Fluchtpunkt Hollywood Reprint
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freyermuth.com Fluchtpunkt Hollywood Folge 5 Eine ganze Kultur wanderte aus, als die Nazis die Macht übernahmen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Neue Welt zur letzten Zuflucht. Eine Spurensuche bei letzten Überlebenden des deutschen Anti- Nazi-Exils in Hollywood Reprint Wunderkind in der Traumfabrik Gottfried Reinhardt ist 19 Jahre alt und zu Besuch in New York, als in Berlin die Nazis an die Macht kommen. In Holly- wood gelingt ihm ein steiler Aufstieg. Der junge Emigrant, Sohn eines berühmten Vaters, wird schnell zu einem der wichtigsten Mittler zwischen dem Film-Establishment und der wachsenden Gemeinde deutscher Flüchtlinge Von Gundolf S. Freyermuth vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood.1988 folge 5 1/25 freyermuth.com In Amerika fühle ich mich ein wenig als Europäer, und in Europa bin ich Amerikaner«, sagt Gottfried Reinhardt, während wir den Santa Monica Boulevard hinunterfahren und in Overland biegen. »Viele Europäer, die in den dreißiger Jahren hierher kamen, waren hochnäsig und schauten auf die Amerikaner als Barbaren herab. Zum Teil natürlich mit Recht, denn der Film war nicht unbedingt von sehr kultivierten Leuten bevölkert.« Gottfried Reinhardt lächelt. Wir sind auf dem Weg zu seinem alten Arbeitsplatz. Über zwanzig Jahre hat der 75jährige Hitler-Flüchtling in der Traumfabrik namens Metro- Goldwyn-Mayer gearbeitet, von 1934 bis 1954. Heute wird er zum ersten Mal seit seiner Kündigung damals vor 31 Jahren das Gelände wieder betreten. »Dafür ist hier in Kalifornien das Leben soviel leichter, Europa geht ein wenig auf Stel- zen. Ich habe halt beide Seelen in mir ... Sie müssen jetzt links abbiegen.« Vor uns taucht ein weißes Wachthäuschen auf. Als Kind im Kino habe ich mir oft vorgestellt, was wohl zum Vorschein käme, wenn man die Leinwand mit all den wunderschönen Menschen und verzauberten Orten vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 2/25 freyermuth.com beiseite schieben und in die Wirklichkeit dahinter schauen könnte. Nie hätte meine Phantasie für etwas so trostlos Nüchternes wie die A Street ausgereicht, eine Reihe schäbiger Holzhäuser, Tonfilmbühnen und Garderoben, dicht beim alten, von unifor- mierten Studiopolizisten bewachten Haupt- eingang zu den legendären Metro-Goldwyn- Mayer-Studios. Traumhaft sind einzig ihre Namen. »Das ist das Clark-Gable-Building«, sagt Gottfried Reinhardt. Dann zeigt er auf zwei weiter entferntere Bruchbuden, die den Hangars eines stillgelegten Militär-Flugha- fens gleichen: »Joan-Crawford-Building«, sagt er, »und das ist das Judy-Garland- Building.« vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 3/25 freyermuth.com Seine wuchtige Gestalt steht inmitten der A Street, die verlassen in der kalifornischen Nachmittagssonne dahinbrütet. Der alten Mann vergleicht die Wirklichkeit mit seiner Erinnerung. »Von außen hat sich nicht viel verändert«, sagt er nach einer Weile. »Aber es ist ziem- lich tot, früher war hier die Hölle los.« Reinhardt macht ein paar Schritte vorwärts und bleibt wieder stehen, ein wenig ratlos. »Na ja«, sagt er, und es klingt fast vorwurfsvoll, weil ich ihn zu diesem Ausflug in die Vergangenheit überredet habe. Langsam, sehr langsam geht er weiter. Sein Gesicht schaut, als würden seine Augen etwas ganz anderes sehen als meine. »Da«, sagt er schließlich und deutet auf ein einstöckiges Holzhaus mit Außentreppe, »das war die Garderobe der Garbo.« Dann schüttelt er den Kopf und lacht in sich hinein. »Wissen Sie, dass sie da nie ein wichtiges Gespräch geführt hat, weil sie davon überzeugt war, dass sie abgehört wurde?« »Und, stimmte das?« Reinhardt schaut amüsiert drein. »Sicher, sie hat schon recht gehabt.« vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 4/25 freyermuth.com Gottfried Reinhardts Hollywood-Karriere begann am frühen Morgen des 1. März 1933 in der New Yorker U-Bahn. Nach Amerika hat sich der 19jährige abgesetzt, um ein wenig Gras wachsen zu lassen über den Misserfolg einer Inszenierung, die er in Berlin verbrochen hatte. An New York begeistert den Jungen aus der Alten Welt neben der Skyline vor allem die »Negermusik«. Jeden freien Abend fährt er nach Harlem in die schwarzen Nachtclubs und bleibt bis in die Morgenstunden. Auf dem Rückweg sieht er in der U-Bahn die Zei- tungen verkünden: In Berlin brennt der Reichstag! »In Deutschland hatte ich immer geglaubt, die Nazis seien eine Minorität, mit der man fertig werden könnte. Aber aus der Distanz habe ich das dann besser beurteilt. Ich habe die Schlagzeilen gelesen und gedacht: Europa, damit ist es jetzt erst mal vorbei.« Von dem Auftakt zur vollständigen Machtergreifung der Nazis, zu Mord und Vertreibung, erfährt Gottfried Reinhardt so noch einige Stunden vor seinem Vater, der nach einer langen Premierenfeier tief und fest in seiner Wohnung im Schloss Bellevue schläft, dem heutigen Amtssitz des Bundespräsidenten – während um die Ecke die Ruine des Reichs- tags verkohlt und mit ihr die letzten Reste der ersten deutschen Demokratie. vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 5/25 freyermuth.com Am nächsten Tag bereits sitzt der bedeutendste Mann des deutschen Theaters, den die Nazis »den Juden Goldmann« schimpfen, im Nachtzug nach Wien. Er hat den Hut tief in die Stirn gezogen und studiert mit übergroßer Aufmerksamkeit eine Zeitung, hinter der er sein allzu prominentes Gesicht versteckt. »Beim Fliehen befand man sich in guter Gesellschaft«, sagt der Schriftsteller Hans Sahl, der sich mit demselben Zug aus Berlin rettete. Es ist das Ende einer Ära. Wie kein anderer hatte Max Reinhardt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts das deutsche Theater geformt. Er überwand den naturalistischen Inszenierungs-Stil, nutzte avantgardistische Bühnentechnik , um mit ihr sinnliche Thea- ter-Phantasien zu realisieren, er erweiterte die Guckkasten-Bühne zum Zuschauerraum hin, schuf opulentes Welttheater, in riesigen Sälen, Zirkus-Arenen, im Freien. Binnen weniger Jahre baute er ein Bühnen-Imperium auf, das auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung allein in Berlin zehn Bühnen umfasste. Ihm verdankte es die deutsche Hauptstadt, dass sie zum Zentrum der internationalen Theaterwelt wurde. Mit seiner Vertreibung durch die Nazis begann der Niedergang – der des Berliner Theaters und der vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 6/25 freyermuth.com von Max Reinhardt. Mit sechzig Jahren musste der »große Zauberer« einen Neuanfang versuchen. »Mein Vater hatte genug von Europa. Er war verliebt in Amerika, und er war verliebt in den Film«, sagt Gottfried Reinhardt. »Ihm imponierte die Pionierleistung der Leute, die dieses Hollywood mit einem enormen Einsatz an Wagnis und Phantasie aus dem Boden gestampft hatten. Leider war es eine unglückliche Liebe.« Der Einstieg glückt dem erfahrenen Theater-Illusionisten noch. Nach einem Überra- schungs-Erfolg mit Shakespeares »Sommernachtstraum« in der Hollywood-Bowl, erhält er einen hochdotierten Vertrag, den Bühnenzauber zu verfilmen. Max Reinhardt richtet sich in Kalifornien so fürstlich ein, wie er es aus Europa gewohnt ist. Doch der große Shakespeare-Film A Midsummer Night’s Dream (1935), heute ein Objekt kultischer Verehrung, ist ein Flop. Über Nacht wird Reinhardt in der Traumfabrik zur persona non grata. Der alte Mann, der einmal der große Zauberer war, stirbt 1943 verarmt und ver- bittert im New Yorker Exil. »In Deutschland war sein Wort Gesetz am Theater«, sagt Gottfried Reinhardt, »mein Vater hatte verlernt, um seine Existenz zu kämpfen.« vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 7/25 freyermuth.com Der Sohn hingegen, viel jünger als die meisten Emigranten, findet sich schnell im Filmgeschäft zurecht und macht eine steile Wunderkind-Karriere. »Ich lernte die Sprache im Nu. Und au- ßerdem war ich nicht wie viele Ältere durch eine große Reputation belastet. Ich konnte einfach von unten anfangen.« Als Assistent von Ernst Lubitsch kommt er zur Paramount, wechselt dann mit einem Gehalt von 150 Dollar die Woche zu MGM und klettert erfolgreich die Hier- archie hinauf: Lektor für deutsche und französische Stoffe, Drehbuchautor, mit 27 Jahren bereits Produzent. Reinhardt arbeitet mit Regisseuren wie Robert Siodmak und John Huston, mit Autoren wie Christopher Isherwood und Alfred vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 8/25 freyermuth.com Döblin, mit Schauspielern wie Ingrid Bergmann und Hedy Lamarr, Clark Gable und Ava Gardner und auch mit Greta Garbo, für die er 1939 die Story-Idee zu Ninotchka ankauft und deren letzten Film er 1942 produziert. Wo die Garbo war, wurde sie der Mittelpunkt«, erzählt Reinhardt, während wir in der heißen kalifornischen Sonne über das Gelände wandern, vorbei an der Tischlerei, dem Elektronik-Labor, den Schneideräumen, der Maske. »Die Frau war ein Mysterium, ein Star, auch privat.« Die göttliche Garbo hat er gut gekannt, lange Jahre ist er mit ihrer engsten Freundin und Lieblings-Drehbuchautorin Salka Viertel liiert gewesen. Die beiden, der Sohn von Max Reinhardt und die 22 Jahre ältere Frau des Dichters und Regisseurs Berthold Vier- tel, sind das wohl bekannteste Liebespaar der klatschsüchtigen Exil-Kolonie, deren berühmteste Mitglieder sich jeden Sonntag in Salka Viertels Salon an der Mabery Road versammelten. Diese Gipfeltreffen der Exil-Kolonie hat Gottfried Reinhardt in den Erinnerungen an sei- nen Vater beschrieben: »Da setzte Greta Garbo Max Reinhardt auseinander, wie sie den vol. 2009.05 info fluchtpunkt hollywood. folge 5 9/25 freyermuth.com Hamlet zu spielen gedenke; da ergänzte Chaplin sein Universalgenie und kaperte sich seinen zukünftigen musikalischen Ghostwriter, den brillanten Ohrenbläser Hanns Eisler;