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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2005

New York meets

Dave Liebman:

Zu Wien pflegt er zweifellos eine partikuläre Beziehung. Nicht nur weil er hier – beginnend mit „Lookout Farm“ 1974 im Jazzland – bereits häufig gastiert hat, nein: Wien beherbergt mit dem Porgy & Bess auch jenen Club, von dem er erst kürzlich, im letzten seiner dreimal jährlich verschickten E-Mail-Newsletter, erneut bekannte, dieser sei sein weltweiter Favorit unter den Jazzetablissements. Nun gastiert mit mehreren Programmen im Magna Auditorium des Musikvereins.

Der Mann, der solcherart eine besondere Wien-Affinität zum Ausdruck bringt, ist weit herumgekommen: Dave Liebmans Name hat Rang und Klang in der internationalen - Community. Als Saxophonist, Komponist und auch als Pädagoge hat er Spuren in der Geschichte hinterlassen, um noch in der Gegenwart Akzente zu setzen. Dave Liebman, das ist jener New Yorker Haudegen, der noch bei den Giganten des Jazz gelernt hat.

John Coltrane war es, der den Jugendlichen für jene Musik begeisterte und ihm im persönlichen Kontakt Anregungen mit auf den Weg gab. Zum gemeinsamen Spiel reichte es freilich nicht: Denn als jene Lichtgestalt der sechziger Jahre, Konsensfigur für Avantgardisten und gemäßigte Modernisten, 1967 im Alter von nicht einmal 41 Jahren starb, war Liebman gerade 20 Jahre alt.

Lehrling bei Höhere Weihen sollte der in einer liberalen jüdischen Familie in Brooklyn Aufgewachsene durch sein Engagement in der Band des ehemaligen Coltrane-Schlagzeugers (den er in seinem Nachruf 2004 als eigentlichen musikalischen „Vater“ bezeichnete) erhalten, wie auch durch Miles Davis himself: 1972 als Ersatz für den kurzfristig ausgefallenen Carlos Garnett zu einem Aufnahmetermin für das Meisterwerk „“ ins Studio gerufen, gehörte Liebman 1973/74 der Band des genial-schwierigen Trompeters nach dessen Umorientierung hin zum Rock-Jazz an – und erlebte in diesen knapp eineinhalb „Lehrlingsjahren“ (Liebman), die u. a. durch die Alben „“ und „“ dokumentiert sind, wie Davis in seinem Bemühen, mittels Sly-Stone- und James-Brown- Einflüssen gezielt ein schwarzes, junges Publikum anzusprechen, (äußerst spannend) scheiterte.

Sprung in hohe Lagen Das Engagement bedeutete für Liebman den Durchbruch wie auch den Sprung in die

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Eigenständigkeit. „Lookout Farm“, die erwähnte erste eigene Band-Unternehmung, führte ihn erstmals mit dem Pianisten zusammen, mit dem sich die Wege in den siebziger und achtziger Jahren in verschiedensten Besetzungskontexten – erwähnt sei der Duo- Klassiker „Advance Music“ von 1985 – kreuzen sollten.

Hatte sich „Lieb“ – so pflegt er in Musikerkreisen genannt zu werden – in den Siebzigern am Tenorsaxophon häufig in hohen Lagen bewegt, so führte die Suche nach „seiner“ instrumentalen Stimme dazu, dieses 1980 für volle fünfzehn Jahr gänzlich aus der Hand zu geben und sich in dieser Zeit ausschließlich dem Sopran zu widmen. Es war jenes Aerophon, das zu seinem Markenzeichen mutierte; neben Wayne Shorter und Steve Lacy stieg Liebman zum einflußreichsten Repräsentanten des zweitkleinsten Mitglieds der Saxophon-Familie auf, sowohl was den enormen Klangfarbenreichtum als auch die ideenreiche, diskursive Schlüssigkeit seiner Gedanken anbelangte.

Hans Dampf in vielen Gassen Die Ausstrahlung des Musikers wurde indessen durch den Pädagogen verstärkt. Nicht nur findet sich eine Vielzahl von Lehrbüchern und Improvisationsanleitungen auf der Publikationsliste, Liebman, der an der Universität Stroudsburg, Pennsylvania, unterrichtet, gilt auch als Schlüsselfigur der Internationalisierung der Jazzausbildung, seit er Ende der achtziger Jahre die „International Association of Schools of Jazz“ gründete, die Institute in rund vierzig Ländern vernetzt.

Ja, Dave Liebman, das ist ein Hans Dampf in vielen Gassen, trotz einer schweren Gehbehinderung, die ihm von einer frühen Kinderlähmungserkrankung geblieben ist. Als ihm im Mai 2001 im Porgy & Bess eine dreitägige Personale gewidmet wurde, da übte er sich mit und in freier Improvisation, da unterzog er gemeinsam mit Pianist Fritz Pauer die harmonische Substanz guter alter Standards höchst persönlichen Neudeutungen.

Um im Zuge seiner Komposition „Time Immemorial“ mit seinem eigenen, vom Tonband zugespielten Klangschatten in Dialog zu treten und sich zudem als Komponist von Kammermusikstücken vorzustellen. Sechs oder sieben Abende hätte man indessen gebraucht, um den „ganzen“ Liebman zu portraitieren, meinte er damals, ohne undankbar zu erscheinen: Denn in den USA, so Liebman, wäre eine dreitägige „Werkschau“ zu seiner Person generell undenkbar.

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Neues aus der Alten Welt Liebman ist zu vielseitig, um in der nicht subventionierten, tendenziell konservativen Kulturlandschaft Amerikas künstlerische Befriedigung finden zu können. Feizügig bekennt er, daß er den Großteil seines Einkommens in Europa verdient – und daß er die europäischen Jazzströmungen zudem origineller, individueller, interessanter finde als jene seiner Heimat.

In diesem Zusammenhang erscheint es schlüssig, daß Liebman anno 1996 auch in der Alten Welt eine ständige „Working group“ formierte – mit der sich ein weiterer Österreich-Bezug ergab: Denn beim Bassisten und beim Schlagzeuger des französischen Quintetts „Passagio“, die ihn damals so beeindruckten, handelte es sich um den Pariser Jean-Paul Celea, früher im Ensemble InterContemporain tätig, und den vormaligen „“-Schlagzeuger Wolfgang Reisinger, Österreichs international gefragten Trommelvirtuosen. Mit „World View“ (1996), „Missing A Page” (1999) und „Ghosts” (2001) ist die in traumwandlerischer Sicherheit praktizierte freie Kommunikation der Trio-Partizipanten mittlerweile auf drei Alben dokumentiert.

Dave Liebman, das ist ein mit allen Wassern gewaschener Musiker, der die Welt gesehen hat, der in Wien aber bislang vielleicht auf die offensten Ohren gestoßen ist. Das zweitägige Gastspiel im Musikverein, mit der „Winterreise“ Thomas Pernes’ – selbst ein Wanderer zwischen zeitgenössischer Tonsetzerei, Improvisation und Volksmusik – als Fokus, dürfte dieser Beziehung ein weiteres aufregendes Kapitel hinzufügen.

Andreas Felber Dr. Andreas Felber ist als freier Musikjournalist u. a. für die Tageszeitung „Der Standard“ tätig.

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