Kaltland Eine Sammlung

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Kaltland Eine Sammlung Kaltland Eine Sammlung Kaltland Eine Sammlung Herausgegeben von Karsten Krampitz Markus Liske Manja Präkels Rotbuch Verlag Dank gilt den Autoren und Fotografen für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Texte und Bilder. Idee und Konzeption: Gedankenmanufaktur WORT & TON www.gedankenmanufaktur.net Bildnachweis: S. 9, 15, 53, 177, 221, 265 © Ulrich Burchert S. 107 © Carola Martin ISBN 978-3-86789-144-8 1. Auflage © 2011 by Rotbuch Verlag, Berlin Umschlagabbildung: Gedankenmanufaktur WORT & TON Druck und Bindung: CPI Moravia Books GmbH Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern: Rotbuch Verlag GmbH Alexanderstraße 1 10178 Berlin Tel. 01805/30 99 99 (0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.) www.rotbuch.de Inhalt .................................... Vorwort 9 I Anfänge 15 Emine Sevgi Özdamar .. Ulis Weinen 16 Wolfram Kempe ............ Das Experiment 19 Jutta Ditfurth ............... Letzte Montage 23 Alexander Kluge ........... Grammatik der Revolution 31 Freke Over ................... Rausch und Räumung – Ein kurzer Sommer der Anarchie 35 Markus Liske ................ Erstkontakt 40 II Rückblicke (1) 53 Manja Präkels .............. Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß 54 Angelika Nguyen........... Mutter, wie weit ist Vietnam? 66 Key Pankonin ............... Rechtsaußen 71 Carlo Jordan ................ Drei Überfälle 76 Matthias Vernaldi ......... Die Eiterbeule 81 Volker H. Altwasser ....... Treuhand. 87 Helmut Höge ................ Bischofferode war überall 96 Annett Gröschner ......... Vom Schreibtisch des Oberkommandierenden 102 III Fanale 107 Volker Braun ................ Die Leute von Hoywoy (2) 108 Alexander Osang .......... »Mein Heim ist doch kein Durchgangszimmer« 110 Jochen Schmidt ........... Im Sonnenblumenhaus 116 Roger Willemsen .......... Verlegenheitsbewältigung 127 Alexander Karschnia ..... X Years 132 Schorsch Kamerun ....... »Es interessiert mich nicht, Deutscher zu sein« 138 Ahne ............................ Wie der 18. April mal vorgestern war 143 Andreas Marneros ........ Neun Mörder in neun Wochen 147 Alexander Kluge ........... Der Täter von Quedlinburg 159 Michael Wildenhain ...... In den Zeiten des Verrats sind die Landschaften schön 161 Andres Veiel / Gesine Schmidt ............ Stimmen aus DER KICK 167 IV Rückblicke (2) 177 Bianca Bodau............... Hellerau, Hellerau – du musst wandern oder: wie unsere Schrankwand in den Westen kam 178 Thomas Meyer.............. Im Niemandsland 185 Uta Pilling .................... Rebecca 191 Jan Brokof / Katrin Heinau ............... Mirko H. 195 Andreas Krenzke .......... Mehr Heavy Metal 198 Karsten Krampitz ......... Schöne junge Welt 202 Peter Wawerzinek ......... Wie ich einmal von Nazis für einen Nazi gehalten wurde und auch im Knast dafür saß 209 Henryk Gericke ............. Zehn Jahre Stunde null 214 V Fortläufe 221 Friedrich Ani ................. Tänzelnder Pfirsich 222 Kerstin Hensel .............. Die Fiedlern 223 Jakob Hein ................... Der Ort: das Ende der Welt, die Zeit: Oktober 227 Carmen-Francesca Banciu ......................... Lesereisen sind eine Erzählung wert 233 Martin Sonneborn ........ Ausstieg jetzt! 235 Yonas Endrias .............. No-go-Areas 249 Volker Braun ................ Die Fremden 255 Hermann L. Gremliza ... Der real existierende Asozialismus 257 Heiko Werning .............. Auf der Goldwaage 262 .................................... Abgleich im Rückspiegel 265 .................................... Zu den Autoren 279 .................................... Textnachweis 286 Vorwort Wir haben allzu früh der unmittelbaren Vergangenheit den Rücken zugekehrt, begierig, uns der Zukunft zuzuwenden. Die Zukunft wird aber abhängen von der Erledigung der Vergangenheit. Bertolt Brecht In den Jahren 2009 und 2010 taumelten Schriftsteller, Künstler, Kommentatoren und Fernsehteams fast geschlossen zwischen 20-Jahre-Mauerfall-Partys und 20-Jahre-Wiedervereinigung- Partys herum, um der »Friedlichen Revolution« zu gedenken und all der rosa getünchten Rathäuser, Spaßbäder und neuen Autobahnen, die seither Helmut Kohls »blühende Landschaf- ten« darstellen. Dabei geriet plangemäß in Vergessenheit, dass mit dem Ausruf »Wir sind das Volk!« (aus dem schon bald »Wir sind ein Volk!« werden sollte) eine im Nachkriegsdeutsch- land beispiellose völkische Massenbewegung losgetreten wurde, die sich zudem auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in einem über Jahre hinweg nahezu rechtsfreiem Raum austoben durfte. Die massiven Angriffe auf Asylbewerberheime in Hoyerswerda (1991) und Rostock (1992) waren dabei nur die Spitze des Eis- bergs. Umso bizarrer mutet es an, dass man diesen Themenkomplex in den bislang erschienenen Romanen und Erzählbänden über die Wende- und Nachwendezeit meist vergeblich sucht. Kaum jemals erhebt auch nur ein einziger Skinhead sein kahles Haupt aus den Seiten. Die Totgetretenen und Verbrannten haben ebenso wenig Platz im literarischen Gedächtnis wie die Frei- sprüche und milden Bewährungsstrafen, mit denen die Justiz insbesondere in den ersten Jahren die Täter bedachte. Fast mit Rührung erinnern sich heute die einen an die pitti- platschige Gemütlichkeit ihrer DDR, mit kaum nachlassendem Furor die anderen an SED-Staat und Stasi-Terror. Die Westdeut- schen ihrerseits haben weitgehend akzeptiert, dass sie sich nicht 10 an die Lebensumstände in ihrer BRD zu erinnern brauchen, weil sie ja »die Sieger« waren und das heutige, größere Deutsch- land immer noch der Staat ist, in dem sie aufwuchsen. Ein Irr- tum, der nur deshalb möglich wurde, weil die gesellschaftlichen Verwerfungen der Nachwendezeit von Anfang an zu randstän- digen Problemen, bestenfalls Kollateralschäden erklärt wurden, die sich zudem vor allem im »Beitrittsgebiet« abzuspielen schie- nen. Dazu zählten, neben der massiven Gewalt gegen Asyl- bewerber, Linke, Homosexuelle, Behinderte und Obdachlose, auch die Massenentlassung arbeitender Frauen »zurück an den Herd«, die Burenmentalität der mit Hilfe der »Buschzulage« herbeigeköderten West-Verwalter, die oft geradezu kriminellen Entscheidungen der Treuhand, der vielfältige massive Klein- betrug an den leichtgläubigen Neubürgern, die Räumung kon- taminierter Militärliegenschaften durch junge Arbeitslose, der explodierende Menschenhandel mit Osteuropäerinnen und ein gewaltiger Schwarzmarkt für russische Waffen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Tatsächlich war nichts davon randständig. Alles, was damals geschah, wirkt bis heute in der gesamtdeutschen Gesellschaft nach und wurzelte in den Vorgängergesellschaften von BRD und DDR. So gab es organisierte Neonazis und Anschläge gegen Aus- länder in beiden Staaten lange vor 1989.1 Und auch die Idee zu einer der Abschaffung nahezu gleichzusetzenden Änderung des westdeutschen Asylrechts war nicht neu. Sie war, ebenso wie der soziale Kahlschlag, den die Regierung Schröder nach 20-jähri- ger Anmoderation 2002 vollzog, bereits Teil der von Kanzler Kohl 1982 geforderten »geistig-moralischen Wende«, wenn- gleich es erst eine andere Wende – nämlich die in der DDR – brauchte, um sie tatsächlich umsetzen zu können. Genau wie das weitgehend lückenlose Sozialnetz war näm- lich auch das unbeschränkte Asylrecht für politisch Verfolgte ein Grundpfeiler des bundesrepublikanischen Selbstverständ- nisses, zudem bezog es seine Rechtfertigung aus den Erfahrun- gen der Nazizeit. Dieses Asylrecht hatte – neben den sogenann- 11 ten Gastarbeitern – großen Anteil am Zustandekommen der de facto multikulturellen Gesellschaft in derBRD , während in der DDR die Trennung von Einheimischen und »Fremden« mittels Kasernierung betrieben wurde. Bereits im Zuge der »Friedlichen Revolution«2 1989/90, spätes- tens seit der von der BILD-Zeitung angestachelten Modifizie- rung von »Wir sind das Volk!« in »Wir sind ein Volk!« kam es zu massiven rechtsextremistischen Gewaltakten, die sich an- fangs vor allem gegen Linke richteten. Schnell wurde klar, dass diese beiden sehr unterschiedlich geprägten Gesellschaften, um tatsächlich »ein Volk« werden zu können, einen Vergleichsmaß- stab brauchten: die »Fremden« nämlich. Diese kamen etwa als Flüchtlinge vor der blutigen Revolution in Rumänien oder we- nig später vor dem Krieg in Jugoslawien3. Andere waren schon da: Mosambikaner, Vietnamesen und natürlich die in der BRD schon lange integrierten Türken. Unvergessen ist uns ein Bilder- witz, der seinerzeit im Magazin Zitty erschien. Da beschwert sich ein Ostdeutscher über die lange Schlange im ALDI, so habe er sich den Westen nicht vorgestellt. Antwort des vor ihm ste- henden Türken: »WIR haben euch nicht gerufen!« In den Jahren nach 1989 wurde aus diesem staatsgemeinschaft- lichen »Wir« ein völkischer Kampfbegriff, und nach Vollzug der staatlichen Einheit konstituierte sich die völkische Einheit über brennende Asylbewerberheime, Menschenjagden und Morde in beiden Teilen Deutschlands. Und obgleich im Westen zeit- weilig sogar mehr Todesopfer zu beklagen waren (den Spitzen- platz hält bis heute der Ruhrpott), wurde daraus im Osten eine Massenbewegung weit über die Jugend- und Subkultur hin aus. Tausende sogenannter Normalbürger jubelten den rechten Brand- stiftern offen zu, Polizisten standen tagelang tatenlos dabei, es wurden sogar Würstchenbuden aufgebaut und Pogrome wie Volksfeste gefeiert. Diese Bilder gingen um die Welt, und das Geschehene wirkt bis heute nach. Nach den Fanalen von Hoyerswerda und Rostock evakuierte 12 man die meisten Asylbewerber gen Westen, was von der ju- belnden Menge als nachträgliche Legitimation ihres »Protes- tes« aufgefasst werden konnte, und Ostdeutschland wurde in der Folge zur No-go-Area
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