Jahrgang 73 Heft 24 Datum 31.12.2009

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Jahrgang 73 Heft 24 Datum 31.12.2009 Nr.24 73. Jahrgang Zürich, 31. Dezember 2009 ESCHICHTE SCHREIBEN UNTER der Voraussetzung, daß den Strömungen, die sich THEOLOGIE/KONZIL durchsetzen, gegenüber den Strömungen, die nicht durchdringen, ein Vorzug Die Kirche in der Geschichte: Ein Blick auf den zukomme, ist ganz allgemein falsch, erweist sich aber als besonders verhäng• Kirchenhistoriker Giuseppe Alberigo (1926- G 2007) - Mehrheiten und Minderheiten in der nisvoll in der religionsgeschichtlichen Forschung, weil man so gewisse Phänomene nicht Geschichte '- Das Verhältnis von Profan- und versteht, die sich nur dann erklären ließen, wenn man sie in Zusammenhang mit Bestre• Kirchengeschichte - Studien zum Konzil von Tri• bungen der Minderheit bringen würde, denen man aber nicht Rechnung tragen wollte.» ent - Der Episkopat und die Kollegialität - Das Dieser Satz findet sich im Beitrag «Neue Grenzen der Kirchengeschichte?», welchen der Zweite Vatikanische Konzil - Das «Istituto per Kirchenhistoriker Giuseppe Alberigo (1926-2007) Ende der sechziger Jahre des letzten le Scienze Religiose» in Bologna - Quellen und Jahrhunderts für die Zeitschrift «Concilium» verfaßt hat.1 Bemerkenswert ist nicht nur, biographische Arbeiten zu Johannes XXIII. daß der Autor die Pflicht des Historikers einklagt, die Erinnerung an die uneingelösten - Eine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Hoffnungen der Unterlegenen und Besiegten wachzuhalten, sondern eigens hervor• Konzils - Das Konzil als «Ereignis». hebt, daß er diese Forderung gegenüber der profanen Geschichtsschreibung wie auch Nikolaus Klein in besonderer Weise gegenüber der Religions- und Kirchengeschichte erhebt. Denn er ESSAY qualifiziert die Haltung von Forschern, die Minderheiten und ihr Schicksal zu überse• Tanzen und Musik: Zu einer Ausstellung des hen, als für die kirchengeschichtliche Arbeit «besonders verhängnisvoll», weil sie dann Bildhauers, Malers und Kirchenraumgestalters nicht mehr in der Lage sei, entscheidende Entwicklungen der Religions- und Kirchen• Walter Prinz - Vom Tanzen und vom Tanz der Wörter - Das Verhältnis von Formen und Far• geschichte zu verstehen. ben - Leichtigkeit und Heiterkeit - «Das schwe• re ABC des Vertrauens» - Die Ambivalenz der Wirklichkeit - Der Taumel der Bewegung und Die Kirche in der Geschichte die Vielfalt der Instrumente - Die Klage der Flö• te. Heinz Robert Schiene, Bonn Konsequent verfolgt Giuseppe Alberigo im genannten Aufsatz den Zusammenhang von Profan- und Kirchengeschichte. Seine Überlegungen über den wissenschaftstheoreti• CHRISTENTUM/MODERNE schen Status der Kirchengeschichte gipfeln in dem Vorschlag, «sich voll und ganz in die Säkularisierung - die Dilemmate der Moderne: Säkularisierung der Kirchengeschichte zu fügen, in dem Sinn, daß diese sich vollständig Michael A. Gillespie und Charles Taylor über 2 Religion und Gesellschaft - Die Ursprungsorte und engagiert in die wissenschaftliche Dialektik der Geschichtswissenschaft integriert». Europas - Die Verhältnisbestimmung von Philo• Von dieser Vorgehensweise erwartet er, wie er im Schlußabschnitt formuliert, einen sophie und Christentum - Radikale Zuspitzung «qualitativen Sprung» der Kirchengeschichte, die ihre bisherige Isolierung innerhalb in der Neuzeit - Säkularisierung als Deutungs• der historischen Disziplinen aufheben und gleichzeitig zu einem vertieften Glaubens• kategorie - Eine «strukturale Christlichkeit der verständnis führen soll. Neuzeit»? - Die selbstreflexiv gewordene Mo• Mit diesem Beitrag in der Zeitschrift «Concilium» zog Giuseppe Alberigo ein methodo• derne - Die religionspolitische Debatte in den logisches Resümee aus seinen bisherigen Forschungen. Mit seiner 1959 veröffentlichten USA - Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitig• keiten - Ein Opus magnum von Charles Taylor Studie über die soziale Herkunft und die theologische Bildung jener italienischen Bi• 3 - Der fragmentarische Charakter moderner Ge• schöfe, die auf der ersten Periode des Trienter Konzils anwesend waren , stellte er die sellschaften - Die Vieldimensionalität westlicher kirchengeschichtliche Arbeit in Italien auf eine neue Basis. Die daran anschließenden Gesellschaften - Eine postdurkheimische Welt Arbeiten über kirchliche Institutionen, d.h. über den Episkopat in der Neuzeit und über - Die «therapeutische Wende» - Religion und das Kardinalskollegium im Hochmittelalter, waren nicht nur für die Kirchengeschichts• Gewalt - Konservative Gesten - Unterschätzte schreibung von Belang.4 Vor allem die Studie über den Episkopat spielte während den Aufklärung. Werner Post, Bonn Debatten über die Kollegialität der Bischöfe auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Schlüsselrolle und überzeugte viele Konzilsväter, den Aussagen über die Kollegialität ZEITGESCHICHTE der Bischöfe in der Kirchenkonstitution «Lumen gentium» zuzustimmen. Neben diesen «... daß man alle Willkür, alles Machen meidet»: Publikationen hatte Giuseppe Alberigo einen entscheidenden Anteil am Aufbau und an Zur Lektüre und Wirkung daoistischer Texte während der Nazizeit (1933-1945) - «Licht aus der Konsolidierung des von Giuseppe Dossetti (1913-1996) gegründeten «Dokumenta• 5 dem Osten» - Flugblatt II der Weißen Rose tionszentrums»; dem späteren «Istituto per le Scienze Religiose» in Bologna. - Die deutsche Sinologie vor 1945 - Philologie Das erste Gemeinschaftswerk der am «Istituto» tätigen Forschergruppe war die Arbeit und Literaturgeschichte - Laozi-Übersetzungen an einer textkritischen Edition der Dekrete und Kanones der Ökumenischen Konzilien. während der nationalsozialistischen Periode Diese Publikation sollte - nach der Absicht des «Istituto» - einen Beitrag für die Vorbe• - Emigration deutscher Sinologen - Opposition reitung des von Papst Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 angekündigten Zweiten Va• zum Regime - Daoistische Einflüsse in der zeit• tikanischen Konzils (1962-1965) leisten.6 Knapp dreißig Jahre später faßte Giuseppe Al• genössischen Literatur - Hermann Hesse und berigo die im Rahmen dieser HerausgebertätigkeiLgewonnenen Einsichten zusammen: Martin Heidegger - Eine späte Wirkung der Reisetagebücher des Grafen Hermann A. von «Die geschichtliche Entwicklung scheint gekennzeichnet von einer fortschreitenden Keyserling. Knut Walf, Nijmegen Verringerung der <Ökumenizität> der Konzilien - von den universalen Konzilien über die des Westens hin zu denen der römischen Kirche - wie auch ihres Horizontes. Die Vor• INHALTSVERZEICHNIS herrschaft des Dienstes für den gelebten Glauben der Gemeinschaft scheint allmählich Autoren-, Personen-, Sach- und Schriftverzeich• durch die Funktion für die Institution Kirche ersetzt worden zu sein. Deshalb ändert sich nis des 73. Jahrgangs. 261 von Mal zu Mal nicht nur der Gegenstand der Konzilien, sondern zur Selbstbezeichnung in Anspruch genommen und andererseits auch ihr Zugang zum Geheimnis der Offenbarung und zur kon­ von Historikern zur Beschreibung eines Phänomens verwendet kreten Lage der Kirche.»7 Giuseppe Ruggieri hat nachgewiesen, worden sind. In diesem Rahmen entstanden Studien über das Be­ daß Ansätze zu dem in dieser Passage formulierten Urteil schon griffspaar «Christentum/Christentheit». während der Editionsarbeit zu finden sind. Damals schlug Giu­ Schon 1966 hatte Giuseppe Alberigo einen ersten Aufsatz über seppe Alberigo Hubert Jedin, der als wissenschaftlicher Berater Papst Johannes XXIII. veröffentlicht.10 Durch Zufall bot sich des Projektes fungierte, vor, die Abfolge der einzelnen Konzilien ihm 1981 die Chance, auf seine frühen Überlegungen zu einer nicht nur chronologisch zu ordnen, sondern auch eine qualitative Biographie des Konzilspapstes zurückzukommen, diese wieder Zuordnung vorzunehmen, indem schon im Inhaltsverzeichnis die aufzugreifen und gleichzeitig auf eine in der Zwischenzeit ver­ Unterscheidung zwischen «Ökumenischen Konzilien» und «Ge­ breiterte Basis der Quellen und der monographischen Analysen neralsynoden» eingeführt würde.8 Hubert Jedin lehnte diesen zu stellen. Die Tatsache, daß ihm 1981 wegen seines Einsatzes für Vorschlag ab. Bei der nun in den letzten Jahren in Gang gebrach­ eine wissenschaftlich fundierte Kritik an dem von Papst Paul VI. ten vollständigen, auf vier Bände geplanten Neubearbeitung der vorgelegten Projekt einer «Lex Ecclesiae Fundamentalis»11 der Edition kommt Giuseppe Alberigos frühe Einsicht nicht nur in «Rothko Chapei Human Right Award» verliehen wurde, brachte der Gliederung des Gesamtwerkes, sondern schon in der Titel­ ihn mit der Preisstifterin Dominique de Menil (Huston) in Kon­ formulierung zur Geltung. takt. Er konnte sie für sein Projekt biographischer Studien über Johannes XXIII. gewinnen. Gleichzeitig gelang es ihm, den frü­ Das Zweite Vatikanische Konzil heren Privatsekretär Johannes' XXIII., Erzbischof Loris F. Capo­ villa (Loreto) zu überzeugen, dem «Istituto» den Privatnachlaß Noch während des Konzils begannen im «Istituto» die Arbeiten des Papstes für die wissenschaftliche Forschung zugänglich zu an einer historisch­kritischen Synopse der Dogmatischen Kon­ machen. Auf dieser breiten Quellenbasis entstand in einem Zeit­ stitution über die Kirche «Lumen gentium». Diese konnte 1975 raum von knapp dreißig Jahren eine Reihe von Quellenedition, abgeschlossen werden. Damit wurde der Forschung über einen Monographien, Überblicksdarstellungen zu Johannes XXIII. und zentralen Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils ein Instru­ zur Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dazu zählt ment zur Verfügung gestellt, das die Fruchtbarkeit philologischer auch die fünfbändige «Geschichte des Zweiten Vatikanischen und historischer Arbeit für das Verständnis der Konzilsentschei­ Konzils»,
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