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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Inhaltsverzeichnis Álvarez, Mónica Martín (Segovia/Spanien) ...... 12 Geschichten, die bezaubern. Spuren der Märchen der Brüder Grimm in der jetzigen deutschen Jugendliteratur: Reckless - Steinernes Fleisch von Cornelia Funke ...... 12 Arnds, Peter (Dublin/Irland) ...... 12 Representation, Liminality, and the Third Reich in Literary Adaptations of the ..... 12 Bauer, Manuel (Marburg) ...... 13 Wie wird aus einem Grimmschen Kinder- und Hausmärchen ein Kunstmärchen aus Zamonien? Walter Moers’ Ensel und Krete und die Transformation eines romantischen Märchenmodells . 13 Beck, Andreas (Bochum) ...... 13 Die ›Gattung Grimm‹ wird zum ›Volksmärchen‹ – Ludwig Richters Illustrationen zu Johann Carl August Musäus’ Volksmährchen der Deutschen ...... 13 Becker-Cantarino, Barbara (Columbus (Ohio)/USA) ...... 14 Bettina von Arnims Märchenwelt und die Brüder Grimm ...... 14 Bieber, Ada (Kassel) ...... 14 Zyklisches Erzählen in Tiecks Märchen ...... 14 Blazic, Milena Mileva (Ljubljana/Slowenien)...... 15 Reception of Grimm’s Fairy Tales in Slovenia (1849-2012) ...... 15 Bleckwenn, Helga (Flensburg) ...... 15 Das Forschungsprogramm der Grimms am Beispiel des Finnen Elias Lönnrot ...... 15 Block, Friedrich W. (Kassel) ...... 16 „Ich rieche, rieche – Menschenfleiß“Grimms Märchen im Spiegel avancierter Poesie ...... 16 Bluhm, Lothar (Koblenz) ...... 16 Die Kinder- und Hausmärchen zwischen Philologie und Spekulation. Möglichkeiten und Grenzen der Forschung ...... 16 Blümer, Agnes (Frankfurt a. M.) ...... 17 Märchen und Übersetzungstheorie ...... 17 Bogoljubowa, Victoria (Moskau/Russland) ...... 17 The Present Day of the Fairy-tales, or Intertextuality in the Contemporary German Children’s Literature ...... 17 Boitor, Kinga und Melinda Ersze (Sibiu/Rumänien) ...... 18 Die Brüder Grimm als Brückenbauer ...... 18 Boothe, Brigitte (Zürich/Schweiz)) ...... 18 Erzähldynamik und Psychodynamik im Grimmschen Märchenmodell ...... 18

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Borghese, Lucia (Florenz/Italien) ...... 19 Gramsci als Übersetzer Grimmscher Märchen ...... 19 Bottigheimer, Ruth B (Stony Brooks (New York)/USA) ...... 19 Analysis of the 1812 First Edition ...... 19 Braun, Raphaela (Marburg) ...... 20 Märchen als Volkspoesie – ein gattungstypologischer Versuch zum deutschen und spanischen Umgang mit Traditionsbegriffen an Hand ausgewählter Grimmscher Märchen und Bécquerscher „Leyendas“ ...... 20 Bunzel, Wolfgang (Frankfurt a. M.) ...... 20 Kooperation und Konkurrenz. Konzepte der Märchennarration und -illustration bei Clemens Brentano und den Brüdern ...... 20 Busch, Nathanael (Marburg) ...... 21 „Was halten Sie vom tz?“ Grimm, Lachmann und die Grundlegung der Deutschen Philologie ... 21 Büttner, Urs (Bath/Großbritannien/Hannover) ...... 21 Medien der ‚Volksliteratur‘ Zur Pragmatik von Arnim und Brentanos „Des Knaben Wunderhorn“ und Grimms „Kinder- und Hausmärchen“...... 21 Chakramakkil, Anto Thomas (Kerala/Indien) ...... 22 Missionaries OR Mimics? : Brothers Grimm & 19th Century Protestant German Missionaries in India ...... 22 Chang, Young-Eun (Seoul/Südkorea) ...... 22 Die Mittelalterrezeption in den Märchensammlungen der Brüder Grimm und Ludwig Tiecks .... 22 Choi, Moon Sun (Seoul/Südkorea) ...... 23 Aktuelle Adaptionen der Kinder- und Hausmärchen in Korea ...... 23 Clairmont, Heinrich (Castrop-Rauxel) ...... 23 Märchen und Volk im Denken Johann Gottfried Herders ...... 23 Connan-Pintado, Christiane (Bordeaux/Frankreich) ...... 24 On the reception of the Brothers Grimm’s in Contemporary French Children’s literature ...... 24 Cortez, Maria Teresa (Aveiro/Portugal) ...... 24 Grimms Märchen, „Naturpoesie“ und kindgerechte Erziehung - zum Paradigma-Wechsel der portugiesischen Kinderliteratur im ausgehenden 19. Jahrhundert ...... 24 De Blécourt, Willem (Amsterdam/Niederlande) ...... 25 The Brothers Grimm and Witchcraft ...... 25 De Rosa, Alessandra (Frankfurt a.M.) ...... 25 Märchen als historische Quellen: Die Rezeption des Pentamerone von Giambattista Basile im Werk der Brüder Grimm ...... 25

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Deist, Tina (Kaufungen) ...... 26 Nicht nur Kinder brauchen „Lauter Märchen, nichts als Märchen“ — Zum Einsatz kabarettistisch verfremdeter Figuren der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen im kompetenzorientierten Deutschunterricht der Oberstufe ...... 26 Dettmar, Ute (Oldenburg) ...... 26 Die Rotkäppchen-Verschwörung ...... 26 Dolle-Weinkauff, Bernd (Frankfurt a. M.) ...... 27 Mit Grimm in den Klassenkampf. Zur Rezeption der KHM im ‚Proletarischen Märchen’ des frühen 20. Jhs...... 27 Dos Santos, Isabel (Matieland/Südafrika) ...... 27 Aschenputtel in Afrika. Herausforderungen und Bereicherungen im Märchenseminar ...... 27 Drößiger, Harry (Vilnius/Litauen) ...... 28 Realienbezeichnungen in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm –interkulturelle und intrakulturelle Aspekte ...... 28 Eckstein, Kristin (Nienburg) ...... 28 Deutsche Erzählungen, japanische Ästhetik: Die Transkulturalität der Kinder- und Hausmärchen anhand Kei Ishiyamas Grimms Manga ...... 28 El Kholy, Nadia (Kairo/Ägypten) ...... 29 The Grimm Brothers in Arabic: Translation, Adaptation & Reception ...... 29 El Sawaf, Engy (Kairo/Ägypten) ...... 29 Zur Frage der literarischen Vorlagen und Quellen der Grimmschen Märchen. Orientalische Motive im Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ ...... 29 Esa, Mohamed (Westminster/USA) ...... 30 "Masters Reloaded: The Brothers Grimm and Rammstein” ...... 30 Fièvre, François (Tours/Frankreich) ...... 31 From Märchen to Fairy Tales: iconic transformation in a literary genre in romantic England ..... 31 Forlin, Francesco (Perugia/Italien) ...... 31 Zwischen Tradition und Moderne: das Märchen nach den Brüdern Grimm ...... 31 Fragoso, Gabriela (Lissabon/Portugal) ...... 32 „Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und ihre Bearbeitung in der zeitgenössischen portugiesischen Literatur“ ...... 32 Frankenberg, Hartwig (Düsseldorf) ...... 32 Rituale als narrative Organisatoren in den Märchen der Brüder Grimm ...... 32 Freyberger, Regina (München)...... 33 Märchen-Arabesken ...... 33 Friede, Susanne (Göttingen) ...... 33 3

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Märchen – Symbol – Drama: die Schlüsselfunktion der Kinder- und Hausmärchen für die frühen symbolistischen Dramen Maurice Maeterlincks ...... 33 Gospodarczyk, Joanna (Kraków/Polen) ...... 34 Das Hässliche in den Märchen der Brüder Grimm anhand von Ästhetik des Hässlichen von Karl Rosenkranz ...... 34 Götze, Martin (Bamberg) ...... 34 Kunstmärchen und ästhetische Zeitkritik bei Michael Ende ...... 34 Groschwitz, Helmut (Bonn) ...... 35 Formierungen des Mythischen. Zur Prägung Deutscher Mythologien durch ...... 35 Grothe, Ewald (Gummersbach/Wuppertal) ...... 35 Zivilcourage oder Widerstand? Die Brüder Grimm im kulturgeschichtlichen Kontext oppositionellen Verhaltens im Vormärz ...... 35 Gruber, Sabine (Tübingen) ...... 36 „[...] eine ganz eigene Welt poetischer Schönheit“ – die Rezeption von Vuk Karadžićs „pjesnarica“ im Freundeskreis der Brüder Grimm ...... 36 Grzywska, Katarzyna (Warschau/Polen) ...... 36 Oskar Kolberg – der polnische Grimm? ...... 36 Harm, Volker und Marco Scheider (Göttingen)...... 37 Kann das Deutsche Wörterbuch auch in Zukunft ein Modell für Nationalwörterbücher sein? ... 37 Heiser, Ines (Marburg/Eltville) ...... 37 Märchenonkel und/oder Gründerväter der Germanistik – die Brüder Grimm als Unterrichtsgegenstand? ...... 37 Helduser, Urte (Marburg) ...... 38 Von Zwergen und anderen ‚Missgestalten‘: Behinderung als Märchen ...... 38 Hernández, Isabel (Madrid/Spanien) ...... 38 Bearbeitungen, Neuschreibungen und Übersetzungen – Die Märchen der Brüder Grimm im Verlag Calleja ...... 38 Homann, Yvonne (Mainz) ...... 39 „Schneid’ dir dein Haar ab, Rapunzel!” Von der traditionellen Märchenfigur zum modernen Märchen: Ein intermedialer Vergleich ...... 39 Horváth, Géza (Szeged/Ungarn) ...... 39 Die Brüder Grimm in Ungarn ...... 39 Ilbrig, Cornelia (Frankfurt a. M.) ...... 40 Juden und Schneider: zwei Stereotype und ihr Zusammentreffen im romantischen Märchen ... 40 Ìmaz, Maria Carmen Alonso (Madrid/Spanien) ...... 40

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Analyse von verschiedenen Märchen der Brüder Grimm und ihrer Rezeption in hispanischen volkskundlichen Märchen ...... 40 Immer, Nikolas (Trier)...... 41 Leibspeisen. Zur Inszenierung und Funktionalisierung von Ernährung in den Kinder- und Hausmärchen (1812/15) ...... 41 Inoue, Seigo (Tokio/Japan) ...... 41 Wenn Kinder eine Grenze zwischen zwei Welten überqueren – Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ als „Fantasie-Oper“ ...... 41 Jamme, Christoph (Lüneburg) ...... 42 Mythos und Märchen in der Romantik: Friedrich Schlegel ...... 42 Jazbec, Saša (Maribor/Slowenien) ...... 42 „Grimm-t“ es (noch) in Slowenien? Die internationale Rezeption sowie Wirkung der Grimm`schen Märchen am Beispiel Sloweniens ...... 42 Joseph, Bose (Kerala/Indien) ...... 43 Fairytales as Readings for Adults and Children: Its Therapeutic Effect ...... 43 Kämper, Heidrun (Mannheim) ...... 43 Gesellschaft – Sprache – Wissenschaft. Ethische Grundkonzepte Jacob und Wilhelm Grimms als Volksphilologen ...... 43 Kilchmann, Esther (Hamburg) ...... Fehler! Textmarke nicht definiert. Topographieren eines deutschen (Alp-)traums. Heinrich Heine liest Grimms Märchen ...... Fehler! Textmarke nicht definiert. Kling, Burkhard (Steinau) ...... 44 Künstlerillustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm im 20. Jahrhundert ...... 44 Knoop ,Christine und Thomas Nehrlich (Berlin) ...... 44 Grimm im Experiment ...... 44 Kolago, Lech (Warschau/Polen) ...... 46 Das Ballett ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge‘ von Bogdan Pawłowski (Musik), Witold Borkowski und Stanisław Piotrowski (Libretto) nach dem Märchen ‘Schneewittchen‘ von den Brüdern Grimm ...... 46 Konuma, Akio (Tokio/Japan) ...... 46 Gold, Geld und Währung in Grimms Märchen. Historische Wirklichkeit in der Volkssage? ...... 46 Köppe, Walter (Betty’s Bay/Südafrika) ...... 47 Wilhelm Bleeks „Specimens of Bushman “: Aufzeichnungen zur Erkundung der Seelenlage eines vom Untergang bedrohten Volkes oder: Wege nationaler Mythenforschung im südlichen Afrika ...... 47 Korneeva, Tatiana (Berlin) ...... 47

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Persecuted Maidens and Transvestism in the Grimms’ Kinder- und Hausmärchen ...... 47 Korte, Hermann (Siegen) ...... 48 Körte, Mona (Berlin) ...... 48 Vom Eigensinn der Dinge in Märchen der Brüder Grimm ...... 48 Kurwinkel, Tobias (Bremen) ...... 50 Märchenhafte Medientexte – mediale Märchentexte. Wie Dreamworks' SHREK-Tetralogie die Kinder- und Hausmärchen adaptiert und weiterschreibt ...... 50 Langner, Paul Martin (Kraków/Polen) ...... 50 „… so nehme der Richter jenen bei der Hand …”. Performative Elemente in den städtischen Gewohnheitsrechten des Spätmittelalters...... 50 Lauer, Bernhard (Kassel) ...... 51 Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm nach 200 Jahren (1812-2012). Anmerkungen zu ihrer weltweiten Rezeption. (mit Lichtbildern) ...... 51 Lipóczi, Sarolta (Kecskemét/Ungarn) ...... 51 Die Bedeutung, Wirkung und Rezeption der deutschen Philologen, Jacob und in Ungarn ...... 51 Lorenzen ,Malte (Bielefeld) ...... 52 Rezeption und Wirkung der Kinder- und Hausmärchen in der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung ...... 52 Lu, Xia (Chengdu/China) ...... 52 Zhou Gui-Sheng: Vorläufer in der Übersetzungsgeschichte von Grimms Märchen ...... 52 Lundt, Bea (Flensburg) ...... 53 Rotkäppchen im Urwald? Der Einfluss der Grimmschen Märchensammlungen in Westafrika, am Beispiel Ghanas ...... 53 Maierhofer, Waltraud (Iowa/USA) ...... 53 "Wer ist die Schönste im ganzen Land?" Mit Terry Gilliams Brothers Grimm im Fantasie-Wald der Geschlechterrollen ...... 53 Mattenklott, Gundel (Berlin) ...... 54 Märchen-Inszenierungen auf der Bilderbuchbühne ...... 54 Maximino dos Santos, Adriana (São José/Brasilien) ...... 54 Die Kinder- und Hausmärchen in Brasilien: über die verschiedenen Übersetzungsarten ...... 54 Mecklenburg, Michael (Berlin/Kassel) ...... 55 Märchenhaft! Zur Wortgeschichte eines sagenhaften Begriffs...... 55 Messerli, Alfred (Zürich/Schweiz)...... 55 Die Kinder- und Hausmärchen der Grimms und Giambattista Basiles Pentamerone (1634–1636) ...... 55

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Messner, Rudolph (Kassel) ...... 57 Die Grausamkeit der Märchen ...... 57 Michulka, Dorota (Wroclaw/Polen) ...... 57 Grimm's and Katarzyna Kotowska's Jeż [Hedgehog] as Stories About “Fada” Children (Children of Fairies) and “Taming” Through Love...... 57 Moering, Renate (Wiesbaden) ...... 58 Die Golem-Sage bei Jacob Grimm und Achim von Arnim. Mit unbekannten Handschriften Arnims ...... 58 Mountaki, Argyro E. (Athen/Griechenland) ...... 58 Johann Georg von Hahn: der erste Märchensammler in Griechenland auf den Spuren der Aspekte der Brüder Grimm ...... 58 Müller, Sonja (Frankfurt a. M.) ...... 59 Die Grimmschen KHM in der literaturpädagogischen Diskussion der 1950er und 1960er Jahre . 59 Murayama, Isamitsu (Kyoto/Japan) ...... 59 „Märchenwelt und ‚rechte Landschaft‘ – das Poesiekonzept der Brüder Grimm und das Kunstkonzept von Philipp Otto Runge im Vergleich ...... 59 Müürsepp, Mare (Tallinn/Estland) ...... 60 Grimm's Fairy Tales in Estonian School ...... 60 Neubauer-Petzold, Ruth (Nürnberg) ...... 60 „der lose zusammenhang des rettbaren“. Die von Jacob Grimm zwischen Universalisierung und Aktualisierung ...... 60 Niemeyer, Christin (Caen/Frankreich) ...... 62 Zwischen Magie und Propaganda – DEFA-Verfilmungen von Märchen der Brüder Grimm ...... 62 Nishiguchi, Hiroko (Senshu/Japan) ...... 62 Zur Geschichte der Illustrationen zu den Kinder- und Hausmärchen in Japan, Schwerpunkt um 1900 ...... 62 Oesterle, Günther (Gießen) ...... 63 Das Spiel von Enthüllen und Verhüllen, von simulatio und dissimulatio in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ...... 63 Oesterle, Ingrid (Gießen) ...... 63 Zeit-Zeiten-Erinnerung in Märchen Goethes und der Frühromantiker...... 63 Oetken, Mareile (Oldenburg) ...... 64 Manga goes Märchen ...... 64 Ono, Hisako (Tokio/Japan) ...... 64 Lebenskontinuität und Wald- bzw. Naturauffassung bei den Brüdern Grimm. Unter besonderer Berücksichtigung der Vorrede zu Altdeutschen Wäldern ...... 64

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Ostmeier, Dorothee (Eugene/USA) ...... 65 Politik des Wunderbaren: Nationale Identität und Utopie in ausgewählten Werken der Brüder Grimm ...... 65 Pagkalos, Ioannis (Thessaloniki/Griechenland) ...... 66 Die Übersetzungen der grimmschen Märchen im Griechenland des 19. Jahrhunderts: Einbürgerung, Pädagogisierung und die Aporien einer kinderliterarischen Romantik ...... 66 Perrot, Jean (Paris/Frankreich) ...... 66 The Grimm Brothers Riddling Global Comparativism :On Womans’s intelligence and enigmas .. 66 Pieciul-Karminska, Eliza (Strzalkowo/Polen) ...... 67 Wer hat Angst vor den Brüdern Grimm? Kinder- und Hausmärchen in polnischen Übersetzungen ...... 67 Pohl, Corinna A. (Berlin) ...... 67 König Schneiderlein und der Sozialismus. Die Grimmschen Märchenverfilmungen der DEFA .... 67 Reiling, Jesko (Bern/Schweiz) ...... 68 Natur- und Kunstpoesie. Zum Fortleben zweier poetologischer Kategorien in der Literaturgeschichte nach den Grimms ...... 68 Renker, Cindy K. (Dallas (Texas)/USA) ...... 68 Remnants of Grimms’ Fairy Tales in Post-Holocaust Poetry ...... 68 Renner, Kaspar (Berlin) ...... 69 „Eigensinnige Kinder“ – Jacob Grimm und Alexander Kluge ...... 69 Riegler, Susanne(Leipzig) und Gabriela Scherer (Landau) ...... 69 Susanne Janssens „Rotkäppchen“ (2001) und „Hänsel und Gretel“ (2007) nach der Grimmschen Textfassung von 1819: Bild-Text-Dramaturgie, Rezeptions- und Vermittlungsaspekte ...... 69 Rimasson-Fertin, Natacha (Grenoble/Frankreich) ...... 70 Die Kinder- und Hausmärchen in der Heimat der « contes de fées » : Voraussetzungen und Formen der französischen Rezeption. Wissenschaftliche Reaktionen, Märchensammlungen und Übersetzungen der Kinder- und Hausmärchen in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert...... 70 Roy, Malini (Singapur) ...... 70 The Grimm Brothers’ Kahaniyan: Hindi Resurrections of the Tales in Modern India ...... 70 Rubini Messerli, Luisa (Lausanne/Schweiz) ...... 71 Lolivetta, Straparola, Basile und die Brüder Grimm ...... 71 Saehrendt, Christian (Thun/Schweiz) ...... 71 Märchen & moderne Kunst ...... 71 Schäfer, Iris (Frankfurt a. M.) ...... 72 „Die kluge Else“ und die moderne Hysterie ...... 72 Schäfer, Jasmin (Berlin) ...... 72 8

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Das Rotkäppchen im Interieur. Robert Julius Beyschlags gemaltes Märchen nach den Brüdern Grimm ...... 72 Schanze, Helmut (Frankfurt a. M.) ...... 73 Märchen-Buch. Mediale Transformationen der Märchenerzählung in der Romantik ...... 73 Schlusemann, Rita (Oldenburg) ...... 73 „mehr als europäische Berühmtheit“: Zur Würdigung Jacob und Wilhelm Grimms in den Niederlanden und in Belgien ...... 73 Schmideler, Sebastian (Leipzig) ...... 74 „ein Doppeldenkmal errichtet den Dioskuren“ – Das Bild der Brüder Grimm in der geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur seit dem 19. Jahrhundert ...... 74 Schmidt, David (Frankfurt a. M.) ...... 74 „The Name was Grimm ...“ Adaption von Grimm-Biographie und Grimmscher Märchennovellistik im aktuellen Hollywood-Kino ...... 74 Schmiele, Corona (Paris/Frankreich) ...... 75 «Werde, der du bist» – Das tapfere Schneiderlein ...... 75 Schul, Susanne (Kassel) ...... 75 Das doppelte Schneewittchen? Ein intersektionaler Vergleich der grimmschen Gegenwartsrezeption im Hollywoodkino ...... 75 Seidler, Christof (München) ...... 76 „Diese Märchen-Sammlung ist eine angenehme Neben-Arbeit, unsere Hauptsache ist natürlich jetzt immer die Edda“. Die Brüder Grimm und die Lieder-Edda. Übersehene Vielfalt im Schaffen des Jahres 1812? ...... 76 Seifener ,Christoph (Seoul/Südkorea) ...... 76 Von den „Lebensbildern deutscher Männer“ bis zu „Grimms Wörter“. Die Brüder Grimm im Spiegel ihrer Biographen...... 76 Shavit, Zohar (Tel Aviv/Israel) ...... 77 What happened to on her way to the 20th century? ...... 77 Shishkova, Irina (Moskau/Russland) ...... 77 The Brothers Grimm’s fairy tales as a breakthrough in English children’s literature in the nineteenth century ...... 77 Sinprasert, Piyakal (Konstanz) ...... 79 Die Wanderung und Verwandlung: Rezeption von Grimms Märchen in Thailand ...... 79 Slouková, Radka (Tabor/Tschechien) ...... 79 Brüder Grimm: Vorbild für Märchensammler im Norden ...... 79 Spreckelsen, Tilman (Frankfurt a. M.) ...... 80

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„Der Goldene Schlüssel" - Schätze suchen, finden und verlieren in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und anderen Texten des 19. Jahrhunderts ...... 80 Steinlein, Rüdiger (Berlin) ...... 80 Kinder und Märchen – Anmerkungen zu einer Erfolgsgeschichte ...... 80 Szakál, Anna (Dunaharaszti/Ungarn) ...... 81 János Kriza and his network of collectors of folk poetry – a Hungarian parallelism from the 19th century...... 81 Theisen, Joachim (Athen/Griechenland) ...... 83 Kausalität nach Gesetzen des Märchens ...... 83 Tokponto, Mensah Wekenon (Cotonou/Benin) ...... 83 Komparatistische Untersuchung zu Magie, Sprachmagie und magischen Worten in deutschen und westafrikanischen Märchen...... 83 Tomkowiak, Ingrid (Zürich/Schweiz) ...... 84 Aschenputtel-Filme ...... 84 Ullmann, Anika (Frankfurt a. M.) ...... 84 Some Red, some Wolf, some House is borne along us – The Fairy Tales of the Brothers Grimm on recent American Television ...... 84 Wegener, Ernst (Kassel/Wiesbaden) ...... 85 Grimmheimat Nordhessen ...... 85 Winkler, Markus (Genf/Schweiz) ...... 85 Zurück zur ‚Naturpoesie‘. Grimms Märchen in Günter Grass’ Autobiographie Beim Häuten der Zwiebel ...... 85 Wozniak, Monika (Rom/Italien) ...... 86 Polish Adventure of Brothers Grimm Fairy-tales ...... 86 Wunderer, Rolf (St. Gallen/Schweiz) ...... 86 Hans im Glück (KHM 83) - Schwankfigur, Glücksphilosoph, Glücksökonom? ...... 86 Yang, Wuneng (Chengdu/China) ...... 88 Grimms Märchen in China – ein Wunder der Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur..... 88 Zimmermann, Harm-Peer (Zürich/Schweiz) ...... 88 Mythen in Massen. Überlegungen zu einem Schlagwort in der Tagespresse ...... 88 Zinggeler, Margrit (Eastern Michigan/USA) ...... 89 The Grimm Corpus of the Fairy Tales and in COSMAS – What would Jacob and Wilhelm do with this Marvelous and Modern Tool? ...... 89 Zubia Gomez, Genaro (San Sebastián/Donostia (Gipuzkoa)/ Spanien) ...... 89 Die Wiedergabe der Märchen der Brüder Grimm auf Baskisch und ihre Aufnahme im Baskenland ...... 89 10

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Zubillaga, Naroa (Vitoria-Gasteiz/Spanien) ...... 90 Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm auf Baskisch ...... 90 Zuch, Rainer (Marburg) ...... 90 Das Bild vom Märchen. Otto Ubbelohdes Illustrationen zur Jubiläumsausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 1907-09 ...... 90

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Álvarez, Mónica Martín (Segovia/Spanien)

Geschichten, die bezaubern. Spuren der Märchen der Brüder Grimm in der jetzigen deutschen Jugendliteratur: Reckless - Steinernes Fleisch von Cornelia Funke Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind fantastische Geschichten weiterhin in Mode. Die Art und Weise, diese Geschichten zu erzählen, hat sich hingegen sehr verändert. Man trifft sich nicht mehr in einem Raum nahe beim Feuer, um den Erzählungen der Großmutter zu lauschen. Heutzutage gehen wir ins Kino, um Filme zu sehen, die unsere Fantasie beflügeln. Es stimmt zwar, dass die Medien die Art wie wir diese Geschichte wahrnehmen, verändert haben, zugleich müssen wir aber feststellen, dass es sich oftmals um die gleichen Geschichten von früher handelt.

Die Märchen der Brüder Grimm erobern zunehmend die Welt des Films. Beispielhaft kann man einen Blick auf das jüngste Kinoprogramm werfen: Schneewittchen und der Jäger, Red Riding Hood- Unter dem Wolfsmond, Rapunzel, Der gestiefelte Kater, etc. Diese Tendenz, die Tradition der Grimmschen Märchen wieder aufleben zu lassen, trifft in nicht geringerem Maße auf die Literatur zu. So huldigt auch Cornelia Funke den deutschen Märchenerzählern in ihrem mit zahlreichen wundersamen Anekdoten angereicherten Jugendbuch.

Ein anderer Teil unserer Studie wird sich mehr auf die Rezeption beziehen, die das Buch in Deutschland und Spanien hatte, d.h. wir werden uns auch dem Bereich des Buchmarktes widmen. Grimms Märchen haben weiterhin viel Erfolg, wie wir an den zu den zu besprechenden Daten ablesen können.

Arnds, Peter (Dublin/Irland)

Representation, Liminality, and the Third Reich in Literary Adaptations of the Grimm Tales My presentation will highlight key moments of liminality between the human and the animal in novels about the Second World War, Grass’s The Tin Drum (1959), Michel Tournier’s The Ogre (1979), Jerzy Kosinski’s The Painted Bird (1965), and Edgar Hilsenrath’s The Nazi & the Barber (1977). These texts draw satirically on fairy tales by the Grimm Brothers: the Tom Thumb tales, , and . My central argument is that their recourse to some of the fairy tales by the Grimm Brothers is closely linked to the limits of representation of historical limit events such as the Holocaust and Nazi euthanasia. My paper posits that some of the literature dealing with the Nazi crimes and specifically with the experience of the Holocaust displays these acts of “translation” from the real to the mythical in order to offer ways of coming to terms with trauma. I focus specifically on Giorgio Agamben’s figure of the homo sacer, who occurs in literature as early as Viking saga, but also in folktales such as the Grimms’ Der Bärenhäuter, and then impacts the intertextual structure of novels about genocide in the twentieth century.

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Bauer, Manuel (Marburg)

Wie wird aus einem Grimmschen Kinder- und Hausmärchen ein Kunstmärchen aus Zamonien? Walter Moers’ Ensel und Krete und die Transformation eines romantischen Märchenmodells Walter Moers ist einer der populärsten deutschsprachigen Autoren der letzten Jahre. Seine von dem fiktiven Kontinent Zamonien handelnden Romane zeichnen sich durch eine Vielzahl von Referenzen zur europäischen Literaturgeschichte aus und integrieren klassische literarische Texte durch intertextuelle Techniken in einen fantastischen Erzählkosmos. Moers’ Roman Ensel und Krete ist nicht nur der experimentellste Zamonien-Roman, sondern stellt auch ein bemerkenswertes Rezeptionszeugnis eines Grimmschen Märchens dar.

Der unverkennbar als Adaption von Hänsel und Gretel ausgewiesene Roman Ensel und Krete tritt in einen Dialog mit seinem ebenso klassischen wie populären Prätext. Durch die dem Grimmschen Erzählen zuwiderlaufende, exponiert artifizielle und selbstreflexive Erzählweise entwirft Moers ein von den Kinder- und Hausmärchen abweichendes Modell des Märchens. Während sich Moers inhaltlich an der Vorlage der Grimms orientiert, greift er formal die Schreibweisen der romantischen Kunstmärchen auf. Der Vortrag will das Verhältnis von Hänsel und Gretel zu Moers’ Ensel und Krete vorstellen und diskutieren, wie die literarische Auseinandersetzung mit einem Kinder- und Hausmärchen zu einer Reflexion über die Bedingungen fantastischen und märchenhaften Erzählens im Allgemeinen geraten kann.

Beck, Andreas (Bochum)

Die ›Gattung Grimm‹ wird zum ›Volksmärchen‹ – Ludwig Richters Illustrationen zu Johann Carl August Musäus’ Volksmährchen der Deutschen Heute gelten die Kinder- und Haus-Märchen als ›Volksmärchen‹ – haben sie doch den Begründer dieser Gattung verdrängt: Ihr Siegeszug bringt im 19. Jahrhundert J. C. A. Musäus’ Volksmährchen der Deutschen (1782 87) um architextuelle Vorbildfunktion und Renommee. Die negative postgrimmsche Sicht auf Musäus gründet nun nicht nur in diskursiven literaturkritischen Äußerungen; die illustrierte Prachtausgabe der Volksmährchen (1842f.) dürfte entschieden zu jenem gattungspoetischen Paradigmenwechsel beigetragen haben. Durch sie ehrt die junge Germanistik den Spätaufklärer mit einer wissenschaftlichen Edition seines Hauptwerks – um zugleich im Namen des ›wahren‹, Grimmschen ›Märchens‹ seine Abwertung zum poeta minor vorzubereiten. Denn hier bestimmt die Grimmsche Perspektive den Blick auf Musäus: in Gestalt oft vorzüglicher Holzstiche, etwa derjenigen nach Ludwig Richter.

Letztere bieten eine poetologische Reflexion: Der Romantiker Richter widerspricht im Sinne der aufklärungsskeptischen ›Gattung Grimm‹ dem Musäischen Text, er hilft, die Position des ›Volksmärchens‹ für eine Neubesetzung zu räumen – und doch agiert er als profunder Musäus- Kenner, der dessen narrative Launen kongenial visualisiert. So ist die Prachtausgabe Ort einer spannungsvollen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: des kommenden romantisch-grimmschen sowie des scheidenden aufgeklärt-humoristischen ›Volksmärchen‹-Modells. Hier wird auf außergewöhnlichem ästhetischem Niveau ein gattungspoetologischer Umbruch erfahrbar, was die Analyse aussagekräftiger Musäisch-Richterlicher Wort-Bild-Texturen zeigen soll.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Becker-Cantarino, Barbara (Columbus (Ohio)/USA)

Bettina von Arnims Märchenwelt und die Brüder Grimm Seit Bettina von Arnims Mitarbeit an den Projekten der Heidelberger Romantik, der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn und der Zeitung für Einsiedler, für die sie (ungedruckt bleibende) Märchenentwürfe verfasst hatte, war sie mit den Brüdern Grimm befreundet, die ihr dann in persönlich gehaltenen gedruckten Widmungen in allen Auflagen von 1812 bis 1843 die Kinder- und Hausmärchen zueigneten. Mein Vortrag geht von den biographischen Bezügen aus (u.a. Achim von Arnims Rolle, der wie schon H. Rölleke gezeigt hat, Bettinas frühe Märchenentwürfe nicht an die Grimms weiterleitete) und zeigt die differierenden Auffassungen zur Gattung Märchen bei Bettina, die mit ihrer schöpferischen Fantasie aus tradiertem Material neue märchenhafte Episoden in ihren späteren Briefbüchern entwickelte. Während ihre Texte wie der sog. „Heckebeutel“ überzeugend als lebensweltliche und politische Referenztexte gelesen werden (U. Landfester), geht mein Vortrag dem Komplex der bisher kaum rezipierten poetischen Umformung von Märchenmotiven und volkstümlichen Stoffen in ihrem Werk (Goethebuch, Günderode und Königsbuch) nach.

Bieber, Ada (Kassel)

Zyklisches Erzählen in Tiecks Märchen Traditionell entwirft das zyklische Erzählen eine narrative Ordnung, die sowohl das mündliche Geschichtenerzählen als auch die ästhetische Bearbeitung literarisch vertrauter Themen und Motive legitimiert. In seinem Phantasus, dessen erster Band im gleichen Jahr wie die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm erscheint, wählt Tieck demgegenüber einen „wundersamen Ton“, der bei den Gesprächspartnern der Rahmenhandlung immer wieder Befremden auslöst. Um diese „anti-kollektivistische Tendenz“ (A. Koschorke) der Phantasus-Märchen deutlicher herauszuarbeiten, steigert Tieck deren artifiziellen Charakter, indem er jedes Märchen um eine weitere ‚reale‘ Rahmenhandlung erweitert, die sich von den geheimnisvollen Begebenheiten des Binnengeschehens abzuheben scheint. Diese doppelte Grenzziehung um das „Unwägbare“, wie Tieck es nennt, soll im Zentrum des Vortrags stehen und in Anlehnung an Jurij M. Lotmann als vergebliches Bemühen diskutiert werden, das Verstörende inmitten einer vertrauten Wirklichkeit zu marginalisieren. Denn Tieck versteht die semiotische Ordnung einer Kultur nicht als stabiles Weltbild, vielmehr entlarvt sich diese „Selbstbeschreibung“ als beschränkt, sobald beispielsweise uneingestandene Ängste auf den Raum jenseits der eigenen Kulturgrenze projiziert werden. An die Stelle solcher ‚Chaotisierungen‘ tritt im Phantasus ein mythopoetischer Raum, der die „strukturelle Organisation“ einer Kultur wieder um „innere Unbestimmtheiten“ bereichern soll. Übertragen auf die Poetik des Märchens, offenbart das zyklisch unabschließbare Erzählen seine zutiefst romantische Absicht erst dort, wo über die Poetisierung der Wirklichkeit hinaus soziale Verständigungsmuster als das eigentlich Befremdende entlarvt werden. Mit Tiecks berühmten Worten trägt das Märchenerzählen gleichzeitig dazu bei, dass „jeder“ sich „etwas anderes dabei“ denkt, wenn es um das Aushandeln kollektiver Gewissheiten geht.

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Blazic, Milena Mileva (Ljubljana/Slowenien)

Reception of Grimm’s Fairy Tales in Slovenia (1849-2012) 1. Ancient Emona (modern Ljubljana) is associated with The Argonauts and Jason is regarded as its founder. Ship Argo arrived up from the rivers Danube, Savus and Nauportus. Due to myth the Argo was transported across the Alps to the Adriatic Sea and back to Greece. Across the time of the three millennium the myth become type ATU 513B named ship that can travel on land as well in water that is also mentioned in the Grimm’s tales (KHM 64).

2. For the reception of Grimm’ Fairy Tales in Slovenia is important the personal meetings of Jacob Grimm with Jernej Kopitar Slovenian scholar and librarian at the Congress in Vienna in 1815. Their correspondence was from 1819 until 1844.

3. Reception of Grimm’s collection of Children’s and Household Tales 1812-15 with folk name Grimm’s Fairy Tales started in Slovenia with translation of fairy tales The Poor Man and the Rich Man (1849), (1857), The Little Red Riding Hood (1875), (1888), (1895), Hansel and Gretel (1895) etc. The first collection is published in 1887 as Tales for Children.

4. Grimm’s Fairy Tales influenced also Slovenian adaptations in different media e.g. Puppet Theatre Ljubljana (e. g. The Bremen Town-Musicians, , Hansel and Gretel, Little Red Riding Hood, Snow White, , etc.) and Slovenian modern authors as Svetlana Makarovič (The Red Apple, Katalena, Sneguročka , etc.).

5. The newest example of reception is subversive version of Grimm’s fairy tales from Lila Prap 1001 pravljica (1001 Fairy Tales) as mix Grimm’s fairy tales for iPad (2012).

Bleckwenn, Helga (Flensburg)

Das Forschungsprogramm der Grimms am Beispiel des Finnen Elias Lönnrot Das Forschungsprogramm der Brüder Grimm sollte, nach historischer Interpretation und Nachweis der Buchmärchen und ihrer Quellen, als zukunftsweisend wiederentdeckt und in seiner internationalen Wirkung rekonstruiert werden.

Als Beispiel werden die Forschungen des Finnland-Schweden Elias Lönnrot (‚Kalevala’) vorgestellt. Sie wurden auch von den Grimms rezipiert und können als zeitgenössische Ausführung ihres Forschungsprogramms interpretiert und in der Wirkung dargestellt werden. Aus meiner persönlichen Kenntnis des genannten Sammelbereichs in Karelien (heute russisches Staatsgebiet) ist auch die aktuelle Bedeutung dieser Forschungen kritisch zu würdigen. Weiterführend sollen Überlegungen zum mündlichen Erzählen angestellt werden, das derzeit in Forschung, Literatur und Publizistik wiederentdeckt wurde, aber nicht auf mögliche Anfänge bei den Brüdern Grimm reflektiert wird.

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Block, Friedrich W. (Kassel)

„Ich rieche, rieche – Menschenfleiß“Grimms Märchen im Spiegel avancierter Poesie Das Zitat im Titel findet sich zu Beginn von Ernst Jandls Frankfurter Poetikvorlesung. Von der Poesie als Mangel an Faulsein ist die Rede, vom Sprech- und Lautgedicht, von der Schönheit heruntergekommener Sprache, vom Eigenleben des Dichters in der Sprache. Das verdichtet sich im Wort ‚Menschenfleiß‘: Eine kleine pointierte Lautverschiebung wird hier dem Satanswort aus dem Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ angetan. Damit wird performativ der Rückbezug auf die romantische Märchenpoesie sicherlich nicht ohne parodistische Note in das Programm experimenteller Sprachkunst eingerückt. Dergleichen intertextuellen Bezügen zu den „Kinder- und Hausmärchen“ in gegenwärtiger Poesie geht der Vortrag nach und behandelt dabei Fragen wie: Welche Aspekte der Grimm-Märchen werden durch künstlerische Verarbeitung und Interpretation auf welche Weise Gegenstand poetischen Interesses? Welche individuellen und allgemeineren poetologischen Prinzipien werden in der Märchenverarbeitung deutlich? Lassen sich in der poetischen Selbstreferenz bestimmte programmatische Gesichtspunkte herausfiltern? Welche Bedeutung hat die romantische Reminiszenz für avancierte Entwicklungen der Gegenwartsdichtung bzw. für die – im systemtheoretischen Sinne – Selbstbeschreibung der Poesie? Dies soll abschließend zu einigen Thesen zur Profilierung des Poesiebegriffs heute führen, auch als Korrektur seiner stiefmütterlichen Behandlung im „Handbuch ästhetischer Grundbegriffe“.

Bluhm, Lothar (Koblenz)

Die Kinder- und Hausmärchen zwischen Philologie und Spekulation. Möglichkeiten und Grenzen der Forschung Die Kinder- und Hausmärchen sind ein Feld, auf dem sich die unterschiedlichsten populären, populärwissenschaftlichen und fachwissenschaftlichen Interessen begegnen. Die verschiedensten Selbstverständlichkeiten stoßen aufeinander und lassen ein diffiziles System wechselseitiger Irritationen entstehen. Die vorherrschenden Reaktionen aufeinander sind Unverständnis, Ablehnung und Entgegensetzung sowie die Praxis der Wahrnehmungsverengung oder sogar -verweigerung. Selbst wenn man den Blick auf die fachwissenschaftlichen Zugangsweisen zu den Kinder- und Hausmärchen konzentriert, zeigen sich teilweise bereits fundamentale Differenzen in Hinblick auf den Gegenstandsbezug und dessen Einordnung. Das Referat will in diesen Streit nicht im Sinne einer Parteinahme einsteigen, sondern will in einer kritisch-räsonierenden Darstellung und Diskussion die wissenschaftlichen ‚Basics‘ verhandeln, die eine integrative KHM- und Märchenforschung tragen können. In einer nüchternen Bestandsaufnahme sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer sachangemessenen KHM- und Märchenforschung sichtbar gemacht werden. Zugleich sollen die verschiedenen ‚Räume‘ umrissen und miteinander in einen produktiven Dialog überführt werden, in denen die unterschiedlichen (Forschungs-)Interessen mit ihren jeweiligen Selbstverständlichkeiten zugleich ihren (fach- )spezifischen Aufgabenstellungen wie möglichen Leistungsnachfragen durch andere (Forschungs- )Interessen gerecht werden können.

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Blümer, Agnes (Frankfurt a. M.)

Märchen und Übersetzungstheorie Im Zusammenhang mit den Kinder- und Hausmärchen spielen Übersetzungen eine entscheidende Rolle: Die zahlreichen Übersetzungen zeugen vom weltweiten Interesse an diesem Werk, das international vielfach nachgeahmt wurde. Jacob und Wilhelm Grimm wurden jedoch nicht nur übersetzt, sie übersetzten auch selbst und vor allem Jacob Grimm beschäftigte sich auch theoretisch intensiv mit dem Konzept und den Problemen des Übersetzens. In der Vorrede zur deutschen Übersetzung (1846) von Giambattista Basiles Märchensammlung Pentamerone stellt Jacob Grimm seine Übersetzungstheorie explizit vor. Übersetzung erscheint ihm als eine Möglichkeit, das unvollkommene Original zu korrigieren, mit der Übersetzung noch auf den Ausgangstext Einfluss zu nehmen. Mit der schwierigen Übersetzung des Pentamerone ins Deutsche und den kaum übersetzbaren „fast morgenländisch heiszen und sprudelnden bilder[n]“ des Neapolitanischen liege eine Herausforderung für die zahme deutsche Sprache vor, die der Übersetzer Felix Liebrecht nur mit Glättungen des Textes lösen könne. Grimm verbindet darüber hinaus Märchen- und Übersetzungstheorie: Er stellt der angenommenen natürlichen Verwandtschaft der Märchenpoesien über Ländergrenzen hinweg die unversöhnliche Inkongruenz der Sprachen gegenüber. So deuten sich Konzepte an, die auch in der modernen Übersetzungstheorie eine große Rolle spielen, etwa die Frage nach der Übersetzbarkeit, der Verschiedenheit der Sprachen und der Notwendigkeit von Adaptionen.

Bogoljubowa, Victoria (Moskau/Russland)

The Present Day of the Brothers Grimm Fairy-tales, or Intertextuality in the Contemporary German Children’s Literature The Brothers Grimm fairy-tales find their second life in contemporary children’s literature, which is rich in intertextual allusions. The latter often function as the primary texts.

The above intertextual allusions are specific in the sense that they are explicated and can thus be easily identified by the reader. The most frequent sources of intertextual references are the world and the German classical literature, the world and the , with the Brothers’ Grimm fairy-tales as the most conspicuous ones. Thanks to the intertextual allusions, the symbols are shaped in the works of children’s literature.

Of note is the multi-functionalism of the intertextual allusions of the German children’s literature. The latter play the structural role; they are also important for shaping the images, creating the comic effect, and for involving the primary text into play.

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Boitor, Kinga und Melinda Ersze (Sibiu/Rumänien)

Die Brüder Grimm als Brückenbauer "Jemandem goldene Brücken bauen" heißt in leicht übertragenem Sinne, jemandem die Verständigung erleichtern. Menschen vieler Kulturen fühlten sich und fühlen sich weiterhin von den Märchen und Sagen der verschiedenen Völker berührt und angesprochen, denn in ihnen verdichten sich gemeinsame Erfahrungen, Wünsche und Hoffnungen. Dennoch gibt es auch Märchen, die durch die enthaltenen Klischees und Stereotypen ein Sich-Näher-Kommen fremder Kulturen eher verhindern. Die beiden aus Siebenbürgen, Rumänien stammenden Autorinnen untersuchen in einem interkulturellen Vergleich, in wieweit die Märchensammlertätigkeit der Brüder Grimm bzw. die von ihnen gesammelten Märchen und Sagen als Brückenbauer auftreten können. Die immer wieder neu interpretierte Sage „Der Rattenfänger von Hameln“ sei nur ein Textbeispiel für die verschiedenen Aspekte, die ein Abrunden des symbolischen Brückenbauer-Bildes ermöglichen. Desgleichen möchten die Autorinnen der Frage nachgehen, ob es im Siebenbürgischen Raum - wo die Märchen und Sagen der Brüder Grimm neben der deutschen Fassung in rumänischen, ungarischen, deutschen und im Unterricht sogar in englischen Übersetzungen koexistieren – ob es also bestimmte Märchen gibt, die man lieber nicht vorliest oder gerade deswegen vorliest, weil sie Klischees unterstützen. Das Symbol des Brückenbauers soll in dieser Studie von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, damit facettenreiche Schlussfolgerungen ermittelt werden können.

Boothe, Brigitte (Zürich/Schweiz))

Erzähldynamik und Psychodynamik im Grimmschen Märchenmodell Märchen entwickeln dramaturgische Muster wunscherfüllender Modelle. Wie weibliche und männliche Protagonisten stark und reich werden, wie sie dem Bedrohlichen, Aversiven, Fremden und Erregenden der Sexualität zurechtkommen, wie sie den Liebesgefährten ihrer Wahl gewinnen und wie sie verführen und streiten, dafür präsentieren die Märchen der Brüder Grimm eine dynamische Handlungslogik, zugeschnitten jeweils auf eine ganz spezifische emotionale Herausforderung. Wir beginnen mit armen Waisen, kommen von diesen zum Thema des Urvertrauens und von dort zu den Glückshoffnungen, die menschliche Entwicklung von Kindheit an zur persönlichen Utopie gelingenden Lebens werden lassen; und schließlich schenken wir den Bedingungen erotischer Intimisierung besondere Aufmerksamkeit.

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Borghese, Lucia (Florenz/Italien)

Gramsci als Übersetzer Grimmscher Märchen Ein bedeutender Teil des Vermächtnisses Antonio Gramscis, der infolge der von Mussolinis Regierung erlassenen Sondergesetze 1927 verhaftet und als marxistischer Denker eingekerkert wurde, ist noch weitgehend unerforscht. Die “Gefängnishefte” seiner Übersetzungen vom Deutschen ins Italienische wurden erst 2007 veröffentlicht (Quaderni di traduzioni, 1929-1932, 2 Bde., hg. G. Cospito/G. Francioni. Kritische Ausgabe der Quaderni del carcere, hg. G. Francioni, Istituto della Enciclopedia Italiana). Sie enthalten neben Auszügen aus Werken Goethes 24 Texte aus der Grimmschen Sammlung Fünfzig Kinder-und Hausmärchen, die er als Reclam-Ausgabe besaß und auf die er sich bereits 1917 vorbildhaft bezog. Gramscis historisch-kritisch profilierte Auswahl und Übersetzung Grimmscher Märchen zeugt von einem feinen sprachlichen Bewusstsein, das sich in Zusammenhang mit der Wiederaufnahme seines früheren sprachwissenschaftlichen Studiums entwickelt. Indem er sich vornimmt, die Märchen von der einen in die andere Weltanschauung zu übertragen, zeichnet sich Gramscis Übersetzertätigkeit – durch die Originalität der Bilder für die weltbekannten Hauptfiguren (Sneewittchen, Daumesdick) und für die merkwürdigsten Sprüche – als spröde Nachbildung und mythopoetische Erfindung zugleich aus. Zwischen Nachtstück und Volksmärchen hybridisierend gilt seine Übertragung als “ein persönlicher Beitrag zur Entwicklung der Phantasie der Kleinen”.

Bottigheimer, Ruth B (Stony Brooks (New York)/USA)

Analysis of the 1812 First Edition On its first appearance in the Christmas season of 1812-1813, the Grimms’ Kinder- und Hausmärchen was very different from its final 1857 incarnation. Its Hänsel und Gretel didn’t yet have a stepmother, and Rapunzel, whose guardian was a fairy not a sorceress, became visibly pregnant, while Aschenputtel’s mother, before she died, gave her daughter detailed directions about how to get help in the future. A close examination of the social and moral values of the 1812 First Edition show a collection that still exemplifyied German bourgeois Enlightenment values and that had not yet become a compendium of nineteenth-century Central European social, moral, and gender ethics.

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Braun, Raphaela (Marburg)

Märchen als Volkspoesie – ein gattungstypologischer Versuch zum deutschen und spanischen Umgang mit Traditionsbegriffen an Hand ausgewählter Grimmscher Märchen und Bécquerscher „Leyendas“ Trotz des bis heute sichtbaren Erfolgs der Sammlung der Brüder Grimm als buchstäbliche Volksgattung bleibt der Volksmärchenbegriff und sein Verhältnis zum romantischen „Kunstmärchen“ wissenschaftlich umstritten. Eine europäische Sichtweise, Beispiel ist hier Spanien, verkompliziert die Problemstellung noch, da sich das Textkorpus erheblich erweitert. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass sich in den meisten europäischen Nationen kein genau zum Grimmschen Märchenbegriff adäquat verwendbarer Terminus findet. Folglich erschließt sich ein zum Vergleich geeignetes Paradigma also nur, wenn der Gattungsbegriff um diejenigen Formen, die inhaltlich eine ähnliche Funktion für das sich neuformende Verständnis von Nation und Tradition aufweisen, erweitert wird. Sowohl der typologische Diskurs als auch Betrachtungen des literarischen Umgangs mit einem beginnenden National- und Traditionsbewusstseins in Europa können so bereichert werden. Hier soll im Rückgriff auf die „Gattung Grimm“ eine Neueinordnung der „Leyendas“ des spanischen Spätromantikers/Frührealisten Gustavo Alfonso Bécquer unternommen werden. Diese Sammlung von Erzählungen des Autors, deren überzeugende Einordnung durch die Forschung auf Grund einer Durchmischung heterogener Gattungsmerkmale noch aussteht, greift bezeichnenderweise auf spanische Regionalismen, europäische und indische Traditionen zurück und erzeugt künstlich, wenn auch in der innovativen Handschrift Bécquers, eine Art verschriftlichter Mündlichkeit. Ohne eine nachweisbare gegenseitige Kenntnis der Projekte erweisen sich sowohl Bécquer als auch die Grimms als Erzeuger einer kurzen „welthaltigen“ Volksgattung. Nach den jeweiligen Zielsetzungen, sowie den Erkenntnissen über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, Poesie und Volk, Tradition und Nation soll in beiden Fällen vergleichend gefragt werden.

Bunzel, Wolfgang (Frankfurt a. M.)

Kooperation und Konkurrenz. Konzepte der Märchennarration und -illustration bei Clemens Brentano und den Brüdern Den Impuls zum Sammeln von Märchen haben die Brüder Grimm von ihrem Freund Clemens Brentano erhalten. Mehr noch: Die ersten Niederschriften mündlich erzählter wunderbarer Geschichten fertigten sie ausdrücklich für ihn und in seinem Auftrag an. Im Gegenzug erhielten Sie Zugang zu seltenen Büchern aus seiner Privatbibliothek. In-dem beide Seiten um den Jahreswechsel 1810/11 einander das Recht zugestanden, mit dem gesammelten Material auf je eigene Weise umzugehen, verwandelte sich das kollegiale Verhältnis aber mit einem Mal in eine Konkurrenzsituation, ging es doch fortan darum, wer als erster seine Buchpublikation fertigstellen und wer dann damit faktisch reüssieren würde. Der Vortrag will das entstehungsgeschichtliche Nebeneinander der Märchenproduktion Brentanos und der Grimms als Konkurrenzverhältnis sichtbar machen und zeigen, wie die befreundeten Kollegen jeweils aufeinander reagierten. Sichtbar wird so ein spannungsreicher Werkdialog. Erst vor diesem Hintergrund wird es möglich, die divergierenden Konzeptionen des „romantischen“

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Märchens bei Clemens Brentano und den Grimms neu zu perspektivieren und die Interdependenzen zwischen beiden Unternehmen vor Augen zu rücken.

Busch, Nathanael (Marburg)

„Was halten Sie vom tz?“ Grimm, Lachmann und die Grundlegung der Deutschen Philologie Der Briefwechsel zwischen den Brüdern Grimm und dem Philologen Karl Lachmann zeichnet ein Bild von den Grimms, das man nur schwer mit der landläufigen Vorstellung der Märchensammler in Einklang bringen kann: das Bild nämlich von Germanisten, die sich ohne Unterlass einer knochentrockenen Arbeit widmen. In den Briefen werden kaum Befindlichkeiten ausgetauscht, primär geht es um spröde Reimverzeichnisse, grammatische Belege usf. Der Briefwechsel ist deshalb ein bedeutender wissenschaftsgeschichtlicher Fundus. Die Arbeitsweise von Lachmann und (besonders Jacob) Grimm, wie sie sich in den Briefen zeigt, sollte grundlegend für die sich etablierende ‚Deutsche Philologie‘ werden. Durch ihr Vorgehen wurden methodische Festlegungen getroffen, die sich langfristig gegenüber konkurrierenden Möglichkeiten durchsetzten.

Büttner, Urs (Bath/Großbritannien/Hannover)

Medien der ‚Volksliteratur‘ Zur Pragmatik von Arnim und Brentanos „Des Knaben Wunderhorn“ und Grimms „Kinder- und Hausmärchen“ Die von Arnim und Brentano herausgegebene ‚Volksliedsammlung‘ Des Knaben Wunderhorn und die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm verfolgen ein ähnliches Ziel. Beide wollen die im Schwinden begriffene ‚Volksdichtung‘ wieder erneuern und verbreiten.

Soweit die Gemeinsamkeiten, denn sie intervenieren in verschiedene historische Situationen hinein. Während das Liederbuch sich auf die Situation am Vorabend der napoleonischen Invasion bezieht, publizieren die Grimms ihre Sammlung, als Napoleons Armeen bereits auf dem Rückzug sind. Von daher lassen sich die unterschiedlichen Medienstrategien beider Unternehmungen erklären, die ihr Ziel auch auf sehr unterschiedliche Weise erreichen wollen. Während die beiden Heidelberger Romantiker die deutsche Nation als großen Chor in ihrer unmittelbaren Gegenwart einigen wollen, planen die Grimms langfristiger und setzen auf die Bildung heranwachsender Generation.

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Chakramakkil, Anto Thomas (Kerala/Indien)

Missionaries OR Mimics? : Brothers Grimm & 19th Century Protestant German Missionaries in India Romanticism as a philosophy has greatly influenced the activities of German protestant missionaries in 19th century India. Romanticism emphasized a renewed interest in folk culture and promoted preserving the stories, songs, and legends. One significant manifestation of Romanticism in Germany was the collection and publication of Grimm’s Fairy Tales in 1812. When they were children, probably, the German missionaries heard or read Grimm’s Tales; later they mimicked Brothers Grimm and collected the local folktales, publishing them as school texts for children. Missionaries like Dr. Hermann Gundert in Kerala in India, no doubt, must have been familiar with Grimm’s fairy tales, for, his grandson, Nobel Laureate Hermann Hesse remember him as a person imbued with folk and mythic culture. I argue in this paper that the German missionary taste for Indian myths and folktales find root in their homeland, especially in the historical philosophy of German Romanticism, especially in the significant fruit of this movement viz. the Fairy Tales of Brothers Grimm

Chang, Young-Eun (Seoul/Südkorea)

Die Mittelalterrezeption in den Märchensammlungen der Brüder Grimm und Ludwig Tiecks Dieser Beitrag möchte einen Überblick darüber geben, wie in den Märchensammlungen der Brüder Grimm und Ludwig Tiecks während der Romantik deren jeweilige Begriffe vom Mittelalter zum Ausdruck kommen. Aus moderner Sicht sollen dazu Betrachtungen über die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm und Tiecks Märchensammlungen, etwa die „Volksmärchen von Peter Lebrecht“, angestellt werden. Die Texte sollen vor dem Hintergrund der Mittelalterrezeptionen der Brüder Grimm und Tiecks analysiert und neu bewertet werden. Was den Rückgriff auf die mittelalterlichen Erzählstoffe, deren Bearbeitungen und Veränderungen betrifft, besitzen die Grimmschen Märchensammlungen enge Berührungspunkte mit Tiecks Märchen. Gleichzeitig ergibt sich die Frage, inwieweit und worin sich die Mittelalteradaption bei den Brüdern Grimm und Tieck unterscheidet. So verändert sich beispielsweise die Sichtweise auf das Mittelalterbild in den Werken Tiecks im Laufe des 19. Jahrhunderts. Erscheint das Mittelalter zunächst als finstere Epoche, so gewinnt es im Laufe der Zeit hellere und freundlichere Züge, wie sich in der „Wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence“ zeigt. Unter werkanalytischer Perspektive wird die Literarisierung neuerer, fiktionaler Nachgestaltungen des Mittelalters herausgearbeitet. Zugleich kann auch die moderne Mittelalterezeption anhand jüngerer internationalen Adaptionen der Grimmschen Märchen erörtert werden.

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Choi, Moon Sun (Seoul/Südkorea)

Aktuelle Adaptionen der Kinder- und Hausmärchen in Korea Die Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Korea bekannt, wo sie zuerst in der japanischen Ausgabe vorlagen und bald darauf auch ins koreanische übersetzt wurden. Seitdem folgten unzählige Auflagen und Bearbeitungen, die zeigen, welch großer Beliebtheit sich die Märchen erfreuen. Auch in jüngerer Zeit dienen die Märchenstoffe und –motive der KHM in Korea als Vorlage für Fernsehserien, Filme, Theaterstücke und Romane für Kinder und Erwachsene.

Der Beitrag untersucht exemplarisch zwei Adaptionen, ein Kinderbuch und einen Film, der sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Es handelt sich um dabei zum einen um „Der Zwerg, der Schneewittchen geliebt hat“, ein Buch, das, für das Theater bearbeitet, momentan in Korea auf der Bühne große Erfolge feiert. Zum anderen geht es um Yil Pil-Sungs Film „Hansel und Gretel“ aus dem Jahre 2007, der auch in Deutschland im Kino gezeigt wurde.

Beide Adaptionen der Stoffe werden, immer vor dem Hintergrund der unterschiedlichen kulturellen Traditionen, daraufhin analysiert, welche Aspekte der Grimmschen Märchen jeweils aufgegriffen werden, auf welche Weise bestimmte Motive transformiert werden und inwiefern die erzählten Geschichten auf die aktuelle gesellschaftliche Situation in Korea verweisen.

Clairmont, Heinrich (Castrop-Rauxel)

Märchen und Volk im Denken Johann Gottfried Herders …

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Connan-Pintado, Christiane (Bordeaux/Frankreich)

On the reception of the Brothers Grimm’s Rapunzel in Contemporary French Children’s literature Rapunzel’s actualisation by the recent movie Disney is an invitation to investigate the reception of a tale which owes its remarkable success to media culture. Grounded both on Italian and French literary and oral sources, classified in the « cruel tales » category by par Maria Tatar, Rapunzel has not been included in the Brothers Grimm’s 1825 Small Edition, for it did not seem appropriate to the young audience to which the book was directed. The detailed modifications of the tale aiming at toning down its erotic and violent resonances so as to bring it into conformity with the narratives expected to be given to children, are well known. Our purpose is to provide a quantified view of Rapunzel’s presence within the volumes of collected tales and of picture books. The interpretative variations between tradition and modernity will be assessed through the degree of legitimacy they occupy in a domain where the publisher’s constraints are more heavily felt and particularly so far as the customer’s ordering is concerned. We however bound to wonder whether the imposed conditions can be an incentive to the artist’s creation or whether unfaithful versions can foster unexpected creation. Through their iconographic and textual delineations, these transformations of Rapunzel testify to the evolution of the French Children’s literature in its approach to our artistic heritage.

Cortez, Maria Teresa (Aveiro/Portugal)

Grimms Märchen, „Naturpoesie“ und kindgerechte Erziehung - zum Paradigma-Wechsel der portugiesischen Kinderliteratur im ausgehenden 19. Jahrhundert Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts blieb die portugiesische Kinder- und Jugendliteratur noch in den alten Vorschriften der Aufklärungsjahre verhaftet, die, im portugiesischen Fall, eine radikale Abwendung vom Magisch-Märchenhaften und Irrealen diktierte.

Der Beginn der portugiesischen Märchenforschung in den 70er Jahren wird entscheidend zur Öffnung der Kinderliteratur in Hinblick auf Märchen beitragen. Zur Verwendung der „Naturpoesie“ als geeignete Form der literarischen Unterhaltung der Kinder trug auch die Entdeckung der romantischen Pädagogie Friedrich Froebels und seiner Nachfolger bei.

Welche Stellung nehmen die Märchen der Brüder Grimm bei diesem Paradigma-Wechsel der Kinderliteratur in Portugal ein? – diese Frage wird sich als Angelpunkt des vorliegenden Beitrags konstituieren. Die nicht immer übereinstimmenden Sichtweisen portugiesischer Märchenforscher, Philologen/innen und Schriftsteller/innen über die Vor- und Nachteile der Übersetzung der Kinder- und Hausmärchen, die Vermittlung Frankreichs bei der Rezeption der grimmschen Märchen in Portugal und die damit verbundenen Folgen, die “Konkurrenz” zwischen nationalen und ausländischen Volksmärchen, sowie andere wichtige Verflechtungen im Rezeptionsprozess werden beschrieben und dargelegt. Im letzten Teil dieses Beitrags werden die eigentliche Repräsentativität des Namens Grimm und deren Märchen in der Kinderliteratur Portugals bis zur Jahrhundertwende, ihre Bedeutung und Auswirkungen auf portugiesische Kinderbuchautoren analysiert.

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De Blécourt, Willem (Amsterdam/Niederlande)

The Brothers Grimm and Witchcraft Witches feature in different publications by the Brothers Grimm. They form an integral and relatively new part of the Kinder- und Hausmärchen, they are represented in several of the legends in the Deutsche Sagen, while they are theorized in both the annotations of the KHM and in the Deutsche Mythologie. Although the texts are of different character than the fairy tales, for the Grimms the witches will have presented a unified entity. This included the historical development of the concept: like other narrative figures the witches in the stories collected by the Grimms were seen as the relics of bygone mythologies, evolving out of a combination of goddesses, priestesses, swan maidens and valkyrie. The Grimms were certainly aware of continuing existence of witchcraft; witchcraft (and ghost) legends "renewed" themselves more often than others as they wrote in 1816, but they did not include any contemporary report in their collections. Their various publications about witches thus constitute a distorted picture of historical witches: in the fairy tales it is primarily literary, as it is in Jacob's Mythologie; in the legends it mainly involves intellectual renderings of personal accounts. And it completely misses out on the witchcraft stories and accusations which still circulated at around 1800. For the eighteenth century these can still be found in judicial and medical sources. In the middle of the nineteenth century, folklorists working in the wake of the brothers Grimm, did note down contemporary witchcraft narratives. Material about witches, both within the publications of the Grimms and outside it, thus present an opportunity to juxtapose publication policy and mythological theory on the one hand with daily-life practice on the other. The question is whether any conclusion drawn from this specific confrontation has validity in a wider assessment of the work of the Brothers.

De Rosa, Alessandra (Frankfurt a.M.)

Märchen als historische Quellen: Die Rezeption des Pentamerone von Giambattista Basile im Werk der Brüder Grimm Die Suche der Romantiker nach alten Sagen und nach der Quelle der Naturpoesie hat zu Basiles Pentamerone (1634-1636) geführt. Das Interesse der Brüder Grimm für Basile beruhte auf der Überzeugung, die Texte wären eine genaue Aufzeichnung der mündlichen Erzähltradition und somit der wahrsten Seele des Volkes. 1822 lieferten Jakob und Wilhelm zusammen zu der zweiten Auflage von Kinder und Hausmärchen Kurzfassungen jedes einzelnen Cunto. Auf diese Kurzfassungen haben sich später einige deutsche Märchenforscher bezogen, unter anderem Felix Liebrecht, der 1846 die erste deutsche Übersetzung der 50 Märchen von Basile mit einer würdigenden Vorrede von Jakob Grimm veröffentlichte.

Meine Forschung betrachtet das Märchengut als historisches Material und versucht, einen sozialgeschichtlichen Vergleich zwischen den Epochen vor dem Hintergrund der Werke der Brüder Grimm und Basile zu schildern. Wie haben Jakob und Wilhelm Grimm in ihrem Kinder- und Hausmärchen Basiles Fundus benutzt und wie haben sie zu seinem Ruhm beigetragen? Der Vergleich zwischen einigen Grimms Überarbeitungen von Basiles Märchenmotiven wird aus historischer Perspektive betrachtet, und es wird versucht, einen Beitrag zur komparatistischen Kenntnis von Barock und Romantik auf literatur-historischer Ebene zu leisten. 25

„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Deist, Tina (Kaufungen)

Nicht nur Kinder brauchen „Lauter Märchen, nichts als Märchen“ — Zum Einsatz kabarettistisch verfremdeter Figuren der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen im kompetenzorientierten Deutschunterricht der Oberstufe Kinder brauchen Märchen nennt der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim 1977 seine ebenso oft zitierte wie kritisierte Studie über die Relevanz märchenhafter Stoffe für das Aufwachsen von Kindern. Zahlreiche Kerncurricula der deutschen Bundesländer scheinen dieser Forderung in ihren Empfehlungen für das Fach Deutsch nachzukommen. Etwa Hessen und Niedersachsen schlagen den Umgang mit märchenhaften Figuren, Handlungssträngen sowie wiederkehrenden Erzählstrukturen à la „Es war einmal…“ für die Jahrgänge 5 und 6 aller Schulformen vor. Doch welche Rolle spielen Märchen eigentlich in den weiteren sechs Schuljahren bis zum Abitur?

Schaut man sich einige Kerncurricula exemplarisch an, wird schnell deutlich, dass die Kinder- und Hausmärchen der Grimms keine Erwähnung mehr finden. Allenfalls das romantische Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann oder Novalis findet noch Einzug in den Deutschunterricht der Oberstufe. In meinem Beitrag zum Kongress möchte ich konkrete und in der Schulpraxis erprobte Möglichkeiten und Chancen aufzeigen, die diese Beschränkung der Märchenlektüre auf die ersten beiden Jahre der Sekundarstufe I aufheben lassen: Möglichkeiten und Chancen des Einsatzes kabarettistisch verfremdeter Figuren der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen im kompetenzorientierten Deutschunterricht der Oberstufe.

Dettmar, Ute (Oldenburg)

Die Rotkäppchen-Verschwörung Märchenfilme zählen seit Jahrzehnten zu den – nicht nur bei Kindern – erfolgreichen Formen der Tradierung und Popularisierung insbesondere der KHM; kaum eines der bekannteren Märchen der Sammlung ist nicht zur Vorlage für filmische Adaptionen geworden. Dabei sind nicht nur Trick- und Realfilm-Klassiker entstanden, die jedes Jahr vor allem zur Weihnachtszeit wieder neue Generationen erreichen, sondern auch Formen die mit komischen, parodistischen und karnevalesken Umcodierungen arbeiten. Insbesondere der Animationsfilm (man denke nur an die Shrek-Filme) erweist sich in den letzten Jahren im Spiel mit den Märchentexten als ausgesprochen kreatives Format. Der geplante Vortrag will sich mit dem Animationsfilm Die Rotkäppchen-Verschwörung (Hoodwinked!, 2005) beschäftigen. Wie wird hier mit welchen Formen und Funktionen mit den Genres, mit bekannten Stoffen, Figuren und Motiven gespielt, wie werden dabei abrufbare Erzählschemata, Handlungsverläufe und Figurenzeichnungen gebrochen und durch weitere Referenzen auf Filmgeschichte(n) und Populärkultur in neue, überraschende Lesarten überführt? Welchen Zugewinn, aber auch möglichen Verlust an ästhetischen Möglichkeiten bietet diese spezifische Form des Medientransfers auch im Kontext von derzeit sich abzeichnenden Tendenzen des Cross-Writing? –Dies sind Fragen, mit denen sich der Vortrag beschäftigen wird.

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Dolle-Weinkauff, Bernd (Frankfurt a. M.)

Mit Grimm in den Klassenkampf. Zur Rezeption der KHM im ‚Proletarischen Märchen’ des frühen 20. Jhs. Nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, namentlich während der Zeit der Weimarer Republik, kommt es in Deutschland und Österreich zu einer bis dahin nicht gekannten Vielfalt und Blüte des sogenannten Proletarischen Märchens. Zu den bekanntesten Autorinnen und Autoren zählen etwa Oskar Maria Graf, Bruno Schönlank, Lisa Tetzner und Hermynia Zur Mühlen, die Ausgaben waren illustriert von renommierten Künstlern wie Hans Baluschek, George Grozs, John Heartfield und Heinrich Vogeler. Dabei ist der Begriff des Märchens im gegeben Zusammenhang durchaus weit zu fassen, er impliziert neben dem so genannten Volksmärchen in der Tradition der KHM vielerlei Spielarten der Allegorie, Fabel und Parabel, orientalische bzw. als orientalisch angesehene Erzählstoffe sowie die breite Palette des zeitgenössischen Kunstmärchenverständnisses, angefangen mit Andersenschen bis hin zu symbolistischen und expressionischen Vorbildern. Das ‚Proletarische Märchen’ wollte einerseits etwas ganz Neues sein, leugnete andererseits aber keineswegs seine Orientierung an bestimmten tradierten Vorbildern. Grundlegend ist hier der Gedanke‚ dass die in der zeitgenössischen Kinderliteratur gängigen, bürgerlich gewendeten Märchenphantasien als Mittel der kulturellen Unterdrückung des proletarischen Kindes fungierten - und deshalb nur selektiv bzw. in gereinigter Form an das proletarische Kind weitergegeben werden sollten. Der Beitrag unternimmt es, den Umfang und die Bedeutung der Rezeption der Grimmschen Märchen und des Märchenverständnisses der Brüder Grimm in diesem Komplex zu bestimmen.

Dos Santos, Isabel (Matieland/Südafrika)

Aschenputtel in Afrika. Herausforderungen und Bereicherungen im Märchenseminar Volksmärchen sind wertvolle Schätze einer Kultur. Die Befassung mit Volksmärchen aus einer fremden Kultur kann dazu verhelfen, zu einem näheren Verständnis dieser Kultur zu gelangen. Im Volksmärchen können verschiedene kulturelle Weltanschauungen und Werte beobachtet werden. Deshalb sind sie ein ideales Mittel, eine andere Kultur besser zu verstehen und kennenzulernen. Ihr Einsatz in der Auslandsgermanistik ist darum von einem besonders großen Stellenwert, wie Erfahrungen in Südafrika zeigen. Die afrikanische Weltanschauung ist tiefgreifend anders als die der Europäer. Sie identifiziert sich in Bezug auf die Gemeinschaft; eine egozentrische Existenz ist Afrikanern fremd. Ihr Dasein wird aus dem Umgang mit Anderen erschöpft, sie finden ihre Identität in und durch die Gemeinschaft. Im Umgang mit Märchen treten viele dieser Kulturunterschiede in den Vordergrund, Genderfragen, zum Beispiel, erweisen sich in Afrika als besonders diskussionsträchtig. Noch interessanter ist jedoch, wie viele Gemeinsamkeiten sich zwischen vielen deutschen Grimm-Märchen und afrikanischen Märchen feststellen lassen. Ein Beispiel dafür unter vielen ist das deutsche Aschenputtel und die afrikanische Natiki. Die Essenz der Kulturen wird in Volksmärchen dargestellt, aber es ist gleichzeitig auch die Darstellung der Menschlichkeit, die überall in der Welt als wichtig angesehen wird. Statt dass wir von den Unterschieden und Verständnismängeln zwischen Kulturen geblendet werden, können Märchen durch Ähnlichkeiten verbinden. Die Märchen unterliegende Funktion, durch die inneren Kraftquellen

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel der Phantasie, der Gefühle und des Intellekt im Leben Ordnung zu schaffen, ist ein universelles Prinzip, das auch in Afrika Gültigkeit reklamiert.

Drößiger, Harry (Vilnius/Litauen)

Realienbezeichnungen in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm –interkulturelle und intrakulturelle Aspekte Der Vortrag stellt die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm unter den Aspekten der intra- und der interkulturellen Kommunikation in den Mittelpunkt. Dabei geht es sowohl um Probleme der Übersetzung und/oder der Übersetzbarkeit der Märchen als auch um Rezeptionsprobleme der Märchen in der deutschen Gegenwart. Beiden Problembereichen gemeinsam sind die Realien und ihre Bezeichnungen.

An den Realien und ihren Bezeichnungen wird die Verflechtung von Sprache und Kultur besonders deutlich. Durch ihre oftmals exklusive Zugehörigkeit zu einer Sprach- und Kulturgemeinschaft stellen Realien und ihre Bezeichnungen ein spezifisches Sprachmittlungsproblem dar, weil sie auf ein besonderes sozio-kulturelles Hintergrundwissen referieren. Realienbezeichnungen verdienen deshalb eine besondere Aufmerksamkeit der Erforschung, z. B. in einer interdisziplinären Verknüpfung von interkultureller Kommunikationsforschung und kognitiver Linguistik, denn es geht darum, kulturelles Wissen einer Sprach- und Kulturgemeinschaft einer anderen durch angemessene Verfahren sprachlich kommunizierbar und somit geistig verfügbar zu machen.

Die intendierte sprachlich-kognitive Untersuchung lässt sich in die Auffassung von Märchen als kulturhistorische und sozialgeschichtliche Quellen einordnen, zumal mithilfe der sprachlich- kognitiven Untersuchungen der in den Märchen auftretenden Realienbezeichnungen ein Beitrag zur Erarbeitung von Bild und Verständnis vom Leben der Menschen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert geleistet werden kann.

Eckstein, Kristin (Nienburg)

Deutsche Erzählungen, japanische Ästhetik: Die Transkulturalität der Kinder- und Hausmärchen anhand Kei Ishiyamas Grimms Manga Die Erzählungen der Brüder Grimm sind seit der Meiji-Periode (1868-1912) tief in der japanischen Kinder- und Jugendliteratur verwurzelt; gehörten sie doch zu den ersten importierten, von japanischer Künstlern illustrierten Geschichten für ein junges Publikum. Mittlerweile existieren zahlreiche Interpretationen der Märchen in der japanischen Kultur und somit auch im Manga: Zu den populärsten Werken zählt Kei Ishiyamas graphische Umsetzung der Kinder- und Hausmärchen, in welcher sie ausgewählte Geschichten mit der Ästhetik und den Erzählstrategien des shôjo manga – Comics für Mädchen und adoleszente Frauen – verknüpft. In ihren unkonvenionellen Inszenierungen thematisiert Ishiyama spielerisch die schwierige Zeit der Adoleszenz und verwebt das Motiv des gender bending, indem sie Rapunzel als Mann konstruiert und männliche Figuren Kleider tragen lässt.

Der Vortrag möchte die Aspekte der Hybridisierung der urdeutschen Erzähltradition im Grimmschen Märchen mit den formal-ästhetischen und narrativen Darstellungskonventionen des shôjo manga anhand Ishiyamas Werk herausarbeiten und zeigen, inwieweit sie sich am Original orientiert und an 28

„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel welchen Stellen sie ihre Kultur in die Inszenierungen einfließen lässt. Mit einbezogen werden soll der 2011 publizierte Grimms Manga Sonderband, in welchem acht deutsche Zeichnerinnen Ishiyama „die Ehre erweisen“ und eine harmonische Verschmelzung (nicht nur) der japanischen und deutschen (Zeichen-)Kultur erschaffen.

El Kholy, Nadia (Kairo/Ägypten)

The Grimm Brothers in Arabic: Translation, Adaptation & Reception In this paper I will examine the translation, adaptation and re-writing of selected fairytales the Grimm brothers into Arabic. The objectives of the study is to show how and why certain authors try to influence children or adult images of children through the fairy tale; and how these authors react to prescribed fairy tale discourse and intervene to alter it according to their needs and social tendencies. My common denominator in this comparison is the hypothesis that folk tales and fairy tales have always been dependent on customs, rituals, and values in the particular socialization process of a social system. I will also depend on the principle that they have always symbolically depicted the nature of power relationships within a given society. The paper will also analyze the politics of translation involved in the selection process, the choice of the type of Arabic, on the linguistic level, to ensure that the stories will be easy for children and young readers to understand, and finally the extent of 'Arabization' of the selected stories and the degree of the adaptation and re- writing that render them more appealing to a Middle Eastern Arab recipient. Thus, they are strong indicators of the level of civilization, that is, the essential quality of a culture and societal order. The effectiveness of emancipatory and reutilized tales has not only depended on the tales themselves but also on the manner in which they have been received, their use and distribution in society.

El Sawaf, Engy (Kairo/Ägypten)

Zur Frage der literarischen Vorlagen und Quellen der Grimmschen Märchen. Orientalische Motive im Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ Die Frage nach den literarischen Quellen und Vorlagen der KHM hat die Forschung seit ihrer ersten Veröffentlichung 1815 beschäftigt, doch sind meines Wissens bislang Fragen nach möglichen orientalischen Bezügen unberücksichtigt geblieben. Dies obwohl Otto Spies bereits 1949 in seinem Buch „Orientalische Kultureinflüsse im Abendland“ darauf hingewiesen hat, dass „etwa zwei Dutzend der Grimmschen Märchen“ auf arabische Vorbilder, nämlich auf „1001 Nacht“ zurückgehen.

Eine intensive Lektüre der Grimmschen Märchen hat meine Aufmerksamkeit auf das Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ gerichtet, das meiner Meinung nach eine solche orientalische Nähe aufweist. Deshalb setzt sich mein Vorhaben das Ziel, anhand einer Untersuchung dieses konkreten Märchenbeispiels Parallelitäten, Bezüge und Motive zur orientalischen Märchentradition aufzufinden. Eine Aufgabe der Untersuchung wird u.a. darin bestehen, durch vergleichende Betrachtungen des deutschen mit den orientalischen Märchen die Kulturspezifik aber auch die verwandten Aspekte und Motive zu erhellen. Es ist nicht beabsichtigt bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse herstellen zu wollen, vielmehr geht es um orientalische Kultureinflüsse im Abendland als Zeichen eines interkulturellen Dialogs zwischen Orient und Okzident zu verzeichnen.

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Esa, Mohamed (Westminster/USA)

"Masters Reloaded: The Brothers Grimm and Rammstein” No masters have been so often “reloaded” as Goethe and the Brothers Grimm. Their poetry and fairy tales have been reinterpreted, parodied and rewritten by many other writers, artists and musicians. In my paper, I will show how Rammstein, the most famous and infamous, but most successful German heavy metal band, has created a few songs that provide us with a modern interpretation of “Schneewittchen,” “Rotkäppchen” and “Schneeweisschen und Rosenrot,” three of the most beloved fairy tales by the Grimm Brothers. The main focus of my talk will be on Rammstein’s music video to their song entitled “Sonne.” I will highlight similarities and differ-ences between the original fairy tale and the song. I will also discuss the meaning of a few symbols and motives used in both the tale and the song: the sun, gold, apples, the shoes, and the color red. Both the classical masters and the reloaded version by Rammstein are ambivalent and ambiguous, and, therefore, lend themselves to multiple readings and interpretations. Such texts have fueled our imagination and, as authentic texts, can be used to enhance students’ abilities to think critically and at the same time to improve their writing and speaking skills in German. I use many of Rammstein’s songs and music videos, especially the masterfully crafted songs “Haifisch”, “Dalai Lama” and “Sonne,” in conversation and composition classes at various levels to enhance my students’ abilities to think critically and at the same time to improve their writing and speaking skills in German.

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Fièvre, François (Tours/Frankreich)

From Märchen to Fairy Tales: iconic transformation in a literary genre in romantic England While researchers now see the “folk tale” (Volksmärchen) as one of the main originalities in the Grimms’ literary work and theory, it is also clear that the tales of the brothers Grimm are generally known to the wider international readership as fairy tales. What, then, is the shift between “Märchen” and “fairy tale”, and how did it occur?

Some answers can be found in the early reception of the Grimm stories in England, particularly in the editions illustrated by George Cruikshank in 1823 and 1826, and by Richard Doyle in 1846. In England, the Grimm stories are seen through a faerie lens inherited, among others, from the great Shakespearian dramas, and the Volksmärchen truly became “fairy tales”, a genre transformation which can be analysed through the translations, choices of titles for the books, and the way the stories were illustrated. Textual analysis is not sufficient: the genesis and the transformation of a literary genre and status are shaped by all the elements around the text, especially the pictures, which are more than just one kind of “paratext” (Genette) among others.

The Grimms’ tales were internationalized through these English versions, and a fairy world eventually became attached to their stories. But it was also by the Grimms’ example that the fairy tale appears as a new literary genre in England, quite independently from the French “conte de fées” model. The genre shift of the Grimms’ tales in England heralded the birth of a new literary genre.

Forlin, Francesco (Perugia/Italien)

Zwischen Tradition und Moderne: das Märchen nach den Brüdern Grimm Der Begriff der Tradition spielt eine entscheidende Rolle bei der von den Brüdern Grimm vorgeschlagene Märchen-Gestaltung: er ermöglicht dem modernen Menschen in Kontakt mit dem Ursprung zu bleiben. Diese Annahme impliziert eine – romantische – Definition der Moderne als Antithese zu der Welt der Märchen. Ausgehend von dieser Definition kann man versuchen, die Besonderheit der Version von Grimm in den Kernthemen der Märchen von Aschenputtel, Rotkäppchen und Hänsel und Gretel im Vergleich zu den älteren Versionen von G. Basile und C. Perrault zu bestimmen, um die Idee der Moderne der ersten zu erhellen.

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Fragoso, Gabriela (Lissabon/Portugal)

„Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und ihre Bearbeitung in der zeitgenössischen portugiesischen Literatur“ Die Kinder- und Hausmärchen haben sich seit jeher tief in die portugiesische Volksseele eingegraben: Angefangen von Rotkäppchen („Capuchinho Vermelho“) bis hin zu Schneewittchen („Branca de Neve“) über Hänsel und Gretel (“A casinha de chocolate“), Aschenputtel („A Gata Borralheira“) und Dornröschen („A Bela Adormecida“) wurde jeder Portugiese von Kindesbeinen an in die märchenhafte Welt der Brüder Grimm eingeführt. In Anbetracht des bis weit in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hineinreichenden französischen Einflusses auf die portugiesische Kultur, kann allerdings die Märchensammlung Histoires ou contes du temps passé von Charles Perrault nicht unberücksichtigt bleiben, denn wenn es um Märchen geht, werden beide Quellen immer im gleichen Atemzug genannt und regen nach wie vor die Fantasie von Autoren und Kindern gleichermaßen an.

Die zeitgenössische Bearbeitung der grimmschen Kinder- und Hausmärchen – die Gegenstand dieses Beitrages ist – bringt einmal reine Kinderbuchfassungen hervor, andererseits aber auch Erzählungen, die sich von Inhalt und Sprache her, eher an erwachsene Leser richten. Ziel dieser Arbeit soll eine Gegenüberstellung beider Richtungen sein, d. h. Bearbeitung für ein Kinderpublikum vs. Bearbeitung für Erwachsene unter besonderer Berücksichtigung von Strukturen und Motiven und hauptsächlich auf Grundlage der grimmschen Märchensammlung.

Frankenberg, Hartwig (Düsseldorf)

Rituale als narrative Organisatoren in den Märchen der Brüder Grimm In allen gesellschaftlichen Bereichen markieren und vollziehen primäre Rituale außergewöhnliche, ja ekstatische Momente als substantielle Übergänge oder nehmen in Form von Wiederholungsritualen Bezug auf sie. Im Vordergrund der Erzähltextforschung steht der bannende und prädizierende Reflex des erzählenden Subjekts im Akt seiner fundamentalen Bewältigung. Voraussetzung hierfür sind nicht so sehr zufällige, glückliche Umstände, als vielmehr gewisse Dispositionen in den Handlungen der heroischen Figuren: Ihre Aktivitäten zeichnen sich durch rituelle Praxen und Prägungen aus. Anhand ausgewählter Beispiele der Grimm’schen Märchen sollen Rituale als nonpersonale Organisatoren narrativer Prozesse identifiziert sowie der Begriff „Ritual“ als eigenständiges Theorem in der germanistischen Erzähltextforschung etabliert werden.

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Freyberger, Regina (München)

Märchen-Arabesken Im 19. Jahrhundert waren die Vorstellungen von Märchen und Arabesken eng miteinander verknüpft. Friedrich Schlegel hatte schon 1803 Märchen als „arabeske Dichtungen“ bezeichnet, und für Clemens Brentano waren Arabesken die ideale Darstellungsform für Märchen schlechthin. Dennoch wählten die Brüder Grimm für die bildliche Ausstattung ihrer Kinder- und Hausmärchen keine Arabesken, auch wenn aus der Hand ihres Bruders Ludwig Emil Grimm dazu einige Entwürfe erhalten sind. Sie verweigerten sogar dem Verleger Otto Wigand die Zusage, 1838 eine Teilausgabe ihrer Märchen mit Arabesken Eugen Napoleon Neureuthers herauszubringen, obgleich sie von Neureuthers ›schöner‹ (W. Grimm) Dornröschen-Radierung wussten. − Nichtsdestotrotz verankerten Neureuthers großformatige Radierungen und Zeichnungen zu Märchenthemen, neben den Arbeiten von Moritz von Schwind, die Arabeske fest in der deutschen Märchenillustrationslandschaft. Bis ins 20. Jahrhundert hinein galten diese Märchen-Arabesken als Prototyp der spätromantischen Märchenillustration und beeinflussten Künstler wie Heinrich Vogeler und Max Slevogt. – Im Beitrag wird diese Entwicklungsgeschichte exemplarisch aufbereitet und die Bedeutung und Formenvielfalt der Märchen-Arabesken, jenem spezifisch deutschen Phänomen in der Illustrationslandschaft der Kinder- und Hausmärchen, aufgezeigt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Arbeiten Neureuthers.

Friede, Susanne (Göttingen)

Märchen – Symbol – Drama: die Schlüsselfunktion der Kinder- und Hausmärchen für die frühen symbolistischen Dramen Maurice Maeterlincks Die Werke des belgischen Nobelpreisträgers von 1911, Maurice Maeterlinck, sind heute in Deutschland – vielleicht mit Ausnahme des über Claude Débussys gleichnamige Oper (UA 1902) vermittelten Pelléas et Mélisande (1892) – so gut wie unbekannt. Angeregt durch jüngere Forschungsarbeiten zur Bedeutung theoretisch-poetologischer Überlegungen Maeterlincks für die europäische Dramengeschichte will der Vortrag den Zusammenhang von Märchen und Drama neu bestimmen. Dieser liegt nicht nur im Falle des genuin als Märchenspiel konzipierten und rezipierten L’oiseau bleu (1908) vor. Vielmehr gibt die seit 2002 begonnene Edition von Maeterlincks umfangreichen Aufzeichnungen in den Carnets Hinweise darauf, wie konstitutiv die Lektüre der Kinder- und Hausmärchen für die strukturelle, motivische und semiotische Analyse der ersten symbolistischen Dramen Maeterlincks sein kann. Neben konkreten Überlegungen zu den Transferwegen ist zu reflektieren, welche Konsequenzen sich für das Verständnis des symbolistischen Dramas aus dieser konstitutiven Verschränkung mit den narrativen Strukturen der Volkserzählung ergeben, und in wie weit dies die kulturwissenschaftliche Wahrnehmung der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen als Schlüsseltexte für die ästhetische Moderne in Europa beeinflussen kann.

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Gospodarczyk, Joanna (Kraków/Polen)

Das Hässliche in den Märchen der Brüder Grimm anhand von Ästhetik des Hässlichen von Karl Rosenkranz Der Beitrag ist den ästhetischen Fragen in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm gewidmet unter besonderer Berücksichtigung der Hässlichkeit. Zur Untersuchung der hässlichen Elemente in den Märchen wird das Konzept von Karl Rosenkranz, dem zur Hegel Schule gehörigen Philosophen, dienen. Rosenkranz widmete sich als erster dem Begriff des Hässlichen in seiner Studie Ästhetik des Hässlichen (1853). Den Schwerpunkt seiner Arbeit, die noch zum Teil klassizistische Züge hat, legt der Philosoph auf die Darstellung des Hässlichen als dem Negativschönen. Das Hässliche tritt immer als Sekundäres auf und stellt, nach Rosenkranz, einen Verstoß gegen die von der Natur angestrebten Formen dar. Die dabei geschaffene Typologie der hässlichen Erscheinungen ließe sich auf eine Reihe von ästhetisch minderwertigen Elementen in den Kinder und Volksmärchen übertragen. Zu nennen wären hier Formlosigkeit, Inkorrektheit, Defiguration, das Ekelhafte und das Böse, daneben das Plumpe und das Tote. Der Beitrag sollte die Gemeinsamkeiten der negativen Ästhetik, im Verständnis vom Rosenkranz und der in den Grimms Märchen untersuchen und die Frage beantworten, ob diese Monographie eine Möglichkeit bietet das damalige Verständnis der Hässlichkeit zu beschreiben.

Götze, Martin (Bamberg)

Kunstmärchen und ästhetische Zeitkritik bei Michael Ende Der Beitrag möchte aufzeigen, dass Michael Endes populäre „Märchenromane“ nicht nur durch artifizielle Verfahrensweisen gekennzeichnet sind, sondern darüber hinaus das Gattungsmodell des Märchens im Sinne einer ästhetischen Zeitkritik aktualisieren. Hierbei soll der bei Ende stets wiederkehrende Typus des kindlichen Helden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Kindheit erscheint einerseits als Idealform ästhetischer Existenz und andererseits als kulturphilosophischer Topos für die noch einzulösende Aufhebung der vom aufklärungskritischen Denken konstatierten „Entzweiung“ des modernen Bewusstseins. In dieser Perspektive lassen sich Endes kindliche Weltenretter aus den Romanen Momo und Die Unendliche Geschichte als „Heroen der Phantasie“ deuten, die einer von Entfremdung und Ich-Deformation gekennzeichneten Wirklichkeit entgegentreten. „Phantasielosigkeit“ steht dabei metonymisch für die Unterwerfung des Subjekts unter den Zweckrationalismus eines Systems, das aus ökonomischem Kalkül das „Verschwinden der Kindheit“ zum Ziel hat. Ende transformiert das Märchen in ein Medium der Modernekritik und schafft zugleich eine Form des Kunstmärchens, die in struktureller Hinsicht selbst modern zu nennen ist, sofern sie dem mit der Romantik etablierten Paradigma werkimmanenter Reflexion auf die historischen Bedingungen und Kompositionsprinzipien der eigenen narrativen Ordnung verpflichtet ist.

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Groschwitz, Helmut (Bonn)

Formierungen des Mythischen. Zur Prägung Deutscher Mythologien durch Jacob Grimm. Die „Deutsche Mythologie“(1835) von Jacob Grimm markiert einen Meilenstein in der Erforschung „altdeutscher“ Mythen und Mythologie. Häufig wird sie dabei als zentrales Werk für die Entstehung der sog. „Mythologischen Schule“ gesehen, die über mehrere Generationen von Mythen- und Sagensammlern hinweg schließlich in den völkischen Mythenkonzeptionen der 1920er und 30er Jahre aufgegriffen und ideologisiert wurde. Diese Bewertung, die gerade in der volkskundlichen Neuorientierung der 1970er Jahre als Argument für eine Abgrenzung gegenüber den romantischen Prämissen diente, muss aber aus heutiger Sicht revidiert werden. Vielmehr gilt es, den mythologisch- philologischen Strang der frühen Volkskunde, dazu zählen zentral die Arbeiten von Jacob und Wilhelm Grimm, in ihrer Innovationskraft und Komplexität neu zu bearbeiten und zu bewerten. Insbesondere ist dem Verfasser daran gelegen, das Grimmsche Werk in die Reihe der, meist kaum beachteten, vorausgehenden Mythologien zu stellen und die formierende Prägekraft auf die „nächste Generation“ von Mythenforschern zu konkretisieren.

Grothe, Ewald (Gummersbach/Wuppertal)

Zivilcourage oder Widerstand? Die Brüder Grimm im kulturgeschichtlichen Kontext oppositionellen Verhaltens im Vormärz Von den zwei berühmten Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm ist vor allem der ältere Bruder Jacob politisch hervorgetreten. So ist seine Tätigkeit in der Deutschen Nationalversammlung des Jahres 1848 bereits mehrfach Gegenstand von wissenschaftlichen Studien gewesen. Gemeinsam beteiligt waren die Brüder an jenem Vorfall des Jahres 1837, der als Protest der Göttinger Sieben gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs in die deutsche Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung eingegangen ist. Das entschlossene Eintreten für die hannoversche Verfassung und gegen den reaktionären König Ernst August ist immer wieder als mutige Aktion gegen Herrscherwillkür eingeschätzt und als Beleg für die liberale Haltung der Grimms gewertet worden.

In dem Vortrag soll untersucht werden, wie sich die Protestation der sieben Göttinger Professoren in die verschiedenen Formen oppositionellen oder „widerständigen“ Verhaltens im Vormärz einordnen lässt, die von Revolution und gewaltsamem Aufstand (Herbstunruhen 1830, Frankfurter Wachensturm 1833), über radikale Publizistik (Büchner/Weidig) bis hin zu Formen parlamentarischer Opposition in den einzelstaatlichen Landtagen (Jordan) reicht. Die politische Haltung der Brüder Grimm wird dabei im Hinblick auf ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhang und ihre erinnerungspolitischen Folgen untersucht.

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Gruber, Sabine (Tübingen)

„[...] eine ganz eigene Welt poetischer Schönheit“ – die Rezeption von Vuk Karadžićs „pjesnarica“ im Freundeskreis der Brüder Grimm Jacob Grimm lernte 1814/15 in Wien Bartholomäus (Jernej) Kopitar kennen und schrieb dessen Übersetzung des ersten Teils von Vuk Karadžićs Liedersammlung „Mala prostonarodna slaveno- serbska pjesnarica“ ab. Er reichte die Texte in seinem Freundeskreis weiter, wo sie gelesen, diskutiert, abgeschrieben, bearbeitet und veröffentlicht wurden. Clemens Brentano bearbeitete 19 der 108 Lieder für den Almanach „Sängerfahrt“. Der Vortrag untersucht die Kommunikationsstrukturen, die die schnelle Verbreitung der literarischen Neuentdeckung Grimms ermöglichten und klärt die Faktoren, die die Texte ihrer produktiven Weiterbearbeitung zuführten. Es wird gezeigt wie die Texte zunächst in einem begrenzten Kreis miteinander in engem Kontakt stehender Rezipienten ausgetauscht wurden, wie sie öffentlichkeitswirksam aufbereitet wurden und wie sie später eine Breitenwirkung entfalten konnten, die u. a. in der populären Übersetzung des Originals durch Therese Albertine von Jakob gipfelte. Dabei wird auch gefragt, welche außer- und innerliterarischen Faktoren bei der Rezeption der Lieder durch den Freundeskreis eine Rolle spielten, inwieweit die Rezeption ein Erkennen oder auch ein Verkennen der fremden Kultur beinhaltete und inwieweit Rezeption und Bearbeitung der Texte von nationalen Stereotypen und Projektionen geprägt waren. Es wird diskutiert, was sich die ersten Leser und Bearbeiter der Lieder von ihnen für die deutschsprachige Literatur erhofften, ob sich ihre Erwartungen erfüllten oder ob die Rezeption der Texte einen anderen als den ursprünglich intendierten Weg nahm.

Grzywska, Katarzyna (Warschau/Polen)

Oskar Kolberg – der polnische Grimm? Oskar Kolberg (1814-1890), der hervorragendste polnische Ethnograph des 19. Jahrhunderts, war Sohn eines Kartographen und Metrologiespezialisten, Literaturliebhabers und Wissenschaftlers deutscher Abstammung namens Juliusz Kolberg (1776-1831), der am Anfang des 19. Jahrhunderts als preußischer Beamter nach Warschau kam, um das Leben seiner Familie für immer mit der neuen Heimat zu verbinden. Er ist in die Kulturgeschichte als Musiker, aber in erster Linie als Verfasser eines monumentalen Werkes eingegangen, in dem er die Gesamtheit der Volkskultur, und somit auch Volksmärchen, in bestimmten geographischen und historischen Regionen des damals auf den Landkarten Europas nicht mehr existierenden Polens zu erfassen versuchte. Im Endeffekt entstanden 33 Bände, die noch zu Lebzeiten Kolbergs herausgegeben wurden, und zahlreiche Mappen im Nachlass mit dem Material für zahlreiche weitere Bände, deren großer Teil bis zur Nachkriegszeit auf ihre Veröffentlichung warten musste: 1961 erschien nämlich der erste Band der ersten, vollständigen und bis heute in Entstehung begriffenen Ausgabe des Kolbergschen Werkes unter dem Gesamttitel Dzieła wszystkie Oskara Kolberga (Oskar Kolbergs Gesamtwerk). Das Ziel des Beitrages ist es, Oskar Kolbergs Sammeltätigkeit unter die Lupe zu nehmen und seine Arbeitsweise zu charakterisieren, mit besonderer Berücksichtigung seiner märchenkundlichen Interessen, die im Fokus des Vortrags stehen werden.

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Harm, Volker und Marco Scheider (Göttingen)

Kann das Deutsche Wörterbuch auch in Zukunft ein Modell für Nationalwörterbücher sein? Das Deutsche Wörterbuch (DWB) darf als das unbestrittene Vorbild für die historisch ausgerichteten Wörterbücher anderer Sprachnationen wie zum Beispiel das Oxford English Dictionary (OED) und das Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT) gelten. Diese jüngeren Nationalwörterbücher sind aber durch effizientere Planung zum Teil in wesentlich kürzerer Zeit bearbeitet worden und zeichnen sich gegenüber ihrem Vorbild durch konzeptionelle Präzisierungen aus, die sich vor allem in einer stringenteren Artikelstrukturierung niederschlagen. Im Rahmen der digitalen Neuausrichtung der historischen Lexikographie ist zu fragen, ob ein im Vergleich eher diskursiv angelegtes Wörterbuch wie das DWB in dieser Hinsicht noch als Orientierungsmaßstab in Frage kommt. Auf einer anderen Ebene kann sich das DWB wie auch seine Neubearbeitung mehr denn je als zukunftsträchtig erweisen. So stellt insbesondere die stark auf historische Zusammenhänge angelegte Darstellung eine Besonderheit des DWB dar, mit der es sich von den Artikelstrukturen des OED und zum Teil auch des WNT abhebt, die über eine geordnete Auflistung der historisch bezeugten Bedeutungspositionen vielfach nicht hinausgehen. Vor diesem Hintergrund wird zu prüfen sein, welche Produktions- wie Präsentationsformen am besten geeignet wären, diese Aspekte des DWB im digitalen Zeitalter fruchtbar zu machen und im Sinn einer umfassenden Sprachforschung auszubauen.

Heiser, Ines (Marburg/Eltville)

Märchenonkel und/oder Gründerväter der Germanistik – die Brüder Grimm als Unterrichtsgegenstand? Grimms Märchen sind auch 200 Jahre nach ihrer Entstehung noch fest im kulturellen Gedächtnis verankert. Weniger Aufmerksamkeit genießen dagegen ihre Sammler und Redaktoren: Jakob und Wilhelm Grimm werden zwar von einem germanistischen Fachpublikum für ihre Leistungen als Sprachwissenschaftler und ihre Verdienste um die Entstehung der Germanistik als wissenschaftlicher Disziplin geschätzt – in Unterhaltungsindustrie und Populärkultur sind sie als Personen dagegen kaum präsent.

Umso interessanter sind die Rezeptionszeugnisse, in denen die Grimms tatsächlich als Protagonisten auftreten, wie Terry Gilliams Fantasyfilm „Brothers Grimm“ von 2005, in dem „Jake“ und „Will“ in einer von viktorianischer Ästhetik geprägten Märchenwelt gegen eine Hexenkönigin kämpfen oder Kai Meyers Romane „Die Geisterseher“ (1995) und „Die Winterprinzessin“ (1997), in denen sich das Brüderpaar gleichfalls merkwürdigen und unheimlichen Ereignissen stellen muss. Diese Rezeptionszeugnisse sollen daraufhin befragt werden, ob sich hier ein konsistentes Rezeptionsbild ergibt und welche inhaltlichen Schwerpunkte dabei gesetzt werden. Im Anschluss daran ist zu überlegen, inwiefern solche populären Grimmbearbeitungen für den schulischen Unterricht nutzbar gemacht werden können: Die Auseinandersetzung mit den Brüdern Grimm als exemplarischen Vertretern einer ersten Generation von Germanisten soll einen Blick auf grundsätzliches Erkenntnisinteresse, Arbeitstechniken und Themenbereiche der Fachdisziplin „Deutsch/Germanistik“ ermöglichen.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Helduser, Urte (Marburg)

Von Zwergen und anderen ‚Missgestalten‘: Behinderung als Märchen Zu den prominenten Figuren der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm zählen einige ‚Missgestalten‘: Zwerge wie das heimtückische Rumpelstilzchen, der kleine aber kluge Daumesdick oder die skurrilen Schwestern Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein dürften bis heute prägend für das kulturelle Bewusstsein über körperliche Anomalien sein. ‚Behinderung‘ gilt als genrespezifisches Motiv des Märchens. Statt um Verhandlungen ‚anthropologischer Konstanten‘ handelt es sich hierbei um historisch spezifische Konstruktionen, die im Kontext des literarischen und wissenschaftlichen Diskurses über „Missgeburten“ um 1800 stehen. Mit ihren KHM aktualisieren die Brüder Grimm tradierte Zwerg- und Wechselbalg-Erzählungen und liefern Vorlagen, auf die z. B. auch die Kunstmärchen Tiecks, E.T.A. Hoffmanns, Hauffs und anderer Bezug nehmen. Zugleich dürften die von den Grimms geprägten Gestalten bis in die Populärkultur der Gegenwart nachgewirkt haben, wie die subversive Bezugnahme auf „Missgeburten“ und Zwerge in Animationsfilmen wie Shrek (USA 2001) oder zuletzt Gnomeo und Juliet (USA 2010) zeigt. Im Anschluss an die kulturwissenschaftlich disability studies geht der Vortrag der Thematisierung von Behinderung und den Repräsentationen des ‚falschen Körpers‘ (Hagner) in den Grimmschen Kinder- und Hausmärchen nach und analysiert deren Funktion für die Gattungsreflexion des Märchens.

Hernández, Isabel (Madrid/Spanien)

Bearbeitungen, Neuschreibungen und Übersetzungen – Die Märchen der Brüder Grimm im Verlag Calleja In der Romantik entstand in Europa ein gemeinsames Interesse für aller Art volkstümlicher Ausdrucksformen, das in Spanien jedoch fehlt. Die Romantik kam mit großer Verspätung dahin, da die von Ferdinand VII. nach dem Unabhängigkeitskrieg begonnene reaktionäre Herrschaft die Aufnahme des neuen Gedankenguts verhinderte. So wurde Spanien nicht zur gleichen Zeit wie andere europäische Länder von den Ideen der Romantik erfasst. Während in Deutschland die Brüder Grimm ihre Märchensammlung veröffentlichten, bemühten sich die spanischen Autoren weiterhin, die Kinder mit Texten ausgeprägt pädagogischer Natur zu belehren. Obschon einige der Märchen übersetzt und in anonymer Form in Zeitungen und Wochenzeitschriften für Kinder veröffentlicht wurden, ist die erste unvollständige Edition der Märchen der Brüder Grimm in spanischer Sprache auf 1846 datiert. Erst dreißig Jahre später beginnt der Verlag Calleja mit der Herausgabe der Grimmschen Märchen in zahlreichen populären Sammlungen, die mit Illustrationen versehen und zu geringen Preisen herausgebracht werden. Eine detaillierte Analyse einiger Fassungen der Märchen, die vom Verlag Calleja veröffentlicht wurden, veranschaulicht eine ganze Reihe von Verfahren der Bearbeitung und mehr als überraschende Veränderungen, denen der Herausgeber die Originaltexte unterwarf, mit dem einzigen Zweck, sie an den Erwartungshorizont des kindlichen Lesers im Spanien jener Epoche zu adaptieren.

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Homann, Yvonne (Mainz)

„Schneid’ dir dein Haar ab, Rapunzel!” Von der traditionellen Märchenfigur zum modernen Märchen: Ein intermedialer Vergleich …

Horváth, Géza (Szeged/Ungarn)

Die Brüder Grimm in Ungarn Die unmittelbare Wirkung der Brüder Grimm in Ungarn begann aber viel früher, sie geht auf die 10-er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück: zehn Jahre nach der Erstausgabe des ersten Bandes der „Kinder- und Hausmärchen” 1812 erschien 1822 in Wien die erste ungarische Märchensammlung mit dem Titel „Märchen der Magyaren” von György Gaal (1783-1855), der von 1811 als Bibliothekar der Fürstenfamilie Esterházy bis zu seinem Tod in der Kaiserstadt lebte. Gaal, der vermutlich der Wiener Lesung von Jacob Grimm 1812 beigewohnt hat, betont die Grimmsche Märchensammlung als Beispiel für seine Märchensammlung- und forschung.

Eine ähnliche Wirkung der Brüder Grimm lässt sich in der „Magyar Mythologia” (1854) (Ungarische Mythologie) des späteren Bischofs von Grosswardei Arnold Ipolyi (1823-1886) nachvollziehen, der Jacob Grimms „Deutsche Mythologie” (1835) als unmittelbares Vorbild seines Unternehmens betrachtete und acht Jahre an seinem Werk arbeitete. Apolyis Kontrahent Antal Csengery, der Apolyis „Ungarische Mythologie” heftig angriff, u.a., weil Apolyi die Daten, d.h. seine Quellen nicht veröffentlichte, berief sich gerade auf die diesbezügliche Tätigkeit der Brüder Grimm. Apolyis Mythologie war aber keine Nachahmung des Grimmschen Werks, er übernahm vielmehr die Methode der historischen Rekonstruktion und versuchte in diesem Sinne die eigene Mythologie der Ungarn zu erforschen.

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Ilbrig, Cornelia (Frankfurt a. M.)

Juden und Schneider: zwei Stereotype und ihr Zusammentreffen im romantischen Märchen Juden und Schneidern werden in der Sagen- und Märchenwelt seit dem Mittelalter meist negative Eigenschaften zugeschrieben. Unter den Handwerkern ist es der Schneider, der am heftigsten verspottet wird. Er gilt als schwach und feige und gleicht den fehlenden Mut durch Aufschneiderei und List aus. Verschiedentlich treten Juden und Schneider in den Märchen gemeinsam als Zielscheibe des Spott auf, so in „Die klare Sonne bringts an den Tag“ in Grimms Sammlung der Kinder- und Hausmärchen, sowie in Brentanos „Märchen vom Schneider Siebentodt auf einen Schlag“ in den Mährchen vom Rhein. Die schlimmste Schelte trifft zweifellos den Juden, der stets als betrügerisch, geldgierig und geizig charakterisiert wird. Nicht selten wird er Opfer von Betrug und Gewalttaten, ohne dass diese gesühnt werden. In Brentanos Märchen tritt der Jude stets als Inbegriff von Hinterhältigkeit und Boshaftigkeit auf. Während die Bildung oder Verwendung von (Stereo)Typen gattungsspezifisch für das Märchen ist, scheinen romantische Märchen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß –weiterhin durch eine kulturell-historische Kontextualisierung ihrer Stoffe geprägt. Die gattungsspezifische Typenbildung im Märchen wird damit erweitert um eine zeitspezifische Typenbildung, die berufsbezogen, ethnisch-religiös bezogen oder auch historisch bezogen sein kann und möglicherweise u.a. einhergeht mit der nationalen Bewegung in Deutschland nach der französischen Besetzung. Der Analyse der seit Jahrhunderten tradierten Stereotypen von Juden und Schneidern, die diese zum Spottopfer der Gesellschaft werden ließen, folgt daher am Beispiel ausgewählter Märchen der Grimms und von Brentano die Untersuchung, in welcher Ausprägung und mit welchen Mitteln im romantischen Märchen die Stereotypenbildung von Juden und Schneidern zeitspezifisch erweitert wird.

Ìmaz, Maria Carmen Alonso (Madrid/Spanien)

Analyse von verschiedenen Märchen der Brüder Grimm und ihrer Rezeption in hispanischen volkskundlichen Märchen Es wurde schon eine klare Beziehung zwischen dem literarischen Material aus volkstümlichen Ursprung, das die Brüder Grimm zusammengefasst haben, und zahlreichen Märchen, die jahrhundertlang in der spanischen und hispanischen, in der mündlichen und schriftlichen Überlieferung verwurzelt sind. Wir haben uns auf die Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm von Bolte und Polívka (1913-1932) gestützt. Den handschriftlichen Exemplaren der Brüder Grimm, die Bolte bekommen hat, addiert sich der Beitrag von Polívka, einem großen Fachkenner der volkskundlichen Literatur Europas in deren ostslawischen, südöstlichen, kaukasischen und mittelasiatischen Verzweigungen. Unsere Analyse bezieht sich auf die Aarne- Thompson Klassifizierung des Märchens gemäß ausschließlich auf Zaubermärchen, legendenartige Märchen und Märchen vom dummen Teufel/Riesen; auf diese Weise möchten wir die Rezeption einiger Grimmscher Märchen in manchen hispanischen traditionellen Märchen bearbeiten, die im Repertoire von Camarena und Chevalier Catálogo tipológico del cuento folklórico español (1995) gesammelt sind. Wir möchten die bestehende historische Beziehung zwischen der deutschen und der hispanischen Kultur beweisen, und zwar durch den Vergleich zwischen bestimmten deutschen traditionellen Märchen aus der o.g. Brüder-Grimm Sammlung und ihren volkstümlichen Varianten in

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Immer, Nikolas (Trier)

Leibspeisen. Zur Inszenierung und Funktionalisierung von Ernährung in den Kinder- und Hausmärchen (1812/15) Märchen sind Appetitanreger im doppelten Sinne. Zum einen animieren sie den Leser, den Märchenhelden rezeptiv zu folgen, die ausziehen, um etwa ‚das Fürchten zu lernen‘. Zum anderen entwerfen sie ein ausgreifendes Panorama unterschiedlichster Speiseszenarien, die vom kulinarischen Genuss bis hin zur kannibalistischen Einverleibung reichen. Die strukturelle Bedeutung des Ernährungsmotivs soll anhand ausgewählter Beispiele aus den Kinder- und Hausmärchen mit Blick auf die narrative Anlage und die Figurenkonstellation untersucht werden. Dabei können vorab vier zentrale Bedeutungsaspekte der märchenintern inszenierten Ernährungsformen unterschieden werden: Verlockung, Erziehung, Warnung und Entartung.

Während das Schlaraffenland als repräsentativer Ort der Verlockung beschrieben wird, vergegenwärtigt Der süße Brei, dass der Verlockung auch die Tendenz zur Bedrohung innewohnt. Gleichzeitig ist die Ernährung wesentlich mit der Frage nach der ‚richtigen‘ Erziehung verbunden, wenn in Das Waldhaus angemessenes altruistisches Verhalten mit der Zubereitung des Abendessens verklammert wird. Schließlich sollen auch die Negativformen von Ernährung Berücksichtigung finden. Während in Rotkäppchen die Warnung vor dem gefräßigen Wolf artikuliert wird, erweist sich die in Der Okerlo ausgestellte und in Hänsel und Gretel thematisierte Anthropophagie als bestialische Entartung von Ernährung.

Inoue, Seigo (Tokio/Japan)

Wenn Kinder eine Grenze zwischen zwei Welten überqueren – Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ als „Fantasie-Oper“ 1. Die Entwicklung zur Oper:

Anfangs wurde „Hänsel und Gretel“ als eine Veranstaltung nur für eine Familie aufgeführt. Danach hat sich dieses Spiel zur „Oper“ entwickelt. In diesem Prozess ist das Stück vom „kleinen Vergnügen einer Familie“ zur „richtigen Oper für das deutsche Volk“ geworden.

2. Die Darstellung der Charaktere:

In der Oper ist Hänsel zuerst ein einfältiger Junge, aber in der eintretenden Krise spielt er eine führende Rolle. Gretel ist klug, aber sie fürchtet sich vor der Krise. Diese Charakterisierung reflektiert problematische Vorbilder der Männer und Frauen im 19. Jahrhundert.

3. Die Beschreibung zweier verschiedener Welten:

In der Musik dieser Oper können Zuschauer die Struktur des Fantasieromans verstehen, nämlich das Hin und zurück von der „anderen Welt“. Bei der Szene des Kampfs zwischen Kindern und der Hexe wird auch gezeigt, dass sich „zwei verschiedene Welten“ einander treffen. 41

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Die Oper „Hänsel und Gretel“ hat eine neue Möglichkeit für Opern geöffnet, nämlich Kinder als Protagonisten spielen zu lassen. Aus dieser neuen Idee wurde die Ausdrucksmethode der „Fantasie- Literatur“ in der Musik dieser Oper gefunden.

Jamme, Christoph (Lüneburg)

Mythos und Märchen in der Romantik: Friedrich Schlegel …

Jazbec, Saša (Maribor/Slowenien)

„Grimm-t“ es (noch) in Slowenien? Die internationale Rezeption sowie Wirkung der Grimm`schen Märchen am Beispiel Sloweniens Der Beitrag behandelt das Thema Rezeption von Märchen der Brüder Grimm in Slowenien aus diachroner und synchroner Perspektive. Zunächst wird dargestellt, wann die Leser und Leserinnen in Slowenien die Märchen der Brüder Grimm das erste Mal auf Slowenisch lesen konnten und wie die Dynamik des Übersetzens der Märchen von ihren Anfängen bis heute war u.a.m.

Dem allgemeineren ersten Teil des Beitrags folgt ein zweiter Teil, in dem es um die aktuelle Rezeption Grimmscher Märchen durch Leser verschiedenen Alters geht. Es werden empirische Daten einer Umfrage präsentiert und mit den bibliothekarischen Angaben über die Ausleihfrequenz ergänzt.

Der diachrone Blick sowie die aktuellen Daten ermöglichen einige Schlüsse zum Thema Rezeption Grimm`scher Märchen in Slowenien. Es wird vermutet, dass sie als der sog. „Kanon auf der Ebene des Zivilisationskreises“ ein fester Bestandteil des sog. familiären Kanons geworden sind und als solcher auch an jüngere Generationen weiter vermittelt wird. Ferner wird angenommen, dass ein medialer Wandel stattgefunden hat, in dem u. a. auch das durch die Grimmschen Märchen hervorgerufene Märchenerzählen durch ein Vorlesen bzw. auditives oder audiovisuelles Vorspielen der Märchen sowie ihrer Bearbeitungen ersetzt worden ist.

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Joseph, Bose (Kerala/Indien)

Fairytales as Readings for Adults and Children: Its Therapeutic Effect Fairy tales constitute the most profound articulation of the human struggle to form and maintain a civilizing process. Fairy tales map out possible ways to attain happiness, to expose and resolve moral conflicts that have deep roots in our species. This oral handing down from generation to generation came long before the written page. The fairy tales were originally a form of adult entertainment that were told at social gatherings, in spinning rooms, at fireside gatherings, fields, and other settings where adults meet. Once the Brothers Grimm, the greatest tellers of fairy tales that ever lived, started to collect the tales, they were transformed from entertainment for adults to diversion for children, and in some ways, also an educational manual for children. Their stories were based around everyday life and had magical touches. The Grimms saw old German literature as the repository of valid truths concerning German culture. Therapists sometimes use fairy tales. Fairy tales make us remember our childhood. They also help us see that we can realize our dreams and get past our fears to move ahead; we find in fairy tales what is missing in our own lives. That enhances our sense of creativity, one of the principal areas we need to work on to alleviate depression. So fairy tales have a way of removing misery and sadness and taking our thinking to positive levels.

Kämper, Heidrun (Mannheim)

Gesellschaft – Sprache – Wissenschaft. Ethische Grundkonzepte Jacob und Wilhelm Grimms als Volksphilologen Der Beitrag stellt einen Zusammenhang her zwischen den ethisch-moralischen Prinzipien, die Jacob und Wilhelm als gesellschaftliche bzw. politische Akteure und als Wissenschaftler geleitet haben.

Es wird nachvollzogen, dass aufgeklärt ethisch-moralische Kategorien (wie Gerechtigkeit, Freiheit, Einheit, Gleichberechtigung) nicht nur in persönlichen oder auf ihr gesellschaftliches Handeln bezogenen Texten eine Legitimationsgrundlage darstellen, sondern auch Leitprinzip der wissenschaftlichen Arbeit sind.

Unter diesen Voraussetzungen werden die gesellschaftliche und die wissenschaftliche Dimension der Biografie von Jacob und Wilhelm Grimm enggeführt. Im Sinn der Rekonstruktion von Analogiebeziehungen versucht der Beitrag damit, einen Zusammenhang zwischen dem Gesellschaftsbezug und dem wissenschaftlichen Denken Jacob und Wilhelm Grimms als Handlungsbereiche desselben liberalen, aufgeklärten und ethisch motivierten Konzepts, das ihr Selbstverständnis prägt, darzustellen. Dass dabei die Brüder nicht als Einheit, ja womöglich als Gegensätze zu verstehen sind, ist ein Obligo der Untersuchung.

Historisch eingelassen, fragt der Vortrag insofern auch nach den sprachlichen Repräsentationen einer ethisch-moralischen Konzeption, die sich womöglich als eine Wissenschaftskonzeption des 19. Jahrhunderts generalisieren lässt.

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Kling, Burkhard (Steinau)

Künstlerillustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm im 20. Jahrhundert Zahlreiche bildende Künstler des 20. Jahrhunderts haben sich mit den Märchen der Brüder Grimm auseinandergesetzt. Einige führen die Traditionen der Illustration im 19. Jahrhundert fort. Andere Künstler versuchen, neue und eigene Wege zu gehen. Dies soll hier genauer betrachtet werden und drei sehr unterschiedliche Künstler genauer untersucht werden. Interessant ist es, dass der Expressionismus kaum Motive der Grimmschen Märchen aufgreift. Da ist es umso bemerkenswerter, dass der Berliner Verleger Bruno Cassirer, der sich für den Expressionismus stark machte, für seine 1918 begründete bibliophile Reihe „Das Märchenbuch“ Max Slevogt (1868 – 1932) gewinnen konnte, auch wenn dessen Bildwelt keine genuin expressive Aussage hat. Slevogt fertigte Lithografien an, die trotz ihres skizzenhaften Charakters in der Strukturierung der Zeichnung beeindrucken. Er wahrte die Balance zwischen der Drastik in der Darstellung und dem Humor der Geschichten und verstand es auch, mit Initialen und Buchschmuck seine Märchenillustrationen zu akzentuieren. Slevogt bleibt aber immer einer traditionellen Bilderwelt verpflichtet. Die plakativen Holzschnittfolgen von Walther Klemm (1885 – 1957), die zu drei Märchen der Brüder Grimm im Weimar der 1920er Jahre entstanden sind, versuchen besonders emotionale und bewegende Momente der Märchen in eine Bildfolge zu stellen. Klemm schafft so Illustrationen, die als einzelne Motive stehen können, nie aber das Märchen, dem sie entstammen verleugnen. Ganz anders ist es bei den 39 Radierungen zu sechs Märchen der Brüder Grimm, die David Hockney (geb. 1936) geschaffen hat. Er sieht die Märchen der Brüder Grimm als Teil einer uralten und traditionellen europäischen Kulturgeschichte an und versucht, die Texte bildhaft in alte und neue Zusammenhänge zu stellen, zitiert niederländische und oberrheinische Madonnendarstellungen, die italienische Renaissance, die deutsche Romantik und zeitgenössische Kunstströmungen und zeigt die Märchen ganz neu und einzigartig als Vexierbilder der Kulturgeschichte. Obwohl Hockney bewusst den Bezug zu den Texten sieht und bei der Edition der Radierungen großen Wert darauf legt, hier sind 39 völlig eigenständige Kunstwerke entstanden. Die Entwicklung der Illustration von Grimmschen Märchen bei Bildenden Künstlern zeigt so im 20. Jahrhundert eine deutliche Veränderung und Akzentuierung bestimmter Aspekte im Märchen, vor allem aber eine Emanzipierung des Bildes auf.

Knoop ,Christine und Thomas Nehrlich (Berlin)

Grimm im Experiment Im Projekt „Wie Wunder wirken“ am Cluster „Languages of Emotion“ der FU Berlin führt eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Literaturwissenschaftlern und Experimentalpsychologen eine Studie zur Wahrnehmung von Wundern bei der Lektüre von Märchen durch, die von zwei Erkenntnisinteressen geleitet ist:

1) Welchen Einfluss hat die Ontologie des Märchens, in der im Sinne Jolles’ das Wunder zur Norm wird, auf die Verarbeitung wunderbarer Phänomene in der Lektüre?

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2) Wie wirkt sich die Emotionsstruktur des Märchens auf die Wahrnehmung der Wunder aus bzw. trägt die bipolare Emotionalität (Gut gegen Böse) zur Abmilderung oder Verstärkung der Verwunderung bei?

Unsere experimentalpsychologischen Ergebnisse können für die literaturwissenschaftliche Märchenforschung fruchtbar gemacht werden. Insbesondere sollen zwei Hypothesen vorgestellt werden:

1) Die Phänomene des Wunderbaren in den Grimmschen Märchen lassen sich nach bestimmten Strukturprinzipien klassifizieren.

2) Die Grimmschen Märchen sind geprägt von einer emotionalen Codierung, die kaum explizite Emotionswörter verwendet. Die von uns ausgewertete psychologische Forschung stellt fest, dass sich Intensität und Qualität emotionaler Kontexte auf die Verarbeitung kontraintuitiver Phänomene auswirken. Wir postulieren, dass dies für die Verarbeitung von Wundern in den Grimmschen Märchen in ganz spezifischer Form gilt: Da trotz des Verzichts auf Emotionswörter durch die genreeigene Semantik bestimmte Begriffe und Figuren emotional codiert sind, ist im ‚Märchenmodus‘ auch ohne explizite Nennung von Emotionen ein affektiver Kontext gegeben, der die kognitive Verarbeitung beeinflusst.

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Kolago, Lech (Warschau/Polen)

Das Ballett ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge‘ von Bogdan Pawłowski (Musik), Witold Borkowski und Stanisław Piotrowski (Libretto) nach dem Märchen ‘Schneewittchen‘ von den Brüdern Grimm Das Märchen ‘Schneewittchen’ ist zum wesentlichen Bestandteil der literarischen Kultur Europas, und zwar sowohl in der mündlichen als auch in der schriftlichen Überlieferung geworden. Es ist das am häufigsten nachgedruckte, gern und oft zum Libretto bearbeitete, meist übersetzte Grimmsche Märchen. Die Ursachen des enormen Erfolges dieses und mancher anderer Märchen sind u.a. in den politischen und sozialen Veränderungen in der Gesellschaft zu sehen. Einerseits die Sehnsucht nach einer gerechten Welt, andererseits aber die Popularisierung der Lesefertigkeit in den Familien, die mit der Entdeckung des Kinderstuben-Phänomens in Verbindung steht. Die Märchen bleiben zwar eine Konstante, können aber ihre Gestalten ‚amöbenhaft wechseln’, deswegen werden sie gern auf der Bühne als Märchenoper, als Vertonung eines Kunstmärchens oder – in diesem Fall - als Märchenballett präsentiert. Das Grimmsche Märchen ‘Schneewittchen’ wurde eben als Textvorlage für das gleichnamige Ballett verwendet. Deutsche Märchen werden in polnischer Übersetzung oft von drastischen und derben Inhalten befreit. Die Übersetzer neigten nicht zum einfachen Fantasieren, zum Abrunden oder Ausschmücken, sondern entfernten oft bei den Übersetzungen manche Fragmente des Märchens. In dem Beitrag wird der Versuch unternommen, zu zeigen, wie das Original für die Zwecke des Balletts umgestaltet wurde, wie der Librettist mit dem Originalstoff umgegangen ist, was wurde aus dem Original übernommen oder weggelassen. Als empirisches Material für die Untersuchungen gilt das Libretto des Balletts in polnischer Sprache, das ich ins Deutsche übertragen habe.

Konuma, Akio (Tokio/Japan)

Gold, Geld und Währung in Grimms Märchen. Historische Wirklichkeit in der Volkssage? Dieser Vortrag wird das Geld in KHM thematisieren. Beobachtet werden die verschiedenen Geldbegriffe in allen Geschichten in allen Editionen vom KHM, wobei wir folgenden drei Begriffe behandeln: Gold, Geld und Währung. Das Gold taucht eher als das Symbol von der Schönheit oder weltlicher Wert in Märchen auf, während die Nutzung vom Wort „Geld“ enger auf das Mittel für Tauschen oder Leben beschränkt wird. Von der Nutzung von verschiedenen Währungen in KHM könnte folgende drei Charakteristika genannt werden: Erstens, die Währungseinheiten sind oft im konkreten Kontext benutzt werden. Zweitens, nur die frühneuzeitlichen Währungssorten werden dort beobachtet, wie Taler, Groschen oder Kreuzer. Und als Letztes sind diese Währungen in Märchen sehr verschieden und werden nicht systematisch miteinander verknüpft wie modernes Währungssystem. Berücksichtigt wird deshalb folgende Punkten: Wie schätzt Grimms Märchen das Gold und das Geld ein und wovon geht das Werturteil zurück? Von Brüder Grimm, von den Erzählern oder dem Märchen selbst? Und spiegelt die Zustände um das Geld im Märchen die wirtschaftliche Wirklichkeit der Gesellschaft vom Ende des 18 Jahrhunderts bis zum Anfang 19. Jahrhundert, wo die Brüder Grimm und ihre Erzähler gelebt haben? Um diese Fragen nachzugehen, untersuchen wir den ganzen Text vom KHM und vergleichen wir den Text mit dem Währungsstand und der alltäglichen Wirtschaftslage der Grimms Zeit.

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Köppe, Walter (Betty’s Bay/Südafrika)

Wilhelm Bleeks „Specimens of Bushman Folklore“: Aufzeichnungen zur Erkundung der Seelenlage eines vom Untergang bedrohten Volkes oder: Wege nationaler Mythenforschung im südlichen Afrika Die Sammlung mündlich übermittelter Bilder und Mythen aus der Lebenswelt der San durch Wilhelm Bleek und Lucy Lloyd in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann in ihrer Bedeutung für die Erkundung der Seelenlage eines bereits damals vom Untergang bedrohten Volkes den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm in vielen Hinsichten gleichgestellt werden.

Die Einbettung der Grimmschen Sammlung in die Nationalgeschichte der Deutschen findet seine Entsprechung in der Aufnahme der San-Kultur in die Heraldik des demokratisierten südafrikanischen Staatswesens. In gleicher Weise gehören beide Sammlungen oraler Traditionen heute zu den gewichtigen Textkorpora einer Archäologie der weit in die Zeit zurückreichenden Befindlichkeiten der menschlichen Seele. Sie philologisch-historiographisch auszuloten, bleibt, unter verschiedenen Vorzeichen, weiterhin Desiderat für die Moderne. Der Vortrag geht kurz auf die wissenschaftsgeschichtlichen Vorgaben ein und versucht dann intertextuell einen Einblick in die Mythenwelt der San zu vermitteln.

Korneeva, Tatiana (Berlin)

Persecuted Maidens and Transvestism in the Grimms’ Kinder- und Hausmärchen In order to escape from sexual abuse or incestuous passions ( and Princessin Mäusehaut), to avoid enforced marriages (Die heilige Frau Kummernis, 157a), or to participate in the male realm, numerous fairy-tale heroines disguise their gender and behave like transvestite saints. It is thus interesting to investigate the cross-dressing motif in the Grimms’ tales and the medieval texts that inspired them. More specifically, I am interested in how transvestism is used to define female identities, both sexually and socially. Clearly, the narratives of female cross-dressing betray a desire to acknowledge or create models of female heroism and Christian perfection in women. However, transvestism itself is an ambiguous practice, since it reveals, to echo Judith Butler, the constructedness of gender categories and a dissatisfaction with the limited possibilities of social roles. In my contribute, I wish to explore why the Brothers Grimm adopted these highly equivocal models of sanctity and gender transgression in their didactic and conservative tales as well as in Deutsche Sagen. Do their transvestite heroines unwittingly disrupt and question the social order, hence revealing cultural anxiety about women’s roles, or do they instead reinforce a strict gender hierarchy once their heroines reassume their female identity?

By addressing these questions, I hope to provide new insights into the representation and treatment of the feminine in the Grimms’ Kinder- und Hausmärchen during the half-century of their editorial history, as well as into the development of Western attitudes towards female transvestism and sexuality.

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Korte, Hermann (Siegen) Die Moderne als unheimlicher Raum. Zur Austreibung des Wunderbaren und Märchenhaften in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Das öde Haus"

Im Unterschied zum „Goldenen Topf“, einem der bekanntesten Paradigmen des sog. Kunstmärchens, wird E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Das öde Haus“ kaum in die Nähe zum Märchen gebracht. Dabei lässt sich eine ganze Reihe von Märchenelementen finden: Der Bogen reicht vom Zauberspiegel über Ring, Diamant, Kristall und wunderlichen Stimmen bis hin zu einem merkwürdigen Alten, einer Hexe, zwei entführten bzw. vertauschten Kindern bis hin zu einer Zigeunerin, die so plötzlich auftaucht wie sie wieder verschwindet. Der Vortrag geht der Frage nach, mit welchen Strategien und Konsequenzen Hoffmann die verdichteten Märchen-Elemente in einen Erzählzusammenhang einbindet, der das Märchenhafte und Wunderbare zunächst in den Kontext von Spuk- und Schauergeschichten und zuletzt in einen unheimlichen, von Flaneuren, Medizinern und Grafen bevölkerten Großstadtraum stellt. Alles Märchenhafte weicht schließlich einer geheimnisvollen, bedrückenden Szenerie, welcher der Protagonist entflieht und in der die moderne Welt der Metropole als eine undurchschaubare, bedrohliche Gegenwart aufscheint.

Körte, Mona (Berlin)

Vom Eigensinn der Dinge in Märchen der Brüder Grimm Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM) weisen in ihren verschiedenen Auflagen eine Fülle an Zauber- und Alltagsdingen auf, die durch einen spezifischen Eigensinn gekennzeichnet sind. Im 19. Jahrhundert, das gerne als das Säkulum der Dinge bezeichnet wird, erhalten die KHM den Status von Aushandlungsorten, in welchen sich der Zusammenhang von Mensch und Ding als ein System „undurchschaubarer Beziehungsgeschichten“ organisiert. Denn Dinge sondern sich nicht erst seit der von Friedrich Theodor Vischer geprägten Formel von der „Tücke des Objekts“ (1878) ab, um aufsässig und ein wenig gegen den Menschen zu existieren, sie entfalten ihr Störpotenzial bereits in Märchentexten um 1800. Zwar dienen sie den literarischen Figuren durchaus als Hilfsmittel/magische Objekte, versagen jedoch des Öfteren in dieser Funktion, indem sie ihren Dienst aufkündigen, ihn sabotieren oder gar torpedieren. Nicht selten hat dies Auswirkungen auf den narrativen Zusammenhang der KHM, da die Dinge ihren Objektstatus verlieren, sich ihrer Rolle als Accessoire und Werkzeug entledigen und (wie in dem Märchen ) zu Akteuren, zu Abenteurern, zu Subjekten werden: „Das Ding“, so heißt es in Michael Niehaus’ Buch über wandernde Dinge, ist gleichsam „als Subjekt der Geschichte mehr als nur Objekt und gehört [...] nur sich selbst“. Es ist „auf rätselhafte Weise mehr als das, was die Figuren in den Geschichten mit ihm anstellen und was es für sie bedeutet“.

Die KHM der Brüder Grimm bilden eine reichhaltige literarische Quelle dinglichen Eigensinns, deren deutlichste Manifestation in der Verrückung des Dings vom Objekt zum Subjekt liegt. Bei näherem Hinsehen affiziert die komplizierte Überlieferungsgeschichte der KHM, die sich gleichsam blind zur europäischen Märchentradition verhält, auch die erzählten Dinge, genauer die Frage nach ihrem Ein- oder Ausschluss, ihrem Vermögen und ihrer Handlungsmacht. In den KHM, so die im Vortrag zu entfaltende These, treten Dinge als Verstehensproblem auf gleich mehreren Ebenen auf, die es in der genauen Analyse einiger Märchen zu bestimmen gilt.

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Kurwinkel, Tobias (Bremen)

Märchenhafte Medientexte – mediale Märchentexte. Wie Dreamworks' SHREK-Tetralogie die Kinder- und Hausmärchen adaptiert und weiterschreibt Shrek ist ein Oger, ein menschenähnlicher Unhold also, der in William Steigs gleichnamigem Bilderbuch verschiedene Aufgabe lösen muss, um am Ende eine „most repulsive“ Prinzessin heiraten zu können. Der Weg des Protagonisten durch eine mittelalterlich gezeichnete Welt ist gesäumt von sprechenden Tieren, Hexen, magischen Requisiten – und anderen Märchenmerkmalen.

Die US-amerikanischen Filmadaptionen, die mit FÜR IMMER SHREK im Sommer 2010 einen Abschluss finden, adaptieren die verschiedenen Märchenmerkmale des Prätexts von Steig, ergänzen die Filmtexte aber um weitere und integrieren vor allem Märchentexte der Kinder- und Hausmärchen wie u. a. Aschenputtel, Die Bremer Stadtmusikanten, Dornröschen oder Sneewittchen.

Der Beitrag will zeigen, wie die computeranimierte Tetralogie von Dreamworks die einzelnen Märchentexte filmisch adaptiert, als Zitat, Montage und Parodie postmodern aktualisiert und die Märchen der Brüder Grimm damit weiterschreibt.

Langner, Paul Martin (Kraków/Polen)

„… so nehme der Richter jenen bei der Hand …”. Performative Elemente in den städtischen Gewohnheitsrechten des Spätmittelalters. Das „Wicbelde“ (das städtische Gewohnheitsrecht) der Stadt Havelberg (s.a. Görlitz 1306; Kraków 1308; u. ö.) enthält mehrere Abschnitte, in denen Rechtshandeln als prozessualer Ablauf beschrieben wird. Insbesondere bei der gerichtlichen Einweisung zu städtischem Grundbesitz und bei der Wahl der Ratsmänner werden performative Elemente greifbar, die im Vortrag erläutert werden sollen. Es wird dabei deutlich, dass sich die Verfahren, mit denen die Rechtsfragen im städtischen Raum geregelt wurden, teilweise an kirchlichen Mustern orientierten, die ihrerseits für städtische Belange umgedeutet wurden. Mit diesen Feststellungen wird einerseits die Sinnlichkeit des mittelalterlichen Rechts bestätigt, wie sie Jacob Grimm in der ersten Ausgabe der Rechtsbücher von 1828 postulierte. Zugleich wird aber andererseits seine Position, vor allem das städtische Recht auf der Grundlage von heidnischem Brauchtum zu sehen (Antrittsvorlesung, 1841), in Frage gestellt. Auch die Betonung der Einvernehmlichkeit mittelalterlichen Städter und ihre Unabhängigkeit von der Kirche und dem mit ihr verbundenen Recht sind vor der Folie der historischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts verständlich, stellt gleichfalls eine unzulässige Projektion dar.

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Lauer, Bernhard (Kassel)

Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm nach 200 Jahren (1812-2012). Anmerkungen zu ihrer weltweiten Rezeption. (mit Lichtbildern) …

Lipóczi, Sarolta (Kecskemét/Ungarn)

Die Bedeutung, Wirkung und Rezeption der deutschen Philologen, Jacob und Wilhelm Grimm in Ungarn Der Jahrestag der Veröffentlichung der Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm ist ein Anlass, die Bedeutung, die Rolle, die Wirkung und Rezeption von Jacob und Wilhelm Grimm, der zwei bedeutenden Persönlichkeiten der deutschen Philologie, im ungarischen Raum zu untersuchen.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, auf Grund von Untersuchungen und mit Hilfe von Analysen zum Gesamtbild der internationalen Wirkung und Rezeption der Märchen der Brüder Grimm sowie ihrer philologischen Tätigkeit von der Seite der ungarischen Literaturforschung mit neuen Forschungsergebnissen beizutragen.

Im Rahmen des Beitrags wird zunächst der Stand der Grimm-Forschung in Ungarn festgestellt und auf Grund einer Auswahl aus der Sekundärliteratur die Bedeutung der zwei großen Philologen in der ungarischen Literatur zusammengefasst. Ein wichtiger Punkt der Forschung ist, welche Impulse die Brüder Grimm der ungarischen Märchenforschung gegeben haben.

In Ungarn wurden die Kinder- und Hausmärchen (1-2 Bände) zum ersten Mal im Jahre 1861 veröffentlicht. Im Beitrag wird auch die Ausgabengeschichte der Kinder- und Hausmärchen in Ungarn vorgestellt, sowie ungarische Übersetzungen bzw. Adaptation von ausgewählten Grimm Märchen analysiert.

Als Zusammenfassung wird das Grimm-Bild aus heutiger Sicht der ungarischen Literatur gewürdigt und der ungarischen Grimm-Forschung können weitere Impulse gegeben werden.

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Lorenzen ,Malte (Bielefeld)

Rezeption und Wirkung der Kinder- und Hausmärchen in der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung Die bürgerliche deutsche Jugendbewegung, insbesondere der Wandervogel, schrieb sich selbst als bedeutende kulturelle Leistung die Wiederentdeckung und Wiederbelebung des Volksliedes zu. Ihren bekanntesten, auch in der Forschung immer wieder gewürdigten Ausdruck findet die in den Jugendbünden gepflegte Begeisterung für das Volkslied im 1909 von Hans Breuer herausgegebenen Zupfgeigenhansl. Die in der Jugendbewegung gepflegte Sammlertätigkeit wurde selbstbewusst verglichen mit derjenigen Arnims und Brentanos für Des Knaben Wunderhorn. Weniger bekannt als diese Aktivitäten sind hieran anschließende Bemühungen um das Volksmärchen. In den Zeitschriften der Jugendbewegung lassen sich zahlreiche Aufrufe finden, es den Brüdern Grimm gleichzutun und auf den Wanderungen dem „Volk“ seine Märchen abzulauschen. In den entsprechenden Artikeln wird nicht nur deutlich, dass es gerade die Bekanntheit mit den Kinder- und Hausmärchen ist, die die Jugendbewegung in diese Richtung lenkt, sondern auch, dass den Volksmärchen der gleiche hohe Stellenwert eingeräumt wird wie dem Volkslied und dem Volkstanz.

Der Vortrag wird sich Rezeption, Wertung und Wirkung sowohl der Brüder Grimm und ihres Märchenbuches als auch des Volksmärchens insgesamt in der deutschen Jugendbewegung widmen. Dabei wird sich zeigen, dass es gerade die kulturkritischen Intentionen Jacob und Wilhelm Grimms waren, die in der Jugendbewegung aufgegriffen wurden und ihren Niederschlag nicht zuletzt in der Tradierung bestimmter Rezeptionsmuster fanden.

Lu, Xia (Chengdu/China)

Zhou Gui-Sheng: Vorläufer in der Übersetzungsgeschichte von Grimms Märchen Grimmsche Märchen wurden schon im Jahr 1902 zum ersten Mal ins Chinesische übersetzt. Der Pionier, der grimmsche Märchen nach China einführte, nannte sich Zhou Gui-Sheng(周桂笙). Er war auch der Erste, der chinesischen Kindern und Jugendlichen ausländische Sagen und Märchen vorstellte, darunter eben die grimmschen Volksmärchen im Verein mit Kunstmärchen Andersens und Hoffmanns.

Zu Zhou´s Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, hatten die Chinesen keinerlei Begriff von Kinderliteratur, es gab auch keine speziellen Literaturgenres bzw. Literatur für Kinder. Deswegen betraten die Übersetzungen Grimmscher Märchen in China Neuland. Wegen des großen Einflusses der Lehren des Konfuzius auf die chinesische Gesellschaft waren die Literaten schon längst daran gewöhnt, dass an Büchern das Wichtigste der Aspekt der Erziehung war. Phantasie, Fröhlichkeit oder ähnliches spielten bei Büchern keine wichtige Rolle. Deswegen hielten sich die Übersetzungen grimmscher Märchen aber weiterhin an überkommende Wertvorstellungen.

In der Zhou´s Übersetzung grimmscher Märchen gibt es deswegen viele Besonderheiten, wie seine Interpretationen im Anschluss an Märchen; seine anerkennenswerte Übersetzungsweise, nämlich die von ihm benutzte Sprache sowie die, Direktübersetzung‘ etc. Zhou´s erste Vorstellung grimmscher Märchen in China war bahnbrechend. Er nahm auch deshalb unbestritten in der Kinderliteraturgeschichte Chinas einen entscheidenden Platz ein.

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Lundt, Bea (Flensburg)

Rotkäppchen im Urwald? Der Einfluss der Grimmschen Märchensammlungen in Westafrika, am Beispiel Ghanas Missionare und Kolonialbeamte führten die Grimmschen Sammlungen in die Kolonien ein, die durch orale Erzähltraditionen geprägt waren. Am Beispiel des westafrikanischen Landes Ghana möchte ich die ambivalente Situation beschreiben: zum einen gilt es, den Lektürekanon zu „afrikanisieren“, indem eigene kulturelle Traditionen verschriftlicht werden, zum anderen entwickelt sich aber auch ein neuer Umgang mit den Überlieferungen aus der deutschen Kolonialzeit, zumal die neuen Medien die Lesegewohnheiten transformieren. Zunächst möchte ich Kinder- und Jugendbücher sowie Unterrichtswerke vorstellen: Wie werden die Märchen- und Sagenstoffe der Grimmschen Sammlungen in Ghana präsentiert und adaptiert? Um zweitens Antworten auf Fragen nach der aktiven Rezeption zu erhalten, führe ich Befragungen mit Kindern sowie Lehrern und Lehrerinnen, aber auch mit Verlegern durch. Gibt es neben der Schriftgestalt der Überlieferung auch andere, orale Wege der Tradierung der Grimmschen Werke, sodass das Medium „Buch“ quasi übersprungen wird durch andere Medien, etwa das allgegenwärtige mobile phone? Gibt es also so etwas wie eine postmoderne Re-Oralisierung der Grimmschen Märchen? In einem dritten Teil möchte ich die Kontroverse in Ghana über den eurozentristischen Gehalt dieser Texte beleuchten. Wird das „deutsche“ Werk der Grimms in der Wahrnehmung durch einen anderen Kontinent quasi europäisiert?

Maierhofer, Waltraud (Iowa/USA)

"Wer ist die Schönste im ganzen Land?" Mit Terry Gilliams Brothers Grimm im Fantasie-Wald der Geschlechterrollen Mein Beitrag setzt sich mit einem neueren Produkt der globalen medialen Umsetzung des 'cultural icon' Brüder Grimm und den von ihnen gesammelten und popularisierten Märchen auseinander, nämlich dem Film Brothers Grimm des britischen Regisseurs Terry Gilliam (USA, Tschechien, 2005).

Brother Grimm beansprucht nicht, die Geschichte von Jakob und Wilhelm Grimm zu erzählen. In diesem Fantasyfilm ziehen sie vielmehr als “Jake” und “Will” durchs Land und sammeln keine Märchen, sondern lassen sich dafür bezahlen, mit allerlei mechanischen Tricks den Spuk zu vertreiben, an den die Menschen glauben, bis sie selbst in einen Zauberwald und in die Hände einer blutrünstigen Hexe geraten. Bei Gefahr für ihr Leben sind sie mit der unmöglich scheinenden Aufgabe konfrontiert, das Rätsel zu lösen, warum in einem Dorf junge Mädchen verschwinden.

Die Handlung und vor allem die Geschlechterrollen, die bei meiner Analyse den Schwerpunkt bilden werden, bleiben leider konventionell. Die Grimms bewegen sich in diesem Film in einer Welt von Spezialeffekten und wunderbarer Ausstattung, die die globalen Zuschauer von Fantasy-Filmen freilich nunmehr erwarten. Dabei werden allerdings, wie ich im Anschluss an Susan Cahill aufzeigen werde, binäre Geschlechterrollen und das restriktive Frauenbild vieler Märchen fortgeschrieben.

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Mattenklott, Gundel (Berlin)

Märchen-Inszenierungen auf der Bilderbuchbühne In der Geschichte des Bilderbuchs zeichnen sich die letzten drei Jahrzehnte als Phase eines umfassenden Modernisierungsprozesses ab: Traditionelle Einschränkungen in der Bildgestaltung, in Stoffen und Inhalten verlieren ihre Gültigkeit. Adressaten sind nicht mehr in erster Linie die Kinder im Kindergartenalter, vielmehr reicht das Alter des vom Bilderbuch angesprochenen Publikums über die Grundschulkinder und Jugendlichen bis zu den Erwachsenen. Das Bilderbuch adaptiert Bildsprachen der Gegenwartskunst, es wird zu einem intermedialen Genre neben anderen.

Dieser Modernisierungsprozess wirkt auch in den Bilderbüchern, die traditionelle, kanonische Texte, allen voran die Märchen der Brüder Grimm, wie auf einer Theaterbühne neu inszenieren, sie aktualisieren und interpretieren. Im Vergleich verschiedener Bilderbücher zu einem Märchen werden solche Interpretationen herausgearbeitet, und es wird ihr literaturtheoretischer, ästhetischer, psychologischer und pädagogischer Bezugsrahmen ermittelt. Ihre je individuelle Bildsprache wird als Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des jeweiligen Märchens auf ihren spezifischen Erkenntnisgewinn oder auch -verlust hin untersucht.

Maximino dos Santos, Adriana (São José/Brasilien)

Die Kinder- und Hausmärchen in Brasilien: über die verschiedenen Übersetzungsarten In Brasilien hatte Kinder- und Hausmärchen (1812, 1815) von Jakob und Wilhelm Grimm großen Einfluss auf die Bildung der brasilianischen Kinderliteratur (Coelho, 2000). Sie kamen nach Brasilien durch die Übersetzung der ausgewählten Märchen und es gibt bislang keine Übersetzung des gesamten Werks nach Volobuef (2011). Dieser Beitrag zielt auf die Analyse der zahlreichen Rezeptionsweisen der Kinder- und Hausmärchen in der brasilianischen Kultur. Diese fand durch verschiedene Übersetzungsarten statt. Die angewendete Methode in dieser Studie umfasst die komparatistische Analyse (O’Sullivan, 2006) von Übersetzungen ins Portugiesische bezüglich der geschichtlichen, sozialen und kulturellen Hintergründe. Die Ergebnisse weisen darauf, dass ursprünglich die Kinder- und Hausmärchen mit hoch sprachlicher Komplexität intersprachlich und wörtlich übersetzt wurden (Jakobson, 1959). Nach der literarischen Bewegung für die Entstehung der brasilianischen Literatur am Anfang des 20. Jahrhunderts bekommen die Grimm-Märchen Übersetzungen der Kultur angepasst und die intrasprachlich durchgeführt wurden (Jakobson, 1959). Seit dieser Zeit kommt die Intertextualität als eine Art zur Rezeption der Grimms Werke vor (Trusen, 2006). Hier werden die Märchen in den Erzählungen von brasilianischen Autoren von Kinder- und Jugendliteratur eingesetzt und neu erzählt.

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Mecklenburg, Michael (Berlin/Kassel)

Märchenhaft! Zur Wortgeschichte eines sagenhaften Begriffs. Wer im „Deutschen Universalwörterbuch“ der Duden-Redaktion (4. Aufl. 2001) den Eintrag „märchenhaft“ aufschlägt findet eine klare Zweiteilung in eine die Märchen im eigentlichen Sinne betreffende Bedeutung – „von der Art eines Märchens, für Märchen charakteristisch“ – und eine übertragene, in sich selber ausdifferenzierte Bedeutung, die auf das in Märchen erscheinende Übernatürliche zurückgeht: „a) zauberhaft schön“, „b) unvorstellbar in seinem Ausmaß, seiner Art“, „c) überaus, in unvorstellbarem Ausmaß“ (S. 1050). Der Unterschied zwischen b) und c) ist nach Auffassung der Duden-Redaktion ein umgangssprachlich emotionaler Ausdruck für etwas Angenehmes (b) gegenüber einer reinen Verstärkungsfunktion bei Adjektiven (c). Besonders auffällig ist m.E., dass für b) und c) außerdem jeweils dasselbe Synonym angeboten wird, nämlich „sagenhaft“. Schlagen wir eben diesen Eintrag nach, stoßen wir auf einen fast identischen Artikel, nur dass es sich dort bei der ersten Bedeutung dann um die Sage handelt.

Doch ein Märchen ist keine Sage. Oder doch? Zumindest in der deutschen Sprechergemeinschaft scheint dies so zu sein, wenn es um das Adjektiv/Adverb geht. Und so wird hier unversehens ein Problem aufgeworfen, das gerade für eine märchenhafte Tagung von großer Relevanz ist und dem sich der geplante Beitrag widmen möchte: Was eigentlich bedeutet „märchenhaft“ und woher stammt der Ausdruck? Wann wird er erstmals benutzt und wie hat sich seine Verwendungsweise verändert? Was ist der Unterschied zwischen 'sagenhaft' und 'märchenhaft'? Fragen, die sich nicht umfänglich werden beantworten lassen, aber eine erste Skizze sollte doch möglich sein. Dabei geht es zunächst um das nicht mehr produktive Ableitungs-Suffix -haft und um die Wortgeschichte von (mhd.) maere, auf das unser Wort 'Märchen' zurückgeht. Zu untersuchen wäre dann, in welchen Kontexten der Ausdruck 'märchenhaft' erstmals auftaucht, insbesondere die Verwendung bei den Romantikern und den Grimms wäre hier wichtig, denn der Eintrag im „Deutschen Wörterbuch“ ist reichlich knapp und führt nur karge Belegstellen bei Goethe und Heine an. Von dort aus wäre zu unterscheiden zwischen der Verwendung in germanistischer Fachterminologie und einer umgangssprachlichen Bedeutung. Wohin dies in beiden Untersuchungssträngen führen kann zeigt hier die immer noch virulente Debatte um die 'märchenhafte Dietrichepik' oder die Märchenmotive im Artusroman und dort eine kurze Google-Abfrage, die uns unter anderem Chanels neue „Rosé- und Pinktöne“ für die Wintersaison unter der Überschrift „Märchenhaft“ offeriert.

Angestrebt ist eine wort- und kulturgeschichtliche Skizze, die im Rahmen der internationalen Grimm- Tagung den ursprünglichen Gegenstand wieder explizit ins Bewusstsein rücken und deutlich machen soll, in welcher Weise die Märchensammlung der Grimms auch indirekt bis heute Wissenschaft, Kultur und Sprache beeinflusst.

Messerli, Alfred (Zürich/Schweiz)

Die Kinder- und Hausmärchen der Grimms und Giambattista Basiles Pentamerone (1634–1636) Bedeutung und Wertschätzung Giambattista Basiles durch die Brüder Grimm kann nicht überschätzt werden. Im Kommentarband zu den KHM von 1822 schreiben sie, diese Märchensammlung sei „wirklich unter allen, die bei irgend einem Volk veranstaltet worden, die beste und rechhaltigste.“

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(Grimm/Grimm 1822, 277).Diese Wertschätzung zeigt sich schon in den Kommentaren der 1. Auflage von 1812/1815. Der Kommentarband von 1822 bringt zudem ausführliche Zusammenfassungen aller 50 Märchen Basiles (ebd., 281–369) und eine synoptische Auflistung von 32 Märchen und den entsprechenden KHM-Texten (ebd., 370–371). Diese umfangreichen Zusammenfassungen entfallen in der 3. Auflage der Anmerkungen von 1856, da in der Zwischenzeit (1846) die erste vollständige Übersetzung auf Deutsch von Felix Liebrecht (mit einem Vorwort von Jacob Grimm) erschienen ist. Das Referat will darlegen, wie Basiles Märchensammlung zu einem Paradigma des Genres Märchen bzw. der „Gattung Grimm“ (André Jolles) werden konnte und die Grimms zugleich hinführte zu einem komparatistischen Forschungsansatz.

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Messner, Rudolph (Kassel)

Die Grausamkeit der Märchen  Formen von Aggression und Gewalt in den Grimmschen Märchen (Beschreibung der Erscheinungsformen; evtl. vergleichende Hinweise auf die Volksmärchen anderer Kulturkreisen, z.B. arabische oder indianische Märchen); evtl. verborgene strukturelle Gewalt in Märchen  Woher stammt die „Grausamkeit“ in den Grimmschen Märchen? (u.a. Blick auf die mittelalterliche Straf- und Erziehungspraxis)  Rezeption der „Märchengewalt“ seit dem Erscheinen der Grimmschen KHM; Einfluss auf die die Textauswahl und -bearbeitung (bes. durch Wilhelm Grimm)  Fragmente zum Für und Wider in der Einschätzung der Märchengrausamkeit von der Romantik bis zur Gegenwart  Stichworte zur pädagogischen Diskussion über „Sinn“ und Unsinn von Märchengrausamkeit (evtl. spezifiziert am Beispiel der „bösen Hexe“ und ihrer Vernichtung in „Hänsel und Gretel“ unter den Aspekten: Ambivalenz des Sachverhalts, Wahrnehmung durch Kinder, Erlaubtheit? Wie mit dem gesellschaftlich belasteten Fanal der Hexenverbrennung umgehen? Überhaupt: Wie das Problem mit Kindern (und Jugendlichen?) bearbeiten?

Michulka, Dorota (Wroclaw/Polen)

Grimm's Hans My Hedgehog and Katarzyna Kotowska's Jeż [Hedgehog] as Stories About “Fada” Children (Children of Fairies) and “Taming” Through Love. Grimm's fairy tale titled Hans My Hedgehog and Kotowska's story titled simply Hedgehog (Polish Jeż ) about an adopted boy may both be described, from the perspective of psychoanalysis, as psychotherapeutic fables (B. Bettelheim, Z. Freud). Protagonists in both of the stories are unadjusted psychologically, lost children, searching for security and emotions. The symbolism of a child–animal, full of spines, is clear in both stories (Grimm’s and Kotowska’s); it means the isolation and fear of the outside world. Both of the stories are concerned with the problem of acceptance, self-confidence and “taming” through love. Kotowska's poetic fable about overcoming barriers between a child and its parents corresponds to the image of a happy family, assumes the perspectives of understanding and naming the “Other's” feelings, and of resolving differences between children and adults. In Grimm's fairy tale, the plot is based on the protagonist's actions with emphasis on the theme of rejection and re-acceptance. Protagonists of both stories, as children-animals, struggling with their otherness, are active in their fight and when they lose their spines, they win love.

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Moering, Renate (Wiesbaden)

Die Golem-Sage bei Jacob Grimm und Achim von Arnim. Mit unbekannten Handschriften Arnims Die Entstehung der Sage vom Golem - von einer einzigen Erwähnung dieses hebräischen Wortes im Alten Testament über mittelalterliche jüdische geheime Anweisungen zur Herstellung eines künstlichen Menschen - ist sehr komplex. Erst mit der Rezeption durch deutschsprachige christliche Literatur nähert sich der Stoff zunehmend der Form einer Sage. Jacob Grimms Vorlage ist, wie Textvergleiche zeigen, Wilhelm Ernst Tentzels Werk "Monatliche Unterredungen". Grimm isoliert erstmals die in Polen angesiedelte Geschichte und gibt ihr so die Form einer Sage. Anreger für diese Niederschrift war Achim von Arnim, der den Text in seine "Zeitung für Einsiedler" (Nr. 7, 23.4.1808) aufnahm. Sie erschien dort in dem Zyklus "Von der Nachahmung des Heiligen"; dazu eignete sich der Golem-Stoff besonders, in welchem die Imitation des Schöpfungswerks misslingt. Die Druckfehler in den hebräischen Wörtern notierte sich Arnim auf einem Blatt.

Mit der Sagenform befasste sich Jacob Grimm damals auch theoretisch ("Zeitung für Einsiedler", Nr. 19). Seinem Begriff der Naturpoesie widersprach Arnim in einer Fußnote. Als er im Dezember 1808 bei den Brüdern Grimm zu Gast, erfragte er auch die Quelle der Golem-Sage, wie sich einem Notizblatt seiner Hand entnehmen lässt. In künstlerischer Freiheit nahm Arnim diesen künstlichen Menschen 1812 in seine Erzählung "Isabella von Ägypten" auf. Der Golem ist dort eine weibliche Doppelgängerfigur zur Heldin, "Golem Bella" genannt. - Jacob Grimm und Achim von Arnim, die sich in ihren Theorien zur Bearbeitung alter Stoffe sonst nicht einigen konnten, sieht man hier vorübergehend zusammenarbeiten.

Mountaki, Argyro E. (Athen/Griechenland)

Johann Georg von Hahn: der erste Märchensammler in Griechenland auf den Spuren der Aspekte der Brüder Grimm Dieser Vortrag befasst sich mit der Wirkung der Brüder Grimm auf dem ersten Märchensammler in Griechenland. Der erste Märchensammler des 19. Jahrhunderts in Griechenland war der österreichische Konsulat Johann Georg von Hahn (1811-1869). J.G. von Hahn hatte eine Märchensammlung in Leipzig im Jahre 1864 mit dem Titel „Griechische und albanesische Märchen“ veröffentlicht. Kern dieses Vortrags ist zu erforschen, in welchem Grade Hahn sich im Rahmen einer romantischen Forschung und Auslegung der Volksmärchen auf den Spuren der Aspekte der Brüder Grimm bewegte. Wie Brüder Grimm suchte er auch nach der Abstammung der Märchen und versuchte er ihre Ideen in Bezug auf die indogermanische Abstammung der Märchen zu bestätigen. Er hatte Märchen aus verschiedenen Orten in Griechenland gesammelt und auf Deutsch übersetzt. J.G. von Hahn hatte auch die Idee unterstützt, dass die Märchen aus den antiken Mythen stammen. Rezipienten der Arbeit Hahns waren die deutschen Wissenschaftler und Forscher, unter anderem die Brüder Grimm. Das zeigt eine kurze Korrespondenz zwischen Hahn und Wilhelm Grimm. Zuletzt wird ein Vergleich mancher Märchen zwischen dem Original in der griechischen Sprache und ihrer Übersetzung von Hahn in der deutschen Sprache vorgelegt. Zweck dieses Teils ist die Änderungen, die Hahn im Originaltext vorgenommen hat, zu erforschen und die Gründe dafür festzustellen.

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Müller, Sonja (Frankfurt a. M.)

Die Grimmschen KHM in der literaturpädagogischen Diskussion der 1950er und 1960er Jahre In den 1950er und 1960er Jahren spielen in den literaturpädagogischen Diskussionen Märchen in mehrfacher Hinsicht eine Rolle.

So wird in Rückgriff auf die zeitgenössische Entwicklungspsychologie und auf Ansätze aus der Lesealtertheorie das Märchenalter konstituierend für eine eigenständige Lesestufe. Die Märchenwelt gilt als die ureigenste Welt des Kindes. Das Genre erscheint daher besonders kindgemäß für 4- 7jährige Leser. Viele KHM erfüllen zudem die literarästhetischen Forderungen nach Einfachheit und Geschlossenheit in Form, Sprache und Inhalt, die an das sog. "gute Jugendbuch" gestellt werden. Darüber hinaus ist das Märchen Ausgangspunkt für erste Definitionsversuche der phantastischen Kindergeschichte.

Die in der literaturpädagogischen Diskussion vertretenen Konzepte zum Märchen sollen im Rahmen des geplanten Vortrags vorgestellt und auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden.

Mit dem Paradigmenwechsel um 1968/69 verändert sich in der literaturpädagogischen Diskussion nicht nur die Bedeutung, die der phantastischen Erzählweise zugeschrieben wird, sondern auch die generelle Haltung zum Märchengenre. Durch neue Vorstellungen von Erziehung und Entwicklung, Kindheitsbild und Kindgemäßheit sowie einer geänderten Literaturauffassung gerät das Märchen in die Kritik. Diesen Phänomenen will sich der Vortrag in seinem Schlussteil widmen.

Murayama, Isamitsu (Kyoto/Japan)

„Märchenwelt und ‚rechte Landschaft‘ – das Poesiekonzept der Brüder Grimm und das Kunstkonzept von Philipp Otto Runge im Vergleich In der ‚Grimm-Forschung‘ ist Philipp Otto Runge schon lange ein Begriff. Er trug nicht nur mit zwei plattdeutschen Märchen zur Grimmschen Märchensammlung bei, sondern wirkte auch sowohl mit seinem schlichten Erzählton als auch mit seiner Farbenlehre maßgeblich auf die Märchengestaltung der Brüder Grimm ein. Doch ein Blick auf einen anderen Aspekt der Beziehung zwischen Runge und den Brüdern Grimm könnte sogar neuen Aufschluss über die Konfiguration der Gedankenwelt der Grimms eröffnen: die bildliche und geistige Affinität von Runge und den Brüdern Grimm im Gebrauch bestimmter Bildmotive.

Runge wie die Grimms bedienen sich Denkfiguren wie Pflanzen, Kinder, Frauen, Himmelsgewölbe, Kreisläufe in der Natur usw. Sie fungieren als Symbole für ‚Natürlichkeit‘, ‚Ursprünglichkeit‘, ‚Reinheit‘ sowie ‚Ganzheit‘. Neben der Affinität der Motive ist auch eine strukturelle Verwandtschaft zwischen den beiden zu konstatieren. Runges Kupferstiche „Vier Zeiten“, die den Grimms vertraut waren, haben eine dreiteilige Struktur: das Binnenbild, das Rahmenbild und der Außenraum. Auch in der Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ lassen sich drei Sphären finden: die Naivität der Märchenlandschaft, die wissenschaftliche sowie sentimentalische Reflexion und die Gegenwart der Rezipienten.

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Durch den analysierenden Vergleich der von Runge und den Brüdern Grimm gewählten Bildmotive und der Gedankenwelt, die sie repräsentieren, wird auch die geschichtsphilosophisch orientierte Kindheitsutopie um 1800 beleuchtet.

Müürsepp, Mare (Tallinn/Estland)

Grimm's Fairy Tales in Estonian School Two aspects will be treated in the paper: (1) historical overview to the presentation of Grimm's fairy tales in Estonian textbooks, and (2) empirical study of reception of Grimm's fairy tales by the pupils in different age.

During the 19th century the Estonian book production has been influenced by German literature, and the first examples of fairy tales translated and adapted from Grimm's fairy tales belong to the 19th century, like “Jänese ja siili võidujooks...” (Der Hase und der Igel) in 1858 und “Punamütsike” (Rotkäppchen) und “Tuhkatrull” (Aschenputtel) in 1895. Although other cultural influences were more important during different periods of the 20the century, the fairy tales by J. and W. Grimm are popular both in family reading and in school programs.

The empirical part of the work focuses on 4 fairy tales: “Vaim pudelis” (Der Geist im Glas), “Rapuntsel” (Rapunzel), “Surm vaderiks” (Der Gewatter Tod), “Truu Johannes” (Der Treue Johannes). These were introduced to the pupils of different grades. The study summarizes children's responses, reflecting their understanding of the role of different characters and their relations. Especially the theme of death inspired the researchers to look for pupil’s attitude towards the solution of the story.

Neubauer-Petzold, Ruth (Nürnberg)

„der lose zusammenhang des rettbaren“. Die Deutsche Mythologie von Jacob Grimm zwischen Universalisierung und Aktualisierung Jacob Grimm will in seiner dreibändigen Darstellung der Deutschen Mythologie ab 1835 die Aktualität der alten Mythen in der Gegenwart, in den „volkssagen und kindermärchen, spiele[n], sprüche[n], flüche[n], unverstandene[n] tag- und monatsnamen und redensarten“, so die Vorrede, erforschen. Damit wird seine rekonstruierte Mythologie zu einem Artefakt nationaler Erinnerungskultur. Neben der Analyse der Werkkonstitution soll diese von zeitgenössischen Mythensammlungen abgegrenzt werden, wie der 1791 von Karl Philipp Moritz erschienenen Götterlehre, die dezidiert als zeitlose „Sprache der Phantasie“ gedeutet und vergegenwärtigt wird.

Grimms wissenschaftlicher Anspruch und seine philologischen Thesen stehen in direkter Konkurrenz zu einer ‚neuen Mythologie’ der Romantiker und der Künstler des 19. Jahrhundert, die Grimms Mythologie mit dem enzyklopädischen Kommentarbandes begeistert rezipieren und diese zu einer neuen nationalen Mythologie umwandeln, die sich gegen die griechisch-römische Antike absetzen will.

Jacob Grimms mythische Überhöhung, ja eine subtile Allgegenwart des Mythischen in der Rekonstruktion einer „gründliche[n] urgemeinschaft der europäischen völker“ ist ein Dokumente der Konstituierung der Geisteswissenschaften. Aber es zeigt auch eine „ideologische Anfälligkeit“ (S.

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Martus), die mit dieser kulturellen und politischen Erneuerung mit wissenschaftlichen Mitteln einhergeht und somit auch ein Zeugnis der politischen Umbruchzeiten der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert darstellt.

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Niemeyer, Christin (Caen/Frankreich)

Zwischen Magie und Propaganda – DEFA-Verfilmungen von Märchen der Brüder Grimm Märchenadaptionen spielten im ostdeutschen Kino von Beginn an eine sehr wichtige Rolle. Nach intensiven Debatten wurde Anfang der 1950er Jahre die bis dahin gängige Ansicht, Märchen seien „eine der geistigen Quellen faschistischen Ungeists“ zurückgewiesen. Man kam gar überein, dass insbesondere Adaptionen von „Volksmärchen“, sofern sie hinsichtlich ihres historischen Inhalts einer „progressiven Interpretation“ unterzogen würden, einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, Kinder zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ heranzubilden. So entstanden zwischen 1946 und 1990 „39 traditionelle Märchenfilme“ in den DEFA-Studios, 21 davon nach Märchen der Brüder Grimm. In ihrer je unterschiedlichen Behandlung des Märchenstoffes spiegeln sich in diesen Filmen Entwicklungen der DDR-Kulturpolitik wider. Umsetzung oder Ignorierung der “progressiven Interpretation“ reflektieren die Situation und politische Implikation der DEFA-Filmemacher zur Zeit der Entstehung des Films, aber auch die besonderen Möglichkeiten im Kinderfilmschaffen der DEFA. In meinem Vortrag möchte ich exemplarisch drei Märchenfilme der DEFA, die auf Märchen der Brüder Grimm basieren, vorstellen. Dabei soll in einem ersten Teil zu den ideologischen Prämissen der DEFA-Märchenfilmproduktion auch die Frage, warum gerade Grimmsche Märchen oft als Vorlagen für DEFA-Kinderfilme dienten, Beachtung finden. Ein zweiter, eher kulturhistorisch angelegter Teil soll zeigen, inwiefern sich die aktuelle Kulturpolitik der DDR in die Märchenhandlung der Filme einschrieb.

Nishiguchi, Hiroko (Senshu/Japan)

Zur Geschichte der Illustrationen zu den Kinder- und Hausmärchen in Japan, Schwerpunkt um 1900 Die Rezeption der Kinder- und Hausmärchen (KHM) in Japan wurden bisher ausführlich untersucht. Dabei standen die Texte im Mittelpunkt und die Illustrationen wurden meistens nicht thematisiert, obwohl gerade sie signifikante Merkmale aufweisen, die zum Einen das rezeptionsgeschichtliche und rezeptionsästhetische Potenzial der Texte erhellen und zum Anderen relevante Einblicke in die Fremdkultur Japans und dessen Aneignungsprozess westlicher Kultur gestatten.

Die Geschichte der KHM-Rezeption in Japan beginnt erst nach 1868. In den frühen Übersetzungen findet man nicht nur in Texten, sondern auch in den Illustrationen viele Modifikationen gegenüber dem Ursprungstext. Wegen der ca. 200-jährigen Abschottung Japans von der westlichen Welt fehlten Kenntnisse vom Ausland. Dies machte nach der Öffnung des Landes die Begegnungen mit den westlichen Kulturen ausgesprochen spannend; außerdem war das Verlangen nach westlichem Wissen groß. Folglich entstanden sowohl im technischen als auch im kulturellen Bereich viele Übersetzungen. Die Fremdheit der westlichen Welt machte etliche Veränderungen erforderlich, um dem japanischen Publikum wenigstens annähernd eine Vorstellung von den Inhalten der fremden Welt vermitteln zu können. Dies kann man am Umgang mit dem Text erkennen, sichtbarer wird es aber noch in den Illustrationen.

Die Rezeptionsgeschichte der KHM in Japan lässt sich anhand der Bilder wohl aus einer neuen Sicht analysieren.

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Oesterle, Günther (Gießen)

Das Spiel von Enthüllen und Verhüllen, von simulatio und dissimulatio in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm Die Grimmschen Märchen beziehen sich, wenn auch auf verdeckte Weise, auf französische Vorläufer, u.a. Perrault. Diese französischen Märchen sind im Unterschied zu anderen Gattungen populärer Art in der Aufklärung hochartifiziell, schriftverwiesen und ironisch. Die Grimmschen Märchen machen im erklärten Gegenzug einen Versuch der Reoralisierung: das heißt sie sind hergestellte, das Naive inszenierende Märchen. Mein Beitrag geht diesen Simulations- und Dissimulationstechniken nach. Die historisch-kritische Philologie hat nachgewiesen, dass die Brüder Grimm über die verschiedensten Strategien der Verstellung und Täuschung verfügen – erinnert sei an ihre Behauptung, die von ihnen erarbeiteten Märchen wären echt deutsch, speziell „hessisch“, altes mündliches Volksgut, obwohl sie zu siebzig Prozent aus Büchern, der Rest größtenteils von hugenottisch-französisch erzogenen Frauen stammten. Die philologische Aufklärung der Täuschungsmanöver der Brüder Grimm gilt es zu ergänzen durch eine Kulturpoetik, die in der Lage ist, nach der Entmystifizierung der Grimmschen Märchen als Nicht-Volksmärchen ihre Einzig- und Großartigkeit in einer komplexen Kreuzung ästhetisch, theologisch und präethnologisch inspirierter simulatio-dissimulatio-Verfahren zu erweisen. Das Grimmsche Buchmärchen und das romantische Kunstmärchen beziehen sich beide auf ein wissenspoetisch organisiertes Mythenmodell und beide bedienen ein Ironiekonzept – freilich in je unterschiedlicher Ausrichtung.

Oesterle, Ingrid (Gießen)

Zeit-Zeiten-Erinnerung in Märchen Goethes und der Frühromantiker Um 1800 ändert sich die kulturelle Konstruktion geschichtlicher Zeit.Während die Grimmschen Märchen in einem zeitlosen Raum erzählt erscheinen(obwohl in einem der berühmten Märchen sich eins der Geislein in einem Uhrenkasten versteckt hält)entfalten die sogenannten Kunstmärchen Göthes und der Romantiker dieses moderne Zeitlichkeitsphänomen.Sie nutzen das komplexerwerden der Zeit in verschiedene Vergangenheiten und Zukünfte, um sich gegenüber der historischen Gegenwart kritisch zu positionieren.Indem sie die Möglichkeiten erzählter Zeit ausschreiben, erproben sie neuartige Erzählweisen.Dadurch erhält die Erinnerung formal und inhaltlich neue erzählerische Aufgaben,sei es in der Arabeske(Goethe),im Schock der Wiedererinnerung(Tieck) oder in visionärer Zukunftsverheißung(Novalis).

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Oetken, Mareile (Oldenburg)

Manga goes Märchen Die weltweit verbreitete Gepflogenheit der Fortschriften teilt der Manga mit den Märchen der Brüder Grimm. Grimms Märchen funktionieren als Manga (Kei Ishiyama 2007) deshalb nicht nur als Vermittler der Kulturen erstaunlich gut. Auch der Medienwechsel gelingt durch die hochgradig kodifizierte Sprache der Manga und die weitgehende Transparenz seiner Bildelemente, die ein wortwörtliches Lesen befördert, in Korrespondenz zur formelhaften Sprache der Märchen und der Eindimensionalität ihrer Wirklichkeitswahrnehmung.

Für ihre Manga-Märchenadaption entschied sich Kei Ishiyama für eine sehr eigenständige Form der Bearbeitung, die jedoch die Wiedererkennbarkeit der Märchen trotz weitreichender Veränderungen des Plots und der Aufbrechung der Flächenhaftigkeit der Figurenanlagen aufrechterhält. Ergiebig erscheint darüber hinaus die vergleichende Betrachtung der Mangas von Ishiyama mit einem 2011 erschienen Sonderband Grimms Manga, für den acht Mangaka aus unterschiedlichen Nationen in Anlehnung an Ishiyama weitere Märchen der Brüder Grimm als Manga gestalteten. Zu fragen ist auch hier zunächst nach den Transportgewinnen und –verlusten der Märchenerzählungen als Manga. Doch bietet sich neben der Analyse der intermedialen Wechsel der Märchen als Manga auch eine intramediale Betrachtung des Werks der japanischen Mangaka in der Bearbeitung internationaler Zeichnerinnen.

Ono, Hisako (Tokio/Japan)

Lebenskontinuität und Wald- bzw. Naturauffassung bei den Brüdern Grimm. Unter besonderer Berücksichtigung der Vorrede zu Altdeutschen Wäldern Dieser Vortrag setzt sich erstens das Ziel, den Poesie- bzw. den Naturpoesiebegriff der Brüder Grimm, besonders von Jacob Grimm unter dem Gesichtspunkt des zentralen Begriffs der „Beziehung auf das Leben“ oder „Lebenskontinuität“ in der Vorrede zu Altdeutschen Wäldern (1813) und seinen Zusammenhang mit der Waldsymbolik zu präzisieren.

Die Idee, dass Naturpoesie „unschuldig“ gegenüber Neuer- bzw. Kunstpoesie bleibe und für das „Sichvonselbstmachen“ gehalten werde, wurde z. B. von A.W. Schlegel, der Naturpoesie als das von einzelnen Gelehrten Gedichtete betrachtete, kritisiert. Eine solche „tausendmalige wiedererstehung“ verglich Jacob Grimm in der Vorrede mit einem leicht und lebendig fortfahrenden Schiff, das „eigene Tugend“ bzw. eigene innere Kraft hat. Dieses Wesentliche der Poesie nannte er „fülle der sprachlebendigkeit“, die „sich zwischen der ursprache und den heutigen mundarten bewegt“.

Dass es in den Forschungen der Brüder Grimm um „das Natürliche“, „das Poetische“, „das Altertümliche“, „das Nibelungische“, „das Deutsche“ und „das Einheimische“ geht, wobei vegetative Begriffe wie Wald eine große Rolle spielen, stellte die Vortragende bereits in ihren anderen Werken fest. Dieses Ergebnis berücksichtigend wird hier zweitens eine Betrachtungsmöglichkeit des Wald-

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Bildes in den Grimmschen Texten wie Kinder- und Hausmärchen, Deutsche Sagen und Deutsche Mythologie aus ökologischer Perspektive vorgeschlagen.

Ostmeier, Dorothee (Eugene/USA)

Politik des Wunderbaren: Nationale Identität und Utopie in ausgewählten Werken der Brüder Grimm Die Diskussion der Grimmschen Konzeptionen der „Poesie“ und ihrer literarischen, philosophischen, politischen und juristischen Konnotationen platziert das utopisch politische Potential der Märchensammlungen in das Zentrum der Debatte um ihren Modernismus. Das Konzept der „Poesie“ soll im Kontext der Grimmschen Werke verfolgt und als synkretistische Antwort auf andere romantische Philosophien gelesen werden. Ich konzentriere mich auf die Analyse metaphorischer und ideologischer Analogien, die das Vorwort zur Märchensammlung, mit Märchenplots und ihren Bildern, mit biographischen Texten und juristischen Reflektionen verbinden. Die verschiedenen Textgenres und Kontexte deuten da-rauf hin, dass die Schriften der Grimms nicht mit dem Makel ideologischer Einseitigkeit behaftet sind, und sie zum Beispiel nicht nur die Rationalität zivilisatorischer Moderne kritisieren, sondern sie auch propagieren. Die Grimmsche „Poesie“ assoziiert Politik und Magie, Rationalität und Irrationalität. Die Analyse ergibt, dass die Grimms nicht nur gegen die Dekadenz und Rationalität der Kultur französischer Besatzer protestieren, sondern auch rationale Mittel zur Produktion von Gerechtigkeit zulassen. Moderne und Antimoderne arbeiten hier zusammen. Dieser Ansatz lädt zur Erweiterung der Idee des Fantastischen ein, wie sie von Todorov entwickelt wurde.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Pagkalos, Ioannis (Thessaloniki/Griechenland)

Die Übersetzungen der grimmschen Märchen im Griechenland des 19. Jahrhunderts: Einbürgerung, Pädagogisierung und die Aporien einer kinderliterarischen Romantik Märchen der Brüder Grimm werden in Griechenland spät, erst 1886 zum ersten Mal in einer autonomen Ausgabe für den Schulgebrauch übersetzt. In den nächsten Jahren erscheinen ausgewählte Märchen der grimmschen Sammlung auch in weiteren Ausgaben, die demselben pädagogischen Zweck verpflichtet sind. In allen diesen Übersetzungen erfolgen Eingriffe in die Texte, was Stil und Inhalt betrifft, die vom oben genannten Ziel abhängig sind. Dazu kommt noch ihre Anpassung an die griechischen kulturellen Gegebenheiten, den Trend der starken „Einbürgerung“ fortsetzend, der dem ganzen griechischen 19. Jahrhundert eigen ist. Der Vortrag untersucht die Übersetzungen der grimmschen Märchen unter diesen zwei Gesichtspunkten (Pädagogisierung und Einbürgerung) und verdeutlicht die Transformationen der Quellentexte anhand von konkreten Beispielen. Darüber hinaus weist der späte Zeitpunkt ihrer Übertragung auf das Ausbleiben einer kinderliterarischen Romantik in Griechenland hin. So bieten sie einen idealen Ansatzpunkt für Arbeitshypothesen bezüglich der Periodisierung der griechischen Kinderliteratur im 19. Jahrhundert– eine Aufgabe die immer noch Desiderat der Forschung bleibt. Von den Kinder- und Hausmärchen ausgehend wird also in einem zweiten Schritt der Versuch unternommen– vermittels einer kontrastiven Annäherung– dieser Problematik näher zu kommen.

Perrot, Jean (Paris/Frankreich)

The Grimm Brothers Riddling Global Comparativism :On Womans’s intelligence and enigmas Where do the Grimm Brothers stand within the literary field of globalized literature ? How can we appreciate their treatment of social, esthetical and folkloristic issues ? Adopting a contextualist philosophy, we will claim that the meaning of their tales depends on the context of international reception, as « Knowledge ascriptions are context sensitive » (Shaffer and Szabo, 2011). And the actual context of tales to-day is not merely national cultures and books, but the Web. And so a global comparativistic view of the Brothers Grimm’s literary achievement will be assessed through a comparison of one of their tales with the variations on similar motives in different countries and languages. That is why we have chosen to investigate the Brothers Grimm’s treatment of riddles in « Die kluge Bauerntochter » (Tale 875 in the Aarne-Thompson classification), famous for the enigmas set by a young intelligent and witty peasant girl, who wins a husband in the affair. The purpose of this research is to show how the images of this young woman’s powerful personality are typically original within the matrilineal and patrilineal sets of portraits provided by other societies in their delineation of an ideally feminine character. The ultimate aim will be to stress the significant features bringing out the Brothers Grimm‘s specificity in the use of metaphors, riddles and qualifications of their heroin and to bring out a minute delineation of the German story-tellers’ style and approach of the subject.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Pieciul-Karminska, Eliza (Posen [Poznań] /Polen)

Wer hat Angst vor den Brüdern Grimm? Kinder- und Hausmärchen in polnischen Übersetzungen Die Übersetzungs- und Rezeptionsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen in Polen kann nicht mit rein literaturwissenschaftlichen Begriffen beschrieben werden, denn sie unterlag auch politischen, didaktischen und weltanschaulichen Bedingungen. Die schwierige deutsch-polnische Geschichte beeinflusste beträchtlich die Übersetzungs- und Veröffentlichungspolitik der KHM im 19. und 20. Jahrhundert. In polnischer Sprache gibt es viele Übersetzungen einzelner Märchen, die aus übersetzungswissenschaftlicher Sicht vielmehr als Bearbeitungen anzusehen sind, in denen wesentliche Merkmale der Grimm’schen Märchen verändert wurden. Ein anderes interessantes Merkmal der polnischen Rezeption ist die Abwesenheit vieler populären Märchen: „Rumpelstilzchen“, „Der Froschkönig“ oder „Frau Holle“ sind kaum bekannt. Im Jahr 2010 erschien die neue kritische Übersetzung der Grimm’schen Märchensammlung in polnischer Sprache. Als Übersetzerin dieser Ausgabe möchte ich in meinem Vortrag über Ziele, Methoden und Probleme der neuen polnischen Übersetzung der KHM berichten. Auch soll die Reaktion der polnischen Leser näher untersucht werden, die die Märchen der Brüder Grimm nach wie vor für „grausam und blutig“ halten. Beispielsweise hat man in einer überregionalen Tageszeitung die neue Übersetzung der KHM zu den 10 kontroversesten Kinderbüchern gezählt.

Pohl, Corinna A. (Berlin)

König Schneiderlein und der Sozialismus. Die Grimmschen Märchenverfilmungen der DEFA In den fünfundvierzig Jahren ihres Bestehens (1946 – 1989) verfilmte die Deutsche Film AG (DEFA), mehr als fünfundzwanzig Märchen nach Vorlagen der Brüder Grimm. Eine dramaturgische Bearbeitung der Märchenstoffe war bei der Transformation in das Medium Film nicht zu vermeiden, denn ein Text von manchmal kaum zwei Seiten bedarf einiger Zutaten um in Spielfilmlänge zu überzeugen. Doch Filme sind mehr als ihre Handlung, sie sind vor allem eine Aneinanderreihung von bewegten Bildern, die als solche Forschungsobjekte der Kunst- und Bildwissenschaften sind.

Für die künstlerische Übersetzung literarischer Vorlagen in Bilder, für die Gestaltung des Handlungsraums Märchenland sind beim Film vor allem die Szenenbildner oder Set Designer verantwortlich. Die ikonographische Analyse zeigt, dass trotz mitunter recht freier inhaltlicher Bearbeitung die Bildsprache der DEFA-Märchenfilme meist der Romantik und damit der Entstehungszeit der Grimmschen Märchensammlung verpflichtet ist. Die DEFA-Mitarbeiter schufen und perpetuierten eine Ikonologie des Märchenhaften, die eng verbunden ist mit den Bildideen der Romantik.

Der Vortrag möchte anhand weniger DEFA-Märchenfilme zeigen wie Grimmsche Märchenvorlagen zwar dramaturgisch den Bedürfnissen der Filmemacher angepasst wurden, aber dabei immer wieder romantische Bildformeln bemühten, die letztlich die kulturell gewachsenen Erwartungen an das Märchenhafte bedienen.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Reiling, Jesko (Bern/Schweiz)

Natur- und Kunstpoesie. Zum Fortleben zweier poetologischer Kategorien in der Literaturgeschichte nach den Grimms Die Literaturgeschichte räumt gemeinhin den Debatten über die gegensätzlich aufeinander bezogenen Konzepte der Natur- bzw. Volkspoesie und Kunstpoesie einen relativ begrenzten Platz und Stellenwert ein. Meist beschränkt man sich darauf die rund 50-jährige Entdeckungsgeschichte der Naturpoesie von James Macpherson über den jungen Herder, A. von Arnim und C. Brentano bis hin zu den Märchen- und Sagensammlungen der Brüder Grimm zu skizzieren. Indem die Literaturgeschichtsschreibung der Volkspoesie mit den Grimms abbricht, wird stillschweigend davon ausgegangen, dass danach die poetologischen Kategorien der Natur- und Kunstpoesie keine Bedeutung mehr gehabt hätten. Das Referat verfolgt die weiteren Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die bislang kaum erforscht wurden. Es wird gezeigt, wie sich der Begriff „Volkspoesie“ semantisch ausdifferenzierte und durchaus als implizite Kategorie, die sich damit jedoch von einer ästhetischen in eine gesellschaftlich-politische transformierte, jeglicher Darstellung zugrunde liegen konnte (Volkspoesie als nationale Literatur), wohingegen die Leitdifferenz Kunst- vs. Naturpoesie nur selten als die „eine Grundidee“ (Georg Gottfried Gervinus) die Struktur der historischen Darstellung bestimmte. Aufgrund volksaufklärerischer Bemühungen fokussiert der Begriff schließlich nicht mehr vorwiegend die „Dichtungen aus dem Volk“, sondern vor allem die „Dichtungen fürs Volk“, was um 1850 eine der zentralen poetologischen Forderungen ist.

Renker, Cindy K. (Dallas (Texas)/USA)

Remnants of Grimms’ Fairy Tales in Post-Holocaust Poetry Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, and Alfred Margul-Sperber remain one of the most significant post-war German-Jewish poets. Originally from the Bukovina, these poets had grown up in families of assimilated Jews in whose homes the works of the German Romantics were used to teach the children German and introduce them to the literary landmarks of German culture, among them the fairy tales of the Brothers Grimm. It comes to no surprise then that the works by these poets would contain references to Grimms’ fairy tales. Small wonder that, with their universe shattered after the great catastrophe, they called on their childhood familiarity with fairy tales to provide some form of stability to their post-war existence. Moreover, by appropriating fairy tales, these poets sought a dialogue with their readers about “that which happened.” Their German readers would instantly recognize the images and motifs evoked in their poems. However, some of the Bukovinian poets like Celan and Ausländer felt the need to transform fairy tale themes and images into their own – often cryptic – poetic idiom to address the horrors of the Shoah. Encoded or not, these references validate the timelessness and far-reaching influence of fairy tales in general. They also attest to the continuing and valid relevance of their images and motifs, even in poetry after and about Auschwitz.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Renner, Kaspar (Berlin)

„Eigensinnige Kinder“ – Jacob Grimm und Alexander Kluge Für Alexander Kluges und Oskar Negts Werk „Geschichte und Eigensinn“ aus dem Jahr 1981 ist ein Grimm’sches Märchen titelgebend, nämlich „Das eigensinnige Kind“, das nach Auffassung Kluges nicht nur das kürzeste, sondern auch ein besonders grausames Kinder- und Hausmärchen sei. Es wird einer ausführlichen Lektüre unterzogen, mit besonderem Augenmerk auf den Begriff des „Eigensinns“, der auch als „Eigen-Sinn, eigener Sinn, Eigentum an den fünf Sinnen“ ausgeschrieben wird. Die „Strafe, die das eigensinnige Kind bis unter die Grabdecke hinein erfährt“, wird dabei als „Antwort auf eine vorausgegangene Enteignung der Sinne“ gedeutet, „die nicht geglückt ist.“ Das Grimm‘sche Märchen avanciert somit zum Ausgangspunkt für eine Geschichtstheorie und -praxis, die durchaus noch marxistisch beeinflusst ist. Während diese Einflüsse in den folgenden Projekten seit den 1990er Jahren immer weiter zurückgedrängt werden, bleiben die Kinder- und Hausmärchen ein stets wiederkehrendes Motiv bei Alexander Kluge: Sie verbürgen einen besonderen „Eigensinn“ der historischen Erfahrung. Damit ist eine Konstellation angedeutet, die ich in meinem Beitrag entfalten möchte. Drei Fragen sollen diskutiert werden: 1) Weshalb bezieht sich Alexander Kluge auf die Grimm’schen Märchen? 2) Welche Medien und Gattungen werden dabei benutzt? 3) Welch ein Konzept von historischer Wahrheit wird dabei entwickelt?

Riegler, Susanne(Leipzig) und Gabriela Scherer (Landau)

Susanne Janssens „Rotkäppchen“ (2001) und „Hänsel und Gretel“ (2007) nach der Grimmschen Textfassung von 1819: Bild-Text-Dramaturgie, Rezeptions- und Vermittlungsaspekte Der Beitrag befasst sich mit dem preisgekrönten Märchenbilderbuch „Hänsel und Gretel“ von Susanne Janssen, das sich in seiner ungewöhnlichen Bildästhetik eindrücklich von gängigen Märchenillustrationen abhebt: „Bildgewaltig, archaisch und kühl greift die Künstlerin die psychologischen Aspekte dieses Textgutes auf und transportiert es fulminant ins Heute“ – so die Würdigung der Jury anlässlich der Auszeichnung des Buches mit dem Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis 2008. Anhand der Analyse des Zusammenspiels von Text und Bild soll aufgezeigt werden, wie die untergründigen psychologischen Aspekte des Grimm‘schen Märchens von Susanne Janssen aktualisiert und sichtbar gemacht werden.

Rezensionen zu Susanne Janssens Märchenbilderbüchern (siehe auch „Rotkäppchen“ 2001) äußern sich ebenfalls sehr positiv zu deren Ästhetik, werfen allerdings die im Kontext zeitgenössischer Bilderbuchillustrationen häufig geäußerte Frage nach deren „Kindgemäßheit“ auf. Das Referat geht daher auch der Frage nach, wie Kinder die besondere Bildsprache Janssens aufnehmen und welche neuen Sichtweisen diese auf den bekannten Text eröffnet. Hierfür sollen ausgewählte mündliche und schriftliche Rezeptionsdokumente vorgestellt und diskutiert werden.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Rimasson-Fertin, Natacha (Grenoble/Frankreich)

Die Kinder- und Hausmärchen in der Heimat der « contes de fées » : Voraussetzungen und Formen der französischen Rezeption. Wissenschaftliche Reaktionen, Märchensammlungen und Übersetzungen der Kinder- und Hausmärchen in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert. Dieser Beitrag befasst sich mit verschiedenen Aspekten der französischen Rezeption der Kinder- und Hausmärchen im 19. und 20. Jahrhundert, angefangen mit den Voraussetzungen für die Rezeption der Grimmschen Märchen im Land der „Contes de fées“. Als Land der Märchen von Perrault (1697) und der Tradition der „Contes de fées“, sowie der Märchen der Tausend und einen Nacht, die in der Übersetzung von Antoine Galland in ganz Europa bekannt wurden, hat Frankreich am Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Märchens im Allgemeinen einen deutlichen Vorsprung. Wie wurde vor diesem Hintergrund und im damaligen literatur- bzw. kunsttheoretischen Kontext die Sammlung der Brüder Grimm aufgenommen? Ferner sollen auch die Auswirkungen im Bereich des Märchensammelns in Frankreich skizziert werden: Während in ganz Europa eine regelrechte Welle des Märchensammelns stattfindet, zeichnet sich Frankreich durch ein spätes Einsetzen der Sammeltätigkeit und durch das Ausbleiben einer „nationalen“ Märchensammlung aus. Schließlich sollen auch die französischen Übersetzungen der Kinder- und Hausmärchen besprochen werden, angefangen mit der ersten Veröffentlichung einer Auswahl von Grimmschen Märchen unter dem Titel „Vieux Contes pour l’amusement des grands et des petits enfans » (1824), bis hin zu den heute im Buchhandel erhältlichen Fassungen.

Roy, Malini (Singapur)

The Grimm Brothers’ Kahaniyan: Hindi Resurrections of the Tales in Modern India This paper examines the reception of the tales of the Brothers Grimm in India, by focusing on a selection of tales from Die Kinder und Hausmärchen, translated into Hindi as Grimm Bandhuon Ki Kahaniyan (2000) by children’s author Harikrishna Devsare. Devsare’s translation, published by the Indian National Academy of Letters, bears literary legitimacy, and has gone into successive reprints.

Devsare’s translation, as he admits in a series of prefaces, is based not on the German original but on English translations, introduced into the Indian subcontinent during the former British Empire. Devsare intends to make the tales widely available to Indian readers: English translations would be limited to a socio-economically privileged section of the population, reflecting geopolitical inheritances from the Empire. By foregrounding Devsare’s translation, this paper draws attention tectonically to a text aimed at a reading community which outnumbers English readers in this postcolonial site, but remains under-represented in global fairy tale scholarship in proportion to its local significance.

Devsare’s prefaces offer readings of the tales are startling in view of current critical paradigms. For instance, he gestures towards the potential deployment of the tales to promote gender equality. Furthermore, even as he welcomes these fairy tales, he contests them by questioning the relevance and usefulness of the genre within his vision of a contemporary India moored in secular modernity.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Rubini Messerli, Luisa (Lausanne/Schweiz)

Lolivetta, Straparola, Basile und die Brüder Grimm Das teustche Gespenst von Casparo Lolivetta (wohl ein Pseudonym), das 1684 in Leipzig erschienen ist, gehört zu der Büchersammlung der Brüder Grimm, die es von Clemens Brentano als Geschenk erhielten. Ludwig Tieck besaß auch ein Exemplar. Das Werk, das nun sehr flüchtig in der Forschung erwähnt wird, verdient genauer untersucht zu werden, im Rahmen der Tagung vor allem wegen seiner Übernahmen aus Straparola, die mehr sind als bis anhin vermutet. Der Roman kann als ein Hohlform für das Aufkommen von barocker Poetik fremden, sehr heterogenen literarische Formen aus der europäischen Renaissance. Der Vortrag möchte den Text untersuchen und die erzählvergleichende Auswertung der Brüder Grimm von Straparola und Basile am Beispiel einiger Märchen (u.a. AaTh 571 C Die beißende Puppe).

Saehrendt, Christian (Thun/Schweiz)

Märchen & moderne Kunst Im Jahr 2012 feiert Nordhessen mit der 13. documenta zugleich auch das Zwei-hundertjährige Jubiläum der Grimmschen Hausmärchen. Gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen der documenta und der Rezeptionsgeschichte der Grimmschen Werke, zwischen Märchen und moderner Kunst? Auf den ersten Blick scheinen beide Bereiche unvereinbar zu sein: Einerseits die romantische Verklärung des Mittelalters, andererseits eine Welt der beschleunigten Modernisierung, in der die Kaskade der Ismen, die geistigen Experimente der Avantgarden, die kühle Nüchternheit abstrakter, minimalistischer oder konzeptueller Kunst vorherrscht. Während die Märchensammler und Erzähler des 19. Jahrhunderts eine historisch verbrämte Phantasiewelt heraufbeschworen, galt in der Kunstwissenschaft das Ideal der akademischen Objektivität. In der Gegenwartskunst jedoch, das haben die letzten Jahre mit ihrem Kunstmarktboom und ihrem Stilpluralismus gezeigt, sind sämtliche Regeln, was denn gute Kunst, was überhaupt generell Kunst ausmache, abgebaut worden. Die Kuratoren von heute erzählen uns in wohlgesetzten Worten ihre persönliche Version der Kunstgeschichte, das Momentum des Narrativen und die Haltung des Subjektivismus in der Kunstbetrachtung und Kunstwissenschaft sind evident.

Ganz generell betrachtet stellt sich die Frage: Dient die Kunst, dient der Kunstmarkt selbst als letztes romantisches Refugium in einer Gesellschaft, die in nahezu allen Bereichen verwissenschaftlicht und verrechtlicht ist? Die Kunst als Sphäre, in der allein noch Wunder und Geheimnisse möglich sind?

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Schäfer, Iris (Frankfurt a. M.)

„Die kluge Else“ und die moderne Hysterie Ähnlich wie Freud im Bezug auf den Ödipus-Komplex, erläutert Röhr in seinem 2010 erschienenen Werk: „Die Angst vor Zurückweisung“ (Was Hysterie wirklich ist und wie man mit ihr umgeht) die Eigenheiten, Mechanismen und die Funktionsweise eines psychischen Phänomens anhand einer bestimmten literarischen Vorlage, dem Märchen: „Die kluge Else“ (ab der zweiten Auflage von 1819 der „Kinder und Hausmärchen“ an Stelle 34). Es ist überaus erstaunlich, dass in einem so modernen Werk zur Erläuterung hysterischer Phänomene ausgerechnet ein, noch dazu relativ unpopuläres Märchen der „Kinder- und Hausmärchen“ herangezogen wird. Einerseits weil dieser (zur Erscheinungszeit des genannten Werks) fast 200 Jahre alte Märchenstoff als scheinbar ideales Beispiel moderner hysterischer Phänomene und Strukturen fungiert und andererseits, weil es sich um ein Märchen handelt, das wie eine medizinische Fallgeschichte behandelt wird.

Ausgehend von Röhrs genanntem Werk wird der Frage nachgegangen, weshalb der Märchenstoff der Brüder Grimm so ergiebig für moderne psychoanalytische Untersuchungen ist, was eine solche Untersuchung ausmacht und in welcher Weise „Die kluge Else“ als literarische Krankengeschichte verstanden werden kann.

Schäfer, Jasmin (Berlin)

Das Rotkäppchen im Interieur. Robert Julius Beyschlags gemaltes Märchen nach den Brüdern Grimm In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt sich neben der Märchenbuchillustration ein neues visuelles Genre – die Märchenmalerei. Das Märchen wird hierbei des textlichen Verbundes entledigt und als einzelnes Gemälde oder als gemalter Zyklus aufgehängt, das einen bestimmten Aspekt des Märchens betont und die Erzähltradition auf visuelle Weise ergänzt und erweitert.

Zu den bedeutendsten Vertretern der Märchenmalerei gehört der Genremaler Robert Julius Beyschlag (1838-1903). Im Jahre 1886 setzt er aus der Grimmschen Märchensammlung das 26. Märchen als Gemälde um. Seine Inszenierung des 'Rotkäppchens' (Öl auf Leinwand, Maße und Verbleib sind unbekannt) bricht jedoch mit der tradierten Ikonografie. Er verzichtet auf die Verwendung der Motive Wald, Fuchs und Großmutter und wählt stattdessen einen wesentlich früheren Moment innerhalb des Märchens: das Gespräch zwischen Mutter und Kind.

Ikonografisch bezieht sich der Künstler mit dieser Darstellung auf die Tradition der Lehrgespräche, die in den Sittenbüchern des ausgehenden Mittelalters grafisch Verwendung finden und entwickelt daraus eine Interieurszene im Stil der französischen Genremalerei des 18. Jahrhunderts. Beyschlag kreiert somit eine von der Märchenbuchillustration abweichende neuartige Ikonografie der kindlichen Märchenfigur, die in besonderer Relation zum erzählten Märchen des Rotkäppchens steht.

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Schanze, Helmut (Frankfurt a. M.)

Märchen-Buch. Mediale Transformationen der Märchenerzählung in der Romantik Ausgangspunkt des Beitrags sind Definitionen bei Novalis: „Romantik. Alle Romane, wo wahre Liebe vorkommt, sind Mährchen – magische Begebenheiten“ und „Ein Roman ist ein Leben, als Buch“. Sie beschreiben die mediale Transformation der unmittelbaren, mündlichen Erzählung in das Medium der Schriftlichkeit und des Drucks. Das Märchen mit seinem Oralitätspostulat aber konfligiert nicht nur implizit mit seiner Festlegung im Buch, es zieht auch seine spezifische literarische Qualität aus seiner behaupteten Originalität als mündlicher Erzählung. Diese als „romantisch“ auszuweisende Spannung bestimmt auch das Grimm'sche Projekt der "Märchensammlung" aus dem 'Volk' für das 'Volk', des "Märchen-Buchs". Ob aber das Grimm’sche Projekt einfach an das Projekt der Literarischen Romantik und ihrer Grammatik angeschlossen werden kann, ist eine immer noch offene Forschungsfrage. Am Schluss des Beitrags soll kurz eingegangen werden auf die spätromantische Re- Transformation des „Märchens“, wie sie sich in Robert Schumanns Komposition der „Märchenerzählungen“ ausweist, die ganz „ohne Worte“ auszukommen scheint.

Schlusemann, Rita (Oldenburg)

„mehr als europäische Berühmtheit“: Zur Würdigung Jacob und Wilhelm Grimms in den Niederlanden und in Belgien „Die Märchen Grimms kann man aus unserer Gesellschaft nicht wegdenken“, so kündigt im Jahr 2005 der Verlag Lemniscaat in Rotterdam seine neue Ausgabe der Märchen der Brüder Grimm an. Mit der bereits 1820 erschienenen niederländischen Übersetzung der Märchen wurde zugleich die erste Übersetzung in Buchform publiziert. Auch wenn die heutige Berühmtheit der Brüder Grimm in den Niederlanden und in Belgien auf die Rezeption der Märchen zurückzuführen ist, gibt es zahlreiche zeitgenössische bekannte und neu entdeckte Dokumente, welche die intensiven wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Jacob und Wilhelm Grimm und ihren Kollegen in den Nachbarländern bezeugen.

Für eine adäquate Beurteilung dieser Kontakte ist vor allem der mehr als 280 Schreiben umfassende Briefwechsel zwischen den Brüdern Grimm und Niederländern und Belgiern von entscheidender Bedeutung. Er offenbart auf gegenseitiger Wertschätzung basierende Beziehungen, die in einer 1837 veröffentlichten Schrift gipfeln, welche nach der Amtsenthebung dafür wirbt, den Brüdern Grimm einen Lehrstuhl in den Niederlanden anzubieten.

Mein Vortrag wird, vor dem Hintergrund der Rezeption der Märchen im niederländischen Sprachraum, die Entwicklung des frühen wissenschaftlichen Austausches zwischen den Brüdern Grimm und ihren Kollegen und das Verhältnis zwischen Germanistik und Niederlandistik in ihren Anfängen nachzeichnen.

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Schmideler, Sebastian (Leipzig)

„ein Doppeldenkmal errichtet den Dioskuren“ – Das Bild der Brüder Grimm in der geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur seit dem 19. Jahrhundert Die enorme Verbreitung und Beliebtheit der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm im Bereich der Kinderliteratur zogen es nach sich, dass die beiden Verfasser der populären Sammlung bereits im 19. Jahrhundert selbst zum Gegenstand insbesondere der geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur wurden.

Der Beitrag setzt sich zum Ziel, die jeweils zeitgenössischen Funktionen und Kontexte derartiger adressatenorientierter biografischer Schilderungen der Brüder Grimm im diachronen Verlauf zu rekonstruieren. In den Fokus gerückt wird der Gestaltwandel von Darstellungsprinzipien und der pädagogischen Ziele, die Kindern und Jugendlichen durch die je spezifischen biografischen Projektionen des Lebens der Brüder Grimm literarisch vermittelt werden sollten. Dabei sollen vergleichend Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Lebensbeschreibungen herausgearbeitet werden, die abschließend in den Kontext der Rezeptionsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen in der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft gestellt werden sollen.

Schmidt, David (Frankfurt a. M.)

„The Name was Grimm ...“ Adaption von Grimm-Biographie und Grimmscher Märchennovellistik im aktuellen Hollywood-Kino Das Leben und Werk der Brüder Grimm hat in der jüngeren Vergangenheit in verschiedenster Weise populärkulturelle, mediale Verarbeitung erfahren. Zu den wohl bekanntesten Adaptionen zählt Terry Gilliams Spielfilm Brothers Grimm (2005). An Stelle zweier nüchterner Sprachwissenschaftler und Märchensammler präsentiert Gilliams die Brüder Grimm als abenteuerlustige Hochstapler, die mit den schönen und schrecklichen Elementen der Kinder- und Hausmärchen konfrontiert werden. Es findet gleichsam eine Umkehrung der vertrauten Konstellation statt. Die historischen Personen Wilhelm und Jakob Grimm transformieren zu Action-Helden. Die Sammler von Märchen, Sagen und Legenden geraten in der Fiktion selbst in den Mittelpunkt einer mythisch-märchenhaften Abenteuergeschichte. In Nachfolge von Gilliams Werk stehen eine ganze Reihe von Filmen, die bewusst vertraut erscheinende Stoffe und Motive aus dem Grimmschen Kanon aufgreifen und diesen eine neue Bedeutung verleihen. Zu den jüngsten Adaptionen zählen Red Riding Hood (2011), Spieglein, Spieglein (2012) und Hansel and Gretel: Witch Hunters (2013). Dieser neue Typ von ‚Märchenfilm’ unterscheidet sich markant von konventionellen Verfilmungen, wie auch von den Zeichentrickfilme der 80er und 90er Jahre. Als neuartige Form der medialen Umsetzung wie auch der Rezeption traditioneller Inhalte spielen diese Filme eine bedeutende, wenn auch vielfach unterschätzte, Rolle für die internationale Verbreitung der Grimmschen Märchen.

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Schmiele, Corona (Paris/Frankreich)

«Werde, der du bist» – Das tapfere Schneiderlein Fragt man sich, inwiefern die Grimms als Autoren der Kinder- und Hausmärchen zu gelten haben, so gelangt man zu einem einigermaßen modernen Paradoxon: Ihre Autorenarbeit besteht weitgehend darin, sich unsichtbar zu machen, ihre Spur zu verwischen, was sie in die Nähe von Autoren wie Flaubert oder Kafka bringt. Sie arbeiten sozusagen mit Tarnkappe. Diese Tarnkappe zu lüften, bleibt noch immer eine Herausforderung.

Anhand des Beispiels vom tapferen Schneiderlein (KHM 20) soll versucht werden, durch Quellenvergleich und Mikroanalysen der Textgenese das Spezifische dieser Autorenarbeit präziser zu fassen, Erzählstrategien, die subtile stilistische Arbeit namhaft zu machen, die dem Text seine Tiefendimension gibt.

Interessant an diesem Beispiel ist vor allem, dass das Wort «tapfer» in der Quelle nicht vorkommt und in der ersten Ausgabe nur im Titel erscheint, man es erst ab 1819 im Text des Märchens selbst findet, wo es im Laufe der Bearbeitungen aber zum Schlüsselwort wird. Bemerkenswert ist das insbesondere deshalb, weil «Tapferkeit» ein für die Sammlung insgesamt zentraler Begriff ist.

Was wird hier «Tapferkeit» genannt? – Den Begriff zu beleuchten eignet sich das Märchen wie kein anderes. Denn das tapfere Schneiderlein ist eines der subtilsten Beispiele für jene Art von Helden, die dem Leben als Abenteurer begegnen und daran einen Anspruch stellen, der ihren Kräften und Möglichkeiten völlig unangemessen scheint, die aber am Ende das sind, was sie am Anfang sein wollten.

Schul, Susanne (Kassel)

Das doppelte Schneewittchen? Ein intersektionaler Vergleich der grimmschen Gegenwartsrezeption im Hollywoodkino „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ – Dieses Zitat der ‚bösen‘ Königin, die mit ihrem Spiegel die statusbestimmende, weibliche Schönheit analysiert, stammt aus einem der bekanntesten Märchen der Brüder Grimm, dem Schneewittchen (KHM 53), und scheint direkt zu einer intersektionalen Analyse aufzufordern. Denn es stellt sich von Beginn an die Frage, inwieweit sich in der Narration Schönheit, Alter, Stand, Geschlecht sowie Gewalt- und Herrschaftsfähigkeit als differenzmarkierende Kategorien überlagern. Ihr soll in der Analyse der grimm‘schen Gegenwartsrezeption im Hollywoodkino in den Filmen Mirror Mirror und Snow White and the Huntsman nachgegangen werden. Zum einen inszenieren beide Verfilmungen sehr differente Entwürfe der ‚bösen‘ Königin und deren Positionierung über ‚brutale‘ Handlungspraktiken eines ‚Sich-Schön-Machens‘. Zum anderen setzen beide Produktionen aber einen Fokus auf die Darstellung eines handlungsaktiven und gewaltfähigen Schneewittchens, das selbstbestimmt seine Geburtsrechte zurückfordert. Unterschiedliche Formen von Gewaltpotenzial, sowohl vermittelte als auch direkte, verknüpfen sich dabei mit Geschlechter- und Differenzkonstruktionen und mit spezifischen Genremarkierungen.

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Seidler, Christof (München)

„Diese Märchen-Sammlung ist eine angenehme Neben-Arbeit, unsere Hauptsache ist natürlich jetzt immer die Edda“. Die Brüder Grimm und die Lieder-Edda. Übersehene Vielfalt im Schaffen des Jahres 1812? Der Vortrag beleuchtet ein Forschungsgebiet, mit dem die Brüder Grimm sich in den Jahren 1811 bis 1815 intensiv beschäftigten, nämlich die Heldenlieder der Älteren Edda.

Die Arbeiten Jacob und Wilhelm Grimms an der Textedition und deutschen Übersetzung der altnordischen Heldenlieder mündeten in ihre 350-seitige Publikation «Lieder der alten Edda» von 1815und außerdem in umfassende Vorarbeiten und Ausarbeitungen zu weiteren Bänden in ihrem Nachlass. Beides wird mit zusätzlichen Informationen zu Hintergrund und Vorgeschichte vorgestellt. Dabei werden die Arbeitsergebnisse der Brüder Grimm auch mit verschiedenen wichtigen Editionen und Übersetzungen der Lieder-Edda verglichen (von der Hagen 1812, Neckel/Kuhn 1983; Simrock 1851, Genzmer 1912). Besonderes Gewicht wird bei der Darstellung und Analyse auf die wissenschaftliche Rezeption und Übernahme der Ergebnisse der Grimmschen Studien gelegt. Neben der Betonung charakteristischer Aspekte ihrer Untersuchungen zu den eddischen Heldenliedern wird im Zusammenhang mit der Wirkung und dem Einfluss ihrer Studien eine Verortung und wissenschaftliche Einordnung ihres Edda-Projektes vorgenommen.

Der Vortrag mit dem freilich provozierenden Titel will Anregung geben und Anstoß sein, die Vielfalt im Schaffen und Wirken der Brüder Grimm (neu) zu sehen.

Seifener ,Christoph (Seoul/Südkorea)

Von den „Lebensbildern deutscher Männer“ bis zu „Grimms Wörter“. Die Brüder Grimm im Spiegel ihrer Biographen. Seit Ende des 18.Jahrhunderts sind eine Vielzahl von (populär)wissenschaftlichen und belletristischen Biographien über die Brüder Grimm erschienen. Diese Werke dürften das Bild der Grimms in der Öffentlichkeit wesentlich mit geprägt haben, kommt doch der Biographie im Rahmen der Erinnerungskultur und bei der Etablierung des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. Die Gattung selbst steht dabei, ähnlich wie die Autobiographie, im Spannungsverhältnis von Faktizität und Fiktionalität. Der Beitrag analysiert ausgewählten Biographien über die Brüder Grimm und misst die Werke dabei nicht in erster Linie an der historischen Wirklichkeit, sondern betrachtet sie, unabhängig von ihren Selbstzuschreibungen, als literarische Texte. Wenn die Autoren der Grimm-Biographien auch auf die gleichen empirischen Lebensdaten und zum großen Teil auf die gleichen Quellen rekurrieren, so unterscheiden sie sich doch im Hinblick auf Auswahl und Zusammenstellung der biographischen Elemente. Die Lebensgeschichten der Grimms werden jeweils anders erzählt, und dadurch werden in einem gewissen Maße eben auch andere Lebensgeschichten erzählt. Der Beitrag versucht in diesem Sinne Differenzen und Entwicklungen aufzuzeigen, denen das Bild der Brüder Grimm im Laufe der Zeit unterworfen war.

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Shavit, Zohar (Tel Aviv/Israel)

What happened to Little Red Riding Hood on her way to the 20th century? Strange things happened to Little Red Riding Hood on her way to the 20th century. In the 18th century she was seduced, in the 19th century she was eaten alive, and in the 20th century she escaped from her adventure without a scratch, and so did her grandmother. Even the wolf’s life was spared.

Such changes in the core-story of Little Red riding Hood can be discerned when one examines the various versions published for children throughout the 19th and the 20th centuries. In fact, this text, as many other texts based on Kinder- und Hausmärchen were published at the two poles of the cultural axis: either as part of the West’s most prestigious cultural heritage or as part of children’s literature, which then involved the introduction of a large number of changes in the original text.

This paper will explore the nature of those changes and will maintain that they resulted to a large extent from the prevalent assumptions about childhood, especially in regard to the extent to which the child should be exposed to certain themes and events, and the suitable ways to carry out these changes. Different versions seem to agree about the "problematic" matters; they differ mainly in the solutions they offer and the extent of deviations they allow from the original text.

The analysis of several versions reveals that most versions for children feel uncomfortable about the erotic connotations of the text, the presentation of the death (though temporary) of both the girl and the grandmother, the killing of the wolf, as well as about more trifle elements such as food items which the little girl brings to her grandmother.

This paper will thus argue for a linkage between any Grimm's based version and societal concepts of the child and childhood, and will exemplify how writers have varied the text according to their understanding of what the child and childhood are and what the texts for children should be.

Shishkova, Irina (Moskau/Russland)

The Brothers Grimm’s fairy tales as a breakthrough in English children’s literature in the nineteenth century

This abstract deals with the impact of Edgar Taylor’s first translation of the Brothers Grimm’s fairy tales on English children’s literature. As Sir Walter Scott remarked in the preface to the translation of German Popular Stories (1823–1826), its role was more relevant than of any other book composed specifically for children. However, later Margaret Hunt came up with another version of translation (1884). According to her, English translators tried “to change the devil of the German stories into a less offensive ogre or black ”. Yet, bearing in mind the folk origins of the tales and respecting the authors, M. Hunt tried to preserve the peculiarities of their texts the way they were composed in German.

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I’m going to look at both versions (E. Taylor’s and M. Hunt’s) with the aim of clarifying which of the translators produced a closer version to that of the Brothers Grimm’s and whose work is more child- centric. In addition, I would like to find out which changes were really necessary for the intended audience and which of them could be avoided.

My paper will concentrate on comparing such aspects of the translations in question as additions, shortenings and improvements of the authentic text. I will also examine the nature of the alterations made to the original in terms of considering certain cultural and educational values in the historical period when the moral tale was a domineering trend in English literature for children.

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Sinprasert, Piyakal (Konstanz)

Die Wanderung und Verwandlung: Rezeption von Grimms Märchen in Thailand Das Dissertationsprojekt ist darauf ausgerichtet, den Prozess, die Einflüsse und die Anpassung bei der Rezeption von Grimms Märchen in die thailändische Gesellschaft zu erforschen. Erst durch die Verbreitung der Disney-Zeichentrickfilme wurde nach der Herkunft der Handlung zurückgegriffen, und demzufolge werden die Märchen der Brüder Grimm ins Thailändische übersetzt. Dennoch bleiben die „disneyfizierte“ Eigenschaften und treten immer wieder bei Ernennung der Grimms Märchen vor. Im Übersetzungsprozess ist auch zu betrachten, was für Probleme der kulturellen Übertragung vorkommt, und was für Lösungen vom Übersetzer gefunden wurde. Darüber hinaus soll es bewiesen werden, dass die Handlungen in Märchen der Brüder Grimm, in für Kinder gemilderte Version, die moralisch-pädagogische Zweck eintreffen, und daher auch geeignet ist, als Beispiel der Karma-Lehre in Buddhismus, die meist praktizierende Religion in Thailand, anzuwenden.

Slouková, Radka (Tabor/Tschechien)

Brüder Grimm: Vorbild für Märchensammler im Norden Die Wirkung von Brüder Grimm geht über die Grenze Deutschlands hinaus. Anlässlich des Erscheinungsjubiläums 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen ist es passend, auf ihren wichtigen internationalen Einfluss auf die Märchensammler in den nordischen Ländern zu hinweisen.

Nach Grimms Vorbild wurden die Volksmärchen in ganz Skandinavien gesammelt. Aus einer Reihe Grimms Anhänger kann man den dänischen Literaturwissenschaftler Svend Grundtvig oder den schwedischen Märchensammler Gunnar Hyltén-Cavallius erwähnen.

Die Situation in Norwegen verdient einen genaueren Blick, weil die Wirkung der Brüder Grimm hier von größter Bedeutung war. Norwegen gehörte in dieser Zeit der schwedischen Hoheit an und hatte keine eigene offizielle Sprache. Die zwei norwegischen Dichter und Märchensammler Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe nahmen Brüder Grimm als Vorbild und gingen von ihrer Methode des Märchensammelns aus. Sie wählten die gesprochenen Erzählungen als Grundlage aus und versuchten das Gehörte möglichst originalgetreu wiederzugeben. So bewahrten sie nicht nur die literarischen Volksschätze, sondern auch die alte nordische Volkssprache mit allen ihren Dialekten. Indirekt waren auch Brüder Grimm an ihren Erfolgen beteiligt, weil sie mit Asbjørnsen und Moe im Kontakt waren und ihnen passende Ratschläge gaben. Nicht umsonst werden deshalb die zwei Nationalhelden Norwegens als „die norwegischen Brüder Grimm“ bezeichnet.

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Spreckelsen, Tilman (Frankfurt a. M.)

„Der Goldene Schlüssel" - Schätze suchen, finden und verlieren in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und anderen Texten des 19. Jahrhunderts "Der goldene Schlüssel" steht seit jeher am Ende der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm und hinterlässt den Leser in ewiger Erwartung eines Schatzes, nur eine Schlüsselumdrehung entfernt. Man hat das Märchen bislang als Solitär gelesen, als geistreiches Spiel mit dem Leser, als ein Versprechen nach Fortsetzung. Doch im Vergleich mit anderen Texten dieser Sammlung, die vom Schatzgewinn und –verlust sprechen, zeigen sich überraschende Parallelen. Die Frage, ob der angestrebte Schatz Gnade oder Verdienst ist, stellt sich dabei ebenso wie die nach seinen Auswirkungen auf den Lebensweg der – glücklichen oder unglücklichen – Finder. Aufschlussreich ist dabei der Vergleich mit den Texten anderer, zum Teil weit jüngerer Märchensammlungen wie etwa Volkmann-Leanders „Träumreien an französischen Kaminen“. Und nicht zuletzt mit der Kästchen- Episode aus „Wilhelm Meisters Wanderjahren“.

Steinlein, Rüdiger (Berlin)

Kinder und Märchen – Anmerkungen zu einer Erfolgsgeschichte

Kinder brauchen Märchen - Märchen bilden das ideale Eingangsportal in den Bereich der literaturvermittelten ästhetischen Welterfahrung. Solche Hochschätzung genoss die Fiktionsgattung Märchen bekanntlich nicht immer. So war der Titel „Kinder- und Hausmärchen“ 1812 keineswegs die Beschreibung eines allgemein akzeptierten Märchenverständnisses, sondern Programm. Erst mit der Romantik avanciert das Volksmärchen zur reinsten, poetischsten Form des jeweiligen Volksgeistes. Zugleich wird es als Medium elementar literarisch-ästhetischer Erziehung und in den Rang einer nationalpoetischen Bildungskraft erhoben. Um 1900 sind die KHM zum privilegierten Textmedium im Muttersprachunterricht avanciert. Weitere Absicherung erhält die Aufwertung des Volksmärchens vom Typus ‚Grimm’ durch verschiedene psychologische Theorien zur analogen Strukturierung von Märchen und kindlicher Phantasie. Neben Charlotte Bühlers: Das Märchen und die Phantasie des Kindes (erstmals 1918) bekräftigen seit den 1920er Jahren Beiträge der Psychoanalyse den Wert von Märchenlektüre bei Kindern. Aus diesem Diskursfeld geht dann auch Bruno Bettelheims engagiertes Plädoyer für die Notwendigkeit des Märchens als Kinderlektüre hervor: „Kinder brauchen Märchen“.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts blieben kritische Gegenstimmen und zeitweise auch vernichtende Urteile zur schädlichen Wirkung der KHM (v.a. nach 1945 und in der antiautoritären Bewegung 1968 ff) nicht aus. Die solcherart in Widersprüchen verlaufende literaturpädagogische Rezeption der KHM soll vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart skizziert werden.

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Szakál, Anna (Dunaharaszti/Ungarn)

János Kriza and his network of collectors of folk poetry – a Hungarian parallelism from the 19th century The oeuvre of the Brothers Grimm fundamentally determined the start of tale collection and research is Hungary in the 19th century. Nearly everybody who got involved in tale collection and publication until the 1860s was primarily influenced by German cultural movements in general and by the works of Jacob and Wilhelm Grimm in particular.

Georg von Gaal published the first Hungarian tale collection in German in Vienna in 1822 (Mährchen der Magyaren). This collection and some other manuscript tales were published in Hungarian only after his death between 1857 and 1860 in three volumes. Gaal had met Jacob Grimm who formed an opinion of his collection later. Authors and editors in the 1820s living in German-speaking territory got acquainted with German cultural movements and under these influences published their further collections containing tales and legends (e.g. Magyarische Sagen und Mährchen von Johann Graf Mailáth, Brünn, 1825; Magyarische Sagen, Mährchen und Erzählungen, Stuttgart und Tübingen, 1837; Erzählungen, Sagen und Legenden aus Ungarns Vorzeit von Alois Freiherrn von Mednyánszky, Pest, 1829).

But even later, when collections of folklore were published in Hungarian, the knowledge and impact of German intellectual tendencies can be clearly pointed out. János Erdélyi, who edited the first comprehensive folklore collection in Hungarian (Népdalok és mondák, I–III, 1846–1848) at the beginning of the 1840s during his study tour in western Europe got acquainted with the German achievements and met Jacob Grimm in Berlin who inquired about Hungarian folk traditions and inspired him to collect these traditions. The first Hungarian treatise on folk tales was written by the German-born Imre Henszlmann in 1847, who provided a mythological interpretation of folktales in compliance with the Grimms’ view. Ipolyi Arnold compiled and published Magyar Mythologia in 1854 clearly under the influence of Jacob Grimm’s Deutsche Mythologie.

The role and effect of János Kriza in the focus of my research was similar in Hungary to those of the Grimms in German speaking area. Kriza, a Unitarian bishop, published his collection of Transylvanian folklore in 1863 under the title of Vadrózsák (‘Briar-roses’) which has been considered as the most authentic and canonical folklore collection in 19th century Hungary. In Protestant schools it was a century-long tradition to provide scholarship for the best students to study for one or two years at German universities and then returning to Hungary to work as teachers or parsons. Unitarian students from the 1850s were usually sent to Göttingen. But in the 1830s Berlin was the only one allowed destination for students. Thus Kriza spent two years between 1835 and 1837 in Berlin. He had the opportunity to get acquainted with the German achievements of folklore collection. After he returned home, at the beginning of the 1840s he initiated a folklore collection, and paid attention to achievements of folklore collection in the neighboring countries as well as in German areas. At the beginning of the 1860s when the financial background was finally provided him to publish his collection, the professional claims he had were similar to those of the Brothers Grimm in their era.

In my paper, providing a context of the oeuvre of János Kriza in terms of endeavors of canonization, I wish to present in what way a network of folklore collectors was organized in the second half of the 19th century in Transylvania: the types of background and motivation as well as concepts of tale of

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel those persons who joined the folklore collection and what sort of texts came into being as a result of this cooperation. I also investigate why János Kriza started folklore collection without any institutional support, on his own, and why the church hindered his endeavors or in the best case simply tolerated these efforts. I discuss the scholarly principles along which Kriza started and then developed his collection and the circumstances under which he eventually published the collection. On the basis of the texts it is also of importance and interest in what way and to what extent Kriza managed to make his principles accepted by his fellow collectors relying on their correspondence. As a result of Kriza’s oeuvre discourse about folk poetry and folklore collection became part of everyday life just as well as the perception of folk poetry as valuable cultural heritage. These issues are to be presented in the context of the oeuvre of the Brothers Grimm.

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Theisen, Joachim (Athen/Griechenland)

Kausalität nach Gesetzen des Märchens Märchen haben ihre eigenen narrativen Gesetzmäßigkeiten. Auch Handlungen und Geschehnisse kommen nicht von ungefähr. Hauptsächlich sind sie zielgesteuert: Das gute Ende - für die Guten - muss her, und der Abstieg, das Versagen, die Bestrafung, und was auch immer sich an natürlichen oder magischen Hindernissen in den Weg stellt, dient nur dazu, das Ende doch noch zu erreichen. Welches? Vor allem aber: Wann? Märchen sind - so wollen es, niederschreibend und vielfach bearbeitend, auch die Brüder Grimm - mündliche Texte. Als solche haben sie keine Seitenzahl, bis ihnen 1812 eine verpasst wird. Genau auf dieser Grenze zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit hatte sich auch schon die Literatur des Mittelalters konstituiert. Sie hat die Möglichkeiten des gerade entdeckten fiktionalen Erzählens ausgelotet und jede Menge Spaß daran, von den Zwängen der historia befreit zu sein. Und die Grimms haben mit ihren Kinder- und Hausmärchen eine perfekte Spielwiese gefunden, kurze Texte, in denen alles möglich ist, weil historia programmatisch nicht vorkommt.

Damals wie dazumal stellt sich die Frage, wie ein Ziel erreicht wird und werden kann, wenn dieses historisch nicht vorgegeben ist, die Frage nach dem Stellenwert der Kausalität. Wo ist sie angesiedelt: in der Handlung oder der Erzählung? Und um was für eine Kausalität handelt es sich? Es scheint die causa finalis die Hauptrolle zu spielen. Dabei werden in den Märchen nicht nur literarische Motive aus dem Mittelalter zitiert, sondern auch Erzählmuster, -modelle und -experimente.

Tokponto, Mensah Wekenon (Cotonou/Benin)

Komparatistische Untersuchung zu Magie, Sprachmagie und magischen Worten in deutschen und westafrikanischen Märchen. In allen Traditionen und Kulturen gehörte und gehört immer noch die Magie zu den Lebensgewohnheiten der Menschen. Dies lässt sich heute noch bei den Völkern bemerkbar machen, die noch sehr an den Naturreligionen hängen und bei denen das rationale Denken nichts mit dem Alltagsleben der Menschen zu tun hat und somit schwer verstanden werden kann. Der Terminus Magie wird im Alltag oft mit negativen Vorstellungen in Verbindung gebracht, da sich ihre Gebrauchsmethoden als immateriell erweisen und ihre Ergebnisse mit unsichtbaren Mitteln erzielen lassen. Die Magie ist eine Glaubenssache, ob man ihre Wirkung für wahr hält. Und dazu muss man erzogen worden sein. In den westafrikanischen Märchen übernimmt die Magie Konnotationen wie Zauber, Wunder usw. Märchengestalten sprechen Worte aus, deren Kraft als magisch bezeichnet werden können, da diese Worte das Unmögliche möglich machen und Berge in Bewegung setzen. Magische Kräfte erscheinen in besonderen Lebenssituationen mancher Figuren und handeln mit wunderbaren Mitteln, um entweder in Not geratene Gestalten aus Gefahren zu retten oder ungehorsame und überhebliche Figuren ins Unglück zu stürzen. An der Wirkung der Magie und an der Kraft des Wortes in der afrikanischen Realität und in den Märchen ist nicht zu zweifeln. Mein Beitrag soll sich mit all diesen Aspekten der Magie und deren Bedeutung im afrikanischen Märchen auseinandersetzen und sie mit denen einiger Grimmschen Märchen vergleichen und dabei herausfinden, ob beide Märchenformen Parallelen und Differenzen untereinander aufweisen.

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Tomkowiak, Ingrid (Zürich/Schweiz)

Aschenputtel-Filme

Bisher gibt es etwa 130 Aschenputtel-Filme. Die Ausdeutung des Märchenstoffs variiert beträchtlich, und der Versuch, die klassische Geschichte einem jeweils zeitgenössischen Verständnis anzugleichen und sich mittels des adaptierten Stoffs am Diskurs über relevante Themen zu beteiligen, die mit dem Stoff verknüpft werden können, hat zu sehr unterschiedlichen künstlerischen Lösungen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen geführt. Nicht selten zeichnen sich die Filme durch Selbstreferenzialität aus, enthalten Reflexionen auf das eigene Genre, spielen mit Authentizität und Fiktion – sogar Jacob und Wilhelm Grimm treten auf.

Die Situierung in jeweils zeitgenössischer Gegenwart generiert eigensinnige Adaptionen. Vehikel eines gegenüber der Märchenvorlage von erfrischender Respektlosigkeit gekennzeichneten komisierenden Verfahrens ist häufig das Aufmischen der tradierten Geschlechtsrollenmuster, auch im Verbund mit misogynen Tendenzen und einer Portion Selbstironie, insbesondere auch bezogen auf das eigene Metier, den Machbarkeitsglauben und den Traum vom sozialen Aufstieg, wie er im Aschenputtel-Stoff latent vorhanden ist bzw. immer wieder in ihn projiziert wird. Innovative Wege gehen sozialkritische, emanzipatorische, erotisierende, dystopische, psychologisierende und schließlich erneut romantisierenden, postfeministischen Produktionen, zum Teil in historisierendem Gewand.

Ullmann, Anika (Frankfurt a. M.)

Some Red, some Wolf, some House is borne along us – The Fairy Tales of the Brothers Grimm on recent American Television In October 2011 two TV shows started airing in the United States that base their plots and over-all world construction on the fairy tales of the Brothers Grimm. The first one is Once Upon a Time a fantasy series. The story takes place in a little American town called Storybrooke. Storybrooke’s inhabitants are all fairy tale characters but they do not remember that anymore. A second storyline implores the events in fairy land that lead up to the dark curse that transported them all to Storybrooke and made them forget their past.

Five days after Once Upon a Time the detective series Grimm started airing. Based in Portland the show follows the cases of Nick Burkhardt who discovers during the first episode that he is a descendent of the famous Brothers Grimm. On top of that he finds out that all fairy tales are true. Though instead of collecting fairy tales what the Brothers Grimm really did was hunting down evil fairy tale creatures, a hunt Nick Burkhardt has now to continue.

The aim of my talk is to implore how the two shows discuss and use their fairy tale material. A special focus point will be on how fairy land and imagined present are evaluated in contrast to each other. Additionally I want to implore how both shows play with letting a fairy tale come to life in a short display of its most significant inventory. A Red, a Wolf, a House…

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Wegener, Ernst (Kassel/Wiesbaden)

Grimmheimat Nordhessen Die Idee wurde 2005 unter dem damaligen Wissenschafts- und Kunstminister Udo Corts geboren und wird von unserer derzeitigen Ministerin Kühne-Hörmann nachdrücklich vorangetrieben. Kurz gesagt: welche andere kulturelle „Klammer“ für unseren landesherrschaftlichen Gemischtwarenladen „Hessen“ könnte geeigneter sein, um ein gewisses Identitätsgefühl in unserem Land zu erzeugen, als das Erbe der Brüder Grimm?! Deren Biographie deckt unser heutiges Hessen von Süd nach Nord ab, von der Geburtsstätte Hanau über die Schulzeit in Steinau, das Studium in Marburg bis hin zur wichtigen beruflichen Station Kassel. Die Politik hat dieses Potential erkannt und die Koalitionsparteien der Landesregierung haben das Ziel einer „Landesmarke Grimm“ in ihrer Koalitionsvereinbarung verankert. Wie dieses Ziel in der Praxis erreicht werden kann, wie die Grimms als richtige Hessen bekannter gemacht werden können, wie sie nicht nur als „Märchenonkel“ in den Köpfen der Menschen wahrgenommen werden sollen - das soll Gegenstand des Referates sein.

Winkler, Markus (Genf/Schweiz)

Zurück zur ‚Naturpoesie‘. Grimms Märchen in Günter Grass’ Autobiographie Beim Häuten der Zwiebel In Grass’ Autobiographie dienen die Zitate einiger der bekanntesten Grimmschen Kinder- und Hausmärchen dazu, das spätromantische Konzept der heilenden ‚Natur-‘ oder ‚Volkspoesie‘ aufzurufen und mit dem schriftstellerischen Werdegang des Autobiographen wie auch mit seinem Schreiben der Autobiographie zu verbinden. Die Kinder- und Hausmärchen wurden bekanntlich von den Brüdern Grimm als mündlich überlieferte ‚Naturpoesie‘ gewertet und als bedrängte Residuen des verlorenen Ganzen, des heiligen Ursprungs der Nation, gedeutet. Der Gegensatz zwischen ‚Kunstpoesie‘ und ‚Naturpoesie‘ sei „ewig gegründet“, bemerkt Jacob Grimm. Anders als Grimm betont Arnim die Möglichkeit der Überbrückung dieses Gegensatzes. Daran knüpft Grass an. Beim Häuten der Zwiebel ist zwar auf weite Strecken der dem Paradigma von Dichtung und Wahrheit verpflichtete Versuch, die Geschichte des eigenen mühsamen Werdegangs als Manifestation einer Bildungs-Teleologie zu deuten, deren Pole egozentrische Artistik und die verantwortungsvolle Aufarbeitung der jüngsten deutschen Vergangenheit (auch der eigenen Schuld) sind. Doch mit dieser dialektischen Bildungs-Teleologie interferiert eine ganz andersartige Teleologie, die der Autobiograph ins Spiel bringt, indem er Grimmsche Zaubermärchen zitiert und transformiert. – Zum Vergleich sollen Belege aus anderen Grassschen Werken wie dem Butt oder Grimms Wörtern herangezogen werden.

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Wozniak, Monika (Rom/Italien)

Polish Adventure of Brothers Grimm Fairy-tales The “Polish Grimm’s Canon” is by no means identical to the original German canon or other national canons of Grimm’s tales. Although faithful translations of the original collection do exist, they have not played a decisive part in the process of Grimm’s assimilation into the Polish culture. In fact, of over 200 German tales, only a small portion became really popular in Poland. Furthermore, they reached the Polish audience mainly in the form of retellings and adaptations rather than real translations. The goal of this paper is not to give a comprehensive presentation of the history of Kinder- und Hausmärchen’s reception in Poland, but rather to explore the most significant extratextual factors that influenced the process of the tales’ naturalisation into Polish culture. The following topics will be discussed:

- Adaptation strategies related to a well-established Polish translation tradition which tends to privilege paraphrase and retelling over philological translation;

- Importance of the historical context, especially the use of the folk tale as an expression of national identity and an instrument of patriotic education;

- Accommodation of religious issues, due to the passage from Protestant into Catholic tradition and to the political climate in after-war Poland.

Given the enormous number of Polish adaptations of this tale, only a few particularly interesting or bizarre versions will be examined in detail, in order to establish the most significant recurring strategies of “polonisation” of tales by Grimm.

Wunderer, Rolf (St. Gallen/Schweiz)

Hans im Glück (KHM 83) - Schwankfigur, Glücksphilosoph, Glücksökonom? Hier zeigt sich die Spannbreite von Märcheninterpretationen. Vier davon zu Hans: Der Erzählforscher F. Lüthi stellt ihn als Dümmling in die Märchenecke. Ein Philosoph (L. Marcuse) adelt ihn mit „erster Philosoph des Glücks“ auf dem Weg vom Haben zum Sein .Und ein Psychoanalytiker und Theologe (V. Zielen) vermutet in seinem Arbeitgeber „gar Gott selbst“. Aus sozialwissenschaftlicher Managementsicht ist Hans ein marktferner Selbstmotivierungs-künstler, der durch Abbau emotionaler wie mentaler Dissonanzen jede „Verdriesslichkeit gleich wieder gut“ macht. Dazu wählt der Glückökonom (B. Frey) stets euphorisch neue Tauschobjekte mit maximalen Nutzenerwartungen. Werden sie enttäuscht, beginnt sein neues Spiel nach dem „glücklichsten Menschen“. Und er freut sich gar beim letzten Tausch “ich werde zum glücklichsten Menschen auf Erden; habe ich Geld, so oft ich in die Tasche greife“ - also vom Gold zum Geld statt vom Haben zum Sein? Und warum sollte der sinnliche Hedonist nicht noch seine Mutter gegen ein Mädchen tauschen? In seinem Nutzenkalkül wird Glück durch Preise ersetzt. Er minimiert „Verdriesslichkeiten“ (Demotivation) und motiviert sich mit Hoffnung auf neues Glück. So bleibt er einer (F. Nietzsche), “der nie endgültig an ein Ziel gelangt, sich jedoch in der ständigen Überwindung des Nichtgeglückten gleichsam Erfolgserlebnisse verschafft, die von einem explosiven Glückgefühl begleitet sind.“ Das erlebten jüngst auch öfters Finanzmanager.

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Yang, Wuneng (Chengdu/China)

Grimms Märchen in China – ein Wunder der Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur 1.Deutsch-chinesische Literaturbeziehungen

Die Deutschen z. B. Goethe, Schiller haben die chinesische Literatur noch im 18. Jahrhundert kennengelernt, während die Chinesen erst in der 4. Mai-Bewegung 1919, welche eine richtige Kulturrevolution mit Erneuerung der Schrift, der Literatur und der alten Konfuzianischen Ethik als Hauptziel darstellt, Goethe, Schiller, Heine und auch Grimms Märchen begegneten.

2.Die Rezeption der Grimms Märchen in China

In dem alten China waren die ethischen Wertmaßstaben für die Rezeption von Grimms Märchen extrem ungünstig und einschränkend, da die erzieherische Funktion der Literatur zu sehr betont wurde. Erst im modernen China haben Grimms Märchen die Widerstände allmählich überwunden. 1902, die 1. Teilübersetzung von Zhou Guisheng -- vermutlich über Französisch oder Englisch ins Chinesische übertragen; 1934, die 1. vollständige Übersetzung von Wei Yixin direkt aus der deutschen Originalsprache, und erst im Zug der Reform und Öffnung Chinas vor etwa 30er Jahren haben Grimms Märchen mit ihrem Siegeszug begonnen. Ab 1993 zahlreiche Ausgaben und riesige Auflagen mit Millionen Exemplaren in Übersetzung von Wuneng YANG u. a. Zugleich wurden auch Erfolge in der Forschung erzielt. Mehr als ein Dutzend Aufsätze über Grimms Märchen haben Yang und seine Schülerinnen in Zeitungen und im Internet veröffentlicht und Aufsehen erregt, als der Name der KHM vor Missbrauch und deren Ruhm vor Beschmutzung zu verteidigen sind. Auch bei YANG, der in China vor allem als Goethe-Forscher und Übersetzer berühmt ist, haben zwei Nachwuchs-Forscherinnen über Grimms Märchen und deren Rezeption promoviert, was in der chinesischen Geschichte das allererste Mal ist.

3.Grimms Märchen im Auge der Chinesischen Vermittler

Fazit: So wie Goethes „Faust“, Beethovens 9. Sinfonie, Mercedes-Benz werden in China heute auch Grimms Märchen als Symbol für Deutschland und die deutsche Kultur angesehen. In dem bevölkerungsreichsten Land der Welt sind Grimms Märchen so populär wie kein anderes Deutsches Buch, so beliebt wie in keinem anderen Land der Welt, was gar als ein Wunder in der Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur gelten möchte.

Zimmermann, Harm-Peer (Zürich/Schweiz)

Mythen in Massen. Überlegungen zu einem Schlagwort in der Tagespresse Der Beitrag thematisiert simple Schlagzeilen, die mit dem Wort „Mythos“ operieren. Alle möglichen Alltagsphänomene finden sich tagtäglich zum Mythos erhoben: Personen, Dinge, Zeiten, Länder, Institutionen. Zum Verständnis dieses Phänomens wird eine Argumentation entwickelt, die von Jacob Grimm ausgeht, dann aber mit Ernst Cassirer eine Wende in die formale Mythologie vollzieht. Es geht also nicht um mythische Inhalte, nicht einmal um narrative Strukturen und Erzählmuster, sondern um Fragen nach der „geistigen Auffassungsweise“, die sich in Mythen widerspiegelt. Diese Forschungsrichtung wird mit André Jolles und Roland Barthes weiter verfolgt, um den Mythos als eine Art und Weise des Ausdrucks, der Aussage, der Rede auszuweisen, die keineswegs

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel ausgestorben, sondern höchst lebendig und allgegenwärtig ist. Mit Hans Blumenberg und Georg Simmel soll schließlich über die Symbolik und Prägnanz des Reizwortes und Stimulus „Mythos“ Aufschluss gegeben werden.

Der Grundgedanke dieses Beitrages ist keineswegs ideologiekritisch orientiert, sondern sympathisiert mit dem Mythos: Mythen sind aktuell und attraktiv, so die Hypothese, weil sie Komplexitäten und Unübersichtlichkeiten in lebendige Qualitäten und Rhythmen übersetzen. Was der Logos faktisch und funktional erklärt, das versteht der Mythos nicht nur in einer anderen Erzählform, sondern vor allem auch in einem alternativen Metrum, das bestimmten Lebensbedürfnissen mehr entspricht als es rationale Formen der Welterschließung tun können. Der Vortrag schließt also den argumentativen Kreis, indem er auf einen Gedanken von Jacob Grimm zurückkommt. Es geht um Rehabilitierung des Mythos, in diesem Fall sogar des bloßen Reiz- und Schlagwortes „Mythos“.

Zinggeler, Margrit (Eastern Michigan/USA)

The Grimm Corpus of the Fairy Tales and Legends in COSMAS – What would Jacob and Wilhelm do with this Marvelous and Modern Tool? Today, in the modern digitalized age, the corpus of 585 legends, 10 children’s legends and 201 Kinder- und Hausmärchen by the brothers Grimm are available online at no cost from the “Institut für Deutsche Sprache” (IDS) in Mannheim, Germany. The system COSMAS (Corpus Search Management and Analysis System) offers access to research the fairy tales with a myriad of grammatical and textual applications. This presentation demonstrates how we can use the Grimm Corpus in COSMAS to analyze the Grimm fairy tales and the legends by searching for common elements, words, and phrases. While several topics such as the role of nobility and common folks, as well as the use of action verbs serve as examples how to search and use the online Grimm Corpus, the focus in this presentation is on the myth of the structure of the nuclear family, an ideal in the 19th century Germany. The overall objective is to inspire the audience to become familiar with the system and how to make extensive use of the Grimm Corpus in COMAS for scholarship, research, and teaching. An attempt on how Jacob and Wilhem’s mindset would use this modern technology to process narratives and grammar is aimed at further enchanting the audience.

Zubia Gomez, Genaro (San Sebastián/Donostia (Gipuzkoa)/ Spanien)

Die Wiedergabe der Märchen der Brüder Grimm auf Baskisch und ihre Aufnahme im Baskenland Die ersten Übersetzungen stammen aus dem Jahr 1929. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die sogenannte Baskische Renaissance literarisch und kulturell auf ihrem Höhepunkt; ebenfalls nehmen Humanisten verschiedener Richtungen die wissenschaftliche Erfassung baskischen Brauchtums in Angriff, und zur gleichen Zeit entsteht die baskische Schule.

In diesem Zusammenhang trugen oben genannte Übersetzungen dazu bei, die Kinder eines blühenden nationalen Bürgertums in der baskischen Sprache zu erziehen. Sie charakterisieren sich durch ihre Domestizierung (Venuty, 1995) und ihre ethnozentrische Prägung: sie passen sich an die

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„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel

Zielkultur an und enthalten Manipulierungen (Lefevere, 1997) im Bereich der materiellen Kultur und im ideologisch-religiösen Bereich.

Nach den Kriegen (spanischer Bürgerkrieg und Zweiter Weltkrieg) wird die Textproduktion in der baskischen Sprache von Grund auf unterbunden. In Bezug auf die Kinder- und Häusmarchen gibt es nur wenig: eine schöne Wiedergabe von „Hänsel und Grethel” (J. Etxepare, Mendekoste gereziak) im kontinentalen Baskenland, und einige illustrierte Sammlungen aus den 60er und 70er Jahren im Baskenland der Halbinsel.

So müssen wir warten bis zur sogenannten zweiten Baskischen Renaissance der 80er und 90er Jahre, um wieder die Brüder Grimm zu lesen. In dieser Zeit nehmen die Übersetzungen und Überarbeitungen der KHM quantitativ das Zentrum des Sektors der importierten Kinderliteratur ein.

Zubillaga, Naroa (Vitoria-Gasteiz/Spanien)

Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm auf Baskisch Wie in vielen anderen Fällen war der Einfluss der Brüder Grimm auf die baskische Kinder- und Jugendliteratur (KJL) sehr bedeutend.

Die erste Übersetzung von Grimms Kinder- und Hausmärchen ins Baskische wurde 1929 veröffentlicht, und war gleichzeitig die erste KJL-Übersetzung aus dem Deutschen ins Baskische. Die Übersetzung stammt von Ipolito Larrakoetxea. Er modifizierte dabei Erzählelemente wie z.B. Eigen- und Ortsnamen, so dass sie in den baskischen Kontext passten. Nach dieser ersten Übersetzung folgten viele weitere: die meisten davon sind Bearbeitungen oder verkürzte Versionen.

Im Vortrag werde ich zuerst einen Überblick über die allgemeine Geschichte der aus dem Deutschen ins Baskische übersetzten KJL und besonders über die Geschichte der Übersetzungen der Kinder- und Hausmärchen (KHM) der Brüder Grimm geben. Danach werde ich die unterschiedlichen Versionen genauer analysieren, d.h. mich auf die unterschiedlichen Übersetzungsmethoden beziehen. Zum Schluss werde ich einige Überlegungen über die KJL-Übersetzungen ins Baskische bzw. in Minderheitssprachen allgemein darstellen.

Zuch, Rainer (Marburg)

Das Bild vom Märchen. Otto Ubbelohdes Illustrationen zur Jubiläumsausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 1907-09 Otto Ubbelohde zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Illustratoren der Grimmschen Märchen, der deren Bild wohl am nachhaltigsten geprägt hat. Für die 1907-09 erschienene Jubiläumsausgabe des Leipziger Turm-Verlages schuf er 448 Federzeichnungen. Ausgaben mit seinen Illustrationen sind bis heute erhältlich. Der Vortrag möchte seiner spezifischen Auffassung der Märchen nachgehen und sie im Kontext seines Werkes und seiner Zeit verorten, was auch ein Licht auf das Märchenverständnis des beginnenden 20. Jahrhunderts wirft.

Ubbelohdes umrisshafter und flächiger Zeichenstil ist dem Jugendstil verpflichtet, was den Darstellungen auch zu einer gewissen Allgemeingültigkeit und Zeitlosigkeit verhilft. Durch die Integration spezifisch hessischer Motive verschafft Ubbelohde den Märchen zugleich eine räumlich- 90

„Märchen, Mythen und Moderne – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, 17.12. - 20.12.2012 an der Universität Kassel topographische Verankerung im Sinne einer regionalen Identifizierung. Er versetzt konkrete Motive durch ihre Neukontextualisierung im Märchen auf eine allgemeinere Ebene und schafft so einen Raum, in dem Märchen und Region eine Wechselbeziehung eingehen. Darin spiegelt sich das historische und regionale Interesse der Lebensreform um 1900. Schon für die Grimms waren die Märchen Zeugen einer uneinholbaren Vergangenheit und ihre Erfassung und Lexikalisierung von historischem Interesse geprägt. Für Ubbelohde waren Grimms Märchen wie auch die Wahrnehmung der hessischen Heimat nicht mehr unmittelbar zugänglich, sondern durch vielfache Rezeption bereits gebrochen; Märchen, Volkskunst und Landleben waren als lebendige Gegenwart im Verschwinden begriffen und eben deshalb Gegenstand seines künstlerischen Interesses.

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