Nr. Liskor – Erinnern 007 Jahrgang, September 2017, Elul/Tischri 5777/5778 .2 לזכור Liskor –Erinnern Magazin derHamburger GesellschaftfürjüdischeGenealogiee.V. Oswald Lassally (1899–1975) Ein Leben imDienstderHamburger Polizei

–Seite 3 לזכור Impressum / Editorial

Impressum Herausgeber Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V.

Redaktion Leitung: Jürgen Sielemann Korrektorat und Beirat: Liebe Leserinnen und Leser, Dr. Jutta Braden, Dr. Beate-Christine Fiedler eine herausragende Persönlichkeit in der Geschichte der Layout: Christian Wöhrl Hamburger Polizei war der Jurist Oswald Lassally Druck: Frick, Krumbach (1899-1975). Wie durch ein Wunder überlebte er 1931 als Redaktionsadresse Regierungsrat der Polizeibehörde das Attentat eines dem Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., Nationalsozialismus huldigenden Psychopathen, konnte sich c/o Jüdische Gemeinde in noch 1940 aus Deutschland retten und trat 1950 wieder in Hamburg, den Dienst der Hamburger Polizei ein. Ihm und seiner Grindelhof 30, 20146 Hamburg E-Mail: Familie ist der erste Beitrag in dieser Ausgabe gewidmet. [email protected] Volker Reißmann, dem Hamburg zahlreiche wichtige Preis 10,00 €. Verkaufspreis durch Beiträge zur Filmgeschichte unserer Stadt verdankt, Mitgliedsbeitrag abgegolten. eröfnet mit seinem Aufsatz über Felix Jackson in dieser Zeitschrift eine biographische Serie über jüdische Vereinskonto Hamburger Gesellschaft für Filmschafende aus Hamburg. jüdische Genealogie e.V. Hamburger Sparkasse Sylvia Steckmest erzählt die Geschichte der zu ihrer Ver- IBAN: DE24 2005 0550 1010 2116 29 wandtschaft gehörenden Familie Lewisohn aus Rendsburg. BIC: HASPDEHHXXX Im Beitrag „Neues aus unserer Bibliothek“ werden drei Eingabe von Artikeln Unsere Leser sind eingeladen, wichtige Neuerscheinungen zur Geschichte der Juden in Artikel zur Veröfentlichung zu Hamburg vorgestellt. senden. Die Beiträge ver pfichten ausschließlich die Verfasser. Abdrucke aus dieser Zeitschrift Mit herzlichem Gruß sind nur mit dem Einverständnis der Redaktion gestattet. Jürgen Sielemann

Copyright © Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. Liskor – Erinnern.

Titelbild Oswald Lassally Staatsarchiv Hamburg, 331-1 II, Polizeibehörde II, 625

ISSN 2509-4491

2 Liskor – Erinnern Jürgen Sielemann Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg Von Kaufleuten im Kaffeehandel und einem kreativen Juristen im Dienst der Polizei

Die Geschichte der Familie Lassally in der Warthe, der zu den Gründervätern der Hamburg begann im Spätherbst 1873, als Jüdischen Gemeinde in Berlin gezählt hat- der 22-jährige Handlungsgehilfe Martin te. Ein Nachkomme Israel Aarons in vierter Lassally von Berlin nach Hamburg übersie- Generation nahm 1812 den Familiennamen 4 delte. Am 31. Oktober jenes Jahres meldete Lassally an. In Landsberg an der Warthe er sich bei der hiesigen Fremdenpolizei als war die Familie Lassally rund 200 Jahre Untermieter des Opernsängers Cäsar Willi- lang ansässig gewesen, bevor ein Zweig in bald Ernst an, der den ersten Stock des der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 5 Hauses Steinstraße 16 bewohnte. Als der nach Berlin übersiedelte. Aus Teodor Las- 6 Sänger einige Tage später in das Haus Pfer- sallys Ehe mit Mathilde Noah stammten demarkt 13 umzog, folgte ihm Martin Las- vier in Landsberg an der Warthe geborene sally dorthin, wechselte jedoch schon An- Kinder, deren Weg nach Hamburg führte: fang März 1874 erneut die Unterkunft und • der schon genannte Martin Lassally, geb. zog als Untermieter des erblindeten Malers 22.08.1851, gest. 04.05.1924 in Hamburg Julius Gordon in das Haus Neuer Wall 40 • Albrecht Lassally, geb. 19.07.1852, gest. 1 7 ein. Für den Beginn einer kaufmännischen 02.01.1925 Karriere in Hamburg erwies sich das Jahr • Eduard Lassally, geb. 25.03.1854, gest. seiner Ankunft als wenig verheißungsvoll. 15.07.1939 in Hamburg Nach dem siegreichen Krieg gegen Frank- • Jenny Lassally, geb. 28.02.1865, gest. reich hatten die französischen Reparations- 18.06.1942 in Hamburg leistungen einen starken Konjunkturauf- Ihnen und ihren Hamburger Nach- schwung mit vielen Geschäftsgründungen kommen gilt dieser Aufsatz. bewirkt, worauf dann 1873 die „Gründer- krise“ mit einem tiefen Sturz der Aktien- Martin Lassally (1851 – 1924) kurse folgte. Vor der Hamburger Börse kam Von Martin Lassallys Zuzug nach Ham- es zu heftigen Tumulten empörter Aktionä- burg wurde eingangs schon berichtet. Ein 2 re; der Wirtschaftsboom war beendet. gutes Jahr danach, am 26. November 1874, Nachdem Martin Lassally noch zwei- meldete sich Martin Lassally nach Berlin mal die Wohnung gewechselt hatte, kehrte ab, kehrte im März 1877 nach Hamburg er Ende 1874 zu seinen Eltern nach Berlin zurück und erwarb hier im selben Monat 8 zurück. Die Herkunft der Familie erforsch- einen Gewerbeschein als Kaufmann. Er te 60 Jahre später Martin Lassallys Enkel kam nicht allein – am 26. März 1877 mel- Oswald. Nach dessen Erkenntnissen dete sich auch sein damals 50-jähriger Vater 3 stammte Martins Vater Teodor Lassally in Teodor bei der Hamburger Fremdenpoli- 9 gerader Linie von Israel Aaron ab, einem zei. Am selben Tag wurde die Firma Las- 1653 bestallten Hofuden aus Landsberg an sally & Sohn in das Gesellschaftsregister

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des Hamburger Handelsgerichts eingetra- Albrecht in die Firma Lassally & Sohn als 16 gen. Als Gesellschafter zeichneten Teodor Gesellschafter ein. 10 Lassally und sein Sohn Martin. Die Firma Im März 1880 beantragte Martin sollte bis zur NS-Zeit eine Rolle im Ham- Lassally den Erwerb der hamburgischen burger Kafeehandel spielen, einem der Staatsangehörigkeit, zog diesen Antrag 11 wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt. jedoch ohne Begründung nach wenigen Nach Christiane Berths Untersuchung stieg Tagen wieder zurück und blieb einstweilen 17 Hamburg bis Ende des 19. Jahrhunderts preußischer Staatsangehöriger. Der zum wichtigsten europäischen Einfuhrha- Grund, aus dem er den Antrag nach einem fen für Kafee aus Brasilien, Costa Rica, Jahr wiederholte und gleichzeitig den Er- 12 Guatemala und Westindien auf. Die werb des Hamburger Bürgerrechts bean- Struktur des Kafeehandels wies eine Reihe tragte, hieß wahrscheinlich Clara Kronhei- unterschiedlicher Berufsbilder auf. Ursula mer, eine am 04.04.1863 in Hamburg gebo- Becker zählt sie wie folgt auf: Produzent, rene Tochter des vermögenden Kaufmanns Exporteur, Importeur, Makler bzw. Kom- Julius Kronheimer und seiner Ehefrau Ade- 13 missionär, Großhändler, Kleinhändler. Die le geb. Bendix. Am 14.06.1881 wurde Mar- Firma Lassally & Co. fndet sich in den tin Lassally standesamtlich mit ihr getraut. Hamburger Adressbüchern als Unterneh- Die religiöse Trauung nahm Oberrabbiner 18 men verzeichnet, das im Kafeehandel mit Anschel Stern zwei Tage später vor. Ein Importen und Kommissionsgeschäften be- Jahr danach folgte Martin Lassallys Mit- fasst war und außerdem „Warenkommissi- gliedschaft in der Deutsch-Israelitischen 19 on“ und Bankgeschäfte betrieb. Gemeinde Hamburg. Seiner Ehe ent- Auch Teodor Lassallys Söhne Alb- stammten drei in Hamburg geborene Kin- recht und Eduard zogen 1877 nach Ham- der: Paula, geb. 13.08.1882, Edgar, geb. burg. Der damals 24-jährige Albrecht 28.07.1891, und Franz James, geb. wohnte hier bei seinem Vater im Haus Nr. 3 28.04.1901. der Straße Bei St. Annen; an diesem Ort Wer im Kafeehandel erfolgreich sein entstand bald danach die Hamburger Spei- wollte, musste über ein gehöriges Fachwis- cherstadt. Im Fremdenmeldeprotokoll fn- sen und ein Gespür für die Marktsituation det sich Albrecht Lassally im April 1877 als verfügen. Mehrere Geschäftsformen wur- 14 Geschäftsreisender verzeichnet. Wenig den unterschieden: Es gab den Efektiv- später verließ er Hamburg und dürfte für handel, bei dem die Ware beim Vertrags- 15 immer nach Berlin zurückgekehrt sein. abschluss bereits angeliefert worden sein Sein Bruder Eduard Lassally er- musste; Lieferungsgeschäfte waren dagegen scheint im Hamburger Fremdenmeldepro- auf eine erst Monate nach dem Vertrags- tokoll von 1877 als „Commis“ (Handlungs- abschluss gerichtete Realisierung gerichtet, gehilfe). Zunächst wohnte er bei seinem wobei eine Begutachtung von Mustern vor- Bruder Martin in der Schmiedestraße 22; angegangen war. Von besonderer Bedeutung wie dieser blieb er zeitlebens in Hamburg. war der 1887 eingeführte Terminhandel. 1882 trat er zusammen mit seinem damals Über die Funktion dieser Geschäftsform ist wieder in Berlin wohnenden Bruder in Ursula Beckers Dissertation über die

4 Liskor – Erinnern Entwicklung des hanseati- schen Kafeehandels Fol- gendes zu lesen: Der Zweck des Terminhan- dels ist die Sicherstellung ei- ner bestimmten Warenmenge zu einer bestimmten Zeit und zu festgesetztem Preis. Wenn der Kafeegroßhändler annehmen kann, dass in den nächsten Monaten [eine] Nachfrage nach Kafee ein- treten wird, so kauft er nicht sofort die efektive Ware, son- dern er geht an der Börse ein Termingeschäft für später ein. Er spart damit nicht nur Zinsen für das für andere Geschäfte freie Kapital, sondern auch Lager- Kaffeelagerung im Speicher D am Melniker Ufer 20 und Transportkosten. Foto: Staatsarchiv Hamburg, 720-1 / 00058342

24 Die Abwicklung der Geschäfte fand in der Vereinsgeschehen schließen lässt. Erheb- seit 1887 bestehenden Kafeebörse am liche Geschäftseinbußen verursachte die Sandtorkai statt. Dort waren nur Mitglieder „Weltkafeekrise“ des Jahres 1902 infolge 25 des 1886 gegründeten „Vereins der am Caf- einer brasilianischen Überproduktion. Ei- feehandel betheiligten Firmen“ zugelas- nen schlimmen „Schlag ins Kontor“ der 21 sen. Der Verein hatte die Aufgaben, die Hamburger Kafeehändler bewirkte der Be- Kafeebörse zu organisieren, für Lagerraum ginn des Ersten Weltkriegs. Im Bericht des im Freihafen zu sorgen, Waren zu taxieren Vereins über das Vereinsjahr 1914 war dies und bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern zu lesen: 22 zu vermitteln. In der „Hamburger Caf- Das abgelaufene Jahr stand im Zeichen des fee-Zeitung“ versorgte der Verein seine Weltkrieges, in den Deutschland verwickelt Mitglieder mit Informationen und Rat- worden ist. In der letzten Juli-Woche zogen schlägen in einer für Außenstehende kryp- sich schwere Wolken am Horizont zusammen, 23 tischen Fachsprache. so dass die Hofnung auf Erhaltung des euro- In den Versammlungsprotokollen päischen Friedens immer geringer wurde. Es dieses Vereins fnden sich nur wenige der folgte am 31. Juli die Erklärung des Zustandes über 300 im Kafeehandel tätigen Firmen der drohenden Kriegsgefahr in Deutschland erwähnt, darunter hin und wieder aber das und am 1. August der Befehl des deutschen Unternehmen Lassally & Sohn, was auf Kaisers zur Mobilmachung der gesamten eine aktive Mitwirkung der Inhaber am deutschen Land- und Seestreitkräfte, worauf

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allerdings veranlasst, eine außerordentliche Generalversammlung einzuberufen, in der auf den Wunsch von Mitgliedern eine „Ver- deutschung“ der Vereinssatzung beraten werden sollte. Unter anderem wurde ge- wünscht, das Wort „circa“ durch „ungefähr“ zu ersetzen, „Klassifkation“ durch „Eintei- lung“ und „Good average Santos“ durch „guter Durchschnitt-Santos“. Mit solchen Spitzfndigkeiten war nichts gewonnen; wichtiger war es, einen Ausweg aus der Unterbindung des Kafeehandels durch die Lahmlegung des Hamburger Schifsver- kehrs nach Übersee zu fnden. Importe über neutrale Staaten wie Holland linderten das Problem. In diesem Zusammenhang stand ofensichtlich ein Reisepass, den sich Mar- tin Lassally 1916 zur Fahrt nach Holland 27 ausstellen ließ. Illustration aus Hamburgs Handel und Verkehr – Im Ersten Weltkrieg wurden die Illustriertes Export-Handbuch der Börsenhalle überseeischen Besitztümer der hamburgi- 1905 – 1907, Abschnitt II, hinter S. 225 schen Kafeehändler beschlagnahmt und enteignet. Nach dem Ende des Krieges ge- zunächst der Ausbruch des Krieges mit Russ- währte die Reichsregierung dafür Entschä- 28 land, Frankreich und dann auch mit England digungen. Auch die Firma Lassally & erfolgte. In jener Zeit begann eine schwere Sohn war betrofen; 1921 meldeten Martin Prüfung für den deutschen Handel, der natur- und Clara Lassally Schadenersatzansprüche 29 gemäß große Opfer zu tragen hatte. Auch un- an. Im selben Jahr wurde das als ofene ser Kafeehandel hatte schwer zu leiden, aber Handelsgesellschaft gegründete Unterneh- es kann doch mit Genugtuung gesagt werden, men in eine Kommanditgesellschaft umge- 30 dass sich unsere Einrichtungen im Verein mit wandelt. den durch die Reichsregierung getrofenen Clara Lassallys Vater Julius Kronhei- klaren Anordnungen aufs beste bewährt ha- mer, der Chef des Exporthauses J. Kronhei- 26 ben, so dass Katastrophen nicht eintraten. mer & Co. mit Niederlassungen in Austra- lien und Südafrika, war außerordentlich Verglichen mit den pathetischen Äußerun- vermögend. Gemeinsam mit seinem in gen anderer Vereine zum Kriegsausbruch Australien lebenden Bruder Joseph betrieb handelte es sich hier um eine nüchterne Be- er die forierende Börsenfrma J. Kronhei- schreibung der Geschehnisse, frei von natio- mer & Co. in der Admiralitätstraße 58. Das nal istischem Überschwang. Im zweiten Unternehmen handelte mit Importen aus Kriegsjahr sah sich der Vereinsvorstand Australien und Exporten nach

6 Liskor – Erinnern 31 34 Deutsch-Südwest-Afrika. 1911 gründeten Herzleiden – trat sie als Kommanditistin die Brüder Kronheimer eine wohltätige mit einer Einlage von 200.000 Reichsmark Stiftung mit einem Kapital von 300.000 in die Firma Lassally & Co. ein. Über fünf Mark, deren Verwaltung sie der Deutsch-Is- Jahre nationalsozialistischer Herrschaft raelitischen Gemeinde übertrugen. Ein Teil musste sie in Hamburg noch miterleben 35 des Stiftungskapitals gelangte an hamburgi- und starb hier am 12.09.1938. Die Gräber sche Wohltätigkeitseinrichtungen zur Ver- von Martin und Clara Lassally befnden teilung an Bedürftige unabhängig von deren sich mit einem gut erhaltenen großen 32 Konfession. Seinen Schwiegersohn Mar- Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof im 36 tin Lassally bestimmte Julius Kronheimer Hamburger Stadtteil Ohlsdorf. Ein Port- zum Testamentsvollstrecker. rätfoto des Firmengründers Martin Lassally Nach Julius Kronheimers Tod am ließ sich bedauerlicherweise nicht ermitteln. 27.02.1918 gelangte sein millionenschweres Knappe Angaben über sein Erscheinungs- Erbe zur Verteilung; selbst sein Kutscher bild enthalten die Hamburger Reisepass- wurde noch mit 2.000 Mark bedacht. Ein protokolle. Danach war er von großer und Fünftel der Erbsumme war für seine Toch- kräftiger Statur, hatte dunkles Haar, grau- 33 ter Clara Lassally bestimmt. Nach dem braune Augen und eine Narbe an der rech- Tod ihres Ehemanns Martin Lassally – er ten Wange. Von großer Statur war auch sei- 37 verstarb am 04.05.1924 an einem ne Ehefrau. Das Haus Rothenbaumchaussee 40, das Martin Lassally von seinem Bruder er- worben hatte und in dem er mit seiner Fa- milie seit 1895 wohnte, steht noch heute und beherbergt die Ehlerding-Stiftung mit den Förderschwerpunkten Kinder und 38 Umwelt.

Die Nachkommen des Firmengründers Martin Lassally Paula Lassally, geboren am 13.08.1882 in Hamburg, wurde am 14.09.1903 in Ham- burg mit dem Kaufmann Richard Janowit- 39 zer (geb. 04.10.1870 in Wien) getraut. Ja- nowitzer betrieb als Alleininhaber die fo- rierende Im- und Exportfrma Teiner & Janowitzer mit Niederlassungen in Mexiko 40 und Brasilien. Die Ehe von Paula und Das Haus Rothenbaumchaussee 40. Mit der Richard Janowitzer blieb kinderlos. Am 1. Hausnummer 38 steht rechts daneben das September 1938 bestiegen beide das Passa- ehemalige Gemeindehaus der Deutsch-Israeliti- gierschif „Cap Arcona“ und emigrierten schen Gemeinde (Foto: Jürgen Sielemann) nach Rio de Janeiro. Wie ihr Anwalt der

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Hamburger Devisenstelle im März 1939 1939 emigrierte Edgar Lassally mit seiner mitteilte, „verzichtete“ das Ehepaar Jano- Frau und den in Hamburg geborenen Söh- witzer nach den November-Ereignissen auf nen Heinz (geb. 03.10.1919) und Werner 41 eine Rückkehr nach Deutschland“. Die (geb. 18.07.1925) nach England. Die Not- Firma Teiner & Janowitzer wurde von ei- lage zwang Edgar Lassally, dort einen nem „Treuhänder“ übernommen, verkauft schlecht bezahlten Buchhalterposten anzu- und anschließend liquidiert. Im Oktober nehmen. Ab 1949 war er nicht mehr ar- 1939 erwarb das Ehepaar beitsfähig. Er starb am die brasilianische Staatsan- 22.11.1953 in London, gehörigkeit. Richard Jano- seine Ehefrau am witzer starb am 03.03.1943 16.03.1965 am selben 46 in Rio de Janeiro. Seine Ort. Witwe korrespondierte Franz James Lassally, 1954 mit dem Hamburger Martin Lassallys zweiter Amt für Wiedergutma- Sohn, wurde am 42 chung. Wann und wo sie 28.04.1901 in Hamburg starb, konnte nicht ermit- geboren. 1922 trat er als telt werden. Kommanditist in die Fir- Edgar Lassally, Mar- ma Lassally & Sohn ein. tin Lassallys ältester Sohn, Seiner Ehe mit Ellen wurde am 28.07.1891 in Elise Durlacher, der am Hamburg geboren. Er ge- 05.01.1907 in Hamburg nügte seiner Wehrpficht geborenen Tochter des in einem Kavallerieregi- Weinhändlers Leopold 47 ment in Nürnberg und Durlacher, entstammten diente seit dem Beginn des Inserat der Firma von Franz die in Hamburg geborenen Ersten Weltkriegs im Lassallys Schwiegervater Söhne Günter Martin deutschen Heer. Am Exporthandbuch der Börsen-Halle, (geb. 20.02.1928) und 26.09.1918 heiratete er 1892 –1894, Abschnitt II, S. 136 Ulrich (geb. 24.07.1930, Alice Griesbach, eine ge- gest. 06.05.1931 an einer 43 48 bürtige New Yorkerin, und trat 1919 in Lungenentzündung) . die Firma Lassally & Sohn als Gesellschaf- Am 9.12.1938 wurde Franz Lassally ter ein. Später stieg er zum Leiter der Bank- in das KZ Fuhlsbüttel gebracht und nach 44 abteilung der Firma auf. Im Dezember drei Tagen in das KZ Sachsenhausen einge- 1938 wurde Edgar Lassally verhaftet und in liefert. Ende Dezember 1938 emigrierte er ein Konzentrationslager gebracht. Als mit seiner Familie nach Amsterdam. Dort schwer kranker Mann kehrte er zurück und wurde er Mitinhaber einer neugegründeten erholte sich nie wieder von dem Erlittenen. Kafee-Import-Firma. Nach der Besetzung Sein 1926 erworbenes Haus Rondeel 31, der Niederlande durch die deutsche Wehr- ein prächtiger Villenbau, wurde 1939 zu ei- macht musste Franz Lassally seit dem 45 nem Schleuderpreis verkauft. Im März 02.05.1942 den gelben Stern tragen und am

8 Liskor – Erinnern 22.05.1943 mit seiner Frau und seinem Sohn in der Amsterdamer Deportationssammelstelle Schouw burg erscheinen. Am 29.05.1943 wurde Franz Lassally in das KZ Westerbork eingeliefert und von dort am 11.01.1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert. Am 21.01.1945 verließ Franz Lassally das KZ mit einem Austauschtrans- port in Richtung Biberach. Zwei Tage später starb er auf dem Transport in Weingarten in Ober- 49 schwaben. Seine Frau und sein Sohn Günter Martin überlebten.

Martin Lassallys Bruder Albrecht (1852 – 1925) Martin Lassallys Bruder Albrecht hielt sich, wie schon berichtet, nur kurze Zeit in Hamburg auf. Das Fremdenmeldeprotokoll verzeich- net seine Ankunft am 07.04.1877 mit dem Vermerk, dass er noch bis zum 29.03.1878 vom Militär beur- laubt sei. Am 01.01.1881 trat er, wieder in Berlin wohnend, in die Firma Lassally & Sohn als Gesell- schafter ein. 1916 schied er aus 50 dem Unternehmen aus. Bescheid des Finanzamts Hamburg-Altstadt über die von Franz Martin Lassallys Bruder Lassally verlangte „Juden vermögensabgabe“ von 110.000 Mark Eduard (1854 – 1939) (Staatsarchiv Hamburg, 351-11, 25219, Bl. 13.) Wie bereits erwähnt, trat Eduard Lassally 1882 als Gesellschafter in die von seiner Ehe mit Louise Henriette Flörsheim, 52 seinem Vater und seinem Bruder Martin einer gebürtigen Frankfurterin, wurden in 1877 gegründete Kafeehandelsfrma ein Hamburg vier Kinder geboren: Hans Teo- und war bis zur Aufösung des Unterneh- dor Leonhard (geb. 11.09.1885), Karl Hugo mens für sie tätig. 1884 erwarb er mit einem (geb. 11.09.1887), Paul (geb. 13.07.1890) stattlichen Jahreseinkommen von 11.300 und Oswald Harry Eduard (geb. 51 Mark das Hamburger Bürgerrecht. In 27.06.1899). Der erstgeborene Sohn starb

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53 bereits im Alter von 11 Monaten. Um Ich fuhr mit meinem Kanu von der Binnen- 1895 bezog die vermögende Familie die alster kommend dicht am Anlegesteg Raben- von Eduard Lassally erworbene Villa Ro- straße vorbei. Etwa 20 – 30 Meter von mir 54 thenbaumchaussee 43. Am 14.07.1926 entfernt sah ich eine Person im Wasser erklärte Eduard Lassally seinen Austritt aus schwimmen; zuerst nahm ich an, dass die Per- der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in son badete, aber im selben Augenblick versank 55 Hamburg. dieser unter lautem Stöhnen in die Tiefe und 58 1937 gründete Eduard Lassally mit kam auch nicht wieder an die Oberfäche.“ seinem Sohn Paul Hugo und seinen Nefen Edgar und Franz James Lassally eine Einen Rettungsversuch unternahm Sengel- Kommanditgesellschaft mit dem Namen mann ofenbar nicht. Die Wasser schutz- „Lassally’s Kafee-Import-Compagnie“. Als polizei suchte ohne Erfolg nach dem Toten. Kommanditisten traten Eduards Schwäge- Erst drei Tage später wurde er in der Au- rin Clara Lassally geb. Kronheimer und sei- ßenalster von einem Spaziergänger ent- ne Söhne Oswald und Karl Hugo Lassally deckt. Am 19. Juli erschien Hans Kroll, der 56 in die Firma ein. Die Motive für diese vor wenigen Monaten im Zuge der „Arisie- erstaunliche Neugründung in einer Zeit rung“ als Prokurist der Firma Lassally & ungefährdeter NS-Herrschaft liegen im Sohn eingesetzt worden war, bei der Krimi- Dunkeln. Lassally’s Kafee-Import-Com- nalpolizei und sagte aus: pagnie und die alte Firma Lassally & Sohn Das Bankgeschäft Lassally & Sohn, Bei den 57 wurden alsbald „arisiert“. Mühren 70, befand sich in Liquidation. Las- Am 15.07.1939 um 21.40 Uhr gab sally war sehr schwer herzleidend. Eine wirt- ein 34-jähriger Angestellter namens Wer- schaftliche Notlage lag noch nicht vor. Zwei ner Sengelmann der Wasserschutzpolizei seiner Söhne [Karl Hugo und Paul] befnden eine Beobachtung zu Protokoll: sich im Ausland. Ein 3. Sohn [Oswald], frü- herer Regierungsrat bei der Polizeibehörde, befndet sich wegen Rassenschande in Straf- haft. Ich habe nun gehört, dass am Freitag, den 14. d. Mts., bei ihm in der Wohnung 2 Beamte von der Devisenstelle Berlin gewesen sind. Soweit mir bekannt geworden ist, ver- mutet man, dass Lassally seinen Söhnen im Ausland kleine Päckchen geschickt hat. Es soll sich angeblich um eine geringfügige

Die von Eduard Lassally erworbene Villa heute. Vor dem Gebäude erinnert ein Stolperstein an Eduard Lassally (Fotos: Jürgen Sielemann)

10 Angelegenheit handeln. Dieses dürfte Lassally Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sich [so] sehr zu Herzen genommen haben, vom 07.04.1933 wurde Karl Lassally von 59 dass er deshalb den Freitod gesucht hat. Reichsstatthalter Kaufmann mit Ablauf des 30.06.1934 als Landgerichtsrat in den Ru- Polizeimeister Jansen vergaß nicht zu ver- hestand versetzt. merken, dass der Tote vermögend war und Ende 1939 emigrierte Karl Lassally einen Diener und eine Köchin hatte. mit seiner Frau nach England. Zur Mitnah- me in die Emigration meldete der musik- Eduard Lassallys Sohn Karl Hugo liebende Jurist bei der Devisenstelle 200 (1885 – 1950) Bände Noten, einen Flügel und eine 1743 Am 11.09.1885 wurde Eduard und gefertigte Bratsche aus der Werkstatt des Louise Lassallys ältester Sohn Karl Hugo italienischen Instrumentenbauers Guadag- 66 geboren. Die Stationen seines Lebens hat nini im Wert von 1.200 Reichsmark an. In 60 Heiko Morisse akribisch nachgezeichnet, England war bereits seine Stieftochter Eli- so dass an dieser Stelle ein kurzer Überblick sabeth Charlotte eingetrofen, seine zweite genügen kann. Nach einem Studium der Stieftochter befand sich zur selben Zeit in 67 Rechts- und Staatswissenschaften in Frei- Schweden. In Felsted in der Grafschaft burg, München und Straßburg bestand Karl Essex betätigte sich Karl Lassally als Inter- Lassally in Hamburg die juristischen Exa- natslehrer. Dort starb am 15.05.1945 seine mina, erwarb 1911 das Hamburger Bürger- Ehefrau; Karl Lassallys Tod folgte am 68 recht als geprüfter Rechtskandidat und 27.02.1950 am selben Ort. wurde am 01.08.1914 zum Assessor er- nannt. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs Eduard Lassallys Sohn Paul an diente er im deutschen Heer, geriet in (1890 – 1950) englische Kriegsgefangenschaft und wurde Am 13.07.1890 wurde Eduard Lassallys nach seiner Rückkehr nach Hamburg 1920 zweiter Sohn Paul geboren. Seit 1919 war 61 zum Landrichter ernannt. auch er an der Firma Lassally & Sohn als 69 1921 beteiligte er sich mit einer Ein- Kaufmann beteiligt. Infolge einer Ver- lage von 150.000 Mark an der Firma Las- wundung im Ersten Weltkrieg war Paul 62 70 sally & Sohn, was zusammen mit einer Lassally gehbehindert. Wie sein Vater und späteren Einlage von 50.000 Mark einer sein Bruder Karl erklärte er seinen Austritt Firmenbeteiligung von 5 ½ Prozent ent- aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in sprach – ein Zeichen für die große Kapital- Hamburg und konvertierte 1929 zur evan- 63 71 ausstattung des Unternehmens. Um 1926 gelisch-lutherischen Konfession. Mit sei- konvertierte Karl Lassally zum evange- ner Ehefrau Else Rosa geb. Schaefer (geb. 64 lisch-lutherischen Glauben. 1936 heirate- 10.09.1894 in Berlin) und den in Hamburg te er Dr. rer. pol. Clara Leschke geb. Sänger, geborenen Kindern Irene (geb. 12.01.1928) eine als „Volljüdin“ aus dem sozialpäda- und Peter (geb. 14.10.1932) emigrierte er gogischen Institut in Hamburg entlassene im Dezember 1938 nach Amsterdam, nach- Dozentin mit zwei Töchtern aus geschiede- dem er im selben Monat eine Krebsopera- 65 72 ner Ehe. Aufgrund des Gesetzes zur tion überstanden hatte.

2. Jahrgang, Nr. 007 11 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

Paul Lassally starb bereits am aufpassen, ob feindliche Flieger kommen, und 29.04.1943 in der Emigration, seine Ehe- dann Alarm schlagen. In der übrigen Zeit frau Else 33 Jahre später im Dezember 1976 beteiligen wir uns am Arbeitsdienst. Nachts 73 in Elmhurst, New York. stehen Kanoniere auf Fliegerposten. Letzte Nacht wurde 5mal alarmiert, wir schossen Eduard Lassallys Sohn Oswald aber nur einmal 25 Schuss auf einen feind- (1899 – 1975) lichen Bombenfieger, der nach Metz fog. Es ist sehr bequem, einen Flieger bei Nacht zu 1. Jugendjahre und beruficher Werdegang beschießen, denn mindestens 20 Scheinwerfer Oswald Harry Eduard Lassally wurde am suchen nach ihm, fnden ihn sehr schnell und 27.06.1899 in Hamburg geboren. Nach lassen ihn dann nicht wieder aus ihrem Kegel dem Abitur an der Gelehrtenschule des heraus, indem sie alle ihre Kegel auf den einen Johanneums wurde er Anfang Juli 1917 Punkt vereinen und so ein hell erleuchtetes zum Militärdienst eingezogen und alsbald Feld erzeugen, aus dem der Flieger nicht wie- als Kanonier in einem Flakbataillon an der der herauskommt. Man konnte sehen, wie der Westfront eingesetzt. Am 06.10.1918 Flieger mit Maschinengewehr schoss. Die Ge- 74 schrieb er an seine Mutter: schosse sind als feurige Striche sichtbar. Wir Liebe Mama! ziehen [zur] Nacht nur Stiefel und Jacke aus, Ich will Dir heute einen Tag- und Nachtbe- um immer alarmbereit zu sein. Die Feuerstel- richt von unserem Leben hier geben. Der Tag lung dürfen wir nur mit besonderer Erlaubnis beginnt um 7 Uhr morgens für uns, nämlich des Leutnants verlassen. Geld werde ich hier um diese Zeit stehen wir auf und waschen uns. kaum gebrauchen. Dagegen möchte ich ab und Vorläufg ist für 20 Mann nur eine Wasch- zu etwas Butter, Wurst oder Speck und Bücher schale da, die wir nach einander benutzen. geschickt haben. Wasser gibt es für jeden frisches. Es wird aus Seid herzlich gegrüßt einem Granattrichter in der Nähe geholt. von Eurem Oswald Trink- und Kochwasser wird aus dem Ort in einer Art Sprengwagen geholt. Nach dem Im Oktober 1918 überstand Oswald Frühstück wird von 8 bis 11 Uhr an der Stel- Lassally Gefechte im Stellungskampf an lung gearbeitet. Augenblicklich machen wir der französischen Woevre-Ebene. Am für jedes Geschütz eine Splitterschutzwand, 31.12.1918 wurde er aus dem Heeresdienst die aus 2 Kreisen Reisig und einer dazwischen entlassen. 1919 nahm er als Angehöriger liegenden Schicht Erde besteht. Um 11 Uhr des „Wachregiments München“ an Kämp- 75 gibt es Mittagessen, das bei einigermaßen gu- fen gegen Kommunisten teil. tem Wetter im Freien an einem Tisch einge- Nach dem Studium der Rechtswis- nommen wird. Das Essen ist recht gut. Von senschaften in München, Kiel und Ham- 2 – 6 Uhr wird wieder gearbeitet. Am Entfer- burg bestand Lassally die juristischen nungsmesser sind wir drei Kanoniere und ein Staats prüfungen und wurde 1925 als Asses- Unterofzier. Wir drei stehen am Tage vor- sor in der Behörde für Wohnungspfege mittags und nachmittags einmal 2 Stunden eingesetzt. Im April 1926 wechselte er zur auf Fliegerposten. Das heißt, wir müssen Polizeibehörde. Einen Monat später stellte

12 Liskor – Erinnern 2. Das Attentat In der Senatssitzung vom 13.03.1931 teilte Senator Paul de Chapeaurouge mit, dass am heutigen Nachmittag, kurz nach 12 ½ Uhr, der Polizei- oberwachtmeister Pohl auf den Regierungsrat Lassally anlässlich einer dienstlichen Vernehmung Oswald Lassallys 1926 ausgestellter Dienst- wegen nationalsozialistischer Be- ausweis. Staatsarchiv Hamburg, tätigung geschossen und Lassally schwer ver- 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, C 733 letzt habe. Lassally habe im Hafenkranken- haus sofort operiert werden müssen. Die Ope- ihm Polizeipräsident Schlanbusch dieses ration habe erfreulicherweise ergeben, dass Zeugnis aus: Lebensgefahr nicht vorhanden sei. Der Täter Assessor Lassally ist seit dem 6. April bei der sei festgenommen. Der Herr Referent schildert Polizeibehörde tätig. Er wird seit dieser Zeit kurz die Einzelheiten der Tat und gibt aus der mit Rechtsgutachten, mit der Vorbereitung von Akte einen Überblick über die Persönlichkeit Prozessen und mit Vernehmungen in Diszipli- des Täters. narsachen beschäftigt. Soweit sich bei der kur- zen Beschäftigungszeit ein Urteil abgeben Die Tat zählte zu den spektakulärsten Ver- lässt, kann gesagt werden, dass Bedenken ge- brechen in der Hamburger Endphase der gen seine Übernahme in die Verwaltung nicht Weimarer Republik. In der hamburgischen bestehen. Assessor Lassally hat zweifellos gute Presse überschlugen sich die Meldungen: Rechtskenntnisse, ist gewandt und versteht es, sich schnell und gut in fremde Materien einzu- 76 arbeiten. Sein Auftreten ist einwandfrei.

Am 01.10.1928 wurde Oswald Lassally zum Regierungsrat ernannt. Er machte sich mit der Materie so rasch und gründlich ver- traut, dass er 1931 ein Buch mit dem Titel „Grundzüge des Hamburger Polizeirechts“ (nebenstehende Abbildung) veröfentlichte. Nach dem Urteil von Lothar Danner, des damaligen Chefs der Hamburger Ord- nungspolizei, empfahl sich das Werk „so- wohl durch seine klare Übersicht, erschöp- fende Darstellung des Gegenstandes als auch durch seine auf das Verständnis der 77 Beamten abgestellte Tonart“.

2. Jahrgang, Nr. 007 13 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

Als der Polizeioberwachtmeister Friedrich zugrunde, dass hamburgische Polizeibeamte Pohl heute um 12 ½ Uhr von dem Regie- sich nicht national[sozial]istisch betätigen dür- 78 rungsrat Lassally in einer Dienststrafsache fen. Es scheint sich um einen Einzelfall zu wegen Beteiligung an nationalsozialistischen handeln. Veranstaltungen vernommen wurde, zog er (Hamburger Fremdenblatt vom 13.03.1931, seinen Dienstrevolver und gab auf Regie- Abendausgabe) rungsrat Lassally einen Schuss ab, der diesen schwer verletzte. Pohl ist festgenommen. Am folgenden Tag war in den Zeitungen Wie wir in den Genaueres zu lesen: späten Nachmittags- Sofort nach Einlieferung in das Krankenhaus stunden noch hören, ist Regierungsrat Lassally operiert worden. hat Pohl in der Ver- Die Operation hat ergeben, dass keine edleren nehmung durch Re- Teile durch den Revolverschuss verletzt wor- gierungsrat Lassally den sind. Der Schuss ist in den Bauch hinein jede Beteiligung an und eben unter dem Herzen wieder herausge- der nationalsozialisti- gangen. [...] Der ganze Vorgang ist äußerst schen Partei energisch merkwürdig. Beide, sowohl der vernehmende in Abrede gestellt. Regierungsrat wie der vernommene Täter Erst nachdem die Ver- haben bei dem Vorgang gesessen, der Regie- Der Attentäter nehmung völlig abge- rungsrat an seinem Schreibtisch, der Ober- Friedrich-Franz Pohl 1924 schlossen war, schoss er wachtmeister neben ihm. Und im Sitzen hat Staatsarchiv Hamburg, 331-1 II auf Regierungsrat der Oberwachtmeister den verhängnisvollen Polizeibehörde II, 632 Lassally. Schuss abgegeben. Die ganze Situation wird (Hamburger Anzei- noch geklärt werden müssen. Der Oberwacht- ger vom 13.03.1931, Abendausgabe) meister ist 28 Jahre alt, hat das Einjähri- gen-Examen gemacht. Sein Vater ist Arzt in Aus den anliegenden Zimmern eilten sofort der Lüneburger Heide. Seit einiger Zeit erst Personen herbei, die durch den Schuss ist er wegen seiner nationalsozialistischen Be- alarmiert worden waren. Es gelang ihnen, tätigung aufgefallen. Er ist bereits im sieben- dem Polizeioberwachtmeister die Wafe zu ten Jahr im Dienst der Hamburger Polizei. entwinden, ehe er weitere Schüsse abgeben [...] Die Gauleitung der N.S.D.A.P., Ham- konnte oder aber etwa in der Lage war, sich burg, teilt mit, dass Polizeioberwachtmeister selbst zu töten. Über das Befnden des verletz- Pohl nicht Mitglied der Partei ist. Auch hat er ten Regierungsrats verlautet, dass es vorläufg früher niemals der N.S.D.A.P. angehört. sehr ernst, wenn auch nicht absolut hofnungs- (Hamburger Fremdenblatt vom 14.03.1931, los genannt werden muss. Morgenausgabe) (Hamburgischer Correspondent vom 13.03.1931, Abendausgabe) Um die Tat als solche zu charakterisieren, muss man wissen, dass Oswald Lassally, ein Dem Vorfall liegt die Warnung des Senats und verhältnismäßig junger Regierungsrat, auf- 79 der damit verbundene Erlass des Polizeiherrn grund seines Glaubensbekenntnisses den

14 Liskor – Erinnern Einige der Schlagzeilen der Hamburger Presse zum Attentat auf Lassally

Nationalsozialisten nicht sehr angenehm ist. Regierungsrat Lassally in pfichtgemäßer Er- Es kommt hinzu, dass Lassally in dem be- füllung seines Berufes davongetragen hat, kannten Prozess der Nationalsozialisten muss ein Menetekel sein, und es ist höchste gegen den Hamburger Staat wegen Inhaftie- Zeit, dass die Führer unserer Gemeinschaft rung vor den Reichstagswahlen vor dem Ver- Front machen gegen eine Verrohung und Ver- waltungsgericht den Hamburger Staat ver- wilderung der Sitten, die alles, was unsere treten hat. Lassally ist als ein sehr ruhiger Väter mühsam erkämpft haben, zu Schanden Mensch bekannt, der solche Verhandlungen in machen kann. [...] Nach meiner Aufassung größter Ruhe und in dem Bestreben erledigt, der Dinge müsste unverzüglich eine Delega- möglichst menschlich die Sache zum Ausklang tion der deutsch-israelitischen Gemeinde bei zu bringen. den Herren Bürgermeistern Ross und Peter- (Hamburgischer Correspondent vom sen vorstellig werden, um sie auf das gefährli- 14.03.1931, Morgenausgabe) che Treiben hinzuweisen, das sich in den Mauern unserer Stadt immer breiter macht, Bestürzt schrieb Jacques Meyer, ein 61-jäh- und auf die Gefahr, die sich daraus nicht al- riger Firmendirektor und Vorstandsmitglied lein für unsere Glaubensgenossen, sondern des Kultusverbandes „Neue Dammtorsyna- überhaupt für das Volk ergibt. Es muss ver- goge“, am Tag nach dem Attentat an Alfred langt werden, dass alle Mittel, die dem Staat Levy vom Vorstand der Deutsch-Israeliti- zur Verfügung stehen, angewandt werden, schen Gemeinde in Hamburg: um diesen entsetzlichen Zuständen ein Ende Mein sehr verehrter Herr Alfred Levy, zu bereiten. [...] Ich bitte Sie daher dringend, die Dinge spitzen sich in Hamburg für unsere sehr verehrter Herr Levy, in Erfüllung Ihres Glaubensgenossen in einer so bedenklichen hohen Amtes nicht zu zaudern, Ihren gesam- Weise zu, dass der Schritt zu Pogromen nur ten Vorstand zusammenzurufen und die noch ein ganz kurzer zu sein scheint. Die Schritte mit Beschleunigung zu beraten, die lebensgefährliche Verwundung, die der getan werden müssen, um das Unheil, das uns

2. Jahrgang, Nr. 007 15 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

droht, noch wenn irgend Polizei anschaulich be- 85 möglich abzuwenden. schrieben hat. Mit der Versicherung mei- ner vorzüglichen Hochach- Die Verhandlung ergab, tung dass der Polizist Fried- Ihr sehr ergebener rich-Franz Pohl ein alko- (gez.) Meyer holkranker Psychopath war, der in nationalsozia- Am nächsten Tag be- listischen Lokalen ver- schloss der Gemeindevor- kehrte und als großer Ju- stand zu antworten, dass er denhasser aufgefallen war. mit den in Betracht kom- Er wurde deshalb seit dem menden Behörden in stän- 12. Januar 1931 drei Wo- diger Verbindung stehe chen lang von der Staats- 86 und nichts Erforderliches Karikatur des Täters im „Hamburger polizei beobachtet, so- 80 versäumt werde. Echo“ vom 31.10.1931 wohl vor seiner Wohnung Schon acht Tage in der Rentzelstraße 7 als nach dem Attentat konnte Oswald Lassally in den Lokalen, in denen er verkehrte. Ein aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er Oberwachtmeister bezeugte Pohls Prahle- trat einen Genesungsurlaub in der Schweiz reien in der Polizeikantine: „Wenn erst die an und kehrte am 29. April 1931 in den Nationalsozialisten am Ruder sind, dann 81 Dienst zurück. kommen für uns bessere Zeiten, dann wer- Der Schwurgerichtsprozess gegen det ihr mit Eurem demokratischen und so- den Attentäter Friedrich-Franz Pohl be- zialdemokratischen Staat überhaupt nicht gann am 28.09.1931. Die Anklage lautete mehr an den Drücker kommen.“ Ein 82 auf versuchten Mord. Die Staatsanwalt- Wachtmeister bezeugte Pohls Äußerung, in schaft benannte 33 Zeugen; als Pohls Ver- der Regierung säßen nur Judenbonzen, die teidiger trat der antisemitische und der aufgehängt werden müssten. Ein dritter NSDAP seit 1929 angehörende Rechtsan- Zeuge gab Pohls Äußerung zu Protokoll, 83 walt Walter Raeke auf. Das Verfahren ge- „dass die nationalsozialistische Partei die hörte zu den aufsehenerregendsten und um- einzige Partei sei, die für uns Beamte in strittensten Strafprozessen am Ende der Frage kommt“. 84 Weimarer Republik. Helmut Ebeling hat Zehn Tage vor dem Attentat war er darüber in seiner 1980 erschienenen Ham- von Regierungsrat Lassally vernommen burger Kriminalgeschichte „Schwarze worden und hatte dabei laut Verhandlungs- Chronik einer Weltstadt“ in erzählerischer protokoll erklärt, Form mit erfundenen Dialogen berichtet. „dass er absolut kein Antisemit sei, und dass Ebelings Darstellung ist trotz der „dichteri- der Regierungsrat dieses ohne weiteres durch schen Freiheit“ zu empfehlen, weil er die Befragung seiner [Pohls] Vermieterin feststel- zeitgeschichtlichen Umstände und die zer- len könne, er wohne bei einer Jüdin. Die Wir- strittene Situation in der Hamburger tin des Pohl, Frau Braun, bekundet, dass Pohl,

16 Liskor – Erinnern als er am 4.3.1931 zur ersten Vernehmung ins dass er häufg betrunken gewesen sei, zuwei- Stadthaus gehen sollte, schon sehr aufgeregt len auch so betrunken, dass er nicht imstande gewesen sei; er habe sie gefragt, was er denn war, sich selbst zu entkleiden, so dass sie ihm bei seiner Vernehmung sagen solle. Sie selbst dabei helfen musste; man habe ihm überhaupt schlug ihm vor, zu erklären, dass er, wenn er nicht angemerkt, dass er ein Polizeibeamter wirklich Nationalsozialist wäre, nicht bei ei- sei, er sei eigentlich wie ein dummes Kind ge- ner Jüdin wohnen würde. Als sie ihn dann wesen. [...] Bald habe er behauptet, Kommu- 88 nach der Vernehmung fragte, wie die Sache nist zu sein, bald Nationalsozialist. abgelaufen sei, sagte Pohl zu ihr, Reg.[ie- rungs]-Rat Lassally sei ein sehr feiner Mann, Am Morgen des 13. März hatte Pohl zu- er habe sich gut mit ihm unterhalten, er glaube nächst in Zivil zur Vernehmung ins Stadt- allerdings, dass er Jude sei. Pohl habe aber haus gehen wollen. Frau Braun hatte ihm keine abfällige Bemerkung über Reg.-Rat aber zugeredet, in Uniform zu erscheinen, Lassally gemacht. Zwischen der ersten und weil die Vernehmung eine Diensthandlung zweiten Vernehmung habe Pohl dann häufger sei. Darauf habe er seine Pistole aus dem Bedenken über den Ausgang des Disziplinar- Schrank geholt und gerufen: „Ich erschieße verfahrens geäußert und gemeint, er würde Euch und erschieße mich und erschieße alle 87 wohl entlassen. die anderen!“ Frau Braun erwiderte, dass es nun aber Schluss sei, und dass sie zu Die Beweisaufnahme ergab, dass der Be- seinem Hauptmann ginge und die Sache mel- schuldigte am Tag vor dem Attentat bis in den würde. Sie nahm ihm das Futteral mit der die Nacht hinein eine Zechtour in mindes- Pistole ab und versteckte es auf einem Stuhl 89 tens 14 Gastwirtschaften unternommen unter zwei Kissen. hatte. Die Bierreise endete mit Besuchen des Lokals „Großes Fass“ und zweier Knei- Zeugin dieser Szene wurde Malwina Jacob- pen in der Talstraße. Gastwirt Hornung, sohn, eine 65-jährige ehemalige Lehrerin 90 der Pohl näher kannte, nannte ihn „einen der Israelitischen Töchterschule, deren großen Alkoholiker; öfter habe Pohl in sei- Wohnung sich wie Pohls Unterkunft im nem Lokal einmal nationalsozialistische, ein zweiten Stock befand. Ernestine Braun be- andermal wieder kommunistische Lieder ruhigte sie: „Der schießt doch nicht.“ Im gesungen, was er ihm aber verwiesen [habe], selben Augenblick, so vermerkte es das Pro- er habe ihn für einen politisch unreifen, tokoll, „kam auch Pohl aus der Stube und nicht ganz normalen Menschen gehalten“. sagte zu Fräulein Jacobsohn: ,Aber ich bitte Gastwirt Nieter befand, Pohl sei „geistig Sie, gnädige Frau, Sie werden doch nicht nicht ganz auf der Höhe“. Ein Kellner vom denken, dass ich schieße? Ich bringe Ihnen Lokal „Zum Tröpfchen“, der Pohl seit lan- zwei Stücke Nusstorte mit.’“ Dann machte ger Zeit als Gast kannte, bezeugte Pohls er ihr, wie schon öfter, einen scherzhaften Äußerung, er sei Rotfrontkämpfer. Heiratseintrag. Auch Pohls jüdische Zimmerwirtin Zur Vernehmung im Stadthaus er- Ernestine Braun geb. Pogerselski wurde schien Pohl mit glasigen Augen, doch eingehend befragt. Sie bestätigte, scheinbar beherrscht.

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Vor Lassallys Zimmer traf er auf ei- gehabt hätte. Er würde trotz seiner scharfen nen ihm bekannten Oberwachtmeister na- Einstellung gegen die jüdische Rasse doch die mens Richard Schünemann. Den weiteren Tat nicht begangen haben, wenn er nicht in Verlauf schildert das Protokoll wie folgt: der vorausgegangenen Nacht sehr viel Alkohol 92 Pohl sagte dann zu Schünemann: „So, Du bist genossen hätte. auch da drin gewesen und lässt Dich von ei- nem Juden vernehmen?“ Schünemann fragte Pohl ließ sich widerstandslos festnehmen. ihn, was er damit meine. Pohl erwiderte: „Ich Ein psychiatrischer Gutachter befand, dass bin treu deutsch, mein Vater ist auch Natio- der Strafausschließungsgrund des Para- nalsozialist! Die Polizei kann mich ruhig graphen 51 nicht in Frage komme und die rauswerfen, es ist schon mit Weimar perfekt!“ Tat keinesfalls in einem pathologischen [...] Schünemann sagte noch zu Pohl, er solle Rauschzustand begangen worden sein kön- ruhig hineingehen. Dieser erwiderte ihm: „Ich ne. In der Urteilsbegründung vom lasse mich von einem Juden nicht vernehmen.“ 13.06.1931 wurde festgestellt, dass Pohl ein Schünemann nahm wahr, dass Pohl stark nach labiler Psychopath sei, der die Tat im Über- Alkohol roch, sich im Übrigen aber sehr gangszustand zwischen Trunkenheit und stramm hielt. Er schob ihn schließlich, weil er Ernüchterung in einem plötzlich sich entla- gar nicht hinein wollte, in das Vorzimmer hi- denden Afektzustand begangen habe. Im 91 nein. Kreise seiner Kameraden habe er als scharf rechts gerichteter Mann gegolten, war in Lassally konfrontierte Pohl mit dessen Be- der Grindelallee mit dem „Völkischen Be- kenntnis zum Nationalsozialismus, für das obachter“ unter dem Arm gesehen worden es mehrere Zeugen gab. Pohl antwortete, und habe mit dem „Heil-Gruß“ der Natio- wenn verschiedene Zeugen dies gesagt hät- nalsozialisten gegrüßt. ten, „dann müsse er eben entlassen werden“. Im Urteil kam auch zur Sprache, wie Das Protokoll fährt fort: sehr ihn seine jüdische Zimmerwirtin Er- Pohl selbst bekundet, er sei durch den jü- nestine Braun „bemuttert“ hatte. In der Zeit disch-provozierenden Tonfall des Regierungs- von Pohls Beobachtung durch die Politische rats aufs Äußerste gereizt und in Wut gebracht Polizei waren in seiner Abwesenheit zwei worden. Der Gedanke sei ihm gekommen, ob Beamte bei ihr erschienen und hatten sie er kurzer Hand erklären solle, ich gehe fort befragt, ob er einer politischen Partei ange- und lasse mich nicht von einem Juden weiter höre. „Frau Braun teilte dies dem Angeklag- vernehmen, oder ob er ihm eine runterschla- ten entgegen der Bitte der Beobachtungs- gen solle, oder ob er – und in diesem Moment beamten mit, Pohl nichts von ihrem Besuch 93 sei schon seine Hand in die rechte Mantelta- zu sagen.“ sche gefahren – wo er seine Pistole geladen und In der Hauptverhandlung gab Pohl gesichert trug, er habe die Pistole herausgezo- zu, zur Zeit der Tat und vorher nationalso- gen, entsichert und ohne zu zielen losgeschos- zialistisch eingestellt gewesen zu sein, ohne sen. In dem Moment sei ihm alles egal gewesen der Partei angehört zu haben. Das national- und er hätte noch weitere Schüsse abgegeben, sozialistische Programm halte er auch heute wenn seine Pistole nicht eine Ladehemmung noch für richtig, doch sei die Partei ihm

18 Liskor – Erinnern jetzt zu „legal“. [...] Er sei Revolutionär; der In dem Prozess gegen den Nazi-Oberwacht- Staat müsse „kaputt geschlagen werden“. meister Pohl ist es wieder einmal ofensichtlich Das Strafverfahren gegen Fried- geworden, was wir für eine Klassenjustiz ha- rich-Franz Pohl endete am 1. Oktober 1931 ben. Wäre Pohl Kommunist, sein Vater ein mit einer großen Überraschung. Er wurde Arbeiter gewesen, er hätte mindestens fünf nicht wegen versuchten Mordes verurteilt, Jahre Zuchthaus erhalten. „Charlie“ ist aber sondern wegen versuchten Totschlags zu ei- Nazi, sein Vater ist Arzt. Deshalb reichten ner Gefängnisstrafe von nur zwei Jahren zwei Jahre Gefängnis mit Anrechnung der 94 97 unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Untersuchungshaft. Pohls Überwachung durch das Fahndungs- kommando der Staatspolizei sei fehlerhaft Das Hamburger Fremdenblatt befand „den 95 gewesen, die Namen von Zeugen seien Druck des Systems“ als ursächlich für Pohls ihm von Lassally vorenthalten worden und Pistolenschuss: seine im März 1931 verfügte Entlassung Auf einen solchen Menschen, der im Kern aus dem Polizeidienst objektiv nicht ge- anständig, aber intellektuell zurückgeblieben 96 rechtfertigt. Auch sei zu berücksichtigen, ist, wirkte ganz besonders der Druck eines „dass er durch das nicht immer richtig und Systems, dessen Auswirkungen kausal wa- glücklich verlaufene Disziplinarverfahren ren für die Tat. In der Verfassung heißt es je- und die damit zusammenhängenden Vor- doch: Jeder Deutsche darf seine Meinung frei 98 gänge in eine depressive und erregte Stim- äußern. mung hineingedrängt worden ist“. Das Urteil erregte großes Aufsehen Angesichts der milden Bestrafung Pohls und wurde je nach der politischen Einstel- herrschte in den Reihen der SPD und des 99 lung befürwortet oder verdammt. Die Han- Reichsbanners große Erbitterung, auch seatische Polizeibeamten-Zeitung, ein wegen der Herabwürdigung des Belas- „Organ der revolutionären Polizeibeamten tungszeugen Polizeioberwachtmeister von Hamburg, Lübeck und Bremen“, kom- Weyerstall in der Urteilsbegründung. Darin mentierte den Richterspruch wie folgt: hieß es:

Aufruf im „Hamburger Echo“ vom 10.10.1931

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104 Es besteht der Eindruck, dass der Zeuge Berufsbeamtentums maßgeblichen Verhält- [Weyerstall] sich hier von seiner eigenen poli- nisse hat ergeben, dass Herr Lassally am tischen Einstellung als Angehöriger der Sozi- Kriege bei der kämpfenden Truppe und ins- aldemokratischen Partei und des Reichsban- besondere auch bei Gefechtshandlungen teil- ners nicht genügend hat frei machen können, genommen hat. Hinsichtlich seiner politischen und dass diese Einstellung ihm den Blick für Betätigung hat Herr Lassally angegeben, dass eine rein sachliche Betrachtung der Angele- er einer politischen Partei niemals angehört 100 genheit getrübt haben möchte. hat und ebenso wenig Mitglied des Reichs- banners Schwarz-Rot-Gold, der Eisernen Der Allgemeine Deutsche Gewerkschafts- Front, des republikanischen Richter- oder Be- bund, das Reichsbanner und die SPD riefen amtenbundes oder der Liga für Menschen- zum öfentlichen Protest auf (Abbildung rechte gewesen ist. auf Seite 19 unten). Rund 3000 Teilnehmer Da über die politische Betätigung des folgten dem Aufruf. Beklagt wurde „die ei- Herrn Lassally hier nichts bekannt ist, hat die 105 gentümliche Hinneigung der Gerichte“, die Landesunterrichtsbehörde den Wunsch, Verbrechen der politischen Rechten zu ba- durch die Polizeibehörde darüber unterrichtet 101 gatellisieren. Alle Anstrengungen des de- zu werden, ob dort Tatsachen bekannt sind, mokratischen Lagers, die Machtübernahme die den § 4 des genannten Gesetzes als an- 106 der Nationalsozialisten zu verhindern, wendbar erscheinen lassen. scheiterten; am 30. Januar 1933 wurde Hit- ler zum Reichskanzler ernannt. Nach Paragraph 4 dieses Gesetzes konnten Beamte entlassen werden, „die nach ihrer 3. Oswald Lassallys Überlebenskampf bisherigen politischen Betätigung nicht die im Nationalsozialismus Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit Am Abend der Reichstagswahl vom 5. rückhaltlos für den nationalen Staat eintre- März 1933 wurde der SA-Standartenführer ten“. „Polizeiherr“ Richter erwiderte Alfred Richter vom Reichsinnenminister ergebenst, dass Regierungsrat Lassally zweifel- Frick zum Reichskommissar und Polizei- los der nationalen Bewegung ablehnend gegen- herrn von Hamburg ernannt. Bereits am über steht, wie das bei seiner Abstammung – nächsten Tag verfügte Richter Lassallys Lassally ist Jude – auch gar nicht anders zu er- sofortige Beurlaubung als Regierungsrat der warten ist. Politisch hat er sich anscheinend 102 Polizeibehörde. Um seine Stelle für einen nicht betätigt, so dass § 4 des Gesetzes zur Wie- 103 nationalsozialistischen Nachfolger frei zu derherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 107 machen, folgte am 31. März 1933 der April 1933 auf ihn nicht anwendbar ist. Beschluss, Lassally zur Landesschulbehörde zu versetzen, ohne seine zwangsweise Beur- Anwendbar war ebenso wenig Paragraph 3 laubung aufzuheben. Am 9. Juni 1933 Absatz 1 des Gesetzes, nach dem Beamte, schrieb die Leitung der Landesschulbehör- „die nicht arischer Abstammung sind, in de „an den Herrn Polizeidirektor“: den Ruhestand zu versetzen sind“, denn Die Prüfung der für die Durchführung des diese Regelung galt nach Absatz 2 nicht für Gesetzes zur Wiederherstellung des Beamte, „die im Weltkrieg an der Front für

20 Liskor – Erinnern das Deutsche Reich“ gekämpft hatten. Las- wegen Rassenschande festgenommen worden. sally hatte im Oktober 1918 nachweislich Er hat seit 1935 mit einer deutschblütigen an der Westfront gekämpft. So wurde Para- Frau rassenschänderischen Verkehr unterhal- graph 6 des besagten Gesetzes bemüht, ten. nach dem Beamte „zur Vereinfachung der Verwaltung“ in den Ruhestand versetzt Am 1. Dezember 1937 wurde Oswald Las- werden konnten. In solchen Fällen durften sally vom Landgericht Hamburg wegen des ihre Stellen allerdings nicht nachbesetzt „Verbrechens der Rassenschande“ zu drei werden. Dieser Vorschrift begegnete der Se- Jahren Gefängnis verurteilt. Das abstruse nat dadurch, dass Lassallys Stelle nach der Urteil ofenbarte ein widerwärtiges, voyeu- Zusammenlegung der Oberschulbehörde ristisches Interesse des Vorsitzenden von mit der Berufsschulbehörde als entbehrlich Döhren an sexuellen Einzelheiten. Lassally gestrichen wurde. Zum 31. Oktober 1933 begegnete den Angrifen mit großer Würde wurde Oswald Lassally in den Ruhestand und gestand die Liebe zu seiner späteren versetzt. In den folgenden Jahren widmete Ehefrau Hertha uneingeschränkt ein, wie er sich der wissenschaftlichen Erforschung die Urteilsbegründung bezeugt: seiner Familiengeschichte und veröfent- Die Ehefrau Hertha Putziger geb. Rohrdantz lichte die Ergebnisse in der Monatsschrift ist deutschblütig und deutsche Staatsangehöri- für Geschichte und Wissenschaft des Ju- ge. Sie und der Angeklagte haben sich etwa im dentums. 1935 erschien darin sein Beitrag April 1935 anlässlich eines Tanztees kennen- „Israel Aaron, Hofaktor des Großen Kur- gelernt. Beide fassten Zuneigung zueinander, fürsten und Begründer der Berliner Ge- die sich sehr schnell vertiefte, als sie sich in den 108 meinde“; 1936 folgte „Zur Geschichte der nächsten Tagen wieder trafen. Die Zeugin er- 109 Juden in Landsberg a. d. Warthe“ und zählte dem Angeklagten, dass sie sich in sehr 1937 „Oberhofagent Feidel David, der Vor- schwierigen Familienverhältnissen befnde; sie 110 gänger Meyer Amschel Rothschilds“. war seit 1922 mit einem Volljuden verheiratet Am 8. Mai 1937 wurde Oswald Las- und wegen dieser Heirat war eine Entfrem- sally in einen Verkehrsunfall verwickelt, als dung und Trennung von ihren Angehörigen er mit seinem PKW vom Stephansplatz vor eingetreten; der Ehemann hat sein Hab und einer ihm unmittelbar folgenden Straßen- Gut verspielt und vertrunken, und die Zeugin bahn nach links in den Gorch-Fock-Wall Putziger litt in dieser Ehe körperliche Qualen. einbog. Der Zusammenstoß mit der Bahn Der Angeklagte war durch den Umbruch des 111 wurde ihm zur Last gelegt. Mag dieser Jahres 1933 aus seiner Laufbahn herausge- Fall noch als Bagatellvergehen gegolten ha- worfen und auch er stand seit dem Tode seiner ben, so geriet er im Spätsommer 1937 in Mutter etwas vereinsamt im Leben. Diese größte Gefahr. Das „Hamburger Tageblatt“ Umstände waren der wesentliche Anlass dazu, vom 27. August berichtete über seine Fest- dass sich zwischen beiden sehr schnell eine in- nahme Folgendes: nige Freundschaft entwickelte. [...] Bei der, Lassally – Rassenschänder wie das Gericht feststellt, sehr tief gehenden Der frühere Regierungsrat im hamburgischen inneren Zusammengehörigkeit mit der Zeugin Staatsdienst, Volljude Oswald Lassally, ist mag es für diesen innerlich weichen

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Angeklagten besonders schwierig gewesen sein, Vaterland einzusetzen. Er ist unverändert der den Schritt der endgültigen Trennung, der al- Aufassung, dass er keine Tat begangen hat, lein sie der dauernden Versuchung enthoben die nach seinem Willen dazu bestimmt war, 114 hätte, zu tun. Der Angeklagte ist Kriegsteil- den Bestand dieses Staates zu gefährden. nehmer und hat darüber hinaus freiwillig im Kampf gegen den Bolschewismus im Wehr-Re- Lassallys Anwalt gab nicht auf und legte giment München das Leben eingesetzt. Das beim Reichsdienststrafhof Berufung ein. rechtfertigt die Feststellung des Gerichts, dass Dieser entschied zu Lassallys Gunsten: der der Angeklagte nicht aus Protest gegen die Ge- Vorwurf der Staatsfeindlichkeit sei unbe- setze des Staates gegen diese Gesetze verstoßen gründet und das Ruhegehalt zu Unrecht 115 hat. [...] Aus allen diesen Gründen hat das aberkannt worden. Die Gefängnisstrafe Gericht eine Gefängnisstrafe von drei Jahren wegen „Rassenschande“ war davon nicht für eine ausreichende aber notwendige Sühne berührt; Oswald Lassally blieb somit wei- für diesen Angeklagten gehalten. Der Ange- terhin in Haft. klagte ist voll geständig; es ist ihm deshalb die erlittene Untersuchungshaft auf die erkannte Der Attentäter Friedrich-Franz Pohl be- 112 Strafe angerechnet worden. fand sich zu dieser Zeit längst auf freiem Fuß: schon am 15. März 1933 war er aus 116 Im März 1938 wurde Lassally als Ergebnis der Haft entlassen worden. Noch am sel- eines Dienststrafverfahrens das Ruhegehalt ben Tag richtete sein Verteidiger Walter aberkannt, da seine Beziehung zu Hertha Raeke ein Gesuch an den Hamburger Putziger als staatsfeindliche Handlung zu SA-Obergruppenführer Arthur Böcken- bewerten sei. Denn der Verstoß gegen das hauer. „Nach meiner Überzeugung“, schrieb Blutschutzgesetz sei geeignet gewesen, den Raeke, „ist Pohl zwar kein Kirchenlicht, Bestand und die Sicherheit des Staates oder aber ein sehr brauchbarer Soldat, der sich der den Staat tragenden NSDAP zu unter- für nationalsozialistische Vorgesetzte in 113 graben. Lassallys Verteidiger Rechtsan- Stücke hauen lässt.“ Deshalb empfehle es walt Dr. Walter Klaas hatte zunächst ver- sich, ihn wieder in den Polizeidienst einzu- geblich gegen das Urteil gekämpft. Am stellen. „Polizeiherr“ Richter ließ sich Pohls Ende seines Plädoyers wies er auf die Fami- Personalakte vorlegen und lehnte das Ge- 117 liengeschichte seines Mandanten hin: such ab. Pohl fand stattdessen eine An- Seine direkten Vorfahren väterlicherseits, von stellung beim Statistischen Amt, später denen einer Oberhof- und Kriegsfaktor des zeitweise in der Fürsorgebehörde. Kaum Großen Kurfürsten war, haben seit 400 Jah- hatte er seinen Dienst im Statistischen Amt ren in Stendal, Landsberg a. d. Warthe und angetreten, als er eine „nichtarische“ Kolle- Berlin gelebt, seine Vorfahren mütterlicher- gin anzeigte. 1947 gab die Betrofene dem seits sind nachweisbar bis ins 15. Jahrhundert Betriebsrat des Statistischen Landesamts ununterbrochen in Frankfurt a. M. und dessen zur Kenntnis, Umgebung ansässig gewesen. Der Beschuldig- dass der damalige Kol.[lege] Pohl als Haupt- te war nachgewiesenermaßen stets bereit, belastungszeuge gegen mich aufgetreten ist, wenn es er forderlich war, sein Leben für sein was meine fristlose Entlassung am 30.3.1933

22 Liskor – Erinnern zur Folge hatte. Außerdem möchte ich noch be- Wiedereinstellung in den hamburgischen merken, dass P.[ohl] als ein sehr unangeneh- Staatsdienst. 118 mer und unehrlicher Kollege bekannt war. Ergebenst Oswald Lassally Im Juni 1937 stand Pohl erneut vor Gericht; diesmal ging es um den Erwerb eines Trom- Die Verbindung zu seinem Anwalt Walter melrevolvers. Als Vorbestrafter besaß er kein Klaas, der sich in der NS-Zeit intensiv um Recht zur Beschafung dieser Wafe. Pohl ihn bemüht hatte, nahm Oswald Lassally behauptete, er habe den Revolver gebraucht, sofort nach dem Ende des Krieges wieder „weil er in einer ziemlich freien auf. Klaas, der im August 1945 Gegend ein Erdgeschoss bewohne zum Generalstaatsanwalt beim und infolgedessen einer erhöhten Oberlandesgericht ernannt wor- Gefahr, von Einbrechern besucht den war, stand in einem engen zu werden, ausgesetzt sei“. Das Verhältnis zu Adolph Schönfel- Gericht verhängte eine Geld- der, dem Präsidenten der Ham- 119 strafe. burger Bürgerschaft und Zweiten Bürgermeister. In einem Brief Oswald Lassally blieb bis zum 19. vom 8. April 1946 an Schönfelder Januar 1940 in Haft. Dann wurde setzte sich Klaas wie folgt für er, wie in seinem 1950 verfassten Lassally ein: Lebenslauf zu lesen ist, unter der Passfoto von Oswald Vor einiger Zeit unterhielten wir Androhung von KZ-Haft zur Lassally, 1940 uns einmal über den Wunsch des 120 Auswanderung gezwungen. früheren hamburgischen Regie- Das Ziel war Haiti. Die Devisenstelle des rungsrats Oswald Lassally, jetzt Porto Alegre, Oberfnanzpräsidenten genehmigte, dass er nach Hamburg und in den hiesigen Staats- unter anderem seine Briefmarkensammlung dienst zurückzukehren. Ich habe im Verfolg im Wert von 3.750 Mark mitnehmen konn- unserer Unterhaltung Herrn Lassally über die te, und erhob dafür eine Abgabe in Höhe Situation informiert, habe aber heute das an- 121 des doppelten Wertes der Sammlung. legende ofzielle Schreiben vom 6.1.46 zur Oswald Lassally emigrierte mit dieser Weiterleitung an Sie von ihm erhalten, wobei Sammlung nach Brasilien und eröfnete in er mir wörtlich wie folgt schreibt: Porto Alegre ein Briefmarkengeschäft. Sein „Was mich in Ihrem Brief außer den Vermögen von über 150.000 Mark war persönlichen Mitteilungen ganz besonders in- bereits am 30.12.1939 mittels einer „Siche- teressierte, war, dass meine Annahme, dass rungsanordnung“ der Devisenstelle gesperrt drüben [in Deutschland] Hass und Verhet- 122 worden. zung noch fortwirkten, auf einer völligen Ver- Am 6. Januar 1946 schrieb Lassally kennung der Lage beruhe. Wenn ich daher Ih- aus Porto Allegre einen einzigen Satz an ren Brief recht verstehe, so beruht der Rat von den Hamburger Senat: Ihnen und Herrn Bürgermeister [Schönfel- Da meine Pensionierung im Jahre 1933 zu der], mit meiner Rückkehr noch etwas zu unrecht erfolgt ist, bitte ich um meine warten, wohl auf den zur Zeit noch sehr

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ungünstigen Ernährungs- und Wohnungsver- dort geheiratet. Am 24. November schrieb hältnissen in Deutschland. Dieser Gesichts- er einen Brief an Bürgermeister Max Brau- punkt ist aber für mich nicht ausschlaggebend, er, in dem er seinen Wunsch bekräftigte, da ja diese bedauerlichen Zustände alle Men- wieder in den hamburgischen Staatsdienst schen drüben in gleicher Weise zu ertragen ha- eingestellt zu werden: ben, und ich andererseits den Wunsch habe, Obwohl es mir gelungen ist, nachdem ich durch nach 9-jähriger Trennung sobald wie möglich die Ausplünderung und Auswanderung 98% den Beruf, der mir liegt und der mir heute meines Vermögens verloren hatte, mich hier [in mehr denn je als Aufgabe erscheint, wieder Porto Alegre] wieder emporzuarbeiten, fühle 123 auszuüben.“ ich mich doch in dem hiesigen Lande nicht am rechten Platz und möchte lieber wieder an dem 124 Ende 1949 befand sich Lassally noch im- Wiederaufbau in Hamburg mitarbeiten. mer in Porto Alegre. Inzwischen hatte er die Genehmigung zur Einreise seiner Ver- Am 13. Oktober 1950 kehrte Oswald Las- lobten Hertha Putziger nach Brasilien er- sally in den Dienst der Polizeibehörde zu- wirkt und sie nach zehnjähriger Trennung rück. Wenig später ernannte ihn der Senat

Oswald Lassally kurz nach seiner Rückkehr Foto: Staatsarchiv Hamburg, 331-1 II, Polizeibehörde II, 625, Personalkartei

24 Liskor – Erinnern zum Regierungsrat und Beamten auf Le- [ierungs-]Dir.[ektor] Lassally sich durch die 125 benszeit. Am 10.11.1953 beurteilte ihn Bearbeitung der „Polizeiverordnung zur Be- Polizeipräsident Georges als außerordent- kämpfung gesundheitsgefährdenden Lärms“ lich befähigten Beamten: einen Namen gemacht. Diese Verordnung Reg.[ierungs-]Dir.[ektor] Lassally ist Leiter wurde zum Muster örtlicher Lärmbekämp- der Rechtsabteilung bei der Polizeibehörde fungsverordnungen in vielen Städten und Hamburg. Auf diesem Posten leistet er sehr Ländern verwandt. Reg.[ierungs-]Dir. Gutes. Seine juristischen Stellungnahmen sind [ektor] Lassally strebt auf dem Gebiet der gründlich durchdacht. Er weiß sie klar und Lärmbekämpfung auch weiterhin an, durch unmissverständlich vorzutragen. Dabei stützt administrative Maßnahmen diese Erschei- er sich auf seine großen Erfahrungen auf dem nung des modernen Lebens zu bekämpfen. [...] Gebiet des Polizeirechts. Er ist mir jederzeit Außerhalb des Dienstes betreibt er juristische in den Angelegenheiten der Polizeibehörde ein und andere wissenschaftliche Studien. Durch sehr guter juristischer Berater gewesen. seine reife Lebenserfahrung hat er sich eine Innerhalb der juristischen Fachkreise klare demokratische Weltanschauung erwor- Hamburgs und auch anderer Länder hat Reg. ben, für die er ofen eintritt. Er beherrscht die

Deutsches Lärmbekämpfungsrecht – Oswald Lassallys Buch erschien im Frühjahr 1955

2. Jahrgang, Nr. 007 25 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

portugiesische Sprache vollkom- zurück. Oswald Lassally starb men, da er Jahre hindurch in Süd- am 16. November 1975 in amerika geweilt hat. München. Sein Tod wurde al- len Polizeiangehörigen mit Lassallys Kampf gegen den Lärm den Worten bekanntgegeben: hatte auch ganz persönliche „Wir werden seiner ehrend ge- 129 Gründe. Am 15.11.1955 schrieb denken.“ er ans Amt für Wiedergutma- Oswald Lassally in seinen Friedrich-Franz Pohl, chung: letzten Dienstjahren der ihn 1931 hatte umbringen Durch die Verfolgung während der Foto: Staatsarchiv wollen, war 1940 zur Wehr- Jahre 1933 – 1945 (2 Jahre 4 Mo- Hamburg, 331-1 II, macht einberufen und 1945 als nate Gefängnis, gewaltsame 10 Polizeibehörde II, 625 Feldwebel nach Hamburg ent- Jahre lange Trennung von meiner lassen worden. Dort setzte er Frau u.[nd] a.[nderes]) haben sowohl meine seine Tätigkeit als Büroangestellter im Sta- Frau wie ich selbst psychisch stark gelitten. Die tistischen Landesamt fort. Im September Folgen machen sich heute in gesteigerter Ner- 1945 füllte er einen Entnazifzierungsfrage- vosität bemerkbar. Infolgedessen sind meine bogen mit falschen Angaben aus. Seine 126 Frau und ich überaus lärmempfndlich. Mitgliedschaft in der NSDAP verschwieg er darin ebenso wie den Pistolenschuss auf Das Vorwort seines Buches „Deutsches Oswald Lassally und die anschließende Ge- Lärmbekämpfungsrecht“ beschloss er mit fängnisstrafe. Die Folge war seine Eingrup- einer Reminiszenz an das Land, in dem er pierung in die Kategorie IV („Mitläufer“). 1940 Zufucht gefunden hatte: Seine Personalakte war im Statistischen Ein brasilianisches Sprichwort „Entweder Landesamt verschwunden, allerdings nur Brasilien vernichtet die Ameisen, oder die vorübergehend. Als sie wieder auftauchte, Ameisen vernichten Brasilien“ muss auf den wurde er 1949 der Kategorie III (Minder- Lärm entsprechend angewandt werden: belastete) zugeordnet, was ein Berufsverbot 130 „Entweder vernichten wir den vermeidbaren für den öfentlichen Dienst bedeutete. 127 Lärm, oder der Lärm vernichtet uns!“ Nach 1960 verschwand Pohl unabgemeldet 131 aus Hamburg. Am 30. November 1961 wurde Oswald Lassally auf seinen Antrag in den Ruhe- Martin Lassallys Schwester Jenny stand versetzt. Das „Hamburger Abend- (1865 – 1942) blatt“ hob hervor, dass er sich „besondere Jenny Lassally, geb. 28.02.1865 in Lands- Verdienste bei der Schöpfung eines moder- berg, wurde am 08.06.1889 in Berlin mit ei- nen Lärmbekämpfungsrechts“ erworben nem Kaufmann namens Bernhard Falken- habe, und „Die Welt“ bezeichnete ihn als stein getraut. Ofenbar wohnte sie erst in ih- einen „um die Hansestadt hochverdienten ren letzten Lebensjahren in Hamburg. In 128 Beamten“. 1971 meldete sich das Ehe- den rudimentär erhaltenen Einwohnermel- paar Lassally nach den Kanarischen Inseln dekarteien ist sie 1939 als Bewohnerin einer ab und kehrte nicht mehr nach Hamburg Pension in der Straße An der Alster zu

26 Liskor – Erinnern ermitteln und fndet sich dann in der Er- Pionierarbeit auf dem Gebiet der Lärmbe- gänzungskartei zur Volkszählung vom Mai kämpfung gehören zur hamburgischen Po- 1939 mit der Adresse Rothenbaumchaussee lizeigeschichte – ebenso wie das auf ihn ver- 43, der Villa ihres Bruders Eduard, verzeich- übte Attentat, das in der Rückschau fast wie 132 net. Nach Eduards Tod wurde sie im No- ein Menetekel des künftigen Mordwerks vember 1940 in eine Unterkunft in der der Nationalsozialisten wirkt. Heimhuder Straße 17 eingewiesen. Das Ge- Mit diesem Beitrag soll auch an die bäude zählte zu den „Judenhäusern“ – von „weniger bedeutenden“ Angehörigen der der Gestapo bestimmten Zwangsunterkünf- Familie Lassally erinnert werden. Soweit sie ten, in denen die dort untergebrachten Ju- ihr Leben in der NS-Zeit durch die Flucht den in qualvoller Enge leben mussten. Im in das Ausland retten konnten, waren sie Februar 1942 folgte Jenny Falkensteins Um- unter großen Schwierigkeiten zum Aufbau zug in das „Judenhaus“ Haynstraße 7. Zwei einer neuen Existenz gezwungen. Auch Monate später musste sie in die Oderfelder Alter und Krankheit führten im Na- Straße 42 einziehen und 14 Tage später in zi-Deutschland zu keiner Schonung. Ihnen 133 das Haus Grindelhof 101. Dort starb sie blieb nur die Flucht, nachdem sie von der 134 am 18. Juni 1942 an einem Herzinfarkt. Devisenstelle des Oberfnanzpräsidenten Hamburg ausgeplündert worden waren. Was bleibt Rita Bake hat jüngst darauf hinge- Was bleibt, ist die Erinnerung an eine er- wiesen, dass in Hamburg noch immer folgreiche Hamburger Kaufmannsfamilie, NS-belastete Straßennamen zu fnden 135 der in der dritten Generation auch Juristen sind. An Oswald Lassally mit einem Stra- angehörten. Oswald Lassallys „Grundzüge ßennamen zu erinnern, wäre ein Schritt zu des Hamburger Polizeirechts“ und seine Besserem.

Die nachfolgend genannten Quellen verwahrt das Staats- 3 Geb. 22.2.1827, gest. 15.07.1903. Auf dem Jüdischen archiv Hamburg, soweit nicht anders angegeben. Friedhof in Berlin liegen die Gräber von Teodor und Mathilde Lassally mit einem gemeinsamen Grabstein. 1 332-8 Meldewesen, I A 5 Lit. L-R Bd. 11, S. 308 (= 4 Oswald Lassally, Israel Aaron, Hofaktor des Großen Mikroflm K 2179). – Julius Gordon (geb. 1808 in Kurfürsten und Begründer der Berliner Gemeinde. Mitau, gest. 24.02.1891 in Hamburg) war der Groß- In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft vater des bekannt gewordenen Pianisten und Kom- des Judentums, 1935, Heft 1, S. 24 – 27. – Zweifel an ponisten Emil von Sauer (1862 – 1942). Vgl. Emil der Abstammung der Familie Lassally von Israel Aa- von Sauer: Meine Welt. Bilder aus dem Geheimfa- ron äußerte Jacob Jacobson in seiner Veröfentlichung che meiner Kunst und meines Lebens. Berlin 2014, „Jüdische Trauungen in Berlin 1759 – 1813“ (Berlin S. 12. – Im Sterberegister des Standesamts Hamburg 1968, S. 496). 1 von 1891, Nr. 408, ist Julius Gordon mit evange- 5 Oswald Lassally, wie Anm. 4, S. 27. lisch-lutherischer Religion als Sohn von Nicolai Gor- 6 Geb. 13.07.1831, gest. 18.12.1917. – S. auch Anm. 3. don und Henriette geb. Calmann verzeichnet (332-5 7 Vgl. www.geni.com/people/Albrecht-Lassally/ Standesämter, 287). 6000000039251105996 (aufgerufen am 23.07.2017). 2 Eine zeichnerische Darstellung des Tumults vor der 8 332-8 Meldewesen, wie Anm. 1. – 376-2 Gewer- Hamburger Börse fndet sich in der Veröfentlichung bepolizei, Spezialakten, VIII C 13, S. 108, Nr. 862. von Ernst Christian Schütt, Die Chronik Hamburgs. 9 332-8 Meldewesen, I A 5 Lit. L-R Bd. 16, S. 109 (= Dortmund 1991, S. 277. Mikroflm K 2181).

2. Jahrgang, Nr. 007 27 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

10 231-3 Handelsregister, A 13 Bd. 2, Gesellschafts- 30 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- register, Nr. 16276. nossenschaftsregister, A 1 Bd. 198, HRA 43674. 11 Christiane Berth hält den Kafee in unserer Zeit nach 31 Hamburger Börsenfrmen 1910 – 11. Hamburg 1910, dem Erdöl sogar für das zweitwichtigste Handelspro- S. 367. dukt der Welt. Vgl. Christiane Berth, Biografen und 32 731-8 Zeitungsausschnittsammlung, A 760, Julius Netzwerke im Kafeehandel zwischen Deutschland Kronheimer. und Zentralamerika 1920 – 1959. Hamburg 2014, S. 33 313-3 Steuerdeputation, E 35, Erbfall Julius Kron- 15. heimer, Testament vom 28.04.1914. 12 Berth (Anm. 11), S. 66. 34 352-5 Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen, 13 Ursula Becker, Entwicklung und Organisation des Standesamt 3, 1924 Nr. 278. Hanseatischen Kafeehandels im 19. und 20. Jahr- 35 332-5 Standesämter, 8155, Standesamt 3 b, Sterbe- hundert. Münster 1995, S. 78. register 1938, Nr. 86. 14 332-8 Meldewesen, I A 5 Lit. L-R Bd. 16, S. 138 (= 36 Grablage C 11-117 und C 11-118. Mikroflm K 2182). 37 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 116, Nr. 728, und A 24 15 Albrecht Lassallys Fortzug aus Hamburg ist im Bd. 146, Nr. 272. Fremdenmeldeprotokoll nicht vermerkt; ofenbar 38 332-8 Meldewesen, A 30, Einwohnermeldekartei kehrte er ohne Abmeldung nach Berlin zurück. Erst 1892 – 1925, Mikroflm K 6489. am 06.05.1881 gelangte der Hamburger Fremdenpo- 39 332-5 Standesämter, 8624, Heiratsregister des Stan- lizei sein Aufenthalt in Berlin zur Kenntnis (332-8 desamts 3 von 1903, Nr. 477. Richard Janowitzer war Meldewesen, wie Anm. 14). ein Sohn von Albert Janowitzer und Katharina Jano- 16 231-3 Handelsregister, wie Anm. 10. Albrecht Lassal- witzer geb. Fürth. ly schied 1916 aus der Firma aus (231-7 Amtsgericht 40 Hamburger Börsenfrmen 1910 – 11. Hamburg 1910, Hamburg – Handels- und Genossenschaftsregister, S. 655. A 1 Bd. 12, HRA 3262). 41 314-15 Oberfnanzpräsident, F 1178, Schreiben vom 17 Neben der deutschen Staatsangehörigkeit bestand 09.03.1939. in den Ländern des Deutschen Reichs bis 1934 eine 42 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 1608. eigene Staatsangehörigkeit. Vgl. Jürgen Sielemann, 43 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 115, Reisepassprotokoll Quellen zur jüdischen Familiengeschichtsforschung 1918, Nr. 18765. – Alice Griesbach, geb. 14.06.1894. im Staatsarchiv Hamburg. Ein Wegweiser für die 44 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- Spurensuche. Hamburg 2015, S. 107 f. nossenschaftsregister, wie Anm. 16. 18 332-5 Standesämter, 8501, Heiratsregister des Stan- 45 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 15956. desamts 3 von 1881, Nr. 404. 46 Ebd. 19 522-1 Jüdische Gemeinden, 372 Bd. 6, Aufnahme- 47 Leopold Durlacher war Mitinhaber der Firma So- register 1882, Nr. 591. ciedad Vinicola, Norderelbstraße 33, mit Niederlas- 20 Becker (Anm. 13), S. 121. sungen in Spanien. Vgl. Hamburger Börsenfrmen 21 Berth (Anm. 11) , S. 110. 1910 – 11, Hamburg 1910, S. 622. 22 Klaus-Joachim Lorenzen Schmidt, in: Paul Flam- 48 352-5 Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen, me, Peter Gabrielsson und Klaus-Joachim Lorenzen Standesamt 3, 1931 Nr. 254. Schmidt, Kommentierte Übersicht über die Bestände 49 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 25219, Bl. 10, des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Ham- 47 und 84. burg. Hamburg 1999, S. 373. 50 332-8 Meldewesen, wie Anm. 14. – 231-3 Handels- 23 612-5/8 Verein der am Cafeehandel betheiligten register, wie Anm. 10. Firmen, 11 Bd. 1 – 6. Vorhanden sind die Jahrgänge 51 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, A I e Bd. 28, 1887 – 1892. Bürgerregister, Nr. 11735. 24 612-5/8 Verein der am Cafeehandel betheiligten Fir- 52 Louise Henriette Lassally geb. Flörsheim, geb. men, 2 Bd. 2, Antrag vom 20.03.1922. – Die Zahl der 21.10.1862 in Frankfurt am Main, gestorben am Hamburger Unternehmen im Kafeegeschäft bezieht 05.09.1928 (332-5 Standesämter, 8093, Sterberegis- sich auf das Jahr 1902. Vgl. Ursula Becker (Anm. 13), ter des Standesamts 1 von 1928, Nr. 439). S. 108. 53 Standesämter, 7813, Sterberegister des Standesamts 3 25 Becker (Anm. 13), S. 182 f. von 1886, Nr. 2857. 26 612-5/8 Verein der am Cafeehandel betheiligten 54 In den Straßenteilen der Hamburger Adressbücher Firmen, 2 Bd. 2. ist das Haus ab 1895 mit dem Eigentümer Eduard 27 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 132, Nr. 814. Lassally aufgeführt. 28 Becker (Anm. 13), S. 283. 55 522-1 Jüdische Gemeinden, 381 b, Austrittserklärun- 29 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B VII a. gen 1913 – 1927, Bl. 48.

28 Liskor – Erinnern 56 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- Reifner, Norbert Steinborn; „Parteisoldaten“. Die nossenschaftsregister, A 1 Bd. 184, HRA Nr. 4182. Hamburger Polizei im „3. Reich“. Hamburg 1987, S. 57 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- 27. – Die Aufhebung des Verbots der Mitgliedschaft nossenschaftsregister, A 1 Bd. 184, HRA Nr. 4374 von Polizeibeamten in der NSDAP verteidigte Sena- und 4182. tor Adolph Schönfelder in der Bürgerschaftssitzung 58 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, vom 11.01.1933 damit, dass der Senat der Meinung 1939 Nr. 1486, Bericht des Polizeimeisters Rogge war, „dass man damit rechnen könne, dass diese Par- vom 15.07.1939. tei jetzt bereit sei, die Verwirklichung ihres Zieles 59 331-5, wie Anm. 58, Protokoll vom 19.07.1939. auf verfassungsmäßigem Wege, parlamentarisch oder 60 Heiko Morisse, Ausgrenzung und Verfolgung der sonstwie, zu verfolgen“. Dies veranlasste den Senat, Hamburger jüdischen Juristen im Nationalsozialis- seinen Erlass zu ändern und eine entsprechende Wei- mus. Bd. 2, Beamtete Juristen. Göttingen 2013, S. sung an die Behörden zu geben (Sitzungsprotokoll 138. vom 11.01.1933, S. 32). 61 241-2 Justizverwaltung – Personalakten, A 1521, Per- 79 Ein Irrtum: Lassally war um 1928 aus der Deutsch-Is- sonalakte Karl Lassally. raelitischen Gemeinde ausgetreten und hatte sich 62 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- evangelisch taufen lassen (522-1 Jüdische Gemein- nossenschaftsregister, wie Anm. 16. den, 992 b, Kultussteuerkarte Oswald Lassally). 63 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 627. 80 522-1 Jüdische Gemeinden, 268, Mikroflm Sa 1052. 64 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei Zitiert nach Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Zeit der Weimarer Republik. Bd. 2. Hamburg 1987, 65 Elisabeth Charlotte Leschke, geb. 31.08.1914 in Ber- S. 1048 f. und 1467, Anm. 74. Jacques ( Jakob) Meyer lin, und Anna Ursula Leschke, geb. 06.09.1914 in emigrierte Ende 1935 über Brüssel nach London Berlin. – 351-11 Amt für Wiedergutmachung, wie (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkarte Anm. 63. Jacques Meyer). 66 314-15 Oberfnanzpräsident, F 1402, Bl. 124, Bl. 16. 81 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74. 67 314-15 Oberfnanzpräsident, wie Anm. 66. 82 Hamburger Nachrichten vom 22.09.1931. 68 241-2 Justizverwaltung – Personalakten, wie Anm. 83 Zu Raekes Biographie siehe de.wikipedia.org/wiki/ 61. Walter_Raeke (aufgerufen am 01.08.2017). 69 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Ge- 84 Die nachfolgend dargestellten Ermittlungsergebnis- nossenschaftsregister, wie Anm. 16. se stammen aus der Akte 241-1 I Justizverwaltung I, 70 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 274, Reisepassprotokoll 1149, Unstimmigkeiten zwischen Polizei und Justiz 1922, Nr. 22932. „Besondere Kennzeichen: zieht das im Fall des früheren Polizeioberwachtmeisters Fried- rechte Bein nach.“ Der Grund war eine künstliche rich Franz Pohl wegen versuchten Mordes. Kniescheibe (314-15 Oberfnanzpräsident, F 1404, 85 Helmut Ebeling, Schwarze Chronik einer Weltstadt. Bl. 32). Hamburg 1980, S. 294 – 301. 71 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkarte 86 Die Beobachtung erfolgte aufgrund des Erlasses vom Paul Lassally. 03.11.1930, der den hamburgischen Beamten die Zu- 72 314-15 Oberfnanzpräsident, F 1404. gehörigkeit zur NSDAP verbot; siehe Anm. 78. – Mit 73 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 629, Blatt 28. Pohls Beobachtung waren die späteren Gestapobe- – Social Security Death Index, vgl. www.fold3.com/ amten Peter Kraus und Adolf Behrmann eingesetzt. s.php#s_surname=Lassally&offset=1&preview=1&t=-1 87 241-1 I Justizverwaltung, 1149, Anklageschrift vom (aufgerufen am 01.08.2017). 17.06.1931, S. 7 – 8. 74 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, C 733. 88 241-1 I Justizverwaltung , wie Anm. 87, S. 14. 75 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht, 6551/39, Bl. 89 241-1 I Justizverwaltung , wie Anm. 87, S. 17. 2. 90 Malwina Jacobsohn, geb. 15.02.1866 in Hamburg, 76 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, starb ebenda am 11.12.1934. Bl. 18. 91 241-1 I Justizverwaltung , wie Anm. 87, S. 20. 77 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 92 241-1 I Justizverwaltung , wie Anm. 87, S. 22. Bl. 43. 93 241-1 I Justizverwaltung I, 1149, Urteilsbegründung, 78 Es handelte sich um einen Senatserlass vom S. 14. 03.11.1930, der allen hamburgischen Beamten eine 94 241-1 I Justizverwaltung I, wie Anm. 93, S. 4. Unterstützung oder Förderung der NSDAP und der 95 241-1 I Justizverwaltung I, wie Anm. 93, S. 46 KPD verbot. Dieser Erlass wurde am 03.08.1932 auf- 96 241-1 I Justizverwaltung I, wie Anm. 93, S. 49. gehoben; Polizeibeamte konnten seitdem folgenlos in 97 Hanseatische Polizei-Beamtenzeitung 1931, Nr. 5, die NSDAP eintreten. Vgl. Helmut Fangmann, Udo S. 3 (in: 241-1 I Justizverwaltung I, 1149).

2. Jahrgang, Nr. 007 29 Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg

98 Hamburger Fremdenblatt vom 02.10.1931, Artikel 26.11.1947 (221-11 Staatskommissar für die Entna- „Das Attentat im Polizeipräsidium“. zifzierung und Kategorisierung, Ad 6980). 99 Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war ein po- 119 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsa- litischer Verband zum Schutz der demokratischen chen, 6845, Urteil vom 09.06.1937. Republik. 120 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 100 241-1 I Justizverwaltung I, wie Anm. 93, S. 36. Lebenslauf vom 17.10.1950. 101 Hamburger Echo vom 14.10.1931, Artikel „Gegen 121 314-15 Oberfnanzpräsident, F 1405. eine weltfremde Justiz“. 122 314-15 Oberfnanzpräsident, wie Anm. 121, Bl. 7. 102 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 123 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, Bl. 53. Bl. 8. 103 Wilhelm Purucker, Gaugeschäftsführer der NSDAP. 124 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 104 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamten- Bl. 14. tums vom 07.04.1933, Reichsgesetzblatt 1933, Nr. 34, 125 Abschrift der Ernennungsurkunde vom 19.12.1950 S. 175. (131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 105 Die Landesschulbehörde war ab 1. Juni 1933 in Lan- Bl. 29). desunterrichtsbehörde umbenannt worden. 126 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 629, Bl. 61. 106 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 127 Oswald Lassally, Deutsches Lärm-Bekämpfungs- Bl. 58. recht. Alfeld a. d. Leine 1955, S. 6. 107 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, 128 Hamburger Abendblatt vom 30.11.1961, Artikel Bl. 59. „Direktor Lassally im Ruhestand“; Die Welt vom 108 In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft 01.12.1961, Artikel „Lassally trat in den Ruhestand“. des Judentums, 1935, Heft 1, S. 20 – 31. 129 331-8 Polizeiverwaltung – Personalakten, 684. 109 In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft 130 221-11 Staatskommissar für die Entnazifzierung des Judentums, 1936, Heft 5, S. 403 – 415. und Kategorisierung, wie Anm. 118. 110 In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft 131 332-8 Meldewesen, A 51/1, Hauskartei, Bundesstra- des Judentums, 1937, Heft 2 – 3, S. 85 – 91. ße 7, Mikroflm K 2427. 111 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74. 132 Vgl. www.census.tracingthepast.org/index.php/en/mino- 112 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht, wie Anm. rity-census/census-database/census-database? 75. cck=minority_census&last_name=Falkenstein 113 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, &first_name=Jenny&maiden_name=&place_of_birth= Bl. 17. &birth_year_for_search=&street=&city=&boxchecked 114 131-15 Senatskanzlei – Personalakten, wie Anm. 74, =0&search=minority_census_search&task=search Schreiben vom 03.05.1938. (aufgerufen am 07.07.2017) 115 Entscheidung des Reichsdienststrafhofs vom 133 332-8 Meldewesen, A 51/1, Hausmeldekarteien. 27.07.1939 (131-15 Senatskanzlei – Personalakten, 134 332-5 Standesämter, 8180, Sterberegister des Stan- wie Anm. 74) desamts 2 a, 1942 Nr. 293. 116 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Abl. 13, Haftkartei. 135 Vgl. www.hamburg.de/contentblob/4462748/ 117 614-2/5 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter- 03c40a885a1078a25503d7dca3ec6fec/data/ partei (und ihre Gliederungen), B 260. ns-belastete-strassennamen.pdf 118 Schreiben von Irma Ahrendt geb. Niefünd vom (aufgerufen am 11.08.2017)

30 Liskor – Erinnern Volker Reissmann Jüdische Filmschaffende aus Hamburg Teil 1: Felix Jackson

Felix Jackson, der zunächst in Deutschland Geschlecht der Gänse steht hierin billig oben- Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre an. Weniger häufg bedienen wir uns der Kiele als Teater-Dramatiker tätig war und wenig von Schwänen, Raben, Falken und anderen später in Österreich, Ungarn und schließ- größeren Vögeln. [...] Das Einsammeln der lich in den USA als erfolgreicher (Dreh- Gänsekiele geschieht gewöhnlich im Frühjahr buch-)Autor sowie Film- und Fernsehpro- durch Hirten und Landleute, die solche dann duzent Karriere machte, wurde am 5. Juni in die größeren und kleineren Städte bringen 1902 in Hamburg als Felix Raphael Joa- und an die dasigen Posenhändler, Fabrikan- chimson geboren. Seine Vorfahren gehen in ten oder Schraper verkaufen. In den Seestäd- gerader Linie auf einen hier um 1774 gebo- ten treiben die letzteren mit der rohen Ware 2 renen Kaufmann namens Samuel Joachim- einen nicht unansehnlichen Handel. [...] son zurück. Dieser war vor 1817 nach Hol- land übergesiedelt war und hatte dort ge- Ein unerlässlicher Arbeitsschritt zur Her- 1 heiratet. Bina geb. de Beer oder Baireyth, stellung von Schreibfedern war das Sortie- seine Ehefrau, stammte aus einem Dorf an ren der Vogelfedern: der Pekel in Nordholland. In Appingedam Dieses geschieht bloß vermöge des geübten Au- bei Groningen wurden dem Ehepaar fünf ges und des Gefühls. Man sieht dabei auf die Kinder geboren: Sara, geb. ca. 1817, Kaatja, Länge, Dicke, Stärke, Konsistenz. [...] In geb. 1820, Baruch, geb. ca. 1821, Nach- Hamburg, wo bekanntlich diese Fabrikation mann, geb. 11.9.1823, und Rike, geb. ca. ins Große betrieben wird, gibt es eigene Sor- 1826. Wenige Jahre nach der Geburt der tierer, welche täglich damit recht wohl 3 Mark 3 jüngsten Tochter siedelte die Familie Joa- Kurant verdienen können. chimson nach Hamburg über. In den hiesi- gen Adressbüchern ist der Vater ab 1833 Stählerne Schreibfedern kamen in Ham- zunächst als „Kaufmann in Manufaktur- burg in den 1830er Jahren auf und ver- waren“ und von 1837 bis 1845 als Posen- drängten den Gebrauch von Gänsekielen sortierer aufgeführt. Das Sortieren von Po- bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fast völ- sen (Federn) diente der Fabrikation von lig, weshalb Samuel Joachimson sich um- 4 Schreibgeräten aus Vogelfedern, ein Gewer- stellen musste. Als Posensortierer verzeich- be, das in einer 1809 erschienenen Waren- nen ihn die Hamburger Adressbücher zu- kunde wie folgt beschrieben wurde: letzt 1845, danach als Händler, der mit dem Die befederten Tiere, die uns ein Werkzeug An- und Verkauf „von Produkten“ befasst liefern, das in neuern Zeiten so unentbehrlich war und über ein Stofager von „Bettpar- geworden ist, und dessen Gebrauch sich noch chent und Bettdrell“ verfügte. Samuel Joa- täglich mit der fortschreitenden Aufklärung chimson starb am 7. April 1850 in Ham- vermehrt, gibt es mehrere; allein das burg und wurde auf dem Jüdischen

2. Jahrgang, Nr. 007 31 Jüdische Filmschaffende aus Hamburg

Friedhof am Grindel beerdigt. Die Ham- zunächst nach Wyk auf Föhr und dann für burger Adressbücher zeigen, dass sich sein einige Jahre nach Klosters in die Schweiz in Sohn Neumann Joachimson 1845 als junger ein Internat geschickt wurde. Der Exilfor- Mann ebenfalls im Gewerbe des Posensor- scher und Filmhistoriker Helmut G. Asper, tierers selbstständig machte, dann aber das der ihn noch in den 1980er Jahren in den Geschäft 1851 um den Ein- und Verkauf USA persönlich kennengelernt und inter- von Pferdehaaren und Schweineborsten er- viewt hat, berichtet über diese für den Jun- weiterte. Hinzu kamen ein Jahr später gen sehr schwere Zeit wie folgt: Kommissions- und Lotteriegeschäfte. Aus Obwohl er gerne Ski fuhr, litt er doch sehr un- seiner 1844 in Hamburg geschlossenen Ehe ter Heimweh, und der zarte Junge ertrug auch mit Martha Gunst aus Ritterhude bei Bre- nicht die harte Internatserziehung. Die Jun- men stammten die Kinder Jacob (geb. 3. gen mussten bei der Hausarbeit helfen und März 1845) und Ester Emilie (geb. 17. u.a. auch Hühner schlachten, als der Junge sich März 1846). weigerte, wurde er für drei Tage ohne Essen Am 7. Juni 1862 ließ Neumann Joa- eingesperrt. Über solche Vorfälle konnte er chimson seine Firma „N. Joachimson“ in nicht nach Hause berichten, da seine Briefe das Handelsregister eintragen. Fünf Jahre zensiert wurden. Nach drei Jahren kehrte er später trat sein Sohn Jacob als Gesellschaf- nach Hause zurück, seine Schwester heiratete 5 ter in das Unternehmen ein. Gehandelt kurz drauf, so dass er mit ihr nur wenig Kon- 7 wurde von nun an mit Bettfedern und Dau- takt hatte. nen en gros. In den folgenden Jahren ex- pandierte die Firma und besaß einen eige- Am 28. Juli 1914 brach der Erste Weltkrieg nen Börsenstand. 1869 heiratete der Mit- aus und Felix Raphael Joachimsons Vater inhaber Jacob Joachimson eine Berlinerin Siegfried verübte wenige Tage später, am namens Dorothea Wormann, geboren am 1. August 1914, Selbstmord. Im folgenden 7.9.1848. Ihr Sohn Siegfried, geboren am Monat siedelte seine Witwe Fanny mit ih- 25. Juni 1870 in Hamburg, wurde 1894 als ren Kindern Felix Raphael und Malchen Gesellschafter der Firma „N. Joachimson“ Clara (geboren am 5. Dezember 1896 in 6 8 im Handelsregister verzeichnet. Zwei Jahre Hamburg) nach Charlottenburg über. später heiratete er Fanny Bloemendal, gebo- Nach einem Vermerk in der Kultussteuer- ren am 24. Oktober 1874 in der niederlän- kartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde dischen Grenzstadt Venlo. Ihr Sohn Felix in Hamburg starb Fanny Joachimson, die Raphael Joachimson (der spätere Felix Jack- über den Freitod ihres Mannes ofenkundig son), geboren am 5. Juni 1902 in Hamburg, nicht hinweg kam, 1917 in einem Berliner ist der Protagonist dieses Beitrags. Am 13. Sanatorium, so dass ihre Kinder Felix Ra- Juni 1913 starb dessen Großvater Neumann phael und Malchen Joachimson nun zu 9 Joachimson in Hamburg. Waisen wurden. Sie lebten fortan in Berlin Felix Joachimson soll zeitweise ein bei der Großmutter, das vom Vater hinter- recht „kränkliches Kind“ gewesen sein und lassene (und ofenbar zunächst nicht unbe- unter starken Asthmabeschwerden gelitten trächtliche) Vermögen wurde von Vormun- haben, weshalb er von seinen Eltern den verwaltet und Felix Raphael Joachim

32 Liskor – Erinnern besuchte das Mommsen-Gymnasium in lernte er den Komponisten Kurt Weill ken- Berlin. Der Filmhistoriker Asper berichtet nen, mit dem ihn fortan eine enge Freund- weiter: schaft verband und über den er später eine Der Traum des musikalisch hochbegabten Joa- Biographie schrieb, die aber unveröfent- 11 chimson war, Pianist, Di- licht blieb. Ein Zeitge- rigent und Komponist zu nosse, der Lokalredakteur werden, doch verweigerten Pem, schilderte Felix Ra- seine Vormunde, alle Ban- phael Joachimson in jener kiers und Geschäftsleute, Zeit wie folgt: diesen Wunsch und zwan- Der geborene Hamburger gen ihn, Jura und Wirt- war der Stillste in der ge- schaftswissenschaften zu wiss nicht unruhigen Re- studieren. Er matrikulierte daktion in der Berliner sich an der Universität Beuthstrasse, man sah und Freiburg, die schöne Stadt hörte ihn eigentlich kaum, gefel ihm gut, und an der und er war ungeheuer Universität begegnete er ernst. Sein Name, Felix Jo- bedeutenden liberalen Per- achimson, war selten im 10 sönlichkeiten. „Berliner Börsen-Kurier“ zu lesen, denn seine char- Felix Raphael Joachimson Felix Jackson (1902–1992) manten Wochenend-Feuil- bezeichnete selbst später Foto: Privatbesitz letons schrieb er unter ei- die Freiburger Studenten- nem Decknamen […] Ihn zeit als die wohl „glücklichsten Jahre seiner umgab immer etwas Geheimnisvolles, und Jugend“. Da das Vermögen seines Vaters niemals hätte ich geglaubt, dass er im Grunde aber von seinen Vormunden ofenkundig seines Herzens ein Revolutionär war, der ei- vor allem in Kriegsanleihen angelegt wor- nes Tages ausbrechen würde. Aber genau das den war, wurden selbige nach Ende des Ers- tat er. Verließ kurz entschlossen seine Stellung 12 ten Weltkriegs wertlos, weshalb Joachimson und schrieb sein erstes Stück. sein Studium vorzeitig abbrechen musste. Bemühungen um eine Anstellung als Diri- Ein erstes Teaterstück zog Joachimson gent am Stadttheater in Lübeck scheiterten, noch selbst zurück, doch bereits sein zweites und so wurde Joachimson zunächst in Ber- Stück „Fünf von der Jazzband“ in der Insze- lin journalistisch tätig. Eine feste Anstel- nierung von Erich Engel feierte am 22. lung fand er beim renommierten „Berliner September 1927 im Staatlichen Schauspiel- Börsen-Courier“, wo er anfänglich allge- haus Berlin seine Premiere und wurde als- meine Stadtnachrichten redigierte. Schon bald ein großer Erfolg. Schnell wurde Joa- bald wechselte er jedoch zum Feuilleton, chimson zu „einem der meist gespielten und was ihm ofenkundig mehr als die Lokalbe- erfolgreichen Dramatiker und Librettisten richterstattung lag. Viele seiner Artikel er- der jüngeren Generation […] Die eigene schienen unter Pseudonym. In dieser Zeit musikalische Begabung und seine von der

2. Jahrgang, Nr. 007 33 Jüdische Filmschaffende aus Hamburg

Kritik gerühmte Fähigkeit, Sprache und verbundenen Kontosperrung Deutschland Dialoge musikalisch-rhythmisch zu glie- noch nicht sofort verlassen, obwohl er die dern, führte ihn zwangsläufg zu Stücken Notwendigkeit dafür durchaus erkannt hat- mit Musik, zur Teaterrevue und zum Ope- te. Weiterarbeiten konnte er nur noch, weil 13 rettenlibretto“ . 1930 wird die von ihm eine Freundin eines Freundes, Barbara verfasste Komödie „Wie werde ich reich Bosch, ihm ihren Namen lieh: Der Regis- und glücklich?“ vom Regisseur Max Reich- seur Erich Legal inszenierte im September mann verflmt. Auch sein Stück „Das häßli- 1933 im Teater in der Stresemannstraße che Mädchen“, das 1933 im Teater in der sein Stück „Ein glückliches Leben“ unter Josefstadt uraufgeführt wurde, wurde – ge- ihrem Namen. nauso wie die „Fünf von der Jazzband“ von Nur wenige Tage vor dieser Premiere der Deutschen Universal Filmgesellschaft – war dann auch endlich „Das häßliche Mäd- erfolgreich für die Leinwand adaptiert. Joa- chen“ im Kino angelaufen – und obwohl chimson selbst blieb aber diesem für ihn weder der Name des Regisseurs, der Wiener neuen Medium zunächst gegenüber reser- Jude Hermann Kosterlitz, noch er selbst als viert, obwohl er doch alle Voraussetzungen Co-Autor des Stücks im Vorspann genannt mitbrachte, um auch als Drehbuchautor er- wurden, war es zu antisemitischen Krawal- folgreich für den Film zu arbeiten. len bei der Premiere gekommen (man Nicht genau überliefert ist, wann er konnte bei genauerem Hinsehen bei der das erste Mal geheiratet hat. Bekannt ist le- Kernaussage des Films, ein Leben auf einer diglich, dass seine erste Ehe mit Ellen Levy Lüge aufzubauen, schon indirekte Paralle- (aus der ein Sohn, Ralph hervorging) in den len zu Hitler und seinem Aufstieg ziehen). 1920er Jahren von relativ kurzer Dauer war Im Oktober 1933 war seine Steuer- und vermutlich schon Anfang der 1930er schuld schließlich beglichen und Joachim- Jahre geschieden wurde. son konnte nach Wien bzw. Budapest ge- Als Mitglied der Deutschen Demo- hen, wobei er in den nächsten Jahren zwi- kratischen Partei war er politisch engagiert schen diesen beiden Städten pendelte. In und verfasste 1932 sogar eine Anti-Na- dieser Zeit begann auch die später überaus zi-Komödie mit dem Titel „Die Opportu- erfolgreiche Zusammenarbeit Felix Joa- nisten“, in der er Hitler als hochstapleri- chimsons mit Regisseur Hermann Koster- schen Schwindler und notorischen Bank- litz und dem Produzenten – rotteur entlarvte. Obwohl sich Gustaf von sechs Drehbüchern, die er schrieb, in- 14 Gründgens für eine Realisierung des Stücks szenierte Kosterlitz immerhin vier. interessiert haben soll, kam es nie zu einer öfentlichen Auführung (für Joachimson Mitte der 1930er Jahre kehrte Felix Joa- die Rettung, weil er sonst unweigerlich in chimson noch einmal kurz nach Deutsch- den Fokus der Nazis gerückt wäre). Die land zurück, um seinem früheren Agenten Machtergreifung der Nationalsozialisten Fritz Goldberg zu helfen. Es muss jedoch am 30. Januar 1933 bedeutete für Joachim- für ihn eine Art von Schockerlebnis gewe- son eine Zäsur; er konnte aber aufgrund ei- sen sein, in Berlin frühere Schauspielkolle- ner Steuerschuld und einer damit gen wiederzutrefen, die nun teilweise in

34 Liskor – Erinnern Uniform herumliefen – und er selbst be- nun „“ nannte), in Empfang fürchtete jede Sekunde eine Verhaftung, die genommen. Seine Freunde hatten einige aber glücklicherweise ausblieb (möglicher- Monate zuvor mit der Musicalkomödie 16 weise auch, weil die NS-Führung so kurz „Drei süße Mädels“ („Tree Smart Girls“) vor dem Olympischen Sommerspielen 1936 einen Überraschungserfolg bei der Univer- kein Aufsehen im Ausland erregen wollte – sal gelandet und damit die erst fünfzehnjäh- Joachimson verarbeitete dieses Trauma spä- rige Kanadierin (bürger- ter in dem im Teatermilieu spielenden Ta- lich: Edna Mae Durbin) zum Shoo- 17 gebuchroman „ Berlin April 1933“, bei dem ting-Star des Studios gemacht. ein Berliner Anwalt feststellen muss, dass er Joachimson lernte bei den Dreharbei- jüdische Vorfahren hat und sich massiver ten zum zweiten Deanna-Durbin-Film Verfolgung in Nazideutschland ausgesetzt „Einhundert Mann und ein Mädchen“ 15 sieht). („One Hundred Men and a Girl“) nicht nur Doch auch in Österreich wurde die den damals berühmten Dirigenten Leopold Lage immer bedrohlicher, ein für Paula Stokowski kennen, der in dem Film sich Wessely geschriebenes Stück, „Frau ohne selbst spielte. Zugleich erhielt er tiefe Ein- Herz“, kam mit der Begründung nicht mehr blicke in den amerikanischen Studiobetrieb zur Auführung, es stamme von einem jüdi- – und war ofenkundig auch sofort von der schen Autor. Und so zögerte er nun nicht jungen Hauptdarstellerin des Films faszi- mehr, als ihn ein Telegramm der amerikani- niert. Zunächst einmal musste er jedoch schen Filmgesellschaft Universal nach Hol- sein Englisch stark verbessern, weshalb er lywood rief. Nach einigen Schwierigkeiten sich fortan weigerte, Deutsch zu sprechen – bei der Einreise in New York (zunächst und er musste seinen Namen amerikanisie- wurde er auf Ellis Island festgehalten, da ren. (Ob, wie die Legende besagt, sein neuer sein Visum nur noch einen Monat statt wie Familienname „Jackson“ wirklich von der vorgeschrieben sechs Monate gültig war), Speisekarte der Studio-Kantine und der kam er am 22. Februar 1937 in Pasadena an dort avancierten „Soupé à la Jackson“ und wurde von seinen Bekannten Joe Pas- stammt, einer simplen Kartofelsuppe, sei 18 ternak und Hermann Kosterlitz (der sich dahingestellt).

Jacksons Romane: „Maestro“ erschien 1957 in London (bald darauf als Taschenbuch in den USA als „A Strange Affair“); „So Help me God“ kam 1956 heraus, kurz darauf als Taschenbuch; „Secrets of the Blood“ erschien 1980 und wurde 1993 in Deutschland unter dem Titel „Berlin April 1933“ veröffentlicht

2. Jahrgang, Nr. 007 35 Der stets als eher zurückhaltend geschilderte Jack son freundete sich bald mit dem amerikanischen Drehbuchautor Bruce Man- ning an. Beide stellten fest, dass sie sich hervorragend er- gänzten, und schrieben fort- an zusammen eine Reihe von Drehbüchern. Ihren ersten großen gemeinsamen Erfolg stellte 1940 das Musical „“ („Frühjahrs- parade“) dar, für den der ebenfalls emigrierte Kompo- nist Robert Stolz einen Wal- zer beisteuerte (wobei dieser ursprünglich bereits für einen Film der Deutschen Univer- sal mit gleichem Titel aus dem Jahre 1934 geschrieben worden war; trotzdem wurde er 1941 für den Oscar nomi- niert) – natürlich spielte auch hier Deanna Durbin die Hauptrolle. Für den Produzenten Pasternak übernahm Jackson auch die Aufgabe, zusammen „Der große Bluff“ wurde am 29.11.1939 in New York mit Gertrude Purcell und uraufgeführt, deutscher Start war der 15.07.1947 Henry Myers für einen Wes- tern mit komödiantischen Zügen, „Der kurz zuvor mit „Mr. Smith geht nach Was- große Bluf“ („“), das hington“ richtig bekannt geworden war) Drehbuch zu schreiben. Es soll vor allem übernahmen die Hauptrollen. Dem noch Jacksons Idee gewesen sein, die gleich- recht jungen und eher schlaksig wirkenden namige Shortstory des -Autors Stewart wurde der Part als Sherif, der ohne Max Brand nur als lose Klammer zu benut- Colt in einem turbulenten Westernstädt- zen, um der Geschichte eigene Akzente chen für Ruhe und Ordnung sorgen muss, aufzusetzen: und James förmlich auf den Leib geschrieben – wäh- Stewart (der bereits in 20 Filmen zumeist rend Marlene Dietrich sich als burschikose kleinere Auftritte gehabt hatte und erst Bardame einen wüsten Frauenringkampf

36 Liskor – Erinnern mit ihrer Kontrahentin Una Merkel im Nach dem Wechsel von Henry Kos- Saloon liefern musste: Eine heftige Aus- ter und Joe Pasternak im Jahre 1941 von der einandersetzung zweier Frauen, von Regis- Universal zur Konkurrenz MGM über- seur George Marshall gekonnt in Szene ge- nahm Jackson von 1943 bis 1948 allein die setzt, war ein Novum im Western. Die Funktion des Produzenten weiterer Dean- Karriere der Dietrich befand sich nach ei- na-Durbin-Filme für das Studio. Am 13. nem Flop gerade an einem Tiefpunkt; sie Juni 1945 heiratete er schließlich in vierter hatte fast zwei Jahre keinen Film mehr ge- Ehe die damals 24-jährige Schauspielerin, dreht. Vor allem die mitreißenden Songs die zuvor von 1941 bis 1943 bereits mit von Friedrich Holländer („Te Boys in the dem Regieassistenten Vaughn Paul liiert ge- Backroom“), einem anderen Exilanten aus wesen war. Die Heirat mit dieser damals Deutschland, und Jacksons ausgefeiltes sehr populären Schauspielerin in Las Vegas 22 Drehbuch sorgten dafür, dass „Der große sorgte in der US-Presse für Schlagzeilen Bluf“ 1939/1940 ein überaus großer und rückte Jackson nun vollends ins Licht Kassen erfolg in den USA wurde. Die Kar- der Öfentlichkeit. riere von Marlene Dietrich bekam dadurch Das von ihm produzierte Wes- neuen Auftrieb. Für das Western-Genre tern-Musical „Das Lied des goldenen Wes- setzte der Film zweifellos neue Maßstäbe, tens“ („Can’t Help Singing“) war der einzi- die in der Folgezeit oft kopiert, aber selten ge Technicolor-Farbflm mit Deanna wieder in dieser Perfektion erreicht wurden. Durbin, foppte jedoch sowohl 1944 in den Auch für Jackson selbst war es ein Film, an USA als auch später (1950) in der synchro- den er sich in späteren Jahren immer gerne nisierten Fassung in Deutschland. Die 19 erinnerte. meisten der fortan von Jackson produzier- Nun war er in Hollywood fest etab- ten Filme fanden erst gar nicht den Weg in liert. Was jedoch seine privaten Beziehun- die deutschen Kinos – ausgenommen die gen in jener Zeit angeht, so liefern die heute Filmkomödie „Die Stubenfee“ („His But- verfügbaren Biografen teilweise wider- ler’s Sister“), die, bereits 1943 gedreht, 1948 23 sprüchliche und vermutlich auch unvoll- auch in Deutschland aufgeführt wurde. So ständige Angaben. Seine wohl Mitte der blieb den deutschen Zuschauern zunächst 1930er Jahre geschlossene zweite Ehe mit auch Jacksons Versuch verborgen, mit dem der ungarischen Schauspielerin Licci/Lizzi vom Exilanten Robert Siodmak 1944 insze- Balla währte nur kurz und wurde bereits nierten Film Noir „Weihnachtsurlaub“ 20 1940 geschieden. Am 13. Dezember 1940 („Christmas Holiday“) seiner Frau Deanna nahm Felix Joachimson, der sich nunmehr einen Wechsel ins dramatische Fach zu er- 24 endgültig Felix Jackson nannte, die ameri- möglichen. kanische Staatsbürgerschaft an. Von 1940 Der Überlieferung zufolge soll die bis 1944 war er dann mit der amerikani- Ehe mit Deanna Durbin bereits 1947, ein schen Schauspielerin und Sängerin Harley Jahr nach der Geburt der gemeinsamen 21 Wood verheiratet; auch aus dieser Ehe sol- Tochter Jessica Louise im Februar 1946, len einigen Quellen zufolge zwei Kinder zerrüttet gewesen sein – Jackson verließ die hervorgegangen sein. gemeinsame Wohnung und ging nach New

2. Jahrgang, Nr. 007 37 Jüdische Filmschaffende aus Hamburg

York. Am 5. Januar 1948 gab der Anwalt jungen Medium, das gerade einmal dabei Elmer Bromley die Trennung des Paares of- war, aus seinen Kinderschuhen zu fziell bekannt (die ofzielle Scheidung er- schlüpfen. folgte allerdings erst am 27. Oktober 1949). Auch privat hatte Jackson nun endlich Dafür, dass die Schauspielerin sich 1948 im sein Glück gefunden: 1955 hatte er durch Alter von nur 27 Jahren endgültig von der seine „Studio One“-Produktion die am 15. Leinwand zurückzog, machte sie später in März 1925 in Wien geborene Schauspiele- 27 Interviews vor allem die mangelhaften Stof- rin Ilka Windish kennengelernt – für sie fe ihrer letzten vier Filme, die Jackson pro- war es die zweite Ehe (sie hatte zunächst 25 duziert hatte, verantwortlich. 1946 den US- Kriegskorrespondenten Jo- Zu ungefähr gleicher Zeit verabschie- seph Israel geheiratet, der 1954 an einem dete sich Jackson auch vom Filmgeschäft Herzanfall starb), für Jackson war es hinge- und wechselte zum Fernsehen. In einem In- gen bereits die fünfte Ehe. Und tatsächlich terview mit dem Journalisten Manfred Ge- hielt diese Beziehung, aus der 1956 ein Sohn orge in der Exilzeitschrift „Aufbau“ legte er namens Lawrence hervorging, dann auch bis 1956 seine Beweggründe dar: zu seinem Lebensende. Zwei Gründe veranlassten mich 1948 aus In den 1950er Jahren erlebte Jackson Hollywood fortzugehen. Ich wollte nicht in in den USA die aufgeheizte Stimmung bei Routine verrosten und ich spürte im Televisi- der Jagd auf vermeintliche Kommunisten in on-Feld viele, bisher ungeahnte Möglichkei- der sogenannten „McCarthy-Ära“ mit. Da ten. […] Nur wenn der Television-Produzent er inzwischen aber nicht mehr so stark im sein Publikum sofort packt – ein Publikum, Fokus des öfentlichen Interesses stand wie das in seinen Neigungen und in seinem Ge- noch zu Zeiten seiner Ehe mit Deanna schmack ungezählte Variationen zeigt, kann Durbin, blieben ihm Vorladungen vor das 26 er auf irgendeinen Erfolg rechnen. berüchtigte „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ des US-Kongresses erspart. Für den Fernsehsender CBS entwickelte er Doch das Schicksal etlicher betrofener 1953 ein neues Format, die „Studio Kollegen aus dem Showbusiness, die teil- One“-Reihe: In den wöchentlich aus- weise mit Arbeitsverbot belegt wurden, be- gestrahlten 60-Minuten-Sendungen wur- rührte ihn tief und inspirierte ihn schließ- den literarische Vorlagen adaptiert. Wieder lich zu einem Roman mit dem Titel „So gelang es ihm, sich als Autor und Produ- Help Me God“, in dem er seine Ideale von zent durchzusetzen – wenngleich in einem einer freien und gerechten Gesellschaft

Original-Titelvorspann für „Der große Bluff“ („Destry Rides Again“) von George Marshall

38 Liskor – Erinnern 28 propagierte. Manfred George schrieb in seinem Porträt im „Aufbau“ über ihn: Er war ein großer Könner und sehr bescheidener Mensch. Er war ein stiller, konzentrierter Arbeiter, ein großer Leser, ein Mann, dem die Ideen zufogen. Er war kein Propagandist für sich selbst. Er blieb fast im- mer im Hintergrund. Seine Arbeit war, was für ihn 29 zählte und zeugte.

Für den Sender ABC pro- duzierte er später u.a. noch die populäre Reihe „Pulit- zer Prize Playhouse“ und wiederum für CBS „Best of Broadway“. Und beim Medium Fernsehen been- dete Jackson im Jahre 1967 schließlich seine berufiche Tätigkeit im Alter von 65 Jahren – immerhin als Vi- Felix Jackson mit seiner vierten Ehefrau, der Sängerin ze-Direktor der „National und Schauspielerin Deanna Durbin (um 1945) – Foto: privat Broadcasting Corporation“ (NBC), einem der ältesten und bis heute Berliner Senats noch einmal Deutschland. größten Fernsehsender der USA, bei dem er Gesundheitlich schwer angeschlagen, muss- seit 1960 für die gesamte Programmgestal- te er sich gleich nach seiner Ankunft in tung des wichtigen Bereichs Westküste ver- Berlin einer Herzoperation unterziehen; die antwortlich zeichnete. geplante Weiterreise in seine Geburtsstadt In den folgenden Jahrzehnten schrieb Hamburg war damit nicht mehr möglich. er weiter Romane und stand als Zeitzeuge Unter ärztlicher Aufsicht kehrte er schließ- noch des Öfteren für Buch- und TV-Doku- lich in die USA zurück, wo er bis zu einem mentationen zur Verfügung – jedoch im- Tod am 4. Dezember 1992 von seiner Frau mer, ohne viel Aufhebens um sich oder sei- Ilka in ihrem Haus in Camarillo/Kaliforni- ne Person zu machen. Erst relativ spät, en gepfegt wurde. Die renommierte „New 1987, besuchte er auf Einladung des York Times“ widmete ihm am 16.

2. Jahrgang, Nr. 007 39 Jüdische Filmschaffende aus Hamburg

Vorspanntitel von „Das Lied des goldenen Westens“ von Frank Ryan 1944 sowie für das „Destry“-Remake aus dem Jahr 1954

30 Dezember 1992 einen längeren Nachruf, Kongresses „Filmautoren im Exil“ zu einer 31 ebenso das Branchenblatt „Variety“. Wiederauführung des unter seiner Mitwir- kung entstandenen Films „Das häßliche Die Herausgabe eines seiner fünf Romane Mädchen“ (1933) im Hamburger Metropo- 32 34 (von denen nur drei veröfentlicht wurden ), lis-Kino. Somit ist Felix Jackson als Autor „Secrets of the Blood“ unter dem Titel und Produzent auch heute nicht gänzlich 35 „Berlin April 1933“ auch in deutscher Spra- vergessen , zumal er im Laufe seines Le- che Anfang 1993, erlebte Felix Jackson per- bens im Bereich des Films und Fernsehens sönlich nicht mehr. Bereits zu Lebzeiten in den USA wichtige Grundlagen gelegt übergab er einen Großteil seines schriftli- und neue Akzente gesetzt hat. chen Nachlasses an die Universität von Wyoming in Laramie/USA. Das Hambur- Für die freundliche Unterstützung dieses ger Zentrum für Filmforschung, der „Cine- Beitrages geht ein herzlicher Dank an Graph“, ehrte ihn im Jahre 1999 mit einem Dr. Helmut G. Asper aus Bielefeld, der sich seit eigenen Eintrag im „Lexikon des deutsch- vielen Jahren intensiv mit Felix Jackson 33 sprachigen Films“ . Im vergangenen Jahr befasst und hoft, einen Verleger für eine Bio- kam es im Rahmen des Cinefest- grafe dieses Filmschafenden zu fnden.

1 Auf die Quellenangaben zu den genealogischen Da- 6 StAHH, 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- ten der Vorfahren von Felix Jackson wird in diesem und Genossenschaftsregister, A 1 Bd. 27, HRA 6667. Beitrag verzichtet. Sie sind in einer Stammtafel ver- 7 Vgl. Nachwort des Filmexperten Helmut G. Asper zeichnet, die Jürgen Sielemann für die Sammlung der zur deutschen Ausgabe von Jacksons Roman „Berlin Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie er- April 1933“, siehe Anm. 15. stellt hat. 8 StAHH, 231-8 Meldewesen, A 30, Einwohnermel- 2 August Schumann, Versuch einer vollständigen, sys- dekartei 1892-1925, Karteiblätter Fanny und Sieg- tematisch geordneten kaufmännischen Waarenkunde. fried Joachimson, Mikroflm K 6320. – Die Firma N. Ersten Teils dritter Band, die Fortsetzung der Waa- Joachimson wurde Anfang November 1914 aufgelöst renkunde der Haare und Federn enthaltend. Zwickau (StAHH, 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Leipzig, S. 155. und Genossenschaftsregister, wie Anm. 6. 3 Schumann (wie Anm. 2), S. 159. 9 StAHH, 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b. 4 Vgl. den Link de.wikipedia.org/wiki/Schreibfeder (auf- 10 Nachwort von Helmut G. Asper zur deutschen Aus- gerufen am 20.8.2017). gabe von Jacksons Roman „ Berlin April 1933“ (siehe 5 Staatsarchiv Hamburg (im Folgenden StAHH), 231- Anm. 15). 3 Handelsregister, A 6 Bd. 24, Nr. 6030. 11 Vgl. Helmut G. Asper, a.a.O. (wie Anm. 10 und 15).

40 Liskor – Erinnern – In der Walter-A.-Behrendsohn-Forschungsstelle dass er schließlich produziert wurde – wobei der un- für deutsche Exilliteratur in der Staats- und Univer- erwartete Erfolg sofort dafür sorgte, dass Koster wei- sitätsbibliothek Hamburg wird auch eine Mappe mit tere Filme mit dem singenden Teenager-Star drehen zeitgenössischen Zeitungsausschnitten verwahrt, die durfte – siehe auch Minute 29:30 bis 31:40 in der von Joachimson verfasst wurden bzw. sich mit seinen Dokumentation „Die Universal-Story, 1. Teil“, Link: Stücken befassen. www.youtube.com/watch?v=ChbmDYMsYxE – aufgeru- 12 Über den Teaterkritiker Joachimson, aus dem bald fen am 20.8.2017). ein Bühnenautor wurde, schrieb wiederum Helmut 18 Diese Info wurde (wie auch einige weitere nachfol- G. Asper einen Aufsatz: „Ein deutscher Dichter gende Fakten) dem Nachwort des Filmexperten Hel- von einst. Felix Joachimson und seine Teaterstücke mut G. Asper zur deutschen Ausgabe von Jacksons 1927-1935, in: Lothar Schirmer (Hrsg.): Aspekte Roman „ Berlin April 1933“ entnommen. im deutschen Teater des 20. Jahrhunderts (=Klei- 19 Dieser Film erschien im März 2014 erstmals als ne Schriften der Gesellschaft für Teatergeschichte, deutsche DVD in einer mehrsprachigen Version bei Heft 47), Berlin 2015, S. 53-78. Koch Media mit einem informativen Booklet. 13 Vgl. Helmut G. Asper, a.a.O. (wie Anm. 10 und 15). 20 Will man den Überblick über die Ehen nicht verlie- 14 Die amerikanische Universal-Filmgesellschaft unter- ren, bietet sich im Internet für prominente Künstler hielt vor der NS-Machtergreifung als einziges großes ein eigenes Portal an (Link: www.famousfix.com/ topic/ US-Studio einen eigenen deutschen Produktions- felix-jackson/dating – aufgerufen am 20.8.2017) zweig, die Firma „Deutsche Universal“. Das Ham- 21 Die Sängerin und Schauspielerin Harley Wood (auch burger Filmforschungszentrum CineGraph hat sich als Jill Jackson Miller bekannt), wurde am 25. Au- 2001 intensiv mit dieser Gesellschaft befasst: „Deut- gust 1913 in Independence/Kalifornien geboren; sie sche Universal: Transatlantische Verleih- und Pro- starb am 2. April 1995 in Honokaa/Hawaii – nach duktionsstrategien eines Hollywoodstudios in den der kurzen Ehe mit Jackson war sie mit dem Musik- 20er und 30er Jahren“ (CineGraph Buch), München: verleger Sy Miller von 1949 bis zu dessen Tod im Au- edition text+kritik, 1. Aufage 2001, 185 S. (ISBN- gust 1971 verheiratet (siehe auch ihre Kurzbiographie 10: 3883776718, ISBN-13: 978-3883776712). – unter dem Link: www.imdb.com/name/nm0939738/bio Viele der für die Firma Deutsche Universal tätigen – aufgerufen am 20.8.2017). Filmschafenden emigrierten wie Jackson nach der 22 Noch heute fnden sich zahlreiche Fotos von Be- Machtergreifung nach Österreich und/oder Ungarn suchen des Paares in damals beliebten Nachtclubs und später in die USA: Helmut G. Asper schrieb wie dem „Chirio“ oder dem „Mocambo“ auf der 2005 die knapp 320-Seiten starke Monographie Fan-Homepage der Schauspielerin im Internet „Filmexilanten im Universal Studio 1933-1960“, (www. deannadurbindevotees.com/t78-felix-jackson – die bei Bertz+Fischer in Berlin herauskam (ISBN aufgerufen am 20.8.2017). Am 14. Juni 1945 erschien 3-86505-163-4) und in der natürlich auch Jackson z.B. in der „Chicago Daily Tribune“ ein Artikel zur vorkommt. Eheschließung, der heute als Faksimile unter dem 15 Jacksons Buch erschien 1993 auch in deutscher Über- Link archives.chicagotribune.com/1945/06/14/page/11/ setzung von Stefan Weidle in dessen Alano-Verlag article/deanna-durbin-weds-producer- felix-jackson (auf- in Aachen; inzwischen nur noch antiquarisch über gerufen am 20.8.2017) zu fnden ist. Amazon oder ZVAB erhältlich. 23 Die deutsche Premiere war am 14. Dezember 1948. 16 Die Filme von Deanna Durbin sind (mit einer Aus- Das deutsche Fernsehen zeigte den Film später unter nahme, siehe Anm. 24) in Deutschland bisher nicht dem Titel „Lied zu verschenken“. auf DVD erhältlich, aber englische und amerikani- 24 Dieser Film wurde dem deutschen Publikum erst- sche Internet-Bestelldienste wie amazon.com oder mals 1976 im 3. WDR-Fernsehprogramm gezeigt amazon.co.uk bieten sowohl diverse Einzeltitel als und erschien in der deutschsynchronisierten Fassung auch „Special Collectors“-Sammeleditionen an. Auf 2013 als DVD bei maritim Pictures/Alive AG. Youtube fnden sich zudem zahlreiche Ausschnitte 25 Diese Infos fnden sich im Internet auf der Fan- aus ihren Filmen, darunter auch viele ihrer Songs. seite von Deanna Durbin unter dem Link: 17 Eigentlich wollte der neue Besitzer des Studios, die www. deannadurbindevotees.com (aufgerufen am Finanzgruppe Standard Capital, die kurz zuvor den 20.8.2017). In ihrem letzten Interview 1983 mit aus Laupheim in Deutschland stammenden Juden dem Filmhistoriker David Shipman bezeichnete und Studiogründer Carl Laemmle nach einem nicht Deanna Durbin die Ehe mit Jackson als „trauma- rechtzeitig zurückgezahlten Kredit abgelöst hatte, tisch“ und bedauerte die Auswirkungen für die ge- diesen „kleinen“ Film gar nicht mehr machen – es meinsame Tochter (javabeanrush.blogspot.de/2010/11/ war nur Kosters striktem Beharren auf den noch mit DeannaDurbinInterview.html – aufgerufen am Laemmle abgeschlossenen Vertrag zu verdanken, 20.8.2017). Sie starb Mitte/Ende April 2013 (das ge-

2. Jahrgang, Nr. 007 41 Jüdische Filmschaffende aus Hamburg

naue Datum ist nicht bekannt) in Neauphle-le-Châ- 32 Vgl. Anm.15; nach wie vor unveröfentlicht sind im- teau/Frankreich. mer noch seine Romane „Rock-a-bye-Lady“ und „Far 26 Das Porträt „Der Mann von Studio One“ von Man- from Where?“. fred George erschien 1956 im Periodikum „Aufbau 33 Der „CineGraph, Lexikon zum deutschsprachigen – an American weekly“ (New York: German-Je- Film“, Lieferungen 1-57 (1984-2017), ist ein Lose- wish-Club). – heute sind die Jahrgänge 1934 bis 2004 blattwerk in mittlerweile 7 Ordnern im DIN-A-5- online im Internet abrufbar unter dem Link: www. Format von mehr als 7000 Seiten Umfang, erschienen dnb.de/DE/DEA/Kataloge/Exilpresse/exilpresse_node. bei der edition text+kritik (München). Die 4-seitige html – aufgerufen am 20.8.2017). Abhandlung über Felix Jackson kam 1999 mit der 27 Ilka Windish, mit vollem bürgerlichen Namen Ilon- Ergänzungslieferung Nr. 32 heraus. ka Katerina Gerta Maria Teresa Windish, starb am 34 Siehe auch den Kongress-Katalog „Gebrochene 28. Juni 1998 in Camarillo/Kalifornien. Genauere Sprache: Filmautoren und Schriftsteller des Exils/ Auskunft über ihr Leben gibt eine Kurzbiografe in Cinefest, XIII. Internationales Festival des Deut- der Internet Movie Data Base unter dem Link www. schen Film-Erbes; 29. Internationaler Filmhistori- imdb.com/name/nm0934732/bio – aufgerufen am scher Kongress – Hrsg.: Hamburgisches Centrum für 20.8.2017). Filmforschung; Redaktion Olaf Brill, Jörg Schöning. 28 Felix Jackson: So help me God (London: Cassell), – München: edition text+kritik im Richard Boorberg 1957, 270 S. (später auch als Bantam-Taschenbuch Verlag, 2016, 162 S. – Anfang November 2017 wer- im Random-House Verlag in den USA erschienen). den die Vorträge des begleitenden wissenschaftlichen 29 Manfred George in „Der Mann von Studio One“ (in: Kongresses unter dem Titel „Ach, sie haben ihre „Aufbau – an American weekly“, 1956, a.a.O). Sprache verloren: Filmautoren im Exil“ (Hrsg. Swen- 30 Der Nachruf ist im Internet abrufbar unter folgen- ja Schiemann, Erika Wottrich, Hans-Michael Bock, dem Link: www.nytimes.com/1992/12/16/ obituaries/ Jan Distelmeyer und Jörg Schöning) im gleichen Ver- felix-jackson-is-dead-film-producer-was-90.html? lag erscheinen. mcubz=1 (aufgerufen am 20.8.2017). 35 Das Standardwerk „Te Motion Picture Guide“ von 31 Der Nachruf ist im Internet abrufbar unter fol- Jan Robert Nash und Stanley Ralph Ross (USA: Chi- gendem Link: variety.com/1992/scene/people-news/ cago, 1987) listet im Index unter Jacksons Namen 19 felix-jackson-101990/ (aufgerufen am 20.8.2017). amerikanische Spielflme zwischen 1938 und 1956 auf, an denen er in irgendeiner Form beteiligt war.

42 Liskor – Erinnern Sylvia Steckmest Familie Lewisohn aus Rendsburg Teil 3

Nachmann Joachim Levy aus Rendsburg, • Isaac (1823 – ?) ging nach Berlin. auch Joachim Rendsburg genannt, war der • Hannchen (1824 – 1885). Ihr Ehemann 1 Ahnherr der Familie Lewisohn. Sein ver- Isaac Wolf Heymann (1818 – 1864), war steuertes Einkommen betrug 1.500 Mark ein Makler in Kopenhagen. Banco. Er starb 1788 als wohlhabender • Louis (1827 – ?) ging nach Australien. Mann. Beerdigt wurde er auf dem Jüdischen • Henriette (1828 – ?) war seit 1851 mit dem Friedhof an der Königstraße in Altona. Sein Juwelier M. Schif verheiratet. Sohn Philipp nahm den Nachnamen Le- • Ranette (1830 – 1877) lebte mit ihrem vysohn bzw. Lewi(n)sohn an. Mann David Abraham David- Zuerst war Philipp Geschäftspartner sohn(1819 – 1872) in Kopenhagen. seines Vaters, später machte er sich selbst- ständig. Während der „Franzosenzeit“ soll er (B) Löb Lion Lewisohn sich als besonders hilfsbereit hervorgetan Löb Lion Lewisohn (auch: Levysohn) wur- haben, indem er 1813 den wegen mangeln- de in Hamburg 1782 oder 83 geboren und der Verproviantierung ausgewiesenen Ham- wie sein Vater zum Kaufmann ausgebildet. burgern half. Philipp Lewisohn war Ge- Er heiratete Sprinze (Fanny) Haarbleicher, meindevorsteher der Hamburger Jüdischen eine Tochter von Raphael Samuel Haarblei- Gemeinde und Vorsteher der Beerdigungs- cher, der 10.000 Mark Banco als Mitgift gesellschaft. Er starb am 23.10.1818 in Ko- gab. Er war mit Sora (Salomon) Goldsmith 2 6 penhagen. Verheiratet war er mit Fanny Sa- aus London verheiratet. Ausgehend von 3 muel. Von ihm sind vier Söhne und eine seiner hohen Steuerzahlung war Löb Lion Tochter bekannt: (A) Joachim Philip, ver- Levysohn ofenbar ein erfolgreicher Kauf- heiratet seit 1820 in zweiter Ehe mit Betty mann. Auch er war Vorsteher einer Beerdi- Moses aus Elmshorn, (B) Löb Lion oder gungsgesellschaft. Er starb mit 58 Jahren Leonhard, (C) Salomon und (D) Isaac, ver- und wurde in Ottensen 1841 begraben. Sei- heiratet mit Hanna Nathanson in Kopen- ne Frau starb 1857. Aus der Ehe gingen 15 hagen, (E) Hannchen. Kinder hervor: • Samuel Lewisohn geb. 1809, wurde eben- (A) Joachim Philip Lewisohn falls zum Kaufmann ausgebildet. Das Ge- Kinder des sehr wohlhabenden Joachim schäft mit Borsten, Posen, Pferdehaaren, 4 Philip Lewisohn (1790 – 1857) waren Bettfedern, Eiderdaunen, Menschenhaa- • Philip (1820 – 1868) verheiratet mit Henri- ren und Straußenfedern lief gut. Er heira- 5 ette Levy. tete Julie (Israel) Nathan aus Braun- • Tochter Friederike (1821 – ?) zog mit ih- schweig. Seine Wohltätigkeit wurde eben- rem Mann Adolph Hirsch nach Stock- so gerühmt wie die seines Vaters. Seine holm. Frau starb 1856 bereits mit 43 Jahren,

2. Jahrgang, Nr. 007 43 Familie Lewisohn aus Rendsburg

daraufhin ging Samuel Lewisohn 1860 • Philip Lewisohn (1819 – 1898) zog eben- eine zweite Ehe mit Pauline Jessel ein. Er falls nach Kopenhagen, wo er als Kauf- selbst starb zum Jahresende 1872 und hin- mann tätig war. Sein Sohn Moritz lebte in terließ ein beachtliches Vermögen. Seine London, musste von dort in die Irrenan- Frau erbte 80.000 Mark Banco. Die meis- stalt Friedrichsberg eingeliefert werden. Er ten Kinder erhielten je 32.000 Mark Ban- war zunächst ein erfolgreicher Kaufmann, co. Charlotte von Embden, als ehemalige der mit der Firma De Beer (Diamanten- Gesellschafterin seiner Schwiegermutter, minenbesitzer) zusammenarbeitete. Auch erbte 250 Courant Mark jährlich als Ren- investierte er in amerikanische Eisenbah- 7 te. Beide Eheleute sind in Ottensen bei- nen. Moritz Lewisohn war von einer gesetzt. Sie hatten fünf Kinder; aus Samu- fürchterlichen Baisse an der Londoner els erster Ehe gab es bereits sieben Kinder. Börse betrofen, unter der 1881 auch gute Das „Samuel-Lewisohn-Stift“ wurde 1890 Papiere zu leiden hatten und im Kurs fe- von seinen Kindern zu Ehren des Vaters len. Die Ursache seiner psychischen Prob- 8 am Kleinen Schäferkamp 32 errichtet. leme sind möglicherweise hier zu fnden, • Samuels Bruder Neuman Joachim wurde auch wenn in Hamburg von einem Kenner 1811 geboren und heiratete dreimal: zuerst namens Rocamora gesagt wurde, dass Mo- Dina Magnus, dann Terese Lipmann und ritz Lewisohns Papiere durchaus solide 12 zuletzt 1843 Helena Getting aus Wands- seien und wieder steigen würden. bek. Es gab wohl acht Kinder aus dritter • Schwester Ranette (1823 – 1888) heiratete Ehe. Der Vater hatte ein Geschäft für Ma- in London einen Bankier mit Namen nufakturwaren. Martin Levin. In zweiter Ehe ehelichte sie • Sally Lewisohn, geboren 1812, heiratete Paul Adolph Oppenheim, einen Maler. 1843 Hannchen Schloss aus Frankfurt. Als • Carl, geboren 1826, ging als Kaufmann er 1896 seinen letzten Willen nieder- nach Berlin. schrieb, schuldete ihm die Firma F. Le- • Joseph, geboren 1827, wurde Lotteriekol- wisohn in Berlin eine enorme Geldsumme. lekteur in Hamburg. Er hatte sich dort mit einer Einlage von Die übrigen Kinder dürften früh gestorben 15.000 Mark Banco beteiligt. Diese Be- sein, nicht alle Namen sind bekannt. träge seien einzufordern, schrieb er im Tes- 9 tament. Auch an einer Londoner Firma In der folgenden Generation fnden sich war er beteiligt. Er wohnte am Jungfern- Kaufeute in Hamburg, Leipzig, London stieg 19. Seine Söhne Raphael und Léon und New York. Raphael, der Sohn von lebten zum Zeitpunkt seines Todes 1896 Sally (1854 – ?), ging ebenfalls nach New 10 in New York. York, sein Bruder Léon (1849 – ?) zog nach • Isaac, geboren 1816, zog nach Berlin, sein London, zwei Töchter heirateten nach Bruder Moritz nach Kopenhagen. Beide Frankfurt. bekamen Probleme, weil sie während ihrer Besonders bemerkenswert ist Adolph Aufenthalte in London den Militärdienst Lewisohn, geb. 1849, ein Sohn von Samuel versäumt hatten und dafür zu einer Ge- Lewisohn, der ebenfalls nach New York 11 fängnisstrafe verurteilt wurden. reiste, wo zuvor schon seine Brüder Julius

44 Liskor – Erinnern und Leonhard eingetrofen waren. Über den zurückkehrte, blieben Adolph und Leon- erfolgreichen Geschäftsmann Adolph Le- hard in New York. Zunächst waren sie im wisohn berichtet das umfangreiche Buch Metier des Vaters tätig, doch bald schon im 13 von Henning Albrecht sowie die Veröf- Handel mit Blei und Silber, dann stiegen sie fentlichung von Renate Hausschild-Ties- in weiser Voraussicht auf die Zukunft der sen in den Geschichts- und Heimatblät- Elektrotechnik ins Kupfergeschäft ein und 14 tern. Während Julius bald nach Hamburg wurden damit sehr reich.

1 Liskor – Erinnern, Nr. 6. Hamburg 2017, S. 19. 8 Siehe dazu Renate Hausschild-Tiessen, Adolph Le- 2 Julius Margolinsky, Jodsiske Dodsfald i Danmark wisohn (1849 – 1938), seine Familie und seine Stif- 1693 – 1976. Kopenhagen 1978, S. 118. tungen. In: Hamburgische Geschichts- und Heimat- 3 Stammtafel von Alfonso Cassuto, S. 1 – 3 (Stammta- blätter, Bd. 15, Heft 10. Oktober 2008, S. 233 – 241. felsammlung in der Hamburger Gesellschaft für jüdi- 9 StAHbg, 232-3 Testamentsbehörden, H 17369. sche Genealogie e.V.). 10 StAHbg, wie Anm. 9. 4 Staatsarchiv Hamburg (StAHbg) 232-3 Testaments- 11 StAHbg, 131-1 I Senatskanzlei, 33 L 318. behörden, H 1201. 12 StAHbg, 231-1 Kuratelen, 3244. 5 StAHbg, 232-3 Testamentsbehörden, H 2659. 13 Henning Albrecht, Adolph Lewisohn, Kupfermagnat 6 Nachkommen der Glikl von Hameln. im „Goldenen Zeitalter“. Hamburg 2013. 7 StAHbg, 232-3 Testamentsbehörden, H 4010. 14 Renate Hauschild-Tiessen, wie Anm. 8.

Jürgen Sielemann Neues aus unserer Bibliothek

Frauke Steinhäuser, Ulrike Sparr, Stolper- Schöpfer der „Stolpersteine“, ein Bericht steine in Hamburg, Grindel II. Grindelal- von Frauke Steinhäuser zur Geschichte des lee, Grindelberg, Grindelweg. Biographi- Grindelgebiets und eine Darstellung von sche Spurensuche. Landeszentrale für Jost von Maydell über den Aufstieg der NS- politische Bildung Hamburg. DAP in Rotherbaum und Har- ISBN: 978-3-946246-09-1. vestehude. Einen guten Über- Hamburg 2017, 443 S. Erhält- blick über die damalige und heu- lich in der Landeszentrale für tige Topographie bietet eine Kar- politische Bildung, Dammtorstr. te des zentralen Grindelgebiets. 14, 20354 Hamburg, zum Preis Auch dieser 18. Band der Reihe von 3,00 Euro. „Stolpersteine in Hamburg“ be- Der reich bebilderte Band ent- wahrt die Erinnerung an zahlrei- hält 128 Beiträge von 54 Auto- che Hamburgerinnen und Ham- ren zum Schicksal von 259 Per- burger - zum ehrenden Geden- sonen. Vorangestellt sind neben anderem ken an die Opfer und zur ewigen Schande ein Interview mit Gunter Demnig, dem ihrer nationalsozialistischen Verfolger.

2. Jahrgang, Nr. 007 45 Neues aus unserer Bibliothek

Sylvia Steckmest, Salomon Heine. Bankier, Mäzen und Menschenfreund. Die Biogra- phie eines großen Hamburgers. Verlag: Die Hanse. ISBN: 978-3-86393-077-6. Ham- burg 2017, 443 S., Preis: 28,00 Euro.

Was ist an diesem schön gestalteten Buch am meisten zu loben? Ist es die angenehme Lesbarkeit? Sind es die vielen neuen Fakten, die Sylvia Steckmest Die Ausstellung „Wo man Bücher ver- dank ihrer unermüdli- brennt“ wurde erstmals 2013 in der Staats- chen Archiv- und Lite- und Universitätsbibliothek - Carl von Os- raturrecherchen zutage sietzky gezeigt und 2015 im Audimax der förderte? Sind es die vie- Universität Hamburg präsentiert. Jetzt sind len farbigen Abbildun- die Bild- und Texttafeln in einem aufwen- gen? Der reiche Bankier dig gestalteten Buch erschienen. Es umfasst Salomon Heine (1767- 21 Biographien von Hamburger Autorin- 1844) ist als Wohltäter, nen und Autoren, die in der NS-Zeit ver- der unter anderem das folgt, verdrängt oder ermordet wurden - an- Israelitische Kranken- gereichert durch acht Grußworte, ein Lite- haus in Hamburg stifte- raturverzeichnis und Presseberichte über te, die Stadt nach dem Großen Brand von die Ausstellung. Der quadratische Pracht- 1842 vor dem Ruin rettete, nicht zuletzt band im Format 28,5 x 28,5 cm bringt über aber auch als Förderer seines Nefen Hein- zwei Kilogramm auf die Waage. Gewürdigt rich Heine in die Geschichte eingegangen. werden folgende Persönlichkeiten: Walter Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, A. Berendsohn (1884-1984), Grete Berges eine Zeittafel und Stammtafeln sind dem (1895-1957), Max Ludwig Berges (1899- Buch beigegeben. In ihrer Schilderung des 1973), Philipp Berges (1863-1938), Joseph Lebens der Hauptperson entführt uns Syl- Carlebach (1883-1942), Alice Ekert-Ro- via Steckmest auf unterhaltsame Weise in tholz (1900-1995), Kurt Enoch (1895- die Hamburger Welt der ersten Hälfte des 1982), Adolf Goetz (1876-1944), Max Hal- 19. Jahrhunderts. berstadt (1882-1940), Käte Hamburger (1896-1992), Iwan Heilbut (1898-1972), Uwe Franzen, Wilfried Weinke, „Wo man Bernhard Karlsberg (1899-1985), Cheskel Bücher verbrennt...“. Verbrannte Bücher, Zwi Kloetzel (1891-1951), Heinz Liepma- verbannte und ermordete Autoren nn (1905-1966), Jakob Loewenberg (1856- Hamburgs. Erschienen im Selbstverlag. 1929), Carl von Ossietzky (1889-1938), ISBN: 978-3-00-056388-1. Hamburg Hans A. Reyersbach (1898-1977), Arthur 2017, 378 S., Preis: 29,80 Euro. Sakheim (1884-1931), Justin Steinfeld Bestellung über die Webseite (1886-1970), Margarete Susman (1911- www.buecherverbrennung-hamburg.de 1984), Rolf Tietgens (1911-1984).

46 Liskor – Erinnern Inserate aus den Hamburger Jüdischen Nachrichten Nr. 6, 1. Jahrgang, vom 10. 12. 1913

2. Jahrgang, Nr. 007 47 Liskor – Erinnern nr. 007

Inhalt

Impressum / Editorial 2

Jürgen Sielemann Aus der Geschichte der Familie Lassally in Hamburg 3

Volker Reissmann Jüdische Filmschafende aus Hamburg Teil 1: Felix Jackson 31

Sylvia Steckmest Familie Lewisohn aus Rendsburg 43

Jürgen Sielemann Neues aus unserer Bibliothek 45