Die nordbündnerischen Trockentäler

Autor(en): Steinmann, Erwin

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Bündner Jahrbuch : Zeitschrift für Kunst, Kultur und Geschichte Graubündens

Band (Jahr): 15 (1973)

PDF erstellt am: 04.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-550507

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http://www.e-periodica.ch Die nordbündnerischen Trockentäler

Churer Rheintal und sind seit je Niederschlagsarmut aus. Sie liegen im Regen- bevorzugte Teile unseres Kantons. Ihre frucht- schatten und werden dadurch zu Trockentä- baren Böden, ihr mildes Klima und ihre gün- lern. Im Domleschg und Churer Rheintal sinkt stige Verkehrslage geben ihnen eine Sonder- zwar die Niederschlagsmenge nicht unter 80 Stellung. Sie äußert sich nicht nur in der gro- Zentimeter, wie etwa im Unterengadin und im ßen Bevölkerungszahl, in den vielen berühm- Mittelwallis. Trotzdem gehören diese Ab- teil Burgen, in den zahlreichen Dörfern und in schnitte unseres Rheintales zusammen mit dem der Lage der Hauptstadt. Die Sonderstellung unteren Albulatal von Filisur an abwärts zu zeigt sich auch in vielen Pflanzen- und Tier- den sogenannten inneralpinen Trockentälern. arten, die in anderen Alpentälern fehlen und Von unseren Aussichtspunkten kann es uns daher unsere Talabschnitte auszeichnen. Der nicht entgehen, daß viele nach Süden gerich- Eilige spürt allerdings nichts von den Lebe- tete, von Felsen durchzogene Steilhänge mit wesen, die seit etwa 8000 Jahren im Rheintal mageren, trockenen Böden die unteren Tal- vorkommen. Die charakteristischen Vegeta- hänge prägen. Ihnen wollen wir uns zuwen- tionseinheiten und ihre Fauna leben verbor- den. Sie geben uns Kunde über klimatische gen, abseits des großen Verkehrsstromes. Mit und historische Einzelheiten, nach welchen etwas Geduld und Beschaulichkeit kann aber wir in Klima- und Bodenkarten vergebens jeder ihre Sprache verstehen lernen. suchen. Zusammen mit den Flußauen machen sie unser Rheintal zu einem biologisch aus- Die Grand/tzge« gezeichneten Teil der Alpen. Domleschg und Churer Rheintal sind tiefe der zanrde die Einschnitte in unser Bergland. Wer die gewal- M Vergangenheit Zusammen- der F/ora 7/nd Fawnn bestimmt tige Erosionskraft, die hier am Werke war, sefznng erfassen will, mag einmal von einem erhöhten Alles Leben, auch die Pflanzendecke mit Punkte aus die Täler überblicken: etwa von ihren Tieren, ist etwas Gewordenes. Zur Aus- der einsamen roten Platte ob oder von bildung des vielfältigen grünen Kleides unserer einem stillen, wenig benutzten Feldweg in Täler standen der Natur nur wenig mehr als Ober-Scheid. Bei Thus is hat sich der Rhein 12 000 Jahre zur Verfügung. Bedenken wir, bis heute auf eine Höhe von 680 Meter über daß vor 20 000 Jahren Domleschg und Churer Meer in die Bündnerschiefer eingenagt. Bei Rheintal mit gewaltigen Eismassen gefüllt wa- Landquart liegt die Talebene auf 530 Meter. ren, deren Oberfläche zwischen 2000 und Welche Wassermenge, Kraft und Zeit sind 2300 Meter über Aleer lag, müssen wir die dazu notwendig gewesen! Ausbreitungs- und Besiedlungskraft des Lc- In allen Gebieten der Erde zeichnen sich bens uneingeschränkt bewundern. Der für un- derartig tiefe Talkessel durch eine ausgeprägte sere Betrachtung entscheidende Zeitabschnitt

90 nach dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher war die sogenannte nacheiszeitliche Wärme- période. Im Zeitraum von 8000 bis 4000 Jah- ren vor der Gegenwart war das Klima im Rheintal trockener und wärmer als heute. Aus ihren eiszeitlichen Rückzugsgebieten in Süd- und Osteuropa konnten damals viele wärme- liehende Pflanzen und Tiere in die Alpentäler einwandern. Nicht etwa nur kleine Kräuter, sondern auch Sträucher und Bäume gehörten zu den Einwanderern. So haben Haselstrauch und Eichen damals in großer Zahl den Weg zu uns gefunden. Vor 4500 Jahren wurde das Abb. 1 Ein Teil der inneralpinen Trockentäler. Die Klima kühler und feuchter. Die wärmelieben- punktierten Gebiete haben etwas mehr Niederschläge den Arten wurden von leistungsfähigeren, den als die extrem trockenen, schwarz dargestellten Tal- abschnitte. (Nach Bwira-BLiip/ei 1961.) neuen Bedingungen besser angepaßten Kon- kurrenten Als letzte blie- bedrängt. Refugien So wollen wir denn die kleinen Rheintaler ben ihnen die trockenen nur steilen, Südhänge Trockenrasen, die Schutthalden, die Föhren- Fuße des Calanda, den am an Bergsturzhügeln wälder und die wenigen Eichenbestände auf- im Räume Ems—Reichenau und auf den suchen, wo die wärmeliebenden Gewächse Schieferhängen in der Gegend Feldis, von und Insekten aus Süden und Osten ihre letzten und Auf diese Scheid, Paspels. Zufluchtsräume gefunden haben. Wir dürfen aber stark besonnten Böden konnten mageren, dabei allerdings keine tropische Üppigkeit und ihnen die Arten nicht fol- leistungsfähigeren keine große Farbenpracht erwarten. Die mei- Als der Mensch roden gen. später zu begann, sten fremden Wärmezeiger leben verborgen vermochten manche dieser Einwanderer ihr und drängen sich uns nicht auf. Areal wieder etwas auszuweiten. Auf vielen Magerwiesen und Allmenden fanden sie die Die Beifofwer der Trocketzruse« und ihnen zusagenden Lebensbedingungen Die Zahl der Pflanzen- und Tierarten, die gleichzeitig Schutz Konkurrenten. Heute vor unsere Talabschnitte vor anderen nordalpinen die seltenen sind für wärmeliebenden Arten Tälern auszeichnet und sie als Trockentäler die Schwierigkeiten wieder größer. Kunstdün- charakterisiert, ist beträchtlich. So ganz zu- Bauten oder das Vordringen des Waldes ger, fällig wird es sicher nicht sein, daß der in ihren Lebensraum ein. engen erneut Nur Chur aufgewachsene Pro/. Dr. /oshzs Bru««- schwer Flalden haben ihre Ur- zugängliche B/tf?ztjf»e£ sich im Laufe seines langen Lebens noch bewahren können. Aber sprünglichkeit besonders intensiv mit der inneralpinen Trok- ihre ist meistens In Ausdehnung gering. an- kenvegetation beschäftigt hat. Die ersten An- deren inneralpinen Trockentälern den bio- — regungen dazu hat ihm sicher seine engere und logischen Verwandten von Domleschg Heimat geboten. In seinem 1961 erschienenen Rheintal im Churer — etwa im Mittelwallis, grundlegenden Werk über die inneralpine oder oberen Aostatal gar im Durancetal in Trockenvegetation finden wir alle die vielen den Westalpen (Abb. 1) •—• sind derartige wärmeliebenden Einwanderer, die in der nach- trockenwarme Lebensräume viel ausgedehnter eiszeitlichen Wärmeperiode in die trockensten und reiner Unsern beiden Talab- ausgebildet. Talkammern der Alpen gekommen sind, zu- schnitten fehlt diese Aber auch Großzügigkeit. sammengestellt. Nur ganz wenig Beispiele da- die Beschränkung, die Enge, hat ihren Reiz von wollen wir hier erwähnen. und kann dem Kundigen manches Geheimnis Auch dem Laien ist klar, daß Lebewesen offenbaren. mit den gleichen Ansprüchen miteinander le-

91 Pflanzensoziologen als XeroBromefwm rae£i- cwm, was etwa mit Bündner Trockentrespen- rasen übersetzt werden kann. Ein Gras, die aufrechte Trespe (Broraws erectnsj, spielt darin nämlich eine dominierende Rolle. Eine lange Liste von Arten mit Angaben über ihre Bodenbedeckung und ihre Häufung ist not- wendig, um diese Pflanzengesellschaft wissen- schaftlich einwandfrei zu beschreiben. Wer ge- nau beobachtet, erkennt diese Trockenrasen schon aus großer Distanz. Am schönsten sind sie an der Scheidhalde (Abb. 2) ausgebildet. Sie grenzen dort wie auch an anderen Orten an Föhrenwald. Im Churer Rheintal ist die Ge- Abb. 2 Das Reservat Scheidhalde im vorderen Dom- Seilschaft nur in kleinen Flecken, unregel- leschg liegt gegenüber dem Schloß Orthenstein. An mäßig Fuße des Calanda zu den Trockenrasen (Xerobromeiwra raef«CK»j), links am zerstreut, unten im Bild, grenzt ein großer Föhrenwald. Der finden (Abb. 3). nach Süden besteht ganze, gerichtete Hang aus der Charakterarten dieser Bündnerschiefern und weist auch im oberen Teil eine Drei sogenannten reiche Flora und Fauna auf. für das Rheintal charakteristischen Vegeta- tionseinheit wollen wir hier zeigen (Abb. 4): Das Haar-Pfriemgras (Stipa capz7/ataj wirkt ben. Sie bilden eine Lebensgemeinschaft oder, nur durch seine Größe und seine Seltenheit. wenn wir uns auf die Pflanzen beschränken, Seine langen, steifen Grannen sind bei weitem eine Pflanzengesellschaft. Eine solche typische nicht so dekorativ wie beim häufigeren Feder- Artenkombination mit besonders vielen gras. Schöne Bestände finden wir davon nur wärmeliebenden Lebewesen aus Slid- und auf den Biindnerschieferhalden im Domleschg. Südosteuropa auf den trockenen, mageren Am Calandafuß leben nur noch einzelne Bündnerschiefer- und Kalkhalden des Dom- Exemplare dieser südosteuropäischen, zentral- leschgs und Churer Rheintales bezeichnen die asiatischen Art.

Abb. 3 Trockenrasen (Xerobrome- tttm raefiozmj am Fuße des Calandas über dem Rhein gegenüber der Ples- surmündung. Hier ist vor allem das hübsche Feder- gras fSn'pfl ga/ZicaJ sehr häufig.

92 Graser sind nie so populär wie großblütige Hülsenpflanze liegen am Boden und sind da- Frühlingspflanzen. Die dunkelvioletten Glok- her nicht leicht zu entdecken. Ihre nächsten ken der Berg-Küchenschelle (Tw/saU/Lz mon- Fundorte befinden sich im Tessin und im un- AmuJ gehören zu den ersten Pflanzen, die den teren Etschtal. Wie für viele andere Arten — Frühling ankünden. Sie gedeiht auch auf den z. B. auch für die Berg-Küchenschelle — stel- Trockenrasen im Wallis, fehlt aber merkwür- len Domleschg und Churer Rheintal für diesen digerweise dem Unterengadin. Viel weniger Tragant die letzten Refugien nördlich der AI- bekannt ist die gelbe Goldschopf-Aster pen dar und beweisen uns damit, daß es Zei- (Aster LmosynsJ. Erst im August öffnet sie ten gab, wo es solchen Wärmezeigern möglich ihre Blütenstände. An Schönheit kann sie es war, über die Alpen zu uns einzuwandern. sicher den mit Anemonen aufnehmen. Aber Jede Vegetationseinheit bietet auch be- im Sommer wagt sich kaum jemand auf die stimmten Tieren Nahrung und Lebensraum. heißen Trockenhänge, und die seltene Aster I.eider sind die genauen Zusammenhänge zwi- braucht nicht einmal auf der Liste der ge- sehen Pflanzengesellschaften und Tieren nur schützten Arten zu stehen. Da ihr die Zungen- in wenigen Fällen genügend erforscht. Aber sie auch blüten fehlen, wird man nicht ohne dem Naturfreund wird kaum entgehen, daß weiteres für eine Aster halten, wie das für die ab Mitte Mai über allen erwähnten Trocken- lebende selbstver- mit ihr violette Berg-Aster rasen ein wunderbarer Netzflügler mit großen, ständlich ist. schwarzgelben Flügeln unstet hin und her drei die Alle erwähnten Arten haben letzte fliegt. Für uns ist dieser Schmetterlingsjäger, Eiszeit in den eisfreien Gebieten Osteuropas daher auch der Name Schmetterlingshaft verbracht. Auf welchen Wegen sie zu uns ge- (Asca/ap/ms macaromasj, eines der schönsten kommen sind, läßt sich nur vermuten. Ihr Insekten (Abb. 5). Er gehört wie die angefiihr- heute Areal ist längst nicht mehr zusammen- ten Pflanzen zu den Charakterarten der Trok- hängend und weist sehr große Lücken auf. kenrasen. Seine Larven sind ähnlich den Ebenso isoliert sind die Bündner Standorte Ameisenlöwen, aber sehr schwer zu finden. des französischen Tragant fAsfragu/ws mou- Sehr wahrscheinlich lebt auch das seltenste spessw/flMMsj (Abb. 4), einer seltenen Cha- Insekt Graubündens, die Saga pedo, im Xero- rakterart der trockenen Südhänge von Filisur ferometz/m. Diese eigenartige, zehn Zentimeter bis Mastrils. Die tiefroten Blütenstände dieser lange Heuschrecke Abb. 5) fängt mit ihren

Abb. 4 Vier seltene Arten der nordbündnerischen Trok- kenrasen: Oben links: Haar-Pfriem- gras (SAptz atpi/tatfj. Oben rechts: Französischer Tragant (Astraga/ws z;;o;z- spessK/a««sj. Unten links: Goldschopf- Aster (Aster LmosynsJ- Unten rechts: Berg-Küchen- schelle (Pzz/s«Z;7/a monZaKtfJ.

93 Abb. 5 Seltene Insekten der Trok- kenrasen: Oben links: Schmettelings- haft (Asca/ap/ms znacaro- H/'/iik Oben rechts: Große, im Boden nistende Sandbiene (Awdrena vagaj. Unten links: Saga pedo, die seltenste, zehn Zenti- meter lange Heuschrecke der Schweiz. Unten rechts: Segelfalter (7p/;/c//des poda/fn'ws,) auf dem kleinen Seifenkraut.

Vorderbeinen andere Insekten und ist außer- ist neben den Follatères im Unterwallis ihr ordentlich gut getarnt. Auf Grund ihrer ge- einziger Lebensraum in der Schweiz. genwärtigen Verbreitung von West-Sibirien Unsere Beschreibung muß Stückwerk blei- über Südost-Europa bis nach Spanien muß ben. Welch großer Zahl von bunten Sehntet- auch Stfgu ein Relikt aus der nacheiszeitlichen terlingen, von flinken Einsiedlerbienen (Abb. 5), Wärmezeit sein. Nur im Donautal konnten sie von Käfern und anderem Kleingetier können sich noch etwas weiter nach Norden ausbrei- wir bei genügend Ausdauer auf den Trocken- ten. Aber das Refugium am Fuße des Calanda rasen begegnen! Wir wollen aber noch kurz

Abb. 6 Zwei verborgen lebende, mediterrane Pflanzen des Rheintales: Links: Der weiß blühende Alpen-Seidelbast (Döp£>»e a/pmaj. Rechts: Der violette Dingel (Wwot/onoM abort/'i/Mw).

94 ihre Umgebung untersuchen. Wenn wir Glück daher Domleschg und Churer Rheintal aus. haben, treffen wir dabei auf zwei eigenartig Sie geben ihnen ihre Sonderstellung. schöne Gewächse (Abb. 6): Der Alpen-Seidel- bast fDap/me ß/pmaj lebt auf Kalkschutt und Die /efzte« F/z//?tT«e;z Kalkfelsen in der Nähe von Föhren- und Eichenwäldern. Seine kleinen Blüten sind Praktisch alle Alpenflüsse sind in ihren leuchtend weiß, die Blätter graugrün und un- Unterläufen eingedämmt. Die großen perio- auffällig, so daß man fast von einer Tarn- disch überschwemmten Schotter- und Sand- färbe sprechen kann und die knorrigen bänke sind bis auf wenige kümmerliche Reste Sträuchlein im grauen Kalkschutt oft nur mit verschwunden. Solche Auen bestimmten noch Mühe findet. Daß diese Pflanze auch im Süd- im letzten Jahrhundert das Bild aller Täler tirol und Südtessin, z. B. auf dem Monte San unseres Landes. So sind die Vorderrhein- Giorgio und Monte Generoso, vorkommt, be- schlucht Ruinaulta bei Versam und das Hin- weist uns einmal mehr die klimatische Vor- terrheinstück von Rothenbrunnen bis Rei- zugsstellung unseres Rheintales. chenau die letzten Reste eines Landschaftsele- mentes, das früher allgemein verbreitet war. Noch schwerer zu finden ist eine südeuro- Hier sind es weniger die seltenen Pflanzen und päische Orchidee, der violette Dingel fL/'/no- Tiere, die uns beeindrucken. Sie waren vor tfono/z u6orf;un;»J. Die wenigen Exemplare den Korrektionen weit verbreitet und stellen der düsteren Pflanze leben in lichten Eichen- keine Spezialität der Trockentäler dar. Die wäldern. Ihre Blüten bleiben meist geschlos- urtümliche Flußlandschaft als Ganzes stellt sen. Wer sie einmal an einem sonnigen Tag die Kostbarkeit dar. Hier in diesen Auen, entfaltet antrifft (Abb. 6), wird erstaunt sein im Mai oder der Rhein Hochwas- über ihre Größe und ihre zartvioletten Färb- wenn Juni ser führt, ahnt die Kraft des töne. man gewaltige Wassers und der ganzen Natur. Hier ist nichts Wir könnten mit der Beschreibung siid- und beständig. «Alles fließt.» Das zeigt uns auch südosteuropäischer Arten noch lange fortfah- die Vegetation. Nur in wenigen Lebensräu- ren. Trockenrasen, Felsensteppen, Eichen- und men kann man die Entwicklung der Pflan- Föhrenwälder sind ihre bevorzugten Lebens- zendecke besser verfolgen und miterleben räume. Diese Pflanzengesellschaften zeichnen (Abb. 7).

Abb. 7 Schotterbank am Rhein zwischen Rothenbrunnen und Rhäzüns, die langsam von Pionierpflanzen über- wachsen wird. Links und rechts haben Weiden und Grauerlen die anspruchs- losen Pioniere ersetzt.

95 Auf frischen Kies- und Sandbänken können finden im Sand bald auch ihre sonderbaren sich als erste Bewohner alpine Schutthalden- Larven. In senkrechten Stollen führen auch pflanzen festsetzen. Sie sind für Rohböden sie ein räuberisches Dasein. Bei der geringsten spezialisiert und leisten rasche und gute Pio- Störung verschwinden sie in der Tiefe und zei- nierarbeit. Man ist daher nicht wenig erstaunt, gen ihren komischen, deckelartigen Kopf erst auf 600 Meter Höhe über Meer echte Alpen- wieder nach langer Wartezeit. Die sehr kleine pflanzen vor sich zu finden: Gipskraut, Sandläuferart C/ctWe/a are?;an<3 (Abb. 8) muß Alpen-Leinkraut, kleine Glockenblume, AI- nach den Berichten früherer Entomologen auf pen-Margerite, Feld-Spitzkiel und andere über den vielen Sandufern und Sandbänken von der Waldgrenze verbreitete Arten können in Thusis bis zur Kantonsgrenze häufig gewesen gewissen Jahren sehr zahlreich sein. sein. Gegenwärtig scheint sie nur noch auf den Den Alpenschwemmlingen folgen Gräser natürlichen Uferstreifen unterhalb Oldis bei und bald auch Weiden, Sanddorn und Tama- Haldenstein zu leben. risken (Abb. 7). Zwischen diesen Gebüschen Einen faszinierenden Anblick und eine be- scheuchen wir auf dem sandigen Boden viele sondere Rarität bilden auf lehmig sandigem gut getarnten Käfer auf. Die flinken Tierchen Schlickboden die Bestände des kleinen Rohr- sind Sandläufer (Abb. 8), Fleischfresser mit kolbens (Abb. 9). Das dunkle Braun der weib- mächtigen, scharfzähnigen Oberkiefern. Wir liehen Kolben bildet einen eigenartigen Kon-

Abb. 8 Die räuberischen Sandläu- fer sind scheu und sehr gut getarnt. Links: Die häufige Art Ci- rinde/n si/naüca. Rechts: Der viel seltenere, kleine Cicinde/a germanica.

Abb. 9 Der Bestand des kleinen Rohrkolbens (Typ/tetom mi- nimij unterhalb von Ro- thenbrunnen beeindruckt vor allem durch die vielen braunen weiblichen Kolben. Hier läßt sich auch erkeii- nen, wie einheitlich eine Pflanzengesellschaft aufge- baut sein kann.

96 trast zum Gelbgriin der Stengel und Blätter. rührten besonders stark. Unsere Zeit wertet Auch dieses Typ/jef/wz rahhrai war früher viel Menschenwerk immer noch weit höher als verbreiteter. Flußkorrektion und Kiesausbeu- alles von der Natur Geschaffene. Wohl stehen tung haben die Gesellschaft fast überall ver- die hier erwähnten Lebensräume in den Listen drängt. Offenbar behagt diese Gesellschaft der schützenswerten Landschaften von natio- auch dem Schmetterlingshaft Asca/ap/jtts, naler und kantonaler Bedeutung. Vertraglich denn bei Ravetg unterhalb von Rothenbrun- geschützt sind aber nur der Trockenhang nen schwebt er ebenso zahlreich über den Tuleu bei , der Bergsturzrest und das Rohrkolben wie über den Trocken rasen. Ried «Pardisla» bei Paspels und der Eichen- Die Entwicklung der Pflanzendecke bleibt wald «Asella» bei Tamins. Die Welt braucht aber nicht bei der Rohrkolbengesellschaft Boden, Verkehrswege und Kies. Die Trocken- oder beim Sanddorn-Tamarisken-Weidege- rasen mit ihren seltenen Relikten aus der Ver- biisch stehen. Allmählich rücken die Grau- gangenheit und die Flußauen bleiben gefähr- erlen nach. Erlen festigen den Boden noch det. Dürfen wir nicht hoffen, daß man Pflan- besser und können auch bei Hochwasser zen, Tiere und Landschaften als unersetzliche nicht mehr weggespült werden. Nur Föhren- Dokumente bald ebenso hoch einschätzen oder Fichtenwälder stellen eine noch höhere wird wie Bauwerke? Entwicklungsstufe der Vegetation dar. Auf Im Domleschg und Churer Rheintal haben alten Terrassen bilden sie die sogenannten wir viele Lebewesen, die Beachtung und Schlußgesellschaften oder die produktivsten Schutz verdienen würden, denn vernichtetes Pflanzendecken. Leben kann nie mehr ersetzt oder restauriert Wer heute versucht, Naturlandschaften mit werden. ihren Lebewesen zu beschreiben, spürt die Vergänglichkeit alles Natürlichen und Unbe- Alle Aufnahmen: E. Steinmann

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