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Der Rench-Flutkanal - Die Natur Eines Künstlichen Gewässers

Der Rench-Flutkanal - Die Natur Eines Künstlichen Gewässers

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Der -Flutkanal - Die Natur eines künstlichen Gewässers

Sandra Röck

Einführung Die Rench

In unserer Kulturlandschaft finden sich kaum Die Flüsse der Oberrheinebene entspringen in noch Gewässer, die nicht durch den Menschen den bis zu 1000 m hohen, fast ausschließlich beeinflusst worden sind. Der Um- und Ausbau bewaldeten Höhenzügen des Schwarzwalds. natürlicher Flussläufe fand überwiegend im Bis sie in den Rhein münden durchqueren sie 19. Jahrhundert statt, der großen Zeit der die schwach hügelige mit Lößlehm bedeckte Flussregulierungen. Die Rench und ihr Flut- und landwirtschaftlich intensiv genutzte Vor- kanal sind Gewässer, deren Erscheinungsbild bergzone, die -Murg-Rinne sowie die in dieser Zeit geprägt wurden. Niederterrasse des Rheins (Abbildung 1). Die Kinzig-Murg-Rinne verläuft als Gelände- mulde parallel zum Rhein.

Abb. 1: Oberrheinebene zwischen und Bühl. Die Schwarzwaldgewässer fließen Richtung Rhein und durchqueren Vorbergzone, Kinzig-Murg-Rinne und Niederterrasse. Rench und sowie die Flutkanäle sind in der Abbildung hervorgehoben.

Gewässerentwicklung in der Kulturlandschaft; Schriften der DWhG, Band 7, Siegburg 2005, ISBN 3-8334-3213-6 240 Sandra Röck, Der Rench-Flutkanal - Die Natur eines künstlichen Gewässers

Abb. 2: Karte der Überschwemmungsflächen vor Beginn der Acher-Rench-Korrektion (aus Riegelsberger 1967).

Nach der letzten Eiszeit flossen die Schwarz- tausende haben sich entlang der Ausmündun- waldflüsse nicht unmittelbar in den Rhein, gen der größeren Flüsse Aufschotterungen sondern als Kinzig-Murg-Fluss parallel zum gebildet. Auf diesen kam es zu unmittelbaren Rhein am Westrand des Schwarzwaldes ent- Durchbrüchen zum Rhein. Große Hochwasser lang. Erst kurz oberhalb der Neckarmündung traten jedoch weiterhin in die Kinzig-Murg- mündeten sie in den Rhein. Im Laufe der Jahr- Rinne über und bewirkten dort sehr weitge-

Gewässerentwicklung in der Kulturlandschaft; Schriften der DWhG, Band 7, Siegburg 2005, ISBN 3-8334-3213-6 Sandra Röck, Der Rench-Flutkanal - Die Natur eines künstlichen Gewässers 241 hende Überschwemmungen. Solche Hoch- schutzbauten (v.a. Faschinenschutzwerke) zu wasser entstehen aufgrund der hohen errichten. 1816 wurden die großen Schwarz- Niederschläge im Schwarzwald (800 – waldflüsse im badischen Flussbauedikt (Ab- 2000 mm/Jahr) und des steilen Westabfalls schaffung der Flussbaufron und Einführung des Schwarzwaldes. Die Besiedlung und die einer Flussbausteuer) zu einem staatlichen Lebensqualität der Oberrheinebene wurde Flussbauverband zusammengefasst. Der Staat durch diese mehrmals jährlich auftretenden übernahm infolge dessen die Aufgabe der Überschwemmungen beeinträchtigt. Vor dem Planung, des Ausbaus und der Unterhaltung Ausbau der Gewässer wurden bei den größten der Gewässer, allerdings nur gegen finanzielle Hochwassern 90% der Oberrheinebene über- Beteiligung der Gemeinden. Die Umsetzung schwemmt 1 (Abbildung 2). größerer Planungen scheiterte aber oft an den Die Verbesserung dieser Bedingungen war bescheidenen finanziellen Mitteln und der Ziel der groß angelegten Rheinkorrektion Uneinigkeit unter den Gemeinden. Erst 1885 (1817 – 1874) unter Oberstleutnant Johann war die Korrektionsstrecke im Oberlauf der Gottfried Tulla (1770 – 1828). In die Korrek- Rench mit einer Leistung von 220 m³/s zwi- tionsmaßnahmen wurde neben dem Rhein schen Lautenbach und Erlach fertiggestellt. auch die Gewässersysteme aller größeren Für das Gebiet unterhalb von Erlach gab es Schwarzwaldflüsse mit einbezogen2. kein zusammenhängendes Konzept. Es wur- Einer dieser Schwarzwaldflüsse ist die Rench, den höchstens verschiedene kleinere Teilmaß- die heute nach einer Lauflänge von 54,6 km in nahmen durchgeführt. Problematisch war in den Rhein mündet. Sie entspringt in 930 m diesen Abschnitten die geringe Abflusskapazi- Höhe und hat ein Einzugsgebiet von 423 km². tät von ca. 30 m³/s. Im sogenannten Maiwald- Im Oberlauf fließt die Rench weite Strecken gebiet betrug sie sogar nur 10 m³/s 3. Gerade über Felsen des Urgebirges (Granit und der Unterlauf barg jedoch eine hohes Potential Gneis). Der undurchlässige Untergrund und an dringend benötigten fruchtbaren landwirt- die hohen Niederschläge ergeben einen schaftlichen Flächen, die nach Bannung der Hochwasserabfluss von bis zu 250 m³/s. Überschwemmungsgefahr nutzbar und besie- delbar gewesen wären. Das Siedeln in Gewässernähe war somit immer mit einem sehr hohen Überschwemmungsrisiko verbunden. Immer wieder waren entlang des Ge- wässerlaufs einzelne Maßnahmen durchgeführt worden, um die häufigen und ausgedehnten Überschwemmun- gen zu reduzieren. Da die Rench aber bis 1803 verschiedene Hoheitsgebiete durchfloss, waren die Hochwasser- schutzmaßnahmen nicht koordiniert und blieben meist ohne Erfolg, brach- ten den Unterliegern sogar eher noch größere Nachteile. In den Jahren 1803 - 1806 wurde das Gebiet unter badischer Herrschaft vereinigt. Unter der Lei- Abb. 3: Hochwasser an der Rench. (Staatsarchiv tung Tullas konnte dann damit begonnen wer- Freiburg). den im Oberlauf der Rench Hochwasser-

1 Burkart & Walser 1998. 2 Riegelsberger 1967. 3 Drach 1909.

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Der Maiwald war sicher Hochwasser in diesem Gelände, zum Teil bis vor unsere Haustür. Im Winter Eine „Rektifikation“4 der Rench unterhalb von war Eis bis nach Wagshurst – eine herrliche Erlach ergab laut Drach (1909) nur dann einen Schlittenbahn! Im Sommer jedoch, wenn das Sinn, wenn gleichzeitig die Kultivierung des Wasser wochenlang faulte, war der Maiwald sogenannten Maiwaldgebietes, eines etwa Nährboden für alles Ungeziefer! Wir nahmen 1000 ha großen Wiesengebietes, stattfinden es hin, auf den Renchmättlen Heu zu machen würde. Die Rench floss in vielen Windungen und wenn wir es am anderen Tag nach stun- durch dieses Gebiet und hatte an der engsten denlangem Weg mit dem Kuhgespann holen Stelle ein Fassungsvermögen von nur 10 m³/s. wollten, merkten wir, dass es fortgeschwom- Dadurch kam es zu regelmäßigen Über- men war. Da ging über Nacht hinten im schwemmungen. Das Gebiet war von ver- Renchtal ein Wetter nieder und am anderen sumpften Böden geprägt, die durch hohe Morgen waren die tiefergelegenen Weisen Grundwasserstände und Staunässe hervorge- unter Wasser ...“. rufen wurden. Da eine geregelte Acker- Zur Verbesserung der landwirtschaftlichen nutzung nicht möglich war, wurden die Flä- Verhältnisse, sollte eine Korrektion der Rench chen nur als Wiesen genutzt. durchgeführt werden. Die tiefgründigen und Ein weiteres Problem stellten die Besitzver- fruchtbaren Böden ebenso wie die günstigen hältnisse dar. Weit entfernt liegende Gemein- klimatischen Bedingungen versprachen im den hatten Allmendwiesen im Maiwald. Die Falle einer Trockenlegung Höchsterträge bei großen Entfernungen zu den Wirtschaftsbe- ackerbaulicher Nutzung. Somit musste das trieben (zwischen 6 und 15 km) führten, Gebiet einerseits entwässert werden, anderer- neben der Tatsache, dass es sich um Allmend- seits aber auch eine zeitweise Bewässerung besitz handelte, zur Vernachlässigung der sichergestellt werden. Eine entsprechend was- Wiesen. serbaulich korrigierte Rench sollte diese Auf- Das folgende zeitgenössische Zitat verdeut- gaben erfüllen. In den Jahren 1926 und 1929 licht die Verhältnisse 5: wurde mit den ersten Ausbaumaßnahmen an „Der Maiwald war nicht etwa Wald, sondern der Rench im Maiwaldgebiet begonnen (Ab- schlechte - und Binsenwiesen, viele bildung 4). Bruchweidenhecken manche mit 100 m² Aus- dehnung. Ungeziefer, Stechmücken, Bremsen und Gnitzen aller Art und Größe. Der ganze Acher-Rench-Korrektion Maiwald stank nach Bremsenöl, was das Un- geziefer wenig störte. Die Bremsen saßen am In einem Gesamtkonzept sollten die wasser- Euter der Kühe. Ganze Hände voll von diesen wirtschaftlichen Verhältnisse des gesamten Plagegeistern konnte man zerdrücken, sie Gebietes geregelt werden. In diesem Zusam- waren voller Blut. Manches Gespann ging ob menhang entstanden die Planungen zur dieser Plage mit gehobenen Schwänzen durch Acher-Rench-Korrektion. Zur Erleichterung und die Ladung war auf hunderten von der Umsetzung wurde 1936 ein Sondergesetz Metern verstreut. Drei bis fünf Mal im Jahr vom Land „Zur Verbesserung der was- serwirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Kinzig und dem Sandbach (Acher-Rench- 4 „Die möglichst gerade Leitung der Flüsse, die Ab- Korrektion)“ erlassen. Damit wurde der schneidung ihrer Nebenarme, die Demolierung der Grundstückserwerb der benötigten Flächen für schädlichen Dämme u.s.w., oder, mit einem Wort, die Rektifikation der Flüsse, ist diejenige Operation, durch den Staat erleichtert (Enteignungsgesetz von welche ihren Zerstörungen Einhalt gethan, und ihr Was- 1935) und die finanzielle Beteiligung der Ge- serspiegel so gesenkt wird, daß die Nachteile der meinden geregelt (1/3 der Kosten für Gelän- Ueberschwemmungen und die Eisgänge vermindert, deerwerb und Bau mussten von den beteilig- oder vollkommen beseitigt werden.“ (Tulla 1825). 5 GWDOG 2003.

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ten Gemeinden getragen werden). Ein Zitat aus der Denkschrift von 1967 ver- deutlicht aus welchen Gründen die Acher-Rench-Korrektion (AREKO) for- ciert wurde 6: „In diesem von der Natur besonders be- günstigten Gebiet mit seinen ausgezeich- neten klimatischen Verhältnissen, fast durchweg sehr fruchtbaren Böden (Au- lehm, Schwemmlöß) und seinen im Durchschnitt gut über das bäuerliche Jahr verteilten Niederschlägen ließen die was- serwirtschaftlichen Verhältnisse vor Be- ginn des Unternehmens Acher-Rench- Korrektion keine vollständige Ausnutzung dieser Vorteile zu. Mangelnder Hoch- wasserschutz, schädigende hohe Grund- wasserstände und in manchen Teilen un- zulängliche Vorflut stellten ein entschei- dendes Hindernis für eine intensive land- wirtschaftliche Nutzung dar. Auch war eine ackermäßige Bearbeitung größerer Flächen unmöglich. Selbst die Grünland- flächen, deren Anteil im Gebiet verhält- nismäßig hoch war, boten wegen der sich oft jährlich wiederholenden Über- schwemmungen keine Ertragssicherheit.“ Das Planungsgebiet der AREKO umfasste neben den Hauptflüssen Rench und Acher

noch 23 größere und kleinere Seitenge- wässer mit einem Gesamteinzugsgebiet von rund 600 km². Insgesamt waren in die AREKO 66 Gemeinden mit einer Ein- flussfläche von 120 km², wovon 90 km² landwirtschaftlich und 30 km² forstwirt- schaftlich genutzt wurden, einbezogen 7.

Die AREKO verfolgte mehrere Ziele: • Hauptziel war die Gewährleistung des Hochwasserschutzes für das gesamte Ge- biet. Dazu wurden besondere Flutkanäle gebaut, welche die Flut auf möglichst direktem Wege zum Rhein leiten. Zusätz- lich wurden Rückhaltebecken in schon früher überschwemmten Waldgebieten Abb. 4: Die Bilder zeigen den Ausbau der Rench im Maiwaldgebiet. Die weiten Flussschlingen wurden eingerichtet. durchbrochen, der Flusslauf begradigt und befestigt (Bilder: Stadtarchiv Freiburg). 6 Riegelsberger 1967. 7 Riegelsberger 1967, GWDOG 2003.

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• Zur Schaffung ausreichender Vorflut und Der Kanal beginnt am Abzweigbauwerk in Entwässerungsmöglichkeiten für die vernäss- Erlach und fasst hier 230 m³/s. Maximal ten und versumpften Flächen, wurde ein Netz 20 m³/s verbleiben im Gewässerbett der Alten von Vorflutern, kleinerer Seitengräben und Rench. Durch die drei bewaldeten Hochwas- Dränungen in bereits im Gelände vorhande- serrückhaltebecken mit einem Rückhalte- nen Rinnen und Mulden geschaffen. volumen von 5 Mio. m³ kann der Abfluss des • Die Erhaltung der Wasserführung für die Rench-Flutkanals am Regulierwehr von Wassertriebwerke und der Bau von Bewäs- 230 m³/s auf 125 m³/s gedrosselt werden. Im serungseinrichtungen waren weitere Ziele. In weiteren Verlauf des Kanals münden drei den bereits vorhandenen Wasserläufen wurde weitere Gewässer unter anderem der Acher- deshalb weiterhin das Mittelwasser für die Flutkanal, der zweite Flutkanal des Systems. bereits vorhandenen Wassernutzungen (Was- Nach einer Lauflänge von 14,7 km vereinigen serkraft, Bewässerung, Abwasserleitungen) sich Rench-Flutkanal und Alte Rench zur abgeführt. Renchmündung und fließen in den Rhein. Die Bauarbeiten begannen 1936, wurden je- Der Rench-Flutkanal wurde im Doppeltrapez- doch durch den 2. Weltkrieg unterbrochen. Im Profil mit gepflastertem Mittelwasserbett in Zuge des Autobahnbaus (BAB 5) konnten die einer Geländemulde angelegt (Abbildung 6). Arbeiten aber 1949 fortgesetzt werden. Seinen Um Grundwasserabsenkungen zu vermeiden Abschluss fand der Ausbau 1967. Die ge- liegt das Mittelwasserbett in mittlerer Sohl- samte Acher-Rench-Korrektion beinhaltete lage 1,5 m unter Gelände. Im Gegensatz dazu den Neu- und Ausbau von 216 km Gewässer- ragen die Deiche bis zu 3 m über Gelände- lauf, die Neuregelung der Abflüsse mit Hilfe niveau hinaus; der Kanal wurde als Hoch- von 185 Regelbauwerken und den Bau von system gebaut. Zur Aufrechterhaltung des Hochwasserrückhaltebecken mit einem Ge- Abflussprofils muss der Rench-Flutkanal re- samtstauvolumen von 9 Mio. m³. gelmäßig unterhalten werden. Die Unterhal- Die Durchführung der AREKO hatte ent- tung beinhaltet die regelmäßige Mahd des scheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Grünlands der Vorländer, den Vorlandabtrag gesamten Gebietes. Neben der Urbarmachung und die Räumung des Mittelwasserbettes in von landwirtschaftlichen Flächen, konnte regelmäßigen Abständen. auch mehr Land zu Besiedlung bereitgestellt werden. Alle Gemeinden der Oberrheinebene Als Kernstück der AREKO hat dieses tech- haben in den letzten 50 Jahren einen starke nische Bauwerk bezüglich des Hochwasser- Expansion, genauer gesagt eine Verfünf- schutzes einen hohen Stellenwert. Wie sieht fachung der Siedlungsflächen zu verzeich- es jedoch mit dem ökologischen Wert dieses nen8. Diese hat sich fast überwiegend in den Gewässers aus? von Natur aus überschwemmungsgefährdeten Eine Antwort auf diese Frage liefern die Er- Gebieten vollzogen und betrifft sowohl den gebnisse einer Untersuchung des Rench- Wohnungsbau, wie auch Industrie- und Ge- Flutkanal aus den Jahren 2000 - 2003 9. Dabei werbeansiedlungen. wurden Gewässergüte, Strukturgüte und die Unterhaltungsmaßnahmen am Kanal unter- sucht. Die Wasserqualität des Rench- Der Rench-Flutkanal Flutkanals ist als gut einzustufen. Betrachtet man dagegen die Strukturgüte, so verwundert Der Rench-Flutkanal gilt als ein Kernstück es nicht, dass dieses künstliche Gewässer im der AREKO und führt die Hochwasserspitzen Gesamturteil schlecht abschneidet. Eine dif- der Rench direkt dem Rhein zu (Abbildung 5). ferenzierte Betrachtung dieses Ergebnisses ist

8 GWDOG 2003. 9 Röck 2004.

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Abb. 5: Das Gewässersystem des Rench-Flutkanals mit Hochwasserrückhaltebecken, Ortschaften und Abfluss- mengen. Die Bilder links zeigen (von unten nach oben) das Abzweigbauwerk in Erlach, ein Luftbild der bewal- deten Rückhaltebecken und das Regulierwehr für die Rückhaltebecken (Bilder: GWDOG & Röck).

jedoch notwendig. Die Verhältnisse an den der befestigten Ufer befinden sich massive Deichen und auf den Vorländern ändern sich An- und Auflandungen, so dass sich das Ge- entlang des gesamten Kanals nicht und zeigen wässer hier ein naturnahes Gewässerbett ein monotones Bild. Die Ufer des Mittelwas- schaffen konnte (Abbildung 7). serbettes sind befestigt und damit negativ zu bewerten. Dennoch verbirgt sich im Mittel- wasserbett über weite Strecken ein hohes öko- logisches Potential, welches sich in der aus- geprägten Substratdiversität zeigt. Innerhalb

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Abb. 6: Die Photos zeigen den Rench- Flutkanal zu unterschiedlichen Zeit- punkten. Der Kanal wurde als Doppel- trapezprofil mit gepflastertem Mittel- wasserbett angelegt. Zur Pflasterung wurden Natursteine verwendet. Das Umland des Rench-Flutkanals ist überwiegend von landwirtschaftlichen Flächen geprägt.

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Abb. 7: Die Abbildungen zeigen einen Abschnitt des Rench-Flutkanals mit hoher Substratdiversität. Die Abbil- dung oben zeigt das Ergebnis einer Substratkartierung. Es wird deutlich, dass das Gewässer sich innerhalb der befestigten Ufer des Mittelwasserbettes (gestrichelte Linie) einen eigenen Gewässerverlauf schaffen konnte. Das linke untere Foto zeigt verschiedene Substrattypen (u.a. Sand, Wasserpflanzen und Blöcke). Das rechte Bild ver- deutlicht, wie mächtig die Anlandungen innerhalb des Mittelwasserbettes sind. Im Hintergrund ist das Vorland und der Deich zu erkennen.

Durch die hohe Substratdiversität und Struk- dass es sich um eine überlebensfähige und turvielfalt ergibt sich eine hohe Lebensraum- nicht nur um eine Reliktpopulation handelt10. vielfalt mit entsprechender Besiedlung. Ein Bezüglich der Altersstruktur und des Ge- Nutznießer dieser Gegebenheiten ist die schlechterverhältnisses handelt es sich um Bachmuschel Unio crassus. Da es sich hier eine gesunde Population. Unio crassus ist in um eine FFH-Art handelt, wurde die ihrem Entwicklungszyklus auf eine intakte Muschelpopulation intensiv untersucht und Wirtsfischpopulation angewiesen. Die Unter- alle Stadien des komplexen Lebenszyklus suchungen der Fischpopulation des Rench- überprüft (Abbildung 8). Eine ausführliche Populationsuntersuchung sollte sicher stellen, 10 Röck 2004.

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Flutkanals zeigen, dass eine geeignete Wirts- Einen starken Einfluss auf die Ausprägung fischpopulation vorhanden ist. Bei der Über- dieser Lebensräume hat die Unterhaltung. Als prüfung des Glochidienbefalls der Wirts- künstliches Gewässer, dessen Hochwasserab- fische, stellte sich heraus, dass die Infektions- flussprofil es zu erhalten gilt, sind Unterhal- raten hoch waren. Letztendlich stand fest, dass tungsmaßnahmen am Rench-Flutkanal unum- der Rench-Flutkanal eine der größten vitalen gänglich. Um den negativen Einfluss der Bachmuschelpopulationen in ganz Baden- Unterhaltung zu minimieren, werden hier die Württemberg beherbergt. Ein weiteres posi- Unterhaltungsmaßnahmen räumlich und zeit- tives Ergebnis der Untersuchungen war der lich gestaffelt. Durch die abschnittsweise und Fund weiterer FFH-Arten, wie Bitterling wechselseitig ausgeführte Unterhaltung (Rhodeus sericeus amarus) und Bachneun- (räumliche Staffelung) bleiben genügend auge (Lampetra planerie). Der Rench- ungestörte Flächen als Rückzugsräume erhal- Flutkanal bietet neben den genannten gefähr- ten. Das Wiederbesiedlungspotential wird deten Arten auch geeignete Habitate für viele somit erhöht und die Besiedlung der unterhal- andere Tiergruppen, wie beispielsweise Libel- tenen Abschnitte beschleunigt. Ein weiterer len und Vögel. Aufgrund der FFH-Funde Aspekt, der sich aus dieser Form der Unter- wurde der Rench-Flutkanal als Schutzgebiet haltung ergibt, ist das entstehende Habitatmo- erklärt und in das Schutzgebietssystem Natura saik aus Flächen in unterschiedlichen Suk- 2000 aufgenommen. zessionsstadien entlang des Kanals. Dies er- höht in gewissem Umfang die Lebensraum- vielfalt. Die genanten Faktoren – gute Wasser- qualität, hohe Substrat- und Lebensraum- diversität sowie die schonende Form der Unterhaltung – tragen alle dazu bei, dass der Rench-Flutkanal trotz seiner Künst- lichkeit ein hohen ökologischen Wert besitzt. Er bietet das nötige Lebensraum- potential, um gefährdeten Arten in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft ein Über- leben zu sichern.

Abb. 8: Lebenszyklus von Unio crassus.

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Fazit Literatur

Bis in die 1960er Jahre wurde der Erhöhung Drach 1909, Entwurf der Renchkorrektion ab- der landwirtschaftlichen Produktivität auf- wärts Erlach und der Maiwaldkorrektur , Denk- grund früherer Hungersnöte ein großer Stel- schrift – Beiträge zur Hydrographie des Großher- lenwert beigemessen. Optimal ausgebaute und zogtums Baden, 15. Heft. unterhaltene (d.h. begradigt und „kurzgescho- Burkart, B. & B. Walser 1998, Die Acher-Rench- rene“) Gewässer galten als Garant für die Korrektion – Umsetzung von Gewässerentwick- Sicherstellung der landwirtschaftlichen Pro- lungsmaßnahmen in einem Flachlandgewässer- duktion. Diese Zielsetzung vom Beginn des system, Gewässerdirektion Südlicher Oberrhein / sogenannten landwirtschaftlichen Wasserbaus Hochrhein, Bereich (Hrsg.). Jehle, R. 1999, Ökologische Verbesserungsmaß- bis in die 1970er Jahre verfolgt. Unter dem nahmen Alte Rench, Gewässerdirektion Südlicher Blickwinkel dieser Zeit ist die AREKO als Oberrhein / Hochrhein, Bereich Offenburg (Hrsg.). voller Erfolg zu bezeichnen. Es wurden die GWDOG - Gewässerdirektion Südlicher Ober- damals dringend benötigten landwirtschaftli- rhein / Hochrhein, Bereich Offenburg 2003, chen Flächen geschaffen und die Siedlungs- Weiterentwicklung der Acher-Rench-Korrektion im entwicklung ermöglicht. Auch der Rench- , Offenburg. Flutkanal ist als ein unter den Bedingungen Riegelsberger, J. 1967, Acher-Rench-Korrektion, seiner Zeit neu geschaffenes künstliches Kul- Sonderdruck aus Wasserwirtschaft in Baden- turgewässer anzusehen. Württemberg, München. Als die ökologischen Nachteile des Ge- Röck, S. 2004, Wie natürlich können künstliche Gewässer sein – Das Beispiel Rench-Flutkanal – wässerausbaus in den 1970er Jahren deutlich Ber. Naturf. Ges. Freiburg i.Br., 94: 37-58. wurden, erfolgte ein allmählicher Wandel in Tulla, J.G. 1825, Ueber die Rektifikation des der Zielsetzung des Gewässerausbaus. Der Rheins, in: Brüggemeier 1995, 94. Trend ging über die gestaltende Gewässer- Staatsarchiv Freiburg: Durchführung der renaturierung zur heute gängigen Förderung AREKO – Bestand 41/11, Signatur 518/1-2 (unge- der eigendynamischen Gewässerentwicklung. druckte Quelle). Künstliche Gewässer werden dabei meist per se negativ bewertet und es wird ihnen allen- falls ein geringes ökologische Entwicklungs- potential eingeräumt. Auch die EU-Wasser- rahmenlinie formuliert geringere Entwick- lungsziele für künstliche Gewässer. Nicht der gute ökologische Zustand der naturnahen Ge- wässer, sondern das meist niedrig angesetzte gute ökologische Potential wird gefordert. Der Rench-Flutkanal beweist jedoch, dass sich Hochwasserschutz und hohe ökologische Wertigkeit in einem künstlichen Gewässer vereinen können.

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