stieg die Einwohnerzahl auf über Jahre 1936 an. Damals wurde Marl zur Stadt erho- 83.000 im Jahre 1957. ben, und es sollte nur zwei Jahre dauern, bis mit Die beeindruckende Wirtschaftsentwicklung ver- den „Chemischen Werken Hüls“ 1938 ein weiterer langsamte sich erst mit dem Einsetzen der Kohle- expansiver Wirtschaftszweig neben die Kohleför- krise Ende der 1950er Jahre. Ab dem Ende der derung trat. Für die zahlreichen, meist aus anderen 1960er Jahre war schließlich eine Stagnation zu deutschen Chemiestandorten zugezogenen Be- verzeichnen, die sich auch in der Bevölkerungszahl schäftigten der Werke, in denen die künstliche niederschlug. Seit der kommunalen Neugliede- Synthetisierung von kriegswichtigem Kautschuk rung 1975 wohnen ca. 92.500 Menschen in Marl, erfolgte, wurde 1938 bis 1942 die „Bereitschafts- das damit eine Größenordnung erreicht hat, die im siedlung“ nach Plänen von Clemens Anders, dem Prinzip heute noch gegeben ist. Chefarchitekten der IG Farben Wohnungsbauge- In dem Projekt des Rathausbaus, realisiert 1960– sellschaft, errichtet. 1967, wird einerseits der beeindruckende ökono- Die erhebliche militärische Bedeutung der Fabrika- mische Aufstieg der Stadt anschaulich und kristalli- tionsanlagen führte im Zweiten Weltkrieg schließ- siert sich andererseits die Suche nach einem bauli- lich zu starken Zerstörungen im Stadtgebiet. Aller- chen Mittelpunkt innerhalb einer dezentral ge- 78

1 Luftaufnahme von Süden. 1967. wachsenen Siedlungsstruktur. Ein erster Stadtent- Arne Jacobsen (Dänemark) und Johannes Hendrik wicklungsplan wirkte ab 1925 und wurde ab Mitte van den Broek & Jacob Berend Bakema (Nieder- der 1950er Jahre vom Architekten und Städtepla- lande) waren hochrangige europäische Architek- ner Günther Marschall gemäß dem Leitbild „Indus- ten beteiligt, hinzu kam Otto Englberger aus der triestadt im Grünen“ weiterentwickelt. Ziel war DDR. eine funktional gegliederte und aufgelockerte Die gleichfalls mit hochkarätigen Vertretern des Stadt mit getrennten Wohn- und Industriearealen modernen Städtebaues sowie der modernen Archi- sowie Erholungs- bzw. Grünflächen und breiten tektur besetzte Jury, bestehend aus Ernst May, Verkehrsflächen. Das viel beachtete und als fort- Konrad Rühl, Ben Merkelbach (Niederlande), Wer- schrittlich angesehene Stadtbaukonzept betrach- ner Hebebrand und Rudolf Hillebrecht, vergab im tete den Stadtmittelpunkt, die so genannte Grüne Februar 1958 den 1.Preis einstimmig an das Büro City, als bauliche Manifestation der funktionalen van den Broek & Bakema (Rotterdam). Hans Scha- Dominanz kultureller und sozialer Institutionen. roun erhielt den zweiten Preis. Folgerichtig entstanden hier zwischen 1953 und Das Siegerbüro des auch international beachteten 1956 das Theater, Bildungsbauten – darunter die Wettbewerbs hatte ein Konzept vorgelegt, bei „Insel“, das erste eigenständige Volkshochschul- dem die einzelnen Funktionen verschiedenen, gebäude Deutschlands (jetzt Adolf-Grimme- ganz unterschiedlich gestalteten Baukörpern zu- Institut) –, eine Klinik und das Amtsgericht. Getra- gewiesen wurden. In spannungsreichem Verhältnis gen von der optimistischen Grundstimmung im gruppieren sich diese Bauten unter Verzicht auf Zeitalter des Wirtschaftswunders lobte man für das axiale oder symmetrische Bezüge. Rathaus, gleichsam den Inbegriff einer modernen Die Jury lobte explizit das städtebauliche Konzept, „Stadtkrone“, 1957 einen beschränkten, jedoch in- die Baugruppengestaltung mit der Massenauflö- ternational besetzten Wettbewerb aus. In diesem sung durch die Mehrturmlösung und die „feinsin- ideellen Mittelpunkt der Stadt sollten zugleich die nige Differenzierung“ der Baukörper sowie das bislang über das Stadtgebiet verteilten Dienstge- Verkehrswegekonzept. Nach einstimmigem Rats- bäude zentralisiert werden und ihre architekto- beschluss vom April 1959 ging der Planungsauftrag nisch zeitgemäße Ausdrucksform erhalten. Es ver- an das Büro van den Broek & Bakema, und am wundert daher nicht, dass die geladenen, renom- 10.11. 1960 erfolgte die Grundsteinlegung. mierten Architekten bzw. Büros sämtlich Exponen- Der zweigeschossige Ratstrakt mit repräsentativer ten der modernen Architektur waren: Aus der Bun- Freitreppe und den Sitzungssälen wird von einem desrepublik kamen Ferdinand Kramer, Sep Ruf, rund 60 Meter weit gespannten Faltwerk aus Bernhard Pfau, Hans Schwippert, Rudolf Schwarz Spannbeton stützenfrei überdacht. Dieses 28 Me- und Hans Scharoun, aus der Region die Gebrüder ter breite und auf der Oberseite mit Kupfer ver- Conle () und Günther Marschall (Marl), kleidete Dach ruht auf den entsprechend „gefalte- deren Qualifikation durch frühere Bauten in Marl ten“ Wänden der Schmalseiten, die sich zu Fuß- außer Frage stand. Mit Alvar Aalto (Finnland), punkten verjüngen und angesichts möglicher 79

2 Ratstrakt von Südwesten. 2011.

3 Ratssaal im Ratstrakt nach Süden (Konzertbestuhlung). 2011.

Bergschäden auf einer beweglichen Lagerung glaste Fenster und mosaizierte Flächen aufgelöst. gründen. Mit dem Glasband darüber wird der Gedanke von Die seitliche Treppe führt ins aufgeständerte Transparenz weitergeführt, der schon im niedrige- Hauptgeschoss mit Empfangshalle samt Nebenräu- ren Erdgeschoss durch deckenhohe Glaswände ein- men, Ratssaal und zwei weiteren Sälen, in denen geführt wurde.1 Vor allem durch die reichliche Ver- das verkleidete Dach ebenfalls den oberen Raum- wendung von Glas ergeben sich spannungsvolle abschluss darstellt. Zum Creiler Platz hin verbindet Durchdringungen von außen und innen, und es ein Balkon – ein bekanntes Motiv im Rathausbau – entsteht ein großzügiger Eindruck, zumal die Falt- die Sitzungssäle miteinander. Die dahinterliegende decke auch von innen durch Glaswände über den repräsentative, unregelmäßig gegliederte Beton- eigentlichen Raumwänden als Einheit wahrge- wand ist weitgehend in viereckige, teils bunt ver- nommen werden kann. Verstärkt wird die einheit- 80

4 Treppenhaus im Zentralgebäude nach Südwesten. 2011.

5 Empfangshalle nach Nordosten. 2011. liche Wirkung durch den Marmorboden aus verkehr konzentriert. Auch bei dem Rechteckbau Schweizer „bleu cendré“, der von außen bis in die trägt das stark verglaste Sockelgeschoss zum Ein- Empfangshalle und die Säle führt. druck eines „schwebenden“ Baukörpers bei. Der Der Ratstrakt wird auf zwei Seiten umgriffen vom westseitige Haupteingang des Gebäudes wird L-förmigen Gebäude der „Obersten Organe“, dem durch eine Reihe von sieben kupferverkleideten Sitz der kommunalen Verwaltungsspitze. Das auf- Dreiecksgiebeln betont. Dahinter befindet sich ein geständerte Obergeschoss dieses Flachdachbaus gefaltetes Dach aus Mattglas, das für die indirekte besitzt eine helle Marmorverkleidung mit meist Belichtung des Foyers sorgt. bandartig gereihten Fenstern und ähnelt damit Sowohl der kleinere als auch der längliche Innen- dem Ämtergebäude (Zentralgebäude) auf der ge- hof im Norden spenden den anliegenden Räumen genüberliegenden Seite, wo sich der Publikums- durch ihre wandhohen Verglasungen reichlich 81

6 Der kleinere südliche Dezernatsturm von Südwesten. 2011.

Licht. Am Kopfende des größeren Hofs erhebt sich Markante Erkennungszeichen für das Marler Rat- die Kantine als quadratischer, vollverglaster Bau- haus sind die Bürotürme in ihrer innovativen Kon- körper über das Dach und erzeugt abermals die As- struktionsweise, die das Zentralgebäude umstehen soziation von „schwereloser Architektur“. Durch sollten. Statt der vier, in ungleicher Höhe geplan- die Absenkung der Fläche um das Zentralgebäude ten Türme wurden aufgrund schwindender Fi- wurde ein großer, teils überdachter Parkplatz ge- nanzmittel nur die beiden kleineren westlich des schaffen. Zentralgebäudes erbaut. Die allseitig gleich gestal- 82

7 Unteransicht der Südkante des kleineren, südlichen Dezernatsturms; an der Unterseite die nachträglichen Verstärkungen. 2011. teten Dezernatstürme bestehen aus einem zentra- regend belichtete Brücke zwischen dem Bau der len, bis zum Dach empor geführten Betonkern und „Obersten Organe“ und dem Zentralgebäude. Die einem weit auskragenden Kastentragwerk. Dieses eigenwillige Form des Verbindungsbaus in Kombi- quadratische, räumliche Kastentragwerk ist ober- nation mit der maulartigen Form des Anschluss- seitig in gegeneinander geneigte Dreieckscheiben fensters führten zur treffenden Bezeichnung „Hai- gegliedert. Die Deckenlasten der über einem ho- fisch“. hen ungegliederten Sockel (Betonkern) ansetzen- Die Zugänge in die Hochhäuser erfolgen ebenfalls den Geschosse werden von frei vortretenden Hän- auf Obergeschossniveau, wie sich auch gut an den gegliedern aus Stahlbeton zum „Pilzdach“ hinauf- vorbereiteten Zugangsöffnungen für die beiden geführt, wo der Kraftverlauf umgelenkt und auf nicht realisierten Türme ablesen lässt. den Betonkern abgeführt wird. Ursprünglich sollte Nordwestlich des Rathausgebäudes befindet sich das Tragwerk als Stahlkonstruktion gebildet wer- das einstige Baubüro, eine zweigeschossige Vari- den, doch griff man auf Stahlbetonhänger mit ante der Türme, das ab Juli 1960 von der ausfüh- quadratischem Querschnitt zurück (in den oberen renden Firma Hochtief AG, Essen, in Vorbereitung Geschossen zwei hintereinander als so genannte zum eigentlichen Bau errichtet wurde, nicht zu- Spannbündel). Die kräftigen Knotenpunkte zwi- letzt um die Anfertigung der senkrechten, tragen- schen den Geschossbalken, auf denen die Decken- den Stahlbetonsäulen zu erproben. Die Knoten- platten liegen, und den Hängegliedern sind poly- punkte sind hier noch nicht achteckig, sondern gonal. Die allseitig weit über den rund 10Meter vierseitig. Das Erdgeschoss des „Versuchsbaus“, der hohen, ungegliederten Sockel hinausragenden heutigen Bücherei, „Türmchen“ genannt, ist Vorhangfassaden bestehen aus vorgefertigten, wandhoch verglast. wandhohen Aluminiumteilen mit Brüstung (Alu- Die Garten- und Freiraumgestaltung war von Be- minium), Fenster und niedrigem Oberlichtband ginn an wesentlicher Bestandteil der Planung. Bis (Mattglas). Der kleinere Turm besitzt fünf Normal- heute hat sich die Anmutung des Creiler Platzes geschosse und ein abschließendes Freigeschoss un- gut erhalten. Beton- und Waschbetonplatten bil- ter dem Dach. Beim höheren, siebengeschossigen den ein Streifenraster, in das sich verschiedene Ele- Turm ist das dritte Obergeschoss als Ausstellungs- mente einfügen. Im größeren der beiden – inzwi- geschoss mit Umgang und entsprechend zurückge- schen defekten – Wasserbecken steht der Uhrturm, setztem Lichtband gebildet. eine lichte Stahlgerüstkonstruktion. Zur Platzge- Die Wegeführung im gesamten Komplex ist so staltung der Bauzeit gehören ferner vier Einheiten, konzipiert, dass die Büroräume über den Ver- die jeweils aus einem Pflanzbeet mit geböschter kehrsflächen angeordnet sind, um störungsfreies Pflasterung, einer Bank und einer Lichtsäule aus Arbeiten zu gewährleisten. Hinzu kommen eine Beton bestehen. Jeder Gruppe ist durch ihr Glas- offene und eine geschlossene, jedoch aufsehener- mosaikdekor eine andere Farbe zugeordnet. 83

Die qualitätvolle Behandlung des Sichtbetons und Kupferabdeckung vorgenommen, welche die alte die verwendeten Wandverkleidungen aus Natur- Dachkontur aber noch spürbar werden lässt. Insge- stein oder afrikanischem Afzelia-Holz demonstrie- samt gelang es, das äußere Erscheinungsbild nur ren hohen gestalterischen Anspruch. Es gehörte punktuell und damit nicht wesentlich zu beein- zum konzeptionellen Selbstverständnis des Ent- trächtigten. wurfsbüros, dass auch den Details hohe Aufmerk- Von den übrigen Bauschäden, die recht bald nach samkeit gewidmet wurde. Das eigens für den Rats- der Fertigstellung des Rathauses auftraten, war ein trakt entworfene Mobiliar ist ebenso noch vorhan- Teil auf neuartige Kunststoffe zurückzuführen, de- den wie viele Teile der wandfesten Ausstattung, ren Einsatz seitens der Stadt als Referenz an die darunter u.a. Wandschränke und Glasmosaik im heimische Chemieindustrie gewünscht worden Sanitärbereich. war. In der Entwicklung des Rathausprojekts spiegelt Im Rathauskomplex von Marl löste die Stadt die sich der ökonomische Aufstieg Marls, aber auch selbst gestellte Aufgabe nach der baulichen Mani- der Umschwung in der zweiten Hälfte der 1960er festation einer urbanen Mitte zumindest in archi- Jahre wider. Die Türme „sollen nacheinander, den tektonischer Hinsicht in nachdrücklicher Weise. wachsenden Ansprüchen der Stadt entsprechend, Das Entwurfsbüro war von dem Grundgedanken weiteren Raum schaffen und den flach gestalteten geleitet wesen, der „offenen Stadt“ ein Zentrum in Bauten ein architektonisch wirkungsvolles Gegen- konsequent moderner Formensprache zu geben. spiel bieten.“2 Sie waren, unter Einplanung sukzes- Zudem wurden gleich an mehreren Bauteilen die siver Erweiterbarkeit, auf eine Stadt von 150.000 technischen Möglichkeiten von vorgespannten Einwohnern hin ausgelegt. 1967 erfolgte aller- Stahlbetonkonstruktionen demonstriert, wie die dings der Beschluss, den dritten Bauabschnitt, wel- bewusst über ihre Langseite von 60 Metern ge- cher den dritten und vierten Büroturm umfasste, spannte, in einem rund 80-stündigen Vorgang be- obwohl die Fundamentierung schon vollendet war, tonierte „Faltdach“-Konstruktion des Ratstrakts nicht mehr zu errichten. Schließlich wurde auch eindrucksvoll zeigt. Hier musste im Detail ebenso auf das geplante Polizeigebäude verzichtet. kreativ auf die besonderen Unwägbarkeiten des Allerdings hatten die Marler Türme, ungeachtet von Bergschäden bedrohten Untergrundes rea- dessen, dass nur zwei erbaut wurden, internatio- giert werden wie bei der aufwändigen Hängekon- nale Beachtung gefunden. Erstmalig waren in struktion der Türme. Europa Hochhäuser in Hängebauweise errichtet worden, lediglich in Montevideo existierte ein we- Für Unterstützung sei Beatrijs Roets herzlich gedankt. nig beachtetes Wohnhaus, das als Vorläufer be- trachtet werden kann. Das Prinzip der außen sicht- Anmerkungen baren Geschossaufhängung an einen inneren Be- 1 Hier befanden sich ursprünglich das Verkehrsbüro und tonkern erregte Aufsehen und sorgte in den frü- ein kleiner Ausstellungsraum. 1985–1987 wurde eine hen 1960er Jahren für eine intensive Fachdiskus- zweite, weiter außen liegende Verglasung angebracht, sion um das Für und Wider dieser Bauart. Unter wodurch Platz für das Skulpturenmuseum „Glaskasten“ den nicht sehr zahlreichen Nachfolgebauten sind entstand. beispielsweise das elfgeschossige Finnlandhaus in 2 Rathausneubau Marl, in: Hochtief Nachrichten. Hamburg (1964–1966, Büro Hentrich & Petschnigg) 40.Jg.,1967 (Sonderheft), S.26. oder das BMW-Hochhaus in München (1970–1973, Büro Karl Schwanzer) zu nennen. Literatur 1981 wurden in Marl gravierende Schäden an den Eberhard Grunsky, Baudenkmäler der Nachkriegszeit?, in: Balkenköpfen der Verwaltungstürme festgestellt. Der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg und die Pro- Infolge korrodierter Bewehrung und Ablösung der bleme des Denkmalschutzes. Münster 1990, S.21–97. – Betonschicht waren die Balkenköpfe zu rund 85% Stefan Kleineschulte, Das Rathaus in Marl – Zur Bedeu- zerstört. Diese Bauschäden stehen somit direkt im tung der Architektur für die politische Sinnstiftung auf Zusammenhang mit der innovativen Konstrukti- kommunaler Ebene. (Ruhr Universität) Bochum 2003. – onsweise. Bei der Sanierung wurde 1986 zur Er- Rathausneubau Marl, in: Hochtief Nachrichten. 40.Jg., tüchtigung im Inneren je eine entlastende zweite 1967 (Sonderheft). – Christoph Neubauer, Marl, in: Städte Aufhängung eingebracht, die das alte Prinzip der und Gemeinden in Westfalen 8. Die Emscher-Lippe- Lastabtragung aufgreift. Sie wird außen lediglich Region. Stadt Bottrop. Stadt Gelsenkirchen. Kreis Reck- an den unteren Verankerungen und im Freige- linghausen. Münster 2002. S.183–199. schoss sichtbar und beeinträchtigt daher die für den deutschsprachigen Raum relativ frühe Vor- Bildnachweis hangfassade nicht. Da die neue Trägerlage über LWL-Denkmalpflege, Landschaft- und Baukultur in West- das Dach geführt werden musste, wurde eine falen: 2–7 (Brockmann-Peschel). – Stadt Marl: 1. 84

Berichte

Malereien. Das Fortschreiten von Schäden wurde mittels Monitoring der Malschichten anhand von Referenzflächen dokumentiert. Nach der Auswer- tung konnten präventive Konzepte (zum Beispiel Installation einer Bankheizung) und konservato- risch notwendige Maßnahmen in Angriff genom- men werden. Aus Brandenburg berichtete Diplom-Restauratorin Mechthild Noll-Minor über den jüngst mit einer Publikation abgeschlossenen ersten Projektab- schnitt der Erfassung mittelalterlicher Wandmale- reien in der brandenburgischen Lausitz. Seit 2008 wurden dort rund 30 Kirchen unter bauhistori- schen, kunsthistorischen und restauratorischen As- pekten vergleichend erforscht. Aufgrund des be- denklichen Erhaltungszustands vieler Malereien waren Notsicherungsmaßnahmen erforderlich. Na- turwissenschaftliche Untersuchungen fanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Kunst Dresden durch berührungsfreie Methoden statt. Als ein Ergebnis stellte sich heraus, dass nur sehr wenige der untersuchten Malereien über- tüncht oder überarbeitet wurden und sich der Soest, katholische Nikolaikapelle. Romanische Wand- größte Teil des Bestands noch in seiner allerdings malerei, Apostelkopf, um 1250. 1980. oft fragmentarischen Ursprünglichkeit zeigt. Das Projekt wird fortgesetzt, die gewonnenen Er- Bericht über den Austausch der Denkmal- kenntnisse sollen möglichst bald in eine Daten- fachämter der BRD zu Projekten zur mittel- bank eingearbeitet werden. alterlichen Wandmalerei Aus der Hanse- und UNESCO-Welterbe-Stadt Lü- Anlass des Fachgesprächs waren die derzeit lau- beck wurde von Dr. Annegret Möhlenkamp das fenden Vorbereitungen für ein Projekt der LWL- von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in und der Lübecker Possehl-Stiftung geförderte Pro- Westfalen zur Erforschung figürlicher romanischer jekt „Wand- und Deckenmalereien in Lübecker Wandmalereien im Zuständigkeitsbereich des Am- Bürgerhäusern“ vorgestellt, welches sich 2005 bis tes. Um sich über die wissenschaftlichen Methoden 2010 mit profanen Malereien aus der Zeit von 1300 und Erfahrungen bei der Erforschung mittelalterli- bis 1800 beschäftigte. Aus etwa 400 Lübecker Häu- cher Wandmalerei mit den übrigen Landesdenk- sern sind aus diesem Zeitraum etwa 1.600 Wand- malämtern auszutauschen, sind Fachvertreter der und Tafelmalereien bekannt. Oft liegen die Male- Ämter sowie Projektbeteiligte auf den 12.5. zu ei- reien in mehreren Schichten übereinander, was nem Gespräch nach Hamm eingeladen worden. eine besondere Herausforderung für die Bearbei- Nach der Begrüßung und Einführung in das Thema tung darstellt. Die umfangreiche Fundmenge durch den westfälischen Amtsleiter Dr. Markus wurde anhand von Archivmaterial, Restaurie- Harzenetter und die Referatsleiterin Restaurierung rungsberichten und Fotos und durch kunsthistori- und Dokumentation, Dr. Dorothee Boesler, eröff- sche sowie maßnahmenbegleitende restauratori- nete Prof.h.c. Dr. Erwin Stadlbauer die Vortrags- sche Untersuchungen erstmals vollständig syste- runde mit der Vorstellung des Wandmalereipro- matisch erfasst, aktualisiert und als Internetdaten- jekts des niedersächsischen Landesamtes, das be- bank publiziert. Durch die detaillierte Klassifizie- reits im Rahmen eines Projekts des Bundesministe- rung mit Schlagwortkatalog und differenzierte riums für Forschung und Bildung (BMFT) 1988 be- Suchoptionen bieten sich weitreichende Möglich- gonnen wurde. Neben der möglichst vollständigen keiten der Grundlagenforschung vor allem in Iko- kunsthistorischen Erfassung des mittelalterlichen nographie, Formensprache und Entwicklung des Wandmalereibestands in Niedersachsen lag hier Ornamentstils sowie der Konservierungsmittel und großes Gewicht auf der Analyse der Schadensbil- Maßnahmen. der, welche in vielen Fällen durch Salzbelastung Das Nachmittagsprogramm gestaltete zunächst Di- verursacht sind. Eine Aufgabe war die Festlegung plom-Restaurator Torsten Arnold mit dem Beitrag der Methoden zur Material- und Schadenserfas- aus Sachsen-Anhalt. Dieses Land weist eine sehr sung für den restauratorischen Umgang mit den hohe Kirchendichte auf. Die Schnellerfassung von 85

Wandmalereien erfolgte ab 1998 bis 2006 durch der Schadensphänomene. In mehreren Fällen ist Prof.Dr.Dott. Thomas Danzl, seit 2007 betreut Tors- durch die Übermalungen des 19.Jahrhunderts eine ten Arnold das Projekt. Die Aufgabe bestand zu- zügige Analyse des Bestands und der Erhaltung der nächst darin, die entsprechenden Akten aufzuar- romanischen Malereien erschwert, weshalb eine beiten, auszuwerten und begleitend durch kunst- detaillierte Untersuchung gefordert ist. Auf der historische und restauratorische Untersuchungen Grundlage entzerrter Fotos werden detaillierte Be- vor Ort zu aktualisieren. In Zusammenarbeit mit stands- und Zustandskartierungen erstellt. Die ma- den Hochschulen Dresden, Hildesheim, Köln, Pots- terialkundlichen Untersuchungen vor Ort und die dam und entstanden 27 restauratorisch- Laboranalysen werden mit den Recherchen zur naturwissenschaftlich orientierte Diplomarbeiten, Restaurierungsgeschichte abgestimmt. Auf dieser deren Ergebnisse in das Projekt einflossen. Bisher Basis sollen präventiv wirksame Erhaltungskon- wurden 135 Malereien erfasst. Nun besteht die zepte für den Gesamtbestand aufgestellt werden. Aufgabe vor allem darin, alle Daten in einer Da- Die gewonnenen Daten finden Eingang in eine tenbank zu digitalisieren und die Erfassung maß- übergreifende Datenbank. Die Ergebnisse sollen nahmenbegleitend fortzuführen. zum Abschluss des Projekts in einem Katalogband Das seit April 2010 laufende thüringische Projekt publiziert werden. wird in Zusammenarbeit mit der Universität Würz- Zwischen den Kurzvorträgen, in den Pausen und in burg ausgeführt. Von der DFG gefördert, befasst der abschließenden Diskussionsrunde wurden die sich das Projekt mit der entwicklungsgeschichtli- Untersuchungsmethoden angeregt verglichen und chen Erforschung der figürlichen Wandmalereien, Möglichkeiten der Datenaufbereitung und -ver- von denen sich aus der Zeit vor 1430/50 in Thürin- knüpfung mittels elektronischer Datenbanken gen fast 70 erhalten haben. Vor allem der Bestand erörtert. aus dem 13.Jahrhundert ist groß. Bisher ist jedoch Ziel aller Beteiligten ist es, durch die Publikation noch keine genaue Datierung und stilkritische Ein- via Buch oder Internet die mittelalterlichen Wand- ordnung der thüringischen Wandmalereien er- malereien, die aufgrund der Verbindung mit der folgt. In erster Linie ist der Projektansatz daher mittelalterlichen Architektur, ihres künstlerischen kunstgeschichtlich geprägt. In einem Katalog sol- Wertes und ihrer Originalität eine hohe Aussage- len, einem umfassenden Korpuswerk vergleichbar, kraft besitzen und die oft noch unbekannt und in fundierte bestandskritische Analysen in Hinblick einem gefährdeten Zustand in kleinen Dorfkirchen auf Malstil, Ikonographie und die inhaltliche sowie schlummern, der breiten Öffentlichkeit zugänglich die formale Gestaltung der Dekorationssysteme er- zu machen. Es wird angestrebt, einen beständigen arbeitet werden. Materialtechnische und restau- Austausch über die laufenden Projekte fortzufüh- rierungsgeschichtliche Aspekte werden dabei ein- ren. bezogen. Eine Publikation der Ergebnisse als Print- Sigrid Engelmann medium ist vorgesehen. Nach der Kaffeepause holte Dr. Dirk Strohmann die Literatur Diskussion zum Ort des Fachgesprächs, nach West- Rolf-Jürgen Grote/Kees van der Ploeg/Vera Kellner (Be- falen, zurück. Zusammen mit Diplom-Restaurator arb.), Wandmalerei in Niedersachsen, Bremen und im Leonhard Lamprecht stellte er das Projekt „Figürli- Groningerland. München/Berlin 2001. – Mittelalterliche che Wandmalerei in westfälischen Sakralräumen Wandmalerei in Brandenburg, Band1: Der Südosten – die der Romanik: Kunstwissenschaftliche und restau- Brandenburgische Lausitz. Worms 2010. – Thomas rierungswissenschaftliche Erforschung der wich- Danzl/Elisabeth Rüber-Schütte, Zur Erfassung, Inspektion tigsten Beispiele“ vor. Für das Projekt wurde eine und Unterhaltung mittelalterlicher Wandmalerei in Sach- modellhafte Auswahl von vierzehn romanischen sen-Anhalt, in: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 13, Malereien mit figürlichen Darstellungen getrof- 2005, S.105–128. – Weitere Informationen unter: fen. Für diese Malereien fehlt bisher eine genaue www.wandmalerei-luebeck.de und www.phil1.uni- kunsthistorische Beschreibung, Deutung und ver- wuerzburg.de/en/institutelehrstuehle/institut_fuer_kunst gleichende Bewertung. Trotz mehrfacher Restau- geschichte/forschung/wandmalerei_thueringen/ rierungsphasen in der Vergangenheit gibt es bis- lang keine systematische Untersuchung und Dar- Bildnachweis stellung der Maltechnologie, der Restaurierungs- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- geschichte, des aktuellen Erhaltungszustands und falen (Bildarchiv).

Monumentale Kirchendächer von Soest bis westfälischen Soest statt. Ausschlaggebend für die Stralsund – Werkstattgespräch im Rahmen Ortswahl der Zusammenkunft war das Thema des des Frühjahrstreffens der AG Historische angegliederten Werkstattgesprächs „Aufgestän- Bauforschung derte Kehlbalkendächer über Hallenkirchen vom Vom 11. bis zum 13. April 2011 fand das Frühjahrs- 13. bis 16.Jahrhundert“. Denn in Soest befinden treffen der AG Historische Bauforschung innerhalb sich, einzigartig in Deutschland, gleich drei Dach- der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger im werke dieser Konstruktionsweise, die immer im 86

14.Jahrhundert stammenden Beispiele verdeut- lichten, dass es in Mecklenburg-Vorpommern eine vergleichsweise große Anzahl von überlieferten Dächern dieser Bauart gibt. Erhardt Pressler (Gers- ten/Emsland) berichtete von seinen Forschungen am Verdener Dom, wo sich ebenfalls ein frühes aufgeständertes Kehlbalkendach befindet. Der erste Teil des auch außen monumental in Erschei- nung tretenden Dachs wurde im frühen 14.Jahr- hundert erbaut, 1327d kam ein weiterer Abschnitt dazu, und erst 1480 stellte man ein Dachwerk glei- cher Art über dem jüngsten Kirchenteil fertig. Das Verdener Dachsystem wurde überaus anschaulich anhand des von Herrn Pressler gefertigten und ei- gens mitgebrachten Holzmodells im Maßstab 1:50. Der geplante Vortrag von Andre Lutze (Greifswald) über St.Marien in Greifswald und die Stadtkirche in Strasburg (Vorpommern) musste lei- Das Dachwerk über dem Langhaus der Wiesenkirche ist der entfallen. Allerdings konnte Jens Amelung das älteste und größte der drei vorgestellten Soester (Schwerin) Bildmaterial zu beiden Kirchen präsen- Beispiele. 2011. tieren und einige Erläuterungen dazu geben. Über die Wiesenkirche und die Paulikirche im Vergleich Zusammenhang mit monumentalen Dachlösungen sprach Peter Barthold (Münster) und ging vertie- stehen. Diese Dächer zeichnen sich durch zwei fend auf bauhistorische Aspekte der am Vortag im verbundene Ständerwände aus, über denen ein Rahmen der Exkursion gesehenen Kirchen ein. Aus eigenständiges Oberdach errichtet ist. Durch zu- Hannover berichtete Joachim Gomolka über die sätzliche seitlich angefügte Sparren ergibt sich von dortige Marktkirche, deren Dachwerk ungeachtet außen ein einheitlich wirkendes Dach. Das Dach- der großen Zerstörung im Gebäude weitgehend werk der Soester Wiesenkirche stammt von erhalten geblieben ist. Ein spätes Beispiel aus Nie- 1356/57d (d = dendrochronologisch datiert), und dersachsen stellte er mit der 1541d datierten ihm folgte wenige Jahrzehnte später das Dach Münsterkirche in Einbeck vor, auf der aus unbe- über der Paulikirche. In dieser Tradition errichtete kannten Gründen zur gleichen Zeit zwei ganz un- man 1716d ein Dachwerk über dem Rathaus in terschiedliche Konstruktionsarten zur Anwendung Soest. Insofern war es besonders erfreulich, dass gekommen waren. Besondere bau- und gefüge- die Stadt den direkt darunter gelegenen Blauen kundliche Fragestellungen standen im Mittelpunkt Saal als Tagungsort zur Verfügung stellte. des Vortrags von Wiltrud Barth (Berlin) über die Ni- Der erste Tag, der internen Diskussionen der AG kolaikirche in Berlin-Spandau. Dieses 1368/69d er- vorbehalten blieb, endete mit einem gemeinsa- richtete Kirchendach war schon 1992/93 anlässlich men, abendlichen Stadtrundgang, bei dem Dr. einer Sanierung in den Blick der historischen Bau- Thomas Spohn (Münster) über die Stadtbauge- forschung geraten. Frank Högg (Wasserleben) kon- schichte Soests referierte. Am Folgetag kamen ex- zentrierte sich in seinem Referat auf Beispiele aus terne Fachleute zum Werkstattgespräch hinzu. Im dem südlichen Verbreitungsgebiet der aufgestän- Anschluss an den einführenden Überblicksvortrag derten Kehlbalkendächer. Besonderes Augenmerk zu Hallenkirchen und ihren Dachwerken von Dr. galt dabei auch dem Langhausdach der Nikolaikir- Michael Huyer (Münster) gab es die Möglichkeit che in Quedlinburg (1301–1315d), das als „Vor- zur ausführlichen Besichtigung der drei Soester form“ der bis dahin vorgestellten Dächer angese- Dachwerke. Die Führung, an der auch der Landes- hen wurde. konservator, Dr. Markus Harzenetter, teilnahm, Während der gesamten Veranstaltung wurde in- hatte Peter Barthold (Münster) übernommen, von tensiv sowohl über grundlegende Fragen als auch dem sämtliche Dachwerke bauhistorisch unter- über konstruktive Details diskutiert. Bei der Frage sucht worden waren. In den Dachräumen entwi- nach der Herkunft der Ständerwände dieser Dach- ckelten sich unmittelbar vor den Befundstellen konstruktionen ergaben sich beispielsweise Hin- zahlreiche interessante Diskussionen unter den weise auf ähnliche Phänomene in nordfranzösi- Teilnehmern. schen/belgischen Klosterscheunen ebenso wie bei Den Vortragstag eröffnete der Leiter der Abtei- städtischen Wohngebäuden. Gerade im Vergleich lung Stadtentwicklung und Bauordnung der Stadt einzelner Befunde wurde deutlich, dass es inner- Soest, Herr Steinbicker, mit einem Grußwort. Dr. halb des vermeintlich einheitlichen Konstruktions- Tilo Schöfbeck (Schwerin) stellte mit der Kathari- types eine große Anzahl unterschiedlicher Ausfüh- nenkirche in Stralsund (1291d) den ältesten Ver- rungsmöglichkeiten gab. Als ein zentrales Ergebnis treter eines aufgeständerten Kehlbalkendachs vor. des Werkstattgesprächs, dessen Ziel es war, viele Die übrigen von ihm gezeigten und meist aus dem aktuelle Forschungsergebnisse nebeneinanderzu- 87 stellen, konnte festgehalten werden, dass die end- ren Beschäftigung mit diesem im nördlichen gültige Entwicklungsgeschichte der aufgeständer- Deutschland verbreiteten mittelalterlichen Dachty- ten Kehlbalkendächer zum jetzigen Zeitpunkt pus zu geben. noch nicht geschrieben werden kann. Peter Barthold / Michael Huyer Die im Gespräch vorgestellten Beiträge und wei- tere sollen als Arbeitsheft der LWL-Denkmalpflege, Bildnachweis Landschafts- und Baukultur in Westfalen publiziert LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- werden – nicht zuletzt um einen Impuls zur weite- falen (Engelmann).

Wiederaufbau der Tankstelle aus Siegen- Niederschelden im LWL-Freilichtmuseum Detmold Mit dem 2011 begonnenen Wiederaufbau der Tankstelle aus Siegen-Niederschelden ist ein Zei- chen gesetzt worden, dass die 1950er und 1960er Jahre in der Freigeländeausstellung des LWL-Frei- lichtmuseums Detmold ihren Einzug halten. Mit der neuen Präsentationszeit können wichtige kul- turgeschichtliche Phänomene der Nachkriegszeit thematisiert werden, die auch auf dem Lande zu Verstädterungstendenzen und deutlichen Moder- nisierungen führten. Ein wichtiges Thema sind da- bei die damals neu geschaffenen Möglichkeiten der Mobilität, sei es von dem sich rasant auswei- Verkaufsaktionstag an der Tankstelle in Siegen-Nieder- tenden motorisierten Fahrzeugverkehr – der insbe- schelden im Jahre 1952. sondere jetzt auch den privaten Bereich erfasste – bis hin zum Aufbau einer neuen Verkehrsinfra- Mineralölmarke Homberg (Firmensitz Wuppertal). struktur wie dem Straßenbau und der Errichtung Das LWL-Freilichtmuseum Detmold beabsichtigt, von Tankstellen. die Tankstelle in einem historischen Zustand der Die Tankstelle aus Niederschelden wurde 1950 in 1960er Jahre zu präsentieren, wozu u.a. auch das Stahlbetonbauweise errichtet. Sie ist räumlich und Wiederaufgreifen der Marke Homberg gehört. Die funktional gegliedert in eine vorgelagerte, über- Eröffnung für die Besucher wird im Sommer 2012 dachte Tankinsel mit zwei Zapfsäulen, dahinter lie- erfolgen. gen ein Tankwarthäuschen mit Kundenraum, sepa- Hubertus Michels ratem WC und eine daran angeschlossene, befahr- bare Wasch- bzw. Pflegehalle. Den Recherchen zu- Bildnachweis folge gehörte die Tankstelle zum Vertriebsnetz der LWL-Freilichtmuseum Detmold.

Aus der Praktischen Denkmalpflege

Lügde: Pilotobjekt zur Erfassung und Erforschung romanischer Wandmalerei Die Kirche St.Kilian, auf einem Hügelsporn inmit- ten eines Friedhofs am Rande von Lügde gelegen, ist eine der ältesten Pfarrkirchen Westfalens. Ihr Er- scheinungsbild wird von dem bis heute fast unver- ändert erhaltenen romanischen Baubestand aus dem letzten Drittel des 12.Jahrhunderts bestimmt. Dazu gehören im Inneren wesentliche Teile der bauzeitlichen Raumfassung. Diese bestehen aus gemalten Teppichen an den Chorseitenwänden, ei- ner ornamentalen Gewölbedekoration mit Lebens- bäumen sowie Fenstersäulen über einem Orna- mentband. Um 1230 folgte die figürliche Ausma- lung der Chorapsis, die zum Teil noch durch die Lügde, St.Kilian, Teilansicht der Wandmalerei in der Übermalungen des 19.Jahrhunderts geprägt ist. Chorapsis nach der Restaurierung. 2011. 88

In Verbindung mit der nun abgeschlossenen Innen- nanzierung der weiteren bereits genannten Ar- restaurierung war es möglich, die figürliche Wand- beitsschritte übernahm die LWL-Denkmalpflege, malerei in der Chorapsis, aber auch die übrigen ur- Landschafts- und Baukultur in Westfalen. In Person sprünglichen Reste der Raumfassung besonders in- des Amtsrestaurators Leonhard Lamprecht sorgte tensiv in kunst- und restaurierungswissenschaftli- das Amt auch für den restaurierungswissenschaft- cher Hinsicht zu bearbeiten. Die Wandmalereien in lichen Teil der Bearbeitung in Form von Untersu- St.Kilian sind nämlich Teil eines Projekts der LWL- chungen des Bestands, der Maltechnik und des Zu- Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in stands mit verschiedenen Methoden. Dies mün- Westfalen, das sich anhand von 14 ausgewählten dete in ein Konservierungs- und Restaurierungs- Kirchen der Erfassung, Erforschung und zusam- konzept, das dann von der Restaurierungsfirma menfassenden Publikation der wichtigsten figür- Klaus Lerchl aus Lippstadt umgesetzt wurde. Die lichen Wandmalereien der Romanik in Westfalen Restauratoren reinigten die Wandmalereien im ge- widmen soll (s. hierzu die Beiträge zu Paderborn- samten Kirchenraum, retuschierten Risse in der Ap- Neuenbeken und zum Fachgespräch Wandmalerei sis und ergänzten fehlende Konturen in den Blatt- in Hamm in diesem Heft). Ergänzend ist eine Aus- friesen und Gewölbedekorationen. Sie fassten die stellung geplant. Eigentlich wird das Projekt we- sanierten Kirchenwände und die Architekturglie- gen der Verhandlungen um ein sich mittlerweile der in den unteren Bereichen mit Kalkfarbe neu. abzeichnendes Finanzierungsmodell voraussicht- Die wissenschaftliche Bearbeitung der Wandmale- lich erst 2012 anlaufen, doch die bevorstehende reien in St.Kilian in Lügde im Rahmen des künfti- Innenrestaurierung von St.Kilian erforderte sofor- gen Projekts erbrachte neben einer soliden Fak- tiges Handeln und ein Vorziehen der Bearbeitung. tenbasis einige neue Erkenntnisse zum Umfang der Die mit der Innenrestaurierung verbundene kom- erhaltenen Originalsubstanz, zur Maltechnik, zur plette Einrüstung des Kirchenraums bot für die stilistischen Ableitung und zur Datierung. All das Zwecke des Projekts optimale Arbeitsbedingun- wird der geplanten Publikation zur figürlichen ro- gen, die unbedingt genutzt werden mussten. manischen Wandmalerei in Westfalen zu entneh- Als Grundlage für die Bestandskartierungen wurde men sein, die diesen eher verborgenen kulturellen die Chorapsis zunächst durch das Ingenieurbüro Schatz stärker als bisher in das Bewusstsein der Öf- Fitzek und Pancini aus Köln vermessen. In die da- fentlichkeit rücken will. Dazu werden sicher auch raus entstandene maßstäbliche Wandabwicklung die hervorragenden Fotos der Fotografen des Am- wurden dann entzerrte Fotos der Apsismalereien tes beitragen, mit denen in Lügde der Anfang ge- eingefügt, in die kartiert werden konnte. Die Köl- macht wurde. Generell können die mit dem Pilot- ner Kunsthistorikerin und Restauratorin Dr. Anna objekt St.Kilian gemachten Erfahrungen dazu die- Skriver übernahm als ausgewiesene Expertin für nen, Ablauf und Bearbeitungsschritte des Wand- romanische Wandmalerei die Bestandserfassung malereiprojekts zu verbessern und weiter zu ent- und -kartierung vor Ort, die Auswertung aller Ar- wickeln. Noch in diesem Jahr wird mit der figürli- chivquellen, die Zusammenstellung der Restaurie- chen Wandmalerei in St.Cyriakus in Schmallen- rungsgeschichte und die kunsthistorische Beschrei- berg-Berghausen eine zweite Kirche vorgezogen bung, Analyse und Einordnung des zuvor erfassten werden, bevor das Wandmalereiprojekt mit insge- Bestands. Die Eingabe der Daten in die amtseigene samt gesicherter Finanzierung und größerer Ob- Denkmäler-Datenbank KLARAweb erfolgt in jektfrequenz im nächsten Jahr hoffentlich durch- Kürze. Der Kirchengemeinde und dem Erzbistum starten darf. Mit dem Abschluss dürfte dann plan- Paderborn ist sehr dafür zu danken, dass die Kos- mäßig 2016 zu rechnen sein. ten der Vermessung und der Bestandserfassung Dirk Strohmann vor Ort in das Bauprogramm der Innenrestaurie- rung integriert und in Verbindung mit der Förde- Bildnachweis rung des Bundes und des Landes NRW für die Ge- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- samtmaßnahme getragen werden konnten. Die Fi- falen (Dülberg).

Paderborn-Neuenbeken: Figürliche Die Raumschale weist heute eine in den 1960er romanische Wandmalereien restauriert Jahren weitgehend rekonstruierte ornamentale Die kath. Pfarrkirche Mariä Geburt in Neuenbeken Ausmalung nach Befund auf, mit einer seit der wird 1210 zum ersten Mal urkundlich genannt. Die zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts im Weserraum Kirche wurde aus einem regionalen Kalkstein üblichen Gestaltung durch Quaderung und Orna- erbaut, Ecken und Fenstergewände bestehen aus mentbordüren. In den Querhäusern der Kirche be- rotem Eggesandstein. Der einschiffige, einjochige finden sich die um 1230 datierten Wandmalereien. Zentralbau mit Querschiff und quadratischem Chor Hier zeigen die Gewölbesegel gemalte Lebens- besitzt einen neuen und einen alten Sakristeianbau. bäume, die mit Vögeln verziert sind. Mit dem Turmbau ist die Form eines lateinischen Die Westwand des nördlichen Querhauses wird Kreuzes ablesbar. In den Ostwänden der Querhaus- durch eine aufwändige Abendmahlsdarstellung arme sind flachrechteckige Nischen angelegt. geschmückt, die unten durch das umlaufende Or- 89 namentband der Wände begrenzt wird. Das südli- che Querhaus weist an der Westwand die in weiten Teilen erhaltene Darstellung der Kreuzabnahme Jesu auf, flankiert von den beiden gekreuzigten Schächern. Weiterhin haben sich große Fragmente der Marienfigur, des Joseph von Arimathia, des Jüngers Johannes und des Nikodemus erhalten. Ausgeführt wurden die spätromanischen Wandma- lereien auf dem einschichtigen Kalkputz, der auf dem zweischaligen Hausteinmauerwerk in unregel- mäßiger Schichtstärke aufgetragen wurde. Dieser Kalkputz wurde zusätzlich mit einer Kalktünche versehen. Auf dieser teils noch feuchten Kalktünche 1 Abendmahlsdarstellung an der Westwand des nörd- erfolgte die Ausführung der Malerei, so dass diese lichen Querhauses in der kath. Pfarrkirche Mariä Geburt partiell freskal eingebunden wurde. Als verwendete in Neuenbeken im Zustand nach der Restaurierung. Pigmente wurden Erdpigmente wie roter und gel- 2010. ber Ocker, grüne Erde und Rebschwarz identifiziert. Diese romanischen Malereien wurden zwischen- zeitlich überdeckt und 1864 ziemlich grob freige- legt. Im Anschluss daran erfolgte 1865 eine Über- malung der freigelegten Malereien und des ge- samten Kirchenraumes durch den Maler Wittkop im neoromanischen Stil. 1922 fand eine erneute Freilegung der Malereien durch den Maler Kraft statt. Der Kunstmaler Soetebier übermalte diese anschließend wieder. 1963/64 wurden diese Übermalungen durch die Firma Ochsenfarth entfernt, der Originalbestand restauriert und retuschiert. Bei der erneuten Reini- gung der Raumschale 1984 wurden die mit Kalk- tünche abgedeckten Fragmente der Mandorla so- wie der Petrus- und Paulusfigur im Chorraum ohne Absprache mit dem Denkmalamt freigelegt und 2 Darstellung der Kreuzabnahme Jesu an der Westwand schemenhaft die Umrisse ohne Befundgrundlage des südlichen Querhauses in der kath. Pfarrkirche Mariä frei interpretiert. Geburt in Neuenbeken im Zustand nach der Restaurie- Diese unbefriedigende Präsentation und die rung. 2010. enorme Verschmutzung der Gewölbemalereien veranlasste 2002 das Westfälische Amt für Denk- Rissbildungen, mikrobieller Befall (Cladosporium), malpflege, die Malereien sehr detailliert untersu- Fehlstellen in der Malschicht und bewegliche Putz- chen zu lassen und nach Erstellung eines Restau- schalen dagegen stellten einen Schadensfaktor rierungskonzeptes einer erneuten Restaurierung dar, der unbedingten Handlungsbedarf mit sich zu unterziehen. 2002 konnte im Rahmen einer Di- brachte. Somit erfolgte zunächst eine Reinigung plomarbeit ein Restaurierungskonzept für die mit weichen Pinseln und AKAPAD Trockenreini- Abendmahlsdarstellung erstellt werden. 2009 er- gungsschwämmen. Dunkle Verschmutzungen in- folgte die Anlegung von entsprechenden Muster- nerhalb der Fläche sowie frühere Konservierungs- flächen zur Restaurierung der Wandmalereien. Je- materialien auf Polyvinylalkoholbasis wurden mit doch erst 2010, nach weiteren umfangreichen Un- Ethanol und Wattestäbchen entfernt. Anschlie- tersuchungen zur gesamten Raumschale und Er- ßend galt es, die notwendigen Sicherungsmaßnah- stellung eines Gesamtkonzeptes, erfolgten die ei- men zur Substanzerhaltung wie Schalenhinterfül- gentlichen Restaurierungsarbeiten. lung auf der Basis von dispergiertem Weißkalkhy- Vorrangig galt es, die extremen Verschmutzungen drat und Festigung der pudernden und abschup- zu entfernen, die sich auf den Malereien gebildet penden Malschichten mit Kalk- oder Kalksinter- hatten. Zudem waren großflächig Reste früherer wasser durchzuführen. Konservierungsmittel vorhanden, die sich durch Da sich die originale Malerei als sehr stabil erwies, graue Schleier und Glanzstellen negativ bemerk- konnte anschließend noch eine flächige Nachreini- bar machten. Störende Reste früherer Übermalun- gung mit Mikrodampfgeräten und feuchten Blitz- gen und Übertünchungen beeinträchtigten zu- fix-Schwämmen erfolgen, mit der eine erhebliche sätzlich das optische Erscheinungsbild. Auch stö- Verbesserung der Ablesbarkeit erzielt werden rende Altergänzungen sowie gipshaltige Kittmate- konnte. Störende Übertünchungen und Überma- rialien zur Schließung von Rissbildungen nahmen lungen innerhalb der figürlichen Malerei wurden einen besonderen Stellenwert ein. entfernt, noch verbliebene Gipsschleier durch 90 komplexbildende Kompressen reduziert. Nicht ge- hende kunsthistorische Bearbeitung der beiden fi- eignete Altergänzungen wurden überarbeitet gürlichen Wandbilder der Romanik folgen. oder ausgetauscht, Risse und Putzfehlstellen mit Leonhard Lamprecht Sumpfkalkmörtel geschlossen. Die Retusche er- folgte in einer aufwändigen Tratteggio-Technik. Quellen und Literatur Auf malerische Ergänzungen und Interpretationen Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, von Fehlstellenbereichen wurde bewusst verzich- Nordrhein-Westfalen, II Westfalen. München/Berlin 1986, tet. Dennoch sind Darstellung und Ikonographie S.398. – Kathrin Jäger, Die Aufarbeitung der Restaurie- klar ablesbar. rungsgeschichte und die Befundsicherung an der West- Im Chor konnten in der Gewölbekappe nach ein- wand des nördlichen Querhauses von St.Marien in Pader- gehenden restauratorischen Untersuchungen nur born-Neuenbeken. (= Unveröffentlichte Facharbeit zum sehr geringe spätromanische Malereireste einer Diplom, HAWK Fachhochschule) Hildesheim/Holzmin- Majestas-Domini-Darstellung gefunden werden. den/Göttingen 2002. – Kathrin Jäger, Die Entwicklung ei- Hier wurde eine reversible künstlerische Neuschöp- nes Konservierungskonzeptes für die Wandmalerei der fung der thronenden Christusfigur in der Man- kath. Pfarrkirche in St.Marien in Neuenbeken, mit Versu- dorla mit den vier Evangelistensymbolen in die be- chen zur Fixierung/Konsolidierung von Wandmalerei mit stehende Raumausmalung integriert. Die sche- Nanokalk. (= Unveröffentlichte Diplomarbeit, HAWK menhaften Silhouetten der Figuren von Petrus und Fachhochschule) Hildesheim/Holzminden/Göttingen Paulus auf der Chorostwand, die jeder Befundlage 2003. – Kathrin Schwietale-Jäger/Marion Rausch, Restau- entbehrten, wurden entfernt und die geringen rierungsbericht, Restaurierung der spätromanischen Malschichtreste gesichert, überklebt und über- Wandmalereien in der katholischen Pfarrkirche St.Ma- tüncht. rien. 2010. Im Rahmen des Wandmalereiprojekts der LWL- Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Bildnachweis: Westfalen soll in absehbarer Zeit noch eine einge- Kathrin Schwietale-Jäger/Marion Rausch: 1, 2.

Neuerscheinungen

Die Erfassung der noch vorhandenen historischen Landesgrenzsteine zwischen Hessen und Nord- rhein-Westfalen wurde auf Initiative von ostwest- fälischen Heimatpflegern und dem Eggegebirgs- verein betrieben. In jahrelanger Kleinarbeit haben über 40 „Steinesucher“ geholfen, alle noch vor- handenen Steine aufzufinden und zu dokumentie- ren sowie auch die nicht mehr vorhandenen zu- mindest kartografisch zu erfassen. Die ältesten von ihnen stammen aus dem Jahr 1745, die jüngsten – als Ersatzsteine gesetzt – aus dem früheren 20.Jahrhundert. Konrad Waldeyer war an dem Un- ternehmen bereits seit der Mitte der 1980er Jahre maßgeblich beteiligt und hat nun in dem erschienenen Arbeitsheft die komplette Samm- lung aller Grenzsteine im Gebiet vorgestellt. Historische Erläuterungen zur Territorialge- schichte betten sie in einen verständlichen histori- schen Zusammenhang. Historische Karten und übersichtliche Landschaftsfotografien verdeutli- chen den damaligen markierten Grenzverlauf und Konrad Waldeyer, Historische Landesgrenz- bieten eine Vergleichsmöglichkeit mit der heuti- steine zwischen Hessen und Nordrhein- gen Grenzziehung. Sämtliche Steine sind farbig Westfalen im südlichen Kreis Höxter. wiedergegeben und in einer exakten tabellari- Gesamtdokumentation der Befunde im Jahr schen Beschreibung in einem Anhang festgehal- 2007, überarbeitet und ergänzt 2009 (= 9. ten. Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmal- Für die Grenzsteinforschung nicht nur Nordrhein- pflege in Westfalen). Münster 2011. ISBN Westfalens ist dieses Buch ein Meilenstein. Im 978-3-00-035019-1. 234 S. mit zahl. col. Abb. denkmalpflegerischen Alltag zeigt es seinen gro- 91

ßen Wert in seiner Benutzbarkeit bei Fragen der und Grafiken, Karten 1:25.000. tpk-Regio- Unterschutzstellung und findet Verwendung auch nalverlag. ISBN 978-3-936359-46-6. 15 Euro. beim Verfassen von Denkmalwertbegründungen. Der neue Wanderführer „Erlebnis Eggeweg“ teilt die rund 70km lange Strecke in acht Abschnitte und bietet alternative Rückwanderrouten an. So wendet er sich nicht nur an den klassischen Lang- streckenwanderer, sondern auch speziell an Wan- derer, die einfach nur einen Tag lang die Natur- und Kulturlandschaft entlang des Eggewegs erle- ben und genießen wollen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Horst Gerbau- let der Beschreibung der Kulturlandschaft entlang des Wanderweges. Er beschreibt 59 besonders sehenswerte Punkte entlang des Weges, die in den Karten gekennzeichnet sind. Dazu gehören u.a. Reste sächsischer Wallburgen, Burgruinen, Grenz- steine und Wegemale an historischen Passwegen. Darüber hinaus werden die mannigfaltigen Spuren historischer Nutzungen im Wald wie der Abbau von Bodenschätzen, die Herstellung von Glas, das Köhlerwesen oder die Waldhude erläutert. Neben einem einleitenden Kapitel zum Eggegebirge ge- hen 52 Exkurse auf bestimmte Themen, wie z.B.die Externsteine oder die Iburg, ausführlich ein. Au- ßerdem werden auch alle durchwanderten Kom- munen vorgestellt. Damit ist das Buch ein Beglei- ter, der über den Charakter eines bloßen Strecken- führers hinausgeht. Der Kartenteil am Ende des Buches erspart dem Nutzer zusätzliche Wanderkar- ten: Die gesamte Strecke wird im Maßstab 1:25.000 in Reliefkarten dargestellt. Auch die aus den Anlie- gergemeinden zum Hermannsweg führenden Zu- gangswege finden sich dort. Außerdem sind in den Karten Aussichtspunkte, Parkplätze, Haltestellen von Bussen und Bahnen, Rettungspunkte, Schutz- hütten und vieles mehr aufgeführt. Wanderer, die Horst Gerbaulet: Erlebnis Eggeweg – rasten und sich stärken möchten, finden im Buch Wandern von den Externsteinen bis eine Liste empfehlenswerter Gasthäuser, Hotels Marsberg. Hg. vom Naturpark Teutoburger und Jugendherbergen, die speziell auf deren Be- Wald/Eggegebirge. 140 Seiten, 170 Fotos dürfnisse zugeschnitten sind.

Mitteilungen

Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html) und Das Großprojekt „Deutsche Digitale Bibliothek“, in geringem Umfang über das BAM-Portal zu von Bund und Ländern initiiert, hat (mit einem et- Bibliotheken, Archiven und Museen (URL: http:// was unglücklichen Titel) das Ziel, die Bestände von www.bam-portal.de) neben weiteren kleineren etwa 30.000 Kultureinrichtungen über ein Portal Portalen möglich. Das Ziel, mit einem Schlagwort recherchierbar zu machen und damit zu vernetzen. die Bestände ganz unterschiedlicher Einrichtungen Von zu Hause aus in den Datenbanken von Biblio- gleichzeitig durchsuchen und auswerten zu kön- theken, Museen, Archiven zu recherchieren, ge- nen, bietet große Chancen für die Wissenschaft hört bereits zum Alltag vieler Bürgerinnen und und dürfte auch für den Laien ein interessantes Bürger sowie von Forscherinnen und Forschern. Angebot sein, wenn er sich über ein bestimmtes Diese Daten jedoch vernetzt angeboten zu bekom- Thema informieren will. So wird man beispiels- men, war bislang nur im Bereich der Bibliotheken weise zum Architekten Karl Friedrich Schinkel In- über den Karlsruher Virtuellen Katalog (URL: formationen zu seinen Porträts und Zeichnungen, 92

Die Denkmalfachämter der einzelnen Bundeslän- der, die in der Arbeitsgruppe „Denkmalinformati- onssysteme“ der Vereinigung der Landesdenkmal- pfleger zusammenarbeiten, beschäftigen sich inso- fern mit dem Projekt, als dass sie einen Kernfeld- katalog erarbeitet haben, mit dem eine gewisse Vereinheitlichung der von den Ämtern gelieferten Daten erzeugt werden soll. Es besteht grundsätz- lich vor dem Hintergrund der engen personellen Ressourcen eine gewisse Skepsis, ob die Anforde- rungen, die sich aus der Teilnahme an Portalen wie der DDB ergeben, von den Ämtern überhaupt er- füllt werden können. Auf der anderen Seite ist die Präsenz der Denkmalpflege mit ihren Daten in solch engagierten Großprojekten natürlich wün- schenswert. Die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- Arnsberg, Auferstehungskirche, entstanden 1822–1825. und Baukultur in Westfalen verfügt über mehrere 2002. Datenbanken, wie KLARAweb (www.lwl.org/klara net/index.php) und Geodatenkultur (www.lwl.org/ Bücher über ihn und Pläne von ihm zu projektier- LWL/Kultur/WALB/Portale/GDK/). Bei diesen Daten- ten Bauten aus ganz unterschiedlichen Einrichtun- banken, die in Teilen bereits auch im Internet zur gen angeboten bekommen. Verfügung stehen, dürfte es durchaus möglich Erklärtes Ziel der DDB ist es, auch die Daten der sein, die Daten auch in der DDB zu präsentieren. So Denkmalpflege zu Baudenkmälern anbieten zu könnte man beim Stichwort „Karl Friedrich Schin- können. Dafür wurden durch die Vereinigung der kel“ z.B. auch die Auferstehungskirche in Arnsberg Landesdenkmalpfleger Spartenvertreter und -ver- finden, die 1822–1825 unter seiner Mitwirkung treterinnen in die verschiedenen Arbeitsgruppen entstanden ist. entsandt, die dort die Belange der Denkmalpflege Die Deutsche Digitale Bibliothek wird sich mit Ab- einbringen und gleichzeitig für die Mitarbeit der lauf des Jahres 2011 im Internet mit ihrem Daten- Denkmalpflegeeinrichtungen an dem Projekt wer- angebot präsentieren (URL: http://www.deutsche- ben sollen. Eine Denkmalpflege-Datenbank zu digitale-bibliothek.de). Baudenkmälern, die bereits im Internet verfügbar Dorothee Boesler ist, das hessische denkxweb (URL: http://denkxweb. denkmalpflege-hessen.de), wird als Pilotprojekt für Bildnachweis: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Bau- den Start der DDB in das Portal überführt werden. kultur (Bildarchiv).

Neues Bibliotheksportal präsentiert die können im neuen Portal sowohl in allen Biblio- Publikationen von Denkmalpflege, Land- theksbeständen gleichzeitig suchen oder ihre Su- schafts- und Baukultur che auf einzelne Bibliotheken beschränken. Die Vom historischen Buch aus dem Dreißigjährigen Themengebiete reichen von Medien zu Kunst und Krieg bis zu aktueller Fachliteratur: In den 15 Bi- Geschichte, Denkmalpflege und Heimatkunde, bliotheken der LWL-Kulturdienste, darunter auch Mundart und Volkskunde, Archäologie, Natur- die Bibliothek der Denkmalpflege, Landschafts- kunde und Museologie bis zu Gesetzen und Ver- und Baukultur, LWL-Museen und der LWL-Haupt- ordnungen. Beteiligt sind die LWL-Landesmuseen verwaltung lassen sich wahre Schätze finden. Rund und Kulturdienste in Münster, die LWL-Freilicht- 280.000 Medien können Interessierte ab dem 1. museen in Detmold und Hagen und das LWL-In- Juni 2011 über das neue LWL-Bibliotheksportal im dustriemuseum in Dortmund. Internet unter der Adresse http://www.lwl.org/ Vor Ort stehen in den LWL-Bibliotheken rund opac recherchieren. 600.000 Medien zur Verfügung. Diese sollen in Zu- „Bisher haben die LWL-Bibliotheken ihre Bestände kunft Buch für Buch und Zeitschrift für Zeitschrift nur intern im LWL-Intranet zur Verfügung gestellt. in das neue Suchportal eingepflegt werden. Aller- Jetzt geht der LWL mit einem gemeinsamen Auf- dings kann man sich die Medien an den Standorten tritt ins Internet und öffnet damit seine Bestände nicht ausleihen, da es sich um Präsenzbibliotheken für die Öffentlichkeit“, gibt der Landschaftsver- handelt. Interessenten können die Medien also nur band Westfalen-Lippe bekannt. Internetnutzer vor Ort einsehen. 93

Aus dem Bildarchiv

1 Die Inventarisation auf Dienstfahrt.

Seit 1892 war Albert Ludorff der erste Provinzial- dem Kutschbock sitzt Hugo Schnautz, einer der Fo- konservator Westfalens. Die Provinzialverwaltung tografen des damaligen Amtes. Wer in der Kutsche hatte ihn bereits 1888 zum hauptamtlichen Inven- Platz genommen hat und wann genau diese Auf- tarisator gewählt. Das Foto aus der Zeit um 1900 nahme entstanden ist, ist leider nicht überliefert. zeigt „die Inventarisation“ auf Dienstfahrt. Auf

2 Der erste Dienstwagen mit Motorkraft.

Zu Zeiten des Provinzialkonservators Johannes gebildete Person ist nicht bekannt. Es ist aber wohl Körner (1921–1931) wurde man deutlich mobiler. anzunehmen, dass der Kraftwagen vor allem dem Auch auf diesem Foto ist rechts im Bild der Foto- Provinzialkonservator persönlich zur Verfügung graf Hugo Schnautz zu erkennen. Die zweite ab- stand. Das Foto entstand im Jahr 1927. 94

Preise

Der Förderverein hat die überregional bedeutende Qualität der ehemaligen Klosteranlage erkannt und gesehen, dass langer Leerstand in kurzer Zeit zum Untergang des Baudenkmals führen würde. Er stellte sich seit seiner Gründung 2000 kontinuier- lich die Aufgabe, die Restaurierung und Nutzung der Klosteranlage ideell und materiell voranzutrei- ben und für eine angemessene Nutzung der An- lage zu sorgen. Neben der Werbung für seine Ziele sieht er seine Aufgaben vor allem in der Zusam- menarbeit mit öffentlichen und privaten Institutio- nen sowie in der Beschaffung der erforderlichen Finanzmittel für die umfangreichen Baumaßnah- men. Dabei war die Arbeit des Vereins sehr erfolg- reich: Die Stadt Marsberg, der Hochsauerlandkreis, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), das Land Nordrhein-Westfalen, die Nordrhein- Kloster Bredelar. 2011. Westfalen-Stiftung und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz haben zum Teil sehr namhafte Be- Europa-Nostra-Preis für den Förderverein träge für die Instandsetzungsarbeiten zur Verfü- Kloster Bredelar e.V. in Marsberg gung gestellt. Das fand auch in der Öffentlichkeit Unter den Preisträgern des diesjährigen Europäi- weithin Anerkennung. Die Mitglieder des Vereins schen Preises für Kulturerbe „Europa Nostra werden durch regelmäßige Versammlungen, Award“ ist auch der Förderverein Kloster Bredelar schriftliche Informationen und Faltblätter zu an- e.V. in Marsberg, der in der Kategorie „Dedicated haltendem Einsatz motiviert. Auch eine informa- service“ für seinen besonders engagierten Einsatz tive und sorgfältig gepflegte Internet-Präsentation für die Erhaltung des Baudenkmals ehem. Eisen- ist aufgebaut worden. hütte/Kloster Bredelar in Marsberg verliehen Notwendigerweise hatte sich der Förderverein in wurde. Die feierliche Preisübergabe hat am 10.Juni der Anfangszeit zunächst darauf konzentriert, die 2011 in Amsterdam stattgefunden. Bislang haben leerstehenden Bauten zu sichern, zu entrümpeln erst drei Denkmalprojekte in Westfalen-Lippe und aufzuräumen – Arbeiten, die Vereinsmitglie- diese besondere Auszeichnung erhalten: 1988 das der und andere freiwillige Helfer übernommen ha- Haus Backs in Bad Salzuflen, 1993 die alte Syna- ben. Die intensive Beschäftigung mit dem erhalte- goge in Drensteinfurt und 2001 das Bahnhofsge- nen Baubestand über die Jahre hat dazu geführt, bäude in Hamm. dass die industriellen Nutzungsphasen des ehema- Der Förderverein Kloster Bredelar e.V. Marsberg ligen Klosters Bredelar als Chance gesehen wurden trägt die Sorge für die Erhaltung und Nutzung ei- und als Alleinstellungsmerkmal in der Konkurrenz ner 1170 gegründeten Klosteranlage in Marsberg- mit anderen historischen Klosteranlagen hervorge- Bredelar. Im Zuge der Säkularisation wurde das hoben werden können. Kloster 1804 aufgelöst und in den Klostergebäu- Es ist dem Förderverein nicht nur gelungen, Kloster den dann 1828 ein Hüttenbetrieb eingerichtet. Bredelar in der Region und darüber hinaus be- Nach der Weltwirtschaftskrise wurde der Industrie- kannt zu machen, sondern er hat auch das „ver- betrieb 1931 verkauft und an die Stelle der indus- gessene“ und bereits ernsthaft bedrohte Baudenk- triellen Nutzung traten verschiedene Gewerbebe- mal wieder mit Leben erfüllt und tragfähige Per- triebe. Die Anlage befindet sich heute bis auf den spektiven für seine Erhaltung entwickelt. südwestlichen Pavillon im Besitz des Fördervereins. Man kann sagen, dass ohne das Engagement und Seit Aufgabe der industriell-gewerblichen Nut- die Kreativität des Fördervereins die Erhaltung der zung wurden einzelne Gebäudeteile noch als Woh- großen Anlage von Kloster Bredelar durchaus in nungen genutzt, aber der größte Teil der Anlage Frage stehen würde. Kein öffentlicher, aber auch stand leer. Kirche und Konventsgebäude waren ab- kaum ein privater Eigentümer dürfte unter den ge- gewirtschaftet und drohten zu verfallen. Fehlende genwärtigen Bedingungen die Kraft gehabt ha- Bauunterhaltung und ein langjähriger Reparatur- ben, eine vergleichbare Initiative zu ergreifen und stau führten zusehends zu Schäden, teilweise be- beständig über die Jahre mit immer neuen Ideen stand sogar Einsturzgefahr. Die Stadt Marsberg aufrechtzuerhalten. Dafür ist ja bekanntlich nicht unternahm in den 1990er Jahren zwar erhebliche allein eine entsprechende Vision ausschlaggebend. Mühen und Anstrengungen, die Anlage zu ver- Es sind auch Phantasie und Beharrlichkeit nötig, markten, aber sie blieb damit letztlich erfolglos. um die Beteiligten auf allen Ebenen immer wieder 95 neu zu motivieren und genauso viel Ausdauer und ein mustergültiges Beispiel und wird auch so wahr- Verantwortlichkeit zu entwickeln. So wird die Ar- genommen. beit des Fördervereins ein Vorbild dafür, wie unge- Weiterführende Angaben: http://www.europa achtet vermeintlicher Hindernisse die Erhaltung nostra.org/projects/55/ und Nutzung eines großräumigen Baudenkmals Oliver Karnau auch in schwierigen Zeiten erfolgreich in Angriff genommen werden kann. Hier werden öffentliche Bildnachweis Versammlungsräume und Lernorte geschaffen un- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- ter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Vorga- falen (Dülberg). ben. In diesem Sinne ist der Fall Kloster Bredelar

Personalia

Dr. Kurt Röckener im Ruhestand Zum 1.August des Jahres verlässt uns Dr. Kurt Rö- ckener, um in den Ruhestand zu gehen. Biografisch war und ist Kurt Röckener immer eingefleischter – weil hier geboren, ausgebildet und gearbeitet – und auch verwurzelter Münsteraner, der noch nie woanders wohnte und der auch weiterhin in dieser Stadt zu Hause bleiben wird. Das untermauert ganz anschaulich der objektive Datensatz seines Lebens: Geboren am 16.7. 1946 in Münster, be- suchte er bis zum Abitur 1966 das Ratsgymnasium eben hier. Das Grundstudium zunächst der Be- triebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wil- helms-Universität in Münster belehrte ihn aller- dings schnell eines Besseren: Höherem geistigem Anspruch und kulturellem Interesse folgend, schrieb er sich an der Philosophischen Fakultät für die Fächer Kunstgeschichte, Archäologie und Pu- blizistik ein. Darauf folgte 1980 die Promotion und nach einem Werkvertrag bei der Stadt Lemgo 1981 die erste Arbeit in der Kulturguterfassung beim da- maligen Westfälischen Amt für Denkmalpflege. son. Dabei nahm er auf satirisch-lustig-bissige Nach einem Intermezzo in der Redaktion wech- Weise Zustände und auch Personen vor allem sei- selte Kurt Röckener in die Abteilung Praktische ner dienstlichen Umgebung gerne aufs Korn. Denkmalpflege, der er über 20 Jahre angehörte Dass er auch lange schon verheiratet ist, soll we- und währenddessen er auch die Temperamente nigstens erwähnt sein, ebenso aber auch seine dreier Landeskonservatoren kennen lernte: Die- sportliche Ader: In den 1960er und 1970er Jahren trich Ellger, Eberhard Grunsky und Markus Harze- war Kurt Röckener Teilnehmer im Turniertanzsport netter – sich aber auch an den Wechsel von Amts- und 1990 Gründungsmitglied des Tennisclubs bezeichnungen gewöhnen musste: Westfälisches Münster-Handorf mit Sitz im Vorstand bis heute. Amt für Denkmalpflege, LWL-Amt für Denkmal- Darin wird er sicher noch lange engagiert bleiben pflege in Westfalen und schließlich LWL-Denkmal- und sein Leben in Handorf – zwischen Natur und pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. Großstadt – bereichern um Reisen nach Italien, das Unbedingt erwähnenswert ist Kurt Röckeners er zusammen mit seiner Frau noch längst nicht voll- „theatralisches“ Talent. Hatte er dieses schon in ständig erkundet hat. Theatergruppen an der Schule gepflegt, so profi- tierten und amüsierten sich unsere Amtsmitglieder Bildnachweis über Jahre hin bei einem regelmäßig zum Weih- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- nachtskaffee stattfindenden Auftritt seiner Per- falen (Nieland). 96

Verkäufliche Baudenkmäler

gen Diele und einem eine Kammer breiten Wohn- teil besteht. Ursprünglich befand sich die noch gut erhaltene Feuerstelle (heute ist ein Ofen vorge- baut) auf der Diele. Durch eine sehr dicke, gemau- erte Wand ist das Kammerfach vom Wirtschaftsteil getrennt. Hier befinden sich drei nebeneinander liegende Wohnräume, in deren mittlerer sich eine Stiege nach oben befand. Die Öffnung ist noch vor- handen, der Aufgang zum Obergeschoss geschieht heute über eine Stiege im nördlichen Seitenschiff von der Diele aus. Oben sind drei weitere Kam- mern. Der hohe Dachraum wird von einem mit Kehlbalken gesicherten Sparrendach geschlossen.

Ort: Altena Kreis: Märkisches Sauerland Objekt: Wohn-Wirtschaftsgebäude aus Bruchstein Das aus Bruchsteinen aufgeführte Wohn-Wirt- Datierung: 1828 (1603) schaftsgebäude unter einem Satteldach mit ver- Nutzung: Wohnzwecke bretterten (bzw. kunstoffverkleideten) Giebeldrei- Bemerkung: Alleinlage mitten im Wald ecken stammt in seiner heutigen Form von 1828. Grundstücksgröße: 3500m² – Wohnfläche 250m² Im Kern muss das Haus jedoch älter sein, wie da- Kosten: 450.000 Euro tierte Steine und die Besitzergeschichte belegen. Es handelt sich um ein relativ kleines Bauernhaus Kontakt: Dr. Helga Renfordt-Voelkner, mit einem Wirtschaftsteil, der aus einer dreischiffi- Tel. 038229/798298

Stattliches spätklassizistisches Gasthaus von 1828 mit rückwärtigem Saalanbau von 1902 und Veran- daanbau von 1928 an der Westseite. Das gut über- lieferte Traditionslokal an der Quelle des Oldentru- per Baches veranschaulicht die Entwicklung vom Chaussee- und Dorfkrug zur Ausflugsgaststätte im heutigen Bielefelder Südosten. Das Ensemble ist in einem guten Zustand und geeignet z.B.für den Be- trieb als Restaurant, Büro oder Wohnungen. Süd- östlich stehendes Ziegelgebäude ohne Denkmal- wert.

Ort: Bielefeld-Hillegossen Objekt: Massives, voll unterkellertes Gasthaus mit Saal und großer Veranda Adresse: Detmolder Straße 624, 33699 Bielefeld Nutzung: z.Zt. nicht genutzt Datierung: 1828/1902/1928 Kaufpreis: Nach Vereinbarung

Kontakt: Herr D. Kochsiek, Tel. 05202/4008, 0170/1678007