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Jahrbuch für Internationale Germanistik pen Jahrgang LII – Heft 2 | Peter Lang, Bern | S. 211–236

„Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ Die europäischen Filmexilanten und der Krieg im Pazifik (1941–1945)

Von Helmut G. Asper, Bielefeld

Der Überfall der Japaner auf Pearl Harbor und die darauf folgende Kriegs- erklärung der USA an Japan, Deutschland und Italien waren für die deutsch- sprachigen Exilanten besonders an der Westküste der USA ein tiefer Einschnitt und haben ihr Leben nachhaltig verändert. Wie sehr der emotionale Schock dieses Ereignisses die Emigranten damals getroffen hat, zeigt der Ausruf Vicki © 2020 Baums „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause.“ in ihren Erinne- rungen,1 die sie erst viel später, kurz vor ihrem Tod 1960 niedergeschrieben hat. Mit dem Kriegseintritt der USA veränderten sich in auch fast über Nacht die beruflichen Chancen der exilierten Filmschaffenden, denn jetzt hatten die europäischen Filmemigranten Konjunktur als Autoren, Regisseure und Berater vor allem in den zahlreichen Anti-Nazi-Filmen, in denen die Schau- spieler und Schauspielerinnen meist Nazis spielen mussten, und manchmal auch Widerstandskämpfer darstellen durften. Aber nicht nur das europäische Kriegstheater, auch der Überfall auf Pearl Harbor und der pazifische Kriegs- schauplatz haben Spuren in ihrem Leben und in ihrer Filmarbeit hinterlassen, sogar noch bis in die 1950er Jahre.

1. Zeit: Sunday, December 7, 1941, Ort: US Naval Academy, Annapolis

So ist der Höhepunkt in der Filmbiographie A Man Called Peter2 über den presbyterianischen Pastor Peter Marshall,3 der von dem emigrierten Regisseur

1 : Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Frankfurt a. M., 1962, S. 483. 2 Filmografische Daten zu allen erwähnten Filmen sind online einzusehen im American Film Institute Catalog (https://catalog.afi.com/Catalog/Showcase) und in der Internet Movie Database (https://www.imdb.com/). 3 Der presbyterianische Pastor Peter Marshall (1902–1949) war in Schottland geboren und emigrierte 1937 in die USA. 1946 wurde er zum Kaplan des US-Senats ernannt. Vorlage des Films ist die Biografie von Marshalls Frau Catherine Marshall: A Man Called Peter. The Story of Peter Marshall. New York, London, Toronto 1951.

© 2020 Helmut G. Asper - doi http://doi.org/10.3726/JA522_211 - Except where otherwise noted, content can be used under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 International license. For details go to http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ 212 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“

Henry Koster (1905–1988)4 1955 gedreht wurde, die Predigt von Peter Marshall vor den Kadetten der US-Marineakademie in Annapolis an jenem friedlichen Sonntagmorgen am 7. Dezember 1941. Der Film hält sich eng an die Biographie Marshalls, der tatsächlich in der Woche vor seiner Predigt „had the peculiar feeling that he was not supposed to preach the sermon he had planned. It seemed that God wanted him to preach a different message.“ berichtete Mar- shalls Sohn Peter: „Dad ended up preaching this sermon […] on death and how those who have a personal relationship with Christ need not fear it but can look forward to eternal life.“5 Seiner Intuition folgend predigte Marshall über einen Vers aus dem Brief des Jakobus: „For what is your life? It is even a vapor, that appeareth for a little time, and then vanisheth away.“6 und sprach zu den Kadetten „who in a few days would receive their commissions and go on active duty“ über „death and immortality“.7 Die Predigt wurde von Koster eindringlich inszeniert und von dem Schauspieler mit großer Intensität gesprochen. Mit knapp zehn Minuten ist sie ungewöhnlich lang für eine Filmsequenz, musste aber dennoch gegenüber dem Original gekürzt werden.8 Auf dem Heimweg gibt Marshall einem beurlaubten Kadetten einen lift, doch als sie im Autoradio die Nachricht hören, dass die Japaner Pearl Harbor bombardiert haben und die allgemeine Mobilmachung für Militär und Marine ausgerufen wird, wendet Marshall das Auto und fährt den Kadetten zu seiner Meldestelle. Die Sequenz erinnert nachdrücklich an den Schock, den die Emigranten genau wie alle Amerikaner an diesem Sonntag, dem 7. Dezember 1941 erlebt hatten, der friedlich und sonnig begonnen hatte: „On the Coast, it was the brightest, loveliest Sunday in ages“ schrieb der emigrierte Journalist und Dreh- buchautor Hans Kafka (1902–1974) am 19. Dezember 1941 in seiner Aufbau- Kolumne Hollywood calling – Hans Kafka Speaking, und er erinnerte an „two other sunny Sundays: the one in September 1939, and that vague childhood

4 Vgl. Helmut G. Asper: „I'm the only Jew, who goes regularly to church.” Die religiösen Filme von Hermann/(litz). In: Deutsch-jüdisches Exil: Das Ende der Assimi- lation? Identitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration. Hrsg. von Wolfgang Benz und Marion Neiss. Berlin 1994, S. 115–124. 5 The Wartime Sermons of Dr. Peter Marshall. Hrsg. von Rev. Peter J. Marshall. Dallas, Texas 2005, S. 39. 6 Rendezvous in Samarra. In: Wartime Sermons (wie Anm. 5), S. 41–56, hier S. 41. Der Titel spielt darauf an, dass alle Menschen dem Tod begegnen werden und bezieht sich auf eine persische Legende, die von W. S. Maugham in The Appointment in Samarra 1933 nacherzählt wurde. 7 Marshall: A Man Called Peter (wie Anm. 3), S. 231. 8 Auch der Text wurde verändert, die Filmpredigt ist eine Mischung aus der originalen Pearl Harbor-Predigt Rendezvous in Samarra und Marshalls Predigt Go Down Death, deren Botschaft dieselbe ist und die damals bereits publiziert war in Catherine Marshalls erfolgreicher Biographie, (wie Anm. 3), S. 265–277.

Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) Peter Lang Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ | 213 remembrance of another one in August 1914.“ 9 Denn für die Emigranten war klar, dass der japanische Überfall Krieg bedeutete, wie sich auch der Dreh- buchautor und Filmeditor Albrecht Joseph in seiner Autobiographie erinnerte:

Sonntagsvormittags hörten wir meist das Konzert des New York Philharmonic Orchestra im Radio. Am 7. Dezember 1941 wurde ein Brahms-Klavierkonzert vom Ansager unterbrochen: Die Japaner hatten Pearl Harbor bombardiert. Das war der Krieg, auf den wir lange gewartet hatten.10

2. „You cannot make peace with dictators“: Aufrufe zum Krieg in Exilfilmen vor Pearl Harbor

Der Kriegseintritt der USA wurde von den deutschen Emigranten einhellig und uneingeschränkt begrüßt, denn für sie war dieser Schritt schon lange überfällig gewesen. Sie waren davon überzeugt, dass damit die Niederlage Nazi-Deutschlands besiegelt war: „Die Kräfte von Amerika, wenn sie einmal auf dem Marsch sind, werden mit dem Nazi-Alpdruck auf Generationen aufräumen“ schrieb der 1941 nach Hollywood exilierte Regisseur Max Ophüls (1902–1957) an seine nach Argentinien geflüchtete Schwester Friedl.11 Regisseure und Autoren hatten mehrfach in ihren Filmen nicht nur eine eindeutige antifaschistische Position bezogen, sondern auch eine aktive Kriegs- teilnahme der USA gefordert. In dem historischen Film That Hamilton Woman, den der ungarisch-jüdische Filmproduzent und -regisseur (1893–1956)12 1940 nach einem Drehbuch des aus Österreich emigrierten Autors Walter Reisch (1903–1983)13 inszenierte, ist die Parallele zu Hitlers falschen Versprechungen, die Absage an die Politik des Appeasements und der Aufruf zum Krieg nicht zu überhören, wenn Laurence Olivier als Lord Nelson das englische Kabinett in einer flammenden Rede beschwört, Napoleons Friedens- versprechungen nicht zu trauen:

9 Hans Kafka: Hollywood in Wartime. In: Aufbau Nr. 51, 19. 12. 1941, S. 7. Neu abgedruckt in: Hans Kafka: Hollywood Calling. Die Aufbau-Kolumne zum Film-Exil. Ausgewählt und eingeführt von Roland Jaeger. Hamburg 2002, S. 51. 10 Albrecht Joseph: Ein Tisch bei Romanoff’s. Vom expressionistischen Theater zur - serie. Erinnerungen. Mönchengladbach 1991, S. 220. 11 Zit. nach: Helmut G. Asper: Max Ophüls. Eine Biographie mit zahlreichen Dokumenten, Texten und Bildern. Berlin 1998, S. 455. 12 Vgl. Karol Kulik: Alexander Korda. The Man Who Could Work Miracles. London 1990, S. 245ff. 13 Vgl. Rudolf Ulrich: Österreicher in Hollywood. [2. erw. Aufl.] Wien 2004, S. 400–403.

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Gentlemen, you will never make peace with Napoleon [...] Napoleon cannot be master of the world until he has smashed us up, and believe me, gentlemen, he means to be master of the world! You cannot make peace with dictators. You have to destroy them–-wipe them out!14

Auch der Regisseur (1890–1976) plädierte schon Anfang 1941 in seinem ersten Anti-Nazi-Film Man Hunt für den Kriegseintritt Amerikas. Am Verhalten des individualistischen englischen Sportjägers Thorndike, der aus sporting talk mit einem nicht-geladenen Gewehr auf Hitler zielt und dabei von der SS entdeckt, verhaftet und gefoltert wird, kritisiert Lang die Appease- ment-Politik, die verantwortlich ist für die Bedrohung der demokratischen Staaten von innen durch eine 5. Kolonne und von außen durch den Krieg, in dem die Demokratien um ihr Überleben kämpfen müssen. In der Schlussse- quenz sind Aufnahmen der Bombardierung Englands zusammengeschnitten mit dem Fallschirmabsprung Thorndikes über Nazi-Deutschland, der nun als britischer Soldat mit geladenem Gewehr Jagd auf Hitler macht: ein eindeutiger Appell an die amerikanische Öffentlichkeit, England in diesem Kampf aktiv zu unterstützen. Bei der Premiere von Man Hunt im Juni 1941 sorgte Lang sich „is it enough I should put in here a thing against Hitler, is that the way I can do it?“ und forderte nachdrücklich Amerikas Kriegseintritt: „He is for war now, war anyway, for fighting and defeating“ zitierte ihn der Filmkritiker Otis Ferguson in einem Interview.15 Der Ruf nach dem Kriegseintritt Amerikas im Spielfilm wurde allerdings 1941 noch wegen des angeblichen Verstoßes gegen die offizielle Neutralitäts- politik der US-Regierung als unerlaubte Propaganda und Kriegshetze kritisiert. Die isolationistischen – und auch antisemitischen – Senatoren Nye und Clark forderten eine Untersuchung und initiierten einen Unterausschuss des Senats wegen verbotener Propaganda im Spielfilm. Zahlreichen Filmen und ihren Machern – darunter Kordas That Hamilton Woman – wurde vorgeworfen, sie schürten eine Kriegshysterie und wollten die USA in einen Krieg treiben. Erst nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor und die darauf folgende Kriegserklärung im Dezember 1941 stellte dieser Ausschuss seine Tätigkeit ein – wurde aber nach Kriegsende wiederbelebt und kann als Vorläufer der berüchtigten HUAC-Verhöre gelten.16

14 Zit. nach der VHS-Edition des Films. 15 Otis Ferguson: Behind the Camera: Lang. / Fritz Lang, Continued. In: The New Republic v. 30. Juni 1941 und 7. Juli 1941. Zit. nach dem Neuabdruck in: The Film Criticism of Otis Ferguson. Edited and with a Preface by Robert Wilson. Philadelphia 1971, S. 374–378, hier S. 377. 16 Vgl. Michael E. Birdwell: Das andere Hollywood der dreißiger Jahre. Die Kampagne der Warner Bros. gegen die Nazis. Hamburg, Wien 2000, S. 207ff.

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3. „Sprich nicht Deutsch auf der Straße“: Von refugees und enemy aliens

Der Kriegseintritt der USA veränderte das Leben der Emigranten von heute auf morgen radikal, der Aufbau warnte alle Emigranten „Sprich nicht Deutsch auf der Straße“, und empfahl, immer die „Registration Card mit sich [zu] führen.“17 Denn die deutschen Emigranten wurden wie schon zuvor in Frankreich und Großbritannien jetzt in den USA zu enemy aliens erklärt und mussten sich vom FBI registrieren lassen: „wir sind, da deutscher abstammung, enemy aliens“ notierte Bertolt Brecht (1898–1956) am 26.2.1942 in seinem Arbeitsjournal „und [es] besteht die befürchtung, daß wir von der küste weg müssen, wenn man nicht für hitlers feinde eine ausnahme macht.“18 Die Angst der Amerikaner vor einer Invasion der Japaner an der Westküste führte zu einer panikartigen Stimmung in der Bevölkerung und die US-Regierung er- griff zahlreiche Schutzmaßnahmen. Die „Japaner in [wurden] in einer hysterischen Überreaktion zusammengetrieben und interniert“ erinnerte sich der Regisseur (1906–2002).19 Aber nicht nur „die japanischen fischer und gärtner“20 wurden verhaftet und interniert, ihr Schicksal teilten auch „Tausende von Deutschen und anderen Ausländern, unter ihnen Frauen und Kinder, die in Bundesgefängnissen zum Teil bis über das Kriegsende hinaus interniert waren.“21 Der emigrierte Theaterregisseur und Schauspieler Walter Wicclair (1901–1992) schilderte in seinen Memoiren ausführlich die prekäre Situation:

Allein an der Westküste hatten sich zehntausend Staatenlose aus Deutschland niedergelassen. Für die aufgeschreckten Amerikaner war es gewiss schwierig, die schwarzen von den weißen Schafen, das heißt die feindlichen von den freundlichen Ausländern zu trennen. [...] Da die Amerikaner mit der Evakuie- rung der Japaner Ernst gemacht hatten, zweifelte niemand an der gefährlichen Situation für die deutschen Emigranten.22

Der Aufbau stellte sich voll hinter die Maßnahmen der Regierung und beruhigte die verunsicherten Emigranten mit der Mitteilung, dass sich bis Ende Dezember

17 An Alle! Wichtige Mitteilungen für die Leser des ‚Aufbau‘. In: Aufbau, Bd.VII, Nr. 50 v. 12. 12. 1941, S. 3. 18 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. Bd. 1: 1938 bis 1942. Hrsg. von Werner Hecht. Frankfurt a. M. 1974, S. 264. 19 Billy Wilder. Eine Nahaufnahme von Hellmuth Karasek. Aktualisierte u. erweiterte Fassung. München 1992, S. 221. 20 Brecht, Arbeitsjournal (wie Anm. 18), S. 264. 21 Arnold Krammer: Feinde ohne Uniform. Deutsche Zivilinternierte in den USA während des Zweiten Weltkriegs. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jg. 44 (1996), H. 4, S. 581–603, hier S. 581. 22 Walter Wicclair: Von Kreuzburg bis Hollywood. Berlin 1975, S. 163.

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„nur ganz wenige Refugees“ unter den bisher 1002 inhaftierten Deutschen befänden.23 Tatsächlich wurden auch zwei Filmemigranten verhaftet, der Regisseur und Cutter Carl Junghans (1897–1984) und der Schriftsteller und Drehbuch- autor Karl Vollmöller (1878–1948), beide auf Grund von Denunziationen anderer Emigranten, an denen sich auch der Aufbau beteiligte. Hans Kafka denunzierte Junghans in seiner Kolumne Hollywood Calling fälschlich „as Leni Riefenstahl’s former assistant in the taking of Reichsparteitag pictures in Nuremberg“,24 und Vollmöller wurde in dem zunächst anonym erschienenen Beitrag „Zwischen zwei Stühlen. Zur Verhaftung Karl Vollmoellers“25 als Sym- pathisant und Nutznießer von Nazi-Deutschland ebenso fälschlich denunziert, offenbar aus Neid auf den durch seine Fabrik in Deutschland sehr wohlhabenden Schriftsteller. Beide Emigranten wurden erst nach über einem Jahr entlassen, da überhaupt nichts gegen sie vorlag, doch auf Grund der Denunziationen konnte Carl Junghans, der immer ein Außenseiter des Filmbetriebs in Deutschland ge- wesen war, in den Hollywood-Studios keine Arbeit mehr finden. Er schlug sich als Gärtner unter anderem bei Brecht und dem Regisseur durch und betätigte sich später als Fotograf.26 Noch übler erging es in den verschie- denen Lagern dem schwerkranken Vollmöller, dessen Verhaftung auf einem „hämischen, bösen Irrtum“ beruhte, wie Vollmöllers langjährige Freundin, Ruth Landshoff-Yorck schrieb.27 Als der Schriftsteller nach über einem Jahr Haft mit Hilfe eines Anwalts im Februar 1943 seine Entlassung erreichte, war er nach „der brutalen Haft in kalifornischen Gefängnissen […] gesundheitlich und seelisch gebrochen“ wie Carl Zuckmayer in seiner Autobiographie schrieb.28

23 Die Verhaftung von Fremden. Nur ein geringer Bruchteil von ‚axis aliens‘ betroffen. – Jede Beunruhigung unnötig. In: Aufbau, Bd. VII, Nr. 51 v. 19.12.1941, S. 1f. 24 Kafka, Hollywood in Wartime (wie Anm. 9), S. 51. 25 Aufbau, Bd. VIII, Nr. 3 v. 16.1.1942, S. 11f. Auf diesen widerlichen Artikel hin erhielt die Zeitung offenbar mehrere kritische Zuschriften und die Redaktion sah sich genötigt, in Nr. 6 v. 6.2.1942, S. 16, unter der Überschrift „Zum Fall Vollmöller“ eine Gegendarstellung wiederzugeben von Rudolf Kommer (1886–1943), dem langjährigen Geschäftspartner von , der sich ebenfalls für Vollmöller einsetzte. Auf derselben Seite wird in der Rubrik „West Coast-Briefkasten“ geantwortet auf einen nicht-veröffentlichten Leserbrief eines J.R. aus Los Angeles. Darin wird als Autor des Beitrags der emigrierte Journalist Ralph M. Nunberg (d.i. Ralph Nürnberg 1903–1949) genannt, jedoch jede Absicht von Denunziation zurückgewiesen, die offenbar J.R. in seinem Brief kritisiert hatte. Zudem werden in der Antwort die „sehr gut informierten amerikanischen Behörden“ gelobt und damit erneut unterstellt, dass die Verhaftung Vollmöllers gerechtfertigt gewesen sei. 26 Zu Carl Junghans‘ Biographie und Verhaftung vgl. Jan Kripac: Carl Junghans. (https:// www.filmovyprehled.cz/en/revue/detail/carl-junghans-2) 27 Ruth Landshoff-Yorck: Klatsch, Ruhm und kleine Feuer. Biographische Impressionen. Köln, Berlin 1963, S. 227. 28 Carl Zuckmayer: Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt a. M. 1967, S. 532f.

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Die Gründe der beiden Verhaftungen sind bisher nur ungenügend erforscht29 und können auch in diesem Rahmen nicht ausführlich erörtert werden. Wahrscheinlich lässt sich nicht mehr klären, wer Junghans und Vollmöller denunziert hat, denn in den FBI-Akten, die allein darüber Aufschluss geben könnten, werden bekanntermaßen die Namen der Informanten geschwärzt30 und dadurch wird für die Forschung nicht mehr sichtbar, in welchem Umfang und aus welchen Beweggründen Emigranten sich als Zuträger des FBI betätigten.

4. „Sorrow Comes to the West Coast“31: Blackouts und Curfew

Immerhin blieb es bei diesen Einzelfällen, doch wurde im März 1942 für die Westküste der „militärische Ausnahmezustand“32 ausgerufen und für alle Emi- granten bzw. für alle Deutschen ohne US-Pass, eine Ausgangssperre verfügt, der curfew, über den sich Salka Viertel noch in ihren Memoiren verwunderte: „Strangely enough, there was no curfew in the East, where the ‚Bund‘ and the ‚Silver Shirts‘ had an impressively large membership of racists and pro-Nazis of German origin.“33 Zwischen 8 Uhr abends und 5 Uhr morgens durfte niemand sein Haus oder seine Wohnung verlassen und tagsüber durfte man sich nicht weiter als fünf Meilen von seinem Wohnsitz entfernen – eine Maßnahme, die für den Alltag und die Berufsausübung vieler Emigranten in Los Angeles wegen der enormen Ausdehnung der Stadt zum Problem wurde. Viele verloren durch den curfew sogar ihre Arbeit und besonders für die in den oft meilenweit entfernten Filmstudios beschäftigten Exilanten bedeutete der curfew eine erhebliche Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Trotz der vielfach geäußerten Kritik haben jedoch „most refugees goodnaturedly ac- cepted the restriction of their liberty“34, erinnerte sich Salka Viertel, und alle atmeten auf, als die Ausgangssperre im Januar 1943 wieder aufgehoben wurde.35

29 Auch Regina Weber (Karl Gustav Vollmoeller. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 3: USA, Teil 4. Hrsg. von John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra Haw- rylchak. Zürich, München 2003, S. 273–305) und Frederik D. Tunnat (Karl Vollmoeller. Dichter und Kulturmanager. Eine Biographie. Hamburg 2008) können trotz ausführlicher Beschäftigung die Gründe für die Verhaftung Vollmöllers nicht aufklären. 30 Vgl. Alexander Stephan: Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste. , Weimar 2003, besonders S. 515ff. 31 Sorrow Comes to the West Coast. The Curfew Regulations and Their Consequences. In: Aufbau, Bd. VIII, Nr. 14 v. 3. April 1942, S. 17. 32 Meldung von der Westküste: Unter militärischem Ausnahmezustand. Curfew und 5- Meilen-Zone für Refugees. In: Aufbau, Bd. VIII, Nr. 13 v. 27. März 1942, S. 1 33 Salka Viertel: The Kindness of Strangers. New York, , 1969, S. 261. 34 Viertel, The Kindness of Strangers (wie Anm. 33), S. 261. 35 Curfew Law Ended on West Coast for German Aliens. In: Aufbau, Bd. IX, Nr. 2 v. 8.1.1943, S. 13.

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Zudem waren die Exilanten wie alle Amerikaner auch von zahlreichen weiteren Einschränkungen des täglichen Lebens und den Rationierungen betroffen. „Es gab Karten für Lebensmittel und anderes, besonders Benzin“, erinnerte sich Albrecht Joseph,36 der mit seiner Frau Lella Simone umziehen musste, weil ihre Wohnung in Beverly Hills zu weit weg war vom MGM-Studio, in dessen Musikdepartment Lella Simone fest angestellt war. „Das Autofahren war nicht mehr so einfach“, erinnerte sich auch Gina Kaus:

Benzin war rationiert, Gummi für neue Reifen war knapp, wenn einer platzte, war es eine rechte Schererei. War der Wagen nicht mehr zu reparieren, musste man einen anderen kaufen, der bereits repariert war. Neue gab es nicht.37

Wegen der Benzinknappheit zogen auch Vicki Baum (1888–1960) und ihr Mann, der Dirigent Richard Lert (1885–1980) von Pacific Palisades nach Pasadena, wo Lert das Symphonieorchester leitete und der Komponist (1887–1964) konnte sich nicht mehr zum Komponieren in sein Refugium „Villa Majestic“ am Coral Beach zurückziehen, weil es 13 Meilen entfernt lag von seinem Haus in Pacific Palisades.38 Aber trotz all dieser Einschränkungen und Probleme standen die Emi- granten von Anfang an fest zur Roosevelt-Regierung und dem Kampf gegen Nazi-Deutschland und gegen Japan. Der Aufbau gelobte gleich in der Ausgabe vom 12. Dezember 1941 Loyalität für die gesamte „junge Immigration, die in den letzten Jahren Asyl und Heimat unter dem Sternenbanner fand“ und ver- sprach „Durch Dick und Dünn für die Verteidigung Amerikas zu gehen.“39 Die Zeitung rief die Emigranten dazu auf, Blut zu spenden, beim civilian defense mitzuarbeiten und Geld für die Kriegskosten zu sammeln. 48.500 Dollar kamen zusammen, für die im März 1943 das Kampfflugzeug P-40 gekauft wurde, das Elisabeth Bergner an einem groß inszenierten Loyalty Day auf dem La Guardia Flughafen in New York auf den Namen Loyalty taufte und der Air Force übergab.40

36 Joseph, Ein Tisch bei Romanoff’s (wie Anm. 10), S. 220f. Die damals mit Joseph ver- heiratet Lella Simone (geb. Magdalene Lella Saenger, 1907–1991) arbeitete seit 1937 im MGM-Studioorchester als Pianistin Außerdem gab sie Gesangs- und Klavierunterricht und war auch als music editor bis 1958 im MGM-Music Department tätig. 37 Gina Kaus: Und was für ein Leben … mit Liebe, Literatur, Theater und Film. Hamburg 1979, S. 258. 38 Thomas Blubacher: Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades und Umgebung. München 2011, S. 103. 39 In dieser historischen Stunde. In: Aufbau, Bd. VII, Nr. 50 v. 12. 12. 1941, S. 2. 40 Im Aufbau, Bd. IX, Nr. 13 v. 26. 3. 1943 sind die Seiten 16 und 17 Berichten, Reden und Fotos vom Loyalty Day gewidmet.

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Der Krieg gegen Japan beschäftigte vor allem die Emigranten an der Westküste, denn die japanische Marine und Luftwaffe waren im pazifischen Raum zunächst den Amerikanern überlegen, weshalb es zahlreiche blackouts (Stromsperren) gab und auch Verdunkelung angeordnet wurde: „blackout an der ganzen kalifornischen küste. japanische landungen auf den philippinen, in der nähe davon eine seeschlacht. gerüchte, daß zwei amerikanische schlachtschiffe versenkt sind“, notierte Brecht im Arbeitsjournal am 10. Dezember 1941.41 Deshalb engagierten sich viele Emigranten an der Heimatfront. Walter Wicclair meldete sich freiwillig zur State Guard, die wichtige öffentliche Einrichtungen und mögliche Landungsziele der Japaner schützte. Er bewachte mit seiner Einheit den nördlich von Santa Monica gelegenen To- panga Canyon: „Ohne Zweifel war die Westküste akut gefährdet“, schrieb er in seinen Erinnerungen: „Bei ausreichender technischer Ausrüstung wäre es den Japanern möglich gewesen, die Küste ohne einen Schuss zu besetzen.“42 Schon vor Pearl Harbor hatten die emigrierten Filmautoren Franz Schulz- Spencer (1897–1971) und (1902–2000) in dem Kriminalfilm für die Mitarbeit im civilian defense geworben. Der eigent- lichen Kriminalhandlung – bei einem blackout-Probealarm geschieht ein Mord – geht eine längere Eingangssequenz voraus, in der die Aufgaben und vor allem die Notwendigkeit des civilian defense dargestellt werden. In einer Bürgerversammlung wird für die aktive Teilnahme geworben und ein Redner, der später als der Mörder entlarvt wird, betont, dass man hier in Kalifornien aus den Erfahrungen der Briten bei den deutschen Luftangriffen auf London gelernt habe. Nach Kriegsbeginn war der Autor Curt Siodmak selbst in seinem Wohnviertel als air raid warden and fire watcher unterwegs, wie er sich in seiner Autobiographie erinnerte:

Seit ein einsames japanisches U-Boot ein paar Granaten in ein kleines Kraft- werk bei Santa Barbara gefeuert hatte, [...] bereitete Kalifornien sich auf eine Invasion vor, die natürlich nie stattfand. Ich vermute als Luftschutzwart war ich nicht sonderlich geeignet, da mein deutscher Akzent den Leuten Angst machte. Sie mussten glauben, die Teutonen wären bereits gelandet. 43

Einen freilich nicht ganz ernsten Zwischenfall löste der Regisseur (1892–1947) aus, der im noblen Bel Air als air raid warden die Nach- barn ermahnen musste, am Abend das Licht auszuknipsen und die Jalousien zu schließen. Lubitschs Nachbar, der Drehbuchautor Walter Reisch, hatte eines Abends,

41 Brecht, Arbeitsjournal (wie Anm. 18), S. 238. 42 Wicclair, Von Kreuzburg bis Hollywood (wie Anm. 22), S. 161. 43 Siodmak: Unter Wolfsmenschen. Bd. 2: Amerika. Bonn 1997, S. 93.

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forgotten to close his blackout curtains and Ernst Lubitsch, the air raid war- den, called, in that accent of his ‚Walter – your lights! You have forgotten‘ and Reisch replied ‚Ach, yes, was gibt?‘ and Mervyn LeRoy, hearing this, yelled from his window: ‚German paratroopers have taken over!‘44

Zahlreiche Filmemigranten meldeten sich freiwillig als air raid warden in ihren jeweiligen Wohnbezirken, darunter auch der Komponist Friedrich Holländer, der Schauspieler Ernst Verebes und Albrecht Joseph, die vor Dienstantritt von Polizeisergeanten in der Hollywood High School über ihre Aufgaben unter- richtet wurden, wie Joseph berichtete. Bei seinem Dienst schlief er „eine Nacht in der Woche in meinem Wagen vor dem Haus, das nennen sie hier patrol dienst“, schrieb er mit ironischem Unterton seinem Freund Carl Zuckmayer (1896–1977) im entfernten Vermont.45

5. War Time Comedies: Filme von Koster, Wilder und Jackson

Weil die meisten Filmemigranten den Krieg an der amerikanischen Heimatfront erlebten, überrascht es nicht, dass die Auswirkungen besonders des Pazifik- Kriegs auf das Leben an der Westküste in einigen ihrer Filme thematisiert wurden. Der Krieg beförderte nicht nur die Genres Kriegs-Anti-Nazi- oder Spionagefilme, sondern drängte sich auch in Familienfilme, Komödien und Romanzen, und mehrere Filme emigrierter Filmemacher gehören zum Sub- Genre der wartime romantic comedy. Henry Koster plante schon Anfang 1943 einen Film über die mensch- lichen Konflikte eines Frauenorchesters im Krieg, doch das Universal Studio, bei dem Koster unter Vertrag war, lehnte das Projekt ab, das Koster deshalb erst 1944 bei MGM verwirklichen konnte. Das comedy-drama schildert, wie die Frauen zunehmend die Männer ersetzen müssen, die in dem immer länger dauernden Krieg eingezogen werden und an der Front kämpfen. Der Film changiert zwischen Komödie und Melodram, und zeigt ganz realistisch die Ängste der Frauen um ihre Männer, die in der Air Force oder der Navy Dienst im Pazifik tun. In dem Sinfonie-Orchester, das auch bei der Truppenbetreuung mitwirkt und Konzerte für Soldaten gibt, spielen anfangs Frauen und Männer gemeinsam, aber nach und nach übernehmen die Frauen sämtliche Positionen, weil alle männlichen Musiker zum Kriegsdienst

44 Anthony Slide(ed.): „It’s the Pictures That Got Small“. on Billy Wilder and Hollywood’s Golden Age. New York 2015, S. 169. 45 Brief von A. Joseph an C. Zuckmayer v. 23.12.1941. In: Carl Zukmayer / Albrecht Joseph. Briefwechsel 1922–1972. Hrsg. von Gunther Nickel. Göttingen 2007, S. 344.

Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) Peter Lang Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ | 221 eingezogen wurden und zum Schluss steht der Dirigent als einziger Mann vor einem kompletten Frauenorchester.46 Auch Joe, der Mann der Musikerin Babs Ainsworth, kämpft als Pilot im Pazifik und seine schwangere Frau ist besorgt, weil sie schon mehrere Monate ohne Nachricht von ihm ist. Als das War Department ihren Mann als ver- misst meldet, verheimlichen die Kolleginnen ihr die Nachricht wegen ihrer Schwangerschaft. Erst nach mehreren Monaten – die Filmhandlung umfasst etwa sechs Monate – kommt es zu einem Hollywood happy end, der auf einer Insel gestrandete Joe ist wieder bei seiner Einheit und Babs hat einen gesun- den Jungen geboren. Aber von diesem happy end abgesehen, schildert Koster die gesellschaftlichen Veränderungen die der Krieg verursachte, durchaus realistisch, z. B. die große Präsenz des Militärs im öffentlichen Leben und er verschweigt auch nicht, welche Opfer die Frauen bringen mussten. Koster griff dieses Thema 1955 nochmals auf in seinem schon erwähnten Film A Man Called Peter. Im Anschluss an die Predigt-Sequenz schildert Kos- ter, wie Peter Marshall sich während des Krieges um die Soldaten kümmert. Er betreut verwundete Soldaten in Krankenhäusern und eröffnet in seiner Kirche in Washington eine canteen zur Erholung und Unterhaltung der Soldaten. Als eine Dame des konservativen Kirchenvorstands in einem Kirchenraum zufällig einen Matrosen mit einem Mädchen in enger Umarmung erwischt und darauf- hin die Schließung der canteen verlangt, klärt Marshall sie auf, dass er das Paar am Abend getraut hatte und dass die beiden in diesem Zimmer die zwei Stunden honeymoon verbracht haben, die ihnen blieben, bevor der Matrose an die Front musste. Das Thema der Kriegsheirat beschäftigte auch Billy Wilder (1906–2002) 1942 in seinem Hollywood Regie-Erstling . Die klassische wartime romantic comedy war bereits Wilders dritter Filmbei- trag zum Krieg. Mit seinem Co-Autor Charles Brackett hatte er 1940 mit der Kriegskomödie Arise, my Love einen der ersten Hollywoodfilme über den Krieg in Europa geschrieben und 1941 das Drehbuch zu Hold Back the Dawn. Diese Liebesromanze spielt in einem kleinen mexikanischen Grenzort, in dem europäische Kriegsflüchtlinge gestrandet sind, die auf ihr Einreisevisum in die USA warten und warten und warten. The Major and the Minor spielt zum größten Teil im militärischen Milieu, nämlich in einer Kadettenschule. Dort ist der titelgebende Major Kirby Ins- trukteur, der aber unbedingt wieder in den aktiven Dienst und an die Front versetzt werden will. Die in ihn verliebte Susan Applegate, die ihm lange Zeit den minor, nämlich eine angeblich Zwölfjährige, vorspielt, qualifiziert sich

46 Koster wollte den Film ursprünglich One Hundred Girls and a Man nennen, in Umkehrung seines erfolgreichen Durbin-Musikfilms One Hundred Men and a Girl. Vgl. Helmut G. Asper: Filmexilanten im Universal Studio 1933–1960. Berlin 2005, S. 75f.

Peter Lang Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) 222 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ als die richtige Ehefrau für ihn, weil sie seinen Wunsch unterstützt, während Kirbys ursprüngliche Verlobte Pamela sich als Ehefrau disqualifiziert, denn sie versucht seine Rückkehr in den aktiven Dienst aus egoistischen Gründen zu vereiteln. Aber Susan lässt ihre Intrige platzen und nachdem sie Kirby über ihre wahre Identität aufgeklärt hat, fahren beide schließlich gemeinsam nach San Diego und werden unterwegs heiraten, bevor Kirby sich bei seiner Truppe meldet und an die Front geht – und sie wird als tapfere Soldatenfrau auf seine Rückkehr aus dem Krieg warten. Wilders Haltung zu Krieg und Militär ist durchaus ambivalent: Einerseits spottet er über die Kadettenschule und die militärische Erziehung, andererseits wird der Wunsch des Majors, wieder an der Front im Pazifik eingesetzt zu werden und Susans Hilfe, als patriotische Pflicht uneingeschränkt positiv dargestellt. Der kriegswichtige Beitrag der Frauen in der Rüstungsindustrie aber auch ihr Leiden am Krieg und seinen Folgen bilden den ernsten Hintergrund von Hers to Hold. Der emigrierte Autor und Produzent Felix Jackson (1902–1992)47 produzierte diese romantic wartime comedy 1943 mit seiner damaligen Frau, Universals Top-Star (1921–2013) in der Hauptrolle. Sie schlüpft darin zum dritten und letzten Mal in die Rolle der nun erwachsenen Penny Craig, mit der ihre Karriere 1936 in unter der Regie von Henry Koster begonnen hatte, von dem Ausschnitte im Film als fiktiver privater Familienfilm vorgeführt werden. Ursprünglich sollteHers To Hold deshalb auch Three Smart Girls Join Up heißen und schon im Titel auf die kriegswichtige Arbeit der Frauen hinweisen. Die aus wohlhabender Familie stammende und verwöhnte Penny Craig – ein it girl würde man heute sagen – spendet zu Beginn Blut für das Rote Kreuz: „During filming of the Red Cross Blood Bank sequence of the picture, Deanna actually contributed a pint of her blood, utilizing the Red Cross mobile unit for this purpose“,48 hieß es in einer Produktionsmitteilung der Universal, um Durbins patriotische Haltung zu unterstreichen.49 Bei ihrer Blutspende lernt sie den Piloten Bill kennen, in den sie sich verliebt und der bis zu seiner Einberufung bei Vega Aircraft arbeitet. Zunächst um ihm nahe zu sein, meldet sich auch Penny als Freiwillige bei Vega Aircraft für die Produktion von Kriegsflugzeugen, was dem Film Gelegenheit gibt, die auf Hochtouren laufende Kriegsproduktion der Kampfflugzeuge eindrucksvoll in Szene zu setzen.

47 Felix Jackson (eigentlich Felix Joachimson) war beim Universal Studio seit 1937 zunächst als Drehbuchautor, dann als Produzent tätig. Vgl. Asper, Filmexilanten (wie Anm. 46), S. 165–186. 48 Zit. nach Asper, Filmexilanten (wie Anm. 46), S. 167. 49 Tatsächlich ist Deanna Durbin bereits Anfang der 1940er Jahre in dem Red Cross-Werbe- film A Friend Indeed aufgetreten.

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Die Fabrikszenen wurden in den Hallen von Vega Aircraft und Lockheed an mehreren Sonntagen gedreht „so as not to interfere with the production of war planes“, wie Universals Presseabteilung versicherte.50 Auch wenn Durbin in der Pause mit dem firmeneigenen Orchester für die Belegschaft singt – unter anderem den Song aus dem Ersten Weltkrieg Say A Prayer for the Boys Over There, der dem Film eine Oscar-Nominierung einbrachte – zeigt der Film, dass der Krieg Opfer fordert: der Mann der Arbeiterin Hannah Gordon wird mit seinem Flugzeug über dem Pazifik abgeschossen, seine Frau bricht bei der Nachricht zusammen und auch Bill und Penny erschüttert dieses Erlebnis. Penny bittet ihren einflussreichen Vater, dafür zu sorgen, dass Bill nicht an die Front muss, aber dieser erinnert sie an seinen Dienst im Ersten Weltkrieg und die tapfere Haltung seiner Frau damals – und Penny begreift, dass auch sie ihre Pflicht tun muss. Währenddessen will Bill sogar die Beziehung zu Penny been- den, obwohl er sie aufrichtig liebt, denn er will keine Hannah zurücklassen, die um ihn trauern muss. Aber das Liebespaar versöhnt sich kurz vor Bills Abflug an die Front auf dem Flugplatz und findet über die romantische Liebe hinaus zu einer neuen, gleichberechtigten Partnerschaft und zum gemeinsamen Einsatz für den Krieg: Bill kämpft an der Front und Penny arbeitet in der Fabrik: „I’ll build them, you fly them“,51 verspricht sie ihm beim Abschied. Hers To Hold war nicht nur einer der geschäftlich erfolgreichsten Filme des Jahres 1943, in einer Pressemitteilung stellte Universal vor allem die patriotische Wirkung des Films heraus, denn Durbins vorbildlicher Einsatz als „war worker in the picture inspired hundreds of her fans to seek similar defense jobs. More than half of them never had worked before.“52

6. Kriegsdienst im Pazifik

Ihren Patriotismus und Loyalität zu ihrer neuen Heimat stellten auch viele, vor allem jüngere Emigranten unter Beweis, indem sie sich freiwillig zum Dienst in der Armee meldeten. Die meisten von ihnen wurden wegen ihrer Sprachkenntnisse in Europa gebraucht, aber es gab auch Ausnahmen: Otto Kaus (1920–1996), der älteste Sohn der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Gina Kaus, war erst in Australien, dann auf den Philippinen stationiert;53 Harold Nebenzal (1922–2019),54 Sohn des Filmproduzenten ,

50 Zit. nach Asper, Filmexilanten (wie Anm. 46), S. 167. 51 Zit. nach der DVD-Edition des Films. 52 Zit. nach Asper, Filmexilanten (wie Anm. 46), S. 168. 53 Kaus, Und was für ein Leben (wie Anm. 37), S. 257f. 54 Harold Nebenzal war nach dem Krieg selbst als Filmproduzent, Drehbuchautor und Schrift- steller tätig.

Peter Lang Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) 224 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ diente im Marine Corps im Pazifik und wurde wegen seiner Sprachkenntnisse als Dolmetscher für Japanisch eingesetzt. Auch der zwei Jahre ältere Peter Viertel (1920–2007), der bereits am Anfang seiner Karriere als Schrift- steller und Drehbuchautor stand, war 1943 ein Jahr lang als Marine im Pazifik. Auf Guadalcanal sah er die Wracks japanischer Schiffe, Zeugnisse des Schei- tern des letzten japanischen Landungsunternehmens, und auf „Efate, a small island in the New Hebrides where I had helped film a documentary about the evacuation of Navy and Marine Corps wounded“,55 schrieb er in seinen Erinnerungen. Der etwas jüngere Marcel Ophüls, Jahrgang 1927, Sohn des Regisseurs Max Ophüls, wurde erst nach Beendigung des Kriegs eingezogen und kam 1945 als GI für sechs Monate nach Tokyo, das damals einem „Ruinenfeld“ glich, wie Ophüls sich erinnerte. Bei seiner Ankunft im Hafen von Yokohama sah er schockiert „wie sich die amerikanischen Soldaten einen Spaß daraus [machten], eine Zigarette nach der anderen ins Meer zu werfen und den Ja- panern dabei zuzuschauen wie sie ihnen hinterher tauchten und sie wieder herausholten.“56

7. Why We Fight: Propagandaarbeit für Rundfunk und Film

Max Ophüls, der 1933 nach Frankreich emigriert und 1938 französischer Staatsbürger geworden war, hatte zu Beginn des Krieges 1939/40 in der französischen Armee als Soldat gedient und für Radiodiffusion Française antifaschistische Rundfunksendungen geschrieben. Sein berühmtes „Schlaf- lied für Hitler“ war sogar in den USA von Times, Variety und dem Aufbau veröffentlicht worden.57 Nun half er im Frühjahr 1942 in New York das deutsche Radioprogramm des Propagandasenders Voice of America aufzubauen, das über Kurzwellensender nach Deutschland ausgestrahlt wurde und den Deutschen die Wahrheit über die Kriegsereignisse vermitteln sollte.58 Auch im Signal Corps der amerikanischen Armee waren mehrere Film- emigranten tätig, die mitarbeiteten an den Instruktions- und Propaganda- filmen für die Soldaten. Der Produzent und Regisseur Gottfried Reinhardt (1913–1994) drehte Lehrfilme für das Sanitätscorps59 und gemeinsam mit

55 Peter Viertel: Dangerous Friends. Hemingway, Huston and Others. London, New York 1992, S. 104f. 56 Marcel Ophüls: Meines Vaters Sohn. Erinnerungen. Berlin 2015, S. 95. 57 Asper, Max Ophüls (wie Anm. 8), S. 390. 58 Asper, Max Ophüls (wie Anm. 8), S. 456–459. 59 Gottfried Reinhardt: Der Apfel fiel vom Stamm. Anekdoten und andere Wahrheiten aus meinem Leben. München 1992, S. 406ff.

Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) Peter Lang Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ | 225 dem Regisseur (1902–1974)60 vollendete er den Film Here Is , der ursprünglich Know Your Enemy: Germany heißen sollte. Produziert wurde der Film vom Filmregisseur Frank Capra (1897–1991), der kurz nach Pearl Harbor vom Generalstabschef George C. Marshall beauftragt wurde, „factual-information films“ zu drehen, die den Soldaten erklären sollten, „why we are fighting, and the principles for which we are fighting.“61 Colonel Capra produzierte mit seiner Einheit die berühmte „Why We Fight“-Serie sowie weitere Propagandafilme, zu denen auchHere Is Germany gehörte, den Ernst Lubitsch bereits 1942 begonnen hatte.62 Der Film wurde jedoch mehr- fach überarbeitet und erst gegen Kriegsende fertiggestellt und deshalb weder den GIs noch überhaupt je öffentlich aufgeführt, vermutlich weil die scharfe anti-deutsche Tendenz des Films der nach Kriegsende geänderten US-Politik gegenüber Deutschland widersprach. Das gleiche Schicksal hatte auch der PropagandafilmKnow Your Enemy: Japan, der ebenfalls erst 1945 fertiggestellt wurde. Die erste Fassung er- arbeitete der holländische Dokumentarfilmer Joris Ivens (1898–1989), der seit 1936 in den USA lebte und der 1938 den Dokumentarfilm 400 Millions über den Krieg zwischen China und Japan gedreht hatte. Mit diesem Film hatte Ivens erstmals die amerikanische Öffentlichkeit informiert über die Ursa- chen und den Verlauf des seit Jahren andauernden militärischen Konflikts,63 der auch den Hintergrund bildet in Vicki Baums 1938 erschienenen Roman Hotel Shanghai. Der Roman endet mit der Bombardierung Shanghais durch die Japaner 1937, bei der auch das im internationalen Viertel gelegene Hotel zerstört wurde.64 Ivens’ Dreharbeiten in China hatten wegen der unsicheren

60 Der 1925 aus der Sowjetunion nach Deutschland, 1933 aus Deutschland nach Frankreich emigrierte Regisseur Anatole Litvak war 1937 von Warner Bros. nach Hollywood ver- pflichtet worden. Er gehörte im Zweiten Weltkrieg zu Capras Einheit im Rang eines Colonel und arbeitete mit an fast allen Filmen der Why We Fight-Serie. 61 Frank Capra: The Name above the Title. An Autobiography. New York 1971, S. 327. Capra wird häufig in der Sekundärliteratur als „director“ der Filme bezeichnet, war aber nach eigener Darstellung in seiner Autobiographie der verantwortliche „executive producer“ und wesentlich beteiligt am „script-writing“ (S. 338). 62 Lubitsch schrieb im August 1942 ein Treatment oder Drehbuch gemeinsam mit anderen, nicht zu ermittelnden Autoren, und drehte anscheinend im Oktober des Jahres einige Aufnahmen. Er entwarf das Konzept, dass die Entwicklung zur faschistischen Diktatur dargestellt wird am Beispiel mehrerer Generationen des fiktionalen Charakters Karl Schmidt, eines typischen Deutschen. Ob und wie viel von dem von Lubitsch gedrehten Material noch im Film enthalten ist, ist unklar. Vgl. Robert Carringer und Barry Sabath: Ernst Lubitsch. A Guide to References and Resources. Boston o.J. [1978], S. 219. 63 In seiner Autobiografie hat Ivens ausführlich die Entstehung des Films geschildert, vgl. Joris Ivens: Die Kamera und ich. Autobiographie eines Filmers. Reinbek b. Hamburg 1974, S. 107–142. 64 Hotel Shanghai erschien zuerst 1938 in der englischen Übersetzung von Basil Creighton unter dem Titel Shanghai ’37 als Fortsetzungsroman in dem amerikanischen Magazin

Peter Lang Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) 226 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ politisch-militärischen Lage neun Monate gedauert und waren vom chinesi- schen Militär zensiert worden, auf dessen Hilfe Ivens angewiesen war. Für die finanzielle Unterstützung seines Films hatte sich die emigrierte deutsche Schauspielerin Luise Rainer (1910–2014) eingesetzt, die bei den Chinesen in den USA wegen ihrer Oscar-prämierten Rolle als chinesische Sklavin O-Lan in der Pearl S. Buck-Verfilmung The Good Earth 1937 große Anerkennung genoss. Mit seinem Film 400 Millions setzte Ivens seinen Kampf gegen den internationalen Faschismus fort, der „zum Hauptfeind der Epoche, zur Bedro- hung der Lebensfähigkeit und Unabhängigkeit vieler Völker geworden war.“65 Obwohl aus Ivens’ Film 400 Millions später Sequenzen in Know Your Enemy: Japan übernommen wurden,66 ist Ivens ursprüngliche Fassung oder Entwurf für den Propagandafilm nicht realisiert worden. Sein Filmentwurf wurde vom War Department abgelehnt, weil – so berichtete es Ivens in seiner Autobio- graphie – darin der japanische Kaiser ebenso als Kriegsverbrecher dargestellt wurde wie Hitler. Ivens „schloss daraus, dass die Amerikaner also während des Krieges schon dabei waren, Pläne zu schmieden, um Japan nach dem Krieg mit Unterstützung des Kaisers für ihre imperialistische Politik im Stillen Ozean zu gebrauchen“,67 und verließ das Projekt – er selbst schrieb von „Entlassung“ –, an dem mehrere Autoren weiterarbeiteten. Aber das War Department „rejected a number of draft scripts which attempted to portray the Japanese as ordinary humans victimized by their leaders.“68 Sogar noch bis Februar 1945 lehnte das Pentagon Drehbücher ab, weil einige Szenen „too much sympathy for the Jap people“ enthielten. Deshalb wurden im „final shooting script“ schließlich alle Hinweise auf „free-thinking Japanese“ gestrichen und

greater emphasis was given to the obedience of the Japanese, their homoge- neity and their sense of divine mission. […] Know your Enemy – Japan was a potpourri of most of the English-speaking world’s dominant clichés about the Japanese enemy, excluding the crudest, most vulgar, and most blatantly racist.

So urteilte John Dower in War Without Mercy69 über die rassistischen Vorurteile des Propagandafilms.

Cosmopolitan; die amerikanische Buchausgabe folgte 1939 im Verlag Doubleday, Doran & Co., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien ebenfalls 1939 im Querido Verlag Amsterdam und 1940 in Fortsetzungen in der deutschsprachigen Shanghaier Emigranten- zeitung 8 Uhr Abendblatt, die von 1939 bis 1941 erschien. 65 Klaus Kreimeier: Joris Ivens. Ein Filmer an den Fronten der Weltrevolution. Berlin 1976, S. 40. 66 Auch John Grierson und Stuart Legg benutzten Aufnahmen aus 400 Millions in ihrem KompilationsfilmInside Fighting China, der für die Reihe The World in Action vom Na- tional Film Board of Canada produziert wurde. 67 Ivens, Die Kamera und ich (wie Anm. 63), S. 164. 68 John Dower: War without Mercy. Race and Power in the Pacific War. New York 1986, S. 19. 69 Dower, War without Mercy (wie Anm. 68), S. 19f.

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8. „Cowards, Rats and Savages“: Anti-Japanische Kriegsfilme von und mit Filmemigranten Teil 1

Von denselben rassistischen Vorurteilen gegenüber den Japanern sind auch die zeitgenössischen Hollywood-Filme über den Pazifik-Krieg geprägt. Die Japaner wurden darin ausnahmslos als Bestien dargestellt, als barbarisch, feige, heimtückisch und sadistisch. Das stand deutlich im Gegensatz zu der zwar auch klischeehaften Darstellung der Deutschen in den Anti-Nazi-Filmen, in denen aber doch unterschieden wurde zwischen Deutschen und Nazis, nicht so bei den Japanern: „The Japanese, on the other hand, were presented as fanatical near-savages, sneaky, dirty fighters […] cowards, rats – and savages“, konsta- tierten die Autoren von Films of World War II.70 Im Vergleich sogar zu den Nazis waren „the Japanese […] always more brutal, indulging in torture and rape to excess and with obvious pleasure.“71 Diese gänzlich undifferenzierte und eindeutig rassistische Darstellung der Japaner wurde sogar vom Filmbüro des Office of War Information (OWI) kritisiert, das befürchtete, die Filme würden dadurch an Glaubwürdigkeit beim Publikum verlieren: „The power, cruelty and complete cynicism of the enemy should be pictured, but it is dangerous to portray all Germans, all Italians, all Japanese as bestial barbarians.“72 Dennoch blieb in den Hollywood-Kriegsfilmen dieser Unterschied in der Darstellung der Deutschen und Japaner bestehen, denn: „Germans were – well, more like Americans“, kommentierten Koppes und Black in Hollywood Goes to War den Unterschied lakonisch:

They were European and many Americans had German ancestors. Their forms of religion, culture and social organization were recognisable. Americans lis- tened to Beethoven and Brahms as performed by the NBC Symphony every Sunday afternoon, they respected Goethe, Schiller and Thomas Mann and they lauded German science. But who in 1941 read a Japanese book, or went to a Japanese play, or contemplated a Japanese garden?73

70 Joe Morella, Edward Z. Epstein und John Griggs: The Films of World War II. Scaucus, NJ 1973, S. 59. In den ersten Kriegsfilmen wurden die Japaner als „yellow cowards“ und „yellow rats“ beschimpft, bis das OWI die Filmstudios darauf hinwies, „that the Chinese were our allies and they were yellow, too and might not like the racial slurs implicit in such language.“ 71 Morella u.a., The Films of World War II (wie Anm. 70), S. 60. 72 Government Information for the Motion Picture Industry. [Part] II. The Enemy - Whom we fight. [S. 6], [1942]. Records of the Office of War Information, Series 285 „Hollywood Information Material“. Veröffentlicht von National Archives and Records Service, 1978. 73 Clayton R. Koppes und Gregory D. Black: Hollywood Goes to War. How Politics, Profits And Propaganda Shaped World War II Movies. New York, London 1987, S. 282.

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Deutsche und Amerikaner hatten freilich noch mehr Gemeinsamkeiten, denn sie teilten auch in ihrer Mehrheit die rassistischen Vorurteile gegen Juden, Slaven und Asiaten.74 Bei der rassistischen Darstellung der Japaner im Spielfilm spielte auch eine Rolle, dass das Klischee des sadistischen und perversen Asiaten im Hollywood- Kino eine lange Tradition hat und zurück verfolgt werden kann auf den Stumm- filmThe Cheat von Cecil B. DeMille 1915, in dem ein sadistischer japanischer Prinz75 seiner amerikanischen Geliebten aus Eifersucht sein Brandzeichen auf die nackte Schulter drückt, um sie als seinen Besitz zu kennzeichnen. Trotz der Proteste der zahlreichen Japaner in den USA war der Film ein großer Er- folg, er wurde 1918 wiederaufgeführt und erlebte bis 1931 zwei Remakes. Bei der Wiederaufführung 1918 wurde allerdings in den Zwischentiteln aus dem Japaner ein Burmese, weil in den USA erheblich weniger Burmesen lebten als Japaner und deshalb keine Proteste zu befürchten waren.76 Diese rassistische Darstellung der Asiaten setzte sich in zahlreichen Filmen fort und schon vor dem Kriegseintritt der USA wurden in Hollywood- Filmen japanische Soldaten als feige und heimtückisch dargestellt, wie in dem MGM-Film They Met in Bombay, der 1941 nach der Story The Uniform des Journalisten und Drehbuchautors Hans Kafka gedreht wurde. Dieser wilde Genre-Mix aus Abenteuer-Kriminal- und Kriegsfilm spielt im zweiten Teil in Hongkong vor dem Hintergrund des chinesisch-japanischen Kriegs. Der Juwelendieb Gerald Meldrick (gespielt von Clark Gable) flieht mit einer wert- vollen Halskette und seiner Geliebten und Komplizin Anya von Bombay nach Hongkong auf einem Trampschiff. Dessen hinterhältiger chinesischer Kapitän wird gespielt von dem österreichischen Schauspieler (1904–1964), der zahlreiche asiatische und orientalische Rollen in Hollywood spielte. Lorre verrät die beiden gegen klingende Münze an die Polizei, sie können jedoch entkommen und schlagen sich nach Hongkong durch. Für einen neuen Coup verkleidet sich Gerald als britischer Captain und rekrutiert auf offener

74 Zu Antisemitismus und Xenophobie in den USA in den 1930er und 1940er Jahren vgl. David S. Wyman: Das unerwünschte Volk. Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden. München 1986, S. 15ff. 75 Die Rolle des sadistischen Prinzen Hishuru Tori spielte 1915 der japanische Schauspieler Sessue Hayakawa (1889–1973). Trotz seines finsteren Filmcharakters war diese Rolle Haya- kawas Durchbruch als matinee idol und der Beginn seiner internationalen Filmkarriere. 1937 spielte er den sadistischen Prinzen sogar noch einmal in dem französischen Remake Forfaiture. Nach Kriegsende kehrte Hayakawa zeitweilig nach Hollywood zurück und spielte in den NachkriegsfilmenTokyo Joe und Three Came Home zwiespältige japanische Charaktere, ‚honorable villains‘, wie auch 1957 sein brutaler Lagerkommandant Saito in The Bridge on the River Kwai, der Höhepunkt von Hayakawas Nachkriegskarriere. 76 Im Remake 1923 gibt ein weißer Verbrecher vor, ein indischer Prinz zu sein und im Remake 1931 ist es ebenfalls ein Weißer, der drei Jahre im Orient gelebt hat und seine Geliebte als siamesische Prinzessin kleidet.

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Straße Soldaten, die ihn für echt halten und seine Befehle befolgen – eine dreiste Anleihe bei Zuckmayers Hauptmann von Köpenick, die sicher auf Hans Kaf kas Story The Uniform zurückgeht, wie deren Titel vermuten lässt. Wegen der bevorstehenden Invasion japanischer Truppen werden alle britischen Soldaten und Offiziere in die Kaserne beordert, und weil selbst der britische General den falschen Captain für echt hält, bekommt Gerald den Befehl, Europäer und chinesische Zivilisten aus Hongkong zu evakuieren und in Sicherheit zu brin- gen. Als Gerald mit dem Treck aufbricht, in dem sich auch Frauen und Kinder befinden, stellen sich ihm anrückende japanische Truppen in den Weg, die den Abzug der Chinesen verhindern wollen. Aber als Gerald sie blufft und befiehlt, die Bajonette aufzupflanzen, weichen die als Feiglinge charakterisierten Japaner dem Kampf Mann gegen Mann aus. Der Treck kann abziehen, wird aber auf dem Marsch von den Japanern heimtückisch aus dem Hinterhalt überfallen, die mit Maschinengewehren wahllos auf Soldaten, Frauen und Kinder schießen. Mit einem tollkühnen Einsatz gelingt es Gerald im Alleingang, die japanischen Soldaten mit einigen gut gezielten Handgranaten-Würfen zu erledigen, er selbst wird dabei verwundet und erhält für seine Heldentat das Victoriakreuz, gibt auf Drängen seiner Geliebten das Halsband zurück und wird in die britische Armee eintreten, wenn er seine Strafe abgesessen hat. Der im Frühjahr 1941 gedrehte Film ist bereits eindeutig geprägt von den anti-japanischen Klischees, die alle späteren Kriegsfilme dominieren, besonders bemerkenswert ist, dass er über ein halbes Jahr vor der Einnahme Hongkongs durch die japanische Armee gedreht wurde, die dann freilich gänzlich anders, mit zigtausenden Opfern und viel brutaler erfolgte, als die Filmemacher es sich vorgestellt hatten. Die nach Eintritt der USA in den Krieg einsetzende Konjunktur der nun politisch geforderten Anti-Nazi- und Kriegsfilme eröffnete allen Filmemigran- ten ein weites Betätigungsfeld. Die exilierten Regisseure und Drehbuchautoren haben aber vereinzelt auch den Pazifikkrieg, die Achse Berlin-Tokio und den chinesisch-japanischen Konflikt thematisiert und die exilierten Schauspieler spielten nicht nur Nazis und deutsche Nazi-Spione in japanischen Diensten, sondern maskierten sich auch als Chinesen und Japaner. Auf den Schock von Pearl Harbor reagierten als erste die emigrierten Filmemacher, die in den kleinen Studios von Hollywoods poverty row arbeite- ten, denn sie produzierten ihre Filme erheblich schneller als die großen Studios. In Isle of Missing Men, den der Produzent und Regisseur (1880–1963) im Juni 1942 für Monogram drehte, ist der Pazifik-Krieg und die tödliche Bedrohung durch japanische Bomber nur als Episode eingefügt: Ein friedliches englisches Passagierschiff, das nach Australien unterwegs ist, wird von einem japanischen Bomber beschossen. Die Bomben treffen das Schiffs- heck und töten einen aus Österreich exilierten Schriftsteller, der am Deck des Schiffs lebte, das er wegen fehlender Papiere nicht verlassen konnte – kein

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Land wollte ihn aufnehmen. Die Bombardierung des friedlichen und wehr- losen Passagierschiffs charakterisiert die Japaner als ebenso feige wie brutale Aggressoren, die einen totalen Krieg führen und sich an keine Konventionen halten. Zugleich macht Oswald deutlich, dass die Emigranten im Exil keines- wegs sicher sind, dass der Krieg der Achsenmächte auch ihnen gilt und sie unmittelbar davon betroffen sind. Bereits eine Auseinandersetzung mit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor ist Prisoner of Japan, der ebenfalls im Frühjahr 1942 von Seymour Nebenzal (1897–1961) für die Producers Releasing Corporation produziert und von dem Regisseur und Drehbuchautor Edgar Ulmer (1904–1972) geschrieben und zum Teil auch inszeniert wurde.77 Der Amerikaner David Bowman wird auf einer Insel im Südpazifik von dem sadistischen japanischen Spion Matsuru gefangen gehalten. Matsuru betreibt dort eine geheime Kurzwellensendean- lage, mit der er nach Japan den Standort amerikanischer Schiffe im Pazifik funkt, die dann von japanischen Bombern angegriffen und versenkt werden. Bowman, der von dem skrupellosen Matsuru als Schwächling verspottet wird, gelingt es schließlich, in die geheime Radiostation einzudringen, die einen US- Schiffkonvoi geortet hat und die Information an eine japanische Bomberstaffel weitergeben will. Um das zu verhindern, funkt Bowman den US-Schiffen die Daten der feindlichen Station, obwohl er sich selbst dabei opfert, denn die ein- schlagenden Bomben vernichten die Station, töten Matsuru und seine Helfer aber auch Bowman. Der sadistische und skrupellose Matsuru, der mehrere Morde begeht, ent- spricht ganz dem anti-japanischen Klischee Hollywoods – und wird gespielt von dem emigrierten Schauspieler (1890–1969), der mit dieser Rolle unter dem Pseudonym Ernest Dorian sein amerikanisches Filmdebut gab.

9. Exkurs: Chinesen, Japaner und Orientalen: Emigrierte Schauspieler in Hollywood-Filmen

Aber nicht nur Peter Lorre und Ernst Deutsch spielten in Hollywood Chinesen und Japaner, schon lange vor den anti-japanischen Kriegsfilmen bevölkerten deutsch-österreichische Emigranten die Hollywood-Leinwand als Chinesen, Japaner und Orientalen. Ihr Akzent prädestinierte sie nicht nur für europäische, sondern auch für exotische Rollen jeder Art. Typisch für damalige Besetzungs- strategie der Studios ist die Verfilmung des RomansThe Good Earth von Pearl

77 Information von Harold Nebenzal im Interview mit dem Verfasser 1986. Nebenzal assis- tierte bei den Dreharbeiten, bevor er sich freiwillig zum Marine Corps meldete und im Pazifikkrieg eingesetzt wurde, siehe oben.

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S. Buck von MGM 1937, in dem erstmals in Hollywood das Leben chinesischer Bauern realistisch und unvoreingenommen dargestellt wurde. Alle drei Haupt- rollen wurden mit deutschen bzw. österreichischen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt: Den Bauern Wang-Lun, der erste chinesische Filmcha- rakter, dem in Hollywood eine normale Sexualität zugestanden wurde, spielte der in Österreich geborene Paul Muni (1895–1967),78 Wang-Luns Ehefrau, die Sklavin O-Lan, war die in Düsseldorf geborene Luise Rainer (1910–2014), und seine Geliebte, die Tänzerin Lotus, spielte die emigrierte Tänzerin Tilly Losch (1903–1975), die in Hollywood nur exotische Tänzerinnen verkörpern durfte.79 Der bekannteste Filmjapaner unter den Emigranten war Peter Lorre, der von 1937 bis 1939 in acht Filmen mit großem Erfolg den japanischen Detektiv Mr. Moto gespielt hatte.80 Die Filmserie wurde geplant als Nachfolger für die außerordentlich beliebte Serie mit dem chinesisch-amerikanischen Detektiv Charlie Chan – der von dem in Schweden geborenen Warner Oland (1879–1938) gespielt wurde, der seine Karriere als Darsteller von Asiaten schon 1917 begon- nen hatte und 1938 plötzlich gestorben war. In den Mr. Moto-Filmen wurden Rolle und Charakter des Detektivs gegenüber der literarischen Vorlage stark verändert. Aus dem ursprünglich kaisertreuen Geheimagenten Moto, der gar nicht die zentrale Figur der Romane ist, wurde ein internationaler Detektiv und die Hauptrolle der Filme. Obwohl Mr. Moto auf der Seite des Gesetzes steht, ist er doch auch rücksichtslos und tötet seine Gegner mitleidlos. Als in den USA die Kritik an Japan zunahm wegen der Expansionspolitik und des Kriegs mit China, wurde erst erwogen, aus Mr. Moto einen Koreaner zu machen, dann aber die Serie ganz eingestellt. Außer durch Mr. Moto kam Lorre von seinem Schurkenimage nicht los, in They Met in Bombay und wurden beide Klischees bedient, im ersteren war er der hinterhältige chinesische Captain Chang und in dem Anti-Nazi-Film ein sadistischer japanischer Spion. Im Unterschied zu Lorre stieg Turhan Bey (1922–2012) durch seine exo- tischen Rollen in den 1940er Jahren sogar zum matinee idol auf. Der Sohn eines türkischen Militärattachés und einer Österreicherin, der mit 16 Jahren in die USA emigrierte und nach seinem Schauspielunterricht vom Universal Studio engagiert wurde, war jahrelang der „resident exotic leading man“ 81 des Studios und wurde populär durch seine exotischen Charaktere in arabischen

78 Paul Muni (eigentlich Muni Weisenfreund) war schon 1900 mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Er spielte jahrelang im jiddischen Theater, ab 1926 am Broadway auch in englischer Sprache, 1929 ging er nach Hollywood, wo er bereits für seine erste Filmrolle in The Valiant (1929) für einen Oscar nominiert wurde. 79 1936 trat Tilly Losch in The Garden of Allah als exotische Tänzerin Irena auf, ihren ero- tisch-lasziven Tanz wiederholte sie 1946 als Indianerin Mrs. Chavez in Duel in the Sun. 80 Zu den Mr. Moto-Film vgl. Stephen D. Youngkin, James Bigwood und Raymond G. Cabana Jr.: The Films of Peter Lorre. Secaucus, NJ 1982, S. 100ff. 81 Asper, Filmexilanten (wie Anm. 46) S. 158f.

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Märchenphantasien wie Ali Baba and the Forty Thieves oder , einem eskapistischen Südseeabenteuer. Während des Krieges spielte er auch in den anti-japanischen Kriegsfilmen Unseen Enemy, Danger in the Pacific und Destination Unknown böse japanische Spione oder Offiziere. Höhepunkt seiner Karriere in den 1940er Jahren war seine Rolle als Chinese Lao Er Tan in Dragon Seed, der 1944 nach dem gleichnamigen Roman von Pearl S. Buck von MGM gedreht wurde. Darin spielte Bey den Ehemann von Jade Tan, die von niemand Geringerem als Katherine Hepburn dargestellt wurde. Diese Besetzung zeigt, dass die Studios ihre Castingstrategie geändert hatten. Weil China im Krieg Verbündeter der USA war, sollte das amerikanische Publikum sich mit den Chinesen und ihrem heroischen Kampf gegen die Japaner identifizieren und deshalb wurden die Chinesen nun von amerikanischen Stars verkörpert, allen voran in Dragon Seed die chinesisch geschminkten Katherine Hepburn, als ihr Schwiegervater Ling Tan und Aline MacMahon als dessen Frau. Konsequenterweise mussten daher in Dragon Seed die Bösen auf Akzentrollen spezialisierte europäische Schauspieler spielen: Der armenisch-stämmige Akim Tamiroff (1899–1972) ist der verräterische Wu Lien und der in Amsterdam geborene Philipp van Zandt (1904–1958) verkörpert einen japanischen Soldaten. Dass Turhan Bey in Dragon Seed als Hepburns Ehemann engagiert wurde, belegt die große Popularität des gut aussehenden Schauspielers als matinee idol, der zudem leicht als Chinese zu schminken war und im Unterschied zu den vielen älteren emigrierten Schauspielern akzentfrei Englisch sprach.

10. „Cowards, Rats and Savages“: Anti-Japanische Kriegsfilme von und mit Filmemigranten Teil 2

Dass die emigrierten Autoren und Regisseure in ihren Drehbüchern und Filmen ebenfalls die antijapanischen Klischees und Vorurteile bedienten, zeigt ihre Anpassung an die in den Studios und beim Publikum vorherrschende Meinung. Ein Musterbeispiel des rassistischen Japan-Klischees ist der von Peter Lorre gespielte Baron Ikito in dem Anti-Nazi-Film The Invisible Agent, dessen Drehbuch Curt Siodmak verfasst hat. Ikito ist den Nazis an Intelligenz und an Grausamkeit deutlich überlegen, und es bereitet ihm Vergnügen, eine Papier- schneidemaschine als Folterinstrument zu benutzen, um Griffin, den Enkel des legendären Unsichtbaren, zur Herausgabe der Serumsformel zu zwingen. Griffin kann Ikito und dem Nazi-Offizier Stauffer entfliehen, aber erst nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor, der im Film mit einer Sequenz von Zeitungsschlagzeilen repräsentiert ist, ist er bereit, als unsichtbarer Agent für die USA und ihre Alliierten zu arbeiten. Siodmak thematisierte in Invisible Agent die Furcht der Amerikaner vor einer Invasion an den Küsten und auch die

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Angst vor einer 5. Kolonne von deutschen und japanischen Spionen. Darüber hinaus wird mit der spannungsreichen Beziehung von Ikito und Stauffer auch die Achse Berlin-Tokyo dargestellt, und gezeigt, dass Nazis und Japaner trotz ihres Bündnisses gegeneinander arbeiten und sich schließlich vernichten: Als ihre Mission, die Formel des Serums zu erhalten, an ihrer Rivalität scheitert, tötet Ikito erst Stauffer und begeht dann selbst Harakiri. Peter Lorres von der Kritik gelobter sadistischer Baron Ikito ist gleichsam ein dunkler Spiegel seiner Paraderolle des geheimnisvollen und auch recht skrupellosen japanischen Detektivs Mr. Moto. Das deutsch-japanische Bündnis spielt auch eine Rolle in dem Spionage- und Kriegsfilm Destination Unknown, der 1942 wieder nach einer Story von Hans Kafka gedreht wurde. Dieser Film spielt aber nicht in den USA oder Berlin, sondern in Shanghai und behandelt den chinesisch-japanischen Konflikt. Während der Kämpfe bei der Besetzung Shanghais tötet der deutsche Spion Renner, der für die Japaner arbeitet, einen chinesischen Widerstandskämpfer und raubt ein Bild, das den Schlüssel zu versteckten Juwelen enthält, die der chinesische General Chiang-Kai-Shek als Bezahlung für eine Waffenlieferung aus den Niederlanden benötigt. Jagd auf diese Juwelen machen Spione aus mehreren Ländern, die unter anderem von den exilierten Schauspielern Felix Basch (1885–1944), Turhan Bey, (1896–1990) und Fred Gier- mann (1902–1985) gespielt werden. Nach einer wilden Verfolgung gelingt es einer niederländischen Spionin mit amerikanischer und chinesischer Hilfe, die Juwelen für die Chinesen zu sichern. Auch die 1942/43 entstandene Story The Doctor from Harbin82 der beiden österreichischen Emigranten Paul Elbogen (1894–1987) und Erwin Nistler (1903–1970) entspricht den anti-japanischen Hollywood-Klischees. Die Story spielt in der Mandschurei und schildert den Widerstand der Mandschuren gegen die japanischen Besatzer. Der eurasische Arzt Dr. Wong Iwanow und seine Frau Hi leben in einem kleinen Dorf, in das sich der Arzt Iwanow, der früher gegen Japan gekämpft hatte, zurückgezogen hat, um an seinen wissen- schaftlichen Forschungen zu arbeiten. Er wird jedoch durch seinen Arztberuf wieder in die Kämpfe verwickelt und nachdem seine Frau von dem Chef der japanischen Geheimpolizei ermordet wurde, schließt er sich am Ende erneut dem Widerstand an. Elbogen charakterisierte die Story: „And the doctor is no

82 Paul Elbogen und Erwin Nistler: Der Arzt aus Harbin. In: In der Ferne das Glück. Ge- schichten für Hollywood von Vicki Baum, Ralph Benatzky, Fritz Kortner, Joseph Roth sowie Heinrich und Klaus Mann u. a. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen und Heide Klapdor. Berlin 2013, S. 241–265. Das Treatment heißt im Original The Doctor from Harbin und ist in englischer Sprache verfasst, die Übersetzung für die Buchpublikation ist von Ge- sine Schröder. Vgl. Stefan Keppler-Tasaki: Alfred Döblin. Massen, Medien, Metropolen. Würburg 2018, S. 188–190.

Peter Lang Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) 234 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ war picture, but a combination of criminalstory, spy-story, underground story and – psychological study. On a new background.“83 Die beiden Autoren hatten klar erkannt, was die Studios haben wollten und bedienten in ihrem Treatment die Klischees. Der Japaner Kamakura ist Leiter der Geheimpolizei in der Mandschurei:

Die japanische ist eher noch grausamer als die deutsche. Ihre Metho- den sind jedoch asiatisch: intelligenter, subtiler, heimtückischer. Der allseits gefürchtete Kamakura vereint Gewissenlosigkeit und Brutalität mit krimina- listischem Geschick.84

Kamakura stellt schließlich seine Grausamkeit unter Beweis, indem er Iwa- nows Frau Hi erdrosselt. Bei der Charakterisierung der zarten, aber tapferen Hi dachten Elbogen und Nistler wohl an die Schauspielerin Luise Rainer, die so erfolgreich die Chinesin O-Lan in The Good Earth verkörpert hatte und die zu dieser Zeit ein Comeback im Anti-Nazi-Film versuchte.85 Da China mit den USA verbündet war, wird auch in The Doctor from Harbin der Anführer der chinesischen Untergrundbewegung Tschang positiv charak- terisiert: „Acht Jahre hasserfüllten Kampfes gegen die Japaner haben ihn hart gemacht“ und die Sabotageakte „plant er mit der typisch chinesischen Emotions- losigkeit und mathematischer Präzision.“86 Der deutsche Nazi-Oberst schließlich, Verbündeter der Japaner, fällt vor allem durch Besserwisserei und Großsprecherei auf. Er unterschätzt die Partisanen und auch die Gefahren der Steppe, in der er mit seinem kleinen Trupp Soldaten bei der Jagd auf Partisanen kläglich verdurstet. Nicht nur die Autoren, auch der Agent (1902–1988), dem Elbogen und Nistler das Script gaben, sah gute Chancen für eine Verfilmung des Treatments und bot die Story 1943 mehreren Studios an: MGM, Columbia, RKO und dem unabhängigen Produzenten Samuel Goldwyn – aber vergeblich, die Story blieb unverfilmt, obschon sie zweifellos interessant, aktuell und vor allem auf die Bedürfnisse des Hollywood-Kinos zugeschnitten war.

11. Pearl Harbor, re-enacted: From Here to Eternity

Wenn auch möglicherweise manche Filmskripte verloren oder noch nicht entdeckt sind, so ist doch eindeutig, dass Filme, Drehbücher und Filmskripte

83 Elbogen u. Nistler: Der Arzt aus Harbin (wie Anm. 82), S. 453. 84 Elbogen u. Nistler: Der Arzt aus Harbin (wie Anm. 82), S. 241. 85 Luise Rainer hatte 1938 nach einem Streit mit MGM Hollywood den Rücken gekehrt und spielte erst 1943 wieder die Hauptrolle der Tschechin Milada Pressinger in dem Anti-Nazi- Film Hostages nach dem gleichnamigen Roman von Stefan Heym. Vgl. Helmut G. Asper: „Etwas Besseres als den Tod…“ Filmexil in Hollywood. Marburg 2002, S. 319–324. 86 Elbogen u. Nistler: Der Arzt aus Harbin (wie Anm. 82), S. 241.

Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) Peter Lang Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ | 235 emigrierter Filmkünstler über den pazifischen Kriegsschauplatz eine Aus- nahme blieben. Die europäischen Emigranten wurden in Hollywood vor allem eingesetzt als Spezialisten für den europäischen Kriegsschauplatz vor und hinter der Kamera. Das Schicksal Deutschlands und Europas stand auch in der Berichterstattung der Emigrantenzeitung Aufbau eindeutig im Mittelpunkt, und das entsprach auch ihrer Herkunft, ihren eigenen Erfahrungen und ihrer Sorge um Angehörige und Freunde, die noch im Deutschen Reich und in den besetzten europäischen Ländern lebten. Dass ausgerechnet ein Emigrant, der Regisseur (1907– 1997), 1953 den japanischen Überfall auf Pearl Harbor außerordentlich realis- tisch und ganz in der Tradition der antijapanischen Kriegsfilme inFrom Here to Eternity als re-enactment inszeniert hat, ist kein Widerspruch dazu. Denn diese Episode blieb eine Ausnahme im Werk Zinnemanns, der sich dagegen schon seit 1943 in mehreren Filmen sowohl mit den Nazi-Verbrechen als auch mit den physischen und psychischen Folgen des Kriegs auseinandergesetzt hatte.87 Die nachgespielten Szenen des Überfalls auf Pearl Harbor wurden an Originalschauplätzen in der Schofield Kaserne in Hawaii gedreht, ergänzt wurden die Spielfilmszenen durch eingeschnittene Originalaufnahmen der Navy von 1941. Weil sowohl für die Dreharbeiten auf Hawaii als auch für die Nutzung des Filmmaterials die Unterstützung und Erlaubnis der Navy unab- dingbar war, musste Zinnemann deren Zensurforderungen erfüllen, weshalb der Film die Kritik an den inneren Zuständen der Armee im Roman James Jones’ (1921–1977),88 der dem Film zugrunde liegt, deutlich abschwächt. Doch stehen im Film wie im Roman nicht die japanischen Angreifer, sondern das Verhalten der US-Soldaten im Zentrum, deren Rivalitäten und Kämpfe untereinander unwichtig werden angesichts des Angriffs. Der Feind bleibt völlig anonym, die Japaner sind reduziert auf die fliegenden Kampf- maschinen, die verheerende Verwüstungen anrichten, wie die einmontierten drastischen Originalaufnahmen dokumentieren. Dagegen werden die US- Soldaten als Individuen geschildert, die sich als Truppe der Übermacht stellen und versuchen, mit unzulänglichen Waffen die Bomber abzuschießen – was tatsächlich einmal sogar gelingt, aber trotz des „vast happy college-yell cheer“89 der Soldaten letztlich wirkungslos bleibt. Vor allem schildert Zinnemann sehr realistisch, wie friedlich dieser Sonntag auch in der Kaserne begonnen hatte und wie die Soldaten beim „typical Sunday morning breakfast“90 überrascht werden und zunächst gar

87 Zu Zinnemanns Anti-Nazi- und Kriegsfilmen The Seventh Cross, , The Search und The Men vgl. Antje Goldau, Hans Helmut Prinzler und Neil Sinyard: Zinne- mann. Berlin 1986. 88 James Jones: From Here to Eternity. New York 1951. 89 Jones, Eternity (wie Anm. 88), S. 670. 90 Jones, Eternity (wie Anm. 88), S. 658.

Peter Lang Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) 236 | Helmut G. Asper: „Seit Pearl Harbor bin ich nirgends mehr zu Hause“ nicht begreifen, dass dies ein realer Angriff ist und völlig panisch reagieren, dann aber entschlossen gemeinsam den Feind bekämpfen. Diese realistische Darstellung der Reaktion der Soldaten spiegelt wider, wie überrascht, fassungslos, schockiert die Menschen in den USA zunächst auf die Nachricht vom japanischen Überfall reagierten – und wie sie sich noch am selben Tag zum Widerstand sammelten. Der emigrierte Autor Karl Schück (1901–?) hat die wechselnde Stimmung der Menschen am Pearl Harbor Sunday damals im Aufbau beschrieben:

Es dauerte eine geraume Zeit, bis die Rundfunkhörer begriffen, dass man ihnen nicht eine japanisch-phantastische Version eines Orson-Welles-‚thrillers‘91 präsentierte, sondern dass die grausamste aller Wirklichkeiten, der totalitäre Krieg, durch den Äther raste. […] Der Tag vergeht. Die anfängliche Betäubung wandelt sich in leidenschaftliche Empörung. Der Riese erwacht.92

91 Gemeint ist ’ fiktive Radioreportage War of the Worlds nach dem gleich- namigen Roman von H. G. Wells, die 1938 eine Invasion von Außerirdischen vortäuschte. 92 Karl Schück: Alarm an der Westküste. In: Aufbau, Bd. VII, Nr. 51 v. 19.12.1941, S. 7.

Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang LII – Heft 2 (2020) Peter Lang Abhandlungen zum Rahmenthema LVIII ‚Medizin und Naturwissenschaften in der Literatur‘ Erste Folge

Leiter des Themas Peter Pabisch Hans-Gert Roloff