DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit „Eine europäische Odyssee der 1930er Jahre. Das Filmschaffen Hermann Kosterlitz‘ von 1933 bis 1936“

Verfasser Patrick Zwerger, BA

angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag.phil.)

Wien, 2015

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317 Studienrichtung lt. Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Büttner, M.A.

Inhaltsverzeichnis

1 EINE FILMWISSENSCHFILMWISSENSCHAFTLICHEAFTLICHE ODYSSEE ...... 555

1.1 Aufbrechen ...... 5

1.2 Identität und Alterität ...... 9

1.3 Orte und Räume ...... 10

1.4 Eine biographische Spurensuche ...... 12

2 EINE EUROPÄISCHE OODYSSEEDYSSEE ...... 171717

2.1 Berlin ...... 17 2.1.1 Erste Schritte ...... 17 2.1.2 Drehbuchautor Kosterlitz ...... 19 2.1.3 Regisseur Kosterlitz ...... 23 2.1.4 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand ...... 24

2.2 Paris ...... 27 2.2.1 Neubeginn ...... 27 2.2.2 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand ...... 28

2.3 und Wien ...... 32 2.3.1 Filmemachen an der Donau ...... 32 2.3.2 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand ...... 34

2.4 Amsterdam ...... 38

2.5 Hollywood ...... 41 2.5.1 Aufbruch zu neuen Ufern ...... 41 2.5.2 The American Dream ...... 42

3 LEBENSRAUM FILMEXIFILMEXILLLL ...... 444444

3.1 Der Tonfilm ...... 44

3.2 Der unerwünschte Jude ...... 46 3.2.1 Goebbels Rede im Kaiserhof ...... 46 3.2.2 Veränderungen in der deutschen Filmindustrie ...... 48 3.2.3 Kosterlitz und die deutschsprachige Filmemigration ...... 50

3.3 Der unerwünschte Deutsche ...... 57 3.3.1 Filmexil Frankreich ...... 57 3.3.2 Transnationaler Wettstreit ...... 59 3.3.3 Französische Identitätssuche ...... 60 3.3.4 Paris als Warteraum ...... 65

3.4 Das unerwünschte Kino ...... 67 3.4.1 Die österreichische Filmwirtschaft ...... 67 3.4.2 Deutsch-österreichische Filmbeziehungen ...... 68

3.4.3 Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich ...... 71 3.4.4 und die Universal ...... 73 3.4.5 Der Niedergang der unabhängigen Spielfilmproduktion in Österreich...... 76

4 HERMANN KOSTERLITZKOSTERLITZ‘‘ FILMISCHE WELTEN ...... 797979

4.1 Der Kosterlitz-Touch...... 79

4.2 Die musikalische Depressionskomödie ...... 82 4.2.1 Kosterlitz und die Musik ...... 82 4.2.2 Kosterlitz und die Depression ...... 84 4.2.3 Kosterlitz und die Komödie ...... 85

4.3 Figuren ...... 88 4.3.1 Der Tramp ...... 88 4.3.2 Die Screwballs ...... 89 4.3.3 Der Mann ...... 90 4.3.4 Die Frau ...... 94 4.3.5 Das Paar ...... 96

4.4 Filmische Orte und Räume ...... 100 4.4.1 Die Orte ...... 100 4.4.2 Die Räume ...... 103

4.5 Anpassen, Ausbrechen und Eindringen ...... 109 4.5.1 Katharina - die Angepasste ...... 110 4.5.2 Rebellische Mutti ...... 113 4.5.3 Das schöne Mädchen ...... 115 4.5.4 Eva und Peter ...... 118

4.6 Schein und Sein ...... 122 4.6.1 Peter - der Falschspieler ...... 122 4.6.2 Scheinwelt Savoy...... 125 4.6.3 Täuschung der Geliebten ...... 127

5 LEBENSRÄUME IM DIADIALOGLOGLOGLOG ...... 129129129

6 QUELLENVERZEICHNIS ...... 134134134

6.1 Bibliographie ...... 134

6.2 Filmographie ...... 140

7 ABSTRACT ...... 144144144

8 CURRICULUM VITAE ...... 145145145

1 Eine filmwissenschaftliche Odyssee

1.1 Aufbrechen

„I became a successful comedy director with my first few pictures, and just when I had finished a rather successful picture, THE UGLY DUCKLING, Hitler came to power. I never saw the preview or the opening. I had to leave the country, and I thought a door had been slammed in my face – that just after becoming the success I always wanted to be, I couldn’t go on working.“1 Viele Jahre und eine Namensänderung später zog sich Hermann Kosterlitz alias im Jahr 1966 als der „kommerziell erfolgreichste Hollywood-Regisseur der deutschen Filmemigration“ 2 ins Privatleben zurück. Seine über 40 in Hollywood gedrehten Filme wurden ganze 48 Mal für einen Academy Award nominiert und konnten fünf Mal einen der begehrten Preise gewinnen. 3 Kosters 4 Worte „it turned out to be the best thing that ever happened to me, because I finally came to America, and my life became much better than it had ever been“ 5, lassen die eingangs erwähnten Ereignisse in neuem Licht erscheinen. Doch bevor der jüdische Regisseur 1936 den Sprung über den großen Teich wagte, verweilte er rund drei Jahre in Europa. Deutschland ließ er – vom Aufkommen des Nationalsozialismus angetrieben – am 05. April 19336 hinter sich. Die Nationalsozialisten hatten zu diesem Zeitpunkt die deutsche Filmpolitik bereits fest in ihrer Hand (siehe 3.2): Als der eingangs erwähnte Film mit dem deutschen Titel DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN am 08. September 7 desselben Jahres seine Premiere feierte, tauchte der Name Hasse Preiss im Vorspann an jener Stelle auf, an der eigentlich „Regie: Hermann Kosterlitz“ stehen sollte.

1 Koster, Henry/Irene Kahn Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, A Directors Guild of America Oral History Nr. 7, Metuchen/New York/London: Scarecrow 1987, S. 34. 2 Asper, Helmut G.: „Etwas Besseres als den Tod...“. Filmexil in Hollywood. Porträts, Filme, Dokumente , Marburg: Schüren 2002, S. 78. 3 Vgl. „Henry Koster“, IMDb. Internet Movie Data Base , http://www.imdb.com/name/nm0467396/reference, Zugriff: 08.03.2015. 4 Der Name Koster wird in weiterer Folge für sämtliche Ereignisse, Zitate und Interviews nach 1936, also ab dem Zeitpunkt der Namensänderung, verwendet. 5 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 34. 6 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 32. 7 Vgl. Hobsch: Film im „Dritten Reich“, Band 2, S. 442.

[5] Paris, Budapest, Wien und Amsterdam hießen die Stationen seiner „europäischen Odyssee“. Die aus der griechischen Mythologie entnommene Bezeichnung ist insofern zutreffend, da sie eine „lange Irrfahrt“ sowie eine „lange, mit vielen Schwierigkeiten verbundene, abenteuerliche Reise“ 8 beschreibt. Wie auch in der mythologischen Odyssee, „fuhr“ (oder „driftete“) Kosterlitz verschiedene Stationen an – jede von ihnen barg eine neue Herausforderung, jede zeichnete sich durch andere Produktions- und Lebensbedingungen aus, die es zu meistern galt. Erfolg war ebenso sein Begleiter, wie der Begriff des „Unerwünscht-seins“. Aber nicht immer steckten antisemitische Tendenzen dahinter. Denn während ihm in Deutschland noch der Stempel „jüdischer Regisseur“ aufgedrückt wurde (3.2), stand seine Zeit in Paris unter völlig anderen Vorzeichen (3.3). Hier sah er sich aufgrund der Tatsache, dass er ein „deutscher Regisseur“ war, mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. Ein absurder Widerspruch, der die politische Umgebung, in der sich Kosterlitz bewegte, charakterisiert. In Wien und Budapest wurde Kosterlitz letztendlich als „jüdischer Regisseur aus Deutschland“ gesehen, der Teil eines sogenannten „Unerwünschten Kinos“ war (2.5). Im Gegensatz zur griechischen Odyssee steht jedoch keine Heimkehr am Ende der Erzählung. Vielmehr ist es der Aufbruch in ein – für die damaligen Filmemacher – „gelobtes Land“ namens Hollywood. Obwohl Kosterlitz seine neue „Heimat“ in höchsten Tönen lobt, darf nicht übersehen werden, dass er anfangs auch dort „unerwünscht“ war (3.5). Auch wenn es auf den ersten Blick gegenteilig scheinen mag, war der Weg Hermann Kosterlitz‘ durch Europa und letztendlich in die USA kein Zufall, sondern Ergebnis von gesellschaftlichen Entwicklungen und innereuropäischen Verknüpfungen. So waren es etwa die deutsch-französischen Filmbeziehungen, die Paris für deutsche Emigranten wie Kosterlitz so interessant machten. Sein Weg in die Donaumetropolen Budapest und Wien, war ebenso Resultat von Bekanntschaften, wie jener nach Amsterdam und sein Aufbruch in die USA. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Weg von Hermann Kosterlitz durch Europa sowie seinen filmischen Werdegang nachzuverfolgen und länderübergreifende filmische Prozesse sichtbar zu machen. Stilistische und narrative Entwicklungen entlang der transnationalen Bewegung stehen ebenso im Mittelpunkt wie die Analyse der

8 Duden.de , http://www.duden.de/rechtschreibung/Odyssee, Zugriff: 17.03.2015.

[6] ästhetischen Spezifik von Kosterlitz und die seinen Filmen gesellschaftspolitisch zukommende Bedeutung. Den Rahmen für dieses Vorhaben bilden über drei Jahre europäische Filmgeschichte sowie europäische Film- und Kulturpolitik. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und deren Einflussnahme auf die deutsche Filmindustrie spielt dabei genauso eine Rolle, wie Paris als „Warteraum“ für emigrierte Filmschaffende. Die Etablierung einer von Deutschland unabhängigen Spielfilmproduktion in Ungarn, Tschechien und im austrofaschistischen Österreich ebenso, wie der Aufbau einer Tonfilmproduktion in Holland an der vor allem Migranten beteiligt waren. Gleichfalls zeitspezifische Phänomene wie das Aufkommen des Tonfilms und dadurch veränderte Produktionsbedingungen sowie das stets präsente „Filmexil Hollywood“. Somit wird auch die erforderliche Anpassungsfähigkeit an nationale Begebenheiten der emigrierten Filmschaffenden gezeigt. Kosterlitz‘ Weg kreuzte natürlich auch jenen zahlreicher filmgeschichtlich bedeutender Persönlichkeiten: Kurt Bernhardt, Erich Engel oder Luis Trenker in Deutschland, Robert Siodmak und Jacques Tourneur in Paris sowie jenen von Joe Pasternak, Felix Joachimson, Felix Bressart, Otto Wallburg, Hans Jaray und Franziska Gaal in Österreich und Ungarn. Die zeitliche Begrenzung der Arbeit geht mit der Zeit von Kosterlitz‘ „europäischem Exil“ einher. Dennoch ist es notwendig, über die beiden einschneidenden Jahre 1933 und 1936 hinaus zu blicken. Erstens, um die Ereignisse, Entwicklungen und Verwirrungen dieser drei Jahre besser greifen zu können. Und zweitens, da Kosterlitz vor allem in Hinsicht auf die erst nach 1936 stattfindende filmwissenschaftliche und historische Aufarbeitung seines Schaffens und seiner Umwelt, Bedeutung zukommt. Die Quellenlage zu einzelnen Ereignissen und Filmen sowie eine Analyse der vorhandenen Forschungsliteratur stellen daher einen zentralen Bestandteil der Recherche dar. Es handelt sich um das Sichtbar-machen von Prozessen, in denen sich das „reale“ Leben und Schaffen Hermann Kosterlitz‘ mit dem nachträglich Geschriebenen verband und zur Herausbildung dessen führte, was Thomas Elsaesser als „Historisch Imaginäres“ bezeichnet. 9

9 Elsaesser, Thomas: Das Weimarer Kino – aufgeklärt und doppelbödig , Berlin: Vorwerk 8 1999, S. 321- 323.

[7] Dabei soll Filmexilforschung so betrieben werden, wie es Elsaesser fordert. Seine Kritik richtet sich an die in der Filmwissenschaft immer wieder auftauchende Behandlung der deutschen Filmexilanten und –Exilantinnen als homogene Gruppe. Vielmehr kann jedoch jeder einzelne Emigrant und jede einzelne Emigrantin eine eigene Geschichte erzählen. Exil, so Elsaesser, ist stets eine persönliche Tragödie und jeder Emigrant beziehungsweise jede Emigrantin ist Teil zahlreicher Geschichten, die man nicht in Zahlen fassen kann. 10 In Bezug auf den Weg nach Hollywood schreibt er: "Anstatt die emigrierten Filmschaffenden sämtlich unter der allgemeinen Kategorie des Exils zu subsumieren, wären in jedem einzelnen Fall die Umstände zu recherchieren, die einen europäischen Regisseur nach Amerika brachten. Das ist nicht nur Voraussetzung seriöser historischer Forschung, sondern meiner Ansicht nach auch eine Geste des Respekts gegenüber jedem einzelnen Schicksal, das andernfalls im Dunkeln bleibt, zugedeckt wird und für die Geschichtswissenschaft verloren ist. Denn in jedem einzelnen Fall lassen sich konkrete Gründe finden, die ein sehr differenziertes und historisch instruktives Bild ergeben.“ 11 All das soll dazu beitragen den oft übersehenen Hermann Kosterlitz sichtbar zu machen, ihm eine Geschichte zu geben und biografische Fehler - zumindest teilweise - zu korrigieren. Oder in anderen Worten: Hermann Kosterlitz soll aus der von Zeitgenossen, Politik, (Film-)Wissenschaft und Geschichtsschreibung konstruierten Gruppe jüdischer Filmexilanten herausgelöst werden und als Individuum in Erscheinung treten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Überschneidung von Kosterlitz‘ „realer“ Umgebung und seinen filmischen Welten. Elsaesser erwähnt - wieder in Bezug auf Hollywood -, dass die „Emigranten „ihre“ Geschichte immer wieder verhandelten – entweder als Film noir oder als musikalische Komödie.“ 12 „Gerade weil die bewegten Bilder sich als zweite Welt über die gelebten Lebensschicksale legen und […] quer zur Zeit stehen, ist die Weimarer Filmgeschichte eine, die auch hier nicht zu einem Abschluß kommen kann,“ 13 schreibt Elsaesser an anderer Stelle. Diese ständige Neuverhandlung der eigenen Geschichte mit Hilfe einer künstlerischen Tätigkeit lässt sich auch anhand der europäischen Filme von Hermann Kosterlitz erkennen, dessen persönliche Geschichte stets eng mit den konstruierten Realitäten seines Schaffens verbunden ist. „Unerwünscht-sein“ und „Fremd-sein“ spiegeln sich in seinem filmischen Oeuvre wider,

10 Vgl. Elsaesser, Thomas: „Pathos and Leave-taking. The German Émigrés in Paris During the 1930s“, Sight and Sound 53:4, Autumn 1984, S. 279. 11 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 314. 12 Ebd. S. 315. 13 Ebd.S. 323.

[8] was die Wechselbeziehung zwischen außerdiegetischer und diegetischer Lebenswelt in den Mittelpunkt rückt. Filmische Identitätswechsel werden zum Symbol der Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg. Das Motiv der Exklusion kann wiederum mit dem Ausschluss der Juden aus der deutschen Gesellschaft gleichgesetzt werden. Identität, Wege, Orte und Räume werden in diesem Prozess zu zentralen Begriffen.

1.2 Identität und Alterität

„Identität erweist sich […] als Fähigkeit, sich immer wieder von anderen Menschen zu unterscheiden (Individualität) und dabei über die Zeit (Kontinuität) und verschiedene Situationen (Konsistenz) hinweg – auch für die Umwelt erkennbar – dieselbe Person zu bleiben“ 14 Dabei unterscheidet man zwischen individueller und kollektiver Identität. Während die individuelle Identität eine einzelne Person betrifft, bezieht sich die kollektive Identität auf einen bestimmten sozialen Raum wie zum Beispiel Familie, Stadt, Staat oder Kontinent. Kollektive Identität entsteht durch den gedanklichen Rückbezug einer Gruppe auf sich selbst. Gemeinsame Mythen, Rituale, Bräuche, Erinnerungen und Wertvorstellungen entscheiden darüber, wer Mitglied in der Gruppe ist und wer nicht. 15 Hermann Kosterlitz ist somit ein Individuum, das sich auch als solches wahrnimmt (=individuelle Identität). Seine Selbstwahrnehmung entsteht durch sein Handeln, seine Selbstreflexion über sein eigenes Handeln und vor allem durch die Reaktionen seiner Mitmenschen auf seine Taten. Gleiches gilt natürlich für die von ihm erschaffenen Figuren. So gibt es zum Beispiel das von Franziska Gaal gespielte Mädchen Marie Bonnard, das in KLEINE MUTTI 16 ein Baby vor einem Krankenhaus findet und es im Anschluss mehr oder weniger gezwungenermaßen selbst erziehen muss. Sie wird in die Rolle einer Mutter gedrängt, trifft Entscheidungen, vollzieht Handlungen und erntet Reaktionen ihrer Umwelt auf ihre Handlungen, wodurch sich ihre individuelle Identität formt. Wie jedes Individuum ist auch jede Gruppe darin bestrebt, sich nach außen abzugrenzen um sich der eigenen Identität bewusst zu werden und um diese zu stärken. Identität steht also in einer ständigen Wechselbeziehung mit Alterität, also dem Fremden. Das

14 Landwehr, Achim/Stockhorst Stefanie: Einführung in die europäische Kulturgeschichte , Wien/München/Paderborn: Schöningh 2004, S.194. 15 Vgl. Landwehr/Stockhorst: Einführung in die europäische Kulturgeschichte , S. 195-200. 16 Kleine Mutti , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1935.

[9] Verhältnis zwischen Identität und Alterität vermittelt sich vor allem über Selbst- und Fremdbilder. Diese Fremdbilder müssen nicht unbedingt der Realität entsprechen oder sich an tatsächlichen Begebenheiten und Ereignissen orientieren. Vielmehr setzen sich diese aus Interessenslagen, Vorurteilen und Ängsten zusammen, die durch die Begegnung mit Fremdem entstehen. Meist hängen diese Bilder auch mit den Inhalten, die über die Medien, nicht zuletzt durch Filme, vermittelt werden zusammen. Damit wird deutlich, dass Fremdbeschreibungen, also die Auseinandersetzung mit dem Anderen, immer zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Selbst ist, weil das Fremde als Fremdes in ein bestimmtes Verhältnis zum Eigenen gesetzt wird. Dies gilt sowohl für die individuelle als auch für die kollektive Identität. Nach außen erfolgt also die Stärkung der kollektiven Identität durch die Abgrenzung von Nicht-Mitgliedern des Kollektivs. 17

1.3 Orte und Räume

Orte eignen sich wie kaum eine andere Instanz, um Geschichten von Inklusion und Exklusion zu erzählen. 18 Daher sind sie auch ein wichtiger Bestandteil in der Konstruktion von Identität und Alterität. In den Kosterlitz-Filmen sagen die Räume in denen sich die Figuren bewegen (oder sich nicht bewegen) viel über den sozialen und gesellschaftlichen Status ebendieser aus – natürlich lässt sich selbiges auch über Kosterlitz „reale“ Lebenswelt sagen. Ein Ort ist „eine benennbare Stelle oder ein Platz, ein fest durch Koordinaten bestimmbarer Punkt, [...] eine geografische Markierung.“ 19 Um die Möglichkeit auszuschließen, dass sich zwei Dinge an derselben Stelle befinden können, ist der Ort eine „Ordnung (egal, welcher Art), nach der Elemente in Koexistenzbeziehungen aufgeteilt werden.“ 20 De Certeau zufolge ist ein Raum hingegen „ein Geflecht von beweglichen Elementen“ und somit „ein Resultat von Aktivitäten“. 21

17 Vgl. Landwehr/Stockhorst: Einführung in die europäische Kulturgeschichte , S. 194-197. 18 Vgl. Schwarzenegger, Christian: „Das 'Verräumen’ der Orte. Konsum Dritter Orte als Ikonophagie“, Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus , Hg. Kai- Uwe Hellmann/Guido Zurstiege, Wiesbaden: VS 2008, S. 152. 19 Löw, Martina: Raumsoziologie , Frankfurt/M.: 2001, S. 198, zitiert in: Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 142. 20 De Certeau, Michel: „Praktiken im Raum“, Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften , Hg. Jörg Dünne/Günzel, Stephan, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 345. 21 De Certeau: „Praktiken im Raum“, S. 345.

[10] Im Gegensatz zu Orten muss Raum „also erst geschaffen werden, er ist nicht einfach vorhanden, er existiert nicht ohne den Vollzug menschlicher Handlungen.“ 22 „Räume besitzen somit keine Bedeutung, weil Bedeutungsvolles erst durch gesellschaftliche Prozesse der Bedeutungszuschreibung entsteht, die kommunikativ ausgehandelt und erlernt werden müssen.“ 23 Raum ist somit „ein Ort, mit dem man etwas macht.“ 24 In Hinblick auf Kosterlitz‘ Odyssee können Berlin, Paris, Budapest, Wien oder Amsterdam als Orte bezeichnet werden. Zugleich sind diese Orte auch Teil von Räumen und können selbst zahlreiche Räume in sich beherbergen. In ihnen und durch sie (hindurch) bewegen sich Individuen, wie Kosterlitz, wodurch durch die Bewegung Räume ständig neu geschaffen und verhandelt werden. „Jede Gesellschaft [...] produziert einen ihr eigenen Raum.“ 25 Produktion des Raumes wird aber auch durch Erzählungen und das Reden über den Raum verursacht.26 Das funktioniert auf zahlreichen Ebenen: Dinge und Figuren im Raum erzählen ihre eigenen Geschichten und sprechen über den Raum, indem sie ihn gleichzeitig hervorbringen und durch ihn hervorgebracht werden. Andererseits spricht auch der Raum selbst über sich und erzählt von seinen Werten, seiner Geschichte und seiner Vergangenheit. Nach Foucault entstehen somit erst jene Diskurse, welche die Verteilung von Wissen und Machtverhältnissen bestimmen. 27 „Die Beobachtung von Räumen, von dem , was sie mit Bildern, mit Kommunikationsinhalten machen, und von dem, was die Kommunikation mit Räumen macht, […] eröffnet eine Reihe von neuen bzw. anderen Zusammenhängen, Blickwinkeln und Ausgangspunkten […] des Verhältnisses von Kommunikation, Konsum und Konstruktion von Individual- wie Gruppenidentitäten.“28 Solche Aushandlungsprozesse begleiten Kosterlitz ebenso auf seiner Odyssee, wie die Konstruktion von Eigen- und Fremdbildern sowie Mechanismen der Inklusion und Exklusion - sowohl auf diegetischer, als auch außerdiegetischer Ebene.

22 Läpple, Dieter: „Essay über den Raum. Für ein gesellschaftswissenschaftliches Raumkonzept“, Stadt und Raum . Hg. Hartmut Häußermann, Pfaffenweiler: 1991, S. 157-207, zitiert in: Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 143. 23 Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 143. 24 De Certeau: „Praktiken im Raum“, S. 345. 25 Lefebvre: „Die Produktion des Raums“, S. 330-331. 26 Vgl. Lefebvre, Henri: „Die Produktion des Raums“, Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften , Hg. Jörg Dünne/Günzel, Stephan, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 334. 27 Vgl. Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 144. 28 Ebd. „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 154.

[11] 1.4 Eine biographische Spurensuche

Die Quellenlage zu Hermann Kosterlitz‘ Leben und Schaffen vor 1936 gestaltet sich recht spärlich. Dass Hermann Kosterlitz im am Beginn der Arbeit stehenden Zitat die Jahre 1934 und 1935 überspringt, als wären sie nicht existent, scheint geradezu typisch. Denn diesem Lebensabschnitt wurde auch in der Forschungsliteratur bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In dieser Hinsicht gestaltet sich die Aufarbeitung von Kosterlitz‘ „europäischer Odyssee“ zu einer „filmwissenschaftlichen Odyssee“. Die wohl erste Kurzbiografie über den Regisseur und Drehbuchautor stammt vom deutschen Journalisten Paul Marcus, der unter dem Kürzel Pem bekannt wurde. Seine 1939 erschienene Publikation Strangers Everywhere 29 zählt zu den „ersten Darstellungen der Theater- und Filmemigration.“ 30 Der sich mit Kosterlitz befassende Teil wirft aber zugleich ein weiteres Problem bei der Aufarbeitung von dessen Biographie auf, da man bei dieser häufig auf falsche Angaben und Lücken stößt. 31 Dies „dürfte darauf zurückzuführen sein, daß der Emigrant Pem ohne Dokumente arbeiten mußte und sich an Details offenbar nicht genau erinnerte“,32 wie Marta Mierendorff anmerkt. Ihre in Deutsche Exilliteratur seit 1933 erschienene Koster-Kurzbiographie von 1976 wurde vielfach zitiert und zählt – in Bezug auf Kosterlitz‘ Zeit in Europa – zu den ersten Auseinandersetzungen mit dem deutschen Regisseur. Jedoch finden sich auch bei Mierendorff einige Fehler und Ungereimtheiten. Zudem fehlt oft die Angabe von Quellen. So ist etwa zu lesen: „Den Abschluß seiner Tätigkeit in Berlin bildete der Ufa-Film DAS HÄßLICHE MÄDCHEN. Diesmal war Felix Joachimson Regisseur. Das Manuskript stammte von Koster und Geza von Czifra.“ 33 Wie eingangs erwähnt, führte bei DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN jedoch eindeutig Kosterlitz selbst Regie. Felix Joachimson war hingegen der Autor des gleichnamigen Bühnenstücks, auf dem der Film basiert und verfasste gemeinsam mit Kosterlitz das Drehbuch. Geza von Czifra arbeitete als Regieassistent. 34 Ein weiteres Beispiel für die Übernahme und

29 Marcus, Paul (Pem): Strangers Everywhere , London: John Lane 1939. 30 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 69. 31 Vgl. Mierendorff, Marta: „Henry Koster“, Deutsche Exilliteratur seit 1933. Band 1 Kalifornien. Teil 1 , Hg. John Spalek/Joseph Strelka, Bern/München: Francke 1976, S. 774. 32 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 774. 33 Ebd. S. 775. 34 Hobsch: Film im „Dritten Reich , Band 3, S. 442

[12] Verbreitung fehlerhafter Angaben befindet sich in Maria Hilchenbachs Publikation Kino im Exil aus dem Jahr 1982: „KOSTERLITZ, Hermann (Henry Koster, 1.5.1905 Berlin) Autor und Regisseur Ehemals Journalist, dann Drehbuchautor bei Ufa und Terra Emigration 1933 nach Italien, Frankreich, Holland, 1936 in die USA (Ankunft in Hollywood 26.1.1936) Filme im Exil: IL DIARO DI UNA DONNA AMATA (Italien) 1934, NUITS MOSCOVITES 1934, L’OR DANS LA RUE 1934 (Frankreich), KRIBBE-BIJTER (Holland) 1935“ 35 Diese Angaben sind in mehrerer Hinsicht falsch und irreführend. Die Stationen Budapest und Wien, wo die wohl bedeutendsten Exilfilme des Regisseurs entstanden, fehlen gänzlich und den Aufenthalt in Italien gab es nie. Denn bei IL DIARO DI UNA DONNA AMATA 36 handelt es sich um eine in den Tobis-Sascha -Ateliers in Wien hergestellte italienische Sprachversion der österreichisch-italienischen Koproduktion TAGEBUCH DER GELIEBTEN 37,38 . Zudem nennt Kosterlitz, der darüber hinaus nie als Journalist tätig war, den 15. Februar 1936 als Tag, an dem er in New York ankam. Hollywood erreichte Kosterlitz schließlich am vierten März. Am nächsten Tag wurde er im Büro von Universal - Chef Carl Laemmle empfangen. „These are all such impressive events for me that I never forget the dates”, sagte Koster. 39 Fehler wie diese verdeutlichen, dass die Biographie von Hermann Kosterlitz erst im Laufe der Zeit besser aufgearbeitet wurde. Einen wichtigen Beitrag leistete ein Interview, das Irene Kahn Atkins im Jahr 1987 mit Henry Koster führte. Auffallend: Im Interview wird ausführlich auf Kosterlitz‘ Jugendjahre und seine Tätigkeit als Drehbuchautor im Weimarer Kino eingegangen. Die Stationen Paris, Wien, Budapest und Amsterdam werden allerdings sowohl von Atkins als auch von Koster nur kurz angesprochen. Ein weiteres Interview führte Jan-Christopher Horak im Jahr 1975. 40 Dieses ist in Hinsicht auf die europäische Schaffensperiode nicht weniger wichtig, wird in der Literatur aber weitaus seltener beachtet. Obwohl besagte Interviews die vielleicht wichtigsten Quellen

35 Hilchenbach, Maria: Kino im Exil. Die Emigration deutscher Filmkünstler 1933-1945 , München: K.G. Saur 1982 (=Kommunikation und Politik Band 14), S. 245. 36 Il diario di una donna amata , Regie: Hermann Kosterlitz, Italien/Österreich 1935. 37 Tagebuch der Geliebten , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich/Italien 1935. 38 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino, S. 192. 39 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 43-45. 40 Vgl. Horak, Jan-Christopher: „Henry Koster Interview (1975)”, Middle European Émigrés in Hollywood (1933-1945) , (=American Film Institute Oral History), veröffentlicht auf academia.edu , https://www.academia.edu/6726072/Henry_Koster_Interview_1975_, Zugriff: 17.03.1015.

[13] in Bezug auf Kosterlitz‘ Leben und Schaffen vor 1936 darstellen, ist zu beachten, dass es sich um „oral history“ handelt. 41 „I’m trying to get the continuity of all these different films“, sagte Atkins einmal. Koster entgegnete: “I am, too. You’re asking me about a hundred years ago here.” Zwar war das Jahr 1929, um das es an dieser Stelle ging, erst 58 und nicht hundert Jahre her, dennoch ist zu beachten, dass Koster sämtliche Ereignisse aus seiner Erinnerung abrief. Auffallend sind in diesem Zusammenhang einige Divergenzen zwischen den 1975 und 1987 geführten Interviews. So kann es vorkommen, dass Koster gleiche Ereignisse auf stark unterschiedliche Art und Weise erzählte - etwa die Geschichte, warum und wie es ihn nach Budapest verschlagen hat (2.3.1). In der neueren Forschung taucht Hermann Kosterlitz häufig in den Publikationen von Helmut G. Asper und Armin Loacker auf. Während Asper etwa in Bezug auf das „Filmexil Hollywood“ sowie die Geschichte der Universal Kosterlitz‘ Schaffensperiode zwischen 1933 und 1936 streifte, bezieht sich Loackers Auseinandersetzung auf das österreichische Kino der 1930er Jahre. Auch diese beiden Filmwissenschaftler greifen – neben selbst geführten, aber nie als Ganzes veröffentlichten Interviews – häufig auf die genannten Primärquellen zurück. Während seiner europäischen Karriere war Kosterlitz sowohl als Drehbuchautor, als auch als Regisseur tätig. Bei der biographischen Aufarbeitung stellt sich die Frage des Stellenwerts eines einzelnen Werks im Oeuvre des Künstlers. Dabei ist es durchaus schwierig „festzustellen, wer an einem Erfolg größeren Anteil hatte: der Filmschriftsteller oder der Regisseur“? 42 Zu dieser Problematik äußerte sich auch Produzent und Kosterlitz-Weggefährte Joe Pasternak in Zusammenhang mit Kosterlitz‘ Schreibtalent: „One of the first things I learned in Berlin is that a movie maker is only as good as the talent he surrounds himself with. The central one, the heart of the film matter, is the writer. A good director can do wonders with an inadequate script; but no one can make a good picture out of a bad script. […] It was natural for me to base my operation on writers” 43

41 Um das zeitliche Auseinanderdriften zwischen den Ereignissen der 1930er Jahre und den 1975 beziehungsweise 1987 geführten Interviews immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, wird bei den aus Interviews zitierten Passagen der Name Koster und nicht Kosterlitz verwendet. 42 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 772. 43 Pasternak, Joe/David Chandler: Easy the Hard Way. The Autobiography of Joe Pasternak , New York: G. P. Putnam’s Sons 1956, S. 119.

[14] Eine weitere Schwierigkeit ist die Frage, welchen Anteil Kosterlitz am Drehbuch hatte. Denn es ist ein Unterschied, ob er „nur“ die Dialoge verfasste, oder die komplette Geschichte entwarf. Ob er für das Manuskript verantwortlich zeichnete oder einem Autor eine Idee lieferte. In einem 1939 von Koster verfassten Zeitungsartikel ist Folgendes über seine Einstellung zu adaptierten Stoffen zu lesen: „Die wichtigste Voraussetzung eines guten Films ist sein Manuskript. Grundsätzlich drehe ich nur Originalmanuskripte, keine Verfilmung von Romanen oder Theaterstücken. Namentlich das letztere halte ich für besonders verfehlt. Das Theaterstück ist ebenso dramatisch, wie der Film episch, Theater wendet sich an das Ohr des Publikums und der Film an das Auge. Ein Dialog auf der Leinwand ist nur dann gut, wenn man ihn weglassen kann und die Szene trotzdem verständlich bleibt. Wird die Handlung durch den Dialog weitergeführt (wie das auf der Bühne der Fall ist), so ist er schlecht. […] Der Schauspieler kommt im Film (ebenfalls im Gegensatz zum Theater) erst an zweiter Stelle.“ 44 Diese Aussage ist insofern interessant, da der Regisseur und Autor vor seiner Emigration in die USA vermehrt bereits vorhandene Stoffe fürs Kino adaptierte. Unter Berücksichtigung dieser Punkte ist es sinnvoll, die Filme an denen Kosterlitz mitwirkte, als Ganzes zu analysieren und keinen Unterschied zwischen den Tätigkeitsfeldern zu machen. Denn eines ist auffällig: Egal, ob Kosterlitz ein fremdes Drehbuch verfilmte, oder für jemanden ein Drehbuch schrieb beziehungsweise „nur“ das Manuskript für eine bereits bestehende Geschichte erstellte, wie er es etwa für die Operette BALL IM SAVOY 45 getan hat: Es gibt Themen, Gesellschaftsbilder und vor allem Figuren, die sich wie ein roter Faden durch viele seiner Projekte ziehen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass dies jene Punkte sind, die Kosterlitz als Künstler interessierten. Denn immerhin hat er sich die Mitarbeit an den Projekten (meist) ausgesucht, oder wurde von Produzenten wie Joe Pasternak kontaktiert, wenn diese das Gefühl hatten, einen geeigneten Stoff für Kosterlitz zu haben. Dennoch sind in Hinblick auf Kosterlitz‘ Filmschaffen die in Budapest und Wien hergestellten Filme – gemeinsam mit DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN - die wohl repräsentativsten. Denn neben seiner Tätigkeit als Regisseur, war er zumeist auch am Drehbuch beteiligt – sogar wenn er nicht als Autor genannt wird. Dem entspricht auch eine – wohl in Bezug auf Hollywood geschriebene – Passage in Deutsche Exilliteratur seit 1933: Koster hat

44 Koster, Henry: „Arbeit in Hollywood“, Aufbau , Nr. 23, 8.12.1939; abgedruckt in: Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 84-85. 45 Ball im Savoy , Regie: Stefan Székely, Ungarn 1935.

[15] „an den Drehbüchern der von ihm hergestellten Filme häufig durch Anregungen, Verbesserungen und Änderungen mitgearbeitet. Diese Arbeit an den Drehbüchern schien ihm nicht wichtig genug, um als Mitarbeiter an ihnen genannt werden zu wollen.“ 46 So sagte Koster über KLEINE MUTTI: „It was originally written by and me.“ Über den Schreibprozess von TAGEBUCH DER GELIEBTEN berichtete Koster: „I wrote it together with Felix Jackson, and I directed it. […] That picture was a love story about Guy the Maupassant, the French writer. It was released here [in den USA] under the title THE AFFAIRS OF MAUPASSANT. Maria Bashkirtseff was a famous painter, and there was a mysterious relationship between her and de Maupassant. Since very little was known about the facts – only that she died when she was very young, of T.B. – we made a story out of it, just before they got together and she died.“ 47 Dies unterstreicht zudem, dass sich Kosterlitz Bücher meist sehr von Originalvorlagen unterscheiden. So etwa auch FÜNF VON DER JAZZBAND 48,49 oder der von ihm adaptierte BALL IM SAVOY, der mit der gleichnamigen Operette nicht mehr viel gemein hat. 50 Die Tatsache, dass Kosterlitz bei einigen Filmen, an denen er offensichtlich beteiligt war, gar nicht - oder wie im Fall von DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN unter einem Pseudonym - im Vorspann genannt wird, erschwert die biographische Aufarbeitung. Auch, wenn diese Sichtweise vielleicht auf einige Kosterlitz-Filme zutrifft, so ist etw Auf die Quellenlage zu den einzelnen Produktionen soll in den die einzelnen Stationen behandelnden Kapiteln eingegangen werden.

46 Spalek, John M./Joseph Strelka (Hg.): Deutsche Exilliteratur seit 1933. Band 1 Kalifornien. Teil 2: Bibliographien und quellenkundliche Berichte , Bern/München: Francke 1976, S. 71. 47 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 36. 48 Fünf von der Jazzband , Regie: Erich Engel, Deutschland 1932. 49 Vgl. Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 107. 50 Vgl. Grünwald, Alfred/Fritz Löhner: Ball im Savoy. Operette in drei Akten. Textbuch der Gesänge , Basel: Doremi Musikverlag 1932.

[16] 2 Eine europäische Odyssee

2.1 Berlin

2.1.1 Erste Schritte

Hermann Kosterlitz wurde am 01. Mai 1905 in Berlin geboren und „entstammt einer bürgerlichen deutsch-jüdischen Familie“. 51 Sein Vater war Geschäftsmann „but a showman“, wie Atkins schreibt. Stets hatte er einen Zaubertrick auf Lager. Seine Mutter war Pianistin und Opernliebhaberin. 52 „That’s what I tried to be: a showman with music“ 53 , erzählte Koster. Einer Anekdote von Kosterlitz‘ Sohn, Robert Koster, zufolge, begleitete die Mutter Stummfilme am Klavier. Da es keine Kinderbetreuungsplätz gab, nahm sie den kleinen Hermann bereits im Alter von vier Jahren regelmäßig mit ins Kino.54 Die Eltern ließen sich früh scheiden. 55 Im Alter von fünfzehn Jahren bekam der offenbar talentierte Maler Hermann Kosterlitz ein Stipendium auf der Staatlichen Kunsthochschule in Berlin, wo er Modellzeichnen im Abendunterricht erlernte. Eigentlich wollte Kosterlitz Musik studieren, was aufgrund seiner musikalischen Familie naheliegend war - sein Großvater war Opernsänger. Daraus wurde jedoch – auch da Geld für ein Klavier fehlte – nichts. Auf der renommierten Reimann-Schule lernte er Gebrauchsgraphik und Buchstabenmalerei. 56 Seine berufliche Karriere begann Kosterlitz in den 1920ern als Karikaturen-Porträtist für Zeitschriften. „I wanted to be a painter or a writer“ 57 , sagte er selbst. 1922 war er als Illustrator für Kinderbücher und Kindermagazine tätig. So zum Beispiel für das viel gelesene Der Heitere Fridolin . In diesem Jahr begann er auch „Reportagen und Kurzgeschichten für Ullstein und Scherl unter dem Pseudonym Herkos zu schreiben.“ 58 Bei Mierendorff findet man folgenden Eintrag, wie er zum Kino kam: „Seine Ideen oder ‚Eindrücke‘ nahm er, wie später in Hollywood, ‚von der Straße‘. Seine Begabung für feinen, liebenswürdigen Humor fiel früh auf. Da er sich nicht vom Schreiben

51 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 772. 52 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 1 53 Ebd. S. 7. 54 Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005. 55 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 1. 56 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 772. 57 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 105. 58 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 772.

[17] ernähren konnte und immer wieder karge Zeiten kamen, suchte er Nebenbeschäftigung in der Kinobranche.“ 59 Ob die hier gezogenen Zusammenhänge und die Erwähnung des außergewöhnlichen frühen Talents Kosterlitz‘ der Wahrheit entsprechen, kann jedoch nur vermutet werden. Sein erster Job in der Kinobranche war es schließlich, Entwürfe für sogenannte „Stille Bilder“ zu zeichnen. Dabei handelte es sich um Kinoreklame, die in den Pausen auf die Leinwand projiziert wurde. 60 Kosterlitz: „But my main interest was motion pictures, and the best thing I could do was apply for a job as an animated cartoonist. In a very primitive way, they had animated cartoons in at the time, and I got a job to draw commercials. […] I didn’t seem to have much of a future, because nobody paid any attention to them anyway. So I thought I’d do something about that, and put some laughs, put some gags into them, and made them a little funnier.” 61 Ergänzende Angaben sind bei Mierendorff zu finden. Wieder ist dieser märchenhaft erzählte Eintrag sehr von Kosterlitz‘ Talent begeistert und es fehlen jegliche Quellenangaben: „Als ihn jemand fragte, ob er nicht Bewegungs-Reklame produzieren könne, sagte er nicht nein (Koster sagte immer ja, wenn etwas von ihm verlangt wurde, was er noch nicht konnte), sondern bat die Berliner Trickfilm-Firma Jäger um Erlaubnis, bei der Produktion zuschauen zu dürfen. Bald darauf gelang es ihm, seine Buchstaben-Reklame beweglich zu machen und Zeichnungen einzubeziehen, doch der Arbeitsaufwand war groß. In jeder Woche konnte er nur eine Zeichnung herstellen. […] Möglicherweise führten ihn seine Kurzgeschichten zu eigenen Ideen im Werbefilm. Schreibtalent und Begabung für die Darstellung des Visuellen bildeten bei ihm eine Einheit. Im frühen Werbefilm wollte er nicht nur anpreisen, sondern gleichzeitig Unterhaltung bieten, wobei er mit humorvollen Überraschungseffekten arbeitete. Im Grunde produzierte er das, was heute in den USA unter ‚commercials‘ verstanden wird, wobei es ihm allerdings darauf ankam, von einer kleinen ‚Geschichte‘ als Basis auszugehen.“ 62 Nach eigenen Angaben wurden Kosterlitz‘ Reklame 1924 von einem deutschen Regisseur gesehen, der ihn daraufhin als Gag-Autor engagierte 63 : „So I wrote some gags for him, and then I tried my hand on a real motion picture script back in 1924. And I sold it and never painted again.” 64

59 Ebd.S. 772. 60 Vgl. Ebd.S. 772. 61 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 105. 62 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 772, 773. 63 Vgl. Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 105. 64 Ebd. S. 105.

[18] 2.1.2 Drehbuchautor Kosterlitz

Nachdem Hermann Kosterlitz als Autor und „gag-man“ bei der Firma Bruno Rahn , Erfahrungen gesammelt hatte, schrieb er ohne Auftrag und auf eigene Faust sein erstes Filmmanuskript. Der Titel lautet passenderweise DIE GROSSE GELEGENHEIT 65 . Nachdem Kosterlitz das Buch mehreren Produktionsfirmen angeboten hatte, wurde es von Hirschel-Sofar Berlin für 2000 Mark gekauft und verfilmt. 66 „It wasn’t great, but at least it reached the screen“ 67 , sagte Kosterlitz Jahre später über sein Manuskript. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierte sich Kosterlitz auf seine Karriere als Drehbuchautor. Und das mit großem Erfolg. John Joseph, ein Mitarbeiter bei Universal , der eine der ersten Biographien zu Hermann Kosterlitz erstellte, schrieb: „Bald hatte er einen so guten Namen als Filmschriftsteller, daß er in Verträgen das Recht verankern konnte, den Dreharbeiten beizuwohnen, wobei er viel über Produktionen lernte.“ 68 Laut Mierendorff schrieb Kosterlitz bis 1933 51 Drehbücher für die Ufa , Terra und Aafa . Zudem war er für Ufa und Terra auch als künstlerischer Berater tätig. 69 Da diese Zahl aber bereits aus dem Jahr 1976 stammt, darf sie angezweifelt werden. Kosterlitz über diesen Lebensabschnitt: „I began to have a regular income in 1924, ’25, when I was twenty. I became a screenwriter, and by the time it was 1926 I became a better known screenwriter. From 1926 to 1929 I wrote a great number of screenplays, alone and in collaboration with other writers.” 70 Ein Autor, der mit Kosterlitz häufig zusammen arbeitete, war Hans Wilhelm. 71 Mierendorff zufolge kaufte sich der aufstrebende Hermann Kosterlitz während dieser Zeit auch eine eigene „Kamera, die ausreichte, Tagesereignisse zu drehen“ und verkaufte seine Filme in Paris und Berlin. 72 1925 traf Kosterlitz den Regisseur Kurt Bernhardt, was seiner Karriere großen Auftrieb geben sollte: „We met each other and we both were nothing, really just starting the business. […] We became a team. I wrote almost all of his scripts for the next six years.” 73 „I was well paid. Besides, he always wanted me on the set in case he wanted to change something on the

65 Die große Gelegenheit , Regie: Lorand von Kabdebo, Deutschland 1925. 66 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773. 67 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 1. 68 Joseph, John: Universal Studios , 31. Oktober 1940, zitiert in: Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773. 69 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773. 70 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 16. 71 Ebd. S. 16. 72 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773. 73 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 19.

[19] scene. So I was his assistant, his Künstlerischerhelfer. […] Sometimes I even directed for him and I wanted to become a director myself.” 74 “Wherever he was working, I was working. That was part of his contract.” 75 Diese Verknüpfung von Schreiben und Drehpraxis galt als typisch für junge Filmemacher seiner Generation. 76 Zwei in dieser Zusammenarbeit entstandene Werke sind DIE LETZTE KOMPANIE 77 sowie DER REBELL 78 . Beide zeichnen sich durch ihren ambivalenten Status in der Filmgeschichte aus. Denn die unter jüdischer Beteiligung entstandenen Filme fanden auch bei den Nationalsozialisten großen Anklang. In seiner Rede im Kaiserhof (3.2.1.) nennt Goebbels DER REBELL sogar als Beispiel für einen im nationalsozialistischen Sinne besonders gelungenen deutschen Film: „Schließlich gibt es einen Film, der auch den Nichtnationalsozialisten umwerfen könnte: DER REBELL. An diesem Beispiel erkennt man, daß eben allein die Gesinnung den Film nicht macht, sondern das große Können. Es kommt nicht darauf an, daß man einen Film machen kann — die innere Größe der Gesinnung muß mit den äußeren Mitteln übereinstimmen. Dann kann der deutsche Film eine Weltmacht werden, deren Grenze heute noch ganz unvorstellbar ist. Die verwaschenen und gestaltlosen Filme können sich auch in der Welt nicht durchsetzen. Je schärfer völkische Konturen ein Film aufweist, desto größer sind die Möglichkeiten, die Welt zu erobern. Bei den gefährlichen Auswirkungen des Films hat der Staat die Pflicht, regulierend einzugreifen.“ 79 Auch DIE LETZTE KOMPANIE erfreute sich beim späteren Propagandaminister größter Beliebtheit und galt als gelungenes Beispiel „deutscher Filmkunst“. Pem schreibt über dieses Nationalepos: „DIE LETZTE KOMPANIE machte eine seltsame Karriere. Dieser hervorragende Film von Kurt Bernhardt, der danach in London arbeitete […], wurde von den Nazis für Propagandazwecke ausgewählt. Dr. Goebbels […] führte diesen Film anläßlich eines Treffens von Nationalsozialisten mit Reden vor, in denen er erklärte, es handele sich bei diesem Film um einen Vorläufer des Dritten Reiches. Das Werk von drei Juden als Nazi- Propaganda! Welch ein Hintertreppenwitz der Film-, wenn nicht gar der Weltgeschichte.“ 80 Doch „weder dem Regisseur noch dem Komödien-Autor Koster lag das historische Stück“ 81 und so wandte sich Kosterlitz vermehrt komödiantischen Stoffen zu: „Then in 1928 really my life started, because I wrote suddenly comedies. I wrote for Anny Ondra, the woman I told you about. Oh, I wrote another one: TAGEBUCH DER KOKOTTE

74 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 105, 106. 75 Ebd. S. 106. 76 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773. 77 Die letzte Kompanie , Regie: Kurt Bernhardt, Deutschland 1930. 78 Der Rebell , Regie: Kurt Bernhardt/Luis Trenker/Edwin H. Knopf, Deutschland 1932. 79 „Die Goebbels-Rede im Kaiserhof am 28.3.1933“, Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation , Hg. Gerd Albrecht, Karlsruhe: Doku-Verlag 1979, veröffentlicht auf: filmportal.de , http://www.filmportal.de/material/die-goebbels-rede-im-kaiserhof-am-2831933, Zugriff: 18.03.2015. 80 Pem: Strangers Everywhere , S. 281, 282, zitiert in: Mierendorff: „Henry Koster“, S. 773, 774. 81 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 774.

[20] (DIARY OF A PROSTITUTE). […] A lot of movies I wrote were for Bernhardt. But then I got a leave of absence from him, and wrote for my own income.” 82 Viele dieser Komödien entstanden in Zusammenarbeit mit Regisseur Karel Lamac (Carl Lamac) und der Schauspielerin Anny Ondra: „Our [Anm. Kosterlitz und Wilhelm] big success came when we got acquainted with a Czech actress, Anny Ondra. At that time, her first husband, Karel Lamac, was a director, and he liked our scripts. We wrote four or five of her stories. They became quite successful as comedies.” 83 Auch im französischen Exil sollten sich die Wege von Ondra, Lamac und Kosterlitz wieder kreuzen. FÜNF VON DER JAZZBAND war ein weiterer wichtiger Einschnitt in Kosterlitz‘ Karriere. Im Rahmen dieser Produktion machte er die Bekanntschaft mit drei Persönlichkeiten, die einen erheblichen Einfluss auf seine Philosophie Filme zu drehen und seinen weiteren Lebensweg haben sollten – nicht zuletzt auch auf die Zeit zwischen 1933 und 1936. Bei den genannten Personen handelt es sich um Regisseur Erich Engel, Produzent Joe Pasternak sowie Autor Felix Joachimson. „Erich Engel was one of the great stage directors, but he had never tackled a motion picture“ 84 , sagte Koster über den Grund, warum Engel seine Hilfe benötigte. „So from then on I was a director“, erzählte er weiter und verlegte im selben Satz die Produktionszeit von FÜNF VON DER JAZZBAND ins Jahr 1930.85 Genau genommen war er jedoch nur Regieassistent („second director“ 86 ), wie er auch selbst an anderer Stelle betonte: „FIVE IN A JAZZ BAND […] was one I wrote. It was based on a play by Felix Jackson. The man who was supposed to direct it was […] Erich Engel. I was signed up to co-direct with him. I had to help with the camera angles and the cuts and the technique of making motion pictures. That is really where I started half-directing. I did the technical part of directing, and he did the acting directing.“ 87 „He wanted me to be on the set with him to help him technically how to shoot it. So I learned a lot from him about guiding actors, and he learned everything from me about where to put the camera and when to make a close- up.” 88 Die zweite wichtige Bekanntschaft, die Kosterlitz bei den Dreharbeiten machte, war jene mit Produzent und Chef der europäischen Universal , Joe Pasternak. Koster:

82 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 22. 83 Ebd. S. S16. 84 Ebd. S. 29. 85 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 30. 86 Vgl. Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 107. 87 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 29. 88 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 107.

[21] „Well, he [Anm. Pasternak] saw me help Mr. Engel on the set, and I did practically the whole of the technical work and sometimes even directed a few little scenes.” 89 „He watched on the stage when we shot, and after the third day’s shooting he took me in a corner, and he said, ‚Listen, I watched you do that. The next director I’m going to sign up, that’s you, because you know so much about it, and I like your way of handling the actors. I’d like you to do one of my pictures.‘“ 90 Über diese erste Begegnung und weitere Zusammenarbeit schrieb auch Pasternak in seiner Biographie Easy the hard way : „It was natural for me to base my operation on writers. Thus I met a young man, tall, delicate-nosed, and wearing, as he does today, spectacles. His experience was limited, but Henry Koster impressed me at once as a real talent. He had the quality of enthusiasm, as well as an ability to blend character and plot in the telling of his stories. He worked for me frequently and when I saw that his real interest lay in directing, I gave him a chance to direct. I am taking no bows, for Koster’s talent would have been discovered by someone else, if not by me. His genius is his own and he need be grateful to no one for it. But I’m glad to have been there at the beginning of the career of the director of THE ROBE, not to mention the first pictures which we made together in Hollywood.” 91 Auch in der Presse erregte Kosterlitz‘ Arbeit erstmals große Aufmerksamkeit: „Erich Engel steht als akustischer Regisseur in der ersten Reihe. Dramaturgisch hat er es verstanden, mit dem sehr begabten und witzigen Manuskriptschreiber Hermann Kosterlitz die hübsche Geschichte von den FÜNF VON DER JAZZBAND geschlossener durchzuführen als das Lustspieloriginal [Theaterstück von Felix Joachimson, 1927 am Deutschen Theater uraufgeführt. Der Verf.] … Der Film war ein ungewöhnlicher Erfolg.“ 92 „Bevor Pasternak dazu kam, ihm eine Regie anzuvertrauen, mußte dieser nach Hollywood zurück.“ 93 Doch ihre Wege sollten sich noch einmal kreuzen. Das Trio Kosterlitz, Pasternak und Joachimson arbeitete in den nächsten Jahren noch gemeinsam an zahlreichen Projekten. So etwa bei den europäischen Exilfilmen PETER 94 , KLEINE MUTTI, sowie KATHARINA - DIE LETZTE. 95 Aber auch in Hollywood: 96 , GROW UP 97 sowie 98 sind nur einige Beispiele der erfolgreichen Zusammenarbeit. Joachimson schrieb zudem die Bücher beziehungsweise lieferte die Vorlagen zu DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN und TAGEBUCH DER GELIEBTEN,

89 Ebd. S. 108. 90 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 29. 91 Pasternak/Chandler: Easy the Hard Way , S. 120. 92 Ihering, Herbert/Karin Herbst-Meßlinger : „ Erich Engels neuer Tonfilm (13. April 1932)“, Herbert Ihering. Filmkritiker. Mit Kritiken und Aufsätzen von Herbert Ihering , München: Text + Kritik, S. 169, zitiert in: Mierendorff: „Henry Koster“, S. 774. 93 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 774. 94 Peter (Das Mädchen von der Tankstelle) , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich/Ungarn 1934. 95 Katharina - die Letzte , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1936. 96 The Rage of Paris , Regie: Henry Koster, USA 1938. 97 Three Smart Girls Grow Up , Regie: Henry Koster, USA 1939. 98 Spring Parade , Regie: Henry Koster, USA 1940.

[22] während Pasternak und Koster etwa ihren ersten großen Erfolg in Hollywood, THREE SMART GIRLS 99 , gemeinsam drehten.

2.1.3 Regisseur Kosterlitz

Auch ohne Hilfe von Pasternak schaffte Kosterlitz den Sprung auf den Regiestuhl. Sein Debütfilm hieß DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND 100 . Als alternative Titel sind DAS ABENTEUER EINER SCHÖNEN FRAU sowie AUS DEM TAGEBUCH EINER SCHÖNEN FRAU zu finden. Der Film war ein „enthusiastischer Erfolg“ 101 : „Der Filmkritikerin Lotte H. Eisner gefällt Kosterlitz‘ ‚schwerelose, auf Dialogmomente bedachte Regie‘, sie streicht, wie er ‚das Optische auf[spürt], das leise Nachschwingen von Stimmungen‘ heraus und lobt seinen Umgang mit dem Ton, ‚die subtile Wortführung‘, in der ‚jede Wendung […] ihr Eigengewicht bekommt‘“ 102 Im Jänner und Februar 1933 drehte Kosterlitz seinen zweiten und zugleich letzten Berliner Film im „Grunewald Studio der Avanti-Tonfilm AG. Also zu einer Zeit, zu der auch der Reichstag in Flammen stand. 103 “ Daher muss hier von besonderen Produktionsbedingungen für alle Beteiligten gesprochen werden. Es handelte sich um die eingangs erwähnte Produktion DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN - ein von Kosterlitz adaptiertes Bühnenstück von Felix Joachimson. „Die Besetzung war voll jüdisch.“ 104 „Obwohl die spritzige Komödie mit Dolly Haas und Max Hansen in den Hauptrollen bei der Premiere am 8. September 1933 beim Pulikum ,viel fröhliche Zustimmung und zum Schluss starken Beifall‘ fand, ,kam es zu Pfiffen und Protestkundgebungen, die sich nicht so sehr gegen den Film als gegen das Erscheinen Hanses richteten.‘ Der Krawall war von den Nazis inszeniert worden, deren Hansen besonders verhasst war, weil er in einem Chanson Hitler als Homosexuellen verspottet hatte.“105 Den fertigen Film hat Kosterlitz nie gesehen. 106 Pem schreibt in Zusammenhang mit diesem Film: „Wenn Kosterlitz‘ Karriere als Regisseur nur ein wenig länger gedauert hätte! Nur wenige Monate vorher [vor seiner Flucht aus Berlin, Die Verf.] hatte er seinen ersten Film DAS

99 Three Smart Girls , Regie: Henry Koster, USA 1936. 100 Das Abenteuer der Thea Roland , Regie: Hermann Kosterlitz, Deutschland 1932. 101 filmarchiv22, S. 75. 102 Eisner, Lotte H: Film-Kurier , 18.11.1932 zitiert in: filmarchiv22, S. 75. 103 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 24. 104 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775. 105 Vgl. Kinematograph , Nr. 175, 9.9.1933, zitiert in: „Berlin, Wien, Hollywood: Die drei Karrieren des Henry Koster alias Hermann Kosterlitz“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv 03/05 , S. 65. 106 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich , S. 24.

[23] TAGEBUCH DER THEA ROLAND gedreht. Die Beendigung seines zweiten Films DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN war nur noch eine Sache von Tagen ….“ 107 Dass der Film dennoch fertig gestellt wurde, dürfte Pem wohl entgangen sein. Für die letzten drei Drehtage sprang jemand anderer für Kosterlitz ein. 108 Inwiefern sich die letztendliche Version allerdings von einer gänzlich von Kosterlitz beaufsichtigen Produktion unterscheiden würde, bleibt Spekulation. „Als der Film in Berlin herauskam, haben die Leute erst sehr gelacht, dann wurde die alte Technik angewandt, faule Eier zu schmeißen“ 109 , zitiert Asper Koster. Obwohl es auch in der Presse Anfeindungen gab 110 , wurde der Film positiv aufgenommen: „Das Publikum war vom Anfang bis zum Ende gut unterhalten, das Atrium dürfte endlich einmal einen Film haben, der lange Laufzeit zulässt, seit langem hörte man in diesem Hause keinen so lauten und ehrlichen Beifall bei einem Unterhaltungsfilm.“ 111 Zudem wurde Kosterlitz‘ Regie als „erstaunlich reich an ursprünglichen Einfällen“ 112 beschrieben.

2.1.4 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand

In der bereits mehrfach erwähnten Biografie von Marta Mierendorff ist zu lesen, dass Kosterlitz nach DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND auch noch bei einem Film namens HOMELY GIRL Regie führte. Um welchen Film es sich jedoch bei HOMELY GIRL handeln könnte, bleibt unklar. Vielleicht ist hier die Produktion DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN gemeint, die jedoch im Folgesatz auch so genannt wird. 113 In Bezug auf diesen angeblichen dritten Regiefilm sorgt auch ein Zitat von Koster selbst in seinem Interview aus dem Jahr 1975 für Verwirrung:

107 Pem: Strangers Everywhere , S. 282, zitiert in: Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775. 108 Vgl. Koster, Henry, zitiert in: Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 69. 109 Koster, Henry, zitiert in: Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 69. 110 „So sahen sie aus: die (nichtarischen) Direktoren des Westens, von der Orion A.G. (vor dem neuen Deutschland längst emigriert), frühmorgens die (arische) Freundin schon längst im Büro […] ein unfreiwilliges Porträt ist entstanden, die aufgeschwemmte Generldirektorenzone, die verlogene Büro- Erotik, die der Film der deutsch Arbeitswelt seit der hüpfenden Privatsekretärin angedichtet hat, passiert hier noch einmal Revue. Die hässliche Welt, die den Hass verdiente […] Die Flittchen-Welt, die Mogelei der kleinen Leute, die Freundinnen, die beim Direktor schlafen, die Kostümhalle, bei denen der Sekt in die dicken Bäuche strömt – auf diese ;Erblehre‘ der gestrigen Filmleute verzichtet das deutsche Volk.“ (Völkischer Beobachter , 1933, zitiert in: Hobsch: Film im „Dritten Reich“, Band 2, S. 443). 111 Reichsfilmblatt , Berlin, 9. September 1933, zitiert in: Hobsch: Film im „Dritten Reich“, Band 2, S. 443. 112 Acht-Uhr-Abendblatt , 1933, zitiert in: Hobsch: Film im „Dritten Reich“, Band 2, S. 442. 113 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775.

[24] „I directed my first picture called, ABENTEUER EINER SCHÖNEN FRAU […] That was a good success. […] I directed a picture for Terra called DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN […]. I can’t remember if there were any others in between. There must have been some.“ 114 Auch im 1987 geführten Interview sprach Koster zunächst von drei Filmen:

„Well, I came here [Anm. Hollywood] as an unknown. I had just directed three pictures in Germany when I came here, and was not recognized as one of the big directors. In fact they tried to get rid of me when I came over.” 115 Wenige Seiten später ist allerdings nur noch von zwei deutschen Filmen die Rede: „DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN […] was my first lone picture. It was not by Pasternak. There was another producer who called me, that I should direct for him. That picture, written by Felix Jackson, and THE ADVENTURE OF A BEAUTIFUL WOMAN were my first for which I got the credit alone for directing.” 116 Hier gilt es zu beachten, dass Koster die Produktionsdaten der beiden Filme vertauschte. Auch, wenn mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen ist, dass Kosterlitz vor seiner Emigration lediglich bei zwei Filmen (alleine) Regie führte, bleibt ein kleines Fragezeichen hinter den Aussagen Kosters. Die beiden deutschen Regiefilme tauchen in Abhandlungen zum deutschen Kino der Dreißigerjahre nur selten auf. Sabine Hake misst in Popular Cinema of the Third Reich als eine von wenigen dem Filmschaffen von Hermann Kosterlitz beziehungsweise dem Film DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN historische Bedeutung bei: „The year 1933 brought the release of two white-collar comedies that must be considered transitional in terms of film history and genre cinema. Their directors, who were Jewish, came from screenwriting and had a talent for witty dialogues and spirited repartee.” 117 Der zweite erwähnte Film ist VIKTOR UND VIKTORIA 118 von Reinhold Schünzel, der gewisse Parallelen zu Kosterlitz‘ PETER aufweist (4.5.4). Ein großes Rätsel gibt Sabine Hake in selbiger Publikation auf. In Bezug auf die Dreharbeiten zu DER TUNNEL 119 schreibt sie: „Director Kurt Bernhardt (Curtis Bernhardt) worked with special permission during a temporary return from French exile; screenwriter Hermann Kosterlitz was already listed in the credits under the pseudonym Reinhardt Steinbicker.“ 120 Tatsächlich findet man hier auch – im Gegensatz zum Namen „Hermann Kosterlitz“ – einen gewissen Reinhardt Steinbicker im Vorspann. Sollte es sich bei Reinhardt

114 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 108, 109. 115 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 24-25. 116 Ebd. S. 30. 117 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 23. 118 Viktor und Viktoria , Regie: Reinhold Schünzel, Deutschland 1933. 119 Der Tunnel , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich/Deutschland 1933. 120 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 55.

[25] Steinbicker tatsächlich um ein von Kosterlitz verwendetes Pseudonym handeln, würde Kosterlitz‘ Filmschaffen von 1933 bis 1936 um ungefähr sieben Werke 121 bereichert und müsste wohl neu geschrieben werden. Jedoch ist nicht davon auszugehen. Das belegt ein Blick auf die Produktionsdaten der Filme, an denen Steinbicker beteiligt war: So fanden die Dreharbeiten von LIEBE, TOD UND TEUFEL 122 , bei dem Steinbicker zusammen mit Heinz Hilpert Regie führte, von 5. Oktober bis 23. November 1934 im Ufa -Atelier Neubabelsberg statt. 123 Da Kosterlitz nach eigener Aussage ab dem 05. April 1933 nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, ist auszuschließen, dass er unter dem Pseudonym „Reinhart Steinbicker“ 1934 in Neubabelsberg arbeitete. Gleiches gilt für SO EIN FLEGEL 124 („Dreharbeiten: 27. November 1933 bis Mitte Dezember 1933 Efa -Atelier, Berlin, Halensee“125 ) sowie HEINZ IM MOND 126 (Dreharbeiten: 04. Juni 1934 bis 30. Juni 1934 in Berlin 127 ), an denen Steinbicker als Regieassistent mitwirkte.

121 Vgl. filmportal.de, Reinhardt Steinbicker , http://www.filmportal.de/person/reinhart- steinbicker_da5d78523d1346b48c9caacaac2b0765, Zugriff: 16.03.2015. 122 Liebe, Tod und Teufel , Regie: Heinz Hilpert, Reinhart Steinbicker, Deutschland 1934. 123 Vgl. Hobsch, Manfred: Film im „Dritten Reich“. Alle Deutschen Spielfilme von 1933 bis 1945 , Band 3, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2010, S. 475. 124 So ein Flegel , Regie: Robert A. Stemmle, Deutschland 1933/1934. 125 Hobsch: Film im „Dritten Reich , Band 5, S. 172. 126 Heinz im Mond , Regie: Robert A. Stemmle, Deutschland 1934. 127 Vgl. Hobsch: Film im „Dritten Reich , Band 2, S. 473.

[26] 2.2 Paris

2.2.1 Neubeginn

„I first went to France. I had to get out of Germany, but fast. I was one of the first out. I was out on April 5, 1933, and Hitler came to power March 30, I think. I had quite an encounter there with a Nazi soldier in a bank, and I had to run. I wanted my money, and the man in the bank didn’t want to give it to me. I got mad and he got mad. I reached for him and somebody pulled me away and said, ‚This man is in uniform.‘ I said, ‚I don’t care what uniform he’s in. I want my money, and I don’t want him to treat me like a dog.‘ My friends took me away in a taxi to the station – before they had a chance to arrest me. Thank God I had a passport and a visa to France. I got away without ever seeing my house again. I came to Paris and I never went back to Germany until I was married to my present wife. I shoved Germany, where I had lived and what had happened to Germany.“ 128 Neben dieser Anekdote findet man nur wenige Quellen, die Auskunft über die Reise nach Frankreich geben. So zum Beispiel bei Mierendorff: „Er benutzte den Berlin-Paris-Expreß, in dem sich viele Flüchtlinge befangen, die sich vor antisemitischen Ausschreitungen fürchteten, die für April angekündigt worden waren. Mit ihm im Zug fuhr Felix Bressart, der ihn später bei seiner Ankunft in Hollywood als Hausgast aufnahm.“ 129 Später spielte Bressart in den Kosterlitz-Filmen PETER, BALL IN SAVOY sowie THREE SMART GIRLS GROW UP. Von nun an befand sich Hermann Kosterlitz im in der Wissenschaft häufig zitierten „Filmexil“. Gerade einfach hatte es der in Deutschland bereits anerkannte Regisseur und Drehbuchautor bei seiner Ankunft in Paris jedoch nicht: „I lived in a hotel with a lot of refugees. We had no money. I had a couple of hundred dollars which a friend hat stuffed in my pocket. The hotel was called the Hotel des Acacias. It was near the Arc de Triomphe. I couldn’t speak French very well. I spoke a little that I had learned in school. We were very poor, all these refugees. Every night somebody committed suicide there. It was terrible.“ 130 Die Schwierigkeiten hingen vor allem mit einer sowohl rassistischen als auch wirtschaftlich motivierten Fremdenfeindlichkeit in der französischen Filmindustrie und Gesellschaft zusammen. Denn vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit und instabilen politischen Verhältnissen wurden die deutschen Einwanderer von französischer Seite oft als „Plage und Störenfriede“ gesehen. „Protestdemonstrationen

128 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 32. 129 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775. 130 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 34.

[27] wurden veranstaltet, und unter dem Druck der Gewerkschaften vergab die Regierung Arbeitsgenehmigungen nur noch in Ausnahmefällen.“ 131

2.2.2 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand

Trotz der anfangs unglücklichen Lage und dem Arbeitsverbot als Regisseur, konnte sich Kosterlitz jedoch schnell – und trotz mangelnder Französischkenntnisse - als Drehbuchautor einen Namen machen. „I had to go back to being a writer in Paris because I couldn’t join the guild to be a director. I wrote a script for Robert Siodmak called LE SEXE FAIBLE […], original by Edouard Bourdet. From then on I had really no trouble getting work. I had so much work to do in Paris, because they were short of writers, that I engaged three or four ghostwriters with me, and they helped me write all the scripts.“ 132 Die Erwähnung von Ghostwritern verdeutlicht die schwierige Quellenlage bei der Rekonstruktion von Kosterlitz‘ Schaffensperiode in Paris. Welche Filme er nun selbst geschrieben hat und für welche er Ghostwriter engagierte, lässt sich nicht komplett nachverfolgen. Doch auch die Rekonstruktion, an welchen Filmen Kosterlitz (beziehungsweise seine Ghostwriter) überhaupt beteiligt war, gestaltet sich schwierig. Auch weil sich die Forschungsliteratur in dieser Hinsicht teilweise widerspricht und Kosterlitz meist nicht im Vorspann genannt wird. Auf Horaks Frage, ob es für die deutschen Emigranten schwierig gewesen sei, in Frankreich Arbeit zu finden, entgegnet Kosterlitz: „Not finding work, getting permits. […] There was plenty to do there. The French were most happy to get the German directors and writers. I wrote about ten scripts, when I was there between 1933 and 1934, and I couldn’t put my name on it. I saw my pictures and suddenly read: written by Henri Lecauvent, or something. That wasn’t me. They said they couldn’t put my name on it or they would get punished. So I worked and worked, and finally became known, made some money. But never with my own name, except for one or two pictures.” 133 Der Name Henri Lecauvent scheint frei erfunden zu sein. Letztendlich kann mit Sicherheit gesagt werden, dass Kosterlitz an folgenden zwei Drehbüchern – in welchem Ausmaß auch immer - mitgewirkt hat, da er als Autor im Vorspann des Films erwähnt

131 Elsaesser, Thomas: „CHACUN AU MONDE A DEUX PATRIES. Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, Hallo? Berlin? Ici Paris! Deutsch-französische Filmbeziehungen 1918-1939 , Hg. Hans-Michael Bock/Wolfgang Jacobsen/Jörg Schöning, München: Text + Kritik 1996, S. 91-92. 132 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 35. 133 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 110.

[28] wird: LES NUITS MOSCOVITES 134 sowie TOTO 135 . Bei LES NUITS MOSCOVITES handelt es sich um die Verfilmung eines Romans von Pierre Benoit, der 1934 vom Emigranten Alexis Granowsky inszeniert wurde. Als Autor der Dialoge ist der Name Jacques Natanson im Vorspann zu lesen, bei dem Punkt „Scénario“ findet man den Namen „H. Kosterlitz“. Die Tatsache, dass er bei LES NUITS MOSCOVITES als Autor genannt wird, beschreibt Kosterlitz folgendermaßen: „There was one producer in Paris, Alexis Granovsky, he financed his own pictures. […] He had been director of the Moscow Artists Theater before he went to Paris to produce and direct. Since he financed his own pictures, he could put any name he wanted on it. So that was the only time my name was on a very big picture.” 136 Granowsky hatte bereits im Jahr 1932 seine Produktion von Berlin nach Paris verlegt. 137 Beim Film TOTO des französischen Regisseurs Jacques Tourneur sieht der Vorspann wie folgt aus: „TOTO / d’après le scénario de H.KOSTERLITZ, Adaption de RENÉ PUJOL“

Es handelt sich also um ein Drehbuch, das von Hermann Kosterlitz geschrieben und von René Pujol adaptiert – beziehungsweise ins Französische übersetzt – wurde. In Paris kam es schließlich auch zu einem Wiedersehen mit dem ebenfalls emigrierten Kurt Bernhardt mit dem Kosterlitz bei zwei Produktionen zusammenarbeitete: „In Paris was Bernhardt also, who again gave me work. I wrote part of the screenplay for a picture called, DER TUNNEL, which he actually shot in Munich – and wish he hadn’t. He got into a lot of trouble with the Nazis – that was already in 1933. I worked on that script, not alone but with a French writer. Later I worked on another script with him in Paris. He had a permit, because his brother-in-law financed things or something. Anyway, I did THE TUNNEL, and another picture called L’OR DANS LA RUE (1934), GOLD IN THE STREET.” 138 In Kosterlitz-Filmografien findet man immer wieder Erwähnungen, dass er auch einige deutschsprachige im Jahr 1934 hergestellte Filme geschrieben haben soll. Dabei handelt es sich um DIE VERTAUSCHTE BRAUT 139 , POLENBLUT 140 und DER FALL BRENKEN 141 von Karel Lamac sowie um PECHMARIE 142 von Erich Engel und DER DOPPELGÄNGER 143 des österreichischen Regisseurs E.W. Emo. Von DIE VERTAUSCHTE BRAUT wurde ebenso wie

134 Les nuits moscovites , Regie: Alexis Granowsky, Frankreich 1934. 135 Toto , Regie: Jacques Tourneur, Frankreich 1933. 136 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 110. 137 Horak: „Filmkünstler im Exil. Ein Weg nach Hollywood“, S. 239. 138 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 111. 139 Die vertauschte Braut , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1934. 140 Polenblut , Regie: Karel Lamac, Österreich/Deutschland/Tschechien 1934. 141 Der Fall Brenken , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1934. 142 Pechmarie , Regie: Erich Engel, Deutschland 1934. 143 Der Doppelgänger, Regie: E.W. Emo, Deutschland 1934.

[29] von DER TUNNEL (LE TUNNEL) eine französische Sprachversion hergestellt. Bei den Dreharbeiten zu L’AMOUR EN CAGE 144 arbeitete Karel Lamac mit dem französischen Regisseur Jean de Limur zusammen 145 - Anny Ondra spielte in beiden Versionen eine Doppelrolle. Bei keinem dieser Filme wird ein Mitwirken Kosterlitz‘ erwähnt. Von Koster selbst existieren diese Tätigkeit betreffend nur wenige Zeilen, in denen er jedoch noch von einem weiteren Film spricht: „Then Carl Lamac came to Paris. He worked in Germany. He said: “You want to make a few thousand Francs? I need scripts, they have no more writers left in Germany. And I need scripts, would you write for me?” So I wrote a few scripts for him in Paris, which he shot in Germany. One was called KADRIE D’AMOUR, LOVE… Kadrie is a dance. (KARNEVAL UND LIEBE, 1934) 146 . Another one was called… I can’t remember.” 147 Mierendorff nennt in dem Zusammenhang einen Film namens CARNEVAL D’AMOUR und bezeichnet diesen als einzigen französischen Film, dessen Manuskript mit dem Namen Kosterlitz gezeichnet wurde. 148 An anderer Stelle erwähnte Koster einen Lamac-Film Namens LA QUADRILLE D’AMOUR 149 . In beiden Fällen dürfte es sich um KARNEVAL UND LIEBE handeln.150 Dass es jedoch auch andere „offizielle“ Kosterlitz-Manuskripte gab, wurde bereits dargelegt. Wenn man darüber hinaus den narrativen Aufbau der Geschichte und Figurenzeichnung betrachtet, so wirken vor allem PECHMARIE, aber auch POLENBLUT und DER DOPPELGÄNGER von Kosterlitz beeinflusst. Ein Mitwirken Kosterlitz‘ – in welcher Art auch immer – ist daher nicht auszuschließen. Zurück zu den französischen Produktionen: In Standardwerken zum französischen Kino dieser Zeit finden die behandelten Filme nur wenig bis gar keine Beachtung. Eine Ausnahme bildet Colin Crisps Genre, Myth and Convention in the French Cinema 1929- 1939, in dem er Querschnitte durch 1300 Filmen zieht. Hin und wieder dienen hier die Kosterlitz-Filme als Beispiel für seine Analysen, werden aber meist nur in Halbsätzen erwähnt. Zudem ist im Anhang eine Extrapassage zu LES NUITS MOSCOVITES zu finden, den Crisp in seinem eigenen Bewertungssystem sechs von neun möglichen Punkten gibt:

144 L’amour en cage , Regie: Jean de Limur/Karel Lamac, Frankreich 1934. 145 Im Zuge der Recherchetätigkeit wurde lediglich die französische Sprachversion L’AMOUR EN CAGE gesichtet. 146 Karneval und Liebe, Regie: Karel Lamac, Österreich 1934. 147 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 111. 148 Vgl. Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775. 149 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 29. 150 Im Zuge der Recherchetätigkeit konnten keine Kopien der Filme L’OR DANS LA RUE, KARNEVAL UND LIEBE sowie KADRIE D’AMOUR gefunden und diese Filme somit nicht gesichtet werden.

[30] „Well-told ,Russian’ drama, with soldiers, honor, spies, gambling depts, and noble gestures of renunciation. Harry Baur has the best role as a massively forbidding merchant, rival of the hero. Some montages of war documents, and fine sets.” 151 Die filmgeschichtliche Abwesenheit der von Kosterlitz geschriebenen Filme überrascht insofern, da es sich bei den Regisseuren mit denen er zusammenarbeitete durchaus um große Namen wie Siodmak, Bernhardt, oder Tourneur handelte – einige waren wie er selbst aus Deutschland emigriert. Auch, wenn die Anwesenheit dieser Regisseure in Paris in der Literatur öfter Erwähnung, als Kosterlitz findet, ist in Bezug auf die Verfilmung der Kosterlitz-Drehbücher (mit Ausnahme von DER TUNNEL) nur wenig zu finden – auch nicht in Werken, die sich ausführlich mit Leben und Schaffen der genannten Regisseure befassen. Gründe dafür könnten sein, dass es sich sowohl bei LE SEXE FAIBLE 152 sowie bei TOTO um die jeweils ersten Filme der Regisseure Siodmak beziehungsweise Tourneur in Paris handelte und diese offensichtlich nicht außerordentlich erfolgreich waren. Dennoch helfen diese Regisseure dabei, Kosterlitz‘ Zeit in Paris zu rekonstruieren. Denn wie man bei den Filmen sieht, herrschte Kontakt zwischen den deutschen Emigranten. So ist davon auszugehen, dass Dinge, die etwa die biografisch etwas besser aufgearbeiteten Siodmak oder Bernhardt betrafen, auch für Kosterlitz relevant waren. Solch eine Herangehensweise hilft zwar, um ein gewisses vorherrschendes Klima nachzuzeichnen, jedoch muss man sich stets die eingangs erwähnte Problematik ins Gedächtnis rufen, die deutschen Exilanten nicht als homogene Gruppe zu behandeln.

151 Crisp, Colin: Genre, Myth and Convention in the French Cinema 1929-1939 , Bloomington: Indiana University Press 2002, S. 359. 152 Le sexe faible , Regie: Robert Siodmak, Frankreich 1933.

[31] 2.3 Budapest und Wien

2.3.1 Filmemachen an der Donau

In Paris hielt es Kosterlitz trotz dieser Erfolge nicht lange. Der Grund, warum es ihn letztendlich nach Wien und Budapest verschlug, war die bereits erwähnte Bekanntschaft mit dem Produzenten Joe Pasternak. Rund zwei Jahre nach seinem Versprechen, Kosterlitz den Regiestuhl anzuvertrauen, kontaktierte er den in Paris tätigen Filmemacher, wie Koster 1987 erzählte: „Then I got a call from Pasternak in Budapest, to come there and direct a picture for him, because he had promised me that he would make me a director. I had become a director in the meantime, even without his help, but he made good and gave me a contract. I directed all his pictures in Europe in 1935 and 1936 before we were hired to go to Hollywood.“ 153 Genauso liest sich auch jene Geschichte, die häufig in der Literatur zu finden ist. 1975 klang sie allerdings noch etwas anders: „While I was in Paris I got a phone call from Budapest, from a Hungarian director whom I had met in Germany named Stefan ball imly… If I would come over and write a script for him in Budapest. So I left Paris […] So then I went to Budapest to write this script for Stefan Szekely called, BALL IM SAVOY (1935) from a musical by Paul Abraham. […] When I was in Budapest I saw Joe Pasternak again, who had promised me back in 1931, that I would be the director of his next film. So I said, remember me, I’m your next director. He said, ,Come right up’, and he gave me a contract for four pictures to direct in Budapest, starring Franciska Gaal who was a big star there.“ 154 In Budapest und Wien führte Kosterlitz bei den Universal -Filmen PETER (Alternativtitel: DAS MÄDCHEN VON DER TANKSTELLE), KLEINE MUTTI und KATHARINA - DIE LETZTE Regie. In diesen drei Filmen übernahm jeweils die ungarische Schauspielerin Franziska Gaal die Hauptrolle. Darüber hinaus inszenierte er die Panta -Film -Produktion TAGEBUCH DER GELIEBTEN (Alternativtitel: MARIA BASHKIRTSEFF; MARIA BASCHKIRTZEFF), schrieb das Drehbuch zu BALL IM SAVOY und drehte zusammen mit Béla Gaál die ungarische Produktion A CSÚNYA LÁNY 155 . Im Gegensatz zu den französischen Filmen ist Kosterlitz hier überall offiziell als Mitwirkender gelistet. Mit den Worten „So I went to Vienna and made another picture, I don’t know what that was” 156 , gibt Koster allerdings wieder Rätsel über einen eventuell weiteren Film auf, der seiner

153 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 35. 154 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 111. 155 A csúnya lány, Regie: Béla Gaal/Hermann Kosterlitz, Ungarn 1935. 156 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 112.

[32] Aussage zufolge nach seiner Zeit in Amsterdam entstanden sein müsste. Nachdem er aus Holland zurückkam, drehte er jedoch KATHARINA - DIE LETZTE, den er auch in Zusammenhang mit oben genannter Aussage erwähnt. Daher ist davon auszugehen, dass Koster in seiner Erinnerung lediglich einige Produktionsdaten von Filmen vertauscht hat. Genaue Angaben, wann sich Kosterlitz in Budapest und wann in Wien aufhielt gibt es nur wenige. Koster erwähnte einmal, dass er in beiden Ländern gearbeitet hat. Auf Atkins Frage, wie es denn gewesen sei, entgegnete er: „Well, the studio in Budapest was very small, but Pasternak was a capable producer. His star, Franziska Gaal, was a very capable actress, a little temperamental, but capable. I directed her in three or four pictures: LITTLE MOTHER, CATHERINE THE LAST, and then PETER, which won a prize in Moscow, by the way, as one of the finest comedies. In that Franziska Gaal played a little boy. […] It was made in Hungary, and released all over Europe.“ 157 Aus Pasternaks Biographie geht hervor, dass er die meiste Zeit in Budapest lebte, aber immer wieder für Dreharbeiten nach Wien kam: „Once I moved to Vienna to shoot SPRING PARADE, a story with an Austrian background. I brought with me almost my whole technical staff. I stayed at the Imperial, a perfectly acceptable address.” 158 “On completion of Spring Parade, we all went back to Budapest. In contrast with dull, spent in Vienna, Budapest appeared to me more charming than ever.” 159 Unklar ist, ob auch Kosterlitz – so wie Pasternak – hauptsächlich in Budapest lebte und nur für die Dreharbeiten nach Wien kam. Es ist jedoch davon auszugehen. Klarer gestaltet sich die Quellenlage, welche Filme in welchen Städte hergestellt wurden. TAGEBUCH DER GELIEBTEN sowie KATHARINA - DIE LETZTE wurden in Wien gedreht. PETER, KLEINE MUTTI und BALL IM SAVOY wurden hingegen in den Hunnia-Ateliers in Budapest hergestellt. Die Filme wurden für den ungarischen Markt untertitelt. 160 Mit den Worten „he let me go to Vienna for that”161 gab Koster darüber Auskunft, dass er für die Dreharbeiten für TAGEBUCH DER GELIEBTEN aus Budapest nach Wien kam. Filmhistorisch wurden diese Filme von Armin Loacker dem sogenannten „Unerwünschten Kino“ 162 zugeordnet. „Unerwünscht“ waren sie dabei in erster Linie

157 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 35, 36. 158 Pasternak/Chandler: Easy the Hard Way , S. 143. 159 Ebd. S. 146. 160 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino, S. 143-176. 161 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 112. 162 Vgl. Loacker, Armin/Martin Prucha (Hg.): Une rwünschtes Kino. Der deutschsprachige Emigrantenfilm 1934-1937 , Wien: Filmarchiv Austria 2000.

[33] von den Nationalsozialisten. Sie gehörten somit zu einer Reihe von Filmen, bei denen Filmschaffende in Österreich, Ungarn und Tschechien versuchten, unabhängig vom deutschen Markt zu produzieren. Dies war vor allem nötig, da die deutsche Film- und Rassenpolitik auch in Ungarn, Tschechien, aber vor allem in Österreich immer mehr an Einfluss gewann. Jüdische Filmschaffende wurden nun auch vermehrt in diesen Ländern von der Produktion ausgeschlossen. Da neben Kosterlitz zahlreiche andere aus Deutschland emigrierte Filmschaffende mitwirkten, werden die drei behandelten Filme zu den sogenannten „Emigrantenfilmen“ gezählt. 163 Auf die speziellen Produktionsbedingungen soll etwas ausführlicher in Kapitel drei eingegangen werden. Gar nicht unerwünscht schienen Kosterlitz‘ Filme in den zeitgenössischen österreichischen Medien zu sein,164 wie beispielsweise die Ankündigung der Premiere von Tagebuch der Geliebten in der Zeitung Neue Freie Presse zeigt .165

2.3.2 Anmerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand

Der Begriff „Unerwünschtes Kino“ ist in mehrerer Hinsicht passend. Es handelt sich um „ein lange verschüttetes und beinahe schon vergessenes Erbe der österreichischen Filmgeschichte.“ 166 Lediglich durch zwei Retrospektiven des Filmarchiv Austria in den Jahren 2000 und 2005 wurden die Filme einem kleinen Kreis interessierter Kinobesucher bekannt. 167 Unerwünscht – oder zumindest als nicht interessant genug betrachtet – scheinen diese Filme aber auch in der Filmwissenschaft zu sein. Denn bisher gibt es nur wenige Filmhistoriker und Filmhistorikerinnen, die sich mit diesen Filmen auseinander gesetzt haben. In Standardwerken zum Österreichischen Kino finden dieses Filmschaffen und Hermann Kosterlitz selbst meist nur am Rande und der Vollständigkeit halber

163 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino, S. 11-44. 164 Die durchaus positiven Rezensionen zu KATHARINA - DIE LETZTE sowie TAGEBUCH DER GELIEBTEN sind unter 4.5.1 beziehungsweise 4.2.3 zu finden. 165 „(Heute: Welturaufführung „Tagebuch der Geliebten“.)Heute um 21 Uhr findet im Busch-Kino im Rahmen einer Festpremiere die Welturaufführung des in Wien hergestellten Großfilms „Tagebuch der Geliebten“ (Maria Baschkirtzeff) statt. Paul Abraham, der Komponist des Films, dirigiert persönlich ein Orchestervorspiel. Sämtliche Hauptdarsteller Lili Darvas, Hany Jaray, Paul Hörbiger, Szőke Szakáll, Anna Kallina, Sylvia de Bettini, Eta v. Storm sowie der Buchautor Felix Joachimson und der Regisseur Hermann Kosterlitz wohnen der Premiere persönlich bei. Gleichzeitig läuft der Film im Gartenbau-, Kärntner-, Haydn und Kolosseum-Kino.“ ( Neue Freie Presse , 24.10.1935, S. 8.). 166 Kieninger, Ernst: „Editorial“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05, Wien: Filmarchiv Austria 2005. 167 Vgl. Ebd.

[34] Erwähnung. So zum Beispiel im die Jahre 1929 bis 1945 behandelnden Kino in Österreich von Walter Fritz. Darin gibt es im ohnehin nicht langen Kapitel Walter Reisch und das Schicksal jüdischer Filmschaffender nur einen kurzen – von einer Aufzählung seiner Filme gefolgten – Hinweis auf Hermann Kosterlitz. Auch Franziska Gaal wird im Buch nur in Nebensätzen erwähnt. 168 Dieses Beispiel ist typisch, da es zeigt, dass man sich bei den ohnehin spärlichen Auseinandersetzungen auf bereits renommierte Namen wie Walter Reisch oder Richard Oswald, konzentrierte. Auch im sehr ausführlichen Buch Das tägliche Brennen 169 von Elisabeth Büttner und Christian Dewald, welches das österreichische Filmschaffen bis zum Zweiten Weltkrieg behandelt, werden Kosterlitz und seine Filme nur kurz erwähnt. Darüber hinaus ist ein Absatz zu PETER zu finden 170 – jenem Kosterlitz-Film, dem in der Forschung am meisten Aufmerksamkeit zuteil wird. Eine wichtige Ausnahme bildet in dieser Hinsicht der bereits erwähnte Filmhistoriker Armin Loacker, der sich in mehreren Publikationen mit den Filmen des „Unerwünschten Kinos“ auseinandersetzt. 171 Loacker beschäftigt sich intensiv mit dem Filmschaffen dieser Zeit, geht jedoch oft nicht auf die Filme selbst ein. Produktionsbedingungen sowie die wirtschaftlichen Aspekte der damaligen Filmproduktion stehen im Mittelpunkt. Zu Ästhetik, Stilistik und anderen filmspezifischen Aspekten sind vergleichsweise kurze Kommentare zu finden. Bei einigen anderen Publikationen stößt man als Erklärung, warum die Filme nicht näher behandelt werden, auf Hinweise, dass die Filme des „Unerwünschten Kinos“ in der Tradition der Ufa -Komödien und des Wienfilms stehen und sich deren Stilmittel bedienen. So schreibt zum Beispiel Miriam Höhne: „Die unabhängigen Filme, die in Österreich hergestellt wurden, unterschieden sich inhaltlich nicht von jenen, die in Deutschland aufgeführt wurden. Sie taten dies durch ihre Besetzung.“ 172

168 Vgl. Fritz, Walter: Kino in Österreich. 1929-1945. Der Tonfilm , Wien: Österreichischer Bundesverlag 1991, S. 53-60 169 Büttner, Elisabeth/Christian Dewald: Das tägliche Brennen. Eine Geschichte des österreichischen Films von den Anfängen bis 1945, Salzburg/Wien: Residenz Verlag 2002 170 Vgl. Ebd. S. 404. 171 Vgl. Loacker, Armin: Die ökonomischen und politischen Bedingungen der österreichischen (Ton-) Spielfilmproduktion der 30er Jahre, Dipl.-Arb., Universität Wien: 1992; Loacker, Armin: Anschluss im ¾- Takt. Filmproduktion und Filmpolitik in Österreich, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 1999; sowie Loacker, Armin: Die österreichischen Spielfilme der Jahre 1934-1938. Eine systematische Inhaltsanalyse des filmischen Gesellschaftsbildes, Dissertation, Universität Wien: 1995. 172 Höhne, Miriam: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937. Alternative zur Selbstaufgabe der heimischen Filmproduktion in den Jahren vor dem Anschluss, Saarbrücken: VDM 2008, S. 81.

[35] Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass eine solch simple Erklärung vor allem was Stil und die sozialkritische Konstruktion diegetischer Lebenswelten betrifft, nicht weitreichend genug ist (siehe Kapitel 4). Eine Fehlinterpretation, die sich nur dadurch erklären lässt, dass bis jetzt in der Filmwissenschaft noch zu wenig nahe an den Werken selbst gearbeitet wurde. Dieser Umstand ist auch mit der schwierigen Verfügbarkeit der Filme zu erklären. Kein einziger der zum „Unerwünschten Kino“ gehörenden Filme ist bis jetzt auf DVD erschienen und auch in Kino und Fernsehen waren sie bis auf wenige Ausnahmen kaum zu sehen – aber dieses Schicksal teilen auch viele andere Filme der 1930er Jahre. PETER galt beispielsweise sogar lange als verschollen und wurde gar erst für die Retrospektive im Jahr 2005 wieder restauriert. 173 Im Jahr 2013 wurde der Film dann unter anderem auch auf der Berlinale gezeigt. In der dazugehörigen Filmbeschreibung, wird PETER als eine der „charmantesten Kinokomödien der dreißiger Jahre“ 174 bezeichnet. Koster entgegnete 1987 auf die Frage, ob irgendeiner seiner Filme aus jener Zeit noch existiere: „The ones from Hungary? Not that I know of. They were all in German. I don’t know if they were shown here. Maybe PETER was shown. Hardly any of the European pictures were ever shown in the , because of the language; it wasn’t worth dubbing them or subtitling them. So they didn’t become very popular. Out of a hundred pictures made in Germany, maybe one was shown in America." 175 Aufgrund seiner eigenartigen Antwort in Bezug darauf, ob die Filme jemals in den USA gezeigt wurden, ist zu vermuten, dass Kosterlitz die Frage nicht ganz verstand. Eine weitere filmtheoretische Ausnahme bilden zwei Aufsätze von Georg Seeßlen. Beide erschienen im Programmheft der oben erwähnten Retrospektive des Filmarchivs, in

173 Seeßlen, Georg: „Faszination Filmarchivierung“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05, Wien: Filmarchiv Austria 2005, S. 86. 174 „Weil sie die Miete nicht bezahlen können, werden Eva und ihr Großvater obdachlos. Das junge Mädchen versucht sich daraufhin als Straßenmusikantin, bis ein flüchtiger Dieb sie zum Kleidertausch zwingt. Auf diese Weise zum Jungen gemacht, landet Eva, die sich nun Peter nennt, nach einem Verkehrsunfall vor Gericht. Dessen Opfer, der Arzt Robert Bandler, verschafft Eva/Peter aus Mitleid Arbeit bei einem Garagenbesitzer. Sie weiß nicht, wem sie die Anstellung zu verdanken hat, aber da sie sich zu Robert hingezogen fühlt, sorgt ihre Maskerade nun für zahlreiche Verwicklungen … Mit Peter begibt sich eine anerkannte Instanz für Sozialkritik ins Exil: die Depressionskomödie. Und indem das freche Lust-Spiel mit zwei sich küssenden Frackträgern das geschlechtlich Doppeldeutige zu einem neuen Höhepunkt treibt, schließt sich ihr die Genderkomödie unmittelbar an. In deutscher Sprache in Ungarn gedreht, spricht aus Peter die Hoffnung, dass dieses Exil nur vorübergehend sei. Doch Peter wurde in Deutschland nie gezeigt. Francisca Gaál als flotter »Tomboy«, der ebenso burschikos wie verführerisch sein kann, ist eine späte Wiederentdeckung – und Peter eine der charmantesten Kinokomödien der dreißiger Jahre.“ (Filmdatenblatt zu „Peter“ auf berlinale.de , https://www.berlinale.de/de/archiv/jahresarchive/2013/02_programm_2013/02_Filmdatenblatt_2013_ 20137332.php#tab=filmStills, Zugriff: 19.03.2015). 175 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 38.

[36] dem auch eine Auseinandersetzung mit BALL IM SAVOY zu finden ist. Seeßlen versucht darin direkt auf die Besonderheiten der Kosterlitz-Gaal-Filme einzugehen und diese zu analysieren. Im Rahmen besagter Retrospektive entstand auch der Dokumentarfilm UNERWÜNSCHTES KINO, 176 in dem die Produktionsbedingungen sowie der Weg der im „Unerwünschten Kino“ tätigen Filmschaffenden nach Hollywood im Mittelpunkt stehen. In Bezug auf Kosterlitz sind Interviews mit dessen Sohn Robert Koster sowie verwendetes Filmmaterial hervorzuheben. Dieser kann die Geschichten über die 1930er Jahre jedoch nur aus zweiter Hand wiedergeben. Eine andere Erklärung für eine fehlende filmwissenschaftliche Aufarbeitung der 1930er Jahre (und des „Unerwünschten Kinos“ im Besonderen) könnte die scheinbare Trivialität der Filme sein. Walter Fritz schreibt über Franziska Gaal, dass sie in ihren österreichischen Filmen immer nur die gleiche Rolle zu spielen hatte: „naive, bis leicht dümmliche Mädchen, die die Naivität manchmal auch bewußt anwenden, um in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken.“ 177 Beim Betrachten der drei von Kosterlitz gedrehten Gaal-Filme lässt sich jedoch erkennen, dass die von ihr gespielten Figuren vielschichtiger und keineswegs trivial sind. So schreibt etwa Seeßlen, dass „ihr schauspielerisches Repertoire […] kräftig, eher komödiantisch als psychologisch, dabei nuanciert und vor allem eigenwillig“ ist. „Ihre äußere Erscheinung entspricht perfekt dieser zärtlichen Legende der weiblichen Selbstbestimmung“. 178 Auch in der zeitgenössischen Filmkritik wurde vor allem die Wandlungsfähigkeit der ungarischen Schauspielerin betont: „Man kann diese unerhört vielseitige Künstlerin nicht oft genug sehen: die Gaál überbietet sich in jedem Film von neuem, immer ändert sie die Maske, die Frisur, die Rolle, den Charakter, letzten Endes bleibt sie aber immer…die Gaál!“ 179

176 Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005. 177 Fritz, Walter: Kino in Österreich. 1929-1945 , S.76. 178 Seeßlen, Georg: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft. Anmerkungen zu drei gemeinsamen Filmen von Hermann Kosterlitz und Franziska Gaal“, in: filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05, Wien: Filmarchiv Austria 2005, S. 40. 179 Tonfilm Theater Tanz (Wien/Zürich/New York, 3. Jahrgang, 1935) Nr. 1, S. 1, zitiert in: Dämon, Hanja: „Franziska Gaal. Spuren einer Filmschauspielerin der Dreißigerjahre“, Dipl.-Arb., Universität Wien, Institut für Geschichte 2012, S. 5.

[37] 2.4 Amsterdam

„Then I suddenly got a contract to go to Holland – while I was in Budapest – to direct a picture, from the man who had given me my first chance, THE ADVENTURE OF A BEAUTIFUL WOMAN […], in 1931. Mr. Levy was his name. A wonderful man. He told me to come to Holland. They had no picture industry whatsoever there […] Anyway, he sent me a letter in Budapest asking if I would come to Amsterdam and direct a picture, and what were my conditions? I said to Pasternak, ‚I don’t want to go to Amsterdam. I have my job here in Budapest and Vienna‘ – which were bigger industries and bigger cities. But I didn’t want to say no to him, so I named a terrific price for my services as a director. I think it was thirty or forty thousand dollars. It was an awful lot. And I got a telegram back, ‚Accepted.‘ I was stuck! So I went to Amsterdam and directed a picture, which was very successful, for my old friend, Gabriel Levy, who accepted my conditions. He believed in me because I had made pictures in Germany. […] The picture, DE KRIBBEBIJTER 180 (THE TROUGH-BITER), was quite a success in Amsterdam.“ 181 “The danger of Hitler moving in the land was coming awfully close” 182 , unterstrich Koster zusätzlich seinen Unwillen nach Holland zu gehen. Die Dreharbeiten zu DE KRIBBEBIJTER 183 fanden im Jahr 1935 statt. Die Zwischenstation Amsterdam lässt sich – Koster zufolge – zeitlich zwischen TAGEBUCH DER GELIEBTEN und KATHARINA - DIE LETZTE einordnen. Kosterlitz zufolge waren an diesem Projekt mit Karl Reuss der beste Schauspieler und mit Luise Debray die beste Schauspielerin des holländischen Kinos beteiligt.184 Die holländische Kritik bezeichnete DE KRIBBEBIJTER als „Anfall mit Lachgas, der für Entspannung und Heiterkeit sorgt. […]Summa summarum: in diesem Genre ein erfreulicher Fortschritt. So entstehen neue Bausteine, die langsam aber sicher zum Wachsen einer nationalen Produktion beitragen und die uns Mut für die Zukunft geben sollten.“ 185

Amsterdam war zu dieser Zeit eine beliebte Destination für deutsche Emigranten. Laut Schmidinger und Schoeller waren „die besondere geografische Nähe, die lange Zeit

180 De Kribbebijter , Regie: Hermann Kosterlitz, Holland 1935. 181 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 37. 182 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 112. 183 Bei DE KRIBBEBIJTER Film handelt es sich – neben DER DOPPELGÄNGER – um den einzigen europäischen Kosterlitz-Film, der bis jetzt auf DVD erschienen ist. 184 Vgl. Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 112. 185 Zitiert nach Kathinka Dittrich van Weringh, Der niederländische Spielfilm der dreißiger Jahre und die deutsche Filmemigration, Amsterdam: 1987, S. 89 f., zitiert in: Asper, Helmut G.: „Berlin, Wien, Hollywood: Die drei Karrieren des Henry Koster alias Hermann Kosterlitz“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05 , S. 65.

[38] ziemlich offene Grenze und die traditionelle holländische Gastfreundschaft“ 186 die Gründe dafür. Auch Koster ging darauf ein: “Well, it was next to Germany. They had to go somewhere, and wherever they could go, they went and tried to work and build up a new film industry. […]You see, most of the people who made pictures in Germany were Jewish or were anti-Nazis, at least, and most of them had left. So all over the world there were people starting in a new industry and producing pictures and trying to gather their talent around them again and make pictures. That’s why he called me to Amsterdam. 187 Die niederländische Filmindustrie befand sich – ebenso wie die niederländische Wirtschaft – seit dem Ende der Stummfilmära in einer Krise. Viele der ohnehin nicht sehr zahlreichen Regisseure waren arbeitslos oder sind emigriert. 188 „Da die niederländische Filmproduktion ständig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, war, was sowohl ihren Umfang und ihre Wirkung als auch die Arbeitsmöglichkeiten für Ausländer betraf, der für eine kontinuierliche Produktion zur Verfügung stehende Spielraum nicht sehr groß. Dennoch gelang es deutschen Emigranten, auf diesem unsicheren künstlerischen Arbeitsfeld Fuß zu fassen und eine Reihe von – teils sehr erfolgreichen – niederländischen Filmen zu schaffen.“ 189 Da die deutschen Emigranten von den niederländischen Produzenten billig eingekauft werden konnten, waren sie gern gesehene Gäste. 190 „Auf einmal […] [gab] es wieder neue Ideen, Regisseure, Kameraleute, plötzlich […] [gab] es wieder Filme.“ 191 Ab 1934 wurden rund sechs Filme pro Jahr gedreht, so viele wie noch nie zuvor. Schmidinger und Schoeller zufolge entstanden 36 der insgesamt 37 im Zeitraum von 1934 und 1940 hergestellten Filme unter der Beteiligung deutscher Emigranten. 192 Loacker erwähnt 31 Spielfilme, von denen 15 unter der Regie von Emigranten entstanden sind.193 Neben Kosterlitz waren beispielsweise die Regisseure Klaus Detlef Sierk, Kurt Gerron, Richard Oswald, Max Ophüls sowie der Kameramann Eugen Schüfftan 194 oder der Schauspieler

186 Schmidinger, Veit J./Wilfried F. Schoeller: Transit Amsterdam. Deutsche Künstler im Exil 1933-1945 , München: Allitera 2007, S. 7. 187 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 37. 188 Schmidinger/Schoeller: Transit Amsterdam , S. 141. 189 Hemsdorf, Klaus/Hugo Fetting/Silvia Schlenstedt: Exil in den Niederlanden und in Spanien , Frankfurt am Main: Röderberg 1981 (=Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 6), S. 80. 190 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 24, 25. 191 Schmidinger/Schoeller: Transit Amsterdam, S. 141. 192 Ebd. S. 141. 193 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 45. 194 Vgl. Hemsdorf/Fetting/Schlenstedt: Exil in den Niederlanden und in Spanien, S. 81.

[39] Otto Wallburg 195 in Holland tätig. „Kurt Gerron war jedoch der Einzige, der dauerhaft im Land blieb.“ 196 „Exilfilme wie PYGMALION (R: Ludwig Berger) und KOMEDIE OM GELD (R: Max Ophüls) gehören zu den Klassikern des niederländischen Films und die Blüte des holländischen Tonfilms in den dreißiger Jahren wäre ohne die deutschen Exilanten nicht möglich gewesen.“ 197 Asper zufolge waren die Niederlande somit jenes Land, in dem die deutschen Emigranten den größten Einfluss auf die nationale Filmindustrie ausübten. Dennoch waren die Mittel gering und das Absatzgebiet für holländische Filme nicht sehr groß. 198 „Deshalb blieb Holland für die meisten Filmemigranten nur Durchgangsstation.“ 199 Dabei lässt sich auch hier eine ähnliche „Warteraumfunktion“ wie bei Paris erkennen: „Die politischen, vor allem aber die jüdischen Emigranten entfalteten ein ebenso selbstverständliches wie intensives kulturelles Leben. Dennoch geschah dies in vielen Fällen wie auf Probe und im Konjunktiv: Mit dem Aufenthalt in den Niederlanden war anfangs häufig die Erwartung verbunden, der Weg führe nach dem Abwirtschaften der Naziregierung rasch wieder zurück. So blieb Amsterdam zunächst ein Transitort der Wunschfantasie, ein Schauplatz der Daseinsimprovisation, ein vitales Zentrum mit ungemein vielen Besuchern, bestimmt vom Gesetz der Beschleunigung, das sie mit sich brachten.“ 200

195 Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005. 196 Zaich, Katja B.: „Ein Emigrant erschiene uns sehr unerwünscht … Kurt Gerron als Filmregisseur, Schauspieler und Cabaretier in den Niederlanden“, Film und Fotografie , Hg. Claus-Dieter Krohn/Erwin Rotermund/Lutz Winckler/Irmtrud Wojak/Wulf Koepke, München: Text + Kritik 2003 (= Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Band 21), S. 114. 197 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 24-25. 198 Vgl. Ebd. S. 24-25. 199 Ebd. S. 24-25. 200 Schmidinger/Schoeller: Transit Amsterdam , S. 7.

[40] 2.5 Hollywood

2.5.1 Aufbruch zu neuen Ufern

„My name had been changed before I left Europe. They changed it in Vienna, because they didn’t want a Polish-sounding name like Kosterlitz. But it wasn’t Polish. It was Czechoslovakian. I had the H K initials on my shirt, and I said they could change my name to anything they wanted, except I wanted the keep the H K, because I didn’t want to change my shirts so soon.“ 201 Als Pasternak von Universal -Chef Carl Laemmle nach Hollywood zurückbeordert wurde, teilte er diesem mit, dass er nur unter der Voraussetzung kommen würde, wenn er seinen Regisseur Hermann Kosterlitz mitbringen dürfe.202 „That was in 1935. I signed and we both went to Hollywood in 1936“ 203 , erzählte Koster. An Kosters Seite befand sich seine in Budapest geheiratete Ehefrau. 204 „In Hollywood fanden die Filmemigranten eine Situation vor, in der sie zwar die privaten Sympathien der amerikanischen Filmangestellten genossen, aber einen schweren Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt zu führen hatten,“205 schreibt Horak über die schwierige Situation der Filmemigranten in den USA. Auch Koster und Pasternak hatten es zunächst nicht einfach. Erstens sprach Koster kaum Englisch 206 und zweitens war er zunächst auch in Hollywood „unerwünscht“. Kurz nach ihrer Ankunft wurde Carl Laemmle an der Spitze der Universal abgelöst. Die neue Führung erkannte den Vertrag mit Koster nicht an und wollte den neuen Europäer so schnell wie möglich loswerden. 207 „But (at Universal) they said, ‚We don’t have a contract with you.‘ So I got the telegram out of my pocket, where Laemmle had telegraphed to Budapest that if I would accept $250 a week, they would take me for a year, and seven years option or something. I had accepted that and I came over. But they said, ,That’s no contract. That’s a telegram. It’s a friendly gesture from Mr. Laemmle that you can accompany Mr. Pasternak. But we have no room for another director.’”208

201 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 46. 202 Vgl. Ebd. S. 41. 203 Ebd. S. 41. 204 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 114. 205 Horak, Jan-Christopher: „Filmkünstler im Exil. Ein Weg nach Hollywood“, Die Künste und die Wissenschaften im Exil 1933-1945 , Hg. Edith Böhne/Wolfgang Motzkau-Valeton, Berlin: Lambert Schneider 1992, S. 232. 206 Vgl. Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 114. 207 Asper, Helmut G.: Filmexilanten im Universal Studio. 1933-1960 , Berlin: Bertz + Fischer GbR 2005, S. 43. 208 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 46-47.

[41] 2.5.2 The American Dream

Doch Koster und Pasternak blieben hartnäckig, bis sie ein sehr limitiertes Budget für eine einzige Produktion bekamen. 209 Mit seinem ersten Film THREE SMART GIRLS und der damit verbundenen Entdeckung der 15-jährigen Deanna Durbin feierte Koster einen sensationellen Erfolg. Die Komödie spielte einen 500-prozentigen Gewinn ein und rettete Universal beinahe alleine vor dem Bankrott. Diese Geschichte „ist so oft erzählt worden, dass Fakten und Mythen nur schwer auseinander zu halten sind“ 210 , schreibt Asper. In Zusammenarbeit mit Pasternak und meist auch Felix Jackson (Felix Joachimson) entstanden bis 1942 sechs weitere leichte musikalische Komödien mit Durbin, die Koster zu einer der größten Starschauspielerinnen Hollywoods machte. Allesamt wurden große Publikumserfolge.211 Asper schreibt über diese Filme, dass Koster, Jackson und Pasternak „eine spezifische Variante des europäischen Musicals nach Hollywood [importierten], das sie für den Geschmack des amerikanischen Publikums adaptierten.“ 212 Sie prägten auch das Genre der Familienkomödie entscheidend und zeigten, dass auch der in Hollywood oftmals als zu künstlerisch verschriene europäische Touch an amerikanischen Kinokassen erfolgreich sein konnte. Stilistisch können die frühen Hollywoodfilme Kosters als amerikanische Depressionskomödien (Koster knüpfte in dieser Phase immer wieder an seine Filme mit Franziska Gaal an) eingeordnet werden, in denen durch musikalische Leichtigkeit, Humor, Witz, Gefühl und jugendliche Frische KIassenschranken überwunden werden. So beispielsweise auch in ONE HUNDRED MEN AND A GIRL 213 , der fünf Oscarnominierungen bekam und bei dem Koster trotz Skepsis des Studios die Verwendung klassischer Musik im amerikanischen Unterhaltungskino etablierte und popularisierte. Mit THE RAGE OF PARIS sind Kosters große Ambitionen im Komödienbereich erkennbar, da dieser sich nicht auf die „unschuldigen“ Durbin-Filme reduzieren lassen und sich eher an Lubitsch orientieren wollte. Er kam hierbei aber aufgrund der angedeuteten sexuellen Freizügigkeit immer wieder in Konflikt mit der

209 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins, S. 48. 210 Asper, Helmut G.: Filmexilanten im Universal Studio. 1933-1960 , Berlin: Bertz + Fischer GbR 2005 , S. 43. 211 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 43-47. 212 Ebd. S. 77. 213 One Hundred Men and a Girl , Regie: Henry Koster, USA 1937.

[42] Zensur. Nach weiteren Unstimmigkeiten mit Universal (Emigranten hatten trotz der großen Erfolge nur wenig Mitspracherecht), folgte er zum wiederholten Male dem Ruf seines Freundes Pasternak und übersiedelte zu MGM , 214 wo er aber nach nur drei (erfolgreichen) Filmen aufgrund der starren Studiostruktur seine Zelte wieder abbrach und schließlich 1947 für Samuel Goldwyn THE BISHOP’S WIFE 215 mit Cary Grant inszenierte, ehe er bei 20th Century Fox eine neue Heimat fand. Dort drehte er 1952 mit THE ROBE den ersten CinemaScope -Film der Geschichte und erntete dafür sowohl von der Kritik als auch vom Publikum viel Lob. THE ROBE 216 spielt dabei ebenso raffiniert auf die Judenverfolgung im Nationalsozialismus an, wie der nicht ganz so erfolgreiche 217 .218 1955 inszenierte Koster 219 – ein Biopic des presbyterianischen Geistlichen Peter Marshall, den Koster durch seinen „subtilen Einsatz filmischer Mittel als Vorbild für Menschen aller Konfessionen“ 220 porträtierte. Zwischen 1950 und 1961 wurde Koster – der mittlerweile zu den Spitzenverdienern in Hollywood gehörte und sowohl beruflich als auch gesellschaftlich voll integriert war – für drei Produktionen als Gastregisseur von Universal „ausgeliehen“. Vor allem HARVEY 221 – mit James Steward, der einen „unsichtbaren“ menschengroßen Hasen sieht, in der Hauptrolle – wurde einer seiner meist gefeierten und erfolgreichsten Filme überhaupt. FLOWER DRUM SONG 222 , wo es um das Milieu chinesischer Einwanderer geht, ist wiederum ein gutes Beispiel dafür, dass in Kosters Filmen immer wieder sein eigener Hintergrund der Immigration und des Fremd-seins eine wichtige Rolle einnahm.223 Wie eingangs erwähnt, zog sich Henry Koster 1966 als „der kommerziell erfolgreichste Hollywood-Regisseur der deutschen Filmemigration“ ins Privatleben zurück. Koster starb 1988 in Kalifornien. 224

214 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 43-77. 215 The Bishop’s Wife , Regie: Henry Koster, USA 1947. 216 The Virgin Queen , Regie: Henry Koster, USA 1955. 217 The Story of Ruth , Regie: Henry Koster, USA 1960. 218 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 43-81. 219 A Man Called Peter, Regie: Henry Koster, USA 1955. 220 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“ , S. 82. 221 Harvey , Regie: Henry Koster, USA 1950. 222 Flower Drum Song , Regie: Henry Koster, USA 1961. 223 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“ , S. 82. 224 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 78.

[43] 3 Lebensraum Filmexil

3.1 Der Tonfilm

In Hinblick auf die Produktionsbedingungen zu Beginn der 1930er Jahre spielte die Frage nach dem Ton eine entscheidende Rolle. Zu der Zeit, als Kosterlitz als Autor und Regisseur im Kino Fuß zu fassen begann, befand sich auch der Tonfilm in den Kinderschuhen. Publikum und Filmschaffende begannen erst langsam zu verstehen, wie man mit dieser neuen Kunstform umgehen soll. So schreibt etwa auch Rudolf Arnheim: „In jahrelanger Bemühung hatten Menschen sich dazu erzogen, Filme verstehen, auskosten, würdigen zu können […] Was Wunder, daß die Nachricht vom Auftauchen des Tonfilms den meisten Filmfreunden kein übermäßiges Vergnügen bereitete. Sie ahnten zunächst mehr als sie wußten, daß der tönende Film den stummen völlig aus den Kinos verdrängen […] würde.“ 225 Als für das Publikum größten Pluspunkt erwähnt Arnheim darüber hinaus, dass der Tonfilm „natürlicher“ als der Stummfilm und dadurch besser zum Geschichtenerzählen geeignet sei. Doch gerade in dieser scheinbaren Natürlichkeit stellt sich die Frage, ob durch den Zusatz von Ton nun das Künstlerische des Films verloren geht. Zur Umstellung von Stummfilm auf Tonfilm schreibt Arnheim außerdem, dass nun die groteske Situation entstand, dass Regisseure, „also Männer, die größtenteils selber des Sprechens in hohem Grade unkundig waren“, nun anderen das Sprechen vor der Kamera beibringen mussten. Neben der Abgrenzung zum Stummfilm führte Arnheim auch eine Abgrenzung des Tonfilms von Theater, Hörspiel oder auch Sprechfilm durch und versuchte somit das besondere Potential des Tonfilms herauszuheben bzw. zu definieren und herauszufinden 226 , ob der Tonfilm „eine Kunst eigner Art mit eignen Gesetzen“ 227 sei. Mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigten sich Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre auch andere Theoretiker und Filmschaffende, wie etwa Béla Balász 228 , Wsewolod Pudowkin 229 oder Sergej M. Eisenstein 230 .

225 Arnheim, Rudolf: Film als Kunst , Baden-Baden: Suhrkamp 2002 (Orig. Berlin: Rowohlt: 1932), S. 189. 226 Vgl. Ebd. S. 191-256. 227 Ebd. S. 256. 228 Vgl. Balázs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films , Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001. 229 Vgl. Pudowkin, Wsewolod: „Asynchronität als Prinzip des Tonfilms (1934), Geschichte der Filmtheorie, Hg. Helmut H. Diederichs, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004, S. 381-389. 230 Eisenstein, Sergej M/Wsewolod Pudowkin/Grigorij W. Alexandrow: „Achtung! Goldgrube!“ Gedanken über die Zukunft des Hörfilms (1928), Geschichte der Filmtheorie, Hg. Helmut H. Diederichs, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004, S. 355-359.

[44] In den ersten Jahren bereitete der Ton vor allem auch technisch einige Probleme. Koster über seine Erfahrungen: “Everything had to be learned from scratch when we made sound pictures. I remember the difficulties we had. For instance, I wanted to make musicals, and I did. In 1931 already I started making them. Since a song is cut into close-ups and long shots and medium shots, we had to take parts of it. It was very stupid – we shot that, just that piece of music, and then tried to put it together, and it sounded awful, because in the close-ups the actress would sound like (Sings) “lah lah lah,” and in the long shots she sounded (Muffled) “ah um ah.” When you cut it together, it didn’t make sense. Then we learned from America to shoot the song first, and then have the singer mouth the words. So it sounds like one song. You could cut the close-up in any way you wanted to, and anywhere you wanted to.” 231 Eine weitere Anekdote unterstreicht diesen erwähnten regen Austausch zwischen den USA und Deutschland: „We made tests of sound, just before we started shooting THE LAST COMPANY. They found out that there was an echo in the wall, and the sound hollow, like coming through a tunnel. […] That was at the UFA Studio in Tempelhof. They sent one of the German engineers to America to find out how the Americans did it […], and the engineer came back after six weeks […]. He said, “They cover the walls with a sound-absorbing material, which they order from Tempelhof, in Germany.” So all they would have had to do was to go around the corner, and they would have had it. […] They put it in, but even then they had the camera in a little cabin, a construction so that you wouldn’t hear the sound of the camera.” 232

231 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 27. 232 Ebd. S. 26-27.

[45] 3.2 Der unerwünschte Jude

3.2.1 Goebbels Rede im Kaiserhof

Kosterlitz’ Abschied aus Deutschland war eng mit der bereits erwähnten Rede von Joseph Goebbels verbunden, die er am 28. März 1933 vor der Dachorganisation der deutschen Filmschaffenden im Kaiserhof hielt. Filme wurden nun nicht mehr vorwiegend anhand ästhetischer, sondern anhand rassischer Merkmale beurteilt. 233 In der Rede lobte Goebbels zunächst die deutsche Filmindustrie in höchsten Tönen, bezeichnete sich selbst als einen großen Filmliebhaber und betonte welche Ehre es für ihn ist, diese Industrie vertreten zu dürfen. 234 Dann kam er auf eine angebliche Krise des deutschen Films zu sprechen, bezeichnete diese als eine geistige Krise und bekundete den Willen, „den deutschen Film von der Wurzel aus […] reformieren“235 zu wollen. Zudem bekräftigte Goebbels das Vorhaben der Nationalsozialisten, in sämtliche Bereiche des Lebens eingreifen zu wollen – auch in Hinblick auf die Filmindustrie.236 Für die angebliche Krise des deutschen Films macht Goebbels vor allem Regisseure und Produzenten verantwortlich: „Der Filmproduzent hat die Aufgabe übersehen, Bahnbrecher der Zeit zu sein. Der Film soll sich nicht so erhaben dünken über die Schicksale, die das deutsche Volk durchmacht. Bringt der Film keine volkstümlichen Stoffe, so wird er die Kinopaläste nicht mehr füllen. Man kann sagen: das Volk ist besser als seine Regisseure. Man darf den Geschmack des Publikums nicht unterschätzen“ 237 Sämtliche Filmemacher wurden hier klar als Gruppe von der „Gemeinschaft“ des „deutschen Volks“ abgegrenzt, als würden sie nicht dazu gehören. Diese Trennung ist eine Voraussetzung für spätere Restriktionen gegen jüdische Filmschaffende. Doch das war nicht die einzige Kritik Goebbels an den deutschen Filmschaffenden: „Viele Filmschaffende gehen noch umher, als sei die Machtergreifung vom 30. Januar ein Phänomen, das man nur kopfschüttelnd feststellen könnte. Dadurch, daß man sich blitzschnell umzustellen versucht hat, kann man den Geist der neuen Zeit nicht begreifen. Nur wer von ihm durchflutet ist, kann sie gestalten, wer neben der Zeit lebt, kann es nie. Darum ist die Krise auch eine personelle. Viele müssen heute einsehen, daß, wenn die Fahne fällt, auch der Träger fällt.“ 238

233 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 28. 234 Vgl. „Die Goebbels-Rede im Kaiserhof am 28.3.1933“. 235 Ebd. 236 Vgl Ebd. 237 Ebd. 238 Ebd.

[46] Auch wenn Goebbels nicht wörtlich den Ausschluss jüdischer Filmschaffender aus der deutschen Filmindustrie forderte, so wurde er in seiner Rede doch sehr deutlich, sodass jeder in der Filmbranche verstand, woher der neue Wind weht: „Allerdings ist Kunst nur dann möglich, wenn sie mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich eingedrungen ist. Ich warne davor, das deutsche Volk so billig einzuschätzen, wie es leider auch die anderen Künste vor dem Film getan haben. […] Wir denken gar nicht daran, auch nur im entferntesten, zu dulden, daß jene Ideen, die im neuen Deutschland mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, irgendwie getarnt oder offen im Film wieder ihren Einzug halten. […] Der Künstler und die Produktion haben die Konsequenzen aus dieser Lage zu ziehen. Zu neuem schöpferischen Wollen haben sie sich zu bekennen, der Mut zur neuen Zeit ist die Vorbedingung, und nicht neue Ideen allein, auch neue Menschen müssen kommen. […] Allerdings ist der Publikumsgeschmack nicht so, wie er sich im Inneren eines jüdischen Regisseurs abspielt. Man kann kein Bild vom deutschen Volk im luftleeren Raum gewinnen. Man muß dem Volke aufs Maul schauen und selbst im deutschen Erdreich seine Wurzeln eingesetzt haben. Man muß ein Kind dieses Volkes sein. […] Die Kunst ist frei und die Kunst soll frei bleiben, allerdings muß sie sich an bestimmte Normen gewöhnen.“ 239 Denn Abseits dieser Normen begannen laut Goebbels „gefährliche Experimente, die nur zu oft als Ausschreitungen eines kranken Gehirns anzusprechen sind“. 240 Dass damit die jüdischen Filmschaffenden gemeint waren, ist kein Geheimnis. Rhetorisch konstruierte Goebbels hier mit einfachen Mitteln Fremd- und Feindbilder. Denn, wie bereits angeschnitten, erfolgt die Stärkung kollektiver Identität durch die Abgrenzung gegen Nicht-Mitglieder des Kollektivs. Besonders wirksam ist hierbei die Konstruktion gemeinsamer Feindbilder. 241 Rhetorische Exklusion der jüdischen Filmschaffenden war somit die Voraussetzung, um das Feindbild des jüdischen Regisseurs und des jüdischen Produzenten zu zeichnen. Die nationalsozialistische Produktion der Gruppe jüdischer Regisseure verdeutlicht auch die von Koster getätigte Aussage, dass er sich seiner jüdischen Identität erst mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und dessen Rassensentiments bewusst wurde. Davor war ihm Religion nach eigenen Aussagen relativ gleichgültig. 242 Die deutsche Propaganda beeinflusste somit nicht nur den Weg durch Europa, sondern auch die Eigenwahrnehmung des Individuums Hermann Kosterlitz.

239 Ebd. 240 Ebd. 241 Vgl. Landwehr/Stockhorst: Einführung in die europäische Kulturgeschichte , S. 197. 242 Vgl. Asper, Helmut G.: „Berlin, Wien, Hollywood: Die drei Karrieren des Henry Koster alias Hermann Kosterlitz“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05 , S. 65.

[47] 3.2.2 Veränderungen in der deutschen Filmindustrie

Bereits vor Goebbels Rede stellten die Nationalsozialisten entscheidende Weichen für die Einflussnahme auf die deutsche Film- und Kulturpolitik: Am 10. März 1933 243 wurde „gestützt durch den nationalen ‚Kampfbund deutscher Kultur‘, […] die Geschäftsleitung der Filmbörse , der zentralen Vermittlungsstelle für alle Filmschaffenden, durch einen Parteigänger ersetzt. Parallel dazu kam es zur Bildung Nationalsozialistischer Betriebsorganisationen (NSBO) in sämtlichen Berufssparten der Filmindustrie, 244 die nicht nur die Basis, sondern auch die Filmbörse zu kontrollieren begannen. 245 Am 11. März 1933 wurde schließlich das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gegründet und am 17. März eine „eigene Filmabteilung innerhalb des Ministeriums installiert“246 , wodurch die Nationalsozialisten Anspruch auf die „geistige Führung“ Deutschlands stellten. „Schädliche Kräfte“ sollten nun bekämpft und „wertvolle“ gefördert werden. Das sei die Aufgabe des Staates, der nun „die Schaffenden auf allen Gebieten unter der Führung des Reichs zu einer einheitlichen Willensgestaltung“ zusammenfassen soll, um eine „Politik der deutschen Kultur zu treiben“. 247 Bereits einen Tag nach Goebbels Rede beschloss der Vorstand der Ufa , dass „nach Möglichkeit die Verträge mit jüdischen Mitarbeitern und Angestellten gelöst werden sollen.“ 248 Als Grund dafür werden die „nationalen Umwälzungen in Deutschland“ genannt. „Einen ersten Höhepunkt erreichte die antisemitische Hetze dann am 1. April 1933 beim sogenannten ‚Boykott-Tag‘. SA-Horden zogen durch die Straßen und skandierten ‚Deutsche wehrt euch, kauft nicht bei Juden‘ und ‚Deutschland erwache, Juda verrecke‘. Die Aktion richtete sich gegen jüdische Geschäfte und Anwaltskanzleien ebenso wie gegen Professoren, Lehrer, Schüler, Künstler und nicht zuletzt Filmschaffende.“ 249 Ereignisse, auf die auch Hermann Kosterlitz selbst im Interview mit Atkins eingeht und die zuletzt mit ein Grund für seine Entscheidung, Deutschland den Rücken zu kehren, waren: „Well, it was a very nerve-wracking time. The Nazi soldiers, marching through the street, just a few weeks before Hitler came into power started beating up people, especially

243 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 11. 244 Ebd. S. 11. 245 Ebd. S. 11. 246 Ebd. S. 11. 247 Vgl. Reichsanzeiger , 26.9.1933, zitiert in: Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 36. 248 Albrecht, Gerd: Nationalsozialistische Filmpolitik . Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reiches, Stuttgart: 1969, S. 17, 18, zitiert in: Horak: „Filmkünstler im Exil. Ein Weg nach Hollywood“, S. 235. 249 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 11-12.

[48] Jewish people. It became so that one was afraid to walk in the streets. […] We had what they call in German a STAMMTISCH […] where we all met after we came from the studio. There was a director and a writer and an actor. About six or eight people sat together. Then came that famous evening where Hitler had a parade UNTER DEN LINDEN, where his soldiers gave him a parade with torches. That was a terrible night. I went over to my table in that restaurant, and the others asked me not to sit down. They were worried that they’d sit down with a Jewish director. I couldn’t believe that. I thought it was just terrible. But that one director said, ,Well, we feel more secure,’ and I said, ,That’s a new one.’ He said, ,You’ll learn a lot of new things.’ It was really terrible.“ 250 Kosterlitz verließ – wie erwähnt – bereits am 05. April Deutschland. Dennoch soll an dieser Stelle kurz auf Entwicklungen in der deutschen Filmindustrie ab diesem Zeitpunkt eingegangen werden – nicht zuletzt, da die neu gegründeten Institutionen später auch Einfluss auf Kosterlitz‘ Karriere in Österreich und Ungarn nahmen. Am 1. Juni 1933 riefen die Vertreter der filmwirtschaftlichen Fachverbände die Filmkreditbank ins Leben 251 , die ebenfalls dem Propagandaministerium unterstand. 252 Die Filmkreditbank sollte „bei den Vertretern der deutschen Filmindustrie Vertrauen und Zustimmung erwecken und gleichzeitig unerwünschte Inhalte und Personen aus dem deutschen Filmschaffen ausschließen.“ 253 All diese Institutionen erlangten spätestens ab der zweiten Jahreshälfte 1933 großen Einfluss auf die deutsche Filmindustrie, sodass ohne sie keine Produktion mehr möglich war. „Die Grundlage der deutschen Filmpolitik bildete das am 15. Juli 1930 eingeführte ‚Gesetz über die Vorführung ausländischer Bildstreifen‘. 254 Dieses Gesetz ermöglichte eine peinlich genaue Unterscheidung zwischen ausländischen und deutschen Filmen. Für die nationalsozialistische Filmpolitik erwies sich die Kontingentverordnung als das ideale Instrument, um – wie es hieß – die ‚deutsche Filmherstellung aus den Händen der Juden‘ zu befreien.“ 255 Dieses Gesetz wurde am 28. Juni 1933 überarbeitet. Und zwar in jenem Punkt „was als ‚deutsch‘ anzusehen sei.“256 Ab sofort galt als deutscher Film, wenn

250 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 32, 33. 251 Vgl. Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 40. 252 Loacker, Armin/Martin Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937. Die Etablierung der Nationalsozialistischen Filmpolitik und die Folgen für österreichiche Filme am deutschen Markt“, Modern Austrian Literature. Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association Volume 32/Number. 3, Riverside: 1999, S.90. 253 Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 40. 254 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 90. 255 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 90. 256 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S.90.

[49] „die Produktionsleiter und Regisseure sowie alle Mitwirkenden Deutsche sind … Deutscher im Sinne dieser Verordnung ist, wer deutscher Abstammung ist und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.‘“ 257 Diese Bestimmungen waren nun die Konkretisierung dessen, was Goebbels in besagter Rede angesprochen hatte. Eine weitere wichtige Institution war die am 22. September gegründete und ebenfalls dem Propagandaministerium unterstehende Reichskulturkammer. Diese regelte Arbeitsbedingungen und konnte Unternehmen sowohl gründen, als auch schließen. 258 „Ihre Aufgabe war die Neuordnung des künstlerischen Schaffens. Abgestimmt auf die Rassenideologie der Nationalsozialisten und gegen […] abstrakte und moderne Strömungen gerichtet. Sie war Instrument zur, der von Hitler zehn Jahre zuvor in Mein Kampf beschriebenen, sittlichen Staats- und Kulturidee . Umfassendes Schaffen in Bildhauerei, Malerei, Architektur, Literatur, Musik und Film geschaffen von der rassischen Substanz der Volksgemeinschaft.“ 259 Auch, wenn es bereits lange Zeit ein inoffizielles Berufsverbot in der deutschen Filmindustrie gab 260 , dauerte es jedoch bis zum 28. Jänner 1935 bis der Ausschluss jüdischer Filmschaffender aus der deutschen Filmindustrie konkretisiert und gesetzlich festgeschrieben wurde. Bedeutend dafür waren die Richtlinien der deutschen Kontingentstelle, die ab 02. Februar 1934 mit der Überprüfung von Besetzungslisten beauftragt wurde. 261

3.2.3 Kosterlitz und die deutschsprachige Filmemigration

Die Restriktionen führten zur Emigration der „kreativsten Kräfte des deutschen Films. Von diesem Exodus seiner Elite hat sich der deutsche Film nie wieder erholt.“ 262 Die Sorge vor einem Zusammenbruch des deutschen Films war auch bei den Nationalsozialisten allgegenwärtig. Somit musste Goebbels Ausnahmen zulassen: 263 „Ausländer, zu denen nun auch die deutschen ‚Nichtarier‘ zählten, konnten über einen speziellen Antrag beim Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda eine

257 „Verordnung über die Vorführung ausländischer Bildstreifen vom 28.6.1933. Art I, 1.§2“, Handbuch des Films 1935/36 , Berlin 1935, S. 64, zitiert in: Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 90. 258 Vgl. Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937, S. 36. 259 Ebd. S. 36. 260 Vgl. Ebd. S. 235. 261 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 91. 262 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20-21. 263 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20-21.

[50] Anstellung beim Film erhalten. Ein solcher Antrag hatte nur bei ‚kulturellen oder künstlerischen Erwägungen‘ Aussicht auf Erfolg.“ 264 Doch diese Sondererlaubnis, wie zum Beispiel jene für Otto Wallburg, wurde bereits nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. 265 Wallburg, der bereits in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN zu sehen war, spielte letztendlich in den Kosterlitz-Filmen PETER, KLEINE MUTTI, BALL IM SAVOY und KATHARINA - DIE LETZTE. Somit ist er jener Schauspieler mit dem Kosterlitz während seiner Zeit im Exil am öftesten zusammen arbeitete. Die Zahlen, wie viele Filmschaffende durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten zur Emigration getrieben wurden, gehen stark auseinander. Während Loacker rund 900 emigrierte Filmschaffende nennt 266 , spricht Asper von rund 2.000. 267 Dabei macht es natürlich einen Unterschied, welche Berufsgruppen berücksichtigt werden und welche nicht. So zählt etwa Asper „Regisseure, Drehbuchautoren und –autorinnen, Produzenten, Komponisten, Schauspieler und Schauspielerinnen, Kameraleute, Cutter, Tontechniker, Filmarchitekten, Regie- und Produktionsassistenten, Agenten, Filmkaufleute, Verleiher, Kinobesitzer“ 268 zu den ins Exil Gezwungenen. Dabei handelte es sich in erster Linie um jüdische Filmschaffende. „Nur sehr wenige nicht-jüdische Filmkünstler sind freiwillig exiliert.“ 269 Viele der Emigranten und Emigrantinnen glaubten, dass sie bald wieder zurückkehren würden. Und so war es auch: Eine nicht unbedeutende Anzahl kam bereits 1933 wieder aus Frankreich zurück, da ihr Touristenvisum abgelaufen war. 270 Es wäre jedoch zu einfach, die Emigrationsbewegungen auf das Aufkommen des Nationalsozialismus zu reduzieren. Die Entscheidung zu emigrieren wurde letztendlich von mehreren Faktoren beeinflusst. 271 In Bezug auf die Emigration deutscher Filmschaffender spricht Elsaesser von Migrationswellen, die (auch) wirtschaftlich motiviert waren. „Was Individuen und Arbeitskräfte von Land zu Land trieb, war die alle Bereiche des Filmgeschäfts durchdringende Finanzkraft des Kapitals.“ 272 Zwar bezieht

264 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S.91. 265 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 14. 266 Vgl. Ebd. S. 25. 267 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20. 268 Ebd. S. 20. 269 Ebd. S. 20-21. 270 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light , S. 52. 271 Vgl. Ebd. S. 52. 272 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 319.

[51] er sich in erster Linie auf die Emigration nach Hollywood, jedoch treffen seine Darstellungen auch auf die dritte von ihm genannte Emigrationswelle rund um Hermann Kosterlitz zu, die anfangs vor allem eine innereuropäische war. Zudem lässt ein Blick auf die Emigration deutscher Filmschaffender ab den 20er Jahren diese Welle in neuem Licht erscheinen. Zur ersten von Elsaesser genannten Welle gehörten der 1921 emigrierte sowie Friedrich Wilhelm Murnau. Hollywood war ihr Ziel, ihre Beweggründe waren ökonomisch motiviert: „Hollywood machte Filme mit größeren Budgets, in besser ausgerüsteten Studios, für ein größeres Publikum.“ 273 „Diese Filmemacher waren also weder arme Auswanderer, die auf der Suche nach dem amerikanischen Traum ihr Herkunftsland verließen, noch waren sie politische Exilanten oder Flüchtlinge. Vielmehr handelte es sich um Filmkünstler und –handwerker, die von den technischen Möglichkeiten, den Ressourcen und Aufstiegschancen in Hollywood angezogen wurden. Zumindest im ersten Jahrzehnt ist Emigration daher Reaktion auf die außerordentliche ökonomische Dynamik, wie sie für die Filmindustrie jener Jahre bestimmend war, und auch Indiz für deren internationalen Charakter […]“ 274 Zur zweiten Emigrationswelle um das Jahr 1930 gehörten Wilhelm Dieterle, Hans Heinrich von Twardowski oder auch Günther von Fritsch. Viele dieser Filmemacher wurden von der „Berliner Tochterfirma der Warner Bros . angeworben“, um in den USA deutsche Sprachversionen von Hollywoodfilmen herzustellen. 275 Mit der Verwendung des Begriffs „Welle“ läuft man jedoch Gefahr zu übersehen, dass Emigration oft keine einseitige Bewegung war. So waren Pabst, Bernhardt, Ulmer und Dupont schon vor 1933 immer wieder länderübergreifend tätig. 276 „Besonders in den späten 20er und frühen 30er Jahren hat man vielmehr von einem regen Hin und Her auszugehen“ 277 , schreibt Elsaesser. Der vereinfachte Begriff der „Welle“ erscheint in dieser Hinsicht obsolet. Tatsächlich war auch Kosterlitz vor seiner Flucht an (vermutlich) drei französischen Produktionen als Autor beteiligt. Über diese Tätigkeit ist jedoch nicht viel zu finden. Eine Ausnahme bildet eine Erwähnung bei Mierendorff, dass Kosterlitz noch im selben Jahr, in dem er DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND inszenierte, einen

273 Ebd. S. 318. 274 Ebd. S. 318. 275 Vgl. Ebd. S. 318. 276 Vgl. Ebd. S. 320. 277 Ebd. S. 320.

[52] „Vertrag mit Pathé in Paris als Filmschriftsteller“ 278 abgeschlossen hat. Koster äußerte sich selbst kurz zu diesem französischen Intermezzo: „After SINFUL AND SWEET, there was one I did in France, in French, for her [Anm. Anny Ondra], LA QUADRILLE D’AMOUR (LOVE QUADRILLE). That was when I wrote stories in France. There were two more, but I’ve forgotten the titles…” 279 Hierbei ist zu beachten, dass SÜNDIG UND SÜSS 280 bereits aus dem Jahr 1929 stammt und LA QUADRILLE D’AMOUR 281 vermutlich 1934 hergestellt wurde. Das Zitat gibt somit nur wenig Aufschluss, wann er genau in Frankreich tätig war, bestätigt allerdings, dass er schon vor 1933 in Paris tätig war. 282 Etwas ausführlicher ging Koster im Interview aus dem Jahr 1975 auf die Frage ein, warum er zuerst gerade nach Paris emigrierte: „Well, I went to Paris. That was the only place where I could go. I had a passport to Paris. I made a picture in Paris, before I got there. I wrote a script for a Russian director, Fedor Ozep, called, LES MIRAGES DE PARIS (1932).” Auf Horaks Frage, ob LES MIRAGES DE PARIS 283 vor oder nach seiner Emigration aus Deutschland entstand, führt Kosterlitz weiter aus: „No, that was in 1932. Ozep called me, if I would help him out with a script. […] So I went to Paris per train and got a visa. And then he wanted me to come again, so I got a permanent visa, which was very good for me. I didn’t have to apply for a visa. Some people waited for weeks to get a visa. I got to Paris, went through the hungry times and the suicide times in Paris. No me, but a lot of people in the hotel where I was committed suicide.” 284 Wieder zeigt sich, dass Kosterlitz‘ Weg nach Paris wohl kein Zufall, sondern Resultat eines transnationalen Hin und Her von Filmschaffenden war. Metropolen, in denen es bereits eine funktionierende Filmindustrie gab, waren bevorzugte Fluchtpunkte. Zudem wurden auch Städte und Länder bevorzugt, mit denen Deutschland auch schon vor dem Jahr 1933 enge Kooperationen auf dem Filmsektor führte. In Europa waren dies Paris,

278 Mierendorff: „Henry Koster“, S. 774. 279 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 29. 280 Sündig und Süß , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1929. 281 Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Film um KARNEVAL UND LIEBE beziehungsweise um eine französische Sprachversion des Films handelt. 282 Im Vorspann des 1932 in Frankreich hergestellten COEURS JOYEUX ( Coeurs joyeux , Hanns Schwarz/Max de Vaucorbeil, Frankreich 1932) wird Kosterlitz als Autor genannt. Da es sich jedoch lediglich um eine französische Sprachversion von ZIGEUNER DER NACHT (Zigeuner der Nacht , Regie: Hanns Schwarz, Deutschland 1932) handelt, darf bezweifelt werden, dass mit der Herstellung des Films ein Frankreichaufenthalt verbunden war. 283 Mirages de Paris , Regie: Fedor Ozep, Frankreich/Deutschland 1932. 284 Horak: „Henry Koster Interview (1975)“, S. 109.

[53] Wien, Budapest, London, Amsterdam, Prag 285 sowie auch die Schweiz. 286 Obwohl es in einigen Ländern versucht wurde, war der Aufbau einer unabhängigen Filmproduktion nirgendwo von großem Erfolg gekrönt. 287 „Die exilierten Filmleute waren vielmehr von Anfang an gezwungen, sich in die Filmindustrie ihrer jeweiligen Exilländer zu integrieren […]. Sie mussten sich anpassen an die sehr unterschiedlichen Produktionsbedingungen in den verschiedenen Ländern […] und sie mussten ihre Filme in den jeweiligen Landessprachen drehen und international werden und sich an den Geschmack des Publikums adaptieren, das sie doch gar nicht kannten. […] Diese spezifischen Bedingungen des industriellen Massenmediums Film müssen berücksichtigt werden bei der Einschätzung ihrer gesamten Filmarbeit und bei den von ihnen gedrehten ,Exilfilmen‘.“ 288 Filme, an denen Emigranten beteiligt waren, werden in der Forschungsliteratur unter bestimmten Voraussetzungen als „Exilfilme“ bezeichnet: „Exilfilme sind nach der Definition von Jan-Christopher Horak Filme, die im Zeitraum von 1933 – 1950 im Exil gedreht wurden und bei denen mindestens zwei der wesentlichen Schlüsselpositionen Produktion, Regie und Drehbuch besetzten und die entweder thematischen Bezug nehmen auf die Gegenwart und /oder eine Fortsetzung der Filmarbeit der Weimarer Republik darstellen.“ 289 Im besagten Zeitraum wurden laut Horak rund 230 Exilfilme hergestellt. 290 „Diese Exilfilme gehören sowohl zur deutschen als auch zur Filmgeschichte der Exilländer.“ 291 „Die Mehrzahl dieser Exil-Filme lässt sich unter dem Begriff Unterhaltungsfilm oder – weniger vorbelastet, Publikumsfilm fassen, denn auf die Genres Komödie (23%), Musical/Operette (20%), Melodrama (16%), Kostümfilm (14%), Kriminalfilm (8%), phantastischer Film (5%) entfallen insgesamt über 80% der Exilfilme; auf Literaturverfilmungen nur 6% und lediglich 8% auf den Anti-Nazi-Film.“ 292 Das Ziel, den eigenen Beruf weiter auszuüben, gab somit den Weg ins Exil vor. 293 Regisseure und Filmtechniker – besonders wenn sie bereits einen großen Namen hatten – waren durch diese früheren Kontakte gut mit Kollegen und Produktionsfirmen im Ausland vernetzt. Durch vorangegangene Filmprojekte kannten sie die

285 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20-21. 286 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 14. 287 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 21. 288 Ebd. S. 21. 289 Ebd. S. 21. 290 Vgl. Ebd. S. 21. 291 Ebd. S. 21. 292 Asper, Helmut G.: „Ungeliebte Gäste. Filmemigration in Paris 1933-1940. Mit einer Filmografie von Jean-Christopher Horak: Exilfilme in Frankreich 1933-1950“, Film und Fotografie , Hg. Claus-Dieter Krohn/Erwin Rotermund/Lutz Winckler/Irmtrud Wojak/Wulf Koepke, München: Text + Kritik 2003 (= Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Band 21), S. 46. 293 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20-21.

[54] Arbeitsbedingungen im Ausland und von ausländischen Filmstudios. Zudem hatten sie als „Techniker“ weniger mit Sprachbarrieren zu kämpfen. 294 Damit „ergaben sich für sie Möglichkeiten, die den Autoren und Schauspielern nicht offenstanden, ganz abgesehen von der Tatsache, daß für diese Sprache bei der Arbeitssuche in Frankreich, England oder den USA ein oft unüberwindliches Hindernis darstellte.“ 295 Umso bemerkenswerter ist, dass Kosterlitz gerade in Paris – mit lediglich peripheren Französischkenntnissen 296 – als Autor tätig war, während er bei den deutschsprachigen Produktionen Regie führte. Dennoch verfasste er seine Manuskripte wohl auf Deutsch. Dass es für eine Regietätigkeit nicht unbedingt notwendig ist, die Sprache zu sprechen 297 , in der das visuelle Kunstwerk gedreht wird, zeigt das Beispiel Robert Siodmak. „LE SEXE FAIBLE ist so perfekt in der Anpassung, daß Siodmak auf Anhieb ein genuin französischer Film gelingt. Nur mit Hilfe eines Dolmetschers konnte er sich überhaupt bei den Dreharbeiten mit den Schauspielern verständigen, und erst gegen Ende seiner französischen Periode, so bekennt er in den Memoiren, habe er die Dialoge von LE SEXE FAIBLE halbwegs verstehen können. Siodmak läßt das Tempo des Sprechens und das dialogbetonte Agieren der Schauspieler unangetastet. Er will eine französische Komödie drehen und sucht daher eher den Abstand zu seinen Weimarer Komödieninszenierungen.“ 298 Die Integration in vorhandene Strukturen traf nicht immer auf positive Resonanz. In Frankreich wurde den Deutschen eine „unheimliche Fähigkeit, sich anzupassen und das ‚Französische‘ nachzuahmen“ nachgesagt. Auch deshalb wurden sie als Bedrohung wahrgenommen, 299 da französische Filmschaffende Angst hatten, von den Emigranten aus ihren Berufen gedrängt zu werden. „Die sich kaschierende Assimilierung wurde als viel größere Bedrohung gesehen als die offene ‚Andersartigkeit‘“. 300 Mit den kulturellen und produktionstechnischen Unterschieden und dem damit verbundenen Anpassungszwang beschäftigte sich auch Pem: „Die französische Filmindustrie, die vor 1933 nur in kleinerem Rahmen produzierte, erlebte einen internationalen Auftrieb. Zu einem kleinen Teil können die deutschen Emigranten den Kredit für sich in Anspruch nehmen, zur Produktionssteigerung

294 Vgl. Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 320. 295 Ebd. S. 320. 296 Vgl. Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 34. 297 Ähnlich erging es Kosterlitz bei den Dreharbeiten zu DE KRIBBEBIJTER sowie bei der Herstellung der italienischen Sprachversion von TAGEBUCH DER GELIEBTEN. 298 Jacobsen, Wolfgang/Hans Helmut Prinzler (Hg.): Siodmak Bros. Berlin-Paris-London-Hollywood , Berlin: Argon 1998. 299 Vgl. Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 90 300 Ebd. S. 89

[55] beigetragen zu haben. Natürlich war es für sie nicht leicht, sich der neuen Mentalität anzupassen. Worüber man in Berlin gelacht hatte, ließ die Pariser absolut kalt. Konflikte trugen in französischen Filmen einen ganz anderen Charakter als in deutschen. Nachdem die neue Technik aber einmal gelernt war, wurde sie dem jungen Kosterlitz eine große Hilfe.“301 Obwohl Goebbels die Emigranten mit den Worten „Ihr Lebensfaden ist ihnen abgeschnitten, sie sind Kadaver auf Urlaub“ 302 verhöhnte, war wohl auch bei den Nationalsozialisten die Sorge um die deutsche Filmindustrie allgegenwärtig. Es wurde sogar versucht, einige der Emigrierten wieder zurück zu holen. So wurde Goering in der französischen Presse zitiert: „Numerous German subjects belonging to the film industry have gone to Paris in search of work in the studios there. Most of their names are known and they figure on a blacklist. If they do not reply to the letter of reintegration, that they can obtain from the Ministry of the Interior, they will lose their nationality and their possessions.“ 303 Mit zunehmendem Einfluss von Nazi-Deutschland in Europa konnten auch die Exilanten in ihrer neuen „Heimat“ nicht mehr in Ruhe arbeiten. Hollywood wurde zum nächsten Ziel der Filmemigration. 304 „Im Krieg zerstörten die Nazis dann die Exilfilmproduktion in den besetzten Ländern, mit brutaler Gewalt schnitten sie nun wirklich den Lebensfaden vieler Filmexilanten ab, die nicht mehr rechtzeitig aus der Mausefalle Europa herausgekommen waren und die ihnen in die Hände fielen. Zahlreiche Filmemigranten sind in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet worden.“ 305

301 Pem: Strangers Everywhere , S. 283, zitiert in: Mierendorff: „Henry Koster“, S. 775. 302 Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 26. 303 Vgl. Cinématographie Francaise , 22 July 1933, S. 20, zitiert in: Phillips: City of Darkness, City of Light , S. 51-52. 304 Vgl. Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 20-21. 305 Ebd. S. 26.

[56] 3.3 Der unerwünschte Deutsche

3.3.1 Filmexil Frankreich

Kosterlitz „Übersiedelung“ von Berlin nach Paris unterstreicht die Veränderung des innereuropäischen Stellenwerts dieser beiden Städte. Denn „während die 20er Jahre Berlin gehörten, als der ‚Hauptstadt Europas‘ und Stadt der Sünde und der Moderne, dominierte Paris zweifellos die 30er Jahre.“ 306 So verwundert es auch nicht, dass Kosterlitz nicht der einzige deutsche Auswanderer in Paris war. Bei einer Einwohnerzahl von rund 1,25 Millionen Menschen lebten im Jahr 1933 um die 50 bis 60.000 Deutsche in Paris. Im restlichen Frankreich waren es nicht mehr als 30.000. Rund 90% der Migranten waren männlich und 75% befanden sich im produktiven Alter zwischen 25 und 40 Jahren. Zwischen 20. April und 07. Juli 1933 notierte die Pariser Polizei die Ankunft von 7.195 deutschen Flüchtlingen. 307 Die deutschen Emigranten können in drei Kategorien eingeteilt werden: Vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehende Juden, politische Gegner der Nationalsozialisten sowie Kunstschaffende oder Intellektuelle, die die neue Diktatur ablehnten. 308 Viele der Neuankömmlinge waren in der Filmbranche tätig. Horak zufolge sind „in Frankreich 46 Exilfilme zwischen 1933 und 1950 entstanden.“ 309 Robert Siodmak war mit neun Filmen der produktivste deutsche Regisseur im Paris der 30er Jahre. G.W. Pabst und Max Ophüls drehten je sechs Filme und Kurt Bernhardt vier. Aber auch Ludwig Berger, Richard Eichberg, Kurt Gerron, Fritz Lang, Mac Nosseck, Wilhelm Thiele, Victor Trivas, Robert Wiene und nicht zuletzt auch Billy Wilder drehten ein bis zwei Filme in Paris. 310 Bei dieser von Elsaesser durchgeführten Zählung sind die französischen Sprachversionen deutscher Filme noch nicht mit eingerechnet. Viele der Migranten waren bereits aufgrund ihrer deutschen Produktionen beim französischen Publikum beliebt. 311 So wurden die deutschen Einwanderer zu Beginn auch wohlwollend von der französischen Regierung willkommen geheißen. 312 Sie

306 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“ 81. 307 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light , S. 56. 308 Vgl. Ebd. S. 56. 309 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 46 310 Vgl. Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 82. 311 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 58. 312 Vgl. Ebd. S. 56.

[57] sollten der französischen Filmindustrie im Wettstreit mit Hollywood unter die Arme greifen. 313 Manche Stimmen gingen sogar so weit, zu behaupten, dass Hollywood Frankreich um die deutschen Emigranten noch beneiden werde. 314 In der Emigrantenzeitung Pariser Tageblatt freute man sich am 15. Dezember 1933 überschwänglich: „Das Schwergewicht der künstlerisch ernsthaften deutschen Filmproduktion ist unzweifelhaft nach Paris verlagert worden. Alles, was im deutschen Filmschaffen der letzten Jahre Rang und Namen hatte, produziert jetzt dank Herrn Dr. Goebbels in Paris, so daß man wohl ohne Übertreibung behaupten kann: der wahrhaft repräsentative deutsche Film wird von nun an in Frankreich hergestellt!“ 315 Film-Deutschland habe sich somit „hervorragenden künstlerischen Potenzen […] unter dem Druck des Rassenwahns freiwillig beraubt“, war weiter zu lesen. Doch das positive Bild täuscht. Dass Filmschaffende aus dem Ausland nun vermehrt an französischen Filmen beteiligt waren, wurde von der französischen Filmindustrie ambivalent aufgenommen. „Jude zu sein bedeutete, nicht als Anti-Faschist, sondern als Repräsentant des deutschen Kapitalismus betrachtet zu werden, also als aggressiver und erfolgreicherer Konkurrent.“ 316 Die Neuankömmlinge wurden als bedrohliche Konkurrenz wahrgenommen und sahen sich – nicht nur in der Filmindustrie – mit Xenophobie und Antisemitismus konfrontiert. 317 Die Feindseligkeiten wurden von Rechtsextremen in allen Gesellschaftsschichten geschürt. Aber auch die Linke beteiligte sich an den Anfeindungen.318 Antisemitische Tendenzen waren in Kabaretts ebenso zu vernehmen, wie in Romanen 319 . Dieses fremdenfeindliche Klima blieb über die gesamten 1930er Jahre hinweg bestehen. 320 Es verschlechterte sich sogar. So schreibt Elsaesser über die Situation der Migranten gegen Ende der 1930er Jahre: Vielmehr waren sie „Ausländer, sie waren als Arbeitslose lästig für die Behörden, und sie waren Flüchtlinge, die wegen ihrer Rasse oder Überzeugung verfolgt wurden.“ 321 Dabei treffen

313 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light , S. 16. 314 Vgl. Ebd. S. 58. 315 Pariser Tageblatt , 15.12.1933, zitiert in: Asper, Helmut G.: „Filmseite/Filmkritik/Filmberichte“, Rechts und Links der Seine. Pariser Tageblatt und Pariser Tageszeitung 1933-1940 , Hg. Hélène Roussel/Lutz Winckler, Tübingen: Niemeyer 2002 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur , Band 89), S. 228. 316 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 92. 317 Vgl. Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 41. 318 Vgl. Jeancolas: Le cinéma des Français, S. 101. 319 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light , 102. 320 Vgl. Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 43. 321 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 81.

[58] vor allem die Begriffe „Ausländer“, „Arbeitslose“, „Flüchtlinge“ auch auf die Emigrationswelle rund um Kosterlitz zu. Bevor aber auf Anfeindungen in der Presse, Einschränkungen in der französischen Filmindustrie und damit verbundene identitätsbildende Abgrenzungsmechanismen eingegangen werden soll, ist es sinnvoll, einen Blick auf etwaige Gründe für die französischen Ängste zu werfen. Denn: „Die politisch bedingte Emigration auch als Teil eines Handelskriegs zu sehen, durch den Deutschland auf die versuchte Kolonisierung des europäischen Markts durch Hollywood reagierte und dabei auch den Nachbarn Frankreich einspannte, macht vielleicht die empfindliche Haltung der französischen Filmindustrie etwas verständlicher.“ 322

3.3.2 Transnationaler Wettstreit

Während der 1920er Jahre war das europäische Kino von mehreren Polaritäten geprägt, die miteinander konkurrierten, sich aber auch ergänzten. Diese waren laut Elsaesser „Paris-Berlin, Berlin-Hollywood und Paris-Hollywood“ 323 Weiters schreibt er: „Während der gesamten 20er Jahre intrigierten amerikanische Filmfirmen und heckten in Europa Pläne aus, deren Ziel es war, die Konkurrenz zu schlagen, indem man ihre besten Kräfte aufkaufte, um sie dann auf dem internationalen oder dem jeweiligen europäischen Binnenmarkt auszuschlachten.“ 324 Dies lässt auch die bereits erwähnten ersten beiden deutschen Emigrationswellen in verändertem Licht erscheinen. Für Frankreich schien zu Beginn der 1930er Jahre sowohl die deutsche als auch die amerikanische Filmindustrie übermächtig. „Die französische Filmindustrie litt 1933 noch erheblich unter der Wirtschaftskrise und unter der Einführung des Tonfilms, durch den sich die Kosten für die Filmherstellung verdoppelt hatten. Die großen Filmgesellschaften waren sämtlich in Konkurs gegangen; die 30er Jahre waren geprägt von zahlreichen kleinen, unabhängigen und finanzschwachen Firmen, die oft nur einen oder zwei Filme produzierten. Die einheimische Filmproduktion ging […] deutlich zurück.“ 325 Die aus diesen Ländern exportierten Filme beherrschten den französischen Markt: „1933 […] wurde mit 230 Filmen nahezu das Doppelte der französischen Produktion eingeführt.“ 326 Vor allem die mit französischen Leinwandstars gespickten französischen Sprachversionen deutscher Ufa -Musicals erfreuten sich in Frankreich großer Beliebtheit. 327 Dass von den erwähnten 230 Filmen alleine 113 aus Deutschland stammten 328 ,

322 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 92. 323 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 306. 324 Ebd. S. 317. 325 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 41. 326 Ebd. S. 41. 327 Vgl. Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 83-84. 328 Vgl. Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 41.

[59] verdeutlicht, dass „Deutschland in Europa eine ähnliche Taktik verfolgte wie die USA gegenüber Europa.“ 329 „Die Tatsache, daß es sich darüber hinaus um eine Nation handelte, die ab 1920 eine starke und auf Expansion bedachte Filmindustrie besaß, schaffte ein Klima, bei dem Mißtrauen und Konkurrenzdenken, Mitleid und Schadenfreude, Neid und Respekt sich oft zu einem sehr leicht entzündlichen Gemisch verdichteten. “330 Deutsche Exilanten wurden nicht nur als Flüchtlinge, sondern teilweise auch als Invasoren gesehen. 331 „Zahlreich französische Filmkünstler und –techniker hatten gar keine Arbeit oder wurden nur geringfügig beschäftigt, sie sahen in den Filmemigranten eine Gefahr für den eigenen Arbeitsplatz.“ 332 Diese Angst wurde dadurch verstärkt, dass die deutschen Filmemacher zumindest was die technische Seite des Filmemachens betrifft, den französischen scheinbar überlegen waren. Die deutschen Techniker galten „damals weltweit als führend in ihrem Fach, sie waren international gefragt und drehten in fast allen europäischen Ländern […] Die Bedeutung der deutschen Kameramänner für den visuellen Stil des französischen Films der 30er Jahre und ihr Einfluss auf die junge Generation der französischen Kameraleute kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“333 Elsaesser geht in dieser Hinsicht sogar so weit zu behaupten, dass „deutsche Techniker, die nach Frankreich emigrierten, eine deutlichere Spur in der beruflichen Infrastruktur der Filmindustrie hinterließen als die Regisseure.“ 334 Aber auch deutsche Regisseure „wußten im allgemeinen mehr über die technische Seite des Filmmachens als ihre französischen Kollegen.“ 335

3.3.3 Französische Identitätssuche

Die bereits erwähnte Anpassungsfähigkeit der Deutschen verstärkte die stets präsente Angst der französischen Filmschaffenden um den eigenen Arbeitsplatz. Regisseur Marc Allegret schrieb im August 1933: „Ich bin weder antideutsch noch antisemitisch und verstehe sehr gut, dass die aus Deutschland wegen ihrer politischen Überzeugung oder aus Rassegründen vertriebenen Regisseure in Frankreich Beschäftigung suchen. Möge man sie ihnen geben wenn man

329 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 92 330 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 316, 317. 331 Vgl. Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 316-317. 332 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 41. 333 Ebd. S. 45-46. 334 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 92. 335 Ebd. S. 92.

[60] kann. Aber vor allem dürfen die französischen Filmleute nicht darunter leiden. […] Die deutschen Filmleute haben seit drei Jahren keine neuen Ideen mehr. Sie sind vollkommen ausgeschöpft. Sie haben sich auf den Lorbeeren ihrer Erfolge wie DER KONGRESS TANZT ausgeruht.“ 336 Allegret wehrt sich somit auch entschieden gegen die Annahme, dass die deutschen Filmemacher den französischen überlegen seien. In einem Leitartikel der französischen Zeitung Pour Vous vom 18. Mai 1933 wird zwar die Verfolgung der Juden in Deutschland verurteilt, gleichzeitig aber die wachsenden Ängste der französischen Filmschaffenden betont: 337 „Serval French directors have been coming to see us […] The current situation is worrying them. There is so little work in France but [they say] you can see yourself calmly removed from directing a production in favour of a stranger, freshly arrived from Germany who is unknown in this country.” 338 Französische Filmschaffende „demonstrierten und protestierten in der Öffentlichkeit, sie lancierten Pressekampagnen gegen die Emigranten und behinderten sie bei ihrer Berufsausübung.“ 339 Ein in diesem Zusammenhang häufig genanntes Beispiel ist eine von René Clairs Bruder, Henri Chomette, organisierte Protestaktion. Demonstriert wurde direkt vor einem Studio, in dem Siodmak gerade drehte. „Siodmak go home“ war sinngemäß auf mitgebrachten Schildern zu lesen. 340 Mit Jacques Feyder wird wiederum die Aussage, dass jüdische Invasoren das französische Kino übernommen hätten, in Verbindung gebracht. 341

Kosterlitz’ Zeit in Paris fällt in eine Periode, die eng mit der Frage verbunden ist, was spezifisch am französischen Kino sei. Die französische Identität wurde immer wieder neu verhandelt. Einwanderer wurden zum Anstoß und Gegenstand dieser (Neu)verhandlung.

„France’s Jewish population became a particular part of the way that definitions of the French nation state were fought over by both sides of the political spectrum in the 1930s. For the Right, the Jewish film émigrés, amongst others, represented an unwarranted

336 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 41-42. 337 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 58-59. 338 Pour Vous , 18.05.1933, zitiert in: Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 58-59. 339 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 42. 340 Ebd. S. 42. 341 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 60.

[61] threat to a pure and homogenous version of nationhood, whilst for some Leftist elements they could stand as a symbol of organised capitalism.“ 342 Die Darstellung der Situation der jüdisch-deutschen Migranten in Paris wirft Fragen über Assimilation und kulturelle Differenzen auf, die sich hinter der französischen Filmproduktion abspielten. 343 Eine wirksame kulturelle Abgrenzungspraktik ist die Stereotypisierung, die mit nationalen Selbst- und Fremdbildern, Identitäten und Stereotypen einhergeht. Nationale Stereotype beruhen jedoch nicht auf subjektiver Wahrnehmung anderer Nationen, sondern auf kollektiven Vorstellungen. Sie bedienen sich starrer, verallgemeinernder Deutungsmuster, die sich oftmals schwerlich durch Tatsachen belegen lassen. 344 Vorurteile und Ängste, die durch die Begegnung mit Fremden entstehen, werden häufig medial vermittelt. 345 Die Stereotypisierung und begriffliche Abgrenzung von „Deutschen“ und „Franzosen“ wird vor allem bei einem Blick auf französische Presseberichte deutlich. Dabei ist zu beachten, dass das stereotype Bild eines Deutschen stets ein imaginäres war: „Dans tous ces textes, l‘étranger est une représentation, une caricature ou un fantasme. Il est effectivement très présent dans la réalité. Il faut revenir, sereinement, de l’imaginaire à l’histoire.” 346 Im Mittelpunkt des medialen Diskurses stand oft die Frage, was denn nun ein „echter“ französischer Film sei. Dass viele Werke als „französisch“ bezeichnet wurden, an denen aber zu großen Teilen deutsche Einwanderer mitwirkten, wurde meist negativ bewertet. Dies unterstreicht ein Blick auf den Artikel Qu’est-ce qu’un film français? von Gaston Thierry, der in Paris-Midi du dimanche erschienen ist. 347

342 Phillips, Alastair: City of Darkness, City of Light. Émigré Filmmakers in Paris 1929-1939 , Amsterdam: Amsterdam University Press 2004, S. 60. 343 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 52. 344 Vgl. Landwehr/Stockhorst: Einführung in die europäische Kulturgeschichte , S. 200-202. 345 Vgl. Ebd. S. 197. 346 Jeancolas: Le cinéma des Français, S. 106. 347 „Nous apprenons qu’on tourne présentement dans un studio parisien un film au titre et au sujet ,Bien français’... Or le producteur de ce film est M. Apfelbaum, le directeur M. Hoxenstrasse, le premier assistant, M. Rosen, le décorateur M. Sussfrucht, l’opérateur M. Atchoum, le metteur en scène M. Doppelkuh, le scénariste M. Weisskopf, le compositeur M. Armermann, l’ingénieur du son M. Etelross, le dessinateur M. Arlekin et le pianiste M. Epuizut. Ainsi les étrangers peuvent travailler en France. La crise est finie… Bravo! D’autant plus qu’autour de cet état-major pivotent une dizaine de personnes nées sur les bords de la Spree et qui complètent le personnel nécessaire à la fabrication de ce film français. Bravo!...Mais si on y réflechit bien, ce film sera-t-il vraiment un film français? Et nos braves artisans du film – ceux tout à fait de chez nous – sont-ils donc si occupés qu’on ne puisse faire appel à leur compétence? […] Il est bon, il est excellent que les étrangers viennent travailler chez nous, nous dispensant les fruits de leur expérience. Mais lorsqu’on constate que la moitié des artistes français du

[62] Gaston Thierry ist mit dieser Einstellung nicht alleine. Viele Formulierungen fallen jedoch aggressiver als dieser Text aus 348 , der die Ankunft der erfahrenen deutschen Filmschaffenden nicht ausschließlich negativ bewertet. So war ebenfalls 1934 zu lesen, dass die Einwanderer keine Ahnung von Frankreich hätten, da sie ja erst seit kurzer Zeit hier leben würden.349 „Le métèque“ war ein häufig auftauchender Begriff für die deutschen Einwanderer und bezeichnet eigentlich einen Menschen, der aus Osten oder Süd-Osten kommt. Für Amerikaner galt dieser Begriff nicht. Sie waren schlicht „Amerikaner“. 350 Somit wurden die Migranten aus Deutschland sprachlich von Franzosen und Amerikanern abgegrenzt. Die rechte Presse hetzte gerne gegen die „Mafia der Studios“ 351 und fand radikale Worte im Diskurs um das französische Kino: „Ein französischer Film ist ein Film, der in Studios hergestellt wird, die auf französischem Gebiet liegen (…) von französischen Produzenten unter der ausschließlichen Mitwirkung von Franzosen, vorbehaltlich von Abweichungen (aus künstlerischen Gründen), die in besonderen Fällen gestattet werden können.“ 352 In weiterer Folge führte der Autor eine Rechnung durch, in die er zahlreiche Filme, die 1934 unter der Beteiligung von Migranten hergestellt wurden, aufzählte. So kam er zum Schluss, dass „wir [Anm. die Franzosen] nur 28% des Gesamtmarktes gedreht haben, und dass 72% der französischen Filme von ausländischen Fachkräften gedreht wurden. Derselbe Skandal wird sich übrigens 1935 wiederholen. Mehr als die Hälfte unserer Künstler sind arbeitslos. Wen kümmert es! (…) Die Mafia der Studios wird ihre kriminelle Aktivität weiter ausüben, und keiner – wohlgemerkt – denkt an eine Abrüstung dieser Liga.“ 353

film: metteurs en scène opérateurs, régisseurs, monteurs, décorateurs, etc. est en chômage, on songe que les facilités accordées aux étrangers sont peut-être un peu exagérées par le temps qui court…” („Qu’est-ce qu’un film français?”, Paris-midi, zitiert in: Jeancolas: Le cinéma des Français , S. 104). 348 Vgl. Jeancolas: Le cinéma des Français, S. 104. 349 „Un film s'adresse à des millions des spectateurs, mais rien n’empêche un métèque quelconque, habitant la France depuis quinze jours et dont personne ne connaît les origines et les antécédents, de réaliser des films destines à des Français, et qui hors de nos frontières portent l’étiquette “France”! […] Quand un metteur en scène français, dans son propre pays, veut travailler de son métier et gagner sa vie, il est amené, dans la majeur partie des cas, à devoir offrir ses services à des métèques venus on ne sait d’où… […] Les métèques ne travaillent qu’entre eux ; ils se tiennent les coudes, eux! Et c’est ainsi qu’ils en sont arrivés à contrôler pratiquement, d’une façon ou d’une autre, la majorité du cinéma français.” (Arcy- Hennery, Destin du cinéma français, Société française d’éditions littéraires et techniques, Paris: 1935, zitiert in: Jeancolas: Le cinéma des Français , S. 104). 350 Vgl. Jeancolas: Le cinéma des Français, S. 101. 351 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 42-43. 352 Malo, Pierre: „Le Maffia du Studio“, L’Homme Libre , 4.4.1935, zitiert in: Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 42-43. 353 Malo, Pierre: „Le Maffia du Studio“, L’Homme Libre , 4.4.1935, zitiert in: Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 42-43.

[63] Tatsächlich wurde auf die Proteste der Presse und französischen Filmschaffenden reagiert und entsprechende Regelungen erstellt. Am 7. April 1933 – also ziemlich zeitgleich mit Kosterlitz‘ Ankunft in Paris – beschloss das zuständige Ministerium, dass nicht mehr als zehn Prozent der wichtigsten Positionen bei einer Filmproduktion und nicht mehr als 25 Prozent der gesamten Filmcrew Ausländer sein dürfen. 354 Leicht unterschiedliche Angaben findet man bei Asper, der von einem erlaubten fünfzigprozentigen Ausländeranteil beim technischen Personal spricht. 355 Darüber hinaus mussten „die Produzenten […] bei Engagements von Ausländern stets nachweisen, dass sie genügend Franzosen beschäftigten oder dass kein geeigneter französischer Künstler beziehungsweise Techniker für die Drehtermine frei war.“ 356

Aufgrund dieser Einschränkungen war die Möglichkeit offiziell an Filmen mitzuwirken, begrenzt. Sie konnten lediglich bei „den B-Produktionen der vielen kleinen, neuentstandenen Firmen arbeiten […]. Die einzige Alternative waren die ‚internationalen‘ Produktionen.“ 357 Zwei der wichtigsten Arbeitgeber waren die Emigranten Erich Pommer und Simon Nebenzahl, die als Produzenten nicht mit Anfeindungen konfrontiert waren. Denn unabhängige emigrierte Filmproduzenten, die „den Sitz ihrer Produktionsfirmen nach Paris verlegten oder ihre Firmen in Frankreich neu gründeten“ 358 , waren gern gesehene Gäste in Frankreich. Vor allem aufgrund von französischen Versionenfilmen deutscher Filme, konnten sie ein Netz von Beziehungen in Frankreich aufweisen. Im Gegensatz zu den emigrierten Künstlern, waren sie nicht mittellos, sondern schufen mit ihren Produktionsfirmen Arbeitsplätze. 359 „Ihre in den 30er Jahren gedrehten Filme waren häufig internationale Co-Produktionen mit englischen oder italienischen Filmgesellschaften, die ins Ausland exportiert wurden und Devisen ins Land brachten. Daher waren die Filmproduzenten durchaus erwünscht in Frankreich, weil sie die zusammengebrochene französische Filmproduktion stärkten, und sofern sie sich an die Auflagen hielten und vor allem französische Künstler beschäftigten, hatten sie auch kaum Probleme mit den Behörden.“ 360

354 Vgl. Phillips: City of Darkness, City of Light, S. 59. 355 Vgl. Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 43. 356 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 43. 357 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 84. 358 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 45. 359 Vgl. Ebd. S. 45. 360 Ebd. S. 45.

[64] Nebenzahls nach Frankreich verlegte Nero Film produzierte zwischen 1932 und 1938 etwa ein Dutzend Filme. Bei vier führte Robert Siodmak Regie, darunter auch LE SEXE FAIBLE, für den Kosterlitz das Drehbuch schrieb. 361 Nebenzahl galt stets als Independent-Produzent. 362 „Pommer dagegen verkörperte für viele die Großkonzerne höchstpersönlich: war er doch der vormals allmächtige Leiter der internationalen Ufa -Produktionen und nun Europa- Chef einer Hollywood-Firma – der Fox Corporation – in Frankreich, eine Position, die es ihm erlaubte, vielen früheren Ufa -Kollegen Arbeit zu verschaffen. Ohne Pommers und Nebenzahls ausgeprägten Geschäftssinn und ihre internationalen Verbindungen hätten manch ein Regisseur und besonders Drehbuchautoren in Frankreich überhaupt nicht arbeiten können. […] Die Herstellung französischer Filme bedeutete für Nebenzahl, Pommer – und in geringerem Maße auch für Eugen Tuscherer – nach außen hin kaum mehr als die logische Konsequenz ihrer Unternehmungen aus der Zeit um 1930, als sie französische Sprachversionen der meisten größeren deutschen Produktionen in Auftrag, Produktion und Verleih gehen ließen.“ 363

3.3.4 Paris als Warteraum

Letztendlich blieben nur wenige der emigrierten Filmschaffenden in Paris: „In den Darstellungen der Filmgeschichte bildet die deutsche Filmemigration nach Frankreich höchstens eine Episode, eine Zwischenstation auf der Reise nach Hollywood. Frankreich schien nur der Warteraum zu sein, in dem man Film produzierte, um sich die Zeit zu vertreiben, bis der Vertrag mit Warner, Universal oder M-G-M eintraf.“ 364 Die Bezeichnung Paris‘ als Warteraum taucht in der Filmgeschichte immer wieder auf. Wie es meist bei Pauschalisierungen der Fall ist, ist auch der Begriff von Paris als Warteraum zu einfach und verdeutlicht abermals die Fehleranfälligkeit der Betrachtung der Exilanten als homogene Gruppe. „Selbst unter den jüdischen Emigranten kann man beispielsweise zwischen denen unterscheiden, die sich, wie Siodmak, Bernhardt und Ophüls, aufgrund umfassender beruflicher Kontakte in Frankreich niederlassen wollten (und sich entweder durch den Antisemitismus der französischen Filmindustrie oder durch die deutsche Okkupation gezwungen sahen, 1940 weiter auszuwandern), und den anderen, wie Lang und Wilder, für die Frankreich nur eine Durchgangsstation nach Hollywood war.“ 365 Auch „Bernhardt z.B. hatte ganz und gar nicht die Absicht, in die USA zu gehen, ehe die Umstände ihn dazu zwangen.“ 366 So lehnte er noch im Jahr 1936 ein Angebot der Columbia ab. Der Hang das Filmschaffen dieser Regisseure in Paris nur als Episode zu

361 Vgl. Jeancolas: Le cinéma des Français, S. 108. 362 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 83. 363 Ebd. S. 83. 364 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 81. 365 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 315. 366 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 81-82.

[65] betrachten, rührt auch daher, dass die Filme allesamt nicht sonderlich erfolgreich waren. 367 In der Forschung betrachtet man die französischen Emigrantenfilme oft lediglich als „Abklatsch der großen Weimarer Filme, oder mißlungene Imitationen französischer Filme, denen jede Auseinandersetzung mit ästhetischen Formen fehlt.“ 368 Asper sieht einen Grund für die fehlende künstlerische Note darin, dass sich die Filmproduzenten aufgrund des vorherrschenden Klimas „weder künstlerische Experimente noch explizit politische Problemfilme leisten [konnten], was Künstler und Kritiker bedauerten, die immer wieder den ‚Emigrantenfilm‘ forderten, worunter eine Auseinandersetzung mit Nazi-Deutschland und der eigenen Exilsituation verstanden wurde.“ 369 Elsaesser relativiert und stellt fest, dass die Arbeit der deutschen Filmexilanten in Paris mehr ist, „als ein Intermezzo zwischen dem Ruhm einer deutschen Karriere und ihrer eventuellen Vollendung in Hollywood“370 , was vor allem an den außergewöhnlichen Produktionsbedingungen liegt. Nicht zuletzt widerlegt auch Kosterlitz‘ Odyssee den Begriff des Warteraums. Denn obwohl er vermutlich schon zu dieser Zeit von Hollywood träumte (wie einige Zitate belegen), diente ihm Paris nicht als Warteraum für eine Reise in die USA. Denn zunächst führte ihn sein Weg nach Budapest.

367 Vgl. Ebd. S. 81-82. 368 Ebd. S. 84. 369 Asper: „Ungeliebte Gäste“, S. 47 370 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 82.

[66] 3.4 Das unerwünschte Kino

3.4.1 Die österreichische Filmwirtschaft

1925 kam die österreichische Filmwirtschaft aufgrund des Sparkurses der Regierung sowie fehlender ökonomischer Rahmenbedingungen fast völlig zum Erliegen. Aufgrund fehlender staatlicher Förderungen konnten lediglich fünf Filme produziert werden und rund dreitausend Filmschaffende waren ohne Beschäftigung. 371 Um diese Krise zu bewältigen, forderte der „ Filmbund , die Interessensvertretung aller in der Filmbranche Tätigen“ 372 , im Jahr 1926 die Einführung einer Filmkontingentierung: „Am 12. Mai 1926 wurde Verordnung BGBL I/Nr. 117 gemeinsam von Handels- und Finanzministerium verwirklicht. […] Jährlich konnten nur eine bestimmte Anzahl ausländischer Filme nach Österreich importiert werden. […] Die Grundlage bildeten die so genannten Stammfilme. Als Stammfilme wurden inländische, abendfüllende Tonfilme bezeichnet, für deren Anerkennung entscheidend war, welche Mittel – Atelier, Ausstattungskosten und Gehälter – im Inland aufgebracht worden waren. […] „Für jeden Stammfilm konnten zwanzig Filme importiert werden. Mit Deutschland bestanden Privatverträge, deutsche Filme waren von der Kontingentverordnung ausgenommen.“ 373 Bereits in den 1920er Jahren war Deutschland der wichtigste Handelspartner der österreichischen Filmindustrie. „Seit Einführung der Filmkontingentierung in Österreich [bestand] ein Abkommen zur gegenseitigen freien und unbelasteten Einfuhr“, das jährlich verlängert wurde. 374 In den Jahren 1929/30 änderte sich die Definition dessen, was als "Stammfilm angesehen wurde und somit auch die Kontingentverordnung. 375 „1933 wurde außerdem noch die Unterscheidung zwischen fremd- und deutschsprachigem Film beschlossen.“ 376 Die Einführung des Tonfilms machte dies notwendig und brachte gleichzeitig auch einige Probleme mit sich. Der „Tonfilmschock“, legte beinahe die gesamte Filmproduktion in Österreich lahm. Das Absatzgebiet deutschsprachiger Filme verkleinerte sich aufgrund von Sprachbarrieren schlagartig. 377 Filme waren nun mehr an nationale Märkte gebunden, da sie jetzt nur noch an Länder verkauft beziehungsweise in ihnen gezeigt

371 Vgl. Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937, S. 19. 372 Ebd. S. 19 373 Ebd. S. 20. 374 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 14. 375 Vgl. Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 20. 376 Ebd. S. 20. 377 Vgl. Ebd. S. 22.

[67] werden konnten, wo auch die Sprache in der gedreht wurde verstanden wurde. 378 Deshalb gewannen auch die „Abkommen zur gegenseitigen freien und unbelasteten Einfuhr […] nach 1930 umso mehr an Bedeutung […]Der deutsche Markt wurde so zu einem essentiellen Faktor für die Rentabilität einer österreichischen Spielfilmproduktion, insbesondere wenn es sich um eine Großproduktion handelte.“ 379 . Die Abhängigkeit der österreichischen Filmindustrie vom deutschen Markt stieg. Auch, da den österreichischen Produktionsfirmen das „notwendige Kapital für Modernisierung und die Umstellung auf das Tonfilmsystem fehlte.“ 380 Die Zahl der Firmen verringerte sich somit ebenso drastisch wie die Zahl der produzierten Filme. 381 „Von 1929 bis 1930 halbierte sich die ursprüngliche jährliche Produktion auf sechzehn Filme. 1931 wurden nur achte Filme produziert.“ 382 Die Einführung des Tonfilms brachte allerdings nicht nur Schlechtes mit sich. Denn damit „begann auch der Aufstieg der Wiener Filme .“ 383 Die Operettenverfilmungen LEISE FLEHEN MEINE LIEDER, MASKERADE sowie EPISODE erzielten internationale Erfolge. Während dieser Periode wurde der österreichische Markt von den Ateliers Selenophon Licht- und Tonbildges.m.b.H. sowie Tobis-Klangfilm beherrscht. 384 1935 und 1936 „stieg die Produktion der abendfüllenden Spielfilme in Österreich schlagartig fast auf das Doppelte an“.385

3.4.2 Deutsch-österreichische Filmbeziehungen

Nachdem sie von der deutschen Filmproduktion ausgeschlossen worden waren, kamen viele gebürtige Österreicher mit dem Ziel in der österreichischen (sowie ungarischen und tschechischen) Filmindustrie wieder Fuß zu fassen in ihre alte Heimat zurück. 386 Andere, wie Kosterlitz, kamen als Fremde. „Als einziges Land mit einer größeren, funktionierenden deutschsprachigen Produktion war Österreich einer der bevorzugten Fluchtpunkte [für deutsche Emigranten]. Die Wiener Filmproduktion, gerade dabei mit der Marke ‚Wiener Film‘ auch auf dem

378 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S.87. 379 Ebd. S.87. 380 Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 22 381 Vgl. Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 21-22. 382 Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 21-22. 383 Asper: Filmexilanten im Universal Studio. 1933-1960 , S. 24-25. 384 Ebd. S. 24-25. 385 Ebd. S. 24-25. 386 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 97.

[68] Weltmarkt zu reüssieren, hatte durchaus einen Bedarf an herausragenden Künstlern. Die wußten die deutschen Nationalsozialisten nur zu gut, und daher mußte es zwangsläufig ihr Ziel sein, den Einstieg der emigrierten Künstler in die aufstrebende österreichische Filmproduktion zu verhindern. Eine adäquate Möglichkeit war, entsprechenden Druck auf die österreichische Filmindustrie auszuüben.“ 387 Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 sah sich die österreichische Filmindustrie mit neuen Problemen konfrontiert. Denn man begann nun in Deutschland, die Einfuhr von österreichischen Spielfilmen zu blockieren, wenn diese die in Deutschland geforderten „Kriterien“ nicht erfüllten. Ab September 1933 kam es vermehrt zu Problemen mit der deutschen Kontingent- und Zensurstelle. 388 Dies betraf in dieser frühen Phase die drei Filme ABENTEUER AM LIDO 389 , FRÜHLINGSSTIMMEN 390 und WENN DU JUNG BIST, GEHÖRT DIR DIE WELT 391 .392 „Es war nun einigermaßen klar ersichtlich, daß es sich nicht um ein gewöhnliches Zensurproblem handeln konnte, und so wurden neben dem Produzentenverband auch Regierungsstellen in dieser Sache aktiv. Der österreichische Gesandte in Berlin, Tauschitz, wurde vom Bundesministerium für Handel und Verkehr beauftragt, bei der Reichsfilmkammer Erkundigungen über die Ablehnungsgründe dieser Filme einzuholen. Seinem Bericht vom 4. Januar 1934 zufolge, stellte die Reichsfilmkammer jedes Zensurbestreben in Abrede.“ 393 Von Seiten Deutschlands hieß es, dass sich deutsche Käufer weigerten, FRÜHLINGSSTIMMEN aufgrund der mangelhaften Qualität zu übernehmen. In Bezug auf ABENTEUER AM LIDO sowie WENN DU JUNG BIST, GEHÖRT DIR DIE WELT sah die Begründung jedoch schon etwas anders aus. Man argumentierte, dass diese „von einem emigrierten, wie man sagt, in Deutschland übel beleumdeten Regisseur gedreht [wurden] und man befürchtet bei der Vorführung dieser Filme, daß es zu unliebsamen Kundgebungen des Publikums kommen könnte. Die deutsche Verleihfirma, die diesen Film übernehmen soll, hat es [daher] unterlassen, sie bei der deutschen Filmzensur einzureichen.“ 394 So wurde FRÜHLINGSSTIMMEN davor bereits von der deutschen Zensur genehmigt und erst auf Antrag des Propagandaministeriums wieder aus dem Verkehr gezogen. Und das Argument, dass WENN DU JUNG BIST, GEHÖRT DIR DIE WELT das Publikum verstören

387 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 14. 388 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 14. 389 Abenteuer am Lido , Regie: Richard Oswald, Österreich 1933 390 Frühlingsstimmen , Regie: Pál Fejös, Österreich 1933 391 Wenn du jung bist, gehört dir die Welt , Regie: Richard Oswald, Österreich 1934 392 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S.87. 393 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 16 394 Gesandter Tauschitz an Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten vom 4.1.1934. AdR ZI.91.042 (beibelegt ZI.96.620/34), zitiert in: Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 88.

[69] könnte, lässt sich damit entkräften, dass der österreichische Film EIN LIED GEHT UM DIE WELT in Deutschland ein großer Kassenschlager war. Auch hier waren Richard Oswald als Regisseur und Joseph Schmidt als Hauptdarsteller beteiligt. 395 „Die angeblichen Bedenken der Filmverleiher können daher nicht als die eigentliche Ursache für die Ablehnungsgründe angesehen werden.“ 396 Dennoch wurden diese offensichtlich falschen Begründungen von den österreichischen Stellen hingenommen. 397 Spätestens zu Jahresende 1933, als die „wesentlichen Kontrollinstanzen der nationalsozialistischen Filmpolitik etabliert waren“ 398 , kam es auch zu immer mehr Schwierigkeiten im deutsch- österreichischen Filmverkehr. 399 „Im Frühjahr 1934 wurden die „Verhandlungen über den deutsch-österreichischen Filmverkehr neu aufgenommen“. 400 Um in späterer Folge keine Schwierigkeiten mit der deutschen Zensur zu bekommen, boten die österreichischen Verhandler – Robert Müller, Dr. Drexler sowie Dr. Pilzer – den deutschen Stellen an, Manuskripte, Drehbücher und Besetzungslisten einer Vorbegutachtung durch den Reichsfilmdramaturgen unterziehen zu lassen. Der Verband der Filmindustriellen Berlin erklärte sich vertraglich bereit, die österreichischen Produzenten zu beraten, um etwaigen Zensurschwierigkeiten vorzubeugen. 401 Besonders zu beachten ist jedoch folgender Teil des neu aufgesetzten Vertrags: „Der Verband der Filmindustriellen in Berlin erklärt zu Ziffer 2 des heutigen Abkommens, dass die Herstellung von Filmen mit solchen deutschen Reichsangehörigen und deutschen Firmen nicht angeraten werden könne, die zur Herstellung oder zum Filmschaffen in Deutschland nicht zugelassen sind. Dies betrifft im allgemeinen auch nichtreichsangehörige Personen und Firmen, die früher im deutschen Film tätig waren und jetzt nicht mehr zugelassen werden. […] Die Beratung wird im übrigen so erfolgen, als wenn es sich um deutsche Filme handle.“ 402

395 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 17. 396 Ebd. S. 17. 397 Vgl. Ebd. S. 17. 398 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 88. 399 Vgl. Ebd. S. 88. 400 Ebd. S.91. 401 Vgl. Ebd. S. 92. 402 Protokollnotiz zum Abkommen vom 1. März 1934, Pkt.2, AdHK, Schachtel 3.173/1 Mappe 5, zitiert in: Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 92.

[70] Bei der von Deutscher Seite vorgenommenen Vorzensierung handelte es sich somit vor allem um eine Begutachtung der Besetzungslisten. 403 „Im Klartext hieß dies, daß auf die Beschäftigung bestimmter Personen von vornherein verzichtet werden mußte.“ 404 „Mit diesem Vertrag war der Ausschluß jüdischer Filmschaffender in der österreichischen Produktion eingeleitet worden, die nachfolgenden Verträge konkretisieren den eingeschlagenen Weg, sowohl was den Arierparagraphen als auch die gemeinsame deutsch-österreichische Zusammenarbeit betraf.“ 405 Somit wurde es auch in Österreich für jüdische Filmschaffende immer schwieriger, in der Filmindustrie tätig zu sein. Denn auch, wenn es (zumindest offiziell) in Österreich so etwas wie einen Arierparagraphen nicht gab, hatten die österreichischen Filmproduktionsfirmen zu große Angst, Geld zu verlieren, sollte ihr Film aufgrund von Besetzung oder Thematik nicht für den deutschen Markt zugelassen werden. In einem Brief an den österreichischen Handelsminister zeichnet auch Richard Oswald am 27. März 1934 ein sehr düsteres Bild: „Dieses Übereinkommen ist so beschaemend fuer Oesterreich und setzt die oesterreichische Filmindustrie so unter die Vormundschaft der deutschen, dass es von diesem Moment an keine oesterreichische Filmindustrie mehr gibt, sondern nur noch eine deutsche, die ab und zu gestattet, dass ein deutscher Film in Oesterreich gedreht wird. […]„Die Herren aus Wien haben die oesterreichische Industrie um ein Linsengericht verkauft“ 406

3.4.3 Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich

Da die aus Deutschland Emigrierten nun auch in der österreichischen Filmindustrie unerwünscht waren, blieben den Neuankömmlingen nur zwei Möglichkeiten: Weiterziehen, oder „eine von Deutschland unabhängige Produktion aufzuziehen bzw. an einer solchen mitzuwirken.“ 407 „Zu den unabhängigen Spielfilmen sind im engeren Sinne nur jene zu zählen, die von vornherein mit der Absicht produziert wurden, in Deutschland nicht zugelassene Filmschaffende zu beschäftigen sowie keine Auswertung am deutschen Markt anzustreben.“ 408

403 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 92. 404 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 22. 405 Ebd. S. 53-54. 406 Auszug eines Protestschreibens von Richard Oswald an Handelsminister Fritz Stockinger, 27.03.1934, zitiert in: Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 24. 407 Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 97. 408 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 139.

[71] Insgesamt können 22 Filme der unabhängigen Spielfilmproduktion zugerechnet werden. Zwölf davon sind reine österreichische Produktionen. Das heißt, sie wurden vollständig in Österreich gedreht und wurden als Stammfilm anerkannt. Von den Kosterlitz-Filmen trifft das auf KATHARINA - DIE LETZE sowie TAGEBUCH DER GELIEBTEN zu. „Neben Wien war Budapest das zweite Zentrum des deutschsprachigen unabhängigen Films, nicht zuletzt deshalb, weil viele der aus Deutschland vertriebenen Filmschaffenden ungarischer Nationalität waren.“ 409 Aufgrund der engen Verflechtungen der Filmindustrien der Länder Österreich und Ungarn schrieb Lilo Dammert im Jahr 1936: „Der Bindestrich ist für die Filmthematik und Produktion der beiden Länder heute noch gültig.“ 410 So entstanden in Budapest acht deutschsprachige Emigrantenfilme. 411 Drei davon können als österreichische Koproduktionen gesehen werden, was heißt, dass zwar eine österreichische Produktionsfirma beteiligt war, der Film allerdings nicht in einem österreichischen Atelier hergestellt wurde. Dazu zählen PETER sowie KLEINE MUTTI. Vier Filme wurden zwar auch für den österreichischen Markt gedreht, sind aber zumindest am Papier reine ungarische Produktionen, wie zum Beispiel BALL IM SAVOY. 412 Auch einige in der Tschechoslowakei hergestellten Filme zählen zur unabhängigen Spielfilmproduktion. Diese wurden jedoch meist in zwei Sprachversionen gedreht. Dadurch schufen sich die Filmhersteller „eine optimale Ausgangsbasis für eine Auswertung nicht nur am inländischen, sondern auch am österreichischen […] Markt“ und bewiesen somit mehr Weitsicht. 413 Loacker beschreibt die Formierung der unabhängigen österreichischen Spielfilmproduktion wie folgt: „Die erste unabhängige Produktionsfirma wurde von den ehemaligen Angestellten der Berliner Terra , Rudi Löwenthal und Rich Morawsky, sowie dem reimmigrierten Regisseur Fritz Schulz im Frühjahr 1934 in Wien gegründet. Die Produktionsfirma nannte sich Wien- Film KG, Morawsky & Co […]. Sie produzierte den ersten, von Nazi-Deutschland unabhängigen abendfüllenden Spielfilm […] mit dem Titel SALTO IN DIE SELIGKEIT 414 .“415 Das Vorhaben einer vom deutschen Markt unabhängigen Produktion motivierte weitere Produktionsfirmen dem Beispiel der Wien-Film zu folgen:

409 Ebd. S. 47. 410 Dammert, Lilo: „Zur Film-Thematik des Auslands“, Internationale Literatur/Deutsche Blätter , Jg. VI (1936), Nr. 6, S. 125, zitiert in: Horak: „Filmkünstler im Exil. Ein Weg nach Hollywood“, S. 237. 411 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 48. 412 Vgl. Ebd. S.139-140 413 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 51. 414 Salto in die Seligkeit , Regie: Fritz Schulz, Österreich 1934. 415 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 27.

[72] „Nur einen Monat nach der Uraufführung von SALTO IN DIE SELIGKEIT kamen bereits drei weitere unabhängige Produktionen in deutscher Sprache auf den Markt: Der Franziska- Gaal-Film PETER […] von Universal und ENDE SCHLECHT, ALLES GUT […] von der ungarischen Thalia-Film . Während diese beiden Filme in den Budapester Hunnia-Ateliers entstanden, kam der Styria-Film EIN STERN FÄLLT VOM HIMMEL […] aus den Wiener Ateliers der Tobis-Sascha .“416 TAGEBUCH DER GELIEBTEN wurde von der Panta-Film GmbH hergestellt. Die österreichisch-italienische Koproduktion gehörte zu den „aufwendigsten Wiener Produktionen der 30er Jahre und geriet mangels eines entsprechenden Auswertungsgebietes zu einem großen kommerziellen Mißerfolg.“ 417 Weitere unabhängige Produktionsfirmen waren die Haas-Film , die Horus-Film GmbH , die Walter Reisch-Filmproduktionsges.m.b.H , die Opus-Film GmbH.

3.4.4 Joe Pasternak und die Universal

Das Filmstudio Universal begleitete Hermann Kosterlitz seit den Anfängen seiner Regietätigkeit, als er an der Seite von Erich Engel am Universal -Film FÜNF VON DER JAZZBAND arbeitete. Auch als Kosterlitz alias Henry Koster schließlich 1936 in die USA emigrierte, kam er wieder bei Universal unter und rettete das Studio vor dem Bankrott. 418 Ein Blick auf die Geschichte des Studios verdeutlicht transnationale und transkontinentale Verknüpfungen, die Einfluss auf Kosterlitz‘ Weg ausübten. Zudem gelten die Universal -Produktionen PETER, KLEINE MUTTI sowie KATHARINA - DIE LETZTE als beste Beispiele für die Achse Wien-Budapest 419 in Bezug auf das „Unerwünschte Kino“. Universal wurde im Jahr 1912 vom 1884 aus Deutschland in die USA emigrierten Carl Laemmle in Hollywood gegründet. 420 Von Beginn an wurde ein reger Austausch zwischen Hollywood und Deutschland forciert. So engagierte Laemmle immer wieder deutsche Filmschaffende aus Europa, brachte seine Filme nach Deutschland und setzte auf Expansion. 1925 schloss er einen Vertrag mit der Ufa ab, sodass die Filme der Universal auch in deren Kinos gezeigt werden konnten. Die Installation einer eigenen Verleihgesellschaft von MGM und Paramount versetzte den Ambitionen von Universal

416 Ebd. S. 29. 417 Ebd. S. 33. 418 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 43-47. 419 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 47. 420 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 13.

[73] jedoch einen Dämpfer, da nun nur mehr zehn Filme pro Jahr in Deutschland vertrieben werden konnten. Das veranlasste Laemmle dazu, 1926 eine eigene Tochtergesellschaft unter dem Namen M atador-Film-Verleih in Berlin zu gründen. Später wurde diese in Universal-Matador unbenannt und 1928 endgültig zur Deutschen Universal umgewandelt, die bald auch als Produktionsfirma agierte. 421 Dem ersten Generalmanager der Deutschen Universal , Max Friedländer, standen die Produktionsleiter Joe Pasternak und Paul Kohner zur Seite, „die „Uncle Carl“, wie Asper schreibt, aus Hollywood nach Berlin sandte. Weiter ist über Pasternak zu lesen: „Und in Berlin traf Pasternak auf die Talente, die er um sich sammelte und mit denen er dann lange Jahre erst in Wien und Budapest, dann in Hollywood bei Universal zusammenarbeitete: Hermann Kosterlitz, damals noch Drehbuchautor mit der Ambition, Regisseur zu werden, den Dramatiker Felix Joachimson, den Komponisten Nicholas Brodszky, aber auch Schauspieler wie den ungarischen Komiker Szőke Szakáll. Aus Budapest holte er die ungarische Schauspielerin Franziska Gaal nach Berlin und stellte sie in dem Film PAPRIKA […] sofort als Star heraus. Mit den von ihm seit 1931 produzierten musikalischen Komödien EIN STEINREICHER MANN […] und FÜNF VON DER JAZZBAND […] schlug Pasternak bereits in Berlin den Weg ein, der ihn später zu einem der erfolgreichsten Musical-Produzenten Hollywoods machte. Auch dort hielt er an seinem in Deutschland entwickelten Konzept fest, denn er hatte in seiner Berliner Zeit nicht nur die Praxis des Filmemachens erlernt, sondern unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit auch zu seiner ganz persönlichen Philosophie des Filmemachens gefunden. 422 Nachdem die Universal aus Berlin „vertrieben“ wurde, verlegte sie ihren Sitz nach Wien und Budapest und wurde zur produktivsten Produktionsfirma im Rahmen des unabhängigen österreichischen Kinos. 423 Zur Jahreswende 1933/34 wurde der erste unabhängige Großfilm der Universal in den Rosenhügel-Ateliers gedreht. Es handelte sich dabei um CSIBI, DER FRATZ - von Max Neufeld inszeniert und mit Franziska Gaal in der Hauptrolle. 424 Diese Übersiedelung war möglich, da bereits im Jahr 1929 eine Niederlassung in Wien gegründet wurde. Diese wurde zunächst von Romuald Rappaport geleitet und war bis zum Jahr 1933 nur als Verleihfirma tätig. Zudem war die Emigration zahlreicher jüdischer Filmschaffender aus Deutschland eine Grundvoraussetzung für den Beginn der Produktionstätigkeit der österreichischen Universal . 425 Dies führte zu einem Produktionsschub des Wiener Films, der international einen hervorragenden Ruf

421 Vgl. Ebd. S. 19. 422 Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 21. 423 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino, S. 37. 424 Vgl. Ebd. S. 37. 425 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 24.

[74] genoss. Laemmle wollte offensichtlich auch davon profitieren, da der Wiener Film zu diesem Zeitpunkt „auf dem Weltmarkt wesentlich höhere Lizenzen“ einbrachte, als „vergleichbare Produktionen aus Budapest oder Prag.“ 426 „Ein wichtiger Grund der Elogen an Wien war, dass Laemmle 1934 noch ernstlich daran dachte, eine große europäische Produktion der Universal aufzuziehen.“ 427 Beim Besuch der Internationalen Filmwoche im Jahr 1934 billige er auch ausdrücklich diese Verlegung: „Ich habe denn auch meine Zustimmung dazu gegeben, dass Universal -Filme in Wien produziert werden, und es sind hier auch ausgezeichnete Filme, wie zum Beispiel CSIBI entstanden […] Bei einer diesmaligen Anwesenheit in Wien konnte ich mich davon überzeugen, dass in den Ateliers alle Voraussetzungen gegeben sind, um technisch einwandfreie Filme herzustellen.“ 428 Trotz dieser anscheinend optimalen Bedingungen, wurde auch in Budapest produziert. Für Pasternak selbst, der die „zentrale Persönlichkeit der Universal -Exilfilmproduktion in Wien und Budapest“ 429 war, gestaltete sich der Grund für die Übersiedelung in die ungarische Hauptstadt ziemlich einfach: „I moved our film-making operation to Budapest for a simple and, I must confess, selfish reason. I loved Budapest. The prosy, workaday problems in the transfer were readily solved. The Hungarian government built a studio for us. We could make bilingual pictures with German-speaking actors from Vienna and Germany just as easily in Budapest as we could in Berlin. So it was not difficult for me to decide to move here. But I think I’d have gone to Budapest if I’d had to make our pictures in a damp wine cellar with Gujerati- speaking actors.” 430 Tatsächlich steckten aber wohl auch tiefergreifende Gründe dahinter. Dass viele der aus Deutschland Emigrierten ungarischer Herkunft waren, spielte sicherlich eine Rolle. 431 Noch entscheidender dürften allerdings die „Gleichschaltungstendenzen“ in der österreichischen Filmindustrie gewesen sein. „Pasternaks Entscheidung, mit jüdischen Filmschaffenden weiterhin Filme in deutscher Sprache zu produzieren, war von Anfang an auch in Österreich und in Ungarn starkem politischen Druck aus dem „Dritten Reich“ ausgesetzt.“ 432 Mit der Verlegung nach Budapest spekulierte man bei Universal damit, „daß ihr in Deutschland unerwünschter Star [Franziska Gaal] als Ungarin in einem ungarischen Film weniger Probleme haben werde, denn als ‚Ausländerin‘ in einem österreichischen.“ 433

426 Vgl. Ebd. S. 24-25. 427 Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 24-25. 428 Ebd. S. 24. 429 Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 25. 430 Pasternak/Chandler: Easy the Hard Way , S. 135. 431 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 24. 432 Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 25-26. 433 Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 38

[75] „Oskar Pilzer, der Direktor der Tobis-Sascha , bestätigte indirekt diese Annahme, als er bei der Krisensitzung vom August 1934 sagte, daß ein in Österreich hergestellter Film mit Franziska Gaal keineswegs zur Zensur in Deutschland zugelassen werde, ein solcher in Ungarn produzierter dagegen keine Schwierigkeiten hätte.“ 434 Auch Richard Oswald greift diesen Widerspruch in seinem Brief an den Handelsminister auf: „Bei anderen Filmen, die nach Deutschland kommen, amerikanischen, franzoesischen, englischen u.s.w., wird nicht gefragt, wer mitspielt und wer Regisseur ist. Die groessten Erfolge, die auslaendische Filme im letzten Jahre in Deutschland erzielten, sind von nichtarischen Regisseuren inszeniert und von nichtarischen Darstellern gespielt.“ 435 Für FRÜHJAHRSPARADE (Koster drehte 1940 ein Remake mit Deanna Durbin in der Hauptrolle 436 ) bestätigte sich Pilzers Aussage sogar. PETER, der nur kurze Zeit danach erschien, wurde jedoch nicht mehr von Deutscher Seite zugelassen. 437 „Der Umstand, daß hier bereits eine größere Zahl bekannter, in Deutschland unerwünschter Filmschaffender beschäftigt wurde, legt nahe, daß der Universal eröffnet worden war, keine Gaal-Filme mehr nach Deutschland bringen zu können. […] Damit war sie – mehr zwangsläufig – zum Produzenten unabhängiger Filme geworden.“ 438

3.4.5 Der Niedergang der unabhängigen Spielfilmproduktion in Österreich

Ab 1936 ging die Produktion der unabhängigen Filme schlagartig zurück. Ein Grund dafür waren die oft zu hohen Produktionskosten, sodass einige der Filme zum Verlustgeschäft wurden – nicht zuletzt auch Kosterlitz‘ TAGEBUCH DER GELIEBTEN. Ein weiterer Grund war jedoch, dass einige wichtige Vertreter des unabhängigen Kinos bereits wieder emigriert waren. So auch Joe Pasternak und Hermann Kosterlitz, die bereits im Februar 1936 die USA erreichten. Zudem nahm der nationalsozialistische Druck auf Österreich stark zu – nicht nur auf die Filmpolitik. Dennoch ist es Loacker nach zu simpel, den Niedergang der unabhängigen österreichischen Spielfilmproduktion auf die äußere Einflussnahme aus Deutschland zu reduzieren. 439 Denn seinen Recherchen zufolge, hatten auch die schlechten ökonomischen Voraussetzungen der österreichischen Filmindustrie einen großen Anteil:

434 Ebd. S. 38 435 Auszug eines Protestschreibens von Richard Oswald an Handelsminister Fritz Stockinger, 27.03.1934, zitiert in: Loacker: Unerwünschtes Kino Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 24. 436 Spring Parade , Regie: Henry Koster, USA 1940. 437 Vgl. Loacker/Prucha: „Österreichisch-deutsche Filmbeziehungen und die unabhängige Spielfilmproduktion 1933-1937“, S. 99. 438 Ebd. S. 98-99. 439 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 33-52.

[76] „Die Filmherstellung und Auswertung in Österreich litt an den hohen Herstellungskosten, dem uneinheitlichen, ländereigenen Zensurwesen, der enorm überhöhten Lustbarkeitsabgabe und dem Zinsniveau sowie an der unnachgiebigen Hartwährungspolitik der Regierung.“ 440 Von Seiten des Staates kam keine Unterstützung. 441 Loacker verordnet somit einen Grund für den Niedergang am „Desinteresse des austrofaschistischen Regimes“ 442 , was er mit einem Zitat von Ministerialrat Eugen Lanske auf den Punkt bringt: „Österreich kann entweder unabhängige Filme produzieren, die nach ihrer wirtschaftlichen Kapazität auf die Stufe etwa der polnischen, tschechischen oder ungarischen Filme zu stellen sind und einen Herstellungsaufwand von etwa 120.000 bis 150.000 Schilling kaum überschreiten dürfen; oder es produziert Großfilme für den Weltmarkt, in erster Linie für den deutschen Markt, der erfahrungsgemäß rund zwei Drittel der Gestehungskosten eines solchen Großfilms einbringt. Erwägungen volkswirtschaftlicher und propagandistischer Natur haben die maßgebenden Stellen in Österreich dazu veranlaßt, die Aufrechterhaltung einer österreichischen Großfilmproduktion durch eine Reihe von Verträgen mit dem Deutschen Reich zu sichern.“ 443 Nach Loackers Ausführung hat das austrofaschistische Regime so bereits 1934 das Schicksal der unabhängigen Produktion in Österreich beschlossen, als man das Übereinkommen zur Vorzensierung österreichischer Filme stillschweigend zur Kenntnis nahm. Die Verdrängung der jüdischen Geschäftsführung des wichtigsten Atelierbetriebs in Österreich, der Tobis-Sascha Filmindustrie AG, zur Jahreswende 1936/37 löste einen medialen Diskurs über die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich aus. 444 So kam etwa die Zeitschrift Der Wiener Film „zum Schluß, daß bei geringen Produktionskosten, einer straffen Vorbereitung und Organisation sowie einer staatlichen Unterstützung eine auf die eingeschränkte Auswertung bedachte Produktion durchaus gewinnbringend sein könnte.“ 445 Medial wurde erst jetzt vermehrt eine unabhängige Produktion gefordert. Die Österreichische Film-Zeitung stellte 1937 die Frage, „ob man nicht doch die Fabrikation unabhängiger Filme […] in Wien in die Wege leiten soll.“ 446 Mit den medialen Anregungen vor Augen, wurde schließlich DER PFARRER VON KIRCHFELD 447 produziert. Jedoch wurden auch hier bereits kritisierte Fehler begangen und der Film überstieg die

440 Ebd. S. 52. 441 Vgl. Ebd. S. 52. 442 Ebd. S. 52. 443 Der gute Film , 211/1937., S. 1, zitiert in: Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 52, 53. 444 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 42-54. 445 Vgl. Der Wiener Film, 37/1937, S. 3., zitiert in: Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 44. 446 Österreichische Film-Zeitung, Nr. 9, 1937, S. 2, zitiert in: Höhne: Die unabhängige Spielfilmproduktion in Österreich 1934 bis 1937 , S. 50 447 Der Pfarrer von Kirchfeld , Regie: Jacob Fleck, Luise Fleck, Österreich 1937

[77] Produktionskosten. Trotz Anfeindungen wurde er zum Publikumserfolg und konnte die Kosten letztendlich wieder einspielen. Der Erfolg täuscht aber trotzdem hinweg, dass die unabhängige Produktion in Österreich keine Zukunft mehr hatte. 448

448 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 44-52.

[78] 4 Hermann Kosterlitz‘ filmische Welten

4.1 Der Kosterlitz-Touch

In seiner Funktion als Autor und Regisseur ist Kosterlitz ein Erschaffer filmischer Welten. Figuren und die Räume durch die sie sich bewegen, charakterisieren diese Welten ebenso, wie Mechanismen der Identitätskonstruktion, Traumbilder, Hoffnung auf ein besseres Leben sowie Ausbrüche aus Räumen und Konventionen und die Auflehnung gegen Autoritäten. Diese Welten sollen nun im Mittelpunkt stehen. Genrekonventionen sollen dabei ebenso berücksichtigt werden, wie die Frage, was denn nun als typisch- Kosterlitz anzusehen sei. Wie bereits angeschnitten, ist es schwierig, das Filmschaffen Hermann Kosterlitz‘ in vorgefertigte Genrekonventionen zu pressen. In Bezug auf Stil, Ästhetik und Narration lassen sich Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit Screwball Comedy, Operettenfilm, Depressionskomödie, Wienerfilm und teilweise auch Melodrama erkennen. Jedoch entziehen sich die Filme allesamt einer Zuordnung in eine oder mehrere dieser Schubladen. Eine der zutreffendsten Bezeichnungen ist jene der „musikalischen Depressionskomödie“ 449 , auf die in weiterer Folge eingegangen werden soll (4.2). Kay Weniger bezeichnet Kosterlitz als verlässlichen „Unterhaltungsfunktionär im Hollywood-Studiosystem, dem es jedoch an […] künstlerischem Ehrgeiz mangelte.“ 450 In einer weiteren Publikation von Weniger als in Bezug auf Kosterlitz zu lesen: „Routinierter deutscher Filmregisseur mit beachtlicher Karriere in Hollywood […] Kosterlitz‘ Spezialgebiet wurde […] die leichtfüßige Komödie. […] Koster galt als hervorragender, routinierter Handwerker, dem es jedoch an einer ureigenen Handschrift mangelte.“ 451 Dieser Auffassung einer mangelnden Handschrift widerspricht Seeßlen: „Hermann Kosterlitz hat weniger das, was man Stil und Obsession in einem Werk nennen kann, aber seine Arbeit hat einen kräftigen touch “ 452 . Der Fokus liegt bei Kosterlitz auf schnellen, gefinkelten Dialogen und weniger auf künstlerisch ausgefallener

449 Asper: Filmexilanten im Universal Studio, S. 26. 450 Weniger, Kay: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben…“ Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht , Hamburg: Acabus 2011. 451 Weniger, Kay: Das große Personenlexikon des Films , Vierter Band, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2001, S. 463-464. 452 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S.43.

[79] Kameraarbeit. Großaufnahmen finden somit fast keine Verwendung und die Kamera konzentriert sich selten auf Gegenstände. Es sind die Figuren, die im Vordergrund stehen. Jedoch lassen sich durchaus budgetbedingte Unterschiede in Bildkomposition und Kameraarbeit erkennen. Denn im Gegensatz zu den Gaal-Filmen zählte etwa TAGEBUCH DER GELIEBTEN zu den aufwendigsten österreichischen Produktionen der 1930er Jahre 453 . Die Kamera befindet sich in diesem Film ständig in Bewegung und die Mise-en-scéne gestaltet sich opulent. In Bezug auf Kosterlitz‘ europäische Regiefilme können mit großer Geschwindigkeit inszenierte Eröffnungssequenzen als typisch- Kosterlitz bezeichnet werden. Innerhalb weniger Augenblicke werden darin die Protagonisten und Protagonistinnen sowie ihre Lebensräume charakterisiert. Die Komik entsteht bei Kosterlitz in der Interaktion und dem Mienenspiel der Schauspielenden. Dennoch ist für Kosterlitz Film in erster Linie ein visuelles Medium: „I think comedy basically has to come from the visual impressions – unless it is Bernard Shaw. Then it is only the dialogue. I think that was the secret and success of the great American comedians, that what they showed to the eye was much more impressive to the laugh muscles than what they said.” 454 In der Literatur wird mehrfach erwähnt, dass sich Kosterlitz‘ Regiestil vor allem durch die intensive Arbeit mit den Schauspielern und Schauspielerinnen auszeichnet. Eine ausführliche Erläuterung von Kosters Interpretation über die Arbeit eines Regisseurs ist in einem 1939 von ihm selbst verfassten Artikel in der Zeitschrift Aufbau zu lesen.455 Einen weiteren kurzen Hinweis auf Kosterlitz‘ Regie-Stil findet man neben einem in Pasternaks Biografie veröffentlichten Foto vom Set von ONE HUNDRED MEN AND A

453 Vgl. Loacker: Unerwünschtes Kino , S. 33. 454 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 29. 455 „Zwei Momente sind der Gradmesser eines Films: sein allgemeiner Unterhaltungswert und die besondere Attraktion, die er bietet. Diese Attraktion kann ein Schauspieler sein, aber auch der Handlungsstoff, das Thema. […] Die wichtigste Voraussetzung eines guten Films ist sein Manuskript. […] Ein Dialog auf der Leinwand ist nur dann gut, wenn man ihn weglassen kann und die Szene trotzdem verständlich bleibt. […] Der Schauspieler kommt […] erst an zweiter Stelle. Die Aufgabe des Regisseurs ist es, ihn vor der Kamera „locker“ zu machen. Fast alle Filmschauspieler erhalten vor der Arbeit im Studio ein dickes Buch, mit genauen Charakterbeschreibungen ihrer Rolle und dem vollständigen Text ihrer Szenen. Dann kommen sie ins Atelier, haben alles auswendig gelernt und vergessen über den Worten den mimischen Ausdruck, der so viel wichtiger ist. Ich hatte, als einziger Regisseur Hollywoods, Gelegenheit, diesen Brauch zu ändern. Kein Schauspieler, auch nicht der Star, bekommt bei meinen Filmen einen Text zu sehen. Oft kennt er noch nicht einmal den Gag der Handlung. Kurz vor dem Drehen bespreche ich mit ihm in grossen Zügen den Charakter der darzustellenden Figur und den Inhalt des folgenden Abschnitts. Dann spielt er die Szene mit seinen eigenen Worten. […]Ungemein wichtig ist der menschliche Kontakt zwischen Schauspieler und Regisseur. Nur wenn der Schauspieler blindes Vertrauen hat, ist er imstande, alles zu geben.“ (Koster, Henry: „Arbeit in Hollywood“, Aufbau , Nr. 23 v. 8.12.1939; abgedruckt in: Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 84-85).

[80] GIRL. Kosterlitz sitzt dabei nur wenige Zentimeter vor zwei gerade spielenden Schauspielern. „Bobby likes a close-up position when he directs“ 456 , ist als Bildunterschrift zu lesen. Der Name Bobby taucht in Pasternaks Biographie immer wieder als Spitzname für Kosterlitz auf.

456 Pasternak/Chandler: Easy the Hard Way , Abbildungsverzeichnis.

[81] 4.2 Die musikalische Depressionskomödie

4.2.1 Kosterlitz und die Musik

Auf Atkins‘ Frage, ob einige der Filme, die Kosterlitz zusammen mit Pasternak drehte, Musicals gewesen seien, entgegnete der Regisseur: „Oh, yes, all of them, the ones with Franziska Gaal. She was an actress/singer. And they had a wonderful composer who wrote all the songs, Nicholas Brodszky. He came with us, later, here. He became successful here with Mario Lanza“ 457 Was Kosterlitz‘ Filme durchaus mit dem zeitgenössischen Filmschaffen in Österreich und Ungarn verband, war der filmische Einsatz von Gesang und der hohe Stellenwert der Musik. Ein beliebter Darsteller in den Filmen des „Unerwünschten Kinos“ war beispielsweise der Sänger Joseph Schmidt, um den herum in gleich drei unabhängigen Filmen eine Geschichte erzählt wurde. Diese werden als Sängerfilme bezeichnet. 458 „Das Typische einer (Ton-)Filmoperette ist der Einsatz von Gesang, von Liedern. Die Stars singen, und die Inszenierung des Gesangs ist zentraler Bestandteil des Films“ 459 , definiert Bolte das Genre. Im Gegensatz zu den Sängerfilme wird bei Kosterlitz – bis auf wenige Ausnahmen – allerdings nur gesungen, wenn der Figur im Rahmen ihrer Welt auch wirklich zu singen zu Mute ist und nicht ausschließlich zur Belustigung des Publikums. Da es so meist zu keinem „Bruch der Realitätsebene“ kommt, sind die Gaal- Filme eher mit amerikanischen Musicals, als mit Filmoperetten verwandt. 460 Franziska Gaals Lieder dienen als Metakommentar zum Gesehenen. In der Filmwissenschaft wird die akustische Visualisierung von Gefühlen jedoch – auch in Hinblick auf den hinter den Schlagern stehenden Vermarktungsstrategien – häufig kritisiert: „Die komplizierte Funktion des Schlagers wird aber von Historikern und Musikwissenschaftlern noch immer hauptsächlich als schlichte ,Manipulierung‘ begriffen, wenn nicht gar als Beweis für die negative Wirkungsmacht der Massenkultur schlechthin. In der Dichotomie von kritischem Modernismus und manipulierter Modernität gefangen, beharrt diese Deutungsweise darauf, daß der Musikfilm und die Durchsetzung des

457 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 38. 458 Loacker: Unerwünschtes Kino, S. 140-198. 459 Bolte, Marie-Luise: Vom Kabarett zum Film. Thesen zum Filmsong und vier Komponisten-Porträts, Als die Filme singen lernten. Innovation und Tradition im Musikfilm 1928-1938 , Hg. Hans-Michael Bock/Wolfgang Jacobsen/Jörg Schöning, München: Edition Text + Kritik 1999, S. 44. 460 Vgl. Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 42.

[82] kommerziellen Tonfilms als solche nur konservativ und affirmativ seien; dabei wirke der Schlager als musikalische Traumwelt, die das Begreifen des sozialen Elends verhindere.“ 461 Eine Sichtweise, die Currid in seiner Arbeit über den Filmschlager kritisiert. 462 Er schlägt vor, den Schlager „als ein „Organ der Erfahrung“ zu begreifen.“ 463 „Durch und durch ideologisch, nimmt der Schlager einerseits an der Verschleierung der Produktionsbedingungen teil, gleichzeitig wird aber in seiner Vermittlung und seiner Rolle im Tonfilm das Verhältnis des Subjekt zu diesen Bedingungen auf eine neue Art und Weise begreifbar.“ 464 Wenn man die von Franziska Gaal gesungenen Lieder betrachtet, bemerkt man schnell, dass bei den Liedtexten zwar die Träume der Protagonistin eine große Rolle spielen, jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Traumwelt vorgegaukelt wird. In KATHARINA - DIE LETZTE treten zusätzlich die – auch im Vorspann als „weltberühmt“ angekündigten – Comedian Harmonists als besondere Attraktion in einer Bar auf und singen einen im Film häufig auftauchenden Schlager. „Du passt so gut zu mir wie Zucker im Kaffee“, lautet der Refrain. Auf ähnliche Art und Weise wird Gesang in FÜNF VON DER JAZZBAND oder auch DER FALL BRENKEN eingesetzt: Es wird zwar gesungen, jedoch nur von auch im Film als Musiker auftretenden Figuren. Im Gegensatz dazu ist bei den französischen Filmen der Gesang komplett abwesend. Gesungen wird lediglich im bereits 1932 hergestellten und von Kosterlitz geschriebenen COEURS JOYEUX 465 . Dabei handelt es sich jedoch um die französische Sprachversion von ZIGEUNER DER NACHT 466 . „Die Operette profitierte mehr als jedes andere eskapistische Genre von den Möglichkeiten des Tonfilms.“ 467 Neben POLENBLUT ist der einzige auf einer Operette basierende Kosterlitz-Film der von Stefan Székely inszenierte BALL IM SAVOY. Doch wurde die Handlung von Autor Kosterlitz so stark verändert, dass sie mit der Operette so gut wie nichts mehr gemein hat. 468 „Launisch durchkreuzte die Musik andauernd die halbwegs vernünftige Handlung und riß Personen und Objekte dazu hin, sich

461 Currid, Brian: „Das Lied einer Nacht. Filmschlager als Organe der Erfahrung“, Als die Filme singen lernten. Innovation und Tradition im Musikfilm 1928-1938 , Hg. Hans-Michael Bock/Wolfgang Jacobsen/Jörg Schöning, München: Edition Text + Kritik 1999, S. 49. 462 Vgl. Ebd. S. 49-50. 463 Ebd. S. 50. 464 Ebd. S. 58. 465 Coeurs joyeux , Hanns Schwarz/Max de Vaucorbeil, Frankreich 1932. 466 Zigeuner der Nacht , Regie: Hanns Schwarz, Deutschland 1932. 467 Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films , Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 216-217. 468 Vgl. Grünwald, Alfred/Fritz Löhner: Ball im Savoy. Operette in drei Akten. Textbuch der Gesänge , Basel: Doremi Musikverlag 1932.

[83] ausgelassen zu benehmen“ 469 , schreibt Kracauer über die Filmoperette. Bei den beiden Kosterlitz-Operetten lässt sich diese Ausgelassenheit jedoch nur bedingt bestätigen. In Hinsicht auf den Gesang unterscheidet sich BALL IM SAVOY letztendlich – wie die Gaal- Filme – von einer Operette. Zwar werden Gesang- und Tanzeinlagen immer noch als Attraktion eingesetzt, sind jedoch – bis auf eine Ausnahme – diegetisch begründet. Auf visueller Ebene finden sich hier Anklänge an das zeitgenössische Hollywoodkino. Zum einen durch Stepptanzeinlagen und zum anderen durch die aus der Vogelperspektive gefilmten Massenchoreographien, die Ähnlichkeiten zu Hollywood-Tanzfilmen wie GOLDDIGGERS OF 1933 erkennen lassen.

4.2.2 Kosterlitz und die Depression

Joe Pasternak äußerte sich in seiner Biografie über das Verhältnis seiner Filme zur Gesellschaft: „And then it was not my natural inclination, as I have remarked before. In Berlin I formed whatever philosophy of making pictures I have. The world was sad, disordered, insane. Some people thought it their duty (these people always speak of conscience and integrity and so on) to tell their stories about this world. That is their right. I was as troubled as they, but I thought, and still think, I can help more by making people laugh, by giving them a moment of lightness and delight, of sweetness and charm, in a world that has always been wrong. No doubt the world is full of stinkers and misery and ugliness and hatred. I decided my pictures would show clean-looking people; they would be full of fun, filled with the joy of life, fun, lovemaking, singing and dancing.” Dennoch ist die von Pasternak beschriebene schmutzige Umgebung in den mit Franziska Gaal gedrehten Kosterlitz-Filmen allgegenwärtig. Asper sieht in der Betonung der sozialkritischen Seite den großen Unterschied zu anderen Produktionen und ein Alleinstellungsmerkmal von Kosterlitz‘ Filmschaffen: „Denn darin unterscheiden sich diese Exilfilme deutlich […] von der Unbekümmertheit der Depressionskomödien der Weimarer Republik […] Die schärfere Sicht auf die sozialen Verhältnisse und die Gesellschaft ist augenscheinlich dem Exil geschuldet.“ 470 Tatsächlich ist die ständige Reibung unterschiedlicher sozialer Schichten ein verbindendes Element der Kosterlitz-Filme – sowohl der deutschsprachigen, als auch französisch- und anderssprachigen. So lassen sich bereits die meisten Hauptfiguren in die zwei Kategorien „Arm“ und „Reich“ einteilen. Ähnliches liest man bei Hake. In Bezug auf DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN spiegeln ihr zufolge die Konflikte am Arbeitsplatz die

469 Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S. 217. 470 Asper: Filmexilanten im Universal Studio. 1933-1960 , S. 28.

[84] zeitgenössische Mentalität wider. Das Bürogebäude, in dem sich die Handlung zuträgt, symbolisiert als Mikrokosmos die deutsche Gesellschaft.471

„Achieving an effective balance between affirmative and subversive tendencies, Kosterlitz infuses social realist elements […]. These realistic elements illuminate the rituals of inclusion and exclusion that articulate racial, sexual, and national differences especially during periods of economic and political upheaval.”472 Auch Seeßlen schließt sich dem an, wenn er den Unterschied der Kosterlitz-Gaal-Filme zu Wien Film oder Ufa -Komödien hervorhebt. „Es sind Komödien mit einem ungewohnt scharf gezeichneten sozialen Hintergrund, die vom Stil der Ufa -Komödie so weit entfernt sind wie von dem des Wienerfilms; selbst dort, wo thematische Verwandtschaften auf eine falsche Fährte führen könnten, sind die Gegensätze bei etwas genauerem Hinsehen noch heute deutlich, nicht allein in der suggestiven low-key-Beleuchtung, sondern auch in ihrer moralischen, sexuellen und, wenn man so will, politischen Konstruktion der Welt.“ 473 „Anders als die Ufa -Komödien und die Wienfilme spielen sie nicht in einer künstlichen Parallelwelt. Ihr Bild der Stadt als Lebens- und Machtraum [ist] voller Zeichen des sozialen Rangs, die auf ihren Gebrauch warten.“ 474 Als Wienerfilm lässt sich eine „Mischung aus Musik, leichter Komik, Liebe und Wiener Gemütlichkeit“ bezeichnen.“ 475 In weiterer Folge soll die besagte moralische, sexuelle und politische Konstruktion der Welt im Mittelpunkt stehen.

4.2.3 Kosterlitz und die Komödie

„Ein Teil soziale Realität, ein Teil Romantik und ein Teil Slapstick“ 476 – so lautet das Grundrezept vieler Kosterlitz-Filme. Elisabeth Büttner schreibt über PETER: „Seine gesellschaftlichen Impulse stammen aus der Wirklichkeit der frühen dreißiger Jahre, seine filmischen Wurzeln liegen in der amerikanischen romantischen Komödie.“ 477 Trotz des besagten ernsten sozialen Hintergrunds, können beinahe alle der behandelten Filme dem Komödiengenre zugeordnet werden. Ab 1930 gab es nur wenige Ausnahmen,

471 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 31. 472 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 31. 473 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 39. 474 Ebd. S. 41. 475 Horak: „Filmkünstler im Exil. Ein Weg nach Hollywood“, S. 237. 476 Dewald, Christian (Hg.): „Aneignung des kleinen Glücks“, Filmhimmel Österreich 032. III. Masse und Macht , Wien: Filmarchiv Austria 2006, S. 12. 477 Büttner, Elisabeth: „Prolog“, Filmhimmel Österreich 032. III. Masse und Macht , Hg. Christian Dewald, Wien: Filmarchiv Austria 2006, S. 2.

[85] wie die Bernhardt-Filme DIE LETZTE KOMPANIE und DER REBELL sowie die während der „Exilzeit“ hergestellten DER TUNNEL und L’OR DANS LA RUE 478 . „Then I slowly drifted away from Bernhardt, because he was not a director for comedies. That takes certain light hand, to handle that. And he didn’t have a light hand; he had a heavy hand, but very successful so.”479 Der einzige Regiefilm von Hermann Kosterlitz, der nicht in erster Linie eine Komödie darstellt, ist TAGEBUCH DER GELIEBTEN. Doch auch hierbei handelt es sich nicht um ein reines Melodrama über Leben und Sterben einer Künstlerin. Die Geschichte ist durch zahlreiche komödiantische Elemente und Szenen aufgelockert. So etwa stets, wenn Szőke Szakáll zu sehen ist. Auch Kosterlitz‘ Drehbücher ab 1933 sind in erster Linie Komödien. Elsaesser zufolge weisen die Filmstoffe, die von deutschen Emigranten in Frankreich herangezogen wurden, ein gemeinsames Merkmal auf: „Es handelt sich vornehmlich um bekannte, für den großen kommerziellen Markt bestimmte Unterhaltungsthemen.“ 480 Die Ausnahme stellt hier – neben den erwähnten Bernhardt- Filmen – LES NUITS MOSCOVITES dar. DER FALL BRENKEN ist wiederum eine komödiantisch inszenierte Kriminalgeschichte. Im Mittelpunkt der Kosterlitz-Filme stehen die Figuren. Der Begriff Figur bezeichnet eine „Person im Film, wie sie auf den Ebenen der Repräsentation, der Mimesis und der Symbole im Rahmen einer Narration konstruiert wird.“ 481 Den großen Stellenwert der Figuren betont auch die Zeitschrift Aufbau , die im Jahr 1939 über Kosterlitz schreibt, dass er „früher in Deutschland schon durch eine menschlich interessante Ausgestaltung des Film-Geschehens vorteilhaft von vielen Kollegen abstach.“ 482 Als zentrales Element fungiert meist ein Liebespaar, das als kleinstmögliche Gruppe kollektiver Identität bezeichnet werden kann. Somit können die komödiantischen Stoffe in weiterer Folge als „Romantische Komödie“ bezeichnet werden. „The romantic comedy film is one of our favourite stories about courtship, coupling, and falling in love. It’s a sexy topic, and its sexiness yields box office returns but it is also yielding in its flexibility, responding to changing ideas about sexuality and gender. At first, these films had to end in marriage or the promise of marriage or remarriage.” 483

478 L’or dans la rue , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich 1935. 479 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 23. 480 Elsaesser: „Robert Siodmak und das Paris der 30er Jahre“, S. 85. 481 Fahle: „Öffnung des Raums, Dynamik des Filmbilds“, S. 185. 482 Koster, Henry: „Arbeit in Hollywood“, Aufbau , Nr. 23,. 8.12.1939; abgedruckt in: Asper: „Etwas Besseres als den Tod...“, S. 84-85. 483 Mizejewski: It Happened One Night , S. 17-18.

[86] Somit steht stets die Beziehung zwischen einer männlichen und einer weiblichen Figur im Mittelpunkt – oder besser gesagt zwischen einer weiblichen und einer männlichen. Mit Ausnahme von DE KRIBBEBIJTER werden sämtliche europäische Filme, bei denen Kosterlitz Regie führte, aus der Perspektive einer Frau erzählt. Das gilt auch für seine Drehbuch-Filme DER DOPPELGÄNGER, PECHMARIE, DER FALL BRENKEN, POLENBLUT, A CSÚNYA LÁNY sowie DIE VERTAUSCHTE BRAUT. Bei allen französischen Produktionen sowie bei den für Kurt Bernhardt geschriebenen Filmen stehen ebenso wie bei BALL IM SAVOY stets Männer im Mittelpunkt des Geschehens. KATHARINA - DIE LETZTE wird sowohl aus männlicher als auch aus weiblicher Perspektive erzählt. Der Stellenwert der Figuren bei Kosterlitz‘ sowie die Fixierung auf die Protagonistin werden in einer zwei Tage nach der Premiere von TAGEBUCH DER GELIEBTEN erschienen Kritik der Wiener Zeitung deutlich. 484

484 „Ein Film nach dem Tagebuch, der Maria Baschkirtzeff, keine getreue Verfilmung; das Bühnenstück, das man am Burgtheater sehen kann, hat nur die tragische Heldin damit gemeinsam. Maria Baschkirtzeff lebt auch im Film ihr kurzes bittersüßes Leben, verzehrt von Ehrgeiz, als Malerin zu hohem Ruhm emporzusteigen. Den Filmdichter lockte es, der interessanten, eigenartigen Zeiterscheinung als Partner den interessanten, repräsentativen Dichter des damaligen Paris beizugesellen; so sehen wir also Maria mit Guy de Maupassant in kurzer, tiefer, unglücklicher Leidenschaft vereint. Die reizvollen, problematischen Erlebnisse der Seele des jungen Mädchens und großen Künstlerin, die im Tagebuch erschütterndes Bekenntnis sind, verwandeln sich im Film in die epische Bilderfolge einer Liebesgeschichte. Bezeichnenderweise wird die Handlung in ihrer Wirkung gefördert von einer empfindsamen, temperamentvollen musikalischen Untermalung Paul Abrahams. Getragen wird der Film von der Darstellerin der Baschkirtzeff, denn bei ihr allein liegt alle Aktion und alles Erleben; der ganze Film ist ein Solospiel der Frau Darvas. Selbst ihre zwei Gegenspieler Hans Jaray und Attila Hörbiger sind nur da, um ihr schließlich als Folie, als Begleitung zu dienen. Alle Vorzüge der Bühnenkünstlerin wirken sich auch als Filmdarstellerin aus. Die Musik der Seele Marias fand an Lili Darvas eine wundervoll nachfühlende, edel wiedererklingende Bekennerin; tiefes Verstehen, empfindendes Nachfühlen durch Verwandtschaft der Frauenherzen, des Künstlertums, erzeugen den Eindruck lebendiger Unmittelbarkeit, warmer Gefühlstiefe. Dem Maupassant gibt Hans Jaray seine persönliche Haltung und Liebenswürdigkeit. Attila Hörbiger hat einen frei erfundenen unglücklichen Bewerber zu spielen; er gibt ihm seine frische, natürliche Geradheit, wodurch einigermaßen Romanhaftes zurückgedrängt wird. Szőke Szakáll ist als gutmütiger Arzt der armen, kranken Maria sehr lebensvoll. Frau Anna Kallina rauscht als vornehme, ihr Kind nicht verstehende Mama Baschkirtzeff durch einige Szenen. Eine gespenstige Wahrsagerin wird von Frau Richard scharf gezeichnet. – Ausgezeichnet das photographische Bild, das mancherlei Schwierigkeiten glänzend löste. Reizvoll auch alles Kostümliche, wofür Ladislaus Szettel zeichnete. Bewegt, immer sehr geschmackvoll ist die Regie Hermann Kosterlitz.“ ( Wiener Zeitung , Nr. 276, 6.10.1935, S. 11).

[87] 4.3 Figuren

4.3.1 Der Tramp

Ein verbindendes Merkmal der behandelten Filme ist der Ton. Im Geflecht von Identitätssuchen, in dem sich Kosterlitz bewegt, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich zu dieser Zeit auch das Medium Film selbst erst neu definieren musste. Kosterlitz gehörte einer neuen Generation von Regisseuren an, die sich von Beginn an die Vorteile des Tons zunutze machte. Denn obwohl er bereits in den 1920er Jahren als Autor für zahlreiche Stummfilme arbeitete, war seine erste Tätigkeit als Regieassistent bei FÜNF VON DER JAZZBAND bei einem typischen Tonfilm. Mit Einführung des Tonfilms, änderte sich auch Kosterlitz‘ Arbeitsweise als Autor: „The dialogue became predominant in those stories. But I was a writer, and an enthusiastic one, and I tried to do it right. I must have done it right a few times because I worked as a writer for quite a while before I finally became a director.” 485 Mit der Suche nach dem richtigen Einsatz der neuen Technik (3.1) ging auch eine Suche nach einem geeigneten Stil einher. Bei Kosterlitz ist die Vermischung von Stumm- und Tonfilm vor allem zu Beginn von PETER zu erkennen, wo er sich in bester Slapstick- Manier der non-verbalen Komik des Stummfilmkinos bedient – so etwa, wenn Felix Bressart vergeblich versucht eine aus dem Fenster fliegende Vase zu fangen. TOTO von Jacques Tourneur kommt über weite Strecken ohne Dialog aus und beinhaltet auf visueller Ebene zahlreiche Anklänge an das Stummfilmkino. Koster ging im Interview von 1987 auf den Einfluss von Stummfilmcharakteren auf seine Schaffen ein, nachdem er von Atkins gefragt wurde, ob denn seine Komödien sehr visuell waren: „Yes. And greatly influenced by Keaton, Chaplin. And then a little bit, I think, of my own style. I never used things like the little tramp character that could be traced. But I was so influenced by them that it helped me create.” 486 Kurz darauf revidierte er seine die Figur des Tramps betreffende Aussage in Bezug auf die für Anny Ondra geschriebenen Frauenfiguren wieder: „I was a hero-worshipper. I still am. And when I started working on the scripts for her [Anm. Anny Ondra] I did it a little bit under the influence of Chaplin, and made her a female one.”487

485 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 27. 486 Ebd. S. 23. 487 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 28.

[88] Ähnliches lässt sich auch über die von Franziska Gaal verkörperten Figuren sagen. Allen voran über jene in PETER, die bereits aufgrund ihrer Tramp-ähnlichen Verkleidung Parallelen zu Chaplin aufweist. Auch die Bezeichnung von Katharina in KATHARINA - DIE LETZTE als „Tramp“el ist eine – wenn auch weit hergeholte – Verbindung der Gaal Figuren mit Stummfilmcharakteren. Trotz Slapstickeinlagen untscheiden sich Kosterlitz- Figuren von jenen des Stummfilms und lassen sich eher mit „Screwballs“ vergleichen. Denn wie diese sind die Kosterlitz-Figuren ein „Ausbund an Normalität, eingebettet in einer […] realen Welt“ 488 und somit von Slapstick-Figuren, wie sie von Chaplin oder den Marx-Brothers 489 verkörpert werden, abzugrenzen.

4.3.2 Die Screwballs

Kosterlitz‘ europäische Filme werden häufig mit amerikanischen Screwball Comedies verglichen. Loacker zufolge waren die Gaal-Produktionen temporeiche Filme, die stets von „ebenso raffiniert-naiven wie gewitzt-emanzipierten jungen Frauen“ 490 handelten, die Geschlechterrollen aufbrachen und nicht zuletzt aufgrund ihres screwballartigen Stils für deutschsprachige Verhältnisse völlig unüblich waren. 491 Auch Seeßlen geht in eine ähnliche Richtung: „Die Filme PETER, KLEINE MUTTI und KATHARINA DIE LETZTE sind am ehesten so etwas wie urbane screwball comedies, komödiantische Bilder eines dringend benötigten gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, der im Entstehungsgebiet der Filme kurz darauf mit so brachialer Gewalt abgebrochen werden sollte.“ 492 Tatsächlich erwähnte auch Koster selbst immer wieder, dass er – ebenso wie das gesamte deutsche Kino – stark vom amerikanischen Filmschaffen beeinflusst war. „Der Einfluss war schon sehr bemerkbar und entscheidend in Europa. Wenn ein neuer amerikanischer Film herauskam, gingen alle deutschen Filmschaffenden, Regisseure, Schriftsteller, Autoren und sahen ihn sich an, bewunderten, was die Amerikaner gemacht hatten, erkannten an, dass es in einem gewissen Sinn als Unterhaltungsmittel deutschen Produktionen überlegen war.“ 493

488 Tomicek, Harry: Screwball Comedies , Wien: Österreichisches Filmmuseum: 1984, S. 3. 489 Vgl. Tomicek: Screwball Comedies , S. 3. 490 Loacker/Prucha: Unerwünschtes Kino , S. 112. 491 Vgl. Loacker/Prucha: Unerwünschtes Kino , S. 112. 492 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 39. 493 Interview mit Henry Koster aus dem Jahr 1980, zitiert in: Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S.43.

[89] An anderer Stelle meinte er: „The Americans, they were gods, and in my opinion they still are. They were the ones taught the world how to make movies.” 494 Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass seine Filme gewisse Parallelen zum Hollywoodkino aufweisen. Der Begriff Screwball Comedy steht in erster Linie für eine in Hollywood hergestellte romantische Komödie der 1930er und 1940er Jahre. 495 Alleine der Umstand, dass es sich bei diesen Filmen um ein rein amerikanisches Genre handelt, verdeutlicht, dass die Kosterlitz-Filme keine reinen Screwball Comedies sind, sondern lediglich Parallelen aufweisen können. Harry Tomicek definiert das Genre folgendermaßen: „,Screw‘ bedeutet nicht schraubig oder geschraubt, sondern ,verrückt‘, besser ‚ein wenig verrückt‘, also ‚wirr‘. ‚He has a screw loose‘, einer, dem die Schraube locker geworden ist. Screwballs sind Käuze, Wirrköpfe, Effet-Kugeln mit Seitendrall und verschlagene Bälle, die aus dem Baseballfeld schwirren. Ob auf Bälle oder Menschen bezogen – Screwballs bezeichnen Störfaktoren im Ablauf von Regeln und im geordneten Ablauf. […] Von der Geburtsstunde der Screwball Comedy an ist der Screwball ein sprechender Wirrkopf, beschenkt mit der Gabe der vernünftigen Rede.“ 496 Tomicek zufolge ist „die Screwball Comedy […] eine stilisierte Spielart des realistischen Films.“ 497 Der Held ist einer, der „vom herzzerreißenden alltäglichen ausgeht, um durch das einbrechende Gewitter einer ‚verrückten‘, aber normalen Situation in einem ausweglosen Grad der Verwirrung und Bestürzung zu geraten.“ 498 Die Screwball Comedy definiert sich demnach stark über Helden und Heldinnen, deren Verhalten unberechenbar ist und die in Sachen Romantik und Liebe gerne für Verwirrung sorgen. 499 „In den Screwball Comedies werden realistische amerikanische Charaktere, ausgestattet mit gesundem Menschenverstand, verrückt gemacht, indem sie mit realistischen, aber verrückten (nicht nur-) amerikanischen Situationen traktiert werden. […] Verrückt gemacht, traktieren sie den verrückt gesunden Menschenverstand und verrücken damit sich selbst.“ 500

4.3.3 Der Mann

Parallelen zwischen Kosterlitz-Filmen und Screwball Comedies lassen sich vor allem in Hinblick auf die Hauptfiguren erkennen. Dennoch liegt für Seeßlen bereits in der

494 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 28. 495 Vgl. Mizejewski: It Happened One Night , S. 21. 496 Tomicek: Screwball Comedies , S. 2-3. 497 Ebd. S. 3. 498 Ebd. S. 4. 499 Mizejewski: It Happened One Night , S. 22. 500 Faber, Manny: Negative Space , New York: Praeger 1971, zitiert in: Tomicek: Screwball Comedies , S. 4.

[90] Zeichnung der männlichen Hauptcharaktere ein Unterschied. Diese sind in den Screwball Comedies „vertrottelt, überangepasst und karrierefixiert, bevor sie von den quirligen, erotischen Frauen erlöst werden; in den Franziska-Gaal-Filmen ist es schlimmer. Die Männer sind korrupt, unfähig, sich ihren sozialen Problemen zu stellen, (beinahe) hoffnungslos an ihren scheinhaften sozialen Ort gefesselt.“ 501 Seeßlen bezieht sich hier in erster Linie auf die bei Kosterlitz häufig auftauchenden reichen, männlichen Figuren, die als Lebemänner bezeichnet werden können. Franziska Gaal charakterisiert diese Figur hervorragend in einem Streitgespräch mit einem Lebemann in KLEINE MUTTI: „Sie schlafen den ganzen Tag. Und nachts treiben Sie sich in Lokalen herum. Sie leben vom Geld Ihres Vaters. Und haben in Ihrem Leben noch nicht gearbeitet. Sie sollten sich schämen!“502 Lebemänner kommen stets aus reichem Elternhaus und sind oft adeliger Abstammung. Ihr aufwendiges, materialistisches Leben wird meist vom Vater finanziert. Dieser heißt den Lebensstil des Sohnes nicht gut, unterstützt ihn aber dennoch. „Richtige“ Arbeit haben die Lebemänner nicht. Anfallende Aufgaben werden von Bediensteten erledigt. Diese werden stets mit großem Respekt und freundschaftlich behandelt. Lebemänner begehren und sind zugleich selbst Objekt der Begierde. Im Laufe des Films vollziehen sie meist eine Wandlung. Diese ist nötig, um das Herz einer bestimmten Frau zu gewinnen. Laster werden aufgegeben und der „wahre Sinn des Lebens“ wird erkannt. Dieser steinige Weg ist oft voll Lügen und kann Verkleidungen, Maskerade und Identitätswechsel beinhalten. Lebemänner legen sich gerne mit der Elterngeneration an und setzen sich spielerisch über Regeln und Normen hinweg. Die Figur des Lebemanns findet sich in DE KRIBBEBIJTER, TAGEBUCH DER GELIEBTEN, PETER, KATHARINA - DIE LETZTE, BALL IM SAVOY, DIE VERTAUSCHTE BRAUT, DER DOPPELGÄNGER sowie POLENBLUT. Bei den französischen Filmen sind solche Figuren lediglich in LE SEXE FAIBLE anzutreffen. Dafür findet man hier allerdings gleich eine ganze Ansammlung davon. „LE SEXE FAIBLE – das sind hier ausschließlich und widerspruchslos die Männer, während die Frauen arbeiten und handeln, betrügen und intrigieren. Die Männer sind reines Objekt der Begierde, prostituieren sich, tauschen ihre Körper gegen Geld.“ 503

501 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S.40. 502 Kleine Mutti , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1935. 503 Jacobsen, Wolfgang/Hans Helmut Prinzler (Hg.): Siodmak Bros. Berlin-Paris-London-Hollywood , Berlin: Argon 1998, S. 115.

[91] Einen besonderen Status nimmt die Figur des Oberkellner Antoine in diesem Film ein. Als Ansprechperson für sämtliche Hotelgäste agiert er zwar als Nebendarsteller, steht aber dennoch im Mittelpunkt sämtlicher sich im Hotel zutragender Ereignisse. Stets diskret und korrekt leiht er den Gästen ein Ohr, erteilt Ratschläge und ist den einzelnen Figuren bei ihren Spielchen behilflich. Während sich die Hauptcharaktere – wenn auch oft nur mit Mühe – über räumliche und gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzen können, definieren sich Nebencharaktere über ihre Milieuzugehörigkeit. Vor allem die stets reichen Väter stehen für alte Werte, aber auch für harte Arbeit und ein sicheres Einkommen. Sie finanzieren das Leben ihrer Söhne oder Töchter, sind aber auch penibel was die Wahl der richtigen Schwiegertochter beziehungsweise des richtigen Schwiegersohnes betrifft. „Er ist ein Tyrann, ein Despot. Ich werde einen Verein gründen zur Ausrottung dicker Väter“, sagt der Lebemann in KATHARINA - DIE LETZTE über den Vater seiner Geliebten, der den beiden den Umgang miteinander verbietet. „Der Vater ist noch nicht erfunden, der seine Tochter von dem Mann, der sie liebt fernhalten kann“, sagt Hans von Gerstikow später im Film zu Vaterfigur Sixtus Braun. Durch und durch tyrannisch gestaltet sich die Vaterfigur in DE KRIBBEBIJTER. Sowohl dem Sohn, als auch der Tochter verbietet er die Hochzeit. Während sich im Fall von Sixtus Braun nachvollziehen lässt, warum er den faulen Lebemann nicht als Schwiegersohn möchte, agiert die Vaterfigur in DE KRIBBEBIJTER scheinbar willkürlich. Sein Missmut wird bereits in den ersten Szenenabfolgen unterstrichen: Er erscheint äußerst schlecht gelaunt am Esstisch, beschimpft schließlich sein Hauspersonal und wirft einen Mistkübel durch den Raum. Unmittelbar danach droht er dem gerade mit Blumen erschienen Freund seiner Tochter, ihn mit einem Bronzelöwen zu erschlagen und jagt diesen aus dem Haus. Die ganze Aufregung scheint auf sein Herz zu schlagen. Schwer atmend greift sich das Familienoberhaupt an die Brust und nimmt Medizin zu sich. Diese bekommt er von seinem stets gut gelaunten und freundlichen Bruder überreicht, der in diesem Film als Gegenpart zum Vater und als „netter Onkel“ agiert. Natürlich werden auch in diesem Film väterliche Verbote humorvoll umgangen. Letzten Endes kommt der Vater zur Vernunft. Zwar vermutlich kinderlos, aber in der Inszenierung den Vätern nicht unähnlich, agiert die Figur des reichen Unternehmers. Diese lässt sich in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, A

[92] CSÚNYA LÁNY, POLENBLUT finden. In KATHARINA - DIE LETZTE sind Vater- und Unternehmerfigur ident. Diese Figuren sind oft wohl genährt und stehen für den Erfolg einzelner im Kapitalismus. Otto Wallburg spielt solch eine Figur in gleich mehreren Filmen. Mit seinem kindlichen Spiel trägt er ebenso zur Auflockerung der Handlung bei wie ein gewisser Typus von immer wieder auftretenden Nebenfiguren. Diese mit komödiantischem Talent ausgestattete Nebendarsteller sorgen mit ihrer Tollpatschigkeit für Lacher, während sich das eigentlich im Mittelpunkt stehende junge Pärchen verlieben kann. In gleich drei Filmen (PETER, BALL IM SAVOY, KATHARINA - DIE LETZTE) lässt sich bei diesen Figuren ein starker Hang zum Alkoholismus erkennen. In den Kosterlitz Filmen sind Felix Bressart, Hans Olden sowie Hans Moser in solch einer Rolle zu sehen. Auf besondere Weise agiert Theo Lingen in DER DOPPELGÄNGER. Seine sich ständig in absurde Verkleidungen und Masken werfende Figur agiert als Parodie auf die ständig auftauchenden Identitätswechsel. Ein wirklich bösartiger Gegenspieler ist lediglich in LES NUITS MOSCOVITES anzutreffen. Dabei handelt es sich um einen cholerischen Großgrundbesitzer der den armen Protagonisten in Schulden stürzt und ihn letzten Endes beinahe vor das Erschießungskommando bringt. Doch auch hier kommt der Tyrann zur Einsicht bevor es zu spät ist. Zurück zu den Hauptfiguren: Neben den Lebemännern gibt es auch begehrte Männer, die zwar keine finanziellen Probleme haben, dafür jedoch arbeiten – sei es als Angestellter in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, Anwalt in A CSÚNYA LÁNY, oder Baumeister in DER TUNNEL. Hauptfiguren, die der sozialen Unterschicht angehören, sind vor allem in den französischen Filmen zu finden. So etwa ein verschuldeter Soldat in LES NUITS MOSCOVITES. Der einzige wirklich arbeitslose Mann in den behandelten Kosterlitz- Filmen ist Toto im gleichnamigen Film von Jacques Tourneur. Er schlägt sich mit kleinen Gaunereien und Tricks durchs Leben, wodurch er letztendlich im Gefängnis landet. Dort angekommen trifft er auf eine typisch reiche Unternehmer-Figur, die sich anfangs aufgrund der Gefängniskleidung noch keinen Deut von den anderen Insassen unterscheidet. Doch kaum wird der reiche Mann entlassen, geben ihm Kleidung, Auto und Chauffeur seinen privilegierten sozialen Status zurück, womit sich auch sein Charakter zum Negativen verändert.

[93] PETER stellt in Hinsicht auf das Männerbild eine Ausnahme dar. Hier wird nicht ein reicher Bürger und Sohn reicher Eltern als Traumprinz für die Franziska-Gaal-Figur inszeniert, sondern ein von Hans Jaray verkörperter Arzt, der selbst mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat. Trotz finanzieller Not bewegt er sich jedoch gerne – ebenso wie die Lebemänner – in feiner Gesellschaft. Seine Freizeit verbringt er in Bars und bei stilvollen Herrenabenden. Auch Otto Wallburg spielt hier wieder einen Firmeninhaber. Jedoch handelt es sich bei seinem Unternehmen nunmehr um keine Versicherung, sondern um eine kleine Werkstatt, die er kaum über Wasser halten kann. Somit findet man in PETER vom Wesen her ähnliche Figuren, wie auch in anderen Filmen, jedoch sind diese allesamt sozial etwas schlechter positioniert. Sogar bei der einzigen potentiell adeligen und oberflächlich vornehmen Figur handelt es sich nur um einen gemeinen Trickbetrüger und Dieb.

4.3.4 Die Frau

Eine typische Figur in den Kosterlitz-Lebenswelten ist jene des „armen Mädchens“ – der Paraderolle von Franziska Gaal. Zu Beginn der Filme, in denen diese Figur auftaucht, steht das Mädchen stets am Rande der Gesellschaft. Durch Extremsituationen wird es unfreiwillig in eine Opferrolle gedrängt, wodurch jedoch ein mit sozialem Aufstieg verbundener Spießrutenlauf beginnt. In KLEINE MUTTI wird die Gaal-Figur aufgrund eines Missverständnisses dazu gezwungen, sich um ein fremdes Baby zu kümmern. Gleichzeitig wird sie aus dem Internat geworfen und landet auf der Straße. In PETER muss sie nach einem Überfall die Identität eines Jungen annehmen, um in der krisengeschüttelten Gesellschaft überleben zu können. In diesen beiden Filmen ist das „arme Mädchen“ zu Beginn ohne Arbeit. Kleine Jobs als Staubsaugervertreterin sowie Scheinbieterin bei Kunstauktionen in KLEINE MUTTI, oder als Zeitungsjunge und Mechaniker in PETER sollen ein kleines Einkommen sichern, sind jedoch stets mit Komplikationen verbunden. Im Gegensatz zu den männlichen, sind weibliche Hauptfiguren beinahe immer auf sich alleine gestellt. Freunde oder Freundinnen haben sie im Gegensatz zu Männern nie. Auch an familiären Bezugspersonen fehlt es dem „armen Mädchen“. Eine Ausnahme verkörpert in dieser Hinsicht der alkoholabhängige Großvater in PETER. Das „arme Mädchen“ scheint somit beinahe keiner Gruppe kollektiver Identität anzugehören. Am

[94] besten verdeutlicht das die Figur der Katharina in KATHARINA - DIE LETZTE und ihr Verhältnis zu den restlichen Bediensteten im Haus des von Otto Wallburg gespielten Großindustriellen Sixtus Braun. Diese Bediensteten sind durch ihren sozialen Status miteinander verbunden. Die zur Gruppe gehörenden Figuren kennen gemeinsame Rituale, wie etwa gemeinsames Speisen in der Küche. Die Magd Katharina arbeitet zwar auch in besagtem Haus, gehört aber nicht zur Gruppe der Bediensteten. Visualisiert wird dieser Umstand dadurch, dass sie abseits des Esstisches sitzen muss. Von den anderen Bediensteten wird Katharina oft nur „Trampel“ genannt und verspottet. Katharinas freie Tage werden regelmäßig untereinander aufgeteilt. Dadurch grenzt sich die Gruppe der Bediensteten sowohl räumlich als auch verbal von Katharina ab. Katharina – die in diesem Film eine ungarische Migrantin mimt – scheint beinahe keiner Gruppe kollektiver Identität anzugehören - eine Geschichte von Exklusion, wie sie immer wieder bei Kosterlitz auftaucht. So etwa auch in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, wo Lotte als Angestellte von den männlichen Angestellten ausgegrenzt wird. Inwiefern Räume die Wege der Figuren vorgeben, erkennt man daran, dass es Katharina nicht erlaubt ist, die Herrenzimmer des Hauses zu betreten. Auch in KLEINE MUTTI bleibt dem „armen Mädchen“ zunächst der Zutritt zum bürgerlichen Haus verwehrt, was erst durch verschiedene Gewitztheiten gelingt. Das Betreten neuer Räume geht bei Kosterlitz stets schrittweise mit sozialem Aufstieg einher. Besonders ist der Weg des „armen Mädchens“ jedoch im Film PETER vorgegeben. Stärker als in anderen Filmen steht hier neben dem sozialen Status das Geschlecht als identitätsstiftendes Merkmal im Mittelpunkt. Eva wird hier in die Rolle eines Jungen gedrängt. Um gesellschaftliche Vorteile zu genießen behält sie diese neue Identität und nennt sich Peter. Abwechselnd spielt sie beide Rollen, bis sie letztendlich wieder zu ihrer ursprünglichen Identität als Mädchen Eva zurückkehrt. Auch, wenn es um die Protagonistinnen in den Nicht-Gaal-Filmen sozial gesehen nicht so schlecht bestellt ist, findet man auch hier die Figur des „armen Mädchens“. So etwa in FÜNF VON DER JAZZBAND, DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN sowie DIE VERTAUSCHTE BRAUT. Besonders auf die Spitze getrieben wird das Spiel mit dem „armen Mädchen“ im von Erich Engel inszenierten PECHMARIE. Bereits zu Filmbeginn zerbricht das Fenster der stets unglücklichen Marie. „Scherben bringen Glück“, lacht ein vor dem Fenster arbeitender Maler, in den sich Marie im weiteren Verlauf noch verlieben wird. Doch vom

[95] Glück ist die arme Marie nicht gerade verfolgt: Wie bereits so oft, hat sie auch an diesem Tag verschlafen. Sie fällt die Treppe hinunter und erfährt, dass sie aus der Wohnung geworfen wird, wenn sie bis Mittag nicht die Miete bezahlen kann. Geld hat sie jedoch keines, da ihre kleine Zeitungsbude keinen Gewinn abwirft. Sinnbildlich beginnt es plötzlich zu regnen. Da benötigt es schon einen afrikanischen Glücksgott und ein Lotterielos, um die Handlung ins Positive zu verkehren. Auf wohlhabende Protagonistinnen trifft man in TAGEBUCH DER GELIEBTEN, LE SEXE FAIBLE, BALL IM SAVOY, DER DOPPELGÄNGER sowie DIE VERTAUSCHTE BRAUT. In letzterem Film wird sowohl das „arme Mädchen“, als auch die reiche Frau von Anny Ondra verkörpert. In ihrer Doppelrolle springt sie somit auf komödiantische Art und Weise stets zwischen der sympathischen, lebenslustigen jungen Frau und der biederen, humorlosen Baronin hin und her. In POLENBLUT hingegen gibt sich die gut situierte Tochter eines von Hans Moser gespielten Großgrundbesitzers als einfache Haushälterin aus, um das Herz ihres faulen Traummanns zu erobern. Dabei handelt es sich um den einzigen Film, in dem eine Frau einen niedrigeren sozialen Status vortäuscht. Männer machen das hingegen öfters. Bedeutende weibliche Nebenfiguren kommen nur selten vor. Die eifersüchtige Ehefrau in A CSÚNYA LÁNY sowie das Zimmermädchen in KLEINE MUTTI bilden die Ausnahme. Im Gegensatz zu den männlichen Nebenfiguren, kommen ihnen nur wenige komödiantische Aufgaben zu. Auch die Figur der Mutter tritt nur selten auf. Und wenn, ist sie – mit Ausnahme von DER FALL BRENKEN – wohlhabend. Lediglich in LE SEXE FAIBLE nimmt die Mutter eine zentrale Position in der Geschichte ein. Denn sie ist es letztendlich, die im Hintergrund die Fäden zieht und das Leben ihrer Söhne zu lenken versucht. Ähnliches versucht auch die Mutterfigur in TAGEBUCH DER GELIEBTEN. Da es sich bei ihrem Kind jedoch um eine starke Frauenfigur und nicht um schwache Söhne, wie in LE SEXE FAIBLE, handelt, schafft sie es nicht, allzu starken Einfluss auf ihre Tochter auszuüben.

4.3.5 Das Paar

In sämtlichen Filmen, die den sozialen Aufstieg einer armen Frau behandeln, ist dieser Aufstieg mit der Beziehung zu einem – wenn auch nur minimal – sozial besser situierten Mann verbunden. Dieses Partnerschaftsmodell findet man in FÜNF VON DER JAZZBAND,

[96] DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, PETER, KATHARINA - DIE LETZTE, KLEINE MUTTI, PECHMARIE, A CSÚNYA LÁNY, DER FALL BRENKEN, DIE VERTAUSCHTE BRAUT, POLENBLUT, DE KRIBBEBIJTER sowie LE SEXE FAIBLE. Auffallend ist, dass es umgekehrt viel seltener der Fall ist. Nur in wenigen Filmen finden ein armer Mann und eine gesellschaftlich besser situierte Frau zusammen: Darunter LES NUITS MOSCOVITES und in gewisser Hinsicht auch in TOTO. Diese beiden Filme zeichnen mitunter auch das düsterste Gesellschaftsbild. So tauchen die Motive Krieg, Verschuldung und Todesstrafe in LES NUITS MOSCOVITES auf. In TOTO ist die Gesellschaft von Kriminalität und Arbeitslosikeit geprägt. Zur Liebe zwischen gesellschaftlich ähnlich gestellten Individuen kommt es dagegen nur in Filmen, die in einer Parallelwelt der Oberschicht angesiedelt sind. So in TAGEBUCH DER GELIEBTEN und BALL IM SAVOY. „The couple often „meet cute“ […] and this chance meeting later seems like fate. The woman may be a little crazy, and the guy has no idea how much he needs her. Their quarrels and at least one huge misunderstanding threaten to break them up. But in the last shot they’re lip-locked, and we want to believe this is true love, happily ever after” 504 , schreibt Mizejewski in Bezug auf Frank Capras Screwball Comedy IT HAPPENED ONE NIGHT 505 , deren narrativer Aufbau zur Vorlage von zahlreichen romantischen Komödien wurde. 506 Auch zu den Kosterlitz-Filmen lassen sich durchaus Parallelen erkennen. Bei Kosterlitz verlaufen erste Treffen jedoch nicht sonderlich romantisch. In realitätsverbundenen Räumen wird „meet cute“ zur Illusion. In KATHARINA - DIE LETZTE muss die arme Katharina beim ersten Aufeinandertreffen für einen schlechten Scherz herhalten. Um heimlich die Tochter des reichen Hausherren zu gewinnen, spielt der adelige Hans von Gerstikow (Hans Holt) ein böses Spiel mit der Analphabetin Katharina. Er streift sich die Uniform seines Chauffeurs über und gibt sich als sein eigener Bediensteter aus. Als dieser verführt er Katharina, um Zutritt zum Haus seiner eigentlichen Herzensdame zu bekommen. „Die soziale Kluft zwischen Gaals Abwaschmädel […] und Hans Holts reichem jungen Herrn [ist hier] so groß wie in keinem anderen Film mit dem Thema ‚reicher Mann-armes Mädchen‘.“ 507 Die Illusion, geliebt zu werden, treibt das Mädchen schließlich dazu, zum scheinbaren Wohl des Mannes ihre

504 Mizejewski: It Happened One Night , S. 17. 505 It Happened One Night , Regie: Frank Capra, USA 1934. 506 Vgl. Mizejewski: It Happened One Night , S. 17. 507 Asper, Helmut G.: „Berlin, Wien, Hollywood: Die drei Karrieren des Henry Koster alias Hermann Kosterlitz“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05, Wien: Filmarchiv Austria 2005, S. 66.

[97] Ersparnisse auszugeben. Das Szenario ähnelt dem ersten Aufeinandertreffen in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN: Der gesellschaftlich klar besser situierte Angestellte macht der neuen „hässlichen“ Sekretärin den Hof, damit sie in einer andere Abteilung versetzt wird. Da sein vorgegaukeltes Balzverhalten aber zum Rauswurf aus der Firma führt, bekommt er ein schlechtes Gewissen. Gespieltes Verlangen wird schließlich durch die optische Transformation der Frau zu echter Liebe. In PETER endet das erste Aufeinandertreffen von Eva und dem Arzt, der sich später noch in sie verlieben wird, sogar vor Gericht. Da Eva alias Peter als Zeitungsjunge mit falschen Schlagzeilen wirbt, wird sie vom Arzt attackiert, was zu einem Autounfall führt. Doch es geht auch kitschiger: In DER FALL BRENKEN stolpert ein Mädchen mitten im Wald über das Zelt eines jungen Journalisten. Nach einem kurzen Flirt trennen sich ihre Wege. Natürlich kreuzen sie sich kurze Zeit später rein zufällig wieder. Ähnliches gilt für TAGEBUCH DER GELIEBTEN: Guy de Maupassant erscheint mit seiner Kutsche als edler Ritter aus dem Nichts und rettet die Malerin Maria Baschkirtzeff mehr oder weniger aus einer Notsituation. Denn diese wurde gerade vom gemeinen Volk rund um die Bastille beraubt und mit Wasser übergossen. Das Betreten eines ihr fremden Lebensraums wurde ihr zum Verhängnis. In PECHMARIE dringt der gerade die Hausfassade streichende Maler dreist mit seinen Blicken durch das Fenster in den Lebensraum einer jungen Frau ein. Trotz anfänglicher Differenzen, kommen sich die beiden bald näher. Hierbei ist der Mann ebenso aufdringlich, wie in TOTO, in dem die gleichnamige Hauptfigur auf der Flucht vor einem Polizisten in eine fremde Wohnung stürmt und sich im Bett versteckt. Natürlich liegt dort gerade seine zukünftige Herzensdame, die den dreisten Eindringling sogar – in wahrsten Sinne des Wortes – noch deckt und ihn unter der Bettdecke verschwinden lässt. In LES NUITS MOSCOVITES erweist sich hingegen eine hübsche Krankenschwester als Hoffnungsschimmer für einen verletzten Kriegsveteranen, der sich sofort in sie verliebt, nachdem er aus dem Tiefschlaf erwacht. Er entwickelt ein obsessives Verhalten und lässt nicht mehr von der eigentlich mit einem reichen Kaufmann verlobten Frau ab. Nur in wenigen Filmen kennen sich sämtliche Liebespaare bereits. In LE SEXE FAIBLE spazieren der junge Mann und seine reiche zukünftige Frau bereits in der ersten Szene durch einen Park. Die überaus dominante Mutter gibt vom Balkon aus Anweisungen, wie sich der unerfahrene Mann zu verhalten habe. Doch dieser ist eigentlich in eine Angestellte des Hotels, in dem sich die Handlung abspielt, verliebt. Dieses Liebespaar

[98] existiert – ebenso wie einige andere Paare – bereits vor dem Einsetzen der Handlung. Der Film ist daher vielmehr eine Studie von zerfallenden Beziehungen und vom Versagen des männlichen Geschlechts, als eine romantische Geschichte vom Zusammentreffen zweier Individuen. Auch in DER TUNNEL existiert das Paar als solches bereits zu Beginn des Films. Jedoch steht hier auch keine Liebesgeschichte im Mittelpunkt.

[99] 4.4 Filmische Orte und Räume

4.4.1 Die Orte

Orte spielen in den von Kosterlitz geschaffenen Lebenswelten nur eine untergeordnete Rolle. In Bezug auf die genannte Definition 508 wäre ein Ort auf visueller Ebene ein Bild, in dem nichts geschieht. Solche Bilder finden sich jedoch selten, da stets – egal, ob Subjekte anwesend sind oder nicht – Aushandlungsprozesse stattfinden. Diese verwandeln Orte in Räume oder lassen Räume in Orten entstehen. Dennoch geben Orte Aufschluss darüber, „wo“ Kosterlitz‘ filmische Räume angesiedelt sind. Wenn man die im Film auftauchenden Städte und Länder als „Handlungsort“ heranzieht, fällt auf, dass sie oft deckungsgleich mit jenem Ort sind, an dem der jeweilige Film hergestellt wurde. Noch öfter lässt sich jedoch keine Deckungsgleichheit feststellen. Von den in Wien und Budapest gedrehten Filmen spielen sowohl KLEINE MUTTI, als auch TAGEBUCH DER GELIEBTEN in Frankreich. Letzterer spielt im Fin de Siècle. Und das ganz offensichtlich: Man spricht von der Bastille als heruntergekommenes Viertel, die Namen sind französisch und Schauspieler Hans Jaray mimt den berühmten französischen Schriftsteller und Kritiker Guy de Maupassant. In KLEINE MUTTI erkennt man das Französische nicht ganz so leicht. Es sind lediglich kleine Details, wie Namen oder die Tatsache, dass von Francs gesprochen wird, die Schlüsse auf das Land zulassen. Beiden Filmen ist jedoch gemein, dass sie – obwohl sie in Frankreich angesiedelt sind – genauso in Wien spielen könnten. Und das liegt nicht nur an den deutschsprachigen Schauspielern. Atmosphärisch oder in Bezug auf die Mentalität der Figuren unterscheiden sich diese beiden Filme nicht von KATHARINA - DIE LETZTE, dessen Handlung sich auch tatsächlich in Wien zutragen dürfte. BALL IM SAVOY ist voller „Wiener Charme“, der eigentliche Handlungsort bleibt allerdings unklar. Jedenfalls dürfte der von Kosterlitz fürs Kino adaptierte Film nicht, so wie die Operette, in Venedig spielen. Ebenfalls offen bleibt der tatsächliche Handlungsort von PETER. Lediglich deutsche Aufschriften wie „Garage Zöllner“ sowie der Straßenname „Kufsteinerstraße 42“ geben Aufschluss über den Handlungsort und lassen vermuten, dass er sich in Österreich (oder zumindest im deutschsprachigen Raum) befindet. Für Verwirrung sorgt

508 Siehe 4.4.1.

[100] in PETER ein immer wieder auftauchendes Napoleon-Gemälde, das von Seeßlen als ikonographischen Running Gag 509 bezeichnet wird. Tatsächlich dürfte das Gemälde eine Referenz auf Kosterlitz‘ Vater und nicht auf eine in Frankreich angesiedelte Handlung sein: „My father was very much interested in the life of Napoleon, and he was an ardent collector of Napoleon memorabilia. So I got interested. Later on, I wrote THE LAST COMPANY […] which was also about the Napoleonic time,” 510 erzählt Koster nachdem er nach seinen Beweggründen für den Film PRINZ LOUIS FERDINAND aus dem Jahr 1927 gefragt wurde. Aber auch eine andere Sichtweise ist möglich: Kracauer zufolge wurde Napoleon häufig in präfaschistischen Filmen eingesetzt, um die Sympathie für autoritäre Systeme zum Ausdruck zu bringen. 511 Da sich Kosterlitz-Filme jedoch stark antiautoritär gestalten, kann das Mitschleppen des Napoleon-Gemäldes auch als symbolischer Ballast gelesen werden. Eine Erklärung für die verlegten beziehungsweise nicht genauer definierten Handlungsorte könnte sein, dass man – nachdem die Filme ja explizit nicht für den deutschen Markt produziert wurden – der Handlung einen internationalen Touch geben wollte. Auch die enge Verstrickung von Frankreich mit der Karriere Kosterlitz‘ dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Ein anderer Grund könnte sein, dass man mit der enthaltenen Sozialkritik nirgendwo anecken wollte. Eine Verlegung des Handlungsortes würde in dieser Hinsicht als logisch erscheinen, da soziale Missstände beispielsweise in Frankreich und nicht in Wien herrschen würden. Eine ähnliche Taktik wurde bei Erich Engels …NUR EIN KOMÖDIANT 512 verfolgt: „Fast ein Film gegen faschistoides Denken […] Dass dieser Film trotz seiner antiautoritären Haltung noch 1935 die österreichische Zensur passieren konnte, das ist sicher nur darauf zurückzuführen, dass der Autor und der Regisseur die Handlung sehr geschickt im historischen Frankreich abrollen ließen.“ 513 Nur in seltenen Fällen springt die Handlung zwischen mehreren Städten oder Ländern hin und her. Ausnahmen bilden A CSÚNYA LÁNY in dem die in Ungarn begonnene Geschichte in Triest zu Ende erzählt wird oder auch DER FALL BRENKEN, wo ein Überfall in einem Luxushotel in den Bergen schließlich in einer Stadt aufgeklärt wird. Auch in

509 Seeßlen: „Faszination Filmarchivierung“, S. 86. 510 Koster/Atkins: Henry Koster. Interviewed by Irene Kahn Atkins , S. 22. 511 Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films , Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 234-252. 512 …nur ein Komödiant , Regie: Erich Engel, Österreich 1935. 513 Hobsch: Film im „Dritten Reich , Band 4, S. 316.

[101] POLENBLUT stehen sowohl ein Gutshof am Land, als auch luxuriöse Räumlichkeiten in der Stadt im Mittelpunkt. „Land“ und „Stadt“ werden hier als Räume inszeniert, deren Wertesysteme in Konkurrenz zueinander stehen. In der DER TUNNEL steht die Utopie eines transatlantischen Tunnels im Mittelpunkt. Während sich ein Teil der Geschichte in Deutschland abspielt, ist ein großer Teil der Handlung an einem typischen Nicht-Ort angesiedelt. Marc Augé zufolge ist ein Nicht-Ort ein „Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen läßt.“ 514 Dieser Nicht-Ort befindet sich tief unter der Meeresoberfläche und zwischen den Kontinenten. Der Traum der Hauptfigur nach Amerika zu kommen, kann auf viele an dem Projekt beteiligte umgelegt werden. So wurde im Film bereits Kosterlitz‘ und Bernhardts Emigration nach Amerika und somit die Verlegung ihres „Wohnorts“ vorweg genommen. DER TUNNEL ist auch der einzige Film in dem die Geschichte über eine längere Zeitspanne hinweg erzählt wird. Von Baubeginn bis zur Fertigstellung des Tunnels vergehen 15 Jahre. In anderen Filmen kommen Zeitsprünge nur selten vor. Neben diesem Film ist lediglich in TAGEBUCH DER GELIEBTEN sowie in LES NUITS MOSCOVITES die Zeit der Handlung offensichtlich nicht deckungsgleich mit der Produktionszeit. Letzterer wurde in Frankreich gedreht, ist aber in Russland kurz nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelt. Mit Archivmaterial des Kriegs werden die (Alb)Träume eines Soldaten visualisiert. Zeitsprünge finden somit im Kopf des Soldaten statt. Weitere immer wieder auftauchende Orte sind Häuser der Oberschicht, Bars, Gerichte, Varietés, Hotels, Ballsäle sowie Büros. Diese existieren allerdings nur auf der Tonebene als Orte. So etwa, wenn von der „Garage Zöllner“ oder dem „Haus von Sixtus Braun“ gesprochen wird. Filmisch werden diese Orte somit nur in ihrer räumlichen Gestalt – also in ihrer Funktion als Rahmung verschiedenster Aushandlungsprozesse - in Szene gesetzt. Die Tatsache, dass – wohl bedingt durch das oft geringe Produktionsbudget und die Dreharbeiten in Studios – weite Einstellungen, die etwa ein ganzes Haus zeigen würden, selten sind, trägt sicher einen Teil dazu bei. 515

514 Augé, Marc: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt/M.: Fischer 1994, S. 92. 515 Eine Ausnahme bildet hier DE KRIBBEBIJTER, in dem immer wieder Establishing Shots des Hauses als Handlungsort zu sehen sind.

[102] Da Orte mehr oder weniger starre Gebilde beziehungsweise Markierungen sind, können sie auch nicht miteinander in Beziehung treten und sich nicht aneinander reiben. Dazu braucht es Räume, die im Film immer wieder neu geschaffen und verhandelt werden, wodurch Konkurrenzverhältnisse zwischen verschiedenen Identitäten entstehen können.

4.4.2 Die Räume

„Jede Gesellschaft [...] produziert einen ihr eigenen Raum“ 516 , schreibt Lefebvre. Doch diese Gliederung lässt sich anhand des Filmschaffens von Hermann Kosterlitz noch viel detaillierter betrachten. Demnach produziert nicht nur jede Gesellschaft einen ihr eigenen Raum, sondern jede auch noch so kleine Gruppe kollektiver Identität. Durch Erzählungen über den Raum und durch eine gemeinsame Identität werden (Lebens)Räume geschaffen, die ihre eigenen Prinzipien haben und sich voneinander abgrenzen. Diese Abgrenzungsprozesse sind nötig, um eigene, unverwechselbare Identitäten zu schaffen. Somit entstehen konkurrierende Räume wie etwa jene der Armen und der Reichen, für die jeweils ähnliches in Bezug auf die Identitätskonstruktion gilt und die sich an ein und demselben Ort (zum Beispiel im Haus des Großindustriellen) befinden können. „Sich antagonistisch gegenüberstehende ‚Welten‘“ sind laut Elsaesser bezeichnend für das Weimarer Kino und werden oft über die „Intersubjektivität zweier Handlungsträger“ 517 vermittelt. Konkurrenz zwischen den Räumen entsteht durch die widersprüchlichen Lebensauffassungen, Gedanken und Handlungen der Charaktere. „Ort, Bild und Mensch sind durch das wechselseitige Verschlingen ineinander verschlungen.“ 518 Dadurch können die Figuren in den meisten Fällen gar nicht anders handeln, da ihr Verhalten bereits von ihren Räumen vorausgesetzt wird: „Raum prägt unser Verhalten und drückt ihm seinen Stempel auf. Räume helfen zu entscheiden, in welchen Situationen wir uns befinden. Sie strukturieren vor, in welche Situationen wir kommen können, welche Erwartungen wir haben können, sie strukturieren Interaktionsabläufe, machen einige wahrscheinlich, andere unwahrscheinlich“.519

516 Lefebvre: „Die Produktion des Raums“, S. 330-331. 517 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 270. 518 Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 153. 519 Schroer, Markus: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums , Frankfurt/M., S. 176, zitiert in: Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 147.

[103] Die diegetische Welt von TAGEBUCH DER GELIEBTEN ist klar in die Lebensräume der kunstbesessenen Oberschicht und jene der armen Unterschicht geteilt. Künstlerin Maria Baschkirtzeff ist es satt, nur ihre Welt zu kennen. Um realistischere Gemälde von Straßenkindern malen zu können, begibt sie sich auf die Suche nach „echten“ Modellen. Vor einer Fahrt zur Bastille – wo sich „solche Kinder rumtreiben“ – wird sie mehrfach gewarnt und ihr von Szőke Szakáll gespielter Leibarzt und Beschützer versucht sie mit allen Mitteln davon abzuhalten, ihren Lebensraum zu verlassen. Die naive Künstlerin bemächtigt sich eines amüsanten Tricks, um ihren Bewacher loszuwerden. An der Bastille angekommen, sieht sie sich mit den Bewohnern dieses Raumes konfrontiert. Alleine schon durch ihre Kleidung ist sie fremd und fällt auf. Herzlichkeit wird ihr vorgetäuscht, doch schnell hat man ihr ganzes Geld gestohlen. Der Raum der Armen ist ein schmutziger. Die mit ihm verschmolzenen Nebenfiguren sind kriminell und ohne Manieren. An Kunst haben sie keinerlei Interesse. Maria bekommt einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet und die Raumbewohner fallen lachend über sie her. Auf visueller Ebene wirkt es, als würden Wände einstürzen. Nun muss sie von Guy de Maupassant (Hans Jaray), der sich als Pferdehändler ausgibt, gerettet werden. „Verbrecher, Gauner, Bandieten! Einsperren, ausrotten müsste man sie! Einfach ausrotten!“ stammelt Maria hysterisch. Der Ausflug in den fremden Raum endet in einem Eklat und Maria sieht ihren Lebensraum als den „besseren“ bestätigt. Sie kehrt in ihre von Reichtum geprägte Scheinwelt zurück und verschmilzt durch die negative Erfahrung noch mehr mit dieser. Räume dienen dazu, den sozialen Status der Figuren zu unterstreichen, bringen diesen aber gleichzeitig erst hervor. Es gibt Eingangsrituale und nur durch Anpassung ist es den Figuren erlaubt, bestimmte Räume zu betreten bzw. in ihnen zu leben. „Räume bilden die Umgebung der Protagonisten, doch zugleich bestimmen sie in gewisser Weise deren Handlungen.“ 520 Die immer wieder stattfindenden Reibungspunkte und Konflikte zwischen den verschiedenen Charakteren sind somit bereits von den Räumen vorprogrammiert. Dieser Einfluss der Räume auf die Figuren hat auch direkte Auswirkung auf die Kontingenz. Dabei ist zu beobachten, dass mit zunehmender

520 Fahle, Oliver: „Öffnung des Raums, Dynamik des Filmbilds. Zur Ästhetik des Figuralen in SCHATTEN DER VERGANGENHEIT und MAN SPRICHT ÜBER JACQUELINE“, Werner Hochbaum. An den Rändern der Geschichte filmen , Hg. Elisabeth Büttner/Joachim Schätz, Wien: Filmarchiv Austria 2011 , S. 192.

[104] Verankerung der Figur im Raum, die Kontingenzbereiche immer mehr eingeschränkt werden. Dabei lassen sich „Kontingenz“ und „Handeln“ folgendermaßen beschreiben: „Kontingent ist, was auch anders möglich ist. Und es ist auch anders möglich, weil es keinen notwendigen Existenzgrund hat.“ 521 „Kontingenz bezeichnet [...] jenen ambivalenten Bereich der Unbestimmtheit, in dem sich sowohl Handlungen als auch Zufälle realisieren. Kontingent ist damit einerseits 'alles, was manipulierbar ist' und so allererst zu einem Gegenstand des Handelns werden kann. [...] Handeln [...] ist die Entscheidung zwischen, die Wahl aus gegenseitig exklusiven Möglichkeiten und setzt die Existenz verschiedener wirklicher Möglichkeiten voraus, wenn man sinnvoll von Handeln sprechen will. Handeln kann sich deshalb nur dort realisieren, 'wo Dinge auch anders sein können.‘“ 522 Kontingenz wird dabei prinzipiell auf drei Arten von den Räumen beeinflusst. Diese sind Raumkonstruktion, Figuralisierung sowie Identität, die auch vergangenes mit einschließt.523 In Bezug auf die Kosterlitz-Filme wird Identität vor allem durch „Klasse“ und „Geschlecht“ bestimmt und dient als entscheidender Faktor. Auffallend ist, dass die Vergangenheit der Figuren bei den Kosterlitz-Filmen nur wenig beziehungsweise gar keine Rolle spielt. Das heißt, dass es beinahe keine Erzählung über Vergangenes gibt. Das einzige was aus der Vergangenheit aufblitzt, sind die wirtschaftlichen und sozialen Missstände, die in die Gegenwart hinein wirken. Denn Geschichte schreibt sich immer in den Raum ein und hinterlässt dort Spuren. 524 Räume sind somit immer Speicher des kollektiven Gedächtnisses. 525 Auch in der Handlung geht es nie darum, zurückzublicken, sondern darum, wie man die aktuelle meist nicht gerade rosige Lebenssituation verbessern könnte. Was zählt ist ein Neuanfang. Je mehr eine Figur filmisch mit einem Raum verbunden ist, umso eingeschränkter ist die Kontingenz. Dies lässt sich an Nebenfiguren, wie vielen der Bediensteten, erkennen. Diese sind fest mit ihrem Arbeitsort und ihrer sozialen Klasse „verwachsen“ und denken auch nicht daran, sich von Ort oder Klasse loszureißen. Zu handeln ist ihnen unmöglich. Sie dienen als Wächter der Häuser und Räume, in denen sie arbeiten. Sie kontrollieren, wer Zutritt zum Raum bekommt und wer nicht. In diesem Sinne sind sie Objekte, die für

521 Makropoulos, Michael: „Kontingenz. Aspekte einer Kategorie modernen Selbstverständnisses“, Modernität und Kontingenz , München: Fink 1997, S. 13. 522 Vgl. Bubner, Rüdiger, Geschichtsprozesse und Handlungsnormen , Frankfurt/M. 1984, S. 35-38, zitiert in: Makropoulos: „Kontingenz“, S. 14-15. 523 Vgl. Fahle: „Öffnung des Raums, Dynamik des Filmbilds“, S. 185-189. 524 Vgl. Lefebvre: „Die Produktion des Raums“, S. 334. 525 l Vgl. Schwarzenegger: „Das 'Verräumen’ der Orte“, S. 143.

[105] den Raum sprechen und keine Subjekte. Die dabei von diesem gegenseitigen Bedingungsprozess betroffenen Charaktere handeln dabei „nicht autonom, sondern sind Teil von filmischen Operationen, zu denen neben den Protagonisten gerade auch die Umgebung, die Räumlichkeiten und das Dekor gehören. Mit anderen Worten: Den Akteuren kommt kein privilegierter Status zu, sondern sie sind filmische Operatoren wie die anderen Ebenen auch." 526 Besonders deutlich wird das in KATHARINA - DIE LETZTE: Um zu verhindern, dass der Lebemann jemals wieder sein Haus betritt, bittet Sixtus Braun diesen auf einem Stuhl in der Raummitte Platz zu nehmen. Braun legt seine Handfläche auf sechs Knöpfe eines Telefons, das sich am Tisch daneben befindet. Nach und nach öffnen sich verschiedene Türen des Foyers, in dem sich die beiden befinden. Wie aus dem Nichts treten die Hausangestellten hervor. „Der Herr haben geläutet“, sagt einer. Die anderen wiederholen diesen Satz. Daraufhin fragt Braun in die Runde, ob denn nun sämtliche Angestellten anwesend seien. Diese bejahen das, jedoch flüstert eine: „Außer Katharina“. „Aber die zählt doch nicht mit“, entgegnet man ihr. Braun bittet die versammelten Angestellten, sich Lebemann Hans von Gerstikow genau anzusehen. Er beginnt zu brüllen: „Und wenn einer von euch mir diesen Mann noch einmal ins Haus hinein lässt, wird er fristlos entlassen!“. Da nunmehr Katharina als einzige nicht weiß, wie der Lebemann aussieht, gaukelt er ihr in Chauffeuruniform seine Liebe vor. Katharina soll ihm als Türöffner dienen, doch sie öffnet in weiterem Verlauf auch sein Herz. Eine besondere Verbindung herrscht zwischen Bars (beziehungsweise Varités) und Lebemänner. Bars fungieren als „Dritte Orte“ und somit als Lebensräume der Lebemänner. „Dritte Orte, das sind informelle, leicht zu erreichende, sozial integrierte und integrierende Orte. Diese Orte lassen sich weder der Familie noch der Arbeit, weder dem Staat noch der Ökonomie, weder dem Privaten noch dem Öffentlichen zuordnen. [...] Dritte Orte [...] sind soziale Mixer und Separatoren, Bühnen, politische Foren, Büros und vieles mehr.“ 527 Dritte Orte sind jedoch immer auch Orte des Konsums und zeichnen sich durch Behaglichkeit, Nähe, Unterhaltung und einer Atmosphäre der Brüderlichkeit aus. 528 Es

526 Fahle: „Öffnung des Raums, Dynamik des Filmbilds“, S. 192. 527 Zurstiege, Guido: „Der Konsum Dritter Orte“, Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus , Hg. Kai-Uwe Hellmann/Guido Zurstiege, Wiesbaden: VS 2008, S. 123. 528 Vgl. Zurstiege: „Der Konsum Dritter Orte“, S. 124.

[106] handelt sich um Orte, die man regelmäßig (nach) Feierabend aufsucht, um sich mit seinesgleichen zu treffen, um sich zu unterhalten und um den Alltag um sich herum zu vergessen. Dies tritt vor allem auch dadurch zu Tage, dass die Lebemänner die hier arbeitenden Mädchen und auch die anderen Gäste gut kennen zu scheinen. In KATHARINA - DIE LETZTE endet das Eindringen eines fremden Mannes in Hans‘ „Revier“ in einer Schlägerei. Meist gerät auch das „arme Mädchen“ in eine Bar. Es ist dabei stets der erste Besuch in so einem Etablissement und sie fühlt sich fremd und gehört nicht wirklich hier her. Bars dienen ebenso wie Jahrmärkt, als soziale Mixer an denen Oberschicht und Unterschicht aufeinander treffen. Besonders mit seinem Lebensraum verbunden ist das cholerische Familienoberhaupt in DE KRIBBEBIJTER. Die Unnahrbarkeit dieser Figur und die Verwachsenheit mit seinem Raum (in diesem Fall handelt es sich um eine Luxusvilla) wird visualisiert, als die Freundin seines Sohnes, in der Verkleidung einer Haushälterin, in den Lebensbereich des Tyrannen eindringen möchte. Der Vater hantiert in seinem Büro hektisch mit einem Feuerzeug und wirft es schließlich zornig aus dem Fenster seiner „Festung“. In diesem Moment nähert sich die Frau dem Haus und wird nur knapp vom Wurfgeschoss verfehlt. Sie stolpert und verletzt sich dadurch am Knie.

Wie in den vielen anderen Kosterlitz-Filmen wird auch bei PETER von sozialem Aufstieg erzählt. Die Tatsache, dass die Kontingenz für Angehörige von niederen sozialen Schichten eingeschränkter ist, als für jene von höheren, wird am Beispiel des Herrenabends und dem damit verbundenen Eintrittsrituals ersichtlich. Eintrittsrituale verdeutlichen, dass sozialer Aufstieg oft mit dem Eindringen in jene Räume verbunden ist, mit denen die Mitglieder der Oberschicht besonders verbunden sind. Darunter fallen Ballsäle sowie die Oper. Und da sozialer Aufstieg verhindert beziehungsweise erschwert werden soll, ist der Eintritt in Räume oft mit dem Motiv des Eintrittsrituals verbunden. Bei Kosterlitz stößt man drei Mal 529 auf das Motiv des Ballsaals, den Mitglieder einer niedrigeren sozialen Schicht betreten möchten, dies jedoch zunächst nicht können. Die Charaktere sind in dieser Situation gezwungen, sich fremde Identitäten überzustreifen,

529 Die ist in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, PETER sowie BALL IM SAVOY der Fall. Auch in TAGEBUCH DER GELIEBTEN spielt ein Ballsaal eine große Rolle. Doch, da die Geschichte aus der Perspektive einer reichen Künstlerin erzählt wird, entfällt das Motiv des Eingangsrituals gänzlich.

[107] wodurch sie sowohl das Gegenüber als auch sich selbst täuschen. Die hier verwendete Phrase ist kein Zufall, denn in den Filmen definiert sich die Kontingenz oft über Kleidung. So kann ein Frack aus einer jungen Frau einen Mann machen oder eine Uniform aus einem Adeligen einen Chauffeur. Eintrittsrituale sind filmische Hinweise auf die zeitlich begrenzte Öffnung dieser Räume. Dieses „System der Öffnung und Abschließung, das isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht“ 530 , ist ein klares Anzeichen für Heterotopien. Foucault zufolge handelt es sich dabei um „Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden. Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen.“ 531 Peter ist es zunächst nicht möglich besagten Herrenabend zu besuchen. Als er zuerst in einem viel zu großen, abgenutzten Frack erscheint, wird er nur ausgelacht und von den Wächtern des Raumes die Treppe hinuntergeschubbst – also sprichwörtlich vom Raum abgestoßen. Erst als er von jenem Dieb, der Eva erst zu Peter gemacht hat, einen anderen (schönen) Frack bekommt, darf er plötzlich den Saal betreten und wird sogleich auch als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert. Peter muss also nicht nur sein Geschlecht vortäuschen, sondern auch seinen gesellschaftlichen Status, um den primär von der Oberschicht genutzten Raum betreten zu dürfen. Mehr bedarf es jedoch nicht.

530 Foucault, Michel: „Von anderen Räumen“, Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften , Hg. Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.) Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 325. 531 Ebd. S. 320.

[108] 4.5 Anpassen, Ausbrechen und Eindringen

Am Beginn vieler Kosterlitz-Filme steht eine männliche und/oder eine weibliche Figur, die (filmisch) eng mit ihrem Lebensraum verbunden ist/sind. Nach und nach folgen – oft forciert durch das Kennenlernen des zukünftigen Partners beziehungsweise der zukünftigen Partnerin – Ausbruchs- und Emanzipationsversuche aus besagten Räumen. Die von Franziska Gaal gespielten Figuren helfen den Lebemännern einen für falsch befundenen Lebensstil aufzugeben und letztendlich aus dem Schatten ihrer Väter 532 und somit aus dem Schatten der älteren Generation zu treten. In anderen Worten: Durch diese Figuren, wird es den Lebemännern ermöglicht, sich von ihren Räumen zu emanzipieren. Darüber hinaus verkörpern die Gaal-Figuren die Hoffnung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung sowie die Hoffnung, dass die Depression überwunden werden kann. 533 Dabei lassen sich Parallelen zur Screwball Comedy erkennen: „This pattern places romantic comedy, from Shakespeare through Capra, within the older and larger genre of New Comedy, the utopian narrative that celebrates social renewal through the newly formed couple […]. In the Capra film, the union of the middle-class working man Peter Warne and the heiress Ellen Andrews is an especially potent symbol of a utopian future, a levelling of class difference that must have spoken powerfully to Depression-era audiences.” 534 Dies gelingt dem „armen Mädchen“, indem es in die Lebensräume der Männer eindringt und diese – egal ob wissentlich oder unwissentlich – mit ihrer Einfachheit durcheinander bringt. Wenn bestimmte Räume bestimmte Verhaltensweisen und Wege vorgeben, müssen die Figuren kreativ werden, um diese in der Gesellschaft verankerten und von ihr vorgegebenen Regeln zu umgehen. Die potentielle Fähigkeit zu handeln spielt dabei eine entscheidende Rolle. In dieser Hinsicht ähneln die Frauenfiguren viel eher den „Screwballs“, als es die Männer tun. „Franziska Gaal war in diesen Filmen […] eine junge Frau, die aus elenden, fremden und unterdrückten Zusammenhängen heraus lernen muss, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Sie entwickelt dabei eine Phantasie und eine Energie, die der ,deutschen‘ Frau in diesen Jahren schon radikal ausgetrieben wird. […] Sie ist nicht die Frau, die ihre Rolle spielt, sie ist im Gegenteil eine, die sie verlässt. Sie ist nicht die Frau, die ist – sie ist die, die geschieht.“ 535

532 Vgl. Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 40. 533 Ebd. S. 45. 534 Mizejewski: It Happened One Night , S. 19. 535 Dewald, Christian (Hg.): „Aneignung des kleinen Glücks“, Filmhimmel Österreich 032. III. Masse und Macht , Wien: Filmarchiv Austria 2006, S. 15.

[109] Grundsätzlich lassen sich bei Kosterlitz zwei verschiedene Frauentypen erkennen. Jene, die zunächst stark an ihre Räume angepasst sind und jene, die keinen Respekt gegenüber Autoritäten zeigen. Oder in anderen Worten: Jene, die mit der Fähigkeit aktiv zu handeln ausgestattet sind und jene, deren Kontingenz anfänglich so eingeschränkt ist, dass sie zunächst lediglich passiv bleiben können. Dies verdeutlicht ein Vergleich zwischen KATHARINA - DIE LETZTE und KLEINE MUTTI deren Frauenfiguren letztendlich Ähnliches erreichen beziehungsweises erwirken, die aber unterschiedlich agieren beziehungsweise inszeniert sind.

4.5.1 Katharina - die Angepasste

Das Paradebeispiel einer an ihren Lebensraum angepassten Frau ist Katharina. Ausgangsposition sowie Figurenzeichnung des Films KATHARINA - DIE LETZE sind in der zwei Tage nach der Premiere erschienen Filmkritik in der Wiener Zeitung ersichtlich. 536 Die Figur der Katharina ist tief in ihrem sozialen Status verankert. Bereitwillig nimmt sie die ihr von den übrigen Bediensteten zugteilte Opferrolle an. Sie betont immer wieder die Klassenunterschiede zwischen ihr und der „Oberschicht“, als wären diese natürlich gegeben. Stets weist sie darauf hin, was sich für Bedienstete und was sich für einen Herren gehört. Durch Lügen und das vorerst böse Spiel des Lebemannes kann sie neue Hoffnung schöpfen. Auch im weiteren Verlauf der Handlung bleibt Katharina immer darauf bedacht, welche Räume sie betreten darf und welche nicht. So zum Beispiel, als sie zum ersten Mal in die Wohnung des Lebemannes Hans von Gerstikow eingeladen

536 „Katharina ist die unterste, unbedeutendste Aushilfsmagd im großen Hauspersonal des Millionärs Braun; ein armes, dummes Mädel aus irgend einem ungarischen Nest: das mißbrauchte, von allen verlachte Aschenbrödel im Hause von Glanz und Reichtum, übersehen und zurückgesetzt, selbst von ihren Arbeitskolleginnen und –kollegen. Und eines Tages fällt ihr vom Himmel ein Blumenstrauß, ein eleganter „feiner“ Herr und eine Schicksalsrolle vor die Füße. Nämlich: ein lebenslustiger Lebemann liebt Mister Brauns Tochter, aber der Papa will nichts von ihm wissen; in der Maske eines Chauffeurs weiß er die Liebe Katharinas zu gewinnen und damit den Zutritt in das ihm verschlossene Haus. Das Spiel des jungen Lebemannes wird ihm aber selbst zu beseligtem Ernst: das Naturgeschöpf erringt seine tiefe, wahre Liebe und die Erkenntnis, wo er sein Glück zu suchen hat. – Das ist also eine einfache, rührende Geschichte, die zu rein ist, um wahr zu sein, aber Franziska Gaal macht sie glaubhaft; sie ist so naturhaft, so treuherzig, so schlicht, daß auch die Wandlung des blasierten und mondänen Lebemannes glaubhaft wird; wundervoll, ja entzückend spielt die Gaal schon als Landkind, als ‚Der Trampel‘, mit feinster Grazie und liebenswürdigstem Scharm, die künftige Dame. Hans Holdt ist ein eleganter und auch empfindungsvoller Partner. Kostbar ist der immer in Alkoholbann befindliche Freund, eine Charakterfigur Hans Oldens. Herr Wallburg als besorgter, stets aufgeregter Vater, Fritz Imhoff als gemütvoller Autotandler, Georg Schmieter als Athlet von der Feuerwehr, Eduard Linkers als Sekretär, sind treffliche komische Typen.“ ( Wiener Zeitung Nr. 24, 25.01.1936, S. 11).

[110] wird und es für unangemessen hält, vom Dienstboten ohne die Zustimmung des Herren in das Zimmer gebeten zu werden. Natürlich handelt es sich beim vermeintlichen Dienstboten aber um den eigentlichen Baron – Katharina weiß es nur nicht. Durch die enge Verbindung mit Raum und sozialer Schicht sind Katharinas Wege strikt vorgegeben. Durch ihre Lebenswelt bewegt sie sich stets passiv. Nur schrittweise schafft sie letztendlich den Ausbruch aus ihrem (sozialen) Raum. Während sich Hans absichtlich auf einen niedereren sozialen Status herabbegibt, beginnt der soziale Aufstieg Katharinas. „Sie träumt vom Glück einer bürgerlich liberalen Zivilgesellschaft, vom Glück einer Moderne, deren Unterdrückung in der Wirklichkeit beschlossene Sache ist.“ 537 Die Erfahrung geliebt zu werden, lässt Katharina aktiv werden. Sie beginnt nun vermehrt einen eigenen Standpunkt zu vertreten. Letztendlich verbraucht sie sogar ihre gesamten Ersparnisse, um dem mittlerweile scheinbar arbeitslosen Adeligen ein neues (beziehungsweise in diesem Fall sehr altes) Auto zu kaufen. In dieser Situation stellt diese Handlung eine kapitalistische Selbstermächtigungsgeste dieser weiblichen Figur dar. Sozialer Aufstieg und die Bemächtigung zu handeln wird auf visueller Ebene unterstrichen. Dies geschieht zum Teil mit figuraler Dynamisierung. Das Figurale bezeichnet „die dynamische Form der Bildlichkeit […], die an der Konstruktion der Figur beteiligt ist und sie im visuellen Sinne erst konstituiert. Das Figurale hat […] anders als die Figur […] keine Referenz außerhalb des Films und kann nur in Bezug auf das bildliche Geschehen beschrieben werden. […] Dabei stehen Figur und Figurales in einem Spannungs- und Bedingungsverhältnis zueinander.“ 538 Diese figurale Dynamisierung bezeichnet demnach den wechselseitigen Einfluss zwischen Mensch und Raum, die sich gegenseitig auch erst hervorbringen – ohne einander würde es somit beide in dieser Form nicht geben. „Das Motiv des Spiegels und des Spiegelns“ ist eine Ebene der figuralen Dynamisierung. 539 In einer Szene bemerkt Katharina im Spiegelbild einer Glastür, dass sie Schmutz im Gesicht hat. Unmittelbar nachdem Katharina den Schmutz bemerkt und abgewischt hat, betritt sie zum ersten Mal die ihr eigentlich verbotenen Herrenzimmer – jedoch nicht ohne zuvor ihre, für diese „edlen Zimmer“ unangebrachten Holzschuhe, auszuziehen. Dort trifft sie auch zum ersten Mal auf die Tochter des reichen Herrn, die ihr kurzerhand

537 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 40. 538 Fahle: „Öffnung des Raums, Dynamik des Filmbilds“, S. 185. 539 Ebd. S. 185.

[111] einen Dienstbotenauftrag erteilt. In dieser Szene steht das Spiegelbild für sozialen Aufstieg. Der Einsatz des Spiegels ist dabei nicht ganz zufällig, denn in der Filmgeschichte wurden Spiegelbilder immer wieder eingesetzt, „wenn Verwechslung und Identität der Personen ins Spiel gebracht werden.“ 540 Zudem beschreibt Foucault den Spiegel als „gemeinsame gesellschaftliche Erfahrung zwischen Utopie und Heterotopie“ 541 . Der Spiegel ist somit eine Utopie, da er ein Ort ohne realen Ort ist. Er ist aber auch eine Heterotopie, da der Spiegel auch wirklich existiert und eine Rückwirkung auf den Ort ausübt. 542 In PETER taucht ein Spiegel auf, nachdem Eva nach langer Zeit wieder ein Kleid trägt und somit auch wieder eindeutig als Frau erkennbar ist. „Niemals ist man so, wie man sich gefällt. Komisch ist die Welt“, singt sie dabei. In KATHARINA - DIE LETZTE ist es jedoch nicht nur Katharina, die sich gegen Autoritäten auflehnt und versucht, in neue Räume einzudringen. Vielmehr charakterisiert dieses Verhalten auch Lebemann Hans von Gerstikow, was bereits die schwungvolle, Kosterlitz- typische Eröffnungssequenz verdeutlicht: Eine Menschenmenge zwängt sich durch eine Tür. Begleitet von dramatischer Musik befindet sich die Kamera in Rückwärtsbewegung. Ein Mann (der von Hans Holt gespielte Hans von Gertikow) drängt sich durch die Menge und stürmt zu einem Schalter. „Ich möchte bitte die linke Orchesterloge Nummer 2 haben“, ruft er aufgeregt. Doch die Loge ist schon vergeben. Aufgeregt diskutiert er mit der Dame hinter dem Schalter, wird jedoch von anderen Wartenden weggezogen. Es folgt ein Disput mit einem Platzanweiser, der ihm erklärt, dass die Loge „seiner Exzellenz“ gehört. Der Mann stürmt daraufhin zu „seiner Exzellenz“, der sich als Botschafter offenbart, packt ihn am Kragen und fleht ihn an, dass er die Loge bekommt. Hans wird sich im weiteren Verlauf der Handlung als wohlhabend herausstellen. Das verdeutlicht, dass es nicht immer nur der arme Teil der Bevölkerung sein muss, der sich gegen Autoritäten auflehnt. „Jetzt sag mir aber endlich einmal: Wo sind wir hier eigentlich?“, fragt nun – stellvertretend für das Publikum – ein Mann, der offensichtlich der Begleiter des Protagonisten ist. Ein unmittelbar folgender Schnitt entführt in einen Opernsaal. Das Licht geht aus und ein Dirigent tritt auf. Mit einem fingierten Telefonanruf lockt Hans den Botschafter aus der Loge. Nun offenbart sich auch der Sinn

540 Vgl. Ebd. S. 185. 541 Foucault: „Von anderen Räumen“, S. 321. 542 Vgl. Ebd. S. 321.

[112] der ganzen Aufregung: Neben besagter Loge befindet sich jene seiner Herzensdame. Neben der Frau sitzt jedoch deren, diese Beziehung nicht gutheißende, Vater. Doch auch gegen diese autoritäre Figur lehnt sich Hans auf. Eine weitere Visualisierung von antiautoritärem Verhalten erfolgt durch einen Disput mit einem groß gewachsenen Feuerwehrmann auf dem Rummelplatz.

4.5.2 Rebellische Mutti

Wie erwähnt, unterscheidet sich Marie Bonnard, die weibliche Hauptfigur in KLEINE MUTTI, in ihrem Verhältnis zu Räumen stark von Katharina. Das zeigt sich bereits in der schwungvollen Eröffnungssequenz. Wie Hans in KATHARINA - DIE LETZTE wird der von Franziska Gaal gespielte Teenager innerhalb weniger Sekunden auf geschickte Art und Weise den Autoritäten gegenüber als frech und unangepasst charakterisiert: Die Kamera gleitet durch Turnsaal eines Mädcheninternats. Alle Mädchen befolgen brav und perfekt an ihre Lebenswelt angepasst die Anweisungen der Lehrerin. Nur die von Franziska Gaal gespielte Figur tanzt aus der Reihe und wird durch ein Missverständnis sogar noch dafür belohnt – eine Inszenierung, die viele im Film aufkommende Aushandlungsprozesse vorweg nimmt. Die dahinter stehende Botschaft: Diese junge Frau hält nicht viel von Autoritäten. Dabei entspricht sie einem bestimmten Heldinnentypus der 1930er und 1940er Jahre: „Maria DiBattista has characterized the romantic comedy film heroine of the 1930s and 1940s as, most of all, the woman who talks back, the fast-talking dame. Her power of speech, her sassiness, her argumentative voice, DiBattista claims, ,paved a way for a new class or sort of woman who finally would answer to no one but herself.’” 543 Während sich Katharina erst im Laufe der Geschichte der Fähigkeit zurückzusprechen ermächtigt und sich so aus der Opferrolle befreit, ist Marie Bonnard von Beginn an mit dieser Gabe ausgestattet. Doch aufgrund von Missverständnissen und Verwechslungen wird auch sie in die Opferrolle gedrängt: Als Marie ein Baby findet, wird sie irrtümlich für die Mutter des Kindes gehalten. Da es in Kosterlitz-Welten meist ein ständiges Misstrauen zwischen den Figuren gibt, glaubt ihr niemand, als sie die Mutterschaft

543 DiBattista, Maria: Fast-Talking Dames , New York/London: Yale University Press 2001, S. 11, zitiert in: Mizejewski: It Happened One Night , S. 22.

[113] abstreitet. Das uneheliche Kind ist ein Skandal. Kurzerhand wird Marie aus dem Internat geworfen. Dadurch zeigt sich die „soziale Kälte der Gesellschaft“ 544 in der sie lebt. In Bezug auf Deleuze kann der Rauswurf aus dem Internat als Übergang von Disziplinar zur Kontrollgesellschaft bewertet werden. Die Kontrollgesellschaft gibt keine starren, unveränderlichen Regeln vor, wie es noch die „Gussformen“ der Disziplinargesellschaft taten. Ihre Kontrolle übt diese Gesellschaft durch Modulation, „als Formung, die sich der zu formenden Vielheit und Veränderlichkeit flexibel anschmiegt und ständig Transformation vornimmt,“ 545 aus. „Die Streuung von Wissenswertschöpfung im lebenslangen Lernen [tritt] anstelle des geschlossenen Schul-Milieus, das Kinder initiiert und Arbeitsfähige ausspuckt“ 546 , während in der Disziplinargesellschaft immer jeder Lebensabschnitt neu anfängt, geht in der Kontrollgesellschaft nichts mehr zu Ende. 547 Marie Bonnard muss sich nun in einer ihr fremden Welt zurechtfinden. Anstatt einen fixen Stundenplan zu haben, muss sie sich nun mit Gelegenheitsjobs herumschlagen. Angekommen in der Erwachsenenwelt muss das minderjährige Mädchen die Identität einer Mutter annehmen. KLEINE MUTTI kann daher durchaus auch als Coming-of-Age- Film betrachtet werden. Auf der Suche nach Unterkunft muss sie sich verschiedensten Räumen anpassen. So etwa in ein Luxushotel, in welchem sie zunächst „kostenlos“ ein Zimmer bekommt, indem sie simuliert, dass sie zur Oberschicht gehört. Stets passt sie sich aktiv an jenen (sozialen) Raum an, in dem sie sich gerade befindet und zu dem sie gerne gehören würde. Stets wird sie vom Wunsch angetrieben, in den ihr fremden Raum einzudringen. Das unterscheidet sie maßgebend von Katharina, die sich dagegen sträubt, fremde Räume zu betreten – auch wenn sie dazu aufgefordert wird. Sinnbildlich für das Eindringen in die Oberschicht steht eine Szene, in der sich Marie Bonnard in ihrem neuen Job als Vertreterin am Butler des reichen jungen Mannes Alexander Berkhoff vorbeischleicht, um ihm im Wohnzimmer einen Staubsauger vorführen zu können – was natürlich in einer Slapstick Einlage endet. Der Einsatz des Spiegels erfolgt ähnlich wie bei KATHARINA - DIE LETZTE. Denn nach dem Missgeschick mit dem Staubsauger ist Marie voll Schmutz, was sie durch einen Blick in einen Spiegel

544 Asper: Filmexilanten im Universal Studio , S. 28. 545 Robnik, Drehli: „Betrieb und Betrieb - Affekte in Arbeit. Bild-Werdung als Wert-Bildung im Kino“, Arbeit Zeit Raum. Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus , Hg. Gabu Heindl, Wien: Turia + Kant 2008, S. 124. 546 Ebd. S. 124. 547 Vgl. Ebd. S. 124.

[114] auch selbst bemerkt. Auch später gelingt es ihr, immer wieder durch List in das Haus des reichen Bürgers einzudringen, dessen Herz sie im Laufe der Handlung noch gewinnen wird. In diesen Szenen wird sie immer wieder von Vater Berkoff (Otto Wallburg) in einem Winkel des Raumes entdeckt, ohne, dass Lebemann Alexander zunächst die Anwesenheit von Marie Bonnard bemerkt. Lange bevor sie durch die Liebe des Lebemannes Teil dieser Welt beziehungsweise Raumes werden kann, verschmilzt sie bereits auf visueller Ebene mit ihr/ihm. So wie Marie Bonnard sind auch viele andere Frauenfiguren bei Kosterlitz von Beginn an mit der Fähigkeit zu handeln ausgestattet und können aktiv in fremde Räume eindringen. Das gilt für die Figuren in DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND, LE SEXE FAIBLE, DIE VERTAUSCHTE BRAUT, POLENBLUT, DER DOPPELGÄNGER, TAGEBUCH DER GELIEBTEN sowie BALL IM SAVOY. Im Gegensatz dazu findet man in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN, TOTO und PECHMARIE passive weibliche Hauptfiguren. Bei PETER lässt sich feststellen, dass Eva in ihrer Rolle als Frau oft passiv bleibt, während sie als Peter aktiv wird.

4.5.3 Das schöne Mädchen

Eine Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischem Rollenverhalten und dem Ausbruch aus vorherrschenden Konventionen, findet man in DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN. Der Film gestaltet sich ebenso märchenhaft, wie es der Titel vermuten lässt. Sabine Hake beschreibt den Film als modernes „morality tale“, in dessen Mittelpunkt ein Diskurs über äußere Erscheinung sowie die Objektivierung von Weiblichkeit steht. 548 DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN beginnt mit einer an zahlreichen Frauengesichtern vorbeiführenden Kamerafahrt. Eine ist hübscher als die andere und alle blicken direkt in die Kamera. Nur eine nicht. Es handelt sich dabei um Lotte, das titelgebende „hässliche Mädchen“. Die Kamera bleibt auf ihrem Gesicht hängen. „Sie, ja Sie!“ ertönt es aus dem Off. Ein Schnitt offenbart, dass die Frauen aufgereiht in einem vollen Raum stehen und sich einem Selektionsprozess unterziehen. Es handelt sich dabei um eine für arbeitssuchende Frauen in den Dreißigerjahren typische Situation. 549 Ein älterer Herr

548 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich , S. 31. 549 Vgl. Ebd. S. 32.

[115] mustert sie, fordert Lotte auf, nach vorne zu treten und teilt ihr mit, dass sie eingestellt ist. „While identification with the camera’s point of view is predicated on certain unspoken assumptions about feminity, the editing establishes a more dialogic structure and, in so doing, bears witness to the violence inherent in the exchange of looks and perceptions. On the most basic level, the man is confirmed as the bearer and the woman as the object of the gaze. Such objectification links the exercise of male power to an ability to humiliate others.” 550 Der Bildausschnitt folgt den beiden durch das sterile Bürogebäude der Versicherungsgesellschaft. Lotte und der Personalchef betreten den Arbeitsraum der neuen Sekretärin, in dem sich rund 20 Männer befinden. Als Frau befindet sie sich nun alleine in einer ihr (fremden) Männerwelt, wo sich die Machtverhältnisse zwischen Lotte und der männlichen Gruppe mit Blicken, Worten und Gesten immer mehr zu Ungunsten der Außenseiterin verschieben. 551 Die wichtigsten Aushandlungsprozesse des Films wurden in weniger als drei Minuten etabliert. Lotte März wird nur deshalb bei einer Versicherungsgesellschaft eingestellt, weil sie in den Augen des Personalchefs hässlich sei. Somit kann sie seiner Meinung nach die männlichen Angestellten nicht von der Arbeit ablenken, wie ihre hübschen Vorgängerinnen es taten. Da sich die Männer jedoch keinesfalls mit der unattraktiven neuen Sekretärin zufrieden geben möchten, gaukelt ihr einer die große Liebe vor. Auch hier wird Lotte anfangs in die Rolle des Opfers gedrängt. „However, at no point does she enter into the oppressive discourse on feminity. In accepting the role of victim, she turns herself into a mirror in which the callousness of the men becomes all the more apparent. And by embodying the cliché of the ,ugly girl’, she reveals the hidden assumptions about normative gender roles and social hierarchies that sustain these unequal exchanges. Thus the spectators in the cinema are forced to examine their own identification with the victimizers from the perspective of the victim and acknowledge a different kind of resolve in her stubborn retreat to a position of innocence: a solution that assuredly, even in romantic comedy, can be maintained only for a very short time.” 552 Lotte wird in doppeltem Sinne erniedrigt: Als Angestellte ebenso wie als Frau. 553 Wie Katharina gelingt auch Lotte, durch den Schein geliebt zu werden der Ausbruch aus ihrer

550 Ebd. S. 33. 551 Vgl. Ebd. S. 34. 552 Hake: Ebd. S. 32. 553 Vgl. Ebd. S. 34.

[116] Rolle. Dieser motiviert das „hässliche Mädchen“ zu einer optischen Transformation, die mit Hilfe eines Friseurbesuchs und etwas Make-up gelingt. 554 „All actions and reactions are motivated by her desire to undo that initial impression of difference. The melancholy mood that permeates the film even in its happiest moments suggests that her efforts are bound to be only partially successful.” 555 Visualisiert wird diese Transformation mit einer Großaufnahme des Gesichts, die wiederum eine Klammer zur Eröffnungssequenz schließt, als ihr Gesicht als „hässlich“ in Szene gesetzt wurde. Balász schreibt dazu folgendes: „Wenn uns aber ein Gesicht allein und groß gegenübersteht, so denken wir an keinen Raum, an keine Umgebung mehr. Selbst wenn wir dasselbe Gesicht vorhin noch mitten in der Menge gesehen haben, so sind wir jetzt plötzlich mit ihm unter vier Augen allein. Wir wissen vielleicht, daß dieses Gesicht in einem bestimmten Raume ist, aber wir denken diesen nicht hinzu. Denn das Gesicht wird Ausdruck und Bedeutung auch ohne hinzugedachte räumliche Beziehung.“ 556 Hake bezeichnet diese Transformation als „entry ticket to the world of heterosexual love.“ 557 Denn nun scheint ihr nicht nur die Liebe des anfänglichen Falschspielers, sondern auch sozialer Aufstieg sicher. Plötzlich scheint sie für die Männerwelt begehrenswert. DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN folgt in dieser Hinsicht dem klassischen Aufbau einer romantischen Komödie: „girl meets boy, boy is uninterested, girl has a makeover, boy is interested, girl gets boy.” 558 Auch in hier wird die soziale Zugehörigkeit wiederholt durch Räume definiert, die die Heldin betreten darf – oder eben nicht. Kontrolliert wird dies oft von mit durch Räumen verschmolzenen Nebenfiguren. So versucht Lotte zu Beginn des Films mit dem Fahrstuhl zu fahren. Doch der Liftwart verwehrt ihr als „Wächter“ dieses Raums den Eintritt und schlägt ihr die Tür vor der Nase zu. Denn: Angestellte dürfen den Fahrstuhl nicht betreten und müssen mit der Treppe vorliebnehmen. Dies veranschaulicht, dass ein für den sozialen Status symbolischer Raum auch sehr klein sein kann. Als Lotte jedoch nach ihrer Transformation als nunmehr „hübsche“ vermeintliche Freundin des Firmenchefs das Gebäude betritt, sind die raumbewachenden Nebenfiguren überaus freundlich und drängen sie sogar dazu, den Fahrstuhl zu benutzen. Dass dieser nun genau in diesem

554 In A CSÚNYA LÁNY erfolg die Transformation auf umgekehrtem Wege: Ein hübsches Mädchen gibt sich als hässlich, damit sie im Büro eines Anwalts eingestellt wird und sie nun mit diesem ihre Spielchen treiben kann. 555 Ebd. S. 31. 556 Balász, Béla: Der Geist des Films , Berlin/München/Budapest: 1984 (= Schriften zum Film , Band 2), S. 58. 557 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 35. 558 Ebd. S. 31.

[117] Moment einen Defekt aufweist, ist geradezu ironisch und zeigt das Versagen des Systems trotz sozialen Aufstiegs. 559 Der Film arbeitet mit Wiederholungen. Vieles, was vorher nur Traum war, ist nach Lottes „Verwandlung“ nun möglich.

4.5.4 Eva und Peter

In PETER sind die Akteure in vielerlei Hinsicht auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Der Film beginnt mit einem finanziell bedingten Rauswurf von Eva und ihrem dem Alkohol zugeneigten Großvater aus deren Wohnung. „Großvater, wir wollen ein neues Leben beginnen“, sagt Eva, womit eine lange Odyssee mit zahlreichen Identitätswechseln beginnt. Ein Dieb klaut Evas Kleid und verkleidet sich als Frau, um von der Polizei nicht erkannt zu werden. Eva muss daraufhin in den schäbigen Anzug des Diebes schlüpfen. Als Junge verkleidet verkauft sie Zeitungen. Mit Lügen bauscht sie die Schlagzeilen auf, denn es ist nicht die Wahrheit, die sich am besten verkauft. Vor Gericht gibt sie letztendlich an, dass sie Peter heißt. Nur in einem Punkt schwindelt sie nicht: Nämlich bei der Tatsache, dass sie überhaupt kein Geld hat. Als der Richter fragt, was sie einmal werden möchte, antwortet Eva alias Peter trocken: „Bäcker. Denn Bäcker haben immer Brot. Und eine warmes Zimmer.“ Um Geld zu verdienen, behält sie letztendlich die männliche Identität von Peter, da sie so in einer Werkstatt arbeiten kann. Als Junge Peter hat sie „die Chance Rückschläge in Energie umzumünzen“ 560 . Lüge und Identitätswechsel werden zur neuen Zukunftshoffnung. Zu allem was Peter macht, wäre theoretisch auch Eva in der Lage. Doch „erst Peter erwirkt öffentliche Resonanz“ 561 und eröffnet somit neue Möglichkeiten. Denn egal, ob auf der Tankstelle, auf der Straße oder beim Herrenabend - als Eva wäre die Figur an all diesen Orten fremd. Erst durch Simulation und Anpassung ihres sozialen Status sowie ihres Geschlechts kann sie sich als Peter in diesen Räumen bewegen – und verschmilzt

559 Das Motiv des Versagens des technischen Fortschritts taucht bei Kosterlitz immer wieder auf. Denn während die Utopie des transatlantischen Tunnels in DER TUNNEL noch gut geht, stoßen vor allem von Franziska Gaal gespielte Figuren immer wieder an die Grenzen der Technik. So etwa, als sie in KLEINE MUTTI ein Zimmer komplett verwüstet, um die Funktionsweise eines Staubsaugers zu demonstrieren. Doch, da es keinen Strom gibt, bleibt die Verwüstung. Oder auch die technische Unbeholfenheit Katharinas, die weder mit der Funktionsweise eines Telefons vertraut ist, noch ein altes von einem neuen Automobil unterscheiden kann. Nicht zuletzt wird in TAGEBUCH DER GELIEBTEN die damals neuartige Erfindung der Fotografie auf amüsante Art und Weise als äußerst unpraktisch dargestellt. 560 Büttner/Dewald: Das tägliche Brennen , S. 404. 561 Ebd. S. 404.

[118] sogar mit ihnen. Dabei wird auf das für Hosenrollen gängige Motiv zurückgegriffen, das im Theater schon lange Tradition hat: „Frauen ziehen sich Hosen an, wenn die Männerkleidung Schutz bieten soll.“ 562 Was eine Frau und was ein Mann in dieser Lebenswelt darf, ist einer der zentralen Aushandlungsprozesse in PETER. Die Frage, was sich für eine Frau und was sich für einen Mann gehört, ebenso. So verlangt beispielsweise der Werkstattbesitzer von Peter, dass er einen Kunden bedient. Als Eva an seiner Stelle diese Arbeit erledigen möchte, ist der Chef entsetzt, meint, dass eine Werkstatt doch kein Platz für so eine schöne Frau sei und macht die Arbeit kurzerhand selbst. „Geschickt wechselt Franziska Gaal Kostüm und Geschlecht. Ihre stets getuschten Wimpern und ihr immer glänzender Mund geben dem ‚gender play‘ eine besondere erotische Spannung. In beiden Rollen, als junger Mann und als Mädchen, betört sie ihre Umgebung.“ 563 Im Frack wirbelt sie äußerst dominant ein junges Mädchen über die Tanzfläche und singt mit hoher Stimme den Schlager „So schön wie du….“. „Die lesbische Szene [ist] perfekt – würde sie nicht wieder slapstickhaft aufgelöst.“ 564 Zudem küsst der Arzt Eva, als sie noch als Mann verkleidet ist. Natürlich lässt es sich Kosterlitz hier nicht nehmen, für Situationskomik zu sorgen: Das sich küssende Paar wird von einer Frau überrascht, die ihren Augen nicht traut. „Bei dem Verwechslungsspiel mit den Geschlechterrollen geht Kosterlitz weiter als alle anderen Filme der Zeit.“565 Dennoch dürfen diese Szenen nicht überbewertet werden. In dieser Hinsicht weist PETER viele Parallelen zu VIKTOR UND VIKTORIA auf. Vieles was Hake in Bezug auf diesen Film schreibt, bestätigt sich in Hinblick auf PETER. „The spectacle of transvestism neither allows for a celebration of same-sex desire nor advocates less rigid gender roles. Robert, who quickly uncovers Susanne’s secret, decides to test the limits of her “masculinity” in order to bring out the ,real woman’ in her. […] Behind the titillating effects associated with cross-dressing, Schünzel’s film advocates very normative definitions of gender and sexuality […] by testing the limits of the possible and

562 Krafka, Elke.: „Die Hosenrolle im Theater. Kostümierung oder Grenzüberschreitung“, Sakkorausch und Rollentausch. Männliche Leitbilder als Freiheitsentwürfe , Hg. Andrea Stoll/Verena Wodtke-Werner, S. 35-36, zitiert in: Mahrhauser, Michaela: Kleidung macht Geschlecht. CrossDressing im Hollywoodfilm , Dipl.-Arb., Universität Wien: 2002, S. 77. 563 Moser, Karin: „Auslieferung“, Kampfzone Kino , Hg. Verena Moritz/Karin Moser/Hannes Leidinger, Wien: 2008, S. 341, zitiert in: Dämon: „Franziska Gaal. Spuren einer Filmschauspielerin der Dreißigerjahre“, S. 69. 564 Seeßlen: „Faszination Filmarchivierung“, S. 87. 565 Asper, Helmut G.: „Berlin, Wien, Hollywood: Die drei Karrieren des Henry Koster alias Hermann Kosterlitz“, filmarchiv22. Programmheft des Filmarchiv Austria 03/05, Wien: Filmarchiv Austria 2005, S. 66.

[119] permissible, the various characters define the boundaries of “normal” masculinity and feminity.” 566 Am Ende des Verwirrspiels der Geschlechterrollen und Identitäten, wird das klassisch heterosexuelle Beziehungsverhältnis als einzige Möglichkeit propagiert. Der von Eva durchlaufene Prozess stärkt letztendlich ihre Identität als heterosexuelle Frau. „The happy ending puts everybody in his or her rightful place.”567 Diese Ambivalenzen sind wiederum ein Bezug zur Screwball Comedy, die ebenso häufig im Zwiespalt von progressiven und konservativen Gesellschaftsbildern steht, wie Altman darlegt. 568 Eine ähnliche Ambivalenz zwischen progressiven gesellschaftlichen Strömungen und der Propagierung alter Werte lässt sich in Hinblick auf Familienmodelle und Karriereträume erkennen. Auffallend ist, dass in den behandelten Filmen das traditionelle Modell der Familie oft überholt oder gar abwesend erscheint. Dies wird besonders deutlich, wenn Kinder ins Spiel kommen. So etwa in KLEINE MUTTI: Am Ende des Films finden sich das „arme Mädchen“, der Lebemann und ein adoptiertes Baby zu einer Familie zusammen. Der reiche Vater des jungen Mannes sorgt dabei für den Unterhalt. Was besonders interessant ist: Die Individuen entscheiden sich, eine Familie zu gründen, aber von einer Heirat wird dabei nicht einmal ansatzweise gesprochen. 569 Bei dieser Patchworkfamilie handelt es sich nur bedingt um eine Gruppe kollektiver Identität, da die gemeinsamen Erfahrungen, die sie zu solch einer machen würden, erst gemacht werden müssen – weder Vater noch Mutter waren beispielsweise bei der Geburt des Kindes dabei. Dieser Prozess des Zusammenwachsens spielt sich erst nach Ende des Films ab. Auch in DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND spielt ein Baby eine entscheidende Rolle. Thea Rolands

566 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 40-41. 567 Ebd. S. 40. 568 „Surveying critical perspectives on film genres, Rick Altman points out two schools of thought. One theory of film genres sees them as social ,rituals’ with the community goal of validating our cultural practices (i.e., heterosexuality, marriage, monogamy) and resolving their contradictions (individualism, the randomness of desire). Understood this way, romantic comedy celebrates both the American-style rugged individual but also marriage – with all its compromises – as the place for the stubborn individualist: […] The other stand on film genres is that they do the ideological work of maintaining the status quo. Gay and bisexual romantic comedies may appear as alternatives, but the overwhelming majority of these films tell us to be heterosexual and to marry. Likewise, romantic comedy idealizes monogamy and long-term commitment, but not the qualities that actually sustain them – loyalty, endurance, patience, friendship. Instead, it primes the pump of excitement that begins every relationship but cannot possibly last. The closing shot is the embrace or kiss, not the future colicky babies, aging bodies, and mounting debts. While the ,ritual’ theorists sees genres ,offering imaginative solutions to a society’s real problems,’ the ideology theorists see genres ,luring audiences into accepting deceptive non-solutions.” (Altman, Rick: Film/Genre, London: British Film Institute 1999, S. 27 zitiert in: Mizejewski: It Happened One Night , S. 21.). 569 Vgl. Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 40.

[120] titelgebendes Abenteuer besteht darin, ein Kind, aber keinen Mann zu wollen. Sie beginnt eine kurze, aber intensive Affäre mit einem englischen Boxer. Nach dessen Abreise bemerkt Thea, dass sie schwanger ist. Sie weigert sich, irgendjemanden die Identität des Vaters mitzuteilen. Nicht einmal der Vater selbst weiß davon. Theas Vorgehensweise stößt auf Unverständnis ihrer Umwelt und beschwört einen gesellschaftlichen Skandal herauf. Dennoch handelt es sich nur teilweise um die Geschichte einer unbeugsamen Frau. Denn am Schluss triumphiert die Liebe und Thea kommt zur Einsicht, dass das Familienmodell „Vater, Mutter, Kind“ das bestmögliche ist. “The narrative goes both ways, but the question is whether we read romantic comedy as empowering for women or as a more conservative story about women learning to want the right man.” 570 Der Konflikt zwischen Liebe und Individualismus wird vor allem in Hinblick auf die Karriereträume der weiblichen Figuren sichtbar. Ein gleichermaßen eigentümliches wie radikales Bild wird in TAGEBUCH DER GELIEBTEN gezeichnet: Die karrierefixierte Malerin Maria Baschkirtzeff träumt davon, eines Tages die „Goldene Medaille“ zu gewinnen. Diesem Ziel ordnet sie alles unter. Ihre Umgebung drängt sie dazu, das Malen aufzugeben, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Doch der Film zeichnet das Bild einer überaus starken Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Doch plötzlich trifft sie auf den richtigen Mann. Nun steht die Liebe an erster Stelle. Maria muss einsehen, dass eine Frau wahres Glück nur in der Liebe und nicht in der Karriere finden kann. Doch da ist es bereits zu spät. Maria stirbt. Die Entscheidung für die Liebe und gegen die Karriere findet sich zudem auch in FÜNF VON DER JAZZBAND sowie DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND.

570 Mizejewski: It Happened One Night , S. 24.

[121] 4.6 Schein und Sein

4.6.1 Peter - der Falschspieler

Spielerische Identitätswechsel stehen häufig im Mittelpunkt von Kosterlitz‘ Filmen. Sie treiben die Handlung voran, sorgen für Situationskomik und helfen den Figuren eine Entwicklung zum Positiven zu vollziehen. Jedoch ist dieses ständig präsente Spiel mit den Identitäten kein Kosterlitz-spezifisches Phänomen, sondern auch in zahlreichen anderen Filmen dieser Zeit zu erkennen. Colin Crisp gliedert in seiner systematischen Aufarbeitung von 1300 französischen Filmen zwischen 1929 und 1939 den Umgang mit Identität auf narrativer Ebene in vier Kategorien: Als erste Kategorie nennt er Figuren, die aktiv ihre eigentliche Identität verbergen, und zweitens Figuren, die unfreiwillig zu jemand oder etwas Anderem werden. Kategorie drei umfasst Figuren, die irrtümlich für jemand anders gehalten werden und so in einer Welt voll verwirrter Identitäten landen. Als letzte Kategorie listet er Charaktere, die für sich selbst ausgedachte Identitäten konstruieren. 571 Auf Kosterlitz bezogen findet man all diese unterschiedlichen Identitätswechsel wieder. Lebemänner verbergen oft aktiv ihre tatsächliche Identität und geben sich als jemand von niedrigerem Status aus. Ebenso die Tochter eines Großgrundbesitzers in POLENBLUT, die sich als Haushälterin ausgibt. In DE KRIBBEBIJTER heuert eine Sekräterin inkognito im Haus des cholerischen zukünftigen „Schwiegervaters“ an, um diesen zu überzeugen, dass sie gut genug für dessen Sohn ist. Eine arme junge Frau wird hingegen in DIE VERTAUSCHTE BRAUT ebenso irrtümlich für eine Baronin gehalten, wie Marie Bonnard für eine Mutter. In dieser Kategorie ist jedoch stets festzustellen, dass unfreiwillig angenommene Identität schnell mit großer Hingabe gespielt und akzeptiert wird. Schein überlagert das Sein. Eva wird in PETER sowohl unfreiwillig, als auch aus freiem Willen zu einem Jungen. Unfreiwillig, da ein Dieb ihr gewaltsam die Kleider entreißt und freiwillig, da sie bei Gericht bemerkt, dass sie als Mädchen vor Gericht härter bestraft werden würde. Auch sie findet sich schnell in ihrer neuen Rolle zurecht, da sich als Junge ihre Kontingenz schlagartig vergrößert. In Bezug auf die Teilnahme am Herrenabend muss Eva sowohl

571 Vgl. Crisp, Colin: Genre, Myth and Convention in the French Cinema 1929-1939 , S. 6.

[122] ihr Geschlecht, als auch ihren sozialen Status vortäuschen. Eine Lüge reicht somit nicht, um akzeptiert zu werden. Es braucht eine Zweite. Und mit der dritten Lüge, gibt Eva alias Peter vor, scheinbar tödliche Krankheiten erkennen zu können, was ihr Aufmerksamkeit und Ansehen beschert. Auch Elsaesser greift das Motiv des Belügens in seiner Arbeit zum Weimarer Kino auf. In Bezug auf DAS LIED IST AUS 572 schreibt er: „Nur im Modus der Fiktionalität kann über die Realität gesprochen werden und nur im Modus der Lüge über die Liebe.“ 573 Das Motiv, dass „Täuschung selbst zur Grundannahme jeder erfolgreichen Kommunikation“ 574 wird, ist bei Kosterlitz allgegenwärtig. Oft wird die Handlung durch „mehrere sich verdoppelnde, relativierende und gegenseitig kommentierende Täuschungsmanöver an[getrieben], die als solche gekennzeichnet werden.“ 575 Elsaesser bezeichnet diese Umkehrung von „Schein und Sein“ als offenes Spiel mit doppeltem Boden. 576 Eva ist in PETER nicht die einzige Figur, die permanent ihre Identität vortäuscht. Auch andere Figuren schlagen sich in diesem Film mit Lügen durchs Leben. So zum Beispiel der Dieb, der ihr zu Beginn das Kleid raubt. Er ist es später auch, von dem sie das Kleid einer seiner Liebschaften sowie einen Frack bekommt. Er fungiert dabei als eine Art filmischer Engel, der immer dann auftaucht, wenn die Situation ausweglos erscheint. Durch einen weiteren Kleidertausch verändert er immer wieder Evas Identität sowie ihren Kontingenzbereich, da sich so immer wieder neue Wege öffnen. Im Gegensatz zu anderen Filmen, halten die mühevoll konstruierten Scheinidentitäten in PETER jedoch nicht lange. Seeßlen beschreibt PETER als „Film über lauter Spiele, die nicht funktionieren“. 577 Sinnbildlich steht in einer Szene Falschspiel im Mittelpunkt. Zudem bemüht sich auch Otto Wallburg vergeblich, das scheinbar sinnlose Spiel „Bock und Zippe“ zu erlernen. Aber auch der von Hans Jaray gespielte Arzt macht den anderen ständig vor, dass er genug Patienten habe. In Wahrheit kreist aber auch über ihm der Pleitegeier. Die Lügen funktionieren in diesem Film nicht, da sie vom Gegenüber schnell durchschaut werden. Geradezu sarkastisch ist der immer wieder auftauchende Satz „Die

572 Das Lied ist aus, Regie: Géza von Bolváry, Deutschland 1930. 573 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 267. 574 Ebd. S. 270. 575 Ebd. S. 269. 576 Vgl. Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 269. 577 Seeßlen: „Faszination Filmarchivierung“, S. 86.

[123] Wahrheit ist die Mutter aller Dinge.“ So bemerkt etwa Peter recht schnell, dass der Arzt in Wirklichkeit keine Patienten hat. Aber auch der Arzt vermutet bald, dass es sich bei Peter um ein Mädchen handelt und verliebt sich kurzerhand in sie. Dabei befindet er sich als einzige Figur mit dem Kinopublikum auf Augenhöhe, das im Cross-Dressing- Verwirrspiel als Komplize und nicht als Voyeur agiert. 578 „Where the other characters see a pretty young boy in tails who attracts the attention of all the ladies […], the film’s spectators see the actress in an evening suit,” 579 schreibt Hake in Bezug auf VIKTOR UND VIKTORIA. „Das Thema von der als Mann verkleideten Frau, die sich in einen Mann verliebt, ohne daß dieser etwas davon ahnt, ist eines der Grundthemen für Hosenrollen, denn der besondere Reiz liegt hierbei vor allem in der Spannung, wann der Partner endlich die ihn liebende Frau als solche erkennen wird.“ 580 In PETER wird diese Spannung nicht allzulange aufrechterhalten, was ihn von einer „traditionellen“ Hosenrollen-Geschichte unterscheidet. Die Tatsache, dass der Arzt das Wesen einer Frau trotz männlicher Verkleidung erkennen kann, macht ihn, wie sein Pendant in VIKTOR UND VIKTORIA zum „leading advocate of healthy heterosexuality.“ 581 Wieder in Bezug auf DAS LIED IST AUS schreibt Elsaesser: „Man könnte etwas vereinfacht behaupten, daß der ,Schein‘– und nicht das ,Sein‘– zum Referenzpunkt wird. Das würde bedeuten, daß der ,degré zéro‘ jeder Kommunikation ihr Scheitern ist, daß es nur gelingt, die Illusion eines ,gelungenen‘ Austauschs aufrechtzuerhalten, wenn sich alle an die Regeln halten oder diese immer wieder neu definieren. Anders gesagt: Es geht darum, die wissentliche Täuschung oder die unbewußte Selbst-Täuschung als Normalzustand zu akzeptieren und gar nicht zu erwarten, daß der unzuverlässige Schein noch einmal gebannt werden könnte, in dem er in einem ,Sein‘ getilgt wird.“ 582 Besonders verdeutlicht wird das Scheitern der Kommunikation in KATHARINA - DIE LETZTE. Hans‘ Versuch seine Lüge zu gestehen, scheitert an der großen sozialen Kluft zwischen ihm und Katharina. Sein Geständnis erfolgt mittels eines Briefes. Doch Katharina kann nicht lesen. In ihrer Scheinwelt wird das Geständnis zum Liebesbrief. Die darin enthaltene Botschaft, am Sonntag nicht auf Hans warten zu sollen, bleibt ungelesen und das abgesagte Rendezvous findet statt. Hans liest den Brief nochmal: „Ich

578 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 275. 579 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 41. 580 Zerzawy, Kurt: Entwicklung, Wesen und Möglichkeiten der Hosenrolle, Diss., Universität Wien: 1950, S. 207, zitiert in: Mahrhauser, Michaela: Kleidung macht Geschlecht. CrossDressing im Hollywoodfilm , Dipl.-Arb., Universität Wien: 2002, S. 78. 581 Ebd. S. 41. 582 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 273-274.

[124] hab‘ dich sehr lieb Katharina“. Das Versagen der Zeichen in der zwischenmenschlichen Kommunikation stärkt die Scheinwelt, die kurz darauf jedoch zusammenbricht. Katharinas schrittweiser sozialer Aufstieg scheint abrupt beendet. Im Rahmen einer heiteren Gesellschaft „schwebt“ Katharina teilnahmslos und desillusioniert durch den Raum. Der Zusammenbruch wird von heiterer Musik untermalt. Katharina fällt wieder in Passivität zurück – bis sie durch Hans‘ Liebe wieder „erweckt“ wird. Der finale Kuss in einem Gerichtsgebäude wird abrupt von einem „Raumwächter“ unterbunden, denn Küssen gehört sich zwischen diesen erhabenen Wänden nicht. Die Verliebten werden hinaus gejagt. Zum ersten Mal flieht Hans vor einer Autorität.

4.6.2 Scheinwelt Savoy

In einer kompletten Scheinwelt spielt BALL IM SAVOY, der im Gegensatz zu den Gaal- Produktionen völlig von der „realen“ Lebenswelt der Dreißigerjahre losgekoppelt zu sein scheint. Die Depression wirkt völlig abwesend. Vielmehr ist der auf der gleichnamigen Operette basierende Film in einem Luxushotel namens Savoy angesiedelt – einer Parallelwelt, in der es für Armut keinen Platz gibt. Bei der Beschreibung jenes Aushandlungsprozesses, bei dem der „Schein“ über das „Sein“ gestellt wird, bezieht sich Elsaesser immer wieder auf die Operette beziehungsweise Operettenfilme. „Was das Kino in dieser Hinsicht grundsätzlich mit der Operette verbindet ist, daß es sich bei beiden von Anfang an um Darstellungsformen handelt, die sich – sei es parasitär- imitierend, sei es parodistisch-persiflierend – auf die Hochkultur bezogen: im einen Fall auf die Oper, im anderen auf das Theater und den Roman. Aus dieser gesellschaftlichen wie ästhetischen Opposition heraus hat sich bei der Operette, zumindest seit Jacques Offenbach und Johann Strauss, das Verhältnis von ,Sein‘ und ,Schein‘ umgekehrt. 583 Visualisiert wird der Eintritt in diese Scheinwelt bereits unmittelbar nach dem Vorspann. Wie in einem Varieté kündigt ein kleiner schwarzer Junge in Zirkusuniform an: „Meine Damen und Herren. Jetzt kommt der Film BALL IM SAVOY“. Daraufhin spazieren die vier Hauptfiguren durch eine Drehtür, während sowohl ihr richtiger, als auch ihr Rollenname eingeblendet wird. Sie verneigen sich vorm Kinopublikum, als wäre die „vierte Wand“ inexistent. Während die ersten drei einen Blick in die Kamera vermeiden, adressiert der tollpatschige Felix Bressart mit seinen Augen direkt das Publikum, nachdem er in die

583 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 273-274.

[125] Drehtür gelaufen ist. Auch der zuletzt auftretende Oberkellner sucht den Augenkontakt, während er ein Tablett balanciert. Plansequenzartig öffnet die ihm folgende Kamera den Raum und folgt dem Oberkellner die Treppen des Hotels hinauf. Vor dem Publikum breitet sich so der diegetische Raum aus. Die Künstlichkeit dieser Welt wird auch in einer surrealistisch anmutenden Einstellung unterstrichen, in der Bressart einer an der Wand hängenden Maske eine Zigarette in den Mund steckt und diese plötzlich zu rauchen beginnt. Die Handlung geht weiter – die rauchende Maske und ihre Bedeutung werden nicht weiter beachtet – diese filmische Attraktion gab es nur für das Publikum. Doch auch wenn die „Welt der Armen“ keinen Platz in dieser Operettenverfilmung hat, kann man den Film durchaus als Kritik an der Dekadenz des Adels deuten. Dafür spricht etwa die Tatsache, dass sich der Oberkellner nach einem Kleidertausch sofort perfekt in der Rolle des Barons zurecht findet, während der Baron keine Ahnung hat, wie man ein Tablett trägt oder wie man richtig serviert. Doch damit nicht genug: der Oberkellner gibt sogar einen besseren Baron ab, als der Baron selbst. „Ich habe noch nie einen Baron gesehen, der drei Teller tragen kann“, bemerkt ein weiterer Ober auf dem Ball verblüfft, als sich der falsche Baron am Buffet bedient. „Ein richtiger Baron muss eben alles können“, entgegnet dieser. Doch der alleskönnende „echte“ Baron bleibt hier Utopie. Denn dieser steckt seine ganze Energie in die Eroberung einer reichen Künstlerin. Durch besagten Kleidertausch beschafft er sich Zutritt in ihr Zimmer. Das damit verbundene obligatorische Verwirrspiel der Identitäten unterstreicht den Stellenwert des Scheins. „Dies könnte als das ,normale‘ erotisch-perverse Spiel der Geschlechter um- und miteinander gelten, zu dem die Umkehrung der Liebeserwartungen als Stachel der Leidenschaft gehört, und in gewissem Sinn sind dies natürlich auch die ,Waffen‘ im Geschlechterkampf, sozusagen die Grundausstattung des Verführens, die beide Partner hier souverän einsetzen.“584 In Hinblick auf die Konstruktion der Welt und dem Spiel der Geschlechter, lassen sich Parallelen zu LE SEXE FAIBLE erkennen. Dessen Handlung ist wie bei BALL IM SAVOY in einem Luxushotel angesiedelt. Und wie BALL IM SAVOY, blitzt auch hier nur wenig aus der Welt der Armen durch: „Der Film kommt über eine moderate Kritik an der bürgerlichen Verlogenheit, an den falschen Geschlechterordnungen und brüchigen Liebesversprechungen nicht hinaus. Er spielt die Radikalitäten des Stoffes, die Schmerzlichkeiten der Krise nicht

584 Ebd. S. 267.

[126] aus, er will auch gar nicht provozieren, sondern den Wirbel, die Bewegung, die Geschmeidigkeit der Figuren auskosten.“ 585

4.6.3 Täuschung der Geliebten

Der Geschlechterkampf wird in TAGEBUCH DER GELIEBTEN auf die Spitze getrieben. Dabei entführt Kosterlitz in eine ähnlich geartete Scheinwelt wie Székely mit BALL IM SAVOY. Ein kurzer „Ausflug“ von Maria Baschkirtzeff in den Raum der Armen endet in einem Fiasko. Schnell kehrt sie in ihren Lebensraum zurück, in dem die Lüge zur Selbstverständlichkeit im zwischenmenschlichen Miteinander wird. Dieses „Vexierspiel, bei dem die Täuschung selbst zur Grundannahme jeder erfolgreichen Kommunikation wird“ 586 , ist bei Kosterlitz häufig zu finden. Nachdem Guy de Maupassant die Künstlerin Maria Baschkirtzeff aus dem Armenviertel „gerettet“ hat, bringt er sie mit seiner Kutsche nach Hause. Während Maria völlig unmotiviert behauptet, sie habe keine Arbeit und lebe vom Vermögen ihres reichen Mannes, entgegnet der Schriftsteller, dass er ein gemeiner Pferdehändler sei. Die sich in holpriger Bewegung befindliche Kutsche, wird zu einem Raum, in dem Lügen selbstverständlich Einzug halten können. Das Spielchen der Scheinidentitäten wird fortgesetzt, als Maria den von Szőke Szakáll gespielten tollpatschigen Leibarzt de Maupassant als ihren reichen Ehemann vorstellt. Das Ganze ereignet sich auf einer Rollschuhbahn, während der Arzt tollpatschig versucht, sich auf den Beinen zu halten. Ebenso wie die wacklige Kutsche verdeutlicht dies die kurze Lebensdauer der Lügen. Denn irgendwann fliegen die Lügen bei Kosterlitz immer auf. In diesem Fall, schreibt Guy de Maupassant in seiner Rolle als Pferdehändler einen Brief an sich selbst. Darin bittet er sich selbst, Maria zu empfangen, da diese unbedingt den großen Schriftsteller Guy de Maupassant kennen lernen möchte. Als Maria mit dem Brief in der Hand vor dem „echten“ Guy de Maupassant auftaucht, ist die Lüge aufgeflogen. Für einen kurzen Moment herrscht völlige Klarheit zwischen Mann und Frau. Es folgt der erste Kuss – für einen Augenblick können sie sich lieben. „The underlying anxiety that men and women can’t trust each other, that love may not be enough to fill the horrifying gap between the sexes,” 587 ist ein Merkmal der

585 Jacobsen/Prinzler: Siodmak Bros., S. 115. 586 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 270. 587 Mizejewski: It Happened One Night , S. 18.

[127] romantischen Komödie, wird in diesem Film jedoch radikalisiert. Was Elsaesser in Bezug auf DAS LIED IST AUS schreibt, trifft auch hier wieder zu: „Man könnte es eine Kultur der Anspielung oder eine Rhetorik des Uneigentlichen nennen. Innerhalb dieser Rhetorik kann sich eine gewisse Dynamik entfalten, bei der Energie und Frust, Wollen und Dürfen, Können und Zeigen, Zeigen und Verschweigen sich neu definieren und gegeneinander ausbalancieren – und somit auch in den gesellschaftlichen Raum treten. Die Personen führen vor, worin der Lustgewinn bestehen kann, wenn man gegen Hindernisse nicht direkt anrennt, sondern sie überwindet, indem man paradoxerweise ihre Wirklichkeit übertreibt und überspielt oder mimetisch verdoppelt und unterläuft.“ 588 Selbst im Moment der größten Liebe kann es nicht ohne Lüge weitergehen: Als Maria mit anhören muss, dass sie todkrank sei, teilt sie ihrem Liebhaber mit, dass sie sich von nun an wieder auf ihre Karriere konzentrieren möchte. Für Liebe habe sie keine Zeit. Die Liebenden driften wieder auseinander, um kurz vor dem Tod Marias wieder zusammenzufinden. Unmittelbar vor dem Ende eilt der mittlerweile über die Lüge informierte Guy de Maupassant zu seiner Herzensdame. Um den Schein zu wahren, verlangt diese nach einem Spiegel und schminkt sich. De Maupassant erscheint mit jener „Goldenen Ehrenmedaille“, von der Maria ihr ganzes Leben lang geträumt hat. Aber nicht einmal am Sterbebett werden die Lügen beseitigt, denn Maria hat die Medaille in Wahrheit gar nicht gewonnen. Doch der ebenfalls in Maria verliebte Maler Bassieux und de Maupassant hielten es für angebracht, ihr diese vor dem Tod noch zu überreichen. Überglücklich nimmt sie die Lüge hin und verabschiedet sich glücklich aus ihrer Scheinwelt, in der die „Wahrheit“ nicht willkommen scheint.

588 Elsaesser: Das Weimarer Kino , S. 270.

[128] 5 Lebensräume im Dialog

Wie gezeigt, lassen sich bei Kosterlitz „Klasse“ und „Geschlecht“ als entscheidende identitätsbestimmende Merkmale definieren. Mitunter bestimmen sie die Kontingenz und geben Wege vor. Ausbrüche aus diesen Kategorien ermöglichen ein „besseres“ Leben. Seeßlen bezeichnet „die (erotische) Konstruktion einer neuen Klasse von Bürgern ohne Klassendünkel auf der einen, aber auch ohne ideologische (und moralische) Verblendung auf der anderen Seite“ 589 , als geheimes Projekt der Kosterlitz-Filme. Die skizzierte filmische Welt darf jedoch nicht als ein in sich geschlossenes Zeichensystem gesehen werden. Vielmehr steht sie in ständiger Interaktion mit Kosterlitz‘ „realer“ Umgebung. Die konstruierten Räume der scheinbar trivialen Kosterlitz-Komödien werden zum Kommentar auf Politik, Gesellschaft und Leben in der „realen“ Welt. „Popular genres such as white-collar comedy can help us to rethink the relationship among politics, technology, and entertainment and develop new perspectives on cinema’s power as a mediator between public and private fantasies, social and political realities, and high and low cultural traditions.” 590 „Perhaps the appeal of romantic comedies that engage the discourses of gender and race in such subtle ways always hinges on their ability to provide imaginary solutions that speak both to the desire to believe and the necessity to doubt; perhaps therein lies the simultaneously stabilizing and destabilizing effect of popular culture as a whole.” 591 Auch bei Adorno findet sich ein Hinweis auf die Wechselbeziehung der unterschiedlichen Realitätsebenen. „Wer die Wahrheit übers unmittelbare Leben erfahren will, muß dessen entfremdeter Gestalt nachforschen, den objektiven Mächten, die die individuelle Existenz bis ins Verborgendste bestimmen. 592 Auch Kosterlitz‘ Erfahrungen in Deutschland fließen in die Filme mit ein. Sabina Hake zieht in ihrer Auseinandersetzung mit DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN Parallelen zwischen der Inszenierung des „hässlichen Mädchens“ und der politischen Situation in Deutschland. Die Krise in der sich die weibliche Hauptfigur Lotte befindet, steht demnach in direkten Zusammenhang mit rassischer Diskriminierung. „Within the conventions of romantic comedy, the title figure inspires little more than a humorous reflection on male arrogance, female lack of self-esteem, and the powerful effect of a beauty treatment. However, as a figure of difference that rehearses paradigmatic situations of exclusion, the woman functions as a textual conduit between

589 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 40. 590 Hake: Popular Cinema of the Third Reich , S. 26. 591 Ebd. S. 38. 592 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 13, zitiert in: Elsaesser: Das Weimarer Kino, S. 323.

[129] the similar mechanisms of sexual and racial discrimination. By articulating the binaries of gender, she draws attention to other, equally oppressive forms of difference, including those of race.” 593 Die Figur des „hässlichen Mädchens“ visualisiert die in Deutschland vor sich gehende Entwicklung, dass Menschen vermehrt aufgrund von Körper und Äußerlichkeiten voneinander abgegrenzt werden. Der Umstand, dass Lotte von ihrer Umgebung als „zu hässlich“ – also als andersartig – markiert wird, heißt im Kontext des nationalsozialistischen Deutschland, dass sie „zu jüdisch“ aussieht. Die Erfahrungen, die Lotte in der von Kosterlitz kreierten fiktiven Welt macht, beschreiben ähnlich schmerzvolle, zeitgenössische, gesellschaftliche Entwicklungen. Sexuelle Diskriminierung am Arbeitsplatz und Exklusion aufgrund von Äußerlichkeiten werden in diesem Kontext zum Symbol für Antisemitismus. 594 Wenn Lotte demnach für das Schicksal der Juden im Nationalsozialismus steht, lässt sich ein direkter Vergleich zwischen der im Film diskriminierten Figur und Hermann Kosterlitz ziehen. Als Lotte grundlos aus dem Büro, das als Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft gesehen werden kann, hinausgeworfen werden soll, versucht sie hysterisch den Personalmanager davon zu überzeugen, dass sie eine wertvolle und gut ausgebildete Arbeitskraft sei. „Could this traumatic scene be read as a veiled reference to Kosterlitz’s own situation in the German film industry? Could the character’s choice of a makeover be interpreted as a sign of willingness to adjust to the new situation? Or must the white-collar comedy be seen as a heartself expression of moral outrage in an increasingly conformist film culture?” 595 Eine Liebesgeschichte wird somit – beabsichtigt oder nicht – zum besorgten Kommentar des Regisseurs über den Anstieg von Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. 596 Ein ähnlicher Ausruf taucht in KATHARINA - DIE LETZTE AUF. Und zwar im Rahmen des fingierten Anrufs mit dem Hans von Gerstikow zu Filmbeginn den Botschafter aus seiner Loge in der Oper lockt: Hans ruft ins Telefon, dass etwas Schreckliches passiert sei und, dass seine Exzellenz sofort in die Botschaft kommen solle. „Jetzt? Zu dieser Stunde?“ fragt dieser. Während sich die Kamera langsam dem Botschafter nähert, weiten sich plötzlich seine Augen. Panisch ruft er: „Was? Ja aber wieso? Wir leben doch im tiefsten

593 Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 35. 594 Vgl. Ebd. S. 31. 595 Ebd. S. 35. 596 Vgl. Ebd. S. 33.

[130] Frieden? Wir haben ihnen doch gar nichts getan!“ „Meine Herren, es muss etwas Furchtbares passiert sein. Wir müssen sofort in die Botschaft!“, ruft er kurze Zeit darauf seinen Assistenten zu. Über den Inhalt dieses Gesprächs kann nur spekuliert werden. Dennoch kann diese 1935 gedrehte Szene als Kommentar auf Hitler und das Schicksal der jüdischen Filmschaffenden gelesen werden. Kosterlitz‘ Filme sind jedoch nicht die einzigen, die so gelesen werden können. Hake schreibt in Bezug auf die nationalsozialistische Übernahme der Filmindustrie: „The impact of [these] institutional changes on the filmic imagination can be traced with particular clarity in the numerous films by German-Jewish directors. Often working in comic traditions ideally suited to the expression of hidden anxieties about the question of identity, they continued to make films that, directly or indirectly, addressed the experience of discrimination and oppression. In their imaginary solutions to social and psychological conflicts, they not only showed the mechanisms of exclusion but also offered strategies for survival, including those involving role-playing and cross- dressing.” 597 Kracauer gliedert die Filme der präfaschistischen Ära in solche mit „autoritären“ und solche mit „antiautoritären“ Tendenzen. 598 Wenn man diese beiden Begriffe auf Kosterlitz‘ Filmschaffen umlegt, zeigt sich, dass seine Filme durch eine stark antiautoritäre Haltung geprägt sind. Hinter Identitätswechsel, Kleidertausch und gesellschaftlichem Aufstieg, steckt die humanitäre Botschaft, dass alle Menschen gleich sind. Entweder weisen Kosterlitz-Figuren von Beginn an Autoritäten gegenüber keinen Respekt auf, oder die Emanzipation erfolgt im Laufe der Handlung. Figuren mit Führungsanspruch sind humorvoll überzeichnet, wie das cholerische Familienoberhaupt in DE KRIBBEBIJTER oder der Großindustrielle Sixtus Braun. Robert Koster sagte über Otto Wallburg, dass er den Großindustriellen so spiele, wie ein Kind sich einen Großindustriellen vorstellen würde. 599 Die von Gesellschaft und Autoritäten verhängten Verbote, gewisse Räume nicht betreten zu dürfen, werden ignoriert und humorvoll umgangen. Das Eindringen in (verbotene) Räume ist ein ständig auftauchendes Motiv. Auch wenn räumliche und soziale Ausbruchsversuche zunächst nur von teilweisem Erfolg gekrönt sind, gelingen sie letztendlich immer. In Kosterlitz-Filmen gibt es meist ein Happy End, das sich stets märchenhaft gestaltet:

597 Hake: Popular Cinema of the Third Reich , S. 28. 598 Vgl. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S. 234-244. 599 Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005.

[131] „Vielleicht sind die Lösungen eine Spur zu märchenhaft, aber die Konflikte sind es durchaus nicht; der Realismus dieser Filme beginnt damit, dass er sich nicht auf Schein- Konflikte einlässt.“ 600 Am Ende finden Lebemann und armes Mädchen stets zusammen. „Ich bin kein feiner Herr, ich bin genauso wie du. Auf den Anzug kommt es nicht an,“ erklärt der wohlhabende Hans von Gerstikow der armen Katharina, dass Unterschiede zwischen den Menschen nicht natürlich gegeben sind. In PETER wird sogar die Differenz zwischen den Geschlechtern lediglich über Kleidung definiert. Kosterlitz‘ Filme werden hier zur Stellungnahme gegen zeitgenössische Strömungen, wie Führerprinzip oder Ständestaat. In DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN ermöglicht die Anpassung an das von der Gesellschaft vorgegebene Schönheitsideal gesellschaftliche Akzeptanz und sozialen Aufstieg. Da Lotte bereit war, sich zu verändern und sich anzupassen, wird sie begehrt und geliebt. In Bezug darauf stellt Hake die Frage, ob sich Kosterlitz durch diesen Twist in der Geschichte ebenso bereit erklärt hat, sich anzupassen. 601 Dagegen spricht jedoch seine Emigration zu einem Zeitpunkt, als der Film noch nicht einmal völlig fertiggestellt war.

Asper schreibt, dass die Betonung der sozialkritischen Seite in Kosterlitz‘ filmischen Welten eindeutig dem Exil geschuldet zu sein scheint. 602 Geschichten über Identitätskrisen sowie die vielschichtigen Erzählungen über Fremd-sein, Anpassungszwang und Exklusion unterstreichen diesen Ansatz. Bei einer chronologischen Betrachtung der Kosterlitz-Filme sticht eine stätige Veränderung der Lebensräume ins Auge. Denn während bei FÜNF VON DER JAZZBAND sowie DAS ABENTEUER DER THEA ROLAND nur leichte Anklänge einer schwierigen Wirtschaftslage durchblitzen, bringt Kosterlitz bei DAS HÄSSLICHE MÄDCHEN den angesprochenen Punkt der Diskriminierung ins Spiel. In Frankreich tauchen schließlich die Motive Verschuldung, Kriminalität und allgegenwärtige Arbeitslosigkeit auf. „Im Unterschied zu der Unbekümmertheit der Depressionskomödien der Weimarer Republik ist […] in den im Exil gedrehten Komödien die Kritik an der sozialen Verhältnissen deutlich schärfer geworden.“ Bei den drei mit Franziska Gaal gedrehten Filmen sind Teufelskreise allgegenwärtig: In Peter steht die Werkstatt vor dem Aus, da Kunden wie der Arzt nicht bezahlen können

600 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S .41. 601 Vgl. Hake: Popular Cinema of the Third Reich, S. 36 602 Vgl. Asper: Filmexilanten im Universal Studio. 1933-1960 , S.28.

[132] – dieser hat nämlich auch kein Geld, da sich niemand mehr einen Arztbesuch leisten kann. Oder in KLEINE MUTTI, wo Marie Geld benötigt, um eine Arbeit als Staubsaugervertreterin beginnen zu können. Seeßlen schreibt in Bezug auf diese Gaal- Filme, dass Kosterlitz es liebte, das „Abgründige“ sehr tief im Freundlichen zu verstecken […] [seine Filme sind] dadurch gekennzeichnet, dass man an einem Abgrund entlang zu balancieren meint, den zu übersehen alle Charaktere übereingekommen sind.“ 603 Zudem täuscht das Komische „nie darüber hinweg, dass die Menschen unter den Verhältnissen wirklich leiden.“ 604 In Bezug auf die in Deutschland hergestellten Filme, lässt sich das auf diese Weise nicht bestätigen. Denn auch, wenn Lotte Opfer von Exklusion und Diskriminierung wird, ist die Welt, in der die Geschichte eingebettet ist, noch eine Positivere. Zudem geht es um Konflikte am Arbeitsplatz, die bei den Gaal- Filmen aufgrund der fehlenden Arbeit gar nicht erst entstehen können. Nicht zuletzt spiegelt sich das Motiv der Odyssee in zahlreichen Kosterlitz-Filmen wider. Sowohl in PETER, als auch KLEINE MUTTI steht ein Rauswurf zu Beginn der Handlung. In beiden Fällen folgt eine verschiedene Stationen umfassende, abenteuerliche Reise durch eine krisengebeutelte Gesellschaft. Die Bereitschaft sich anzupassen und fremde Identitäten anzunehmen, ist hier wie bei vielen Kosterlitz-Filmen die Voraussetzung, um akzeptiert zu werden und um neue Räume betreten zu dürfen. Der Wunsch in fremde Häuser einzudringen, kann in diesem Zusammenhang als Wunsch, in fremden Filmindustrien Fuß zu fassen, gedeutet werden. Doch Exklusion und Diskriminierung finden auch innerhalb dieser Häuser statt. So etwa, wenn die als Bedienstete im Haus des Großindustriellen arbeitende Migrantin von den anderen Angestellten ausgeschlossen wird – ein Schicksal, das Kosterlitz nicht nur in Frankreich ereilte. Das Ende von Kosterlitz‘ europäischer Odyssee gestaltet sich nicht weniger märchenhaft als die Happy Ends seiner Filme. Obwohl man ihn anfangs nicht in Hollywood haben wollte, feierte der nunmehrige Henry Koster mit THREE SMART GIRLS einen sensationellen Welterfolg – es war der Beginn eines kometenhaften Aufstiegs.

603 Seeßlen: „Ein Tanz in die verlorene Zukunft“, S. 44. 604 Ebd. S. 41.

[133] 6 Quellenverzeichnis

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Neue Freie Presse , 24.10.1935

Wiener Zeitung Nr. 24, 25.01.1936

[139] 6.2 Filmographie

Abenteuer am Lido , Regie: Richard Oswald, Österreich 1933.

A csúnya lány, Regie: Béla Gaal, Hermann Kosterlitz, Ungarn 1935.

A Man Called Peter, Regie: Henry Koster, USA 1955.

Ball im Savoy , Regie: Stefan Székely, Ungarn 1935.

Coeurs joyeux , Hanns Schwarz/Max de Vaucorbeil, Frankreich 1932

Das Abenteuer der Thea Roland , Regie: Hermann Kosterlitz, Deutschland 1932.

Das häßliche Mädchen , Regie: Hermann Kosterlitz, Deutschland 1933.

Das Lied ist aus, Regie: Géza von Bolváry, Deutschland 1930.

De Kribbebijter , Regie: Hermann Kosterlitz, Holland 1935.

Der Doppelgänger, Regie: E.W. Emo, Deutschland 1934.

Der Fall Brenken , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1934.

Der Pfarrer von Kirchfeld , Regie: Jacob Fleck, Luise Fleck, Österreich 1937.

Der Rebell , Regie: Kurt Bernhardt/Luis Trenker/Edwin H. Knopf, Deutschland 1932.

Der Tunnel , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich/Deutschland 1933.

Die große Gelegenheit , Regie: Lorand von Kabdebo, Deutschland 1925.

Die letzte Kompanie, Regie: Kurt Bernhardt, Deutschland 1930.

Die vertauschte Braut , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1934.

Flower Drum Song , Regie: Henry Koster, USA 1961.

Frühlingsstimmen , Regie: Pál Fejös, Österreich 1933.

Fünf von der Jazzband , Regie: Erich Engel, Deutschland 1932.

Harvey , Regie: Henry Koster, USA 1950.

Heinz im Mond , Regie: Robert A. Stemmle, Deutschland 1934.

Il diario di una donna amata , Regie: Hermann Kosterlitz, Italien/Österreich 1935.

It Happened One Night , Regie: Frank Capra, USA 1934.

Karneval und Liebe, Regie: Karel Lamac, Österreich 1934.

Katharina - die Letzte , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1936.

[140] Kleine Mutti , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1935.

L’amour en cage , Regie: Jean de Limur/Karel Lamac, Frankreich 1934.

Le Tunnel , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich 1933.

Le sexe faible , Regie: Robert Siodmak, Frankreich 1933.

Mirages de Paris , Regie: Fedor Ozep, Frankreich/Deutschland 1932.

Les nuits moscovites , Regie: Alexis Granowsky, Frankreich 1934.

Liebe, Tod und Teufel , Regie: Heinz Hilpert, Reinhart Steinbicker, Deutschland 1934.

L’or dans la rue , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich 1935.

…nur ein Komödiant , Regie: Erich Engel, Österreich 1935.

One Hundred Men and a Girl , Regie: Henry Koster, USA 1937.

Pechmarie , Regie: Erich Engel, Deutschland 1934.

Peter , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich/Ungarn 1934.

Polenblut , Regie: Karel Lamac, Österreich/Deutschland/Tschechien 1934.

Salto in die Seligkeit , Regie: Fritz Schulz, Österreich 1934.

So ein Flegel , Regie: Robert A. Stemmle, Deutschland 1933/1934.

Spring Parade , Regie: Henry Koster, USA 1940.

Sündig und Süß , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1929.

Tagebuch der Geliebten , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich/Italien 1935.

The Bishop’s Wife , Regie: Henry Koster, USA 1947.

The Rage of Paris , Regie: Henry Koster, USA 1938.

The Robe , Regie: Henry Koster, USA 1953.

The Story of Ruth , Regie: Henry Koster, USA 1960.

Toto , Regie: Jacques Tourneur, Frankreich 1933.

Three Smart Girls , Regie: Henry Koster, USA 1936.

Three Smart Girls Grow Up , Regie: Henry Koster, USA 1939

Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005.

Viktor und Viktoria , Regie: Reinhold Schünzel, Deutschland 1933.

[141] Wenn du jung bist, gehört dir die Welt , Regie: Richard Oswald, Österreich 1934.

Zigeuner der Nacht , Regie: Hanns Schwarz, Deutschland 1932

Anmerkungen zur Filmographie

Gesichtet im Österreichischen Filmarchiv Austria, Wien (Auszug)

Ball im Savoy , Regie: Stefan Székely, Ungarn 1935.

Der Pfarrer von Kirchfeld , Regie: Jacob Fleck, Luise Fleck, Österreich 1937.

Katharina - die Letzte , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1936.

Kleine Mutti , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich 1935.

Peter , Regie: Hermann Kosterlitz, Österreich/Ungarn 1934.

Gesichtet in den Archives Françaises du Film , Bois d‘Arcy 605

Coeurs joyeux , Hanns Schwarz/Max de Vaucorbeil, Frankreich 1932

Le sexe faible , Regie: Robert Siodmak, Frankreich 1933.

Gesichtet in den Archives Françaises du Film, Paris

L’amour en cage , Regie: Jean de Limur/Karel Lamac, Frankreich 1934.

Toto , Regie: Jacques Tourneur, Frankreich 1933.

Gesichtet in der Bibliothèque nationale de France (BnF), Paris

Les nuits moscovites , Regie: Alexis Granowsky, Frankreich 1934.

Le Tunnel , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich 1933.

605 Die Recherchetätigkeit in Paris und Bois d’Arcy wurde durch ein Kurzfristiges Auslandsstipendium (KWA) der Universität Wien finanziell unterstützt.

[142] Gesichtet im Bundesarchiv-Filmarchiv , Berlin

Das Abenteuer der Thea Roland , Regie: Hermann Kosterlitz, Deutschland 1932.

Das häßliche Mädchen , Regie: Hermann Kosterlitz, Deutschland 1933.

Der Fall Brenken , Regie: Karel Lamac, Deutschland 1934.

Der Tunnel , Regie: Kurt Bernhardt, Frankreich/Deutschland 1933.

Fünf von der Jazzband , Regie: Erich Engel, Deutschland 1932.

Pechmarie , Regie: Erich Engel, Deutschland 1934.

Gesichtet auf DVD (Auszug)

De Kribbebijter , Regie: Hermann Kosterlitz, Holland 1935.

Der Doppelgänger, Regie: E.W. Emo, Deutschland 1934.

Der Rebell, Regie: Kurt Bernhardt/Luis Trenker/Edwin H. Knopf, Deutschland 1932.

Unerwünschtes Kino , Regie: Petrus van der Let, Österreich 2005.

[143] 7 Abstract

Am 05. April 1933 ließ der Regisseur und Drehbuchautor Hermann Kosterlitz – vom Aufkommen des Nationalsozialismus angetrieben – Berlin hinter sich. Viele Jahre und eine Namensänderung später zog sich Hermann Kosterlitz alias Henry Koster im Jahr 1966 als erfolgreicher Hollywood-Regisseur ins Privatleben zurück. Doch bevor der jüdische Regisseur 1936 den Sprung über den großen Teich wagte, verweilte er rund drei Jahre in Europa. Paris, Budapest, Wien und Amsterdam hießen die Stationen seiner „europäischen Odyssee“. Kosterlitz‘ Weg durch Europa und letztendlich in die USA beruhte nicht auf Zufall, sondern war Ergebnis von gesellschaftlichen Entwicklungen und innereuropäischen Verknüpfungen. Der Begriff des „Unerwünscht-seins“ begleitete ihn – sei es als „jüdischer Regisseur“ in Deutschland, oder als „deutscher Regisseur“ in Frankreich. Oder als „jüdischer Regisseur aus Deutschland“, der Teil eines sogenannten „Unerwünschten Kinos“ in Budapest und Wien war. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Weg Hermann Kosterlitz‘ durch Europa sowie seinen filmischen Werdegang nachzuverfolgen und länderübergreifende filmische Prozesse sichtbar zu machen. Stilistische und narrative Entwicklungen entlang der transnationalen Bewegung stehen ebenso im Mittelpunkt wie die Analyse der ästhetischen Spezifik von Kosterlitz‘ Werken und die seinen Filmen gesellschaftspolitisch zukommende Signifikanz. Den vorherrschenden Produktionsbedingungen kommt ebenso große Bedeutung zu, wie der (film)geschichtlichen Aufarbeitung von Kosterlitz‘ Biografie sowie den Werken des Künstlers. Denn „Unerwünscht-Sein“ und „Fremd-sein“ spiegeln sich in Kosterlitz‘ filmischen Oeuvre wider, was zu einem Dialog zwischen den von Kosterlitz künstlerisch erschaffenen Lebensräumen und dessen „realer“ Umgebung führt.

[144] 8 Curriculum Vitae

Persönliche Daten

Name: Patrick ZWERGER Geburtsdatum: 06.04.1988 Geburtsort: Leoben

Ausbildung

2008 - 2015 Diplomstudium Theater-, Film- und Medienwissenschaft , Universität Wien

2010-2014 Bachelorstudium Geschichte Universität Wien

Studienjahr 2012/13 Zwei Auslandssemester (Erasmus) in Frankreich, Université Paris X Nanterre

2002-2007 Bundeshandelsakademie Eisenerz Schwerpunkt Informationstechnologie

Beruflicher Werdegang (Auszug) seit 2013 Redaktionsleitung, Chefredakteur des Festivalkatalogs und des Programmhefts sowie Koordination der LET’S CEE Master Classes, LET’S CEE Film Festival seit 2010 Filmkritiker, Kolumnist und Berlinale-Festivalberichterstatter beim Online-Kinomagazin UNCUT-Movies (uncut.at)

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