Sammelrez: G. Fehlhauer: Die Geschichte Der Reichsautobahn
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Gero Fehlhauer. Die Geschichte der Reichsautobahn Chemnitz-Hof. Reichenbach/Vogtland: Foto & Verlag Jacobi, 2006. 168 S. ISBN 978-3-937228-27-3. Reviewed by Reiner Ruppmann Published on H-Soz-u-Kult (June, 2007) Im Herbst 2008 wird der Start des Autobahn‐ das Baugeschehen und seine Ergebnisse. Der offi‐ baus in Deutschland 75 Jahre zurückliegen. Ob of‐ zielle Bilderkanon war zwar durchaus begrenzt, fizielle Stellen mit einer Erinnerungsfeier auf den wurde jedoch in den Publikationen immer wieder sogenannten ‚Ersten Spatenstich’ am 23. Septem‐ repetiert. Auf diese Weise erzwang insbesondere ber 1933 zurückblicken werden, ist fraglich. Denn das Medium Autobahn-Photographie ganz be‐ im Gegensatz zur politisch korrekten Gedenkkul‐ stimmte Sehgewohnheiten, weil die Abbildungen tur ist es kaum möglich, über ein verkehrsge‐ einer inszenierten Realität mangels Alternativen schichtliches Ereignis aus der Anfangszeit der na‐ für das Ganze standen. Dem unbefangenen Be‐ tionalsozialistischen Herrschaft (Beginn des Auto‐ trachter teilen sich diese Bilder damals wie heute bahnbaus) ohne expliziten Hinweis auf das Tätig‐ als spannender Aufbruch in die moderne Ver‐ werden einer Unperson (Hitler) zu berichten, auf kehrswelt der automobilen Fortbewegung mit: den allein damals dieses Ereignis zugeschnitten Aufragende Brücken aus Stahl oder Beton mit gro‐ war. Und ein direkter Zusammenhang mit dem ßen Spannweiten stehen für technischen Forts‐ Holocaust stellt sich nicht unmittelbar her. chritt und überragende Ingenieurskunst, die Ar‐ Die Geschichte der „Reichsautobahn“ fordert beitsgeschwindigkeit für Dynamik, die Idylle der die historische Forschung weiterhin heraus. Der großzügig durch die Landschaft führenden Tras‐ Schwerpunkt liegt inzwischen eindeutig auf regio‐ sen für Harmonie mit der Umwelt. Die menschli‐ nalen Darstellungen. Sie sind in der Regel be‐ chen Schicksale der Autobahnarbeiter, die Bedin‐ müht, den Autobahnbau im Dritten Reich sachlich gungen ihres Alltags mit allen Mühen und Entbeh‐ zu erzählen und im Sinne kritischer Geschichts‐ rungen wurden hingegen ausgeblendet bzw. sozu‐ schreibung eine verbale Distanz zu ihrem Unter‐ sagen hinter dem Kollektiv schippender Gefolg‐ suchungsobjekt aufzubauen. Problematisch wird schaftsmitglieder neben Feldbahn-Loren ver‐ dieses Bestreben dann, wenn zeitgenössische Bil‐ steckt. Selbst wenn der Leser weiß, dass es sich der zur Illustration des Textes herangezogen wer‐ bei den Autobahnbildern um dramaturgisch über‐ den. Da seinerzeit Architektur, Photographie, Ma‐ höhte Abbildungen einer beschönigten Wirklich‐ lerei und Skulptur rund um den Autobahnbau keit handelt, bleibt doch immer ein Rest von Be‐ von den Hauptakteuren Fritz Todt und Joseph Go‐ wunderung für die grandiosen Bauleistungen und ebbels im Sinne der jeweils angestrebten Propa‐ die kurze Realisierungszeit von 1933 bis 1939. gandaziele zentral gesteuert und gezielt eingesetzt Vergleiche zwischen damaligen (meist schwarz- wurden, transportiert dieses Material unabding‐ weißen) und heutigen (vierfarbigen) Autobahn- bar die ideologisch bewusst gelenkten Blicke auf Photographien ordnen den ersten Autobahnen in H-Net Reviews Deutschland einen nostalgisch-verklärten, ästheti‐ burg 1933-1938, in: Oberbayerisches Archiv 130 schen Reiz zu, wohingegen die Abbildungen nüch‐ (2006), S. 385-416, der für Interessierte das hier terner, effizienzorientierter Trassen aus der jün‐ besprochenen Buch um weitere Facetten ergänzt. geren Vergangenheit – auch wegen der durch die Bei seinem Vorhaben lässt er sich von der Faszi‐ Massenmotorisierung längst eingetretenen Nor‐ nation leiten, die der frühe Autobahnbau malität – kaum noch begeistern können. Dies hat ausstrahlen kann, was jedoch „in unserer oft von nicht zuletzt mit den Sujets und dem Standpunkt Stress und Hektik begleiteten Zeit vielen Men‐ der Photographen zu tun, die seinerzeit aus der schen gänzlich verborgen“ bleibe, nicht zuletzt, Sichtperspektive bis dato unbekannte, zweispuri‐ weil „Umbauten [...] darüber hinaus nicht selten ge Richtungsfahrbahnen ohne Leitplanken, Mittel‐ den Ursprungscharakter verschwinden“ ließen striche, Lärmschutzwände, Zweckbauten und (Vorwort, S. 5). Die Arbeit ist der populärwissen‐ meist ohne Fahrzeuge ablichteten, während im schaftliche Beitrag eines begeisterten Hobby-His‐ Gegensatz dazu heutige Autobahnbilder häufig torikers, wie sie im Bereich der Lokalgeschichte aus der Vogelperspektive Autoschlangen auf min‐ häufig anzutreffen sind. Die Herausgabe der Stu‐ destens sechs Fahrbahnen, Schilderbrücken, die über dieses „doch fesselnde Thema“ dürfte Mautanlagen, postmoderne Raststätten, überbe‐ vor allem darauf zurückzuführen sein, dass große legte Parkplätze und gesichtslose Gewerbegebiete Bildersammlungen mehrerer Autobahn-Enthusi‐ zeigen. asten aus den Ablagekästen endlich an das Licht Unter diesem speziellen Blickwinkel ist die der Öffentlichkeit gelangen wollten. Von den ins‐ erste der Neuerscheinungen zur Autobahnge‐ gesamt 168 Seiten des Buches im DIN A 4-Format schichte vorzustellen. Gero Fehlhauer, gelernter entfallen nämlich nur rund 36 Seiten auf Textbei‐ Mediengestalter, freiberuflicher Journalist und of‐ träge, der restliche Inhalt besteht aus Photogra‐ fensichtlich akribischer Sammler von Autobahn- phien, Reproduktionen von technischen Zeich‐ Materialien möchte mit seinem Buch über die nungen, Faksimiles von Aktenblättern, Zeitschrif‐ „Geschichte der Reichsautobahn Chemnitz – Hof“ tenbeiträgen und Zeitungsausschnitten. Das ma‐ eine Lücke schließen, da es aus seiner Sicht gere Verzeichnis der genutzten Quellen verweist „kaum nennenswerte Literatur [gibt], die den Fo‐ überwiegend auf regionale Artikel, jedoch nicht cus ausschließlich auf einen Streckenzug richtet, auf Archive und Primärliteratur. Trotz wörtlicher um diesen tiefgründig zu analysieren“. Dass dem Zitate aus verschiedenen Archivmaterialien und nicht so ist, beweisen die beiden folgenden Mono‐ des erkennbaren Rückgriffs auf die bereits publi‐ graphien zur regionalen Autobahngeschichte: zierte Autobahnliteratur fehlen in allen Kapiteln Flessa, Berthold; Goller, Helmut, Die Geschichte exakte Quellenangaben, was den Wert der durch‐ der Autobahn 1934 bis 2000, Münchberg 2000 (ein aus informativen Darstellung für die Weiterver‐ Bericht über Planung, Entstehung und Unterhal‐ wendung in der historischen Forschung massiv tung der Teilabschnitte im Autobahndreieck Bay‐ einschränkt. Lediglich aus Bildunterschriften so‐ reuth/Kulmbach – Landesgrenze Thüringen/Sach‐ wie ab und zu im Text sind weiterführende, wenn sen); Kreuzer, Bernd, Tempo 130. Kultur- und Pla‐ auch nicht immer präzise Hinweise auf die Her‐ nungsgeschichte der Autobahnen in Oberöster‐ kunft des Materials zu entnehmen. reich, Linz 2005 (eine profunde Forschung zur Au‐ Im ersten der insgesamt fünf Kapitel wird, tobahngeschichte im Nachbarland). Jüngst er‐ ausgehend von einer kurzen Betrachtung zum al‐ schien ein gründlich recherchierter Beitrag zur ten vogtländischen Straßennetz, in journalisti‐ regionalen Autobahngeschichte von Vahrenkamp, scher Manier die bekannte Vorgeschichte der Richard, Die Chiemsee-Autobahn. Planungsge‐ Reichsautobahnen im Kontext der damaligen Ver‐ schichte und Bau der Autobahn München-Salz‐ kehrssituation als Überblicksdarstellung referiert, 2 H-Net Reviews ohne dass Neues in Erscheinung tritt. Interesse einem der Mitgründer der AGAB verfasste Buch wecken an dieser Stelle lediglich die Einbindung hat bisher noch keine weiteren Veröffentlichun‐ der regionalen Industriegeschichte zwischen gen nach sich gezogen (siehe Stockmann, Dieter, Chemnitz und Plauen mit den bedeutenden Fahr‐ Strecke 46. Die vergessene Autobahn zwischen zeugherstellern Auto-Union und VOMAG, oder die Spessart und Rhön, 2. Aufl. Veitshöchheim 2003). Hinweise auf das sächsische Straßennetz, auch Am meisten beeindrucken die 1937-1939 errichte‐ wenn der Leser solche Einsprengsel als unsyste‐ te Göltzschtalbrücke bei Weißensand sowie die matisch empfindet. Zur Schilderung des Ringens 1940 kriegsbedingt unvollendet gebliebene größte der Stadt Plauen um die Dreiecksverbindung zwi‐ Steinbogenbrücke Europas über das Tal der Wei‐ schen den Haupttrassen Erfurt-Dresden (heute A ßen Elster bei Pirk. Wegen Stahlknappheit griffen 4) und Berlin-München (heute A 9) greift Fehlhau‐ beide auf klassische Vorbilder der Autobahn-Ar‐ er auf den Beitrag eines Mitarbeiters des Vogt‐ chitektur zurück. Bei vielen teilweise sehr aus‐ land-Museums in Plauen, Gerd Naumann, zurück, führlichen Bilderklärungen wäre freilich eine er‐ bevor er selbst den Bau der rund 90 km langen läuternde Quellen- und Bildkritik angebracht ge‐ Autobahnverbindung Chemnitz-Plauen-Hof (RAB wesen. Zwei Bildunterschriften mögen zeigen, 84, heute BAB A 72) zwischen 1934 und 1940 be‐ welche ‚Magie’ die undifferenzierte Ausbreitung schreibt. Das führt notwendigerweise zu einigen eines reichhaltigen Fundus entfalten kann: „Gera‐ inhaltlichen Redundanzen. Die folgenden, hetero‐ dezu majestätisch fügt sich das neue Bauwerk ein gen ausgefallenen Kapitel erwecken teilweise den in die idyllisch säumende Natur“ (S. 87) – das hät‐ Eindruck von Gelegenheitsarbeiten für andere te so auch im „Völkischen Beobachter“ oder einem Publikationen. Besonders spannend sind die aus‐ der zahlreichen ‚Jubelwerke’ über die Reichsauto‐ führlichen und mit teilweise unbekannten Bil‐ bahnen stehen können. Der Hinweis auf „die mit dern illustrierten Schilderungen der Großbauten besonderer Sorgfalt eingebrachten Niststeine für auf dieser geographisch schwierigen Reichsauto‐ Höhlenbrüter“ (S. 48) erweckt ohne zusätzliche bahnstrecke.