Fern-Express 2/2017 Die Pyrenäenmetro

KARL-W. KOCH Die Pyrenäenmetro

Im französischen Teil im Grenzgebirge zwischen Frankreich und Spanien, den Pyrenäen, genauer gesagt an ihren Osthängen, verläuft seit 1909 eine der seltsamsten Strecken der Welt: Eine Bahn, 126 (Tarif-!) Kilometer lang, elektrisch betrieben wie die Berliner S-Bahn mittels Stromzufuhr über eine seitliche Stromschiene in Meterspur.

Im Städtchen „Pyrenäenmetro“ wird die „Ligne de Cerdagne“ (nach verlängerungen mehrere Beiwagen zu Triebwagen Villefranche Vernet- dem französischen Namen der Region - der Cer- umgebaut, 1937 kamen sechs Vierachsbeiwagen les-Bains beginnt die dagne) oder auch „Train Jaune“ (= der gelbe Zug) mit offenen Plattformen in die Pyrenäen. Die Bei- Pyrenäenmetro. Ein auf Deutsch gern genannt. Als Gebirgsbahn er- wagen werden abwechselnd mit den Triebwagen Zug nach Latour de schließt sie einen Teilbereich der französisch- gereiht. Aufgrund der starken Steigungen (und der Carol wartet auf seine katalanischen Pyrenäen. Wurde sie ursprünglich recht schwachen Motoren) gilt als Faustregel, Abfahrt. von der TER, einer Untergesellschaft der französi- dass pro Beiwagen ein Triebwagen im Zugverband schen Staatsbahn SNCF für Schienen-Nahverkehr, vorhanden sein muss. Nach einer Ausmusterungs- betrieben, so firmiert sie mittlerweile unter „SNCF“, welle in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts also als Teil der französischen Staatsbahn. verblieben noch 14 Personentriebwagen sowie zwei Gütertriebwagen im Betriebsstand. Die Ligne de Cerdagne ist die Fortsetzung einer von der Großstadt Perpignan ausgehenden, die Eine Anmerkung sei zu den „Tarif-Kilometern“ er- Provinz Roussillon erschließenden Normalspurli- laubt. Hier gab es 1981 eine wundersame Vermeh- nie. Diese endet in dem Festungsstädtchen Vil- rung, aus 95 km wurden die erwähnten 126 km. lefranche-de-. Mit Eröffnung des ersten Die reine Entfernung zwischen den Orten Villefran- Streckenabschnittes 1910 wurde der bisherige End- che und Latour beträgt nur 62,56 km. Der zu über- bahnhof Villefranche somit zur Umsteigestation. windende Höhenunterschied beträgt immerhin 1.166 m, so dass viele Kurven nötig sind, um „Höhe“ zu gewinnen. Die maximale Steigung liegt GESCHICHTE bei immerhin 60 ‰, dennoch wird die Bahn als rei- Zur Eröffnung im Jahr 1910 wurden je zehn Trieb- ne Adhäsionsbahn betrieben. wagen für den Personen- und für den Güterver- kehr, 14 Personenbeiwagen, sowie eine große Die Strecke wurde aufgrund der schwierigen Topo- Zahl von Güterwagen beschafft. Die Fahrzeuge graphie mit einem Meter Spurweite gebaut. Die machten im Laufe der Jahre einige markante Ver- Einweihung erfolgte 1910, damals endete die Stre- änderungen durch. So wurden mit den Strecken- cke bereits in Mont-Louis–. Ein Jahr

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später wurde der nächste Abschnitt nach Bolquère eröffnet. Hier hat die Strecke bei 1.592 m ü.NN ih- ren Scheitelpunkt, gleichzeitig ist dies der höchste Punkt im Netz der SNCF. Nächste vorläufige End- station war Bourg-Madame.

Erst 1928 war die Strecke endgültig fertig gestellt, nachdem in Latour de Carol auch die Strecken aus Spanien und Toulouse zusammengeführt wurden, entschloss man sich die Pyrenäenmetro ebenfalls hier enden zu lassen. Zu den drei Strecken, die hier zusammenfinden ist bemerkenswert, dass je- de für sich Höhenrekordhalter ist: die Normalspur- strecke von Toulouse überschreitet nahe den Rekordwert von 1.567 m und die spanische Breitspur hält den Rekord mit 1.494 m ü.NN im Tosas-Tunnel

FAHRZEUGE Da die Planer ohne Zahnstange auskommen woll- den sie bei der Schweizer Firma Stadler. Seit 2004 Die Séjourné-Brücke ten, entschloss man sich für Fahrzeuge mit einer stehen zwei Neubaufahrzeuge im Einsatz: Die führt als Steinviadukt möglichst großen Zahl angetriebener Achsen. So Triebwagen verfügen über Klimaanlage, Toiletten in 65 Meter hoch über wurden vierachsige, mit Vielfachsteuerung System und ungeteilte Panoramafenster, sind jedoch nicht dem Fluss. Der Sprague ausgestattete, Triebwagen geordert, die mit den Altbaufahrzeugen, und damit auch nicht untere, 30 m breite sich bereits bei der Pariser Metro bewährt hatten. mit den beim Publikum beliebten offenen Aus- Spitzbogen im Mittel- Für den Güterverkehr wurden die Triebwagen ent- sichtswagen kompatibel. Den Kanarien-gelben An- teil der Brücke ist von sprechend angepasst. Bei der Eröffnung 1910 strich „le petit train jaune“ (der kleine gelbe Zug) diesem Standpunkt standen zehn Personentrieb-, zehn Gütertriebwa- mussten sie gleichwohl über sich ergehen lassen. aus nicht zu sehen. gen, 14 Personenbeiwagen, sowie eine große Zahl von Güterwagen zur Verfügung. Aufgrund des Den deutschen Beinamen „Pyrenäenmetro“ erhielt Mehrbedarfs an Triebfahrzeugen durch die Stre- sie zweifellos zum Einen wegen ihrer in Kontinen- ckenverlängerungen baute man mehrere Beiwagen taleuropa außerhalb der Großstädte seltenen – zu Triebwagen um. 1937 wurden sechs Vierachs- und nicht ganz ungefährlichen – Art der Stromver- beiwagen mit offenen Plattformen beschafft, die sorgung: Die Fahrspannung von 850 V wird mittels sich im Sommer bei den Touristen großer Beliebt- einer von oben bestrichenen Seitenstromschiene heit erfreuten. zugeführt, ein System, das man sonst nur von U- und S-Bahnen wie etwa eben der Berliner S-Bahn Die Beiwagen werden abwechselnd mit den Trieb- kennt. Die Verteilerstationen werden mit 20.000 V wagen gereiht. Als Faustregel gilt, dass pro Beiwa- Dreiphasenspannung versorgt, die elektrische gen ein Triebwagen im Zugverband vorhanden Energie wurde von Anfang an durch ein eigens ge- sein muss. Eine Ausmusterungswelle in den bautes Wasserkraftwerk in der Region erzeugt. 1950er Jahren ließ nur noch 14 Personentriebwa- Aber auch der kastenförmige Fahrzeugaufbau erin- gen sowie zwei Gütertriebwagen als Arbeitsfahr- nert sehr an U- oder S-Bahn-Züge. Lediglich die zeuge im Betriebsstand. Da mehrfach eine Stillle- Streckenführung führt all dies sehr schnell ad ab- gung drohte, scheute man keine Investitionen. Die surdum: statt Großstadtflair bietet sich dem Rei- Betreiber entschlossen sich daher, statt einer Neu- senden eine wildromantische Gebirgslandschaft! beschaffung die noch vorhandenen Fahrzeuge ei- Die große Anzahl von ner Generalrevision zu unterziehen: Dabei wurden KUNSTBAUTEN Kunstbauten der Stre- u.a. die bisherigen hölzernen Wagenkästen durch cke eröffnet zahlrei- einen Metallaufbau. Der zuletzt nur noch beschei- Auf 62 Kilometer Streckenlänge sind rund 650 che Fotomotive. dene Güterverkehr wurde Mitte der 1970er Jahre eingestellt.

Anfang der 1980er Jahre drohte erneut die Stillle- gung, was zu weitreichenden Veränderungen in der Organisation des Betriebes führte. Der vormals eigenständige Betrieb wurde in Dienststellen der Region überführt. Der Fuhrpark wurde erneut ei- nem Umbau unterzogen, nachdem sich der Ver- such, straßenbahnähnliche Neubaufahrzeuge zu beschaffen, sich als Fehlschlag erwiesen hatte. Die originalen Triebwagen erhielten unter Wahrung des ursprünglichen Erscheinungsbildes neue Stahlkäs- ten, verbesserte Federung, mit Niederspannung betriebene Hilfssysteme und zeitgemäße Führer- stände mit Sitzen für die Triebfahrzeugführer.

Da die vorhandenen Fahrzeuge absehbar knapp wurden, suchten die Verantwortlichen weiter nach einem geeigneten Nachfolgefahrzeug. Fündig wur-

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brückt zunächst mit einem 30 m breiten Spitzbogen ein tief eingeschnittenes Flusstal, auf dieser unteren Brücke steht dann das nur 2,50 m breite, ei- gentliche gemauer- te Viadukt, das die Stahlbetonplatte für die Eisenbahn trägt.

Die zweite sehens- werte Brücke ist die Pont de Cassagne bzw. (gleiche Brü- cke, anderer Na- men) Pont Gisclar, eine sog. Schräg- seilbrücke. Ihre Fahrbahnebene verläuft 80 Meter über dem Talgrund. Die beiden gemau- erten Pfeiler der Brücke stehen 151 Meter entfernt von- einander an den gegenüberliegen- den Berghängen und haben eine Hö- he von 32 bzw. 28 Metern.

REISEROUTE Die Strecke über- windet einen Hö- henunterschied von fast 1.200 m: Sie steigt von 400 Hö- henmeter auf 1.600 m über dem Mee- resspiegel. Damit erringt die den Titel der höchstgelegene Strecke Frank- reichs. Auch wenn die Fahrgastzahlen rückläufig sind, zählt die Strecke je- des Jahr heute noch rund 400.000 Reisende, Einhei- mische wie Besu- cher.

Im französischen Villefranche-Vernet- les-Bains endet die SNCF-Staatsbahn von Perpignan kommend, hier be- ginnt die Pyrenäen- Bei Font Romeu wird Kunstbauten verteilt, darunter befinden sich 19 Metro. Die zahlreichen Minenbahnen, die ur- die Landschaft offener, Tunnel von 56 bis zu 380 Metern Länge, 14 Via- sprünglich mit zu ihrem Bau führten, haben heute das enge Tal der Têt dukte und vier gewölbte Brücken. Zwei dieser Brü- schon lang den Betrieb eingestellt. Geblieben ist wird verlassen und die cken überqueren das Tal des Flüsschens Têt. Die eine „Metro“ in einer unwirtlichen Gebirgsland- Gipfel der Pyrenäen Séjourné-Brücke, ein sehenswerter Steinviadukt, schaft, deren Berechtigung in der heutigen Zeit werden sichtbar. führt in 65 Meter hoch über dem Fluss. Sie über- sich wahrscheinlich nur noch durch den grotten-

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Einer der neuen Trieb- wagen in Villefranche. (mit freundlicher Ge- nehmigung von Alain, http://alain-34.blogspot. de/2015/03/le-train- jaune.html) Villefranche Vernet -les-Bains (Anschluss von Perpignan ) – - -les-Bains – – Thuès-les-Bains – Thuès-Carenca – Fontpédrouse – Sauto – Planès – Mont-Louis – La Cabanasse – Bolquère – Eyne ( Scheitel- punkt 1.592 m ) – Font-Romeu- Odeillo-Via – schlechten Zustand der - wenn denn überhaupt ge gering, liegt der Hauptdurchsatz an Fahrgästen – Err vorhandenen - Straßen der Region begründen in den wenigen Sommermonaten, speziell inner- – Sainte-Léocadie lässt. halb der (landesweiten!) französischen Ferien. – Osséja Dies drohte wie erwähnt bereits mehrfach zu einer – Bourg-Madame Bis zur Ponte Gisclard (Km 48) folgt die Strecke Stilllegung zu führen. 2015 hat aber die Regional- – Ur-Les Escaldes dem Flüsschen Têt., welches mehrfach gekreuzt versammlung der Region Languedoc-Roussillon – Béna-Fanès wird, Die letzte Überquerung findet auf dem Meis- offenbar die Bedeutung dieses Touristenmagneten – Latour-de-Carol- terwerk der Bahn statt, der Pont de Cassagne. erkannt und einen Kredit in Höhe von 14 Mio. € ge- Laut der gängigen Literatur ist die Brücke weltweit nehmigt. Mit ihm sollen die Eisenbahninfrastruktur (Anschluss nach die einzige Hängebrückekonstruktion einer Bahn- und die historischen Fahrzeuge erneut saniert wer- Foix und strecke. Mit einer Gesamtlänge von 253 m und ei- den. Damit scheint der Betrieb der Bahn auch über Puigcerdà ) ner Höhe von 80 m über Grund stellt sie eine be- 2016 zumindest für die nächsten Jahre gesichert merkenswerte Konstruktion dar. zu sein. Die erwähnte Hänge- Im oberen Teil der Strecke wird die Szenerie etwas Quellen: brücken-Konstruk- ruhiger, das bislang meist enge Flusstal weitet sich Karl-W. Koch: „Pyrenäenmetro“ in Eisenbahn- tion, die Pont de Cas- zu einem Hochtal vor der Kulisse der Pyrenäengip- atlas Europa, Geramond-Verlag, München sagne bzw. Pont Gisc- fel. Wenige Kilometer entfernt liegt hier in Font- http://www.parc-naturel-pyrenees- lar. (Foto: Cevenol2 bei Romeu-Odeillo-Via übrigens mit dem ersten solar- catalanes.com/de/decouvertes/train-jaune French Wikipedia, ver- thermischen Großkraftwerk ein Meilenstein der In- http://de.wikipedia.org/wiki/ wendet mit der Geneh- dustriegeschichte. Ligne_de_Cerdagne migung CCBY- http://de.gite-navarre.com/gelber-zug.html ◄ SA2.0FR ; CCBYSAFR) Etwas später wird mit dem Bahnhof Latour-de- Carol der Endbahnhof der Strecke erreicht. Sein Empfangsgebäude und die heute noch gut erkenn- baren einstig gewaltigen Ausmaße der Gleisanla- gen lassen die Bedeutung des Grenzbahnhofes noch vor wenigen Jahrzehnten erkennen. Eine wei- tere normalspurige SNCF-Strecke (von Toulouse – Foix kommend) endet hier, ein Gleis in der spani- schen Spurweite von 1.668 mm stellt den An- schluss zur RENFE (spanische Staatsbahn) her. Der Zugverkehr heute beschränkt sich allerdings weitgehend auf einige wenige Regionalzüge am Tage ... Die Fahrzeit beträgt für den Zug ca. 2½ bis 3 Stunden.

AUSSICHTEN Das Fahrgastaufkommen der Bahn weist erhebli- che saisonale Unterschiede auf: Während außer- halb der sommerlichen Hochsaison ist die Nachfra-

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