Medien und Transformation in Südostasien

Martin Ritter (Hrsg.)

Fallstudien zu Indonesien, Thailand, Malaysia, Kambodscha, und Vietnam

Schriftenreihe 2 Martin Ritter (Hrsg.) Medien und Transformation in Südostasien Schriftenreihe Band 2 Martin Ritter (Hrsg.)

Medien und Transformation in Südostasien

Fallstudien zu Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam

Schriftenreihe der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft Band 2 Erfurt, Januar 2008

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Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft e.V. (TKG) Begegnungsstätte „Kleine Synagoge“ An der Stadtmünze 4/5 99084 Erfurt

Umschlaggestaltung und Druck: McCopy GmbH, Leipzig Umschlagfoto: Jörg Hartmann

ISBN: 978-3-9811860-1-7 www.tkgev.org Inhaltsverzeichnis

Vorwort 6

Sibylle Augsburger 10 Indonesisches Mediensystem im Wandel Eine Analyse der Medienpolitik während des Demokratisierungsprozesses

Anett Keller 46

Pressefreiheit in Indonesien – Fragen redaktioneller Autonomie in einem sich transformierenden Mediensystem

Ein Vergleich der vier überregionalen Tageszeitungen: Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika

Helena Balaouras 94 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Vanessa Biese 134 Pressefreiheit in Thailand Die Regierungszeit Thaksin Shinawatras

Martin Ritter 172 Das Fernsehen der Kambodschaner Garant für ein erfolgreiches Khmer-Rouge-Tribunal?

Anke Timmann 204 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem Ein erster Schritt in Richtung demokratischer Wandel?

Carolin Müller 232 Mediennutzung in Vietnam

5

Vorwort

Die Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft schaut über den Tellerrand. Traf dies bereits für den ersten Band dieser Schriftenreihe zu – wo das Wort „Thüringen“ lediglich nur noch in unserem Namen vorkam und die Autorin Charlotte Veit als Saarbrückerin nun wahrlich nicht aus der Nähe Thüringens stammte – wird dieser zweite Band wirklich international. Nicht nur Kambodscha steht im Mittelpunkt unseres Interesses. Denn, wir verlassen erstmalig fest etab- lierte Muster und schauen sprichwörtlich weit über den Tellerrand hinaus. In den Focus rücken Kambodschas Nachbarländer Thailand, Vietnam und Laos, aber auch die beiden Staaten Insel-Südostasiens Indonesien und Malaysia. Wie der erste Band entstammt dieser Zweite dem Fachbereich der Medien- und Kommunikationswissenschaft, wobei nochmals explizit erwähnt wer- den soll, dass dies sich im weiteren Verlauf der Schriftenreihe ändern soll und auch wird. An einem wesentlichen Bestandteil dieser Schriftenreihe haben wir auch beim zweiten Band festgehalten. Uns liegt es am Herzen, gerade dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Forum zu bieten. Sieben junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen in diesem Band ihre Forschungen vor. Auch freut es uns – um bei der einleitenden Metapher „Blick über den Tellerrand“ zu bleiben – dass zwei von ihnen aus unseren deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und der Schweiz stammen. Wir hoffen, dass es lediglich eine Frage der Zeit ist, bis in dieser Schriftenreihe auch asiatische – hoffent- lich auch kambodschanische – Wissenschaftler publizieren. Aus unserer Sicht sind sie alle hierzu gern aufgerufen und wir sind bereit, weit über den Tellerrand zu schauen. Dieser Band hat eine längere Vorgeschichte. Im Wintersemester 2005/06 und im Sommersemester 2006 hielt ich, Martin Ritter, am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Uni- versität Erfurt zwei Einführungsseminare zu den Mediensystemen Asiens. Von Seiten der Studie- renden wurde der Literaturstand mehrmals kritisiert. Zwar existieren mit dem „Handbook of the Media in Asia”, dem „Asian Communication Handbook” und dem „Internationalen Handbuch Me- dien“ drei Standardwerke die überblicksartig die Strukturen der Mediensysteme vorstellen, Erklä- rungen für differente Muster liefern die Beiträge jedoch selten. Bei meinen sich anschließenden Recherchen bin ich auf verschiedene Abschlussarbeiten gestoßen, die absichtlich nicht die jeweili- gen Medienlandschaften in ihrer ganzen Breite ins Visier nehmen, sondern sich auf Einzelphäno- mene konzentrieren. Beispielsweise gelingt es Carolin Müller herauszuarbeiten, dass in Vietnam mit deutlicher Reduzierung der Analphabetenquote zwar erwartungsgemäß die Mediennutzung von Zeitungen zunimmt, trotzdem die Zahl der Zeitungsleser auf dem Land sehr gering bleibt. Nach Carolin Müller ist auch nicht der verhältnismäßig hohe Kaufpreis Ursache für ihre Beobachtungen, vielmehr spielen die Kommunikationsregeln in den Dorfgemeinschaften eine entscheidende Rolle. Das vietnamesische Dorf unterstützt mit seinen festen Strukturen traditionell orale Kommunikation. Das Lesen bleibt den Dorfbewohnern weiterhin fremd. Dieses Beispiel soll im Ansatz das Ziel die- ses Sammelbandes verdeutlichen, wo es darum geht, mit solchen und ähnlich gelagerten Beobach- tungen, uns fremde Phänomene erklärbar zu machen.

7 Es sei folglich vorweggenommen, dass die einzelnen Beiträge keiner vorgegebenen Struktur folgen und im Aufbau miteinander nicht vergleichbar sind. Die thematische Breite variiert deutlich und reicht von der Makro-, über die Meso- bis zur Mikroebene. Ziel dieses Sammel- bandes ist es, die Mediensystemübersichten – wie sie u.a. vom Hans-Bredow-Institut im „In- ternationalen Handbuch Medien“ veröffentlicht werden – aufbauend zu ergänzen und zu ver- tiefen. Dem kundigen Sammelbandleser wird auffallen, dass eine Einleitung und ein zusam- menfassendes Schlusskapitel fehlen. Dies liegt an der erwähnten thematischen Breite. Es macht unseres Erachtens wenig Sinn, einen breit angelegten Abriss über die Pressefreiheit in Laos mit beispielsweise der Arbeit in Zeitungsredaktionen in Indonesien oder mit der Fern- sehberichterstattung über die Rote-Khmer-Zeit in Kambodscha oder auch mit dem Medien- nutzungsverhalten in Vietnam in einleitender bzw. zusammenfassender Form zusammenfüh- ren zu wollen. Der Sammelband bleibt was er ist, eine Sammlung unterschiedlicher Fallstu- dien der Länder Südostasiens. Als das eine zusammenfügende Element wurde das Wort „Transformation“ gewählt. Schließ- lich befinden sich alle berücksichtigten Länder in zum Teil stürmisch verlaufenden Wand- lungsprozessen, die sich deutlich in den jeweiligen Medienlandschaften widerspiegeln. Und somit bedauern wir – und diese Bedauerung wiegt wirklich schwer – dass alle Fallstudien lediglich einen kurzen Moment einer sich schnell verlaufenden Entwicklung abbilden können und es eben nur begrenzt möglich ist, die Prozesshaftigkeit umfassend darzustellen. Letztendlich gilt unser Dank allen Autorinnen und Autoren, die bereitwillig ihre umfangreichen Abschlussarbeiten für diesen Sammelband überarbeiteten und die somit mit ihren Analysen vor Ort die medien- und kommunikationswissenschaftliche Südostasienforschung bereichern. In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern beim Studieren dieses Sammelbandes viel Freude.

Erfurt, Januar 2008

Martin Ritter Oda Riehmer Mathias Geßner Katrin Iost

Vorsitzender Herausgeber der Schriftenreihe Thüringisch-Kambodschanische Gesellschaft e.V.

8 Fallstudien zu Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam Abstract

In den letzten Jahren haben in Indonesien auf verschiedensten Ebenen große Veränderungen stattgefunden: Wirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Modernisierung und der Wandel zu einer demokratisch geprägten politischen Ordnung. In der Untersuchung wird danach gefragt, wie sich das Mediensystem vor dem Hintergrund des politischen Wandels verändert hat. Medienrechtliche Dokumente sowie Stellungnahmen relevanter Akteure zur Institutionalisierung des indonesischen Mediensystems werden einer qualitativen Inhalts- analyse unterzogen. Der Wandel der Gesetzesbasis und der impliziten Vorstellungen behördlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure über Steuerung, Funktion und Autonomie der Medien wird für den Zeitraum von 1994, als die Liberalisierungsphase eingeläutet wurde, bis 2002, als das vorläufig letzte relevante Mediengesetz verabschiedet wurde, diskutiert.

Autorin Sibylle Augsburger, geboren 1976 in Basel/Schweiz, absolvierte nach der Matura eine Ausbil- dung zur Journalistin. Danach studierte sie Publizistikwissenschaft, Volkskunde und Politikwis- senschaft an der Universität Zürich. Seither ist Sibylle Augsburger als Redakteurin tätig. Mehre- re Reisen führten sie nach Südostasien.

10 Indonesisches Mediensystem im Wandel Eine Analyse der Medienpolitik während des Demokratisierungsprozesses

Sibylle Augsburger

1 Indonesien im Umbruch – indonesisches Mediensystem im Wandel In den letzten Jahren haben in Indonesien auf verschiedenen Ebenen große Veränderungen stattgefunden: Wirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Modernisierung und der Wandel zu einer demokratischen Politordnung. Die viertbevölkerungsreichste Nation wandelte sich von einer autoritären Ordnung zu einer jungen Demokratie. Nach den letzten turbulenten Jahren der Neuen Ordnung (Orde Baru) trat Präsident Suharto nach 32-jähriger Herrschaft 1998 aufgrund anhaltender Proteste zurück. Die ehemals autoritäre, durch das Militär und seine zivile Gefolg- schaft dominierte Gesellschaft sollte in eine funktionsfähige Demokratie umgewandelt werden. Seit dem Ende des autoritären Regimes lassen sich nicht nur politische und gesellschaftliche Ver- änderungen beobachten, sondern auch verschiedene Entwicklungsverläufe im Mediensystem. Die verfassungsgemäße Verankerung der Pressefreiheit sowie der Entwurf eines neuen Presse- und Rundfunkgesetzes standen auf der indonesischen Reformagenda an vorderster Stelle. Ziel war die Schaffung einer offenen und zugänglichen Öffentlichkeit.1 Während der Neuen Ordnung waren die Massenmedien durch zwei Einflussfaktoren entscheidend geprägt: Die wirtschaftliche Ent- wicklung des Landes und die Einbindung in das politische System. Einerseits gewann die Wer- bewirtschaft an Bedeutung, so dass die Werbeeinnahmen zu einem wichtigen Faktor und die Me- dien zu bedeutenden Unternehmen wurden, andererseits wurden die Medien stark durch die Re- gierung kontrolliert. Verschiedene Gesetze und informelle Bestimmungen schränkten die Medien- freiheit ein. Eine politische Kontrollfunktion wurde nach dem Dekret des Informationsministeri- ums explizit abgelehnt und im Gegensatz dazu eine konsensorientierte, der Einheit und Entwick- lung des Landes förderliche Presse propagiert. Die Medien sollten die Regierung in ihren Ent- wicklungs- und Modernisierungsprogrammen unterstützen. „Suharto described the news media as government’s partner in the process of nation building and urged journalists to be vigilant and attentive in efforts to discourage the growing elements of narrow individualism and to protect the spirit of unity.“ 2 Nach einem Gesetz aus dem Jahre 1985 mussten die Medien, wie alle gesell- schaftlichen, religiösen und politischen Organisationen, die fünf gesellschaftlichen Pfeiler Panca- sila als ihren alleinigen Grundsatz anerkennen.3 Diese Staatsphilosophie, die bereits im Zuge des Unabhängigkeitskampfs entstanden war und die Basis der Verfassungspräambel bildete, beruht auf folgenden Prinzipien: (a) nationale Einheit, (b) gerechte und zivilisierte Menschheit, (c) Glau- be an einen Gott, (d) soziale Gerechtigkeit für das gesamte indonesische Volk und (e) Demokratie im Sinne allseitiger Zustimmung nach gegenseitiger Beratung. Staat und Gesellschaft wurden als

1 Manzella, 2000, 324. 2 Romano, 2003, 44.

11 Indonesisches Mediensystem im Wandel organische Einheit begriffen und der Präsident als Vater der Nation betrachtet.4 Von der Staatsphi- losophie abgeleitet galt für die Medien zudem das Prinzip SARA, ein Akronym nach welchem fol- gende Themen für alle Medien tabu waren: Ethnizität, Religion, Rasse und soziale Klasse. Ebenso nicht erlaubt war Kritik an Präsident Suharto, seiner Familie oder den Streitkräften.5 In einem 1997 vom Department of Foreign Affairs publizierten Positionspapier heißt es zum Inhalt der Medien- berichterstattung: „The emphasis is on information that people need for day-to-day decision- making (business and economic news, for example), information that will help educate and nour- ish intellectually, and information that inspires people to contribute to the well-being of commu- nity.” 6 Als indirekte Zensur kann die sogenannte Telefonkultur bezeichnet werden. Regierungs- angehörige oder Angehörige der Streitkräfte teilten Journalisten per Telefon mit, was sie zu be- richten hatten, was nicht erwähnt werden durfte und unter welchem Blickwinkel die Berichterstat- tung erfolgen sollte. Die Journalisten und Verleger sollten dadurch eingeschüchtert und zur Aus- übung von Selbstzensur bewogen werden.7 Mit dem einsetzenden Demokratisierungsprozess haben sich die Medienstrukturen verändert, neue Mediengesetze traten in Kraft und die Medienlandschaft scheint in neuer Vielfalt zu erblü- hen. Im Folgenden wird der Medienwandel im Kontext der politischen Transformation betrachtet. Entsprechend werden Ansätze der Medien- und Kommunikations- sowie Politikwissenschaft zur Bildung einer medienbezogenen transformationstheoretischen Grundlage verbunden. In Anleh- nung an die Transformationsforschung wird der Demokratisierungsprozess in Phasen aufgeteilt und parallel die Mediengesetzgebung dargestellt. Medienrechtliche Dokumente sowie Stellung- nahmen relevanter Akteure werden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen und vergleichend ausgewertet. Konkret wird nach Veränderungen in Bezug auf die Institutionalisierung des Me- diensystems und die damit verbundenen Vorstellungen über Steuerung, gesellschaftliche Funktio- nen sowie Autonomie und Freiheit der Medien gefragt. Zeitlicher Rahmen der Analyse bildet der Zeitraum von 1994, als die Opposition gegen das autoritäre Regime an Bedeutung gewann und die Liberalisierungsphase eingeläutet wurde, bis 2002, als das vorläufig letzte relevante Medien- gesetz verabschiedet wurde. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welcher Zusammen- hang zwischen der Medienentwicklung und der politischen Transformation besteht. Alle vier An- sätze der erweiterten Transformationstheorien, das heißt system-, struktur-, kultur- und akteurs- theoretische Überlegungen, werden in die Betrachtung einbezogen.

2 Mediensituation während der Liberalisierungsphase: Redaktionsschließungen und erstes Rundfunkgesetz (1994-1997) Dem Ende des autoritären Regimes ging in Indonesien eine mehrjährige Liberalisierungsphase voraus. Diese war durch die wachsende Opposition gegenüber dem autoritären System sowie die Währungs- und Wirtschaftskrise gekennzeichnet. Nachdem es zu Beginn der 1990er Jahre zu kei-

3 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 129. 4 Antlöv, 2000, 210. 5 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 130. 6 Paper by the Department of Foreign Affairs, 1997, 5. 7 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 130.

12 Indonesisches Mediensystem im Wandel nen Redaktionsschließungen mehr kam und Präsident Suharto 1990 anlässlich einer Rede zum Unabhängigkeitstag eine neue Ära der Öffnung ankündigte und mehr Medienfreiheit versprochen hatte, sprachen einige Analysten von einer Liberalisierungsphase, die mit glasnost in der Sowjet- union verglichen wurde.8 Umso unerwarteter war das Verbot der drei beliebten Nachrichtenma- gazine Tempo, DeTik und Editor im Jahr 1994. Die drei Magazine mit einer Auflage von insge- samt 700.000 Exemplaren hatten über politisch heikle Themen, wie Korruption und die Differen- zen zwischen den politischen und militärischen Eliten, berichtet. Während in der Vergangenheit Redaktionsschließungen in der Öffentlichkeit nur spärliche Reaktionen ausgelöst hatten, führten diesmal die Redaktionsschließungen zu Protesten sowohl auf der Strasse als auch innerhalb der Eliten.9 Gleichzeitig formierte sich auch unter den Journalisten Widerstand. Im August 1994 wur- de in Sirnagalih, West Java, als direkte Folge der Redaktionsschließungen die Aliansi Jurnalis In- dependent (AJI) gegründet und die Sirnagalih-Deklaration von 85 Journalisten und Intellektuellen unterzeichnet. „We reject all kinds of interference, intimidation, censorship and media bans which deny freedom of speech and open access to information. We reject one-side information advanced for the benefit of individuals or groups in the name of national interest.” 10 Als radikale Alternative zur staatlich kontrollierten Journalistenorganisation Persatuan Wartawan Indonesia (PWI) setzte sich AJI während den letzten Jahren der Neuen Ordnung für Meinungs- und Presse- freiheit ein und publizierte im Untergrund die alternative Zeitung Suara Independen. Von der Re- gierung wurde AJI nicht anerkannt. Wer die Sirnagalih-Deklaration unterschrieben hatte und sich offiziell zu AJI bekannte, musste mit Repressionen rechnen.11 Knapp ein Jahr vor seinem Rücktritt unterzeichnete Präsident Suharto am 29.09.1997 das erste Rundfunkgesetz Indonesiens, Act no 24/1997. Der Unterzeichnung vorausgegangen war eine ins- gesamt zehnjährige Vorbereitungszeit. Noch im Sommer 1997 weigerte sich Suharto den ersten Entwurf zu akzeptieren. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass das Gesetz letztendlich ohne Einbezug zivilgesellschaftlicher Gruppen vom Informationsministerium erarbeitet wurde.12 Dass die Einführung einer Rundfunkgesetzgebung während der Neuen Ordnung so lange herausgezö- gert wurde, liegt im knapp 30-jährigen Monopol des staatlichen Rundfunks begründet. Mit der Zulassung von privaten Fernsehsendern, der expandierenden Informationsindustrie sowie der zu- nehmenden Internationalisierung wurde eine gesetzliche Regelung jedoch unumgänglich.13 Radio und Fernsehen werden im ersten Rundfunkgesetz als Bestandteil der nationalen Entwick- lung und als Mittel zur Realisierung der indonesischen Ideale beschrieben.14 Die Regulierung des Rundfunks basiert auf den Verfassungsgrundsätzen sowie der Pancasila-Philosophie und erfolgt im Sinne des öffentlichen Interesses durch die Regierung.15 Im Sinne eben jenes öffentlichen Inte-

8 Sen/Hill, 2000, 54. 9 Romano, 2003, 167. 10 Article XIX, 1994, 20. 11 Romano, 2003, 90. 12 Kitley, 2000, 299. 13 ebenda, 300. 14 Act no. 24/1997 Considering. 15 Act no. 24/1997 Art. 2.

13 Indonesisches Mediensystem im Wandel resses müssen verschiedene Ziele erreicht werden: Das Rundfunkangebot muss Information, Bil- dung und Unterhaltung beinhalten und möglichst für alle Bürger empfangbar sein. Darüber hinaus soll Radio und Fernsehen zur Stärkung der Ideologie, der Politik, der Wirtschaft, der Soziokultur und der Sicherheit beitragen.16 Entsprechend werden dem Rundfunk eine Reihe von Aufgaben zugewiesen: Er soll (a) einen Beitrag zur Stärkung der intellektuellen und moralischen Charakter- stärke der Gesellschaft leisten, (b) das kulturelle Bewusstsein schärfen, (c) die nationale Disziplin und das Rechtsbewusstsein erhöhen, (d) die aktive Rolle der Gesellschaft bei der Entwicklung fördern, (e) die nationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern sowie (f) den Aufbau einer dynami- schen und prosperierenden Gesellschaft unterstützen.17 Die Entwicklung und Überwachung des Rundfunksektors liegt in der Kompetenz der Regierung. Zu derer Unterstützung wurde ein soge- nanntes National Broadcasting Advisory and Supervisory Board gegründet.18 Die Organisation des Rundfunks ist somit unter einem nationalen Dach zusammengefasst,19 wobei grundsätzlich zwischen staatlichen und privaten Rundfunkanbietern unterschieden wird. Hinsichtlich der staatlichen Programme werden besondere Ziele genannt: Es muss gewährleistet sein, dass die Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Schichten berücksichtigt und zielgruppenorientierte Bil- dungsprogramme ausgestrahlt werden.20 Die staatlichen Rundfunkprogramme werden durch Gebüh- ren, staatliche Zuschüsse und einen 12½-Prozent Anteil der privatrundfunklichen Werbeeinnahmen finanziert.21 Bereits im April 1981 verbot Suharto jegliche Werbung im staatlichen Fernsehen. Seine Entscheidung begründete er mit der Ansicht, dass Werbung für die Entwicklung kontraproduktiv sei.22 Dies hatte zur Folge, dass die Regierung die jährlichen Zuschüsse für das staatliche Fernsehen TVRI auf 10 Mrd. Rupiah (116.056 US$) verzehnfachte. Trotz dieser Erhöhung konnten die steigen- den Ausgaben nicht gedeckt werden und TVRI hatte zunehmend mit Finanzproblemen zu kämpfen.23 Privatrundfunk definiert sich durch seine Gewinnorientierung.24 In den Artikeln 12-13 sind die Bestimmungen zum Besitz privater Rundfunkanstalten aufgeführt: (a) die Beteiligung von aus- ländischen Kapitalgebern ist untersagt,25 (b) die marktbeherrschende Stellung eines einzelnen Anbieters ist nicht zulässig26 und (c) der gleichzeitige Besitz einer privaten Rundfunkanstalt und eines Printunternehmens ist nur beschränkt möglich, wobei die Regierung diesbezüglich Auflagen erlässt.27 Alle privaten Rundfunkveranstalter benötigen eine Lizenz.28 Die Rundfunklizenzen wer- den vom Informationsministerium für eine Zeitdauer von 5-10 Jahren vergeben.29

16 Act no. 24/1997 Art. 3-5. 17 Act no. 24/1997 Art. 6.a-f. 18 Act no. 24/1997 Art. 7. 19 Act no. 24/1997 Art. 8. 20 Act no. 24/1997 Art. 10.4. 21 Act no. 24/1997 Art. 10.7. 22 Kitley, 2000, 276. 23 McDaniel, 1994, 261. 24 Act no. 24/1997 Art. 11. 25 Act no. 24/1997 Art. 12.1. 26 Act no. 24/1997 Art. 13.1. 27 Act no. 24/1997 Art. 13.2. 28 Act no. 24/1997 Art. 17.1. 29 Act no. 24/1997 Art. 17.2.

14 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Um die Steuerungsziele des Rundfunks zu erreichen, werden Quoten vorgegeben: Der indo- nesische Programmanteil muss sowohl beim staatlichen als auch beim privaten Rundfunk mindestens 70% betragen.30 Die privaten Rundfunkanbieter sind darüber hinaus verpflichtet, gewisse Programmteile des staatlichen Rundfunks zu übernehmen. Dazu zählen Nachrichten- programme und öffentliche Ankündigungen durch die Regierung.31 Alle Rundfunkanbieter müssen sich an die „good manners of broadcasting“ halten, was bedeutet, dass die Pro- gramminhalte das nationale Leben nicht negativ beeinflussen dürfen. Die Inhalte der gesam- ten Berichterstattung müssen mit der indonesischen Identität und Kultur übereinstimmen.32

3 Mediensituation während dem Ende des autoritären Regimes: Suhartos Medienkontrolle schwindet (1998) Auf Grund seiner bis 1998 zwar schwankenden, aber nach wie vor bestehenden Machtbasis, wurde Suharto am 10.03.1998 von der verfassungsgebenden Volksversammlung MPR für weitere fünf Jahre als Präsident gewählt. Suharto trat seine siebte Amtsperiode an, während Studenten auf den Strassen erneut protestierten. Als die Regierung den Auflagen des Interna- tionalen Währungsfonds (IWF) folgend die Elektrizitäts- und Treibstoffpreise um bis zu 70 Prozent erhöhte, weiteten sich die Proteste auf breite Bevölkerungskreise aus. Höhepunkt bil- dete die Besetzung des Volkskongresses in Jakarta. Zum Andenken an die sechs Tage zuvor durch militärische Sicherheitskräfte getöteten vier Studenten an der Trisakti-Universität be- setzten die Demonstranten das Gelände und lösten dadurch im ganzen Land weitere Massen- demonstrationen und teilweise gewalttätige Krawalle aus.33 Suhartos letzter politischer Ver- such, sich mit einem Reformkabinett an der Macht zu halten scheiterte. Die eigenen Golkar- Mitglieder verweigerten ihm die Unterstützung.34 Am Morgen des 21.05.1998 verkündet Su- harto nach 32-jähriger Herrschaft in einer kurzen Fernsehansprache seinen Rücktritt. Kurz vor seinem Rücktritt versuchte Suharto die Kontrolle über die Medien nochmals zu ver- stärken. Ein amtlicher Zensor sollte direkt innerhalb der Rundfunkunternehmen etabliert wer- den.35 Dazu war es jedoch zu spät. Der private Fernsehsender IVM, der Bestandteil eines füh- renden indonesischen Wirtschaftskonglomerats (Salim Gruppe) war, berichtete als erster Sen- der über die wachsenden Proteste gegenüber dem autoritären Regime. Kurze Zeit später nah- men alle privaten Rundfunkanstalten die Berichterstattung auf. Als die Ausschreitungen am 18.05.1998 in Jakarta ihren Höhepunkt erreichten, waren erstmals auch im staatlichen Fernse- hen TVRI Bilder der Studentenproteste zu sehen. „While the students were occupying the House of Representatives, all television stations were highly competitive in looking for unique news angles, new resources and forms of reporting.“ 36

30 Act no. 24/1997 Art. 32.1-2. 31 Act no. 24/1997 Art. 35.1-2. 32 Act no. 24/1997 Art. 52.1-2. 33 Schwarz, 1999, 354 ff. 34 Emmerson, 1999, 302. 35 Neumann, 2000, 14. 36 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148.

15 Indonesisches Mediensystem im Wandel

4 Mediensituation während der Institutionalisierungsphase: Zwischen alten und neuen Mediengesetzen (1998-1999) Der Verfassung folgend übernahm Vizepräsident Habibie die Regierungsgeschäfte und rief die verfassungsgebende Volksversammlung im November zu einer speziellen Sitzung zu- sammen, um für das darauf folgende Jahr demokratische Wahlen vorzubereiten.37 Unter der Übergangsregierung wurden erste grundlegende Reformen verabschiedet. So wurde die Par- teienbeschränkung aufgehoben und die Gewerkschaftsfreiheit eingeführt. In der Zeit zwischen Mai 1998 und Juni 1999 wurden über 100 Parteien gegründet, von denen schließlich durch ein unabhängiges Gremium 48 zu den Wahlen zugelassen wurden.38 Das die Institutionalisie- rungsphase kennzeichnende Nebeneinander alter und neuer Regeln, lässt sich gut anhand der Rolle Habibies verdeutlichen. Obwohl sich Habibie als Übergangspräsident bezeichnete und versprach, Indonesien in eine demokratische Zukunft zu führen, war sein Hauptproblem die fehlende Legitimation seiner Macht. Habibie sowie viele seiner Kabinettsmitglieder hatten ih- ren Aufstieg fast ausschließlich Suharto und dessen Vertrauen in die Technokraten zu verdan- ken.39 Als eine seiner ersten Amtshandlungen ernannte Übergangspräsidentschaft Habibie General- leutnant Muhammad Yunus Yosfiah zum Informationsminister. Dieser lockerte die bisher geltenden Vorschriften, nach welchen alle Printmedien, die durch das Informationsministeri- um lizenziert werden wollten, im Besitz einer Publikationslizenz Surat Izin Usaha Penerbitan Pers (SIUPP) sein mussten. Die entsprechenden Ausführungsbestimmungen zum Pressege- setz wurden aufgehoben. Folglich war es nicht mehr möglich, dass eine Lizenz aufgrund der Berichterstattung entzogen und damit eine Redaktion, wie noch 1994 geschehen, durch das Informationsministerium geschlossen werden konnte. Darüber hinaus wurde das Lizenzie- rungsverfahren vereinfacht. Die Lizenzgebühr wurde abgeschafft und anstelle von sechzehn mussten lediglich drei, ausschließlich formelle, Lizenzvoraussetzungen erfüllt werden.40 Mit der vereinfachten Lizenzierung wandelte sich auch das Verhältnis der Bürokraten gegenüber der Presse. Auf die bisher gängige Kontrolle der Berichterstattung in Form von Telefonanru- fen wurde größtenteils verzichtet.41 Auf dem Pressemarkt führte das vereinfachte Lizenzie- rungsverfahren zu einem frappanten Anstieg an Titeln: „Within his [Muhammad Yunus Yosfi- ah] first six months of office, nearly 500 new permits had been issued, compared to only 289 prior to reform.“ 42 Der Großteil dieser neuen Titel verschwand jedoch sehr schnell wieder. Verantwortlich dafür waren insbesondere ökonomische Faktoren. Viele Printunternehmen kämpften seit der Asienkrise ums Überleben. Die Werbeeinnahmen waren aufgrund der Wirt- schaftskrise stark zurückgegangen und gegenüber dem Vorjahr auf die Hälfte geschrumpft. Um Produktionskosten zu senken, mussten viele Printunternehmen den Umfang ihrer Publi-

37 Emmerson, 1999, 297. 38 Lustermann, 2002, 131. 39 Schwarz, 1999, 372. 40 Razak, 2000, 133. 41 Romano, 2003, 49.

16 Indonesisches Mediensystem im Wandel kationen reduzieren, andere, insbesondere kleinere Zeitungen, versuchten durch die Zusam- menarbeit mit größeren Medienunternehmen ihre Zukunft zu sichern.43 Das bedeutendste Staatsorgan, die MPR, debattierte im November 1998 anlässlich einer außeror- dentlichen Session über mehrere internationale Konventionen und ratifizierte unter anderem die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Dieser Beschluss ist für die Medien insofern von Re- levanz, als dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Artikel 19 die Meinungsäuße- rungs- und die Informationsfreiheit verankert: „Everyone has the right to freedom of opinion and expression; this right includes the right to hold opinions without interference and to seek, receive and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers.” 44 Bereits im Herbst 1998 bildeten sich verschiedene, teilweise fragile Koalitionen, die sich für eine Änderung der Mediengesetzgebung stark machten. Gleichzeitig sprachen sich verschiedene Kräf- te, unter ihnen insbesondere die Streitkräfte, für den Status Quo aus. Sie sahen in der Aufhebung der staatlichen Medienkontrolle eine Gefahr, die sich in Form von sozialen Unruhen und Desin- tegration bemerkbar machen könnte.45 Unter der Führung von Informationsminister Muhammad Yunus Yosfiah begannen Mitarbeiter des Informationsministeriums schließlich Vorschläge für ein neues Pressegesetz zu erarbeiten. Es wurden erste Gespräche mit Mitgliedern von indonesischen Medienorganisationen, Verlegern und Redakteuren geführt. Gleichzeitig wurde ein ausländisches Expertenteam bestehend aus Vertretern der Unesco46 und von Article XIX, einer britischen NGO die sich weltweit für unabhängige Medien einsetzt, um Unterstützung gebeten. Die involvierten Parteien einigten sich auf vier Punkte, die dem neuen Pressegesetz zu Grunde liegen sollten: (a) politische Interventionen sollen auf ein Minimum beschränkt bleiben, (b) es existieren keine in- haltlichen Vorschriften, (c) es sollen keine ideologisch gefärbten und nur vage definierten Aus- drücke Verwendung finden und (d) das Gesetz soll so kurz, verständlich und logisch wie möglich sein.47 Ausgehend von diesen vier Punkten wurde ein neuer Gesetzesentwurf erarbeitet und an- lässlich eines zweitägigen Seminars diskutiert.48 Sowohl Regierungsvertreter als auch Journalis- ten, Verleger, Vertreter von Journalistenorganisationen und im Medienbereich tätige Menschen- rechtsaktivisten erhielten die Möglichkeit zur Stellungnahme.49 Im Herbst 1999 wurde das neue Pressegesetz dem Parlament zur Beratung vorgelegt und am 13.09.1999 mit großer Mehrheit als Act no. 40/1999 verabschiedet. Die Unterzeichnung des neuen Pressegesetzes durch Übergangs- präsident Habibie erfolgte zehn Tage später, kurz vor dessen Amtsübergabe an den ersten demo- kratisch gewählten Präsidenten Abdurrahman Wahid.50

42 Sen/Hill, 2000, 70. 43 Idris/Gunaratne, 2000, 278. 44 UN General Assembly Resolution 217(III) Art. 19. 45 Romano, 2003, 50. 46 1998 startete die Unesco das Projekt: „Strengthening Democracy and Good Governance through Develop- ment of the Media in Indonesia“. Der Mediengesetzgebung kam dabei besondere Beachtung zu. 47 Seminarpaper, 1999, 2 f. 48 „The Media and the Government: In Search of Solutions“, 23.-24.03.1999 in Jakarta. 49 Communication Programm, 2000, 3. 50 Mangahas, 2001, 125.

17 Indonesisches Mediensystem im Wandel

In der Einleitung des neuen Pressegesetzes wird die nationale Presse als Massenmedium, das zur Informationsverbreitung und zur Meinungsbildung beiträgt, umschrieben und in Artikel 1 als „social and mass communication institution“ definiert.51 Generell finden sich im neuen Gesetz keine ideologischen Zuschreibungen mehr: Pancasila wird im Gesetzestext nicht er- wähnt. Die Meinungsäußerungs- und die Informationsfreiheit werden als Grundrechte aner- kannt und als unentbehrlicher Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft festgelegt: „Consider that the freedom of the press is one of the many embodiments of the sovereignty of the people and is the utmost important element in creating a democratic society, nation and state in order to insure the freedom of expressing ideas and opinions as stated in Article 28 Indonesian Constitution of 1945.” 52 Ausgehend von der gesetzlich garantierten Pressefreiheit soll die Presse frei von jeglicher Be- einflussung ihre Aufgaben erfüllen und ihre Rechte wahrnehmen können. Artikel 4 legt Pres- sefreiheit als Menschenrecht fest und gesteht der nationalen Presse das Recht zu, Informatio- nen zu sammeln, zu selektieren und zu verbreiten. Restriktionen, Verbote und Zensur dürfen gegenüber der nationalen Presse nicht ergriffen werden.53 Wer gegen die Pressefreiheit ver- stößt, muss mit einem Bußgeld von maximal 500 Millionen Rupiah (58.000 US$) oder einer bis zu zweijährigen Haftstrafe rechnen.54 Der neue Gesetzestext stellt einen erheblichen Fort- schritt gegenüber dem alten Pressegesetz von 1982 dar, in welchem die Presse als „instrument of the national struggle“ und als „guardian of the Pancasila ideology“ definiert war.55 Die Presse sollte zur Wahrung und Popularisierung von Pancasila beitragen und ausgehend von einer verantwortungsvollen Pressefreiheit für Wahrheit und Gerechtigkeit einstehen.56 Was unter einer verantwortungsvollen Pressefreiheit zu verstehen war, hatte die Regierung in ei- nem vom Department of Foreign Affairs veröffentlichten Positionspapier festgeschrieben: „In an atmosphere of development, freedom of the press should be applied with full responsibility towards national stability, public order and security. Press freedom should also be applied on the basis of mature attitude and in a climate of harmony towards the environment, thus en- couraging the development of people’s creativity and not, controversely, including antago- nism.“ 57 Das neue Pressegesetz sieht die Einrichtung eines Aufsichtsrates, eines so genannten Board of the Press vor. Der Aufsichtsrat ist als unabhängiges Gremium, das die Pressefreiheit weiter stärken und entwickeln und gleichzeitig die Quantität und Qualität der nationalen Presse er- höhen soll, definiert.58 Der Aufsichtsrat ist für Indonesien eine neue Institution. Mit dem neu- en Pressegesetz wird auch die Lizenzierung der Presse abgeschafft. Jeder indonesische Bürger

51 Act no. 40/1999 Art. 1.1. 52 Act no. 40/1999 Considers. 53 Act no. 40/1999 Art. 4.1-4.3. 54 Act no. 40/1999 Art. 18.1. 55 Act no. 21/1982 Art. 1. 56 Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-c. 57 Paper by the Department of Foreign Affairs, 1997, 12. 58 Act no. 40/1999 Art. 15.1.

18 Indonesisches Mediensystem im Wandel sowie der Staat kann ein Presseunternehmen gründen. Einzige Bedingung ist, dass das Unter- nehmen eine anerkannte Rechtsform aufweist59 und sein Presseerzeugnis mit einem Impres- sum versieht.60 Im neuen Pressegesetz werden nur noch wenige, allgemeine inhaltliche Vor- schriften gemacht. Somit ist festgelegt, dass Ereignisse und Meinungen mit Respekt gegen- über religiösen und moralischen Normen dargestellt werden sollen und dass durch die Be- richterstattung, insbesondere im Zusammenhang mit laufenden Verfahren, Personen nicht vorverurteilt werden dürfen.61 Der Act no. 40/1999 wurde als Sieg der Pressefreiheit gefeiert. Sowohl inländische als auch ausländische Medienorganisationen sahen das neue Gesetz als wichtigen Schritt in Richtung ei- nes neuen, demokratischen Medienverständnisses.62 Trotzdem wurden auch kritische Stimmen laut. Insbesondere der nach wie vor existierende Indonesian Criminal Code und das Anti- Subversion Law wurden kritisiert. Es wurden Befürchtungen geäußert, dass verschiedene Arti- kel dieser Gesetze gegenüber Journalisten zur Anwendung gelangen könnten und damit eine unabhängige Berichterstattung weiterhin unmöglich bleiben würde. Die vage und offene For- mulierung mehrerer Artikel schürte diese Befürchtungen. So verbietet der Indonesian Criminal Code u.a. Aussagen, die unangenehme Gefühle, Unruhe und Hass hervorrufen. Ebenso uner- laubt sind Äußerungen, die dem Ansehen des Präsidenten oder Vizepräsidenten schaden.63 Des Weiteren forderten Mitarbeiter des Informationsministeriums die Entwicklung eines so genann- ten Freedom of Information Act, welcher den Zugang zu Informationen der öffentlichen Ver- waltung sichert. Dieser sei der Pressefreiheit dienlicher, sei als ein Pressegesetz.64

5 Mediensituation während der Konsolidierungsphase: Vom staatlichen zum öffentlichen Rundfunk (ab 1999) Im Juni 1999 fanden nach mehr als 50 Jahren erstmals wieder freie Parlamentswahlen statt. Die Wahlen führten zu einer Neuverteilung der politischen Macht. Wahlsieger war die Demo- kratische Partei PDI-P mit 33,8% und 153 der 500 Parlamentssitze. Abdurrahman Wahid wurde anschließend von der MPR zum Präsidenten gewählt. Obwohl Wahids Partei bei den Parlamentswahlen nur 10% der Stimmen erreicht hatte, gelang es ihm mit Hilfe der islami- schen Parteien und der Unterstützung von Golkar eine Mehrheit zu bilden. Seine Amtszeit dauerte jedoch nur knapp zwei Jahre. Er wurde seines Amtes enthoben und im Sommer 2001 durch Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri (Tochter des Staatsgründers Sukarno) von der Demokratischen Partei ersetzt.65 Unter ihrer Führung wurden Schritte zur Stabilisierung der indonesischen Wirtschaft eingeleitet und im Jahre 2002 weitreichende Verfassungsreformen verabschiedet. Die wichtigste Änderung betrifft die Machtbeschränkung der MPR. Die MPR, die bislang den Präsidenten und den Vizepräsidenten gewählt und Richtlinien der Staatspoli-

59 Act no. 40/1999 Art. 9.1-2. 60 Act no. 40/1999 Art. 12. 61 Act no.40/1999 Art. 5.1. 62 Romano, 2003, 50. 63 Loqman, 2000, 176 f. 64 Romano, 2003, 50 f.

19 Indonesisches Mediensystem im Wandel tik beschlossen hatte, ist nun nur noch für Verfassungsfragen zuständig. Der Präsident und der Vizepräsident werden jetzt in einer Direktwahl durch das Volk gewählt. Ebenfalls wurden die für das Militär reservierten Parlamentssitze abgeschafft. Gleichzeitig ergänzt eine Regional- vertretung, DPRD, das Parlament. Die Bemühungen um Reformen im Mediensektor beschränkten sich nicht auf spezifische Medienverordnungen und -gesetze. Zu Beginn der Konsolidierungsphase wurde versucht, die Pressefreiheit auf einer höheren Gesetzesebene zu verankern.66 Die MPR debattierte anläss- lich der ersten Session der neuen Legislaturperiode (1999-2004) über eine entsprechende Ver- fassungsänderung. In der indonesischen Verfassung aus dem Jahre 1945 wird in Artikel 28 in einem Satz auf die Pressefreiheit verwiesen: „Freedom of association and assembly, expres- sion of thoughts in oral and writing and the like shall be prescribed by statute.“ 67 Die Pressefreiheit ist demnach nicht konstitutionell garantiert, sondern wird durch das Presse- gesetz festgelegt und ausgeführt. Konkret bedeutet dies, dass das Parlament durch Änderun- gen des Pressegesetzes und im Besonderen der zuständige Informationsminister durch Ver- ordnungen die Pressefreiheit jederzeit ausdehnen oder einschränken können. Um dies künftig zu verhindern, sollte die Verfassung nach dem Vorbild der First Amendment in der US Ver- fassung abgeändert werden. Von den Mitgliedern der verfassungsgebenden Volksversamm- lung erhielt dieser Vorschlag jedoch nicht genügend Unterstützung. Es wurde zwar eine erste Verfassungsänderung beschlossen, diese betraf jedoch ausschließlich die Machtbeschränkung des Präsidenten. Infolgedessen befürchteten die Reformkräfte, dass sich die Mediensituation wieder verschlechtern und die Reform-Ära von nur vorübergehender Dauer sein würde.68 Die Befürchtungen bestätigten sich jedoch nicht. Als Abdurrahman Wahid als erster demokra- tisch gewählter Präsident 1999 sein Amt antrat, führte er den Reformkurs auch im Medienbe- reich weiter. Er verzichtete auf das Informationsministerium, welches in der mehr als dreißig- jährigen Vergangenheit für die Kontrolle und Steuerung des Medien- und Informationssektors verantwortlich gewesen war. „As explained by the President, the rationale behind this deci- sion is philosophical; the function of information should be returned to the society at large, not managed, controlled or decided by government.“ 69 Als Ersatz für das Informationsminis- terium (vor allem um Entlassungen zu verhindern) gründete die Regierung in der Folge ein sogenanntes Informations- und Kommunikationsbüro. Diese Körperschaft hat im Gegensatz zum Informationsministerium keinen ministeriellen Charakter. Im April 2000 wurden die ersten Mitglieder des im neuen Pressegesetz verankerten Aufsichts- rates durch Präsident Abdurrahman Wahid ernannt. Das Gremium setzte sich aus drei Journa- listen, jeweils zwei Vertretern aus dem Print- und Rundfunkbereich sowie aus zwei Publi-

65 Lustermann, 2002, 139. 66 Dahlan, 2000, viii. 67 Indonesian Constitution, 1945, Art. 28. 68 Dahlan, 2000, ix. 69 ebenda, x.

20 Indonesisches Mediensystem im Wandel kumsvertretern zusammen und wurde für die Amtsperiode 2000-2003 gewählt.70 Auffällig an der Ernennung der neun Mitglieder ist der Umstand, dass die Regierung die Bezeichnung des Gremiums trotz gleichbleibender Aufgabenzuweisung geändert hat. Der im Pressegesetz ver- wendete Begriff Aufsichtsrat (Board of the Press) wurde durch Presserat (Press Council) er- setzt. Mit der Aufhebung des Informationsministeriums drängten sich auch im Rundfunkbe- reich Veränderungen auf. Die staatlichen Fernseh- und Radiostationen TVRI und RRI, die bis- her dem Informationsministerium unterstellt waren, wurden im Sommer 2000 in die öffentli- che Rundfunkgesellschaft überführt,71 wobei der Staat einziger Teilhaber ist. Begründet wird dieser Entscheid in der Einleitung des entsprechenden Regierungsbeschlusses wie folgt: „Considering that to ensure smooth operation and management of the Television of the Re- public of Indonesia economically on one side and maximum value for the nation and its peo- ple on the other side, it is therefore necessary to change the status of the Television of the Re- public of Indonesia into a service-provider corporation with more authority.“ 72 Aufgabe der öffentlichen Rundfunkgesellschaft ist es, Rundfunkdienstleistungen, die mit den Prinzipien des öffentlichen Rundfunks übereinstimmen, anzubieten.73 Zu diesen Prinzipien zählen Unabhängigkeit, Neutralität und eine nichtkommerzielle Orientierung.74 Konkret soll diesen Prinzipien über die Programminhalte Rechnung getragen werden. Es wird vorge- schrieben, dass die Programme des öffentlichen Rundfunks hohen Qualitätsstandards genügen und über einen informierenden, bildenden und unterhaltenden Charakter verfügen müssen.75 Die öffentlichen Rundfunkprogramme werden wie schon während der Neuen Ordnung über Gebühren, staatliche Zuschüsse und einen 12½-prozentigen Werbeeinnahmenanteil der priva- ten Rundfunkveranstalter finanziert. Zudem kann die öffentliche Rundfunkgesellschaft mit anderen Institutionen zusammenarbeiten, um weitere Einnahmen zu generieren.76 Das Ver- mögen der Gesellschaft darf ausschließlich für den Rundfunkbetrieb eingesetzt und nicht in Anteile aufgegliedert werden.77 Die meisten Bestimmungen der Government Regulation umfassen die organisatorische Aus- gestaltung der öffentlichen Rundfunkgesellschaft. Die Unternehmensleitung von TVRI unter- steht einem Board of Directors.78 Dieses setzt sich aus 3-5 vom Finanzminister ernannten Mitgliedern zusammen, wobei eines dieser Mitglieder als Präsident die Leitung des Gremi- ums übernimmt.79 Es ist vorgesehen, dass die entsprechenden Personen ihre Tätigkeit für fünf

70 Presidental Decree no. 96/2000. 71 Da die Wortlaute der Regierungsbeschlüsse für TV und Radio deckungsgleich sind, wird im Folgenden nur die Government Regulation no. 36/2000 analysiert. Alle Angaben, die für das staatliche Fernsehen gemacht werden, gelten auch für das staatliche Radio. 72 Government Regulation no. 36/2000 Considering. 73 Government Regulation no. 36/2000 Art. 3. 74 Government Regulation no. 36/2000 Art. 6. 75 Government Regulation no. 36/2000 Art. 7. 76 Government Regulation no. 36/2000 Art. 8.a-d. 77 Government Regulation no. 36/2000 Art. 10. 78 Government Regulation no. 36/2000 Art. 1.3. 79 Government Regulation no. 36/2000 Art. 12.2.

21 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Jahre ausführen.80 Mitglieder der Unternehmensleitung können ausschließlich indonesische Bürger werden. Es ist den Mitgliedern untersagt, weitere Mandate in anderen staatlichen oder privaten Unternehmen zu übernehmen.81 Zu den Hauptaufgaben der Unternehmensleitung ge- hören die Vermögensverwaltung, die Festlegung der Strategie in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister, die Personalpolitik und die Vertretung des Unternehmens gegenüber der Öf- fentlichkeit sowie in rechtlichen Belangen.82 Die Mitglieder müssen sich mindestens einmal in der Woche treffen, um die Aktivitäten der öffentlichen Rundfunkgesellschaft zu diskutie- ren.83 Entscheidungen werden nach dem Mehrheitsprinzip gefällt.84 Zudem ist die Unterneh- mensleitung zur Veröffentlichung eines Jahresberichts verpflichtet. Dieser muss Informatio- nen über die Finanzen und die Verwaltung sowie allgemeine Angaben zur Zusammensetzung des Gremiums enthalten.85 Neben der Unternehmensleitung schreibt die Government Regulation die Einrichtung eines Aufsichtsrates, eines Board of Supervisors, vor.86 Der Aufsichtsrat umfasst maximal fünf Per- sonen und setzt sich aus Mitgliedern des Finanzdepartements oder aus Mitgliedern anderer Departmente, die durch den Finanzminister ernannt werden, zusammen. Die Mitglieder des Aufsichtsrates werden ebenfalls für eine fünfjährige Amtszeit ernannt.87 Sie haben die Aufga- be, die Unternehmensführung, das Board of Directors, zu überwachen und dieses zu beraten. Konkret umfasst die Überwachung die langfristige Unternehmensplanung, die Programmpla- nung und die Budgetplanung. Als weitere Aufgabe hat der Aufsichtsrat die Einhaltung der Government Regulation sowie der geltenden Gesetze zu kontrollieren.88 Um die Überwa- chung ausführen zu können, erhalten die Aufsichtsräte Zugang zu allen relevanten Dokumen- ten.89 Sie sind verpflichtet, dem Finanzminister regelmäßig Bericht zu erstatten und Fehlent- wicklungen zu melden.90 Die Mitglieder des Aufsichtsrates treffen sich mindestens einmal monatlich.91 Nachdem 1999 die Initiative einer Verfassungsänderung noch gescheitert war, setzten sich im August 2000 die Reformkräfte durch. Die verfassungsgebende Volksversammlung befürwor- tete eine zweite Verfassungsänderung.92 Artikel 28 wurde ausgebaut und in zehn Absätze auf- geteilt.93 Folgende Absätze sind für die Medien relevant: „Every person shall have the right to have freedom of belief, express his/her thoughts and attitudes, in accordance with his/her

80 Government Regulation no. 36/2000 Art. 14.2. 81 Government Regulation no. 36/2000 Art. 15. 82 Government Regulation no. 36/2000 Art. 16. 83 Government Regulation no. 36/2000 Art. 21.1-2. 84 Government Regulation no. 36/2000 Art. 21.3. 85 Government Regulation no. 36/2000 Art. 42. 86 Government Regulation no. 36/2000 Art. 1.4. 87 Government Regulation no. 36/2000 Art. 24-27. 88 Government Regulation no. 36/2000 Art. 29.a-c. 89 Government Regulation no. 36/2000 Art. 31. 90 Government Regulation no. 36/2000 Art. 30. 91 Government Regulation no. 36/2000 Art. 34. 92 Romano, 2003, 49. 93 Second Amendment to the Constitution.

22 Indonesisches Mediensystem im Wandel conscience.” 94 „Every person shall have the right of freedom to organize, to assemble, and to express opinions.” 95 „Every person shall have the right to communicate and to obtain infor- mation to develop his/her personality and social environment, as well as the right to seek, to obtain, to possess, to keep, to process, and to convey information by utilizing all available kinds of channels.” 96 Ursprünglich war geplant, das Rundfunkgesetz gleichzeitig mit dem Pressegesetz zu verab- schieden. Die beiden Gesetze sollten gleichartig und vergleichbar sein und im Sinne von Re- formasi das alte Medienrecht ersetzen.97 Als das Pressegesetz im September 1999 vom Par- lament verabschiedet wurde, war die neue Rundfunkordnung jedoch noch nicht erarbeitet. Insbesondere die Gründung einer Regulierungsbehörde sorgte für Diskussionen. Es sollte nach dem Vorbild der Federal Communication Commission in den USA eine unabhängige Regulierungsbehörde, welche die Rundfunkpolitik gestaltet, Sendelizenzen verteilt und die Regulierung des Rundfunkmarktes überwacht, gegründet werden.98 Mit der Aufhebung des Informationsministeriums im Oktober 1999 geriet der Reformprozess im Rundfunkbereich jedoch ins Stocken und kam erst Mitte 2000 wieder in Gang. Rechtsexperten der Unesco und von Article XIX wurden wie bereits bei der Ausarbeitung des neuen Pressegesetzes als Bera- ter einbezogen. Die involvierten Parteien waren sich jedoch über die Form des neuen Rund- funkgesetzes nicht einig. Verschiedene Gesetzesentwürfe wurden mehrmals überarbeitet. Auch der Gesetzesentwurf, der schließlich 2002 dem Parlament zur Beratung und Genehmi- gung vorgelegt wurde, war stark umstritten. Hunderte von Medienschaffenden demonstrierten zu Beginn der parlamentarischen Beratungen vor dem Parlamentsgebäude gegen das neue Rundfunkgesetz. Am 28.11.2002 verabschiedete das Parlament das Rundfunkgesetz mit gro- ßer Mehrheit. Einzig die kleine Partei Unity and Nationhood hatte sich für weitere Verhand- lungen ausgesprochen.99 Beim Act no. 32/2002 handelt es sich um Indonesiens zweites Rund- funkgesetz. Es ersetzt den mit der Aufhebung des Informationsministeriums ungültig gewor- denen Act no. 24/1997, der erst drei Jahre zuvor während der Liberalisierungsphase in Kraft trat. In der Einleitung des neuen Rundfunkgesetzes werden Hörfunk und Fernsehen als „mass com- munication media, that have important roles in social, cultural, political, and economical life” und als „media of information, education, entertainment, as well as social control and bond“ um- schrieben.100 Ausgehend von der Verfassung und der Pancasila-Philosophie soll ein faires, unpar- teiisches und ausgeglichenes nationales Rundfunksystem errichtet werden. Dem Staat kommt hierbei die Aufgabe zu, die Frequenzen zu schützen und im Interesse der gesamten Bevölkerung zu verteilen. Wegen der besonderen Breitenwirkung, die dem Rundfunk zugestanden wird, sind

94 Second Amendment to the Constitution Art. 28E.2. 95 Second Amendment to the Constitution Art. 28E.3. 96 Second Amendment to the Constitution Art. 28F. 97 Razak, 2000, viii. 98 Neumann, 2000, 27. 99 Hari, 2002, 1.

23 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Hörfunk- und Fernsehveranstalter verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit die Werte, Kultur und Einheit Indonesiens zu berücksichtigen und die Ereignisse sachgerecht und verantwortungsvoll darzustel- len.101 Konkret sind die Aufgaben und Ziele des Rundfunks in Artikel 3 des Rundfunkgesetzes festgelegt: Hörfunk und Fernsehen sollen, die nationale Integrität stärken, die Identität einer Nati- on, die gegenüber Gott hingebungsvoll ist, pflegen, den allgemeinen Wohlstand heben und eine unabhängige, demokratische und prosperierende Gesellschaft fördern.102 Mehrere Bestimmungen umfassen die Einrichtung einer Aufsichts- und Regulierungsbehörde, der KPI. Die KPI ist als staatlich unabhängige Behörde, die für beide Rundfunkformen zu- ständig ist, definiert.103 Sie setzt sich aus der Central KPI auf nationaler und der Regional KPI auf provinzieller Ebene zusammen104 und wird durch Gelder der öffentlichen Hand finan- ziert.105 Der Aufgabenbereich der KPI ist sehr breit und in Artikel 8 des Rundfunkgesetzes festgeschrieben. Die KPI legt demnach Programmstandards fest, ist verantwortlich für die Entwicklung eines Code of Conduct on Broadcasting, überwacht die Umsetzung der Regulie- rungsmaßnahmen und der Programmstandards, verhängt bei Nichteinhaltung Sanktionen und ist für die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Regierung, Rundfunkanbietern und der Öffentlichkeit zuständig.106 Des Weiteren hat die KPI dafür Sorge zu leisten, dass die Öf- fentlichkeit relevante und korrekte Information erhält, zwischen den Rundfunkveranstaltern ein fairer Wettbewerb herrscht und der Professionalität im Rundfunkbereich Rechnung getra- gen wird. Überdies ist die KPI für die Behandlung von Programmbeanstandungen zustän- dig.107 Grundlage für die Programmgestaltung und die Behandlung von entsprechenden Bean- standungen bildet der Code of Conduct. Neben dem Code of Conduct muss die KPI auch ei- nen Broadcasting Code of Ethics erarbeiten.108 Auf nationaler Ebene gehören der KPI neun, auf regionaler Ebene sieben Personen an.109 Sie bilden das operative Zentrum der Regulierungsbehörde und werden durch das Parlament (DPR), respektive auf regionaler Ebene durch die Mitglieder des regionalen Parlaments (DPRD) gewählt und formell durch den Präsidenten respektive durch Provincial Governors ernannt.110 Der Präsident und der Vizepräsident der Regulierungsbehörde werden durch die Mitglieder selber bestimmt.111 Die KPI ist gegenüber den politischen Akteuren zudem ver- pflichtet, in Form von Berichten regelmäßig Rechenschaft abzulegen.112 KPI Mitglieder müs- sen eine Reihe von formellen sowie persönlichen Kriterien erfüllen. Allgemein können nur

100 Act no. 32/2002 Considering. 101 Act no. 32/2002 Considering. 102 Act no. 32/2002 Art. 3. 103 Act no. 32/2002 Art. 6.4. 104 Act no. 32/2002 Art. 7.3. 105 Act no. 32/2002 Art. 9.6. 106 Act no. 32/2002 Art. 8.2.a-e. 107 Act no. 32/2002 Art. 8.3.a-e. 108 Act no. 32/2002 Art 48.5. 109 Act no. 32/2002 Art. 9.1. 110 Act no. 32/2002 Art. 10.2. 111 Act no. 32/2002 Art. 9.2. 112 Act no. 32/2002 Art. 53.1-2.

24 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Personen Mitglied der KPI werden, die gegenüber Pancasila und der Verfassung von 1945 loyal sind, einen Hochschulabschluss besitzen, fair und ehrlich sind und Erfahrung im Rund- funkbereich aufweisen. Mitglieder der KPI dürfen weder der Regierung, dem Parlament, der Justiz noch einer Partei angehören. Ebenfalls von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen sind Personen, die in irgendeiner Weise durch direkten oder indirekten Besitz an Medienunter- nehmen beteiligt sind.113 Die Amtszeit der Mitglieder dauert drei Jahre, wobei die Mitglieder jeweils einmal wiedergewählt werden können.114 Neu in der Rundfunkgesetzgebung ist die Differenzierung von Rundfunktypen nach vier Ka- tegorien: Public Broadcasting, Private Broadcasting, Community Broadcasting und Suscribed Broadcasting.115 Bei den öffentlichen Rundfunkgesellschaften handelt es sich, wie bereits in der Government Regulation no. 36/2000 festgelegt, um RRI sowie TVRI, die im Interesse der Öffentlichkeit landesweit unabhängige, neutrale und nicht kommerzielle Programme ausstrah- len. Auf Provinz- und Kommunalebene können zudem lokale Fernseh- und Hörfunkstudios betrieben werden. Auf eine detaillierte Festlegung der organisatorischen Ausgestaltung des öffentlichen Rundfunks wird im Gesetz verzichtet. Es wird lediglich auf die bereits in der Go- vernment Regulation vorgeschriebene Einrichtung einer Unternehmensleitung und eines Auf- sichtrates verwiesen.116 Neben den Gebühren und den Beiträgen der öffentlichen Hand wird der öffentliche Rundfunk nun auch durch Werbeeinnahmen finanziert.117 Im Hinblick auf die Werbefinanzierung der Fernsehprogramme kennt das indonesische Rundfunkgesetz jedoch eine Reihe von Einschränkungen. Beim öffentlichen Rundfunk darf der Anteil der Werbezeit maximal 15% der gesamten Programmzeit betragen.118 Verboten sind Werbungen für Alko- hol, Tabak, Religion, Ideologie sowie allgemein für Waren, die gegen moralische und religiö- se Werte verstoßen. Die KPI kann zudem weitere Einschränkungen festlegen.119 Bei den privaten Rundfunkanstalten handelt es sich um gewinnorientierte Unternehmen, die ausschließlich Hörfunk oder Fernsehen betreiben.120 Die Reichweite der privaten Sender ist regional beschränkt. Um in allen Provinzen empfangbar zu sein, sind die privaten Rundfunk- veranstalter verpflichtet, mit Lokalsendern zusammenzuarbeiten und ihre Programme über Network-Stationen zu verbreiten.121 Die Besitzverhältnisse der privaten Rundfunkanstalten werden durch das Rundfunkgesetz geregelt. Bei der Gründung einer privaten Rundfunkanstalt darf ausschließlich Kapital von indonesischen Staatsbürgern oder indonesischen Institutionen verwendet werden. Ausländisches Kapital kann für Investitionen eingesetzt werden, wobei der ausländische Kapitalanteil auf maximal 20% des Gesamtkapitals begrenzt ist und von

113 Act no. 32/2002 Art. 10.1.b-g. 114 Act no. 32/2002 Art. 9.3. 115 Act no. 32/2002 Art. 13.2. 116 Act no. 32/2002 Art. 14.1-4. 117 Act no. 32/2002 Art. 15.1.a-d. 118 Act no. 32/2002 Art. 46.8. 119 Act no. 32/2002 Art. 46.3-4. 120 Act no. 32/2002 Art. 6.1. 121 Act no. 32/2002 Art. 31.3.

25 Indonesisches Mediensystem im Wandel mindestens zwei Geldgebern stammen muss.122 Eine marktbeherrschende Stellung eines ein- zelnen Rundfunkanbieters soll verhindert werden. Weder innerhalb des Rundfunksektors noch über verschiedene Medienbereiche hinweg ist eine starke Konzentration des Medienbesitzes erlaubt, im Gesetzestext ist von „limited concentration of ownership and cross ownership“ die Rede. Näher ausformuliert und definiert wird die Limitierung des Medienbesitzes im Act no. 32/2002 jedoch nicht, die KPI legt gemeinsam mit der Regierung entsprechende Regeln fest.123 Finanziert werden die Programme privater Rundfunkanstalten über Werbung und Ak- tivitäten, die im Zusammenhang mit dem Rundfunk stehen müssen.124 Der Werbeanteil be- trägt bei privaten Anbietern maximal 20% der Sendezeit.125 Die Regulierung der Werbung sorgte bei der Erarbeitung des neuen Rundfunkgesetzes für Diskussionsstoff. Ursprünglich sollte die Werbezeit bei privaten Anbietern auf 15% der Sen- dezeit beschränkt werden. Damit war die Indonesian Broadcasting Community jedoch nicht einverstanden. Sie forderte einen Werbeanteil von mindestens 25% und begründete dies mit der Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit der privaten Sender. „If commercial slot is lim- ited to 15%, it would be difficult for the industry to reach the break even point. Thus, the broadcasting industry will be less competitive.” 126 Rundfunkanbieter aus dem Community-Bereich sind als unabhängige, gemeinschaftlich orga- nisierte, nicht gewinnorientierte Anbieter mit beschränkter Reichweite definiert.127 Über den Community-Rundfunk werden kulturelle Programme sowie Informations- und Bildungspro- gramme, welche die nationale Identität reflektieren, verbreitet.128 Finanziert wird das Pro- gramm durch einen Fonds der Gemeinschaft, wobei Spenden, die in den Fonds einfließen, nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft sein dürfen.129 Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist nicht gestattet. Ebenso nicht zulässig ist die Ausstrahlung von Werbeprogram- men, Ausnahme bilden öffentliche, nicht kommerzielle Informationskampagnen.130 Veranstal- ter des Community-Rundfunks sind zudem verpflichtet, einen Ethik Code zu erarbeiten.131 Unter die Kategorie der Subscribed-Rundfunkangebote fallen die Anbieter von Pay-TV. An diese Programme werden verschiedene Anforderungen gestellt. So muss das Programm intern zensuriert werden und einen indonesischen Programmanteil von mindestens 10% aufweisen.132 Das hauptsächliche Mittel zur Regulierung des Rundfunks liegt unabhängig vom Rundfunk- typ in der Lizenzvergabe. Zahlreiche Bestimmungen regeln die Bedingungen der Lizenzver-

122 Act no. 32/2002 Art. 17.1-2. 123 Act no. 32/2002 Art. 18.1-4. 124 Act no. 32/2002 Art. 19.a-b. 125 Act no. 32/2002 Art. 46.8. 126 UNESCO, 2001, 1. 127 Act no. 32/2002 Art. 21.1. 128 Act no. 32/2002 Art. 21.2.a-b. 129 Act no. 32/2002 Art. 22.1-2. 130 Act no. 32/2002 Art. 23.1-2. 131 Act no. 32/2002 Art. 24.1. 132 Act no. 32/2002 Art. 26.2.a-b.

26 Indonesisches Mediensystem im Wandel gabe sowie die Pflichten der Lizenzinhaber. Alle Rundfunkveranstalter müssen, damit sie auf Sendung gehen können, im Besitz einer Broadcasting Operation License sein.133 Die Lizen- zen werden von der Regierung aufgrund von Empfehlung und Diskussion mit der KPI ausge- stellt134 und müssen für Hörfunkveranstalter alle fünf, für Fernsehveranstalter alle zehn Jahre erneuert werden.135 Bevor die Lizenz erteilt wird, gilt eine Versuchsperiode von maximal sechs Monaten für Hörfunk- und einem Jahr für Fernsehveranstalter.136 Aus verschiedenen Gründen kann durch die Regierung die Lizenz auch wieder entzogen, das heißt suspendiert oder nicht mehr erneuert werden. Zu diesen Gründen zählen Nichtbestehen der Versuchsperi- ode, Übertragen der Lizenz auf einen anderen Veranstalter und Verstöße gegen technische Vorschriften und Programmstandards, die gerichtlich festgestellt worden sind.137 Hörfunk und Fernsehen sollen ihren Beitrag zur Information, Bildung und Unterhaltung leisten und darüber hinaus die Einheit und Integrität des Landes erhalten sowie religiöse und kulturelle Werte Indonesiens wahren und fördern. Diese Steuerungsziele sollen nach wie vor über quantita- tive Quoten erreicht werden. Die entsprechenden Richtwerte wurden mit der neuen Gesetzgebung um 10% gesenkt. Der indonesische Programmanteil muss sowohl beim öffentlichen als auch beim privaten Fernsehen mindestens 60% betragen.138 Neuerdings ist es den privaten Rundfunkveran- staltern erlaubt, eigene Nachrichtensendungen zu produzieren. Keine Änderung gibt es bei der Rundfunksprache. Lokale Dialekte dürfen nach wie vor lediglich für die Ankündigung bestimm- ter lokaler Programme verwendet werden.139 Programme in Fremdsprachen müssen mit indonesi- schen Untertiteln versehen oder je nach Wichtigkeit des Programms in Bahasa Indonesia über- setzt werden.140 Zusätzlich legt das Gesetz fest, dass zu angemessener Sendezeit spezielle Pro- gramme ausgestrahlt werden, welche den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entspre- chen.141 Auch nach dem neuen Rundfunkgesetz sind gewisse Themen für alle Rundfunktypen ex- plizit verboten. Verleumdung und Lügen sind nicht zulässig. Die Verherrlichung von gewalttäti- gen Darstellungen, Betäubungsmitteln oder illegalen Drogen ist untersagt. Rundfunkprogramme dürfen zudem keine ethischen oder religiösen Konflikte provozieren.142 Des Weiteren sollen reli- giöse Werte, das Ansehen der Bevölkerung sowie internationale Beziehungen durch die Rund- funkberichterstattung nicht gefährdet, lächerlich gemacht oder diffamiert werden.143 Weitere allgemeine Programmvorschriften werden über den von der KPI erarbeiteten Code of Con- duct festgelegt. Gemäß dem Gesetz muss dieser zumindest zu folgenden Themen Angaben bereit- stellen: Respekt gegenüber religiösen Ansichten, Privatsphäre, Benehmen und Moral. Einschrän-

133 Act no. 32/2002 Art. 33.1. 134 Act no. 32/2002 Art. 33.4. 135 Act no. 32/2002 Art. 34.1. 136 Act no. 32/2002 Art. 34.3. 137 Act no. 32/2002 Art. 34.5. 138 Act no. 32/2002 Art. 36.1-2. 139 Act no. 32/2002 Art. 38.1. 140 Act no. 32/2002 Art. 39.1. 141 Act no. 32/2002 Art. 36.3. 142 Act no. 32/2002 Art. 36.5.a-c. 143 Act no. 32/2002 Art. 36.6.

27 Indonesisches Mediensystem im Wandel kungen gegenüber Darstellungen von sexuellen Handlungen und Gewalt, Schutz von Kindern, Ju- gendlichen und Frauen, Programmklassifizierung nach Altersgruppen, Angaben zu Programmen in Fremdsprachen, Pünktlichkeit und Neutralität von Nachrichten, Live-Sendungen und Werbung.144 Im Gegensatz zum Pressegesetz, welches in erster Linie positive Reaktionen ausgelöst hatte, stand das Rundfunkgesetz nach seiner Verabschiedung stark in der Kritik. Medienorganisati- onen kritisierten das Gesetz und warfen der Regierung vor, sie kehre zu den alten repressiven Formen der Medienkontrolle zurück.145 Der indonesische Presserat und weitere indonesische sowie international tätige Medienorganisationen gelangten mit Protestschreiben an die Regie- rung und forderten eine Überarbeitung des Gesetzes. Die Hauptkritik betraf folgende Punkte: (a) der nach wie vor starke Einfluss der Regierung bei der Lizenzierung des Rundfunks, (b) die inhaltlichen Restriktionen, (c) die Beschränkung von ausländischen Programmanteilen sowie (d) die eingeschränkte Reichweite der privaten Fernsehsender.146 Trotz der Proteste wurde das neue Gesetz schließlich durch Präsidentin Megawati Sukarnoputri unterzeichnet. Obwohl seit der Aufhebung des Informationsministeriums im Jahr 1999 keine Regulierungsbe- hörde mehr existierte, ließ die vom neuen Rundfunkgesetz vorgeschriebene Einrichtung der KPI auf sich warten. Mitglieder des Presserates äußerten Befürchtungen, dass die Regierung absicht- lich die Einberufung der Regulierungsbehörde verzögere, um den gesamten Rundfunkbereich wieder per Ministererlass regulieren zu können.147 Kurz vor Ablauf der vom Rundfunkgesetz festgeschriebenen einjährigen Frist wurde im Dezember 2003 durch die parlamentarische Kommission für Kommunikation und Information mit der Befragung und Anhörung von insge- samt 27 Kandidaten begonnen. Nachdem die Kommission sich für neun Kandidaten entschie- den hatte, wurden diese Ende Dezember durch Präsidentin Megawati Sukarnoputri ernannt.148

6 Presse 6.1 Steuerung Der Pressebereich genoss gleich zu Beginn der Transformation eine hohe Aufmerksamkeit. Noch vor den ersten demokratischen Wahlen wurde ein neues Pressegesetz erarbeitet und von der Über- gangsregierung verabschiedet. Die wichtigsten Änderungen betrafen die Abschaffung der Lizenzie- rung und die Gründung eines neunköpfigen Aufsichts- respektive Presserates. Während der Neuen Ordnung fungierte der Informationsminister als Steuerungsakteur. Er überwachte den Inhalt der Berichterstattung, vergab die Lizenzen und kontrollierte dadurch den Pressebesitz. Gleichzeitig präsidierte er den damals 25 Mitglieder umfassenden Presserat, der die Regierung bei der Ent- wicklung der nationalen Presse zu unterstützen hatte. Mit dem Pressegesetz von 1999 verlor der Informationsminister seinen Einfluss im Pressebereich und es wurde ein neunköpfiger Presserat als Steuerungsakteur eingeführt. Die Aufgaben und Kompetenzen des Presserates sind im Ge- setz ausführlich geregelt und umfassen neben der Behandlung von Beschwerden und dem Erar-

144 Act no. 32/2002 Art. 48.4.a-j. 145 Hari, 2002, 2. 146 Memorandum on Broadcasting Bill, 2002, 1-18. 147 Hari, 2003, 1 f.

28 Indonesisches Mediensystem im Wandel beiten eines Ethikcodes weitere Maßnahmen zur Stärkung und Entwicklung der Pressefreiheit sowie der Pressequalität. So hat der Presserat unter anderem Studien zur Entwicklung der Pres- se zu erstellen und als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und der Regierung für die Belan- ge der Presse einzustehen. Die Aufgabenzuschreibung geht somit über rein korrektive Maß- nahmen im Zusammenhang mit der Behandlung von inhaltlichen Beschwerden hinaus. Dies lässt darauf schließen, dass dem Presserat bei der Etablierung einer unabhängigen Presse eine tragende Rolle zugewiesen wird und dieser im Sinne einer Selbststeuerung die Entwicklung der Presse lenken soll. Die personelle Zusammensetzung verweist auf die Unabhängigkeit des Gremiums. Gleichzeitig zeigt sich bei der Finanzierung des Presserates und im Besonderen bei der Wahl und Ernennung der Mitglieder durch das Parlament und den Staatspräsident zumin- dest auf formeller Ebene eine Verbindung zum politischen System. Wie stark der tatsächliche Einfluss der Regierung auf die Tätigkeit des Presserates ist, kann aufgrund dieser Analyse nicht beurteilt werden. Die bedeutendste Veränderung auf organisatorischer Ebene betrifft die Abschaffung der Li- zenzierung. Nachdem bereits zu Beginn der Transformation die Lizenzierungskriterien gelo- ckert worden waren, wurde mit dem neuen Pressegesetz gänzlich auf die Vergabe von Lizen- zen verzichtet. Presseunternehmen können seither frei gegründet werden. Bestimmungen, welche den Besitz der Presse festschreiben, beziehen sich im neuen Gesetz ausschließlich auf den Besitzanteil ausländischer Personen. Zudem wurde der Zugang zum Presseberuf geöffnet. Journalisten sind nicht mehr verpflichtet, einer bestimmten Journalistenorganisation anzuge- hören. Die während der Neuen Ordnung geltenden Inhaltsnormen wurden abgeschafft. Im neuen Pressegesetz werden inhaltliche Vorschriften in erster Linie über Angaben zur redakti- onellen Arbeit festgelegt. So soll wahrheitsgemäß, sorgfältig, genau und objektiv berichtet werden. Zudem muss bei Kritik, den betroffenen Personen die Möglichkeit zur Stellungnah- me eingeräumt werden.

6.2 Funktionen Die Funktionen, die der Presse über die Gesetzgebung zugewiesen werden, haben sich im Ver- lauf der Transformation grundlegend geändert. Aufgrund der alten Gesetzgebung lassen sich für die Presse während der Neuen Ordnung zwei Hauptfunktionen festlegen: Die Modernisierungs- funktion und die Integrationsfunktion. Der Modernisierungsfunktion zugerechnet werden alle Aufgaben, die im Zusammenhang mit entwicklungspolitischen Zielen stehen. Die Presse sollte Bildungs- und Erziehungsprogramme verbreiten, die Beteiligung der Bevölkerung an nationalen Entwicklungsprogrammen fördern und so allgemein zur Verwirklichung der nationalen Ent- wicklungsziele beitragen.149 Im Zusammenhang mit der Entwicklung wurde der Presse vom Gesetzgeber nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene eine Funktion zu- gewiesen. Die Presse sollte für einen ausgewogenen Informationsfluss zwischen den Ent- wicklungs- und Industrieländern sorgen und für eine neue Weltinformationsordnung (NIIO) ein-

148 Unidjaja/Saraswati, 2003, 1.

29 Indonesisches Mediensystem im Wandel stehen. Daneben kam der Presse die Aufgabe zu, die gesellschaftliche Integration sowie die Bildung einer nationalen kulturellen Identität zu unterstützen und voranzutreiben. Die Printmedien sollten zum Zusammenhalt des aus mehr als 100 verschiedenen ethnischen Gruppen bestehenden Inselreichs beitragen und ein gemeinsames indonesisches Bewusstsein fördern. Konkret hatte die Presse die Aufgabe, die nationale Einheit und Integrität zu stärken sowie Pancasila zu schützen und zu verbreiten.150 Zu den traditionellen demokratischen Me- dienfunktionen Information, Kritik und Kontrolle sowie Repräsentation finden sich in der alten Gesetzgebung nur wenige Angaben. Während auf die Repräsentationsfunktion keine Angaben hindeuten, bezog sich die Informationsfunktion in erster Linie auf entwicklungsrelevantes Wis- sen. Da die Medien während der Neuen Ordnung als Partner der Regierung gesehen wurden, war eine Überwachung der staatlichen Autorität im Sinne einer vierten Gewalt überflüssig. Die Presse durfte ausschließlich in konstruktiver und der Entwicklung des Landes förderlicher Wei- se soziale Kontrolle ausüben. Die Medien hatten in diesem Sinne nicht eine Kritik- und Kon- trollfunktion, sondern waren vielmehr Mittel, um die Staatsideologie zu verbreiten, die nationa- le Einheit und Entwicklung zu fördern und voranzutreiben. Die Modernisierungsfunktion und die Funktion der gesellschaftlichen Integration finden sich im neuen Pressegesetz von 1999 nicht mehr. Die Funktionen der Presse werden neu anhand von Leistungen, welche die Massenkommunikation traditionell in einer demokratischen Gesell- schaft erbringen soll, festgelegt. Zu diesen Leistungen zählen in erster Linie Information, Bil- dung, Unterhaltung und Kontrolle.151 Während die Bildungs- und Unterhaltungsfunktion im Pressegesetz nicht näher festgelegt sind, finden sich zur Informations- und Kontrollfunktion konkrete Angaben. Die Presse soll gesellschaftsrelevante Information verbreiten und so zur Meinungsbildung beitragen. Eine derartige Informationsvermittlung alleine reicht zur Sicherung einer chancengleichen Meinungsbildung jedoch nicht aus. Zusätzlich muss der Zugang zu den Medien für alle offen sein und die unterschiedlichen Meinungen müssen durch die Berichter- stattung angemessen berücksichtigt werden. Das neue Pressegesetz trägt diesem Anspruch und damit indirekt auch der Repräsentationsfunktion Rechnung, indem eine Vielfalt von Sichtwei- sen und eine unparteiische Berichterstattung gefordert werden. Im Pressegesetz von 1999 ist zudem die Kontrollfunktion nicht mehr eingeschränkt: Der Presse wird gegenüber allen öffent- lichen Angelegenheiten eine Kontrollfunktion zugestanden. Kontrolle ist dabei weit gefasst und beinhaltet sowohl Kritik als auch Anregungen und Vorschläge von Seiten der Presse. Zusätzlich zu den bisher genannten Funktionen werden der indonesischen Presse eine Reihe von Aufgaben zugeschrieben. Die Presse soll für Gerechtigkeit und Wahrheit eintreten, den Rechtsstaat und Menschenrechte fördern sowie grundlegende demokratische Werte stärken.152 Diese stark nor- mativ geprägten Aufgabenzuweisungen machen deutlich, dass der Presse bei der Etablierung der noch jungen indonesischen Demokratie explizit eine bedeutende Rolle zugewiesen wird.

149 Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-e. 150 Act no. 21/1982 Art. 2.2.a-d. 151 Act no. 40/1999 Art. 3.1. 152 Act no. 40/1999 Art. 6.b-e.

30 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Neben den sozialen und politischen Funktionen wird der Presse auch eine ökonomische Funkti- on zugeschrieben.153 Es handelt sich dabei weniger um eine normative Funktionszuweisung als vielmehr um die Anerkennung der kapitalökonomischen und warenzirkulierenden Funktion, die der Presse zukommt. Diese Funktion wurde während der Neuen Ordnung im Rahmen der Ge- setzgebung nicht berücksichtigt, obwohl in der Praxis die ökonomische Bedeutung der Presse- unternehmen stark angewachsen war.154 Die kapitalökonomische Funktion umfasst den Verkauf von Medienprodukten auf zwei Märkten: Einerseits werden redaktionell und nicht redaktionell bearbeitete Texte und Bilder an die Konsumentenschaft verkauft, andererseits wird durch Me- dienunternehmen bezahlter Raum für spezifische Dienstleistungen und Botschaften angeboten. 6.3 Autonomie Während der Neuen Ordnung griffen die politischen Akteure stark in den Pressemarkt ein und steuerten über die Lizenzierung nicht nur die Zahl und den Besitz der Printmedien, sondern über die Journalistenorganisation PWI auch den Zugang zum Presseberuf. Mit dem Pressegesetz von 1999 hat die Presse an Autonomie gewonnen. Dies widerspiegelt sich allgemein in der Definiti- on der Pressefreiheit. Die Presse darf nicht an der Informationssuche und -verbreitung gehindert werden, was bedeutet, es darf weder der Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquel- len beschränkt werden noch sind Zensurmaßnahmen oder Drohungen im Zusammenhang mit journalistischen Aktivitäten zulässig. Konkret wird die Unabhängigkeit der Presse gesichert, in- dem Presseunternehmen frei gegründet werden dürfen, der Berufszugang offen ist und die Be- richterstattung ohne Zensur erfolgen kann. Aufgrund des neuen rechtlichen Rahmens kann der indonesische Pressemarkt zusammenfassend als ein privatwirtschaftlicher, durch Angebot und Nachfrage organisierter Medienmarkt bezeichnet werden. Die rechtliche Situation sieht prak- tisch keinerlei Schranken für die Entwicklung des Pressemarktes vor. Es bestehen einzig gewis- se Schutzmechanismen gegenüber der Dominanz ausländischen Kapitals. 7 Rundfunk 7.1 Steuerung Die anhand der Gesetzgebungen von 1997 und 2002 feststellbaren Veränderungen bei der Rundfunksteuerung zeigen sich in erster Linie bei der Organisation der Rundfunkanstalten und dem Steuerungsakteur. Während der Neuen Ordnung existierte keine unabhängige Regu- lierungsbehörde. Die Steuerung des Rundfunks unterlag der Regierung, konkret dem Informa- tionsminister, der für sämtliche Regulierungsaufgaben wie die Lizenzvergabe, Anforderungen an die Programme oder Bestimmungen zum Besitz verantwortlich war. Auch mit dem 1997 während der Liberalisierungsphase verabschiedeten ersten Rundfunkgesetz änderte sich grundsätzlich noch nichts an den Kompetenzen der Regierung. Zwar wurde ein Aufsichts- gremium eingeführt, dieses war jedoch aufgrund seiner personellen Zusammensetzung und der Aufgabenzuweisung an die Regierung gekoppelt und in diesem Sinne kein unabhängiges

153 Act no. 40/1999 Art. 3.2. 154 Sen/Hill, 2000, 221.

31 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Gremium. Dem ersten Aufsichtsgremium folgte mit dem Rundfunkgesetz von 2002 die KPI. Dass die KPI im Gesetz explizit als staatlich unabhängige Regulierungsbehörde festgelegt ist und die Mitglieder weder politische Mandate ausüben noch persönliche publizistische Interes- sen verfolgen dürfen, ist grundsätzlich positiv zu werten. Gewisse Vorbehalte sind hingegen im Hinblick auf die Kompetenzen der Regulierungsbehörde angebracht. Die KPI ist einerseits zwar mit Regelungskompetenz ausgestattet, sie kann verbindliche Bestimmungen festlegen und die relativ allgemeinen Vorgaben des Rundfunkgesetzes durch detaillierte Regeln, wie den Code of Conduct, konkretisieren, andererseits kommt ihr bei der Lizenzvergabe nur eine beratende Stimme zu. Die KPI darf lediglich Empfehlungen abgeben, der Entscheid wird schließlich durch die Regierung gefällt. Dies birgt die Gefahr, dass die Lizenzierung nach wie vor als politisches Mittel missbraucht wird. Diese Gefahr ist umso größer, weil im neuen Rundfunkgesetz verschiedene Bestimmungen nicht klar festgelegt, sondern explizit als von der Regierung gemeinsam mit der KPI näher zu definierende Vorschriften festgeschrieben sind. Dazu zählen unter anderem die Bestimmungen zu Cross-ownership. Nicht zuletzt auch das Wahlverfahren der KPI-Mitglieder unter Einbezug von Parlament und Staatsoberhaupt sowie die Finanzierung der KPI über Staatsgelder verweisen darauf, dass die Regulierungsbe- hörde immer noch an die Akteure des politischen Zentrums gebunden ist. Mit dem Gesetz von 2002 kam es zu einer weiteren Differenzierung der Rundfunktypen. Neben den öffentlichen und privaten Hörfunk- und Fernsehangeboten sowie dem Pay-TV wurde neu der Community-Rundfunk eingeführt. Die rechtlichen Grundlagen für alle Rundfunktypen sind im selben Gesetz enthalten, wobei auffällt, dass die Ausführungen zum öffentlichen Rundfunk sehr knapp ausfallen. So fehlt eine klare Definition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Service Public ebenso, wie detaillierte Angaben zu Programminhalt, Finanzierung und Auf- sicht. Im Gesetz ist lediglich festgeschrieben, dass das öffentliche Angebot von TVRI und RRI bereitgestellt wird und neben den Gebühren und den staatlichen Geldern ebenfalls über Werbe- einnahmen finanziert wird. TVRI und RRI wurden bereits zwei Jahre vor der Verabschiedung des neuen Rundfunkgesetzes von staatlichen in öffentliche Gesellschaften mit unabhängigen Leitungsgremien und Aufsichtsräten umgewandelt. Mit der Reorganisation sollte die Unabhän- gigkeit der Rundfunkgesellschaften garantiert werden. Ein Grossteil der Bestimmungen zum privaten Rundfunk regelt den Besitz. Die Beteiligung ausländischer Kapitalgeber ist möglich, wobei der ausländische Besitzanteil nicht mehr als 20% betragen darf. Medienkonzentration und Cross Media-Besitz ist nur eingeschränkt zulässig. Weitere Einschränkungen gelten im Hinblick auf die Reichweite des privaten Rundfunks. Die privaten Rundfunkveranstalter sind verpflichtet, mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten, um in allen Provinzen ihre Programme ausstrahlen zu können. Der Community-Rundfunk ist für Indonesien gänzlich neu. Er kann als Stärkung vermehrt regionaler Rundfunkangebote gewertet werden. Im Gegensatz zu den Ange- boten der privaten Rundfunkveranstalter ist der Community-Rundfunk nichtkommerziell und direkt auf der Ebene der Gemeinschaften organisiert.

32 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Bezüglich der Programmbestimmungen sind die geringsten Veränderungen festzustellen. Die Er- füllung des Indonesian Content war und ist einer der fundamentalen Aspekte der indonesischen Rundfunksteuerung. Dies spiegelt sich insbesondere in den ausführlichen Bestimmungen, die den indonesischen Programmanteil und die Verwendung der indonesischen Sprache regeln wieder. Zumindest theoretisch haben alle Rundfunkanbieter, die öffentlichen wie die privaten gleicher- maßen, zur Wahrung der nationalen und kulturellen Identität beizutragen. Auf detaillierte Pro- grammvorschriften und die Festlegung genauer Programmgenres für einzelne Rundfunktypen wird im Gesetz verzichtet. Grundsätzlich wird gefordert, dass die vier Bereiche Information, Bil- dung, Unterhaltung und Integration berücksichtigt werden müssen. Konkreter ausgeführt werden die Programmvorschriften über Angaben zur redaktionellen Arbeit und den Code of Conduct, der von der KPI ausgearbeitet wird. Dem Code of Conduct müssen alle Rundfunkanbieter, unabhän- gig vom Typ, zustimmen. Im Code of Conduct werden unter anderen Bestimmungen zu Religion, Gewalt und sexuellen Handlungen im Programm festgeschrieben. Es wird Respekt vor der Privat- sphäre und im Besonderen der Schutz von Kindern gefordert. Besondere Bestimmungen gelten zudem im Hinblick auf Nachrichtenprogramme und Live-Sendungen.

7.2 Funktionen Die Funktionen, die dem Rundfunk in den Gesetzen von 1997 und 2002 zugewiesen werden, unterscheiden sich nur minimal. Wie die Presse soll auch der Rundfunk informieren, bilden, unterhalten und kontrollieren.155 Während sich im Gesetz zur Informations- und zur Bildungs- funktion verschiedene Hinweise finden, werden die Unterhaltungs- sowie die Kritik- und Kontrollfunktion nicht ausgeführt. Im Hinblick auf die Informationsfunktion wird eine kor- rekte und ausgeglichene Informationsvermittlung gefordert. Die Informationsfunktion muss von allen Rundfunktypen erfüllt werden, wobei sie im 1997er Rundfunkgesetz für den öffent- lichen Rundfunk betont wurde, im neuen für den Community-Rundfunk hervorgehoben wird. Dem Community-Rundfunk kommt explizit die Aufgabe zu, Informations- und Bildungspro- gramme zu verbreiten. Zu den Bildungsprogrammen zählen Beiträge, die gesellschaftliche Themen behandeln und zur Steigerung der Wohlfahrt beitragen. Neben der Informationsfunktion nimmt im neuen Rundfunkgesetz insbesondere die Integrati- onsfunktion und die damit verbundene Funktion des Nation-Building eine wichtige Stellung ein. Der Rundfunk hat die Aufgabe, die nationale Identität zu erhalten und die innerstaatliche Einheit zu stärken.156 Die kulturelle Identität wird dabei, wie schon während der Neuen Ord- nung, in erster Linie als Homogenität verstanden, was sich sowohl in der Rundfunksprache als auch in den Programminhalten äußert. Nationale TV-Inhalte sollen gefördert und der aus- ländische Besitz eingeschränkt werden. Auch die von Suharto propagierte Rolle des Rund- funks für die nationale Entwicklung ist, wenn auch in leicht abgeänderter Form, im neuen Rundfunkgesetz wieder aufgenommen worden. Der Rundfunk soll eine aktive Rolle der Ge-

155 Act no. 32/2002 Art. 4. 156 Act no. 32/2002 Art. 5.b-d.

33 Indonesisches Mediensystem im Wandel sellschaft bei der nationalen und regionalen Entwicklung fördern.157 Auf eine präzisere Fest- legung der Entwicklungsfunktion im Programmbereich wird verzichtet. Es ist allgemein die Rede von Programminhalten, die zur Stärkung einer unabhängigen, demokratischen, fairen und prosperierenden Gesellschaft beitragen.158 So wie die Presse, hat auch der Rundfunk die Aufgabe, das Bewusstsein für den Rechtsstaat und die nationale Disziplin zu erhöhen.159 Die Repräsentationsfunktion wird im neuen Rundfunkgesetz nicht explizit erwähnt. Es lassen sich jedoch verschiedene Hinweise darauf finden. So unter anderem in der Forderung, dass mög- lichst alle Interessen und Bedürfnisse der indonesischen Bevölkerung abgedeckt und reprä- sentiert werden sollen. Das Rundfunkangebot soll grundsätzlich der gesamten indonesischen Gesellschaft dienen. Auf der organisatorischen Ebene wird die Repräsentationsfunktion zu- dem in den Bedingungen zur Zusammensetzung der Regulierungsbehörde KPI sichtbar. Die KPI soll sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene präsent sein. Die dem Rundfunk zugewiesene ökonomische Funktion bezieht sich sowohl auf den Rund- funksektor als auch auf das gesamte ökonomische System. Allgemein soll der Rundfunk im Umfeld der Globalisierung zur Erhöhung des Wohlstandes sowie zur Stärkung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen.160 Innerhalb des Rundfunksektors muss sichergestellt wer- den, dass ein fairer Wettbewerb herrscht und Monopole verhindert werden.161 Die dem Rund- funk zugewiesene ökonomische Funktion verweist damit auf die wirtschaftliche Souveränität und im weiteren Sinne ebenfalls auf die nationale Eigenständigkeit.

7.3 Autonomie Der Rundfunk ist im Vergleich zur Presse traditionell einer stärkeren Steuerung durch das poli- tische System ausgesetzt. Die politischen Akteure nehmen eine initiierende und intervenierende Funktion wahr. Während der Neuen Ordnung wurden die Rundfunkaktivitäten aus entwick- lungspolitischen und kulturellen Überlegungen direkt der Regierung unterstellt. Insbesondere das staatliche Fernsehen und das staatliche Radio dienten als Instrument direkter Einflussnahme und als Sprachrohr für politische Interessen. Diese direkte Anbindung der Medien an die Politik findet sich in der neuen Rundfunkgesetzgebung nicht mehr. Die Auflösung des Informations- ministeriums und die damit zusammenhängende Überführung der staatlichen Rundfunkgesell- schaften TVRI und RRI in öffentliche Gesellschaften mit unabhängigen Leitungsgremien und Aufsichtsräten sowie die Schaffung einer Regulierungsbehörde für den Rundfunk können grundsätzlich als Beitrag zur Trennung von Medien und Staat und damit als Autonomiegewinne gewertet werden. Gleichzeitig hat die Begutachtung des Wahlverfahrens und der Kompetenzen der neu gegründeten Gremien gezeigt, dass deren Unabhängigkeit beschnitten ist. Da die Mit- glieder der Unternehmensleitung von TVRI und RRI als auch der Aufsichtsräte durch den Fi- nanzminister ernannt werden, ist auf formeller Ebene eine Anbindung an das politische System

157 Act no. 32/2002 Art. 5.f. 158 Act no. 32/2002 Art. 3. 159 Act no. 32/2002 Art. 5.e. 160 Act no. 32/2002 Art. 5.h.

34 Indonesisches Mediensystem im Wandel vorhanden. Noch stärker ist diese Anbindung im Zusammenhang mit der Regulierungsbehörde KPI. Die Unabhängigkeit der Behörde ist aufgrund ihrer im Gesetz festgeschriebenen Kompe- tenzen und der Bindung an den Staatshaushalt nicht garantiert. Eine gewisse Einflussnahme durch die Politik ist im Rundfunkbereich also nach wie vor möglich. Im Zusammenhang mit der Autonomie des Rundfunks stellt sich zudem die Frage, ob der Rundfunk vom Markt unabhän- gig ist. Da sowohl der öffentliche als auch der private Rundfunk stark werbeabhängig sind, müssen gewisse Vorbehalte angebracht werden. Es bleibt offen, inwiefern das Rundfunksystem den Public Service-Auftrag trotz dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit erfüllen kann. Zusammenfassend fällt auf, dass sich sowohl Steuerungs- und Regulierungsmodi für Presse und Rundfunk als auch die damit verbundenen Vorstellungen über Funktionen und Autonomie der Medien während der Transformation gewandelt haben. Aufgrund der neuen rechtlichen Grund- lagen kann das indonesische Mediensystem mehrheitlich als liberal bezeichnet werden. Insbe- sondere im Bereich der Steuerungsakteure sowie der Organisation der Medien kam es zu ge- wichtigen Veränderungen, die sich im Pressebereich in der freien Gründung von Presseunter- nehmen, der unzensurierten Berichterstattung und der Gründung des Presserates manifestieren. Die Schwerpunkte im Rundfunkbereich liegen in der Schaffung einer Regulierungsbehörde, der vierteiligen Organisation des Rundfunks sowie in den inhaltlichen Bestimmungen zum Inhalt. Der Presse und dem Rundfunk werden neu soziale, politische und ökonomische Funktionen zu- geschrieben, wobei die Funktionszuweisung nicht für beide Medientypen deckungsgleich ist. Während für den Rundfunk die Integrationsfunktion beziehungsweise die Funktion des Nation- Building sowie die Entwicklungsfunktion nach wie vor stark gewichtet werden, steht bei der Presse die Kontrollfunktion und die Repräsentationsfunktion im Vordergrund. Insgesamt am stärksten beachtet werden die Informationsfunktion und die Bildung. Dies stellt einen klaren Bruch der vormaligen Medienpolitik dar. Während der Neuen Ordnung waren die Medien in das politische System eingebunden und durch das Informationsministerium gesteuert und kon- trolliert. Die starke staatliche Medienkontrolle wurde mit der Stärkung der kulturellen und poli- tischen Einheit des Landes begründet. Als Partner der Regierung sollten die Medien zur Ver- breitung der asiatischen Werte und insbesondere der Pancasila-Philosophie beitragen und gleichzeitig ein für die nationale Entwicklung förderliches Klima schaffen. Die Veränderungen im Hinblick auf die Institutionalisierung des Mediensystems sind insgesamt beträchtlich.

8 Bewertung des Medienwandels im Kontext der Transformation Die beschriebenen Redaktionsschließungen von 1994 sind für den Transformationsprozess in zweierlei Hinsicht bedeutungsvoll. Einerseits zeigen sie, dass die Regierung trotz ersten An- zeichen einer Liberalisierung die Medien nach wie vor stark kontrollierte und immer noch die Macht besaß, um auch gegen große Medienkonglomerate vorzugehen, andererseits können die Redaktionsschließungen als Zeichen interpretiert werden, dass die Medien im politischen

161 Act no. 32/2002 Art. 5.g.

35 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Kampf an Bedeutung gewannen und zu einem wichtigeren Faktor wurden.162 Dafür spricht die massive Kritik, welche das Verschwinden der drei Magazine begleitet hat und infolge auch zur Gründung der Journalistenorganisation AJI führte. Inwiefern die Mitglieder der Journalistenorganisation durch ihre Aktivitäten zur Transformation beigetragen haben und damit im Sinne der Akteurstheorien zu informellen Akteuren wurden, lässt sich aufgrund der Gesetzesanalyse und des dargestellten Verlaufs des Medienwandels nicht abschließend beur- teilen. Die Herausgabe der alternativen Zeitung Suara Independen kann zumindest als Beitrag zur Schaffung einer informellen Öffentlichkeit gewertet werden. Ebenfalls dürfte AJI bei der Vernetzung der Opposition mit dem Ausland und den damit zusammenhängenden Demonst- rationseffekten eine Rolle gespielt haben. Während AJI Sympathisanten im eigenen Land ständigen Einschüchterungen durch die Regierung ausgesetzt waren, erhielten sie aus dem Ausland Unterstützung und wurden mit verschiedenen Preisen, u.a. durch die International Federation of Journalists (IFJ), für ihr Engagement geehrt.163 Dass die Belange von Hörfunk und Fernsehen kurz vor dem Ende des autoritären Regimes erst- mals eine rechtliche Basis erhielten und damit das staatliche Fernsehmonopol definitiv aufgeho- ben wurde, zeigt, dass Dezentralisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen im indonesischen Mediensystem nicht erst nach dem Ende des autoritären Regimes, sondern bereits während den letzten Jahren der Neuen Ordnung auftraten. Ausschlaggebend für die Zulassung privater Fern- sehsender waren in erster Linie politische und ökonomische Gründe.164 Die autoritäre Regierung sah in der Zulassung kommerzieller Anbieter das beste Mittel, um im Zuge der zunehmenden In- ternationalisierung die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Fernsehindustrie zu stärken und gleichzeitig die Kontrolle über die Fernsehprogramme zu erhalten. „Deregulation was in no sense a liberalization of the television sector, but is best understood as motivated by state authorities’ interest in regulating the influx of foreign televisual services and programming, which became popular in the mid-1980s.“ 165 Die Analyse des ersten Rundfunkgesetzes zeigt, dass die Pro- grammvielfalt der privaten Fernsehsender eingeschränkt war. Die Anbieter privater Fernsehpro- gramme durften ebenso wie die privaten Hörfunkstationen keine eigenen Nachrichtensendungen produzieren. Sie mussten entweder die Nachrichten des staatlichen Senders TVRI übernehmen oder aber sich auf Unterhaltungssendungen beschränken. Über die Lizenzierung wurde zudem der Besitz gesteuert. Alle kommerziellen Fernsehsender befanden sich in den Händen der Präsidentenfamilie oder deren engen Vertrauten aus der Wirtschaft. „The pattern of vertical integration between pri- vate media and the ruling regime is a rare phenomenon in the world’s market economies. In neighbouring Southeast Asian countries, e.g. Singapore and Malaysia, the media have been under state-controlled holding companies; but in the Indonesian case, it is individual members of the ruling elite and their cronies who personally own the media as part of their business empires.“ 166

162 Sen/Hill, 2000, 52. 163 ebenda, 56. 164 Chan/Ma, 1996, 48. 165 Kitley, 2000, 331. 166 Hidayat, 2002, 163.

36 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Auch wenn die Zulassung privater Fernsehsender durch die autoritäre Regierung auf den ersten Blick also nicht als Liberalisierung des Mediensystems, sondern lediglich als ökonomische Diffe- renzierung des TV-Marktes gewertet werden kann, ist sie für den Verlauf des Medienwandels im Kontext der Transformation entscheidend. Durch die Zulassung privater Rundfunkanbieter kamen neue Medienakteure auf den Markt, die aufgrund ihrer ökonomischen Grundlagen eine größere Un- abhängigkeit genossen und längerfristig dazu beitrugen, dass die Medienkontrolle durch die Regie- rung schwand. „In the last decade of the New Order, however, the state was losing control of media products in a more general sense, due to changes in media technologies and economies.” 167 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, das der private Fernsehsender IVM, der erst 1991 eine Sendelizenz erhalten hatte und mit der Salim Gruppe zu einem der größten indonesischen Wirt- schaftskonglomerate gehörte, schließlich als Erster über die wachsenden Proteste gegenüber dem autoritären Regime berichtete. Indem in verschiedenen Sendungen erstmals öffentlich Alternati- ven zur autoritären Regierung diskutiert wurden, trugen sie zur Eröffnung eines politischen Dia- logs bei. Den privaten Fernsehstationen kam dabei die Rolle des Leitmediums zu, folgten der TV- Berichterstattung doch kurze Zeit später Berichte in den Printmedien und zuletzt sogar im staatli- chen Fernsehen.168 Inwiefern die Medien dabei als Motor der Transformation gesehen werden können, das heißt zur Mobilisierung gegen das autoritäre Regime beigetragen haben, kann ohne Daten zur Medienwirkung nur aufgrund des dargestellten Verlaufs des Medienwandels und der Gesetzesanalyse nicht beurteilt werden. Da die Berichterstattung jedoch erst in der unmittelbaren Umbruchphase, als die Proteste auf der Strasse ihren Höhepunkt erreicht hatten, einsetzte, ist da- von auszugehen, dass die Medien die Auflösung des autoritären Regimes in erster Linie begeleitet und nicht verursacht haben. Zudem ist zu bedenken, dass in der unmittelbaren Umbrauchphase den lokalen Medien und denjenigen in Jakarta nicht immer dieselbe Bedeutung zukam. „We found that some of the local media, taking into account specific internal and external considera- tions, became immediately involved in the reform movement in their areas, and contributed sig- nificantly to its acceleration; other local media, with other considerations, either ‚gambled’ or were forced to support the movement at the last minute before Suharto was overthrown.“ 169 Die Debatte um die zukünftige Medienpolitik setzte direkt nach dem Rücktritt Suhartos 1998 ein. Die Übergangsregierung und im Besonderen der neu ernannte Informationsminister zeigten sich reformfreudig und maßen einer neuen Mediengesetzgebung große Bedeutung zu. Der Schwerpunkt lag dabei ganz klar bei der Presse. Dies liegt wohl darin begründet, dass für den Rundfunkbereich erst ein Jahr zuvor ein erstes Gesetz verabschiedet worden war und neben dem staatlichen Rundfunk bereits private Rundfunkanbieter existierten, die nach dem Rücktritt Suhartos relativ frei berichten konnten.170 Zudem konnte der Pressebereich ohne legislative Verfahren durch Erlasse des Informationsministers rascher und einfacher restrukturiert werden als der Rundfunkbereich. Durch den Informationsminister wurden die Lizenzierungsvorschrif-

167 Sen/Hill, 2000, 12. 168 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148. 169 Gazali, 2002, 138.

37 Indonesisches Mediensystem im Wandel ten für Presseunternehmen gelockert. Die ersten Veränderungen im Medienbereich waren von der Elite initiiert und gelenkt. In der Folge führte die vereinfachte Lizenzierung nicht nur zu ei- nem Anstieg an Pressetiteln und damit zu einer größeren Vielfalt auf dem Pressemarkt, sondern auch zu einem für die Institutionalisierungsphase charakteristischen Nebeneinander von alten und neuen Medien. Neben den staatlichen und kommerziellen Rundfunkangeboten sowie den während der Neuen Ordnung lizenzierten Printmedien kamen zusätzlich neue Zeitungen und Magazine auf den Markt, die versuchten mit teilweise spezialisierten Angeboten neue Leser zu gewinnen.171 Die Demonopolisierung und Dezentralisierung trat nach dem Regimewechsel zu- nächst also bei den Printmedien ein. Gleich nach dem Ende des autoritären Regimes genossen die Medienbetreiber, Journalisten und Journalistinnen zudem relativ große Handlungsspielräu- me, weil eine neue Mediengesetzgebung noch nicht in Kraft war und die alte von der Über- gangsregierung ignoriert oder zumindest sehr großzügig interpretiert worden war.172 Im Zusammenhang mit der Institutionalisierungsphase stellt sich die Frage nach dem Prozess, der schließlich zu den neuen institutionellen Strukturen und damit zur neuen Pressegesetzge- bung geführt hat. Der durch den Regimewechsel entstandene Handlungsspielraum ermöglichte eine größere Interaktion zwischen den politischen Akteuren und Vertretern aus dem Medienbe- reich. Da sich im Pressebereich seit den Redaktionsschließungen von 1994 und der Gründung von AJI bereits eine organisierte Opposition gebildet hatte, konnten die Vertreter aus dem Me- dienbereich sowie Vertreter weiterer zivilgesellschaftlicher Gruppen ihren Einfluss relativ gut gelten machen. Sie erhielten die Möglichkeit zur Stellungnahme und konnten ihre Forderungen in die Debatte einbringen. Dies entspricht der generellen Verlaufsform der während der Institu- tionalisierungsphase stattfindenden Verhandlungen zwischen den strategischen Gruppen und ih- ren Herausforderern. Das neue Pressegesetz kann entsprechend als Resultat eines Aushand- lungsprozesses bezeichnet werden. Im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses mussten Leitideen zur Ausgestaltung des Mediensystems entwickelt werden. Das Besondere daran ist, dass nicht auf Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte, weil Indonesien aus der Vergan- genheit weder demokratische Regierungsformen noch eine freie Presse gekannt hatte.173 Die Leitideen mussten von den betroffenen Akteuren neu erarbeitet werden. Dies geschah unter Einbezug von ausländischen Vorbildern, indem Berater aus dem Ausland beigezogen wurden und bei der Formulierung der Mediengesetzgebung mitwirkten. Die Rolle der Regierung und im Besonderen des Informationsministers verdient spezielle Beachtung. Trotz anfänglichen Be- fürchtungen der Reformkräfte hielt die Übergangsregierung nicht an den alten Verhältnissen fest. Ihre liberalen Ansichten trugen im Gegenteil dazu bei, dass das Resultat des Aushand- lungsprozesses schließlich breit abgestützt und akzeptiert war. Der Zeitrahmen der Gesetzesdebatte und der Zeitpunkt der Verabschiedung des neuen Presse- gesetzes erstaunen insofern, als dass eine demokratisch nicht legitimierte Übergangsregierung

170 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 148. 171 Neumann, 2000, 16. 172 Romano, 2003, 49.

38 Indonesisches Mediensystem im Wandel das Gesetz verabschiedete. Zudem war es in der Geschichte Indonesiens das erste Mal, dass ein Gesetz in so kurzer Zeit erarbeitet und erwirkt wurde: „The proponents of reform knew that the government then in power [under B.J. Habibie] was strongly committed for press freedom, but they were uncertain about the attitude of the incoming legislature and govern- ment.” 174 Die hohe Dringlichkeit deutet darauf hin, dass unabhängige Medien als Vorausset- zung eines demokratischen politischen Systems betrachtet wurden und der Presse bei der Etablierung einer demokratischen Gesellschaft eine tragende Rolle zugewiesen wurde. In der neuen Gesetzgebung sind Funktionen der Presse für die sich demokratisierende Gesell- schaft festgelegt. Die Presse soll informieren, bilden, kontrollieren und zur Stärkung demo- kratischer Werte beitragen. Zumindest auf rechtlicher Ebene haben sich damit neue Funktio- nen herausgebildet und die Presse kann demnach als eigenständig bezeichnet werden. Damit verbunden waren teilweise überzogene Erwartungen an die Wirksamkeit der Medien und ih- ren Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft. Unabhängige Medien wurden als Aller- weltsmittel zur Lösung der mit der Neuen Ordnung in Verbindung gebrachten Probleme, wie schlechte Staatsführung und Korruption, betrachtet.175 Mit der Abschaffung des Informationsministeriums zu Beginn der Konsolidierungsphase wurde endgültig mit der Medienpolitik der Neuen Ordnung gebrochen und ein wichtiger Schritt zur Trennung von Medien und Staat vollzogen. Ein Informationsminister, der für sämtliche Belan- gen der Mediensteuerung verantwortlich war und quasi als amtlicher Zensor über die Medien- berichterstattung wachte, gab es nicht mehr. Wie der Rundfunkbereich zukünftig strukturiert sein sollte, war mit der Aufhebung des Ministeriums jedoch noch nicht geklärt. Neue gesetzli- che Grundlagen für die Regulierung des Rundfunks fehlten und mussten erst erarbeitet werden. Aufgrund eines Regierungsbeschlusses wurden zunächst die staatlichen Rundfunkgesellschaf- ten TVRI und RRI in öffentliche Gesellschaften überführt. Die Umwandlung von TVRI und RRI wurde entsprechend als wichtiger angesehen als die Bildung einer Regulierungsbehörde. Dies hatte wohl damit zu tun, dass TVRI und RRI bisher direkt dem Informationsminister unterstellt waren. Hinzu kam die missliche finanzielle Lage der staatlichen Gesellschaften, insbesondere von TVRI, welche die Regierung zum Handeln zwang. Seit der Zulassung privater Fernsehsen- der war der Konkurrenzdruck stark angewachsen. TVRI hatte mit schwindenden Zuschauerzah- len und finanziellen Problemen zu kämpfen.176 Der langwierige Verhandlungsprozess und die Reaktionen der Opposition gegenüber dem 2002er Rundfunkgesetz weisen darauf hin, dass ein mangelnder Grundkonsens über die Steu- erung der elektronischen Medien bestand. Während direkt nach dem Regimewechsel ein gro- ßes Interesse nach Artikulation, Dialog und Freiheit vor staatlicher Gängelung herrschte und sich schließlich in der neuen Pressegesetzgebung manifestierte, war die Übereinstimmung der Interessen der verschiedenen Akteure während der Konsolidierungsphase nicht mehr gegeben.

173 Idris/Gunaratne, 2000, 266 ff. 174 Dahlan, 2000, viii. 175 Romano, 2003, 50.

39 Indonesisches Mediensystem im Wandel

Einerseits traten ökonomische Interessen in den Vordergrund. Die kommerziellen Rundfunk- anbieter waren in erster Linie daran interessiert ihre Gewinne zu maximieren, gleichzeitig wurde der Rundfunk verstärkt als Teil der Industriepolitik gesehen und sollte zum wirtschaft- lichen Wachstum des Landes beitragen. Andererseits kamen erneut Machtansprüche der Re- gierung zum Tragen. Die Analyse des neuen Rundfunkgesetzes zeigt, dass dem Rundfunk zwar neue Funktionen zugeschrieben wurden und sich das Rundfunksystem weiter ausdiffe- renziert hat, die Regierung über die Kontrolle der Regulierungsbehörde und im Besonderen über die Lizenzierung aber nach wie vor versucht, Einfluss auf den Rundfunk zu nehmen. Un- ter den politischen Eliten herrscht teilweise immer noch die Vorstellung, Medien müssten Po- litik in der Gesellschaft vermitteln und jegliche Kritik ausschalten. So sprach sich Staatspräsi- dentin Megawati Sukarnoputri zwar für Pressefreiheit aus, betonte jedoch gleichzeitig, dass die Medien im Interesse der Entwicklungs- und Integrationsfunktion ihre Aufgaben zu erfül- len hätten.177 Die Bereitschaft der politischen Akteure, den Rundfunkmedien und im Beson- deren dem Fernsehen Freiräume einzuräumen, lässt also nach wie vor zu wünschen übrig. Was Thomaß und Tzankoff für Osteuropa festgestellt haben, gilt zumindest ansatzweise auch für Indonesien. Der Rundfunk erweist sich als „...transformationsresistentes Relikt...“ autori- tärer Medienpolitik.178 Dass die Instrumentalisierungsversuche insbesondere den Rundfunk- bereich betreffen, liegt neben seiner Bedeutung als reichweitenstärkstes Medium – Fernsehen und Hörfunk erreichen 60 bzw. 90% der indonesischen Bevölkerung – wohl auch in der Ge- schichte des indonesischen Rundfunks und im Besonderen des Fernsehens begründet. Das Fernsehen wurde während der Neuen Ordnung als Sprachrohr für politische Interessen und zur Bildung einer nationalen Einheit eingesetzt und war seit jeher stärker der politischen Ein- flussnahme ausgesetzt als Hörfunk und Presse. Inwiefern die Unabhängigkeit des Rundfunks in Zukunft gestärkt werden kann, wird stark von der Rolle und Kompetenz der Regulierungsbehörde KPI abhängen. Die KPI muss sich in den nächsten Jahren als Regulierungsbehörde etablieren und sich sowohl gegenüber der Re- gierung als auch gegenüber kommerziellen und öffentlichen Rundfunkanbietern als eigen- ständiger Akteur durchsetzen. Nur wenn dies gelingt, kann die KPI lenkend in den Medien- markt eingreifen und so allenfalls als Agentin der Demokratisierung wirken. Neben der er- wähnten problematischen Einflussnahme durch die Regierung besteht die Gefahr, dass die KPI gegenüber kommerziellen Rundfunkanstalten, die sich seit der Neuen Ordnung als Teil größerer Medienkonglomerate und Wirtschaftsunternehmen zu einflussreichen Akteuren ent- wickelt haben, zu schwach ist. Es bleibt zudem abzuwarten, ob die nach wie vor stark kon- zentrierten Besitzstrukturen, insbesondere in den Händen von ehemals regimetreuen Akteu- ren, aufgebrochen werden können und damit eine breitere Streuung des Medienbesitzes er- reicht werden kann. Dass in der Mediengesetzgebung gewisse Schutzmechanismen gegen Konzentrationsprozesse eingeführt wurden, ist positiv zu werten, auch wenn die Bestimmun-

176 D’Haenens/Gazali/Verelst, 1999, 134. 177 Romano, 2003, 167.

40 Indonesisches Mediensystem im Wandel gen sehr allgemein gehalten sind. Offen ist in diesem Zusammenhang, wie sich die teilweise Öffnung des indonesischen Medienmarktes gegenüber dem Ausland auswirkt. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob der Konzentrationsprozess weiter fortschreitet oder aber dank der Unterstützung von ausländischen Kapitalgebern eine größere Medienvielfalt möglich wird. Die rund 1.000 lokalen Radiostationen profitieren teilweise von ausländischem Kapital und der Bildung von Networks.179 Inwiefern dies im Bereich des Fernsehens der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Neben den fünf bereits unter der Neuen Ordnung zugelassenen privaten Fernsehstationen, haben sich seit dem Ende des autoritären Regimes weitere acht um eine Sendelizenz beworben.180 Da die Reichweite der kommerziellen Fernsehsender gesetzlich je- doch beschränkt ist und sie mit lokalen Anbietern zusammenarbeiten müssen, um in allen Provinzen empfangbar zu sein, besteht die Gefahr, dass die beiden Fernsehkanäle von TVRI für einen Großteil der Bevölkerung auch in Zukunft die einzige Alternative bleiben werden. Für den untersuchten Zeitraum lässt sich der Wandel der indonesischen Medien zusammen- fassend in vier charakteristische Phasen einteilen: Die anfänglichen 1990er Jahre bis Mai 1998: Phase der Kommerzialisierung und des verstärkten Konkurrenzkampfes zwischen staatlichen und kommerziellen Rundfunkanbietern. Gleichzeitig unterliegt sowohl die Presse- als auch die Rundfunkberichterstattung der staatlichen Kontrolle. Mai 1998 bis Ende 1999: Phase der Demonopolisierung und Dezentralisierung des Presse- marktes sowie der Erarbeitung neuer institutioneller Strukturen für das Pressesystem. Das neue Pressegesetz entsteht relativ früh, als noch keine demokratisch gewählte Regierung im Amt ist und neue verfassungsrechtliche Grundlagen fehlen. 2000 bis Ende 2002: Phase der Restrukturierung der audiovisuellen Medien. Die staatlichen Rund- funkgesellschaften werden in öffentliche Gesellschaften überführt und ein neues Rundfunkgesetz, das unter anderem die Schaffung einer Regulierungsbehörde vorsieht, wird durch eine demokratisch gewählte Regierung verabschiedet. Im Vergleich zum Presse- fällt das Rundfunkgesetz weniger li- beral aus. Wie erwähnt kann dies mit den unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure, die sich im Verlauf der Transformation ebenfalls gewandelt haben, erklärt werden. Ende 2002: Phase der Konsolidierung des Mediensystem, wobei aus heutiger Sicht offen bleibt, wie die Konsolidierung des Presse- und Rundfunkmarktes aussehen wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Medien als eigenständige Akteure etablieren können oder aber politische und öko- nomische Interessen in den Vordergrund treten und die Medien in deren Abhängigkeit geraten.

178 Thomaß/Tzankoff, 2001, 246. 179 Gazali, 2002, 137. 180 Idris/Gunaratne, 2000, 281.

41 Indonesisches Mediensystem im Wandel

9 Die Rolle von Presse und Rundfunk im Transformationsprozess Indonesiens Eine abschließende Bewertung des indonesischen Mediensystems während der Transformation fällt nicht leicht. Die Entwicklung im Presse- und Rundfunkbereich zeigt unterschiedliche Ten- denzen und ist noch nicht abgeschlossen. Erst die Zukunft wird zeigen, inwiefern sich das Me- diensystem konsolidieren kann. Gemessen an der Mediensituation während des autoritären Re- gimes haben sich die Medienstrukturen grundlegend verändert und aus systemtheoretischer Sicht kann von einer Umplatzierung der Medien vom politischen in das gesellschaftliche Sys- tem gesprochen werden. Obwohl die Autonomie von Presse und Rundfunk nicht in gleichem Masse garantiert ist, hat die Unabhängigkeit der Medien insgesamt zugenommen. Im Verlauf der Transformation wurden sowohl auf der Ebene der Verfassung als auch auf der Ebene der Mediengesetze neue rechtliche Grundlagen geschaffen, welche eine größere Unabhängigkeit der Medien sichern. Das Mediensystem hat ebenfalls spezifische Funktionen herausgebildet und sich ausdifferenziert, wobei der Differenzierungsprozess schon unter dem autoritären Regime einsetzte. Die autoritäre Regierung hatte durch ihren liberalen Wirtschaftskurs die Kommerzia- lisierung des Mediensystems vorangetrieben, gleichzeitig jedoch versucht, über Programm- und Besitzvorschriften die autoritäre Medienkontrolle aufrechtzuerhalten. Nach dem Regimewech- sel kam es zu einer gegenteiligen Entwicklung: „The New Order was characterized by eco- nomic expansion and political restrictions. ‚Reformasi’ has up until now been the reverse, marked by an erosion of political restrictions and a contraction of the economy.” 181 Viele Me- dienbetreiber haben seit dem Regimewechsel mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen und die Korruption ist auch im Mediensektor in Form von finanziellen „Zuschüssen“ an Journalis- ten, der Envelope-Kultur, weit verbreitet.182 Gefährdet wird die Unabhängigkeit der Medien des Weiteren durch problematische arbeits- und strafrechtliche Rahmenbedingungen unter denen journalistische Arbeit stattfindet. Hierzu zählen u.a. politisch motivierte Strafverfolgungen, Gewalt von der Straße, unzureichende Entlöhnungen und eine schlechte Organisation der Jour- nalisten.183 Inwiefern die Medien zum Aufbau und zur Konsolidierung einer demokratischen Gesellschaft beigetragen haben und weiter beitragen, ist wegen des noch nicht abgeschlossenen Prozesses schwierig zu beantworten. Anhand der neuen Mediengesetzgebung lassen sich zumindest posi- tive Anzeichen ausmachen. So kann der Presserat aufgrund seiner Funktionszuweisung als ge- setzlich verankerte Selbstregulierung des Mediensystems bezeichnet werden. Im Sinne der Ak- teurstheorien werden die Medien damit zu eigenständigen Akteuren, die einen gewissen Ein- fluss geltend machen und entsprechend zur Konsolidierung des Mediensystems, als auch zur Konsolidierung der Demokratie beitragen können. Gleichzeitig muss sich der Presserat als un- abhängiges Gremium, welches die Pressefreiheit stärkt, im weiteren Verlauf der Konsolidierung

181 Sen/Hill, 2000, 221. 182 Romano, 2003, 150. 183 Vatikiotis, 2001, 147.

42 Indonesisches Mediensystem im Wandel ebenfalls etablieren. Das Dilemma der Gleichzeitigkeit, dem die Medien im Transformations- prozess ausgesetzt sind, lässt sich exemplarisch also auch am Presserat feststellen. Im Rundfunkbereich kann insbesondere der Community-Rundfunk als Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft verstanden werden. Die auf Gemeinschaftsebene organisierten, nicht gewinnorientierten Rundfunkangebote können als zivilgesellschaftliche Gegenmacht gelten. Im Gegensatz zum öffentlichen Rundfunk trägt der Community-Rundfunk auf der Ebene der Gemeinschaft zur Interessensartikulation und zur Förderung der Partizipation bei. Da in Indo- nesien die kulturellen Differenzen groß sind und aufgrund der ökonomischen Unterschiede zwischen dem Zentrum und den peripheren Gebieten verstärkt werden, kann der Community- Rundfunk im Idealfall einen Beitrag zum Abbau dieser Differenzen leisten. Insbesondere im Bereich der Bildung und Entwicklung liegen entsprechende Chancen.

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44

Abstract

Indonesiens Mediensystem befindet sich seit dem Ende der Militärdiktatur 1998 in einem rasan- ten Veränderungsprozess. Die staatliche Zensur und ständige Überwachung von Presse und elekt- ronischen Medien wurde mit dem – im Zuge der Demokratisierung eingeführten – liberalen Pres- segesetz von 1999 abgeschafft. Doch heißt das für indonesische Journalisten, dass sie nun unab- hängig arbeiten können? Vor dem Hintergrund des Dualismus von Pressefreiheit – als verfassungsmäßig garantiertem Grundrecht – und überwiegend privatwirtschaftlich organisierten Medienunternehmen als Träger dieses Grundrechtes, geht die Autorin der Frage nach, wie es um die redaktionelle Autonomie in indonesischen Medien bestellt ist. Nach einer Schilderung der Rahmenbedingungen des indone- sischen Mediensystems beschreibt der vorliegende Aufsatz die wirtschaftliche Struktur und die redaktionelle Arbeitsweise der vier überregionalen indonesischen Morgenzeitungen Kompas, Ko- ran Tempo, Media Indonesia und Republika. Die aus Redaktionsbeobachtungen und Akteurs- befragungen gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Journalisten in Zeitungen mit Mehrheitseigner ohne eigenen journalistischen Hintergrund massiven Verlegereingriffen ausgesetzt sind. Am unab- hängigsten hingegen können Journalisten arbeiten, deren Blatt mehrheitlich im Stiftungsbesitz ist.

Autorin Anett Keller, Jahrgang 1971, hat in Leipzig und Yogyakarta (Indonesien) Journalistik, Poli- tikwissenschaft und Indonesisch studiert und bei der taz in Berlin volontiert. Zahlreiche For- schungsreisen führten sie mehrfach nach Indonesien und in andere asiatische Länder. Neben ihrer Arbeit als Journalistin gestaltete sie verschiedene Medienprojekte des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Jakarta mit. Derzeit ist Anett Keller als Auslandsredakteurin der taz für die Asienberichterstattung zuständig.

46 Pressefreiheit in Indonesien Fragen redaktioneller Autonomie in einem sich transformierenden Mediensystem

Ein Vergleich der vier überregionalen Tageszeitungen: Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika

Anett Keller

1 Einleitung „Ich wusste schon früh, was es heißt, vor Worten Angst zu haben.“ So schilderte einst Goenawan Mohamad (1998: 169), einer der bekanntesten indonesischen Publizisten, das Klima der Mei- nungsfreiheit in seinem bis 1998 diktatorisch regierten Heimatland. Er fügte hinzu, dass nicht die Worte an sich Furcht einflößten: „Was die Menschen wirklich ängstigt, ist die Unmöglichkeit, die Wirkung ihrer Worte vorauszusehen“. Goenawans Schilderungen beschreiben eine Folge dieser Angst: Selbstzensur. Wer die Wirkung seiner Worte nicht voraussehen kann und sich deswegen fürchtet, der schweigt oder wählt bere- chenbare Worte. In den Jahren der Suharto-Diktatur hatte sich Selbstzensur in den indonesischen Medien unter dem prüfenden Blick des allmächtigen Informationsministeriums fest etabliert. Wer sich dem staatlichen Diktum einer Presse als unkritischem Aufbauhelfer des Landes nicht beugte, musste mit physischer Bedrohung rechnen oder wurde mit Lizenzentzug zum Schweigen ge- bracht. 1998 wurde Suharto gestürzt. Seitdem befindet sich Indonesien auf dem Weg zur Demo- kratie. Staatliche Zensur wurde abgeschafft, ein Menschenrechtskatalog in die Verfassung aufge- nommen, Medien können nun frei operieren. Die einschlägigen Rankings zur Pressefreiheit listen Indonesien inzwischen als eines der Länder mit den freiesten Medien in Asien. Doch für journalistische Unabhängigkeit bedarf es mehr als die Abwesenheit staatlicher Zensur. Im Zuge von Konzentrationsbestrebungen auf ihren Medienmärkten und dem Verlust an publi- zistischer Vielfalt wird seit einiger Zeit auch in gestandenen Demokratien vor Gefahren für die Meinungs- und Pressefreiheit gewarnt. Als Folge einer multisektoralen Konzentration werden Eingriffe in die journalistische Autonomie vor allem dann beobachtet, wenn die Interessen der Ei- gentümer hoch diversifizierter Unternehmen mit Mediensparte gefährdet sind. Wird eine Funktionalisierung von Medien für private Propaganda-Zwecke schon in etablierten De- mokratien als problematisch betrachtet, so dürften ihre Folgen in Ländern mit jüngerer diktatori- scher Vergangenheit verheerender sein. Zum einen gibt es dort eine Tradition der Selbstzensur aus Diktaturzeiten und meist keine gewachsene Zivilgesellschaft, die pluralistische Positionen auffan- gen und vertreten kann. Zum anderen lebt die Machtakkumulation der ehemals Herrschenden im wirtschaftlichen Bereich, auch in Medienunternehmen, häufig in Form von Oligopolen fort. Vor diesem Hintergrund soll die Frage beantwortet werden, wie sich journalistische Autonomie im postdiktatorischen Indonesien gestaltet. Mittels der vorliegenden qualitativen Untersuchung der Redaktionen von vier überregionalen Tageszeitungen soll exemplifiziert werden, welchen

47 Pressefreiheit in Indonesien

Einflüssen und Zwängen indonesische Journalisten innerhalb ihrer Medienunternehmen unterwor- fen sind. Die Wahl fiel wegen ihrer Leitmedienfunktion auf die überregionalen Tageszeitungen Kompas, Koran Tempo, Media Indonesia und Republika. Eine medienökonomische Theorie-Diskussion dient als Basis für die Identifizierung von Einfluss- faktoren auf redaktionelle Autonomie. Im Anschluss werden die Rahmenbedingungen geschil- dert, unter denen das indonesische Mediensystem operiert. Die im Herbst 2004 in Jakarta1 unter- nommene Redaktionsbeobachtung und die im gleichen Zeitraum durchgeführten qualitativen In- terviews bilden die Basis für eine detaillierte Beschreibung solcher Einflussfaktoren im journalis- tischen Arbeitsalltag. Die Arbeit soll helfen, die Forschungslücke zwischen einer einseitigen Fo- kussierung auf „Außen“ oder „Innen“ bei der Betrachtung von Pressefreiheit zu schließen, die häufig die jeweils andere Perspektive vernachlässigt.

2 Theoretischer Hintergrund 2.1 Markt vs. öffentlicher Auftrag Meinungsfreiheit ist in demokratischen Verfassungen als Grundrecht verankert. Medien wird eine meinungsbildende Funktion zugeschrieben, weshalb sie vor staatlicher Zensur weitestgehend ge- setzlich geschützt sind. Die Unabhängigkeit der Medien ist „nicht als Wert an sich, sondern funk- tional – als Basis des gesellschaftlichen Diskurses – zu verteidigen“ (Studer 2004: 107). Diese Funktion der Medien soll mit dem Herstellen meritorischer Güter2 erfüllt werden. Medien- güter sind nur eingeschränkt marktfähig, da sie eine meritorische Komponente besitzen. Das Pa- radigma von Markt und Marktversagen kann nur auf Waren angewendet werden, die einer indivi- duellen Kosten-Nutzen-Analyse unterziehbar sind (Heinrich 2001: 79ff). Das ist bei der meritori- schen Komponente des Medienprodukts als Kulturgut mit einer spezifischen gesellschaftlich- politischen Funktion (Sjurts 2004: 159) nicht der Fall. Um die Herstellung ihrer meritorischen Produktkomponente zu finanzieren, führt die Presse ein „Doppelleben“ als Informations- und Werbeträger. Die Orientierung auf Rezipienten- und Werbemarkt kann zu einem konfliktträchti- gen Zielsystem führen. In einem potenziellen Konfliktverhältnis stehen dabei das Sachziel – also die Herstellung von redaktionellen Medieninhalten höchster publizistischer Qualität – und das Formalziel – die Maximierung von Gewinn oder Umsatz (Sjurts 2004: 171). Die gesetzlich garantierte Meinungsfreiheit ist dem Grundrechtsverständnis nach ein allgemeines, unteilbares Gut. Sie schließt sowohl das Recht zur Meinungsäußerung als auch zur Meinungs- verbreitung ein (Fricke 1997: 17). Obwohl Medienfreiheit nicht mit Produzentenfreiheit gleichge- setzt werden kann (Heinrich 2001: 89f.), liegt es in der Entstehungsgeschichte der Grundrechte als Abwehr gegen staatliche Freiheitsbeschränkungen begründet, dass als Träger der Medienfreiheit vor allem private Unternehmer fungieren (Studer 2004: 108f.).

1 Die Feldforschung der Autorin geschah in Zusammenarbeit mit dem Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Jakarta. 2 „Meritorische Güter sind allgemein Güter, die von den Konsumenten in einem Ausmaß konsumiert werden, das nicht dem Ausmaß entspricht, welches die politischen Entscheidungsträger oder andere Instanzen für wünschenswert halten. Zur Korrektur sind Eingriffe in die Konsumentenpräferenzen notwendig.“ (Heinrich 2001: 74).

48 Pressefreiheit in Indonesien

Die Folgen unternehmerischen Gewinnstrebens (sachimmanenter Druck) in Form von Konkurrenz, Kostendruck und Kommerzialisierung werden für eine abnehmende Qualität im Medienbereich verantwortlich gemacht. Diese äußert sich in Mehrfachverwertung, abnehmender Fertigungstiefe und Vielfaltsreduktion (Karmasin 1998b: 331). Über diese Entwicklung hinaus können jedoch auch spezifische ökonomische Interessen eines auch in anderen Wirtschaftsbereichen aktiven Verlegers oder seine politischen Aspirationen in die Redaktionsräume hineingetragen werden. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld, welches über das erwähnte „konfliktträchtige Zielsystem“ im Sinne von materiellem Gewinnstreben vs. nicht quantifizierbarem Meritum weit hinausgeht (sachfremder Druck). In einem pluralistischen Mediensystem, in dem Rezipienten und Journalisten über ausrei- chende Alternativen verfügen, ist dies zunächst nicht prekär. Medien werden ihrer Aufgabe, der Herstellung meritorischer Güter, auch weiterhin gerecht. Wettbewerb wird von Ökonomen jedoch selbst als meritorisches Gut gesehen, da er Handlungs- zwänge schafft und das Risiko der Wirtschaftsakteure erhöht. Es werden daher von Unternehmer- seite Bestrebungen mit dem Ziel unternommen, an die Stelle der Ex-Post-Koordination des Markt- prozesses durch Wettbewerb Formen der Ex-Ante-Koordination treten zu lassen (Kiefer 2001: 108). Bestrebungen im genannten Sinne sind Kollusion, Kartelle, Zusammenschlüsse in Form von Kon- zernen und Fusionen sowie Strategien zur Diskriminierung, Ausbeutung und Verdrängung von Marktpartnern (a.a.O.: 108f.). Damit vergrößern Wirtschaftsakteure den eigenen Spielraum und en- gen den der Konkurrenten ein. Im Zuge einer zunehmenden Konzentration auf Medienmärkten und der Entstehung von Oligopo- len kann die individuelle Nutzenmaximierung einzelner Unternehmer daher zu einem „gesellschaft- lich suboptimalen Ergebnis“ führen (Karmasin 1998a: 85). Beziehungsweise zu einem Phänomen, wie es einer der ersten Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe, einst salopp formulierte: Dass Pressefreiheit nicht mehr sei, als die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Mei- nung zu drucken und zu verbreiten (Reinowski 1968: 9).

2.2 Sachimmanente vs. sachfremde Zwänge Bei der journalistischen Aussagenproduktion lassen sich sachimmanente und sachfremde Zwänge unterscheiden. Nachrichtenwerte, Kostendruck, Orientierung an Konkurrenzmedien sind sachim- manent. Sachfremd sind hingegen „Pressionen, um Wahl und Bearbeitung von Themen zu unter- drücken, obwohl publizistische Werte für die Publikation sprächen, Kosten kein Hinderungsgrund wären und die Existenz des Unternehmens nicht gefährdet erscheint“ (Studer 2004: 107ff.). Diesem sachfremden Druck kann gesetzlich oder durch Selbstregulierung begegnet werden. Befürworter staatlicher Regulierungsmaßnahmen verweisen darauf, dass eine privatrechtliche Struktur der Presse zwar als verfassungsgemäß vom Staat zu schützen sei, diese aber Folgeprobleme aufweise, um die sich der Staat dann auch zu kümmern habe. Einem Unabhängigkeitskonzept für Medien, welches mit dem für die Justiz vergleichbar wäre, wird jedoch aus mehreren Gründen eine Absage erteilt (Branahl 2004: 89). Wenngleich Medien auch oft als „vierte Gewalt“ im Staat be- zeichnet werden, sind sie nicht mit den Rechten einer Staatsgewalt (Finanzierung aus Steuermitteln,

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Verfügung über Zwangsmittel zur Informationsbeschaffung) versehen. Die Gemengelage aus dem Bedarf an Kapitalgebern, Lesern und Anzeigenkunden schafft vielfältige Abhängigkeiten, die nicht negiert, sondern nur ausbalanciert werden können. Diesem Zweck dient ihren Befürwortern die In- nere Pressefreiheit bzw. redaktionelle Unabhängigkeit.3

2.3 Innere Pressefreiheit – (k)eine Frage der journalistischen Kultur? Jede wissenschaftliche Arbeit, die sich mit einem Forschungsgegenstand in einer fremden Kul- tur auseinander setzt, steht in der Gefahr, wegen eines zu engen Blickwinkels kritisiert zu wer- den. Die Autorin zieht zwar auch zunächst vor allem deutsche Erklärungsmuster zu Rate, um den Begriff der Inneren Pressefreiheit bzw. der redaktionellen Unabhängigkeit einzugrenzen. Dies geschieht jedoch in dem Bewusstsein, dass bestimmte Voraussetzungen, die in Deutsch- land die Bewegung für die Innere Pressefreiheit katalysiert und zumindest zu Teilerfolgen ge- führt haben (68er Bewegung, staatliche Pläne für ein Presserechtsrahmengesetz, starke Ge- werkschaften) nicht außer Acht gelassen werden können. Im internationalen Rahmen blieb Kultur jahrzehntelang ein unterbelichteter Faktor, auch in der vergleichenden Kommunikati- onswissenschaft (Stevenson 1998). Obwohl doch schon allein die Dominanz systemischer An- sätze in der europäischen Forschung und die Betonung des Akteurs in der amerikanischen als Beweis angeführt werden könnte, dass culture matters. Nicht erst mit Samuel Huntingtons (1998) Warnung vor einem „Kampf der Kulturen“ wuchs das Verständnis dafür, dass Kultur als Variable in der Untersuchung von Kommunikationsprozessen eine Rolle spielen muss. Als prototypisch für Lernprozesse westlicher Wissenschaftler sei auf die Aussagen des AMIC-Mitgründers Richard Dill verwiesen, der seine Begegnung mit asiatischen Forschern wie folgt schildert: „Die sagten, dieser ganze ‚Wer sagt was zu wem?’- Zinnober der Kommunikationswissenschaft sei nur ein schimmeliges Denkschema, das einen Buddhisten, der den Sager, das Gesagte und den Hörer nicht getrennt zu sehen gelernt hat, nicht berühren müsse“ (1997: 354).

2.3.1 Die Diskussion um redaktionelle Autonomie in Europa Im Europa der 1990er Jahre kam es verstärkt zu grenzüberschreitenden Unternehmens- verflechtungen im Medienbereich, beschleunigt durch die Öffnung der osteuropäischen Staaten für westliche Medienunternehmer. Ihr Engagement kann durchaus zur Stabilisierung und zur Finanzie- rung von professionellem und investigativem Journalismus sorgen - wenn gleichzeitig redaktionelle Unabhängigkeit vereinbart wird (Duve 2003: 10, Möller/Popescu 2004: 62). Deren praktische Aus- gestaltung hinkte dem rasanten Investment der Verleger jedoch hinterher, was die Europäische Journalistenunion (EFJ) wiederholt kritisierte. In Form der so genannten Milan-Deklaration (EFJ 1995), wurde schließlich die Notwendigkeit des Schutzes redaktioneller Unabhängigkeit formuliert. Für deren Gewähr empfahl die EFJ den Medienhäusern die Festschreibung von Mindeststandards.

3 Bereits in den siebziger Jahren wurde im internationalen Vergleich festgestellt, dass es den Begriff „Innere Pressefreiheit“ in anderen Ländern so nicht gibt, und dass er von europäischen und amerikanischen Medien- vertretern sogar für unübersetzbar gehalten wird (Fischer/Molenveld/Petzke/Wolter 1975: 322).

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Diese beinhalten die Schaffung eines Redaktionsrats, der bei der Festlegung der Blattlinie und grundlegenden inhaltlichen Entscheidungen, bei Beschwerden über die Blattpolitik sowie bei Er- nennung und Entlassung des Chefredakteurs gehört werden soll. Außerdem sollte ein Gewissens- schutz für Journalisten und ein Recht der Redaktion, inhaltliche Einflussnahme durch das Manage- ment und Dritter abzuwehren, verankert werden. Was ausländische Medienunternehmen und ein Engagement, das weit in inhaltliche Fragen hinein reichte betrifft, gerieten in den letzten Jahren deutsche und schweizerische Verlage in Osteuropa wiederholt in die Kritik (EFJ 2003). Doch die Sorge über im Sinne eines Meinungspluralismus ungesunde Monopole und eine inhaltliche Färbung nach Belieben der Besitzer bedarf nicht zwin- gend ausländischer Investitionen. Zum Prototyp des politisch ambitionierten Unternehmers, der Medien mit fragwürdigen Methoden „auf Linie“ brachte, wurde in Europa der ehemalige italieni- sche Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Auch in Frankreich boten die Übernahmen der Socpres- se-Gruppe4 durch den Waffenhersteller Serge Dassault sowie der Besitz der Hachette-Gruppe durch den Rüstungsindustriellen Arnaud Lagardère Anlass zur Sorge (Ramonet 2005: 19, Hun- ter/Jaouani 2005: 16ff; Leidinger 2005). Auf internationaler Ebene hat es in den letzten Jahren ei- ne Reihe von resolutions, declarations, recommendations, joint statements und guidelines5 zur Si- cherung von Medienpluralismus und redaktioneller Unabhängigkeit gegeben. Auf den Internetsei- ten fast aller internationalen Journalistenvereinigungen, Gewerkschaften oder Organisationen, die sich für Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzen, finden sich inzwischen Informationen zum Thema Medienbesitz und -konzentration. Den Versuch, den gutmeinenden, von Verlegerseite aber meist ignorierten, Absichtserklärungen eine juristische Dimension zu verleihen, hat jüngst die isländische Jura-Professorin Herdís Thor- geirsdottir unternommen. Sie kritisiert den Ruf des Staates nach einer Selbstregulierung der Me- dien als „Privatisierung von Zensur“ ohne selbst Verantwortung zu übernehmen (Thorgeirsdottir 2004: 391). Ausgehend von den Artikeln 10(1)6 und 11(2)7 der Europäischen Menschenrechts- konvention und der Medien-Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte argumentiert sie, dass eine Selbstzensur von Journalisten (sei sie staatlich oder innerbetrieblich er- zwungen) gegen die geltende Rechtsprechung in Europa verstoße.

2.3.2 Aktuelle Fragestellungen in Südostasien und Indonesien Viele der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich in den letzten Jahren mit Medien und Pressefreiheit in Südostasien beschäftigt haben, beziehen sich auf staatliche Kontrolle beziehungsweise politische Einflüsse (Gunaratne 2000, Williams/Rich 2000, McCargo 2003). Vor dem Hintergrund, dass viele

4 gibt u.a. Le Figaro, L`Express und L´Expansion heraus. 5 z.B. der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (COE 1993) zur Ethik im Journalismus; die ge- nannte Milan-Deklaration (EFJ 1995); des Komitees der Minister der Mitgliedsstaaten des Europarates (COE 1999) zu Maßnahmen, um Medienfreiheit zu unterstützen; die Gemeinsame Erklärung zu den Herausforde- rungen für die Meinungsfreiheit im neuen Jahrhundert des UN-Berichterstatters zur Rede- und Meinungsfrei- heit, des OSZE- Medienbeauftragten und des Sonderberichterstatters zur Meinungsfreiheit der Organisation amerikanischer Staaten (OSZE 2002: 251ff); OSZE (2003a). 6 Artikel 10 bezieht sich auf die Meinungsfreiheit, http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/005.htm.

51 Pressefreiheit in Indonesien südostasiatische Staaten erst seit einigen Jahren die Transformation zur Demokratie vollziehen (z. B. Philippinen, Indonesien), während ihre Nachbarn entweder diktatorisch (Burma) oder autoritär (Malaysia, Singapur) regiert werden, liegt der Fokus auf staatlichen Restriktionen nahe. Zwar unter- scheiden sich Journalisten im ASEAN-Raum in ihrem Selbstverständnis von ihren westlichen Kol- legen, indem sie dem kritischen westlichen Watchdog-Verständnis eines des verantwortlichen und sensitiven Informationsübermittlers gegenüberstellen (Menon 1999: 101, Masterton 1996, Ha- nitzsch 2003: 411ff.). Der Dualismus von verfassungsmäßig verankerter Meinungsfreiheit und pri- vatwirtschaftlich organisierter Medienlandschaft ist indes kein Alleinstellungsmerkmal westlicher Demokratien. Mag die Konfliktlösung bei Interessenkonflikten auch kulturspezifisch verlaufen, Fragestellungen zur redaktionellen Unabhängigkeit bestehen in Mediensystemen mit zunehmender ökonomischer und publizistischer Konzentration, auch wenn sie unterschiedliche journalistische Kulturen haben. In den genannten postdiktatorischen Staaten zeichneten sich zeitlich versetzt ähnli- che Entwicklungen ab. In der ersten Phase der Liberalisierung des zuvor streng staatlich geregelten Mediensystems kam es zur sogenannten Euphorie, die durch zahlreiche Neugründungen gekenn- zeichnet ist. Längerfristig bleiben aber fast nur Medienbesitzer am Markt erfolgreich, die ein ausrei- chend großes Firmenimperium haben. Auf den Philippinen sind das häufig die auch in außermedia- len Bereichen konkurrierenden Großunternehmen, die Schlüsselsektoren der philippinischen Wirt- schaft kontrollieren (Coronel 1998: 25). Auch in Thailand wird die enge Verquickung zwischen Medienbesitz und Politik kritisiert (McCargo 2000, Hirano 1999). Die Datenbasis für eine Beschreibung der sich rasant entwickelnden nationalen Medienmärkte im ASEAN-Raum ist dürftig. Während in Europa durch grenzüberschreitendes Unternehmertum die Frage nach supranationaler Steuerung aufkommt und auch internationale Institutionen sich mit der Evaluierung der Medienmärkte befassen, ist deren Akzeptanz für den ASEAN-Raum schon deshalb begrenzt, weil Investitionen im Medienbereich vordergründig eine nationale Angelegenheit sind. Auch für Indonesien gibt es, aus sprachlichen und aus Gründen der wissenschaftlichen Infrastruktur, wenig international zugängliche Beschreibungen. Während Suhartos Herrschaft hatten sich die So- zialwissenschaften den Dogmen der Entwicklungsdiktatur anzupassen. Wissenschaftliche Karrieren entschieden sich nicht nach der Menge und Güte von Publikationen, sondern an der Nähe zum Re- gime (Hadiz/Dhakidae 2005: 1ff.). Zusätzlich litten die Hochschulen an einer latenten finanziellen Unterversorgung. Nach wie vor können die indonesischen Sozialwissenschaften weder auf interna- tional registrierte Theoriebildung noch auf signifikante empirische Forschungsergebnisse8 verwei- sen. Die bürokratisierte Hochschullandschaft erwies sich auch nach dem Ende Suhartos als weitge- hend reformresistent. Wo Hochschulen privatisiert wurden, richtet sich Forschungsbemühen nun nach der Vermarktbarkeit. Dieser neue Pragmatismus gepaart mit dem autoritären Erbe könnte die Instrumentalisierung der Sozialwissenschaften zementieren und kritisch- reflektierende Denkschu- len auch künftig verhindern (a.a.O.: 23ff.).

7 Artikel 11 bezieht sich auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, a.a.O. 8 Für die Gadjah Mada Universität in Yogyakarta konnte dies die Autorin während ihres einjährigen Studiums (2000-2001) selbst beobachten, gleich lautende Feststellungen: Sudibyo (2000: 115); Hanitzsch (2003: 273).

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An publizistischen Forderungen, dass die Frage der Eigentümerschaft und ihre Konsequenzen für die öffentliche Funktion der Medien genauer zu betrachten sei, fehlt es in Indonesien nicht. In der genannten wissenschaftlichen Tradition bewegen sich Beiträge zum Thema jedoch auf einem deskriptiven und normativen Level. Eigentümerschaft und die Benutzung von Medien für Besitzerinteressen sowie das „Sich einkaufen“ von Unternehmern in die Medienwelt müss- ten genauer betrachtet werden, fordert zum Beispiel Menayang (2003). Monopole müssten ver- hindert und die Frage der Über-Kreuz-Beteiligungen im Mittelpunkt des Interesses stehen, ver- langt Amirudin (2004). Konkrete und aktuelle Beispiele aus dem eigenen Land kommen in der- artigen Artikeln jedoch nicht vor. Empirische Journalismusforschung ist derzeit vor allem in außeruniversitären Einrichtungen, wie dem Institut für freien Informationsfluss (ISAI) oder dem Institut für Presse- und Aufbau-Studien (LSPP), präsent. Dort wurden im Wahljahr 2004 In- haltsanalysen zur journalistischen Unabhängigkeit im Wahlkampf durchgeführt, die Interde- pendenzen von Politik und Medien und die Rolle von Eigentümerschaft thematisierten. Bei der Suche nach Lösungen für strukturell bedingte Interessenkonflikte und für eine Quali- tätssicherung im Journalismus stehen unscharfe normativ-ethische Appelle im Vordergrund. So verweist Harsono (2004) auf ein amerikanisches Journalisten-Vorbild, um dessen indonesi- schen Kollegen ein Beispiel von Neutralität zu geben. Ähnlich argumentiert Nguyen, indem er pauschal an die „verantwortlichen Medienprofessionellen“ appelliert, die sicherstellen sollten, dass die Öffentlichkeit akkurate und objektive Informationen zur rechten Zeit erhalte (Nguyen 2004). Eine differenzierte Diskussion, die nach einer Ethik von Medienunternehmen, Ethik von Journalisten und der ethischen Verantwortung von Mediennutzern für das, was sie konsu- mieren, unterscheidet, findet kaum statt – ebenso wenig wie eine fundierte Betrachtung von Medienbesitz und Einflussfaktoren auf journalistische Autonomie. Appelle der genannten Art vernachlässigen zudem spezifische Aspekte der Landes-Kultur wie das Konfliktvermeidungs- prinzip und das Respektsprinzip (vgl. 3.2.3.), die ein Emanzipieren gegenüber Vorgesetzten und Quellen erschweren.

3 Rahmenbedingungen des Agierens indonesischer Zeitungen 3.1 Journalistische Praxis während der Diktaturjahre Die ab Mitte der 1970er Jahre dominierende indonesische Spielart des in vielen Entwicklungsdik- taturen propagierten development journalism–Modells wird wegen ihres Bezuges auf die „fünf Säulen“ (panca sila) der indonesischen Verfassung als „Pancasila-Journalismus“ bezeichnet. Die Wahrung der Stabilität, der nationalen Einheit und die aktive Unterstützung des Entwicklungspro- zesses galten nicht nur als staatsbürgerliche Aufgabe, sondern auch als Journalistenpflicht (Sudi- byo 2004). Ein in diesem Sinne missionarischer Charakter war Forderung der politischen Akteure und sukzessives Selbstverständnis der meisten Medienmacher (Said 1990: 39). Was den Einfluss von Regierung und Militär auf die Medieninhalte anging, war die Forderung nach Entwicklungs- journalismus oder der Appell an eine „freie, aber verantwortliche“ Presse ein Euphemismus für staatliche Zensur. Beispielhaft sei hier nur auf die bekanntesten Medienverbote wie das der Ta-

53 Pressefreiheit in Indonesien geszeitung Indonesia Raya (1974) und das der drei Zeitschriften Tempo, DeTik und Editor (1994) verwiesen. Neben diesen repressiven Höhepunkten im Zuge politischer Krisen kam es zur ständigen Be- hinderung eines freien Informationsflusses mit Hilfe der so genannten „Telefonkultur“: „Wir haben abwechselnd das Telefon bewacht. Wenn es nicht geklingelt hat, bevor wir in Druck gingen, konnten wir in Ruhe schlafen gehen. Normalerweise gab es aber in letzter Minute noch einen Anruf, von einer bestimmten Instanz, die uns sagte, das und das dürft ihr nicht bringen. Es gab einen Oberst in der Informationsabteilung des Militärs, der hat ständig ver- sucht, uns zu zensieren. [...] Der Geheimdienst wusste ja, wer irgendwo ein Statement abge- geben hatte, wo irgendwelche inoffiziellen Treffen oder kleine Workshops stattgefunden hat- ten. Da wurde vielleicht Kritisches geäußert und wenn da Journalisten waren, wurde an die Chefredakteure weiter gegeben, dass darüber nicht berichtet werden darf. Für uns war das normal.“ 9 Praktisch umgesetzt wurden Medienverbote über den Entzug der vom Informationsministerium er- teilten Lizenz. Auch organisatorisch wurden Journalisten auf Linie gehalten. Ab 1969 hatten sie die Pflicht, Mitglied im Indonesischen Journalistenverband (PWI) zu sein, in dessen Vorstand staats- treue Publizisten und hochrangige Militärs vertreten waren (Hill 1995: 67ff.). Ausschließlich PWI durfte Presseausweise ausstellen, ein Ausschluss war de facto ein Berufsverbot. Die Tatsache, dass der Verlegerverband mit Unterstützung des PWI gegründet wurde und dass teilweise die gleichen Personen in den Exekutivgremien saßen, demonstriert den elitären Charakter des PWI und brachte beiden Vereinigungen den Beinamen „siamesische Zwillinge“ ein (Hill 1995: 74). Journalisten war es nicht erlaubt, eine Gewerkschaft zu gründen (Pontoh 2001). Zwischen Regierung und Medienschaffenden zu vermitteln, sollte Aufgabe des Presserates (De- wan Pers) sein. Der Rat sollte die Politik bei der Vergabe von Lizenzen beraten. Schon seine Gründung per Präsidentenerlass im Jahr 1967 zeigte sein Wesen als staatliches Instrument und nicht als Organ der Selbstkontrolle: Den Vorsitz hatte der Informationsminister selbst inne, zu den Mitgliedern gehörten Geheimdienstler und Ministerialbeamte (Hill 1995: 65). Die direkte Einflussnahme des Staates über Lizenzentzug, physische Gewalt gegen Men- schenrechtler und Journalisten sowie die „fürsorgliche Belagerung” der Medienvertreter mit- tels berufsständischer Organisationen sorgten für ein Höchstmaß an Selbstzensur. Medien, die überleben wollten, passten sich auch semantisch und stilistisch den Sprachregelungen der Mi- litärdiktatur an. Schlagzeilen strotzten vor Aufbaugeist, man verwendete eine überwiegend passive Sprache und Kritisches wurde in die letzten Absätze verbannt. Seit den 1980er Jahren investierten Mitglieder der Präsidentenfamilie und des engsten politi- schen Führungszirkels verstärkt in Medienunternehmen und sorgten so zusätzlich für eine Ver- tretung der Interessen der Machtelite. Der erste private Fernsehsender, RCTI, wurde 1987 von

9 Chefredakteur Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004.

54 Pressefreiheit in Indonesien einem Sohn Suhartos gegründet. 1989 startete mit SCTV der zweite Privatsender, Mehrheits- eigner war ein Geschäftsfreund eines Cousins von Suharto. 1990 ging mit TPI die dritte private Station auf Sendung, an der Suhartos älteste Tochter die meisten Anteile hielt. Neben Famili- enmitgliedern und Freunden des Diktators hielten auch Politiker Anteile an Medien. Der Ar- beitsminister Abdul Latief investierte beim Magazin Tiras. Agung Laksono, führendes Mit- glied von Suhartos Golkar-Partei, war Mitbesitzer der Zeitschrift Target. Informationsminister Harmoko brachte mit der Pos Kota-Gruppe mehrere Printmedien auf den Markt (Hidayat 2000).

3.2 Journalistische Praxis seit 1998 Die 1997 einsetzende Asienkrise wirkte als Katalysator für das politische Ende Suhartos. Monate- lang sah sich der Präsident mit wachsenden Protesten konfrontiert, die vor allem im städtischen, studentischen Umfeld wurzelten und in Jakarta in einem blutigen Feldzug gegen die als privile- giert empfundene chinesische Minderheit gipfelten. Neben dem Rücktritt Suhartos und der Ent- machtung der alten Cliquen forderten die Demonstranten Demokratisierungsschritte wie Presse- und Gewerkschaftsfreiheit. Die Presse war spät auf den Reformzug aufgesprungen. Der größte Teil der etablierten Medien hielt sich zunächst an die herrschenden Spielregeln (Arismunandar 2000: 211). Die Artikel großer Tageszeitungen muteten Anfang Mai 1998 noch wie Pressemitteilungen von Ministerien an. Die am häufigsten zitierten Quellen waren Regierung und Militär (Triputra 2000: 407ff.). Einige Be- obachter wollen einen durch das beförderten Umsturz ausgemacht haben (McDaniel 2002: 116ff., Harsono 2000: 83ff.). Zwar waren vor 1998 die einzigen unzensierten Informatio- nen nur im Internet zugänglich – die Möglichkeit, es zu nutzen, hatte indes nur 1% der Gesamt- bevölkerung (Lim 2003: 121). Dennoch war die Freiheit des ein Spiegel für die Unfrei- heit von Presse und Rundfunk. Die grenzüberschreitenden Möglichkeiten, die Schnelligkeit und die schwere Kontrollierbarkeit dieses Mediums gaben oppositionellen Gruppen ein Instrument in die Hand, das sie effizient nutzten. Nachdem die Unruhen des Mai 1998 immer gewalttätiger geworden waren, trat Suharto schließ- lich zurück. Bis zu den ersten freien Wahlen 1999 wurde Indonesien vom vorherigen Vizepräsi- denten, Bacharuddin Jusuf Habibie regiert. Zunächst wurden die Maßgaben für eine Zeitungsli- zenz erheblich erleichtert. 1999 wurde schließlich das Pressegesetz 40/1999 verabschiedet, wel- ches die Lizenzpflicht endgültig abschaffte. Im Jahr darauf wurde das Informationsministerium aufgelöst.

3.2.1 Juristische Rahmenbedingungen Im Zuge der 1998 eingeläuteten Reformen wurde viermal die Verfassung geändert sowie in Form mehrerer Zusatzartikel ein Menschenrechtskatalog angehängt, der auch das Recht auf freie Mei- nungsäußerung beinhaltet. Juristischer Kern der Pressefreiheit in der Post-Suharto-Ära sind die 21 Artikel des „Gesetzes Nummer 40/1999 über die Presse“. Das Presserecht betont die Bedeutung freier Medien als Manifestation der Volkssouveränität und ihre Rolle als Informationsvermittler

55 Pressefreiheit in Indonesien und Meinungsbildner für die demokratische Gesellschaft (Art. 2-6). Zur Presse als wirtschaftli- cher Unternehmung trifft das Presserecht insofern eine Aussage, dass jeder Indonesier ein Me- dienunternehmen in Form einer legalen Körperschaft gründen darf (Art. 9). Ausländisches Kapital darf nur über den indonesischen Kapitalmarkt investiert werden (Art. 11 Abs. 2). Relevant hin- sichtlich Konzentrationstendenzen auf dem Medienmarkt ist außerdem das Gesetz 5/1999 gegen Monopole und unlauteren Wettbewerb. Über dessen Einhaltung wacht eine von der Regierung eingesetzte Kommission. Mit Konzentrationsbestrebungen im Medienbereich und deren gesetzli- cher Regelung befasste sich erstmals explizit das Rundfunkgesetz 32/2002, das in seinen vorange- stellten Erläuterungen unter anderem auf das Anti-Monopol-Gesetz verweist. Artikel 5 betont e- benfalls die Verhinderung von Monopolen. Artikel 18 bestimmt, dass einer Konzentration von Eigentümerschaft auf ein einziges Unternehmen pro Sendegebiet entgegengewirkt werden soll. Außerdem sollen Über-Kreuz-Beteiligungen begrenzt werden, womit wegen ihres Fernsehbesit- zes fast alle größeren Zeitungshäuser von diesem Gesetz betroffen sind. Zu diesem Zweck sollen Regierung und die Nationale Rundfunkkommission KPI weitere Bestimmungen erlassen. Eines der größten Herausforderungen im Demokratisierungsprozess besteht trotz Verfassungsän- derungen und Gesetzesreformen in der Rechtsunsicherheit und in der Korruption im Justizwesen. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1949 existiert das traditionelle Adat-Recht neben den nach wie vor gültigen Paragrafen der Kolonialgesetzgebung und jenen der nationalen Gesetzgebung. Das Problem der Rechtsunsicherheit liegt aber auch darin begründet, dass in den Jahren der Su- harto-Herrschaft Gerichte lediglich die Aufgabe hatten, mit Hilfe von Vetternwirtschaft oder durch Zwang bereits gefällte Entscheidungen zu legitimieren. Gerichte galten und gelten nicht als vertrauenswürdige Instanzen, sondern als Sammelbecken für nur scheinbar hauptberufliche Juris- ten, die ihr Einkommen aus Nebengeschäften und/oder Schmiergeldern generieren (Redway 2003: 156). Die Spätfolgen des Mangels an gut ausgebildeten und unbestechlichen Juristen machen sich auch im Medienbereich bemerkbar. In den letzten Jahren wurden in verstärktem Maße Journalisten wegen Verleumdung oder Rufmord vor Gericht gestellt und sowohl zu Geld- als auch zu Frei- heitsstrafen verurteilt (Keller 2004). Obwohl auch das Presserecht Geldstrafen für die Verstöße von Medien gegen religiöse Normen, sittliche Werte oder das Prinzip der Unschuldsannahme bei Angeklagten vorsieht, wendeten Richter bei Verleumdungsklagen gegen Journalisten das Straf- recht mit wesentlich härterem Strafmaß an. Im Strafgesetzbuch sind mindestens 37 Paragrafen enthalten, mit denen Autoren verfolgt werden können (Batubara 2004). Die ständige Drohung von strafrechtlicher Verfolgung im Falle der Ver- öffentlichung von Ergebnissen investigativer Recherchen schafft ein Klima der Angst und Selbst- zensur in den Medienbetrieben (Sudibyo 2004). Mit dem Verweis auf die Rechtspraxis bei Me- dienfällen in anderen Staaten wird von Menschenrechtlern und Medienvertretern gefordert, Ver- leumdungsdelikte ausschließlich als Verstöße gegen das Zivilrecht zu betrachten (Article19 2003, Astraatmadja 2004, Nolan 2004).

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3.2.2 Politische Rahmenbedingungen Die positiven Einschätzungen zur Demokratisierungsfähigkeit Indonesiens blieben nicht lange so optimistisch wie in den ersten Monaten nach Suhartos Sturz. Die wirtschaftlichen und politischen Eliten konnten in vielen Bereichen ihre Macht konsolidieren, da sie durch Finanztransaktionen ins Ausland und die schlichte Weigerung, ihre Schulden zu bezahlen, keine Bankrotte befürchten mussten. Die von Weltbank und Internationalem Währungsfond vertretene Theorie, dass struktu- relle Schocks für die Ablösung alter Machtkoalitionen sorgen und neue, reformistische sich for- mieren und die Macht übernehmen können, versagte in Indonesien weitestgehend (Robison/Hadiz 2004: 264). Durch die jahrzehntelange Blockparteien-Politik Suhartos gibt es keine Parteientradi- tion, die sich auf eine politische Programmatik stützt und ihre Kader über eine sich dieser Pro- grammatik verpflichtet fühlende Basis rekrutiert. Besonders deutlich wurde das im Wahlkampf 2004, in dem Personen im Vordergrund standen und es kaum um programmatische Aspekte ging. Als Vehikel des schließlich erfolgreichen Präsidentschaftskandidaten Susilo Bambang Yudhoyo- no wurde eigens die „Demokratische Partei“ (PD) gegründet. Drei der Kandidatenanwärter der stärksten Kraft im Parlament, der Golkar-Partei, für die direkten Präsidentschaftswahlen waren Unternehmer, keine Berufspolitiker (Warta Ekonomi 2003). Die zunächst als Reformkraft bezeichnete Partei PDI-P der Ex-Präsidentin Megawati zeigte sich in ihrer Zusammensetzung aus Unternehmern und „statischen Nationalisten“ sowie in ihrer prak- tischen Politik als sehr nah an der Vorgänger-Partei Golkar (Robison/Hadiz 2004: 239). Autoritä- ren Charakter bewies die Ex-Präsidentin auch im Umgang mit den Medien. Ihr Anspruch, Journa- listen sollten für ein günstiges politisches Klima sorgen und sich genau überlegen, welche Infor- mationen mit der Öffentlichkeit geteilt werden können und welche nicht, erinnerte sehr an die „frei, aber verantwortlich“-Doktrin von Ex-Diktator Suharto (Romano 2003: 52). Die Tatsache, dass Megawati das zuvor abgeschaffte Amt des Informationsministers wieder belebte, wurde e- benfalls als Indiz für einen Schritt in die Vergangenheit angesehen (AJI 2004). Dem im September 2004 gewählten Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono wird ein liberalerer Umgang mit den Medien bescheinigt. In der Tradition der „Telefonkultur“ stehen jedoch nach wie vor häufige Versuche seitens der Politik, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, auch wenn das Drohpotential von Politik und Militär nicht mehr mit Diktaturzeiten vergleichbar ist. Eine hohe Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme ist weiterhin gegeben, weil Politik-Reporter vor allem der überregionalen Medien meist festen Posten zugewiesen sind. Sie berichten aus dem Präsidentenpalast, dem Justizministerium oder dem Hauptquartier der Streitkräfte. Reporter ver- bringen einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit in den Presseräumen von Regierungsinstitutio- nen, „ohne dass im engeren Sinn ein journalistisch relevanter Informationsgewinn stattfinden würde“ (Hanitzsch 2003: 337). Begründet wird diese Praxis damit, dass die räumliche Nähe einen besseren Zugang zu Quellen und Hintergrundinformationen ermögliche. Gleichzeitig wird jedoch ein Mangel an investigativem Journalismus kritisiert. Viele Reporter warteten lediglich auf offi- zielle Statements und kopierten die Berichte ihrer Kollegen.

57 Pressefreiheit in Indonesien

Nicht nur während der Suharto-Jahre war Medienbesitz ein strategisches Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Deutlich wurde die Verquickung von Politik und Medien auch im Wahljahr 2004. Stark in der Kritik stand der Besitzer des Nachrichtenkanals Metro TV und der auch im Rahmen der vorliegenden Studie untersuchten Zeitung Media Indonesia, Surya Paloh. Paloh ist alleiniger Anteilseigner von Metro TV und Media Indonesia und seit Jahrzehnten füh- rendes Mitglied der Golkar-Partei. Während seiner Kampagne für die Nominierung als Präsident- schaftskandidat berichteten Palohs Medien in ständigen Wiederholungen über seine Wahlkampf- auftritte (Pradityo 2004, AJI 2004: 26, Harsono 2004, LSPP 2004). Nach dem Fehlschlagen der eigenen Kandidatur übte er starken Druck auf seine Redaktionen zur Unterstützung des später er- folgreichen Kandidaten Susilo Bambang Yudhoyono aus (vgl. 5.3.). Palohs und Yudhoyonos Biograph Usamah Hisyam, ein ehemaliger Media Indonesia-Journalist, startete im Januar 2004 mit MO ein Tabloid mit einem Politik-Lifestyle-Mix, um kurz darauf als PR-Verantwortlicher in Yudhoyonos Wahlkampfteam aufzutreten (AJI 2004: 27). Die Rekrutierung von Journalisten als PR-Strategen für die Politik zieht sich durch alle politischen Lager. August Parengkuan, einst lei- tender Redakteur bei der Tageszeitung Kompas und jetzt Direktor des zum gleichen Hause gehö- renden Senders TV7 heuerte während des Wahlkampfes als PR-Manager beim Team der Ex- Präsidentin Megawati und ihrer Partei PDI-P an, um danach wieder auf seinen Posten beim Sen- der zurückzukehren. Nicht immer geschieht das politische Engagement so offen wie in den ge- zeigten Fällen. Zahlreiche Medienkollegen verdingen sich bei den PR-Abteilungen von Parteien und publizieren unter Pseudonym weiter (Harsono 2004).

3.2.3 Kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen Auch wenn zur jährlichen Feier der Unabhängigkeit am 17. August oder anderen offiziellen An- lässen gern mit Tänzen und Bräuchen aus allen Landesteilen der kulturelle Pluralismus Indone- siens betont wird, dominieren in Politik und Wirtschaft die Einwohner Javas. Die dicht besiedelte Insel beherbergt über die Hälfte der rund 220 Mio. Indonesier. Sie ist das politische und wirt- schaftliche Zentrum des Landes und beherbergt die meisten Bildungseinrichtungen. Auch kultu- rell ist Indonesien stark durch die Normen und Werte der Javaner geprägt. Dazu gehören Geduld, Schicksalsergebenheit, eine passive Haltung gegenüber Schwierigkeiten und das Prinzip der fami- liären Harmonie auch im außerfamiliären Kontext (Aly 1984: 74). Franz Magnis-Suseno, der mit „Javanische Weisheit und Ethik“ das deutschsprachige Standardwerk zur javanischen Kultur ver- fasste, unterscheidet zwei grundlegende Prinzipien, auf denen das Zusammenleben aufbaut: (a) das Prinzip der Konfliktvermeidung und (b) das Respektsprinzip. Das Prinzip der Konfliktvermeidung dient der Bewahrung eines harmonischen Idealzustandes (rukun), der als naturgegebener Zustand bewahrt werden muss. Potenzielle Dissonanzen müssen unterdrückt werden. Da Konflikte aus unterschiedlichen Interessen resultieren, sollte der Einzelne seine Interessen dem Gemeinschaftswohl unterordnen. Die Vermeidung offen ausgetragener Kon- flikte ist wichtiger als die Vermeidung von Gewissenskonflikten. Moralische Überlegungen recht- fertigen es nicht, sich über das Harmonieprinzip hinwegzusetzen (Magnis-Suseno 1981: 64). Be- sondere Vorsicht gilt dem Kommunizieren von Interessen. Es gilt als ebenso unhöflich, einen

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Wunsch direkt zu äußern, wie ihn klar abzulehnen. In verschlungener Kommunikation wird sich vielmehr langsam an den Kern des Gesprächs herangetastet. Ebenso geschieht es, wenn Kritik ge- äußert werden soll. Missfallen kann dennoch ausgedrückt werden – indem man beispielsweise demonstrativ eine Weile nicht miteinander spricht (Aly 1984: 77). Einen Modus zur Unterschei- dung eines sachlichen von einem personellen Konflikt gibt es nicht (Magnis-Suseno 1998: 22). Das Wohl der Gemeinschaft wird nicht nur passiv mit dem Vermeidungsprinzip sondern auch ak- tiv mit der Tradition des Slametan befördert. Slamet ist der Terminus für einen statischen Zustand des allgemeinen Wohlbefindens, der ungestörten Sicherheit. Um diesen Zustand nicht zu stören, wird zu allen erdenklichen Gelegenheiten eine Slametan-Zeremonie abgehalten. Ihre Wurzeln hat sie in der früheren Dorfgemeinschaft, in der die Götter angebetet wurden und man sich der Hilfe von Verwandten und Nachbarn versicherte. Diese werden eingeladen, nehmen nach streng gere- gelter Sitzordnung im Hause Platz und lauschen einer formellen Rede des Hausherren, bevor es ans Essen geht. Geertz (1973: 161) bezeichnet die Zeremonie zu Recht als „Mikro-Modell“ des javanischen Zusammenlebens. Eine Komponente eines Slametan verdeutlicht das Prinzip der Konfliktvermeidung. Geschenke werden niemals vor den Augen der Schenkenden geöffnet, da bei Nichtgefallen eine unerfreuliche Situation befürchtet wird. Geben und Nehmen kommt höchs- te Wichtigkeit zu. Einem Gast mit leeren Händen entgegen zu treten, gilt als schwerer Verstoß gegen die guten Sitten. Gleichzeitig wird genau darüber gewacht, dass sich Geschenke und Ge- gengeschenke in ihrem Wert ausgleichen (Magnis-Suseno 1981: 52). Vor allem in traditionellen Dorfgemeinschaften, aber auch im modernen, urbanen Umfeld sind die beschriebenen javani- schen Traditionen immer noch präsent. Das zweite grundlegende Prinzip ist das Respektsprinzip. Es fußt auf dem Glauben, dass nur eine hierarchisch geordnete Gemeinschaft zur Harmonie führen kann. So lange sich jeder in die soziale Rangordnung fügt, bleibt alles im Gleichgewicht. Statussymbolen zur Demonstration der natur- gegebenen Ordnung kommt höchste Wichtigkeit zu. Die Rangordnung drückt sich auch sprach- lich aus, im Javanischen gibt es einen eigenen Wortschatz je nachdem, mit wem man spricht: ei- nen für Höherstehende, einen für Gleichgestellte, einen für niedriger Stehende. Mit zahlreichen Zwischenstufen bringt es das Javanische auf etwa elf verschiedene Sprachebenen (Magnis-Suseno 1981: 57). Seniorität und eine hohe Stellung stehen am oberen Ende der Sozialleiter. Traditionell ist es eine Ehre, Vorgesetzten, hochgestellten Persönlichkeiten und alten Leuten einen Dienst zu erweisen. Das Respektsprinzip der javanischen Kultur wird wegen seines Bezuges auf den Bapak, den altehrwürdigen Familienvater, auch als Bapakisme bezeichnet. So ist heute noch von Ex- Diktator Suharto, der jahrzehntelang als „Vater des Aufschwungs“ (Bapak Pembangunan) galt, in vielen Zeitungen als Bapak Harto die Rede. Untersuchungen zu Kultur und Management in Indo- nesien verdeutlichen, wie sich das Bapakisme-Prinzip auch in der heutigen Unternehmenskultur zeigt. Das Unternehmen gilt als erweiterte Familie, der Geschäftsführer hat die unangefochtene Stellung des Bapak inne (Weidmann 1997: 152). Während im westlichen Management eine insti- tutionalisierte Führerschaft vorherrscht, ist es in Indonesien eine personalisierte Führerschaft. Per- sonenorientiertes Handeln hat Vorrang vor aufgabenbezogenem Handeln (a.a.O.:157). Beziehun-

59 Pressefreiheit in Indonesien gen zu Höherstehenden werden sorgfältig gepflegt – es gereicht Untergebenen zur Ehre, ihre Vor- gesetzten auch mit Privatgeschenken wohl gesonnen zu stimmen (a.a.O.: 59). Diese liefern ihnen im Gegenzug Protektion und Führung – ein Patron-Klienten-Verhältnis. Koentjaraningrat (1969: 44) sah bereits in den sechziger Jahren in diesen Strukturen und der Abwesenheit sachbezogener Kommunikation die Hauptursache für die grassierende Korruption in Indonesien. Korruption ist im indonesischen Geschäftsleben wie im Medienalltag allgegenwärtig und wird nicht nur als ökonomisches oder politisches, sondern auch als kulturelles Problem bezeichnet (Hutabarat 2002). Indonesien belegt derzeit den 130. Platz von 163 untersuchten Ländern des aktuellen Cor- ruption Perceptions Index von Transparency International (TI 2006). Im Journalismus zeigen sich korrupte Praktiken am deutlichsten in der so genannten „Umschlagskultur“. Es gehört zum guten Ton der Veranstalter, auf einer Pressekonferenz nicht nur mit Informationen, sondern auch einem Umschlag voller Bargeld aufzuwarten. Die Beträge reichen von 50.000-1,5 Mio. Rupiah (5-140 €) (The Jakarta Post 2005a). Dieses „Geschenk“, das oft als Aufwandsentschädigung oder Fahrgeld deklariert wird, zurückzuweisen, gilt als unhöflich. In Unternehmen und Ämtern gibt es Etats für Propaganda, Information und Dokumentation, aus denen die Umschläge finanziert werden (Manan 2004, Haryanto 2005). Von diesen Etats profitieren Absender und Empfänger, einen Großteil ste- cken sich die jeweiligen PR-Kräfte in die eigene Tasche (The Jakarta Post 2005c). Häufig wird die Akzeptanz für Umschläge mit dem niedrigen Einkommen von Journalisten be- gründet (Sasdi 2003, Hariyanto 2005, The Jakarta Post 2005a). Eine Befragung von Journalisten in Jakarta ergab jedoch, dass ökonomische Zwänge nicht die stärkste Motivation für die Akzep- tanz von Umschlägen sind (Eriyanto 2002). Auf ein Professionalitäts-Problem deutet hingegen, dass mit Abstand der höchste Prozentsatz (46,5%) der Befragten der Meinung war, ein Journalist könne trotz der Annahme materieller Leistungen ausgewogen berichten. Eriyanto betont jedoch, dass die indonesische (javanische) Sitte, sich dankbar gegenüber jemandem zu zeigen, der einem zuvor etwas Gutes getan hat, es gar nicht zuließe, kritisch zu schreiben, nachdem man einen Um- schlag eingesteckt hat (a.a.O.).

3.2.4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Die indonesische Wirtschaft verdankte ihr Wachstum in den letzten Jahren vor allem der Binnen- nachfrage. Davon profitierte auch die Medienwirtschaft. Seit 1999 liegen die Steigerungen der Werbeeinnahmen jährlich im zweistelligen Prozentbereich.10 Wegen der Dominanz audiovisuel- ler Rezeption in Indonesien kommt dieses Wachstum vor allem den Fernsehsendern zugute, an die rund 70% der Werbeeinnahmen gehen (Dyah S. 2005). Die Eigentumsverhältnisse im Fern- sehbereich lassen sich nach wie vor auf wenige Namen unter hohen Anteilen der Suharto-Familie verdichten (Koesoemawiria 2002, Piliang 2002). Auf die Liberalisierung des Presserechts war ein beispielloser Gründungsboom von Printmedien gefolgt. 825 Drucklizenzen wurden nach der Lo- ckerung des Lizenzzwangs 1998 allein bis April 1999 vergeben. Zunächst sahen sich also die e-

10 Für Januar-September 2006 gibt die staatliche Kommunikationsbehörde eine Steigerung von 17% gegen- über dem Vorjahr für alle Medien an, für den Printbereich beträgt sie 23%. (Depkominfo 2006).

60 Pressefreiheit in Indonesien tablierten indonesischen Medienmacher, die in den neunziger Jahren noch vom streng regulierten Medienmarkt profitiert hatten, einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. Inzwischen hat sich der Markt konsolidiert, wovon vor allem die großen Mediengruppen profitierten. Während zur größten Zeitungsgruppe des Landes, Jawa Pos, im Jahr 1995 lediglich 20 Tageszeitungen und acht Wochenzeitungen gehörten, nannte sie 2004 bereits 81 Tageszeitungen, 23 Wochenzeitungen und eine Fernsehstation ihr Eigen. Die zweitgrößte Gruppe, Kompas Gramedia, besaß im Jahr 1995 noch acht Tageszeitungen, 17 Magazine, eine Radiostation und vier Buchverlage. 2004 wa- ren es 14 Tageszeitungen, 32 Magazine, je ein Fernseh- und ein Radiosender sowie sechs Buchver- lage (AJI 2004). Die zehn größten Anzeigenempfänger teilen knapp 50% des gesamten Werbe-Etats im Tages- zeitungsbereich unter sich auf (PPPI 2004). Fünf davon gehören zur Jawa Pos-Gruppe. Von Kom- pas Gramedia gehört zwar lediglich die Tageszeitung Kompas dazu, doch mit der auflagenstärksten Tageszeitung Indonesiens schöpfte die Gruppe im Jahr 2003 jedoch allein 17,7% der gesamten Werbeeinnahmen im Tageszeitungsbereich ab. Im Zuge der Konzentrationsvorgänge im Medien- sektor wird eine zunehmende Kommerzorientierung zu Lasten von journalistischer Ausbildung und Recherche bemängelt. Sowohl etablierten Medien, als auch Neugründungen wird vorgeworfen, in ihrer Berichterstattung eher die Partikularinteressen ihrer Besitzer zu vertreten als ihre demokrati- sche Funktion zu erfüllen (Sudibyo 2001a). Vor allem bei Regionalzeitungen ist es üblich, dass Provinzpolitiker (mitunter auch auf Druck der Medienmacher) ganze Zeitungsseiten kaufen und sich so eine positive Berichterstattung sichern (AJI 2004).

4 Untersuchte Medien Im Rahmen der Studie wurde die innere Struktur indonesischer Presseunternehmen untersucht, wobei hauptsächlich unterschieden wurde nach der Unternehmensform, Unternehmenskultur und Verlegerrolle. Indonesische Zeitungen fungieren nach dem angelsächsischen Reporter- Editor-Prinzip. Kommentare und Debattenbeiträge, deren Funktion es ist, die Blattlinie zu ver- mitteln, werden meist von einem kleinen, handverlesenen Redakteurskreis verfasst. In diesem Zusammenhang erschien der Autorin auch die Frage nach den „Meinungsmachern“ in der Re- daktion von Wichtigkeit. Außerdem untersuchte sie Formen der innerbetrieblichen und redakti- onellen Mitbestimmung und Konfliktregelung, sowie Anzeichen und Gründe für Zensur und Selbstzensur. Letztere sind vor dem indonesischen Hintergrund häufig mit Praktiken der Kor- ruption verbunden, weswegen auch auf diesen Punkt geachtet wurde. Die Auswahl der Zeitungen stützte sich primär auf die Erhebung zu Journalismus in Indonesien von Hanitzsch (2003: 341) die sich unter anderem mit journalistischen Leitmedien befasst. Er nennt die überregionalen Tageszeitungen Kompas, Republika und Media Indonesia als von Journalisten am meisten gelesene Tagespresse. Neben den genannten Blättern wurde außerdem die seit 2001 erscheinende überregionale Zeitung Koran Tempo 11 untersucht. Sie wird vom Tempo-Verlag herausgegeben, der auch Indonesiens erfolgreichstes und während der Suharto-

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Zeit verbotenes Nachrichtenmagazin Tempo herausgibt. Zudem unterscheidet sich Tempo in der Eigentümerstruktur erheblich von den erstgenannten Zeitungen. Die vier genannten Zeitungen gehören zu den auflagenstärksten überregionalen Blättern und stellen die Grundgesamtheit der indonesischsprachigen, allgemeinen, überregionalen Morgenzeitungen dar. Die Wahl überregi- onaler Zeitungen trägt auch der Tatsache Rechnung, dass diese Medien, was Gehälter und Ar- beitsrecht sowie professionelle Standards angeht, als Vorbilder gelten. Die Feldforschung wurde als offene, teilnehmende Beobachtung durchgeführt. Entsprechend des qualitativen Designs der Untersuchung war es sinnvoll, zusätzlich eine offene, nicht stan- dardisierte Befragung in der Form von Leitfadengesprächen anzuhängen. Unter der Annahme, dass Einflüsse auf redaktionelle Autonomie je nach Position im Medienbetrieb unterschiedlich wahrgenommen werden, wurde pro Zeitung je ein Vertreter jeder redaktionellen Hierarchieebe- ne befragt. Dabei handelte es sich um den Verleger, den Chefredakteur, einen Chef vom Dienst, den Ressortleiter des Inlands-Ressorts und einen Reporter12. Zusätzlich wurde ein Gewerk- schaftsvertreter nach der Rolle und der Akzeptanz der Gewerkschaften in der jeweiligen Zei- tung befragt. Abbildung: Auflagenzahlen der untersuchten Zeitungen 13

600000

400000

200000 Auflagenzahl

0 Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 Kompas 507.000 509.000 506.000 509.000 Koran Tempo 200.000 200.000 200.000 Media Indonesia 190.000 200.000 284.745 200.000 Republika 165.000 200.000 200.000 200.000

5 Befunde 5.1 Kompas Kompas ist seit Jahrzehnten Indonesiens auflagenstärkste, überregionale Tageszeitung. Das Blatt wird herausgegeben von der Kompas Gramedia Gruppe (KGG), neben der Jawa Pos-Gruppe das größte Medienunternehmen im Land. Kompas wurde 1965 gegründet. Das Blatt war während der Diktaturjahre staatstragend und galt als „New Order newspaper par excellence“ (Hill 1995: 84).

11 Koran ist das indonesische Wort für Zeitung. 12 Pro Tageszeitung wurden neben den formellen Interviews auch mehrere informelle Gespräche geführt. Da ei- nige der Reporter besorgt über etwaige negative Folgen ihrer Aussagen waren, unterscheidet die Autorin im Fall der Reporter beim Zitieren nicht nach formellen Interviews und informellen Gesprächen. So soll eine kla- re persönliche Zuordnung vermieden werden. 13 Eigene Darstellung, Quelle: WAN 2002-2005

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Die Zeitung wird überwiegend von den Eliten des Landes gelesen14 und pflegt nach wie vor den ausgewogenen, vorsichtigen Stil, den Benedict Anderson einst als „gepflegte Langeweile“ (Hill 1995: 84) bezeichnete. Der Verleger Jakob Oetama beschreibt die Kompas-typische Vorsicht so: „Wir waren gezwungen zu dem, was später als „Krebs-Journalismus“ bekannt wurde. Ich sagte zu den Journalisten: ‚Wir schreiben, schreiben, schreiben, wagen uns immer ein Stückchen weiter vor, wenn das Warnsignal kommt, dann wird zum Rückzug geblasen.’ So wie es der Krebs macht, der zieht sich zurück, um sich dann wieder ein Stückchen weiter vor zu wagen. Wenn das jemand kritisieren möchte, das stört mich nicht. So war die Realität nun mal.“ 15 Jakob Oetama ist als Gründer der Zeitung Kompas bis heute Hauptanteilseigner16 und fungiert als Geschäftsführer der KGG. Er hat den Vorsitz im indonesischen Verlegerverband inne. Bis zum Jahr 2000 vereinte er die publizistische und ökonomische Kompetenz als Chefredakteur und Geschäftsführer in Perso- nalunion. Die konservative Leitlinie des Blattes wird noch immer stark von ihm geprägt. Jakob Oetama hat einen journalistischen Hintergrund und ein solches Selbstverständnis. Er will mit sei- nem Blatt Bildung und Werte vermitteln. Er nimmt heute weniger tagesaktuellen Einfluss auf die Redaktion als früher. Als Verleger entscheidet er mit über den Chefredakteur und den Chef der Meinungsredaktion sowie über die Besetzung der Ressortleiter. Kompas steht in der Tradition eines Familienunternehmens17 und sowohl der Verleger selbst als auch seine Mitarbeiter sehen in Oetama die Rolle des Familienvaters, dessen Werte man vielleicht nicht un- eingeschränkt teilt, der aber für das Auskommen sorgt und ohne dessen strenges Regiment die Familie nicht zusammengehalten werden kann. In diesem Sinne stehen mehrere Äußerungen der befragten Journalisten. So vergleicht ihn einer – allerdings mit positiver Konnotation – mit dem früheren Dikta- tor Suharto, ein anderer setzt sogar ihn mit Gott gleich.18 Die Furcht um die Zukunft des Unterneh- mens nach dem Ableben des Verlegers geht aus den Äußerungen mehrerer Journalisten hervor. Im Selbstverständnis des Verlegers als Vaterfigur, der für seine Familie sorgt, aber so, wie er es für richtig hält, steht auch die weitgehende Ablehnung Jakob Oetamas gegenüber gewerkschaftlichen Aktivitäten im eigenen Hause. Mitbestimmungsrechte der Redaktion werden zwar über die Betriebsgewerkschaft wahrgenommen. Deren Agenda zielt jedoch auf soziale und materielle Verbesserungen für die Kom- pas-Mitarbeiter. Personelle und sachliche Entscheidungen, die die Redaktion betreffen, werden vom Verleger oder der von ihm bestimmten Redaktionsspitze getroffen. Redaktionelle Mitbestimmung ist bei Kompas nicht institutionalisiert. Es gibt keinen Redaktionsrat und kein Statut, das zum Beispiel ein Mitbestimmungsrecht bei personellen Fragen, die Gewissensfreiheit für Journalisten oder die Frage der Blattlinie im Falle eines Besitzerwechsels regeln würde. Ein ständiges Gremium zur Konfliktlö-

14 Über 60% der Leser haben einen Hochschulabschluss, ca. 30% monatliche Haushalts-Ausgaben von mindes- tens 2,25 Mio. Rupiah (200 €) (Leserumfrage Kompas 2004). 15 Verleger Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004. 16 Genaue Angaben zu den Anteilseignern waren trotz mehrfacher Nachfragen bei der Geschäftsführung nicht zu bekommen. Nach Angaben des Verlegers halten er und die Familie von PK Ojong die meisten Anteile. 17 So sind die Redaktionsräume mit Fotos aus 40 Jahren Kompas-Geschichte geschmückt, die neben der redak- tionellen Tätigkeit auch gemeinsame Freizeit-Aktivitäten zeigen; Das Unternehmen hat einen hauseigenen Chor, ein Gamelanorchester, eine Tanzgruppe, einen Angelverein und ein Badminton-Team. 18 Chef vom Dienst (CvD) Kompas, Interview, geführt am 05.10.2004; Ressortleiter Inland, Kompas, Inter- view, geführt am 06.10.2004.

63 Pressefreiheit in Indonesien sung existiert ebenfalls nicht. Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien bei Kompas sind Kon- sens orientiert. Zu einer Politik der kleinen Schritte scheint es für die Betriebsgewerkschaft keine Al- ternative zu geben. Redaktionelle Mitbestimmungsrechte könnten theoretisch auch über die bei Kompas vorhan- denen Mitarbeiteranteile institutionalisiert werden. Bei Kompas wird durch die Ausschüttung einer Dividende zwar eine materielle Verbesserung, aber keine Mitbestimmung z.B. bei der Besetzung der Chefredaktion erreicht. Gewissensfreiheit für Kompas-Journalisten ist ebenfalls nicht schriftlich garantiert, sondern wird fallweise verhandelt: „Das wird eher auf der persön- lichen Ebene gelöst. Wenn ein Reporter sagt: ‚Ich kann das nicht schreiben’, kann sein Redak- teur es jemand anderem geben. Aber prinzipiell kann es der Journalist nicht ablehnen. Was er an Aufgaben bekommt, muss er erfüllen. Aber weil wir eine javanische Kultur haben, kann das auf der persönlichen Ebene verhandelt werden.“ 19 Kompas hat sich während der drei Diktatur-Jahrzehnte als äußerst anpassungsfähiges Medium erwiesen und hat wirtschaftlich von dieser Anpassungsfähigkeit in hohem Maße profitiert. Dem- entsprechend akkommodabel ist der Umgang mit Politikern heute noch. Die Wahrung der guten Beziehung beginnt mitunter schon bei Gegebenheiten, deren Relevanz im journalistischen Tages- geschäft nicht augenfällig ist. Zum Beispiel gab es im Beobachtungszeitraum einen Konflikt einer Journalistin mit einem Politiker, der aus seiner Partei ausgeschlossen worden war und gerichtlich gegen diese Entscheidung vorging. Kompas hatte über einem Artikel, der sich mit einem Ge- richtstermin in der Sache befasste, getitelt, dass besagter Politiker wieder ins Parlament zurück wolle. Diese Überschrift sorgte dafür, dass der Betreffende mehrfach in der Redaktion anrief und sich beschwerte, dass die Überschrift unterstelle, es ginge ihm nur um seinen Parlamentssitz. Am nächsten Tag erschien ein Artikel, in dessen Überschrift der Leser informiert wurde, dass es dem Politiker nicht darum gehe, seinem Parlamentssitz nachzujagen. In verschiedenen Gesprächen wurde bestätigt, dass der Vorfall kein Einzelfall ist. In vorausei- lendem Gehorsam werden revidierende Artikel veröffentlicht, um eine als Blamage empfun- dene Gegendarstellung zu verhindern und gute Beziehungen mit der politischen Elite nicht zu stören. Der Beziehung zu Quellen wird im Zweifelsfall auch die Gewissensfreiheit der Jour- nalisten untergeordnet. Ein Reporter berichtet vom Ärger mit einem früheren Präsidenten, obwohl er ihn richtig zitiert habe. Obwohl die Aussage des Staatsoberhauptes mit einer Auf- nahme belegbar war, agierte man bei Kompas konziliant. Der Reporter sprach beim Präsiden- ten vor und entschuldigte sich. „So ist die Art von Kompas, so etwas zu lösen. Die Redakti- onsleitung drängt uns Reporter, klein beizugeben und sich zu entschuldigen. Der Weg des ge- ringsten Widerstandes steht vor der Wahrheitssuche. Junge Journalisten leiden manchmal darunter, aber meiner Meinung nach, ist das etwas Kompas-Typisches.“ 20

19 Vertreter der Betriebsgewerkschaft, Kompas, Interview, geführt am 21.10.2004. 20 Reporter Kompas.

64 Pressefreiheit in Indonesien

Die genannte Vorsicht wird vor allem vom Verleger geprägt: „Wir achten auf den guten Na- men von Menschen, wir sind konservativ. Das verschafft uns den Ruf, nicht mutig zu sein. A- ber wir haben eben unsere Art, mit Freiheit umzugehen. Vielleicht ändert sich das, wenn ich mal nicht mehr bin. Ich kann mich nicht mehr verändern, ich bin wie ich bin.“ 21 Die jahrzehntelang praktizierte „Kunst“, Kritisches höchstens zwischen den Zeilen lesbar zu machen, ein konservatives Hierarchieverständnis, die Sorge um die Marktposition des Blattes und ein unsicheres Rechtsumfeld bewirken bei Kompas-Journalisten Selbstzensur. Auch in dieser Hinsicht erscheint das Blatt als Inbegriff der javanischen Konsens-Kultur. Aufgrund des geschilderten „vorauseilenden Gehorsams“, der in der konsensorientierten Unter- nehmenskultur begründet liegt, scheinen bei Kompas die Potenziale für vom Verleger verursachte Zielkonflikte gering zu sein. Interessenkollisionen des Verlegers in dem Sinne, dass er sein Blatt für eigene Zwecke benutzen würde, treten nicht offen zutage. Dabei dürfte zum einen eine Rolle spielen, dass Jakob Oetama selbst Journalist ist und aus einer journalistischen Perspektive die Ge- schicke seines Blattes lenkt. Er hat keine offenen politischen Ambitionen im Sinne einer ange- strebten Übernahme politischer Ämter. Kompas-Mitarbeiter sind zum Anderen materiell so zufriedenstellend versorgt, dass sie als sehr loy- al ihrem Verleger gegenüber gelten. So sind zwar immer wieder Begebenheiten von Journalisten zu hören, deren persönliche Karriere endete oder sich erheblich verzögerte, weil ihr Agieren im Wider- spruch zu den Verleger-Interessen stand. Es würde sich aber kaum einer der Betroffenen selbst mit diesbezüglicher Kritik und deutlicher Benennung des Vorgefallenen äußern.22 Bei Kompas wird strikt nach Nachricht und Kommentar getrennt. Meinung kommt in der Form des Leitartikels und in Debattenbeiträgen zum Ausdruck. Die täglichen zwei Leitartikel erschei- nen ohne Namenszeile und werden vom Chefredakteur, seinem Stellvertreter und manchmal vom Verleger selbst verfasst.23 Die drei bis vier auf den Meinungsseiten erscheinenden namentlich ge- kennzeichneten Debattenbeiträge stammen nie von Redakteuren oder Reportern, sondern immer von außen stehenden Experten auf dem jeweils behandelten Gebiet. Der Meinungschef begründet das damit, dass die Meinungsseiten ein Dienst an der Gesellschaft seien.24 Im Kompas mit einem Debattenbeitrag vertreten zu sein, gilt unter der Intellektuellenszene Indonesiens als sehr Prestige- trächtig. Täglich bis zu 90 Einsendungen bearbeitet die vierköpfige Meinungsredaktion, die über eine Veröffentlichung entscheidet. Allerdings hat die Chefredaktion ein Veto-Recht. Einer Einflussnahme der Werbetreibenden auf redaktionelle Inhalte wird nach Angaben des

21 Verleger, Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004. 22 Reporter Kompas. 23 Im Beobachtungszeitraum stammte der jeweils erste Leitartikel zur Innenpolitik vom Chefredakteur, der zweite zur Außenpolitik von seinem Stellvertreter. 24 Informelles Gespräch, 06.10.2005. Dem „gemeinnützigen“ Anspruch steht allerdings entgegen, dass Kom- mentare auch als strategisches Instrument zur Beziehungspflege verstanden werden, so z.B. mit Militärs, in- dem man ab und zu einen General zu Wort kommen lässt. Auch Intellektuelle, die sich um Kompas verdient gemacht haben, dürfen häufig kommentieren. (a.a.O.).

65 Pressefreiheit in Indonesien

Kompas-Verlegers nicht stattgegeben.25 Diese Linie wird auch vom Chefredakteur bestätigt: „Wir haben da eine klare Linie zwischen redaktionellem Inhalt und Anzeigen. Die Anzeigen- abteilung kann nicht beim Redaktionellen intervenieren und umgekehrt. Wir wissen nicht, welche Werbung morgen in die Zeitung kommt. Wir machen unsere Planung aufgrund der Redaktionskonferenzen. Darauf achten wir sehr, und deswegen kann ich sagen: Die Stärke von Kompas ist seine Vertrauenswürdigkeit.“ 26 Anzeigenabteilung und Redaktion sind bei Kompas in unterschiedlichen Verlagsgebäuden untergebracht. „Die Leute treffen sich nie“, so der Chefredakteur. Journalisten beim Kompas sei es strengstens untersagt, bei den Anzeigen involviert zu sein, bestätigt auch der Reporter. Das unterscheide Kompas von anderen Me- dien, wo Journalisten eine Doppelfunktion hätten, da sie neben der Berichterstattung auch Anzeigen einwerben. „Weil wir Reporter nichts mit der Werbung zu tun haben, können wir uns unabhängig fühlen. Ich kenne zum Beispiel den Chef von Sido Muncul [Hersteller traditi- oneller Medizin] ganz gut. Der rief mich an und wollte interviewt werden. Ich habe ihm ge- sagt, dass wir das Interview nur bringen, wenn es gut wird. Da hat er gesagt: ‚Aber ich schal- te so viel Werbung bei euch.’ Ich habe geantwortet: Anzeigen sind die Sache der Anzeigenab- teilung. Ich bin Journalist. Ich darf bei den Anzeigen gar nicht involviert sein.’“ 27 Trotz der anscheinend recht klaren Linie hat es Kritik an der Neutralität von Kompas in Ver- bindung mit Werbung und den Vorwurf von Cross-Promotion gegeben. Das Medien- Watchdog-Magazin Pantau28 kritisierte, dass Kompas im redaktionellen Teil Schleichwer- bung für ebenfalls zur KGG gehörende Medien mache (Pantau 2002). Außerdem verletze es mit der Rubrik Seremonia, die Ehrungen und Festivitäten thematisiert, das Prinzip der sicht- baren Trennung von Anzeigen und redaktionellem Inhalt. Seremonia sei eine bezahlte Rubrik, die jedoch nicht als Werbung deklariert würde (a.a.O.).

5.2 Koran Tempo Die Historie von Indonesiens jüngster überregionaler Zeitung Koran Tempo muss in Verbindung mit der des gleichnamigen Magazins betrachtet werden. Das Wochenmagazin Tempo wurde 1971 nach dem Vorbild des Time-Magazine gegründet und entwickelte sich schnell zum beliebtesten Magazin der wachsenden Mittelschicht. Hatte das Blatt in seinen Anfangsjahren die Politik Suhartos noch unterstützt, wurde es später zunehmend kritischer und schließlich 1994 zusammen mit zwei anderen Magazinen, Detik und Editor, verboten. Die Verbote führten zu einer unerwarteten Pro- testwelle und zur Gründung des „unabhängigen Journalistenverbandes“ Aliansi Jurnalis Independen (AJI), der sich als Gegenbewegung zum staatstragenden Journalistenverband PWI verstand. AJI- Mitglieder und Tempo-Journalisten operierten teils aus dem Untergrund. So wurde ab 1996 das On-

25 Verleger Kompas, Interview, geführt am 8./19.10.2004. 26 Chefredakteur Kompas, Interview, geführt am 07.10.2004. 27 Reporter Kompas. 28 Pantau war ein indonesischsprachiges Medienmagazin, das sich kritisch und fundiert mit der eigenen Bran- che auseinander setzte. Es wurde herausgegeben vom Institut für den freien Informationsfluss (ISAI). Nach Finanzierungsschwierigkeiten wurde aus dem Special Interest-Magazin ein General Interest-Blatt, welches kaum noch Medien-Themen zum Inhalt hat.

66 Pressefreiheit in Indonesien line-Magazin Tempo Interaktif produziert. Einige Kollegen wechselten zu anderen Medien. Tempo- Alumnis bildeten ein effektives Netzwerk, das eng mit der Intellektuellen- und Aktivistenszene ver- flochten war. Seit 1998 wird das Magazin wieder verlegt und hat heute einen Marktanteil im Magazinbereich von 68%. PT Tempo Inti Media Tbk, das Unternehmen, zu dem neben dem Magazin Tempo auch die Druckerei PT Temprint gehört, ging 2000 als erstes Medienunternehmen Indonesiens an die Börse. Von den Einnahmen wurde die Zeitung Koran Tempo finanziert, die seit 2001 erscheint. Koran Tempo ist für investigativen Journalismus bekannt, arbeitet mit unkonventionellen Layout- elementen und vielen Infografiken und spricht damit vor allem jüngere Leser der Mittel- und Ober- schicht an. Knapp 80% der Leser sind zwischen 20-44 Jahren alt. Koran Tempo versteht sich wie das Magazin als „Teil der Speerspitze der gesellschaftlichen Modernisierung Indonesiens“, als „Clearing House“ und ist als progressives und demokratisches Medium auch im Ausland bekannt. Tempo- Journalisten wurden wegen ihres Engagements mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt. Tempo hat im Gegensatz zu den drei anderen untersuchten Zeitungen keinen Mehrheitseigner. Das Unter- nehmen ist zu über 50% im Besitz von Stiftungen. Somit existiert bei Koran Tempo kein Verleger im klassischen Sinne. Anteile am Unternehmen Tempo gehören der Firma PT Grafiti Pers, der Stiftung Jaya Raya, der Stiftung 21. Juni 1994 und der Stiftung der Tempo-Mitarbeiter. 17% der Anteile wer- den an der Börse gehandelt. Aufsichtsratsvorsitzender ist der Tempo-Gründer Goenawan Mohamad. Der Chefredakteur, Bambang Harymurti, ist Teil der Direktion. Die befragten Tempo-Journalisten, vor allem jene, die auch bei Konkurrenzblättern Erfahrungen gesammelt hatten, verwiesen auf eine „andersartige Unternehmenskultur“ und ein hohes Maß an redaktioneller Unabhängigkeit. „Tempo unterscheidet sich von anderen Massenmedien. Hier gibt es Werte, einen Idealismus, der vielleicht am freiesten von allen Medien ist. Das liegt daran, dass es ein öffentliches Unternehmen ist und nicht von einer Hand regiert wird, wie einige andere Me- dien [...] Wir können hier schreiben, was wir richtig finden.“ 29 Auch bei Koran Tempo gibt es kein Redaktionsstatut oder eine Redaktionsvertretung. Die Zielorien- tierung der Betriebsgewerkschaft richtet sich, wie die ihrer Pendants bei anderen Medien, an sozia- len Belangen aus. Über die Stiftung der Mitarbeiter als Aktionärin von Tempo kann die Belegschaft jedoch Einfluss auf die Firmenpolitik nehmen. So wurde zum Beispiel eine Übernahme von Antei- len durch die Jawa Pos-Gruppe mit dem Argument einer dann drohenden Einflussnahme auf die Berichterstattung abgelehnt. Konflikte in Bezug auf die soziale Versorgung der Mitarbeiter, versu- chen Management und Gewerkschaft mit Hilfe von Transparenz und Diskussion zu lösen. Bei Per- sonalfragen wie der Versetzung von Reportern oder der Bestimmung der Chefredaktion hat die Be- legschaft nach Aussage der Betriebsgewerkschaft jedoch keine Mitspracherechte. Die Gewissensfreiheit der Journalisten entspricht Tempos Selbstverständnis als Watchdog. Sie ist zwar nicht in einer Art Statut verankert, wird aber von den befragten Journalisten als hoch einge-

29 Der Ressortleiter Inland war früher bei Republika, Interview, geführt am 17.10.2004.

67 Pressefreiheit in Indonesien schätzt. Der Chefredakteur fordert und fördert individuelle Verantwortung seiner Journalisten: „Wir regulieren uns selbst, ich nehme auch selten meine Prärogativrechte als Chefredakteur wahr, mir ist es lieber, wir debattieren ein paar Stunden, und wenn es sein muss, stimmen wir ab. Ein Veto zu benutzen, bildet nicht. Ich überzeuge lieber. Aber das geht nur, wenn alle Seiten offen sind und zugeben können, dass sie falsch liegen. Der Geist einer Debatte ist wichtiger als ihr Er- gebnis, vernünftige, überzeugende Argumente.“ 30 Die redaktionelle Unabhängigkeit bei Tempo verdeutlicht vielleicht am besten das Umgehen der Verantwortlichen mit den Folgen der Berichterstattung über den Unternehmer Tommy Winata, der Tempo wegen Verleumdung verklagt hatte. So sprach sich Anteilseigner und Vorstand Ci- putra öffentlich für eine Versöhnung mit Tommy Winata aus. Bei einem Treffen mit dem Kläger hatte Ciputra die Unausgewogenheit des Artikels und eine mangelnde Recherche der Tempo- Journalisten beklagt. Ciputra betonte in seiner Funktion als Vorsitzender von Jaya Raya, die Stif- tung könne sich zwar nicht in Redaktionelles einmischen, er fordere jedoch Direktion und Redak- tion auf, das Problem „friedlich, gerecht und nicht bloßstellend zu lösen“ und sich mit Tommy Winata zu einigen. Eine solche Einigung wäre nur über ein Zurückziehen des Artikels möglich gewesen, was von der Tempo-Redaktion abgelehnt wurde. Für ein Medium mit hohem investigativen Anspruch ist die Pflege von exklusiven Quellen sehr wichtig. Das bringt jedoch die Gefahr der Parteinahme von Reportern mit sich. Bei Tempo wird daher keine Neutralität vom einzelnen Journalisten gefordert, sondern Ausgewogenheit als Ge- samtergebnis im Blatt angesteuert. Durch die Postierung der Reporter kann eine Parteinahme zu- gunsten „vertrauter“ Quellen nicht völlig ausgeschlossen werden. Einer daraus resultierenden Selbstzensur soll mittels Professionalisierung der Reporter, dem genannten mehrstufigen redakti- onellen Prozess und mit Hilfe von Postenwechseln vorgebeugt werden: „Das ist ein Grund für das häufige Rotieren unserer Reporter. Wenn jemand zu lange an einem Ort ist, werden sie anfäl- lig für Kollusion. Polizeireporter zum Beispiel werden sehr häufig gewechselt. Und wir schulen die Journalisten ständig. Aber ich denke, die Haltung von Tempo ist bekannt, so dass die Quellen das vielleicht auch gar nicht so sehr versuchen.“ 31 Selbstzensur zugunsten von Besitzerinteressen wird bei Tempo abgelehnt. „Bei Tempo gibt es so was nicht. [...] Bei Media Indonesia, wo ich früher war, ist der Besitzer zugleich Politiker und Unternehmer. Seine Interessen spiegeln sich in der Berichterstattung. Er kann zensieren, sagen, das Thema bringen wir nicht oder: das Thema treiben wir voran. Ich habe das erlebt, als ich noch dort war.“ 31 Was äußere Einflüsse betrifft, bestätigt sich auch bei Tempo eine Verlagerung des Drucks von Regierung und Militär zu gesellschaftlichen Akteuren. Außerdem sahen sich Magazin und Zei- tung am stärksten von der Klagewelle der letzten Jahre bedroht (vgl. 3.2.1.). „Heute können wir mutiger über Korruption schreiben. Aber die Gesellschaft weiß noch nicht, mit welchen Wegen

30 Chefredakteur, Koran Tempo, Interview, geführt am 14./15.10.2004. 31 Chef vom Dienst, Koran Tempo, Interview, geführt am 14.10.2004.

68 Pressefreiheit in Indonesien sie ihre Kritik an Medien anbringen kann, über den Presserat oder Leserbriefe. Deshalb kommt es zu diesen Verleumdungsklagen, wie Tempo sie gerade erlebt. [...] Derzeit ist der direkte Druck der Öffentlichkeit sehr deutlich. Die Leute kommen in die Redaktionen und fallen über Journalis- ten her, wenn ihnen was nicht passt, viele Medien haben das schon erlebt. Das gab es zu Suhartos Zeit nicht. Da kam der Druck von Suharto, dem Militär und staatlichen Stellen. Die Politiker ver- suchen es natürlich heute auch noch, sie rufen den Chefredakteur an. Aber allzu sehr besorgt uns das nicht, selbst wenn uns jemand verklagen will, dann muss er das eben machen.“ 31 Meinungsbetonte Darstellung ist Gegenstand einer wöchentlichen Konferenz, an der Vertreter der Geschäftsführung, der Chefredaktion, der Chefs vom Dienst, Ressortleiter und Senior-Redakteure von Magazin und Zeitung teilnehmen. „Meinung machen“ ist bei Koran Tempo Gemeinschaftsar- beit. In der Konferenz werden zunächst die Editorials der vergangenen Woche evaluiert. Danach wird ein Plan für die Editorial-Themen und -Schreiber der kommenden Woche aufgestellt. Als Ver- fasser des täglichen Editorials fungieren Chefredakteur und Senior-Redakteure, manchmal aber auch Außenstehende, die als zugehörig zur „Tempo-Community“ gelten. Dass darunter auch Politi- ker sind, wird wegen des gemeinschaftlichen Entscheidungsmechanismus für Meinungsartikel als unproblematisch angesehen. Es seien schließlich keine persönlichen Ansichten, sondern die „Tem- po- Linie“, die im Editorial vertreten würde. Nebem dem Editorial werden in der Regel zwei Kommentare oder Analysen auf der Meinungs- seite veröffentlicht, die von externen Experten geschrieben werden. Insgesamt verfasst nach Schätzung des Leiters des Meinungsressorts ein Stamm von 7-8 Autoren etwa 10% aller Mei- nungsartikel. Dabei handelt es sich um Wissenschaftler oder Politiker, die sich je nach Thema abwechseln. Für diese Beiträge gibt es keine Prärogative der Chefredaktion: „Die leiten zwar manchmal ein Schreiben von Bekannten weiter und sagen, schau Dir das mal an, mischen sich aber nicht ein.“ 32 Nach Aussage des Chefredakteurs hat Tempo ausreichende Mechanismen zum Schutz vor Inter- ferenzen von Werbung und Inhalt. Es komme vor, dass während einer Investigativ-Recherche seitens der Betroffenen versucht werde, mittels Anzeigenkäufen eine Veröffentlichung zu ver- hindern. „Bank Mandiri und BPPN haben ihre Werbung zurückgezogen, mich bekümmert das nicht. [...] Bislang haben wir in der Redaktion keinen Grund, uns der Werbung zu beugen. Au- ßer natürlich, wenn es um Supplements geht, die aber als Werbung deklariert sind. Wir disku- tieren da oft, weil wir finden, dass diese Art von Werbung normalen Berichten zu ähnlich sieht. Ich habe entschieden, dass da überall Werbung stehen muss. Früher haben wir das nicht ge- macht. Das ist gefährlich.“ 33 Zugeständnisse würden lediglich gemacht, wenn es darum ginge, wie viel Platz man der Dar- stellung der Position eines Werbekunden in der Berichterstattung einräumt. „Wir verhandeln aber nicht direkt mit denen, sondern mit der Anzeigenabteilung. Die sagen, wir kriegen von

32 Ressortleiter Meinung Koran Tempo, informelles Gespräch, 13. Oktober 2004. 33 Chefredakteur, Koran Tempo, Interview, geführt am 14./15.10.2004.

69 Pressefreiheit in Indonesien denen eine große Anzeige, könnt ihr mal bitte nichts Negatives schreiben. Vor allem vom Mar- keting kommt das. Manchmal kümmern wir uns nicht drum. Manchmal wird aber auch ver- handelt. Wir verringern dann nicht unsere Kritik, aber lassen sie vielleicht mehr zu Wort kommen. Generell wird eine Einmischung der Werbung verweigert, vor allem vom Inlands- und vom Wirtschaftsressort.“ 34 Anzeigen und Redaktion seien bei Tempo getrennt und er kümmere sich lediglich um das Redak- tionelle, heißt es vom befragten Reporter. Für die Anzeigenabteilung sei das mitunter schwer zu akzeptieren. In diesem Sinne äußert sich auch der CvD: „Die Werbeabteilung jammert manch- mal: ‚Das ist unser Kunde, müsst ihr dauernd über den schreiben?’ Aber damit müssen wir leben als Zeitung, die Ideale hat. Zum Beispiel haben wir mal über falsche Telefonabrechnungen der Telkom in Bandung geschrieben. Telkom ist ein großer Werbekunde, die fühlten sich von uns be- kämpft und die Werbeabteilung fragte, ob wir das stoppen können. Wir haben uns auf unsere re- daktionelle Entscheidungsfreiheit berufen. Das wissen die Werbekunden von Tempo eigentlich auch, dass sie es mit einer unabhängigen Zeitung zu tun haben.“ 35

5.3 Media Indonesia Einhergehend mit Deregulierungsmaßnahmen auf dem indonesischen Markt in den 1980er Jahren kam es auch zur Entstehung von Verlagen, die nicht von Journalisten gegründet und geführt wurden. Die Geschichte von Media Indonesia36 geht auf die Investitionen eines Un- ternehmers zurück, der zuvor bereits in anderen Wirtschaftsbereichen sehr erfolgreich Firmen aufgebaut hat: Surya Paloh. Er hält 100% der Anteile und führt die Geschäfte der Media In- donesia-Gruppe, zu der neben Media Indonesia noch zwei Lokalzeitungen und der Fernseh- sender Metro TV gehören. Surya Paloh hat außerdem Unternehmen im Hotelwesen, ist im Marmorgeschäft aktiv und baute mit Indocater äußerst erfolgreich eines der größten Catering- Unternehmen des Landes auf.37 Dank eines innovativen Layouts der zeitweise bis zu zwölf he- rausgegebenen Zeitungen, einer direkten Sprache, aggressiver Marktstrategien und dank einer im Wirtschaftsboom der frühen 1990er Jahre wachsenden Mittelschicht, expandierte Palohs Verlagshaus, PT Surya Persindo schnell. Media Indonesia verkauft sich vor allem auf der Straße und experimentiert stärker mit grafischen Elementen als beispielsweise Kompas. Manchmal neigt die Zeitung beinahe zum Boulevard-Layout. Ein Schwerpunkt des Blattes ist die Wirtschaftsberichterstattung. Media Indonesia hat eine junge38 und sehr solvente39 Leser- schaft. Auffallend ist der hohe Männeranteil unter den Lesern: 87%.40 Auch in der Redaktion

34 Ressortleiter Inland, Koran Tempo, Interview, geführt am 17.10.2004. 35 Chef vom Dienst, Koran Tempo, Interviewmitschrift aus Interview, geführt am 14.10.2004. 36 Die Zeitung wurde bereits 1969 gegründet, jedoch erst 1989 nach der Übernahme durch Surya Paloh wirtschaft- lich erfolgreich, dessen Lizenz für die Zeitung Prioritas zuvor von der Regierung entzogen worden war. 37 Eine Biographie des Unternehmers weist ihn darüber hinaus als Besitzer des Bali Intercontinental Hotels sowie des Sheraton-Media in Jakarta aus, außerdem als Besitzer und/oder Mitglied der Geschäftsführung in mehr als einem Dutzend weiterer Firmen (Hisyam: 2001). 38 Nur 14% der Leser sind über 45 Jahre alt, Quelle: Leserprofil Media Indonesia, http://www.mediaindo.co.id. 39 44% geben mehr als 2,5 Mio. Rupiah (230 €) im Monat aus. 40 Bei Kompas sind 76,4% der Leser männlich, bei Koran Tempo 66%, für Republika liegen keine Zahlen vor.

70 Pressefreiheit in Indonesien von Media Indonesia arbeiten nur etwa 15% Frauen.41 Der Verleger von Media Indonesia, Surya Paloh, fungiert als Geschäftsführer und legt die publizistische Linie des Blattes fest. Surya Paloh hat selbst keinen journalistischen Hinter- grund. Die tagesaktuelle Verantwortung bei Media Indonesia trägt der vom Verleger einge- setzte Chefredakteur. Dieser beschreibt seinen Chef zunächst als Idealisten: „Wir haben Glück, mit jemandem zu arbeiten, der einen hohen Idealismus im Bereich Presse hat. Surya Paloh bekommt hier kein Gehalt. Jede Einnahme investiert er zurück in Metro TV und Media Indonesia. Er hat hier nie Geld abgeschöpft, das ist Teil seines Idealismus. Wenn wir über Kämpfe zwischen Redaktion und Unternehmen sprechen, gewinnt immer die Redaktion. Wenn wir Angst davor haben, einen Kunden zu verlieren, sagt er, das macht nichts.“ 42 Der Verleger sucht die Autoren für die Leitartikel aus.43 Er hat ein Prärogativrecht zu Inhalt und Linie des Leitartikels. Der Verleger hat auch das Recht, Berichte zu stoppen oder zu verändern. Im Gegensatz zu dem Idealisten-Bild, das der Chefredakteur vom Verleger entwirft, werfen Kritiker Surya Paloh einen exzessiven Gebrauch der eigenen Medien für seine politischen Ziele vor. Der bereits in jungen Jahren für die Golkar-Partei amtierende Unternehmer44 scheiterte 2004 mit einer Präsidentschaftskandidatur. Das Institut für Medien- und Entwicklungsstudien (LSPP), das Inhaltsanalysen zur Wahlberichterstattung durchführte, konstatiert die Verwendung von Media Indonesia „als Instrument der Wahlkampagne zur Unterstützung seines Besitzers“ (LSPP 2004). Inhaltsanalysen der Wahlkampf-Berichterstattung im Fernsehen durch das Institut zeigten ebenfalls eine deutliche Gewichtung der Programmdauer in Surya Palohs Metro TV zu- gunsten von Golkar (Muhammad 2004). Surya Paloh selbst geht offensiv mit seiner Art der pub- lizistischen Einflussnahme um: „Ich gebe zu, ich benutze Metro TV und Media Indonesia. Was sonst sollte ich tun? Wenn das einem Journalisten nicht gefällt, warum wird er dann Journalist bei Media Indonesia oder Metro TV? Ich bin kein Heuchler.“ 45 Die befragten Redaktionsmitglieder berichten über Zielkonflikte, die sich vor allem in Wahl- kampfzeiten aus dem politischen Engagement des Verlegers und dem publizistischen Interesse der Redaktion ergeben: „Als er [Surya Paloh] kandidierte, war sein Einfluss auf die Berichter- stattung darüber sehr stark spürbar. Nicht nur bei Texten auch bei Fotos gab es Instruktionen, welche genommen werden müssen [...] Er [S.P.] selbst würde das auch nicht abstreiten, dass er

41 Bei Kompas und Koran Tempo arbeiten etwa 30% Frauen, bei Republika etwa 20% (Quelle: Personalabtei- lungen). Hanitzsch (2003: 275) hat für die überregionalen Tageszeitungen einen durchschnittlichen Frauenan- teil von 33,3% ausgemacht. Aufgrund der mit dieser Arbeit erhobenen Zahlen muss vermutet werden, dass der tatsächliche Anteil darunter liegt, es sei denn, er läge bei den nicht untersuchten überregionalen Zeitungen (Sinar Harapan, Suara Pembaruan, Bisnis Indonesia und Jakarta Post) bei jeweils über 40%. 42 Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004. 43 Festes Team von Schreibern, tägliche Abwechslung. 44 Surya Paloh kandidierte 1971 im Alter von 20 Jahren erstmals für Golkar für einen Sitz im Regionalparla- ment von Nordsumatra und saß von 1977-1987 für Golkar in der beratenden Volksversammlung MPR. 2004 war er einer von fünf Kandidatenanwärtern seiner Partei für die Präsidentschaftswahl, wurde aber nicht no- miniert. Danach wollte er für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren, zog diese Kandidatur aber später zugunsten des Vizepräsidenten Jusuf Kalla zurück. 45 Zitiert nach Harsono (2004), Übersetzung aus dem Indonesischen A.K., Es ist der Autorin trotz zahlreicher Versuche nicht gelungen, einen Interviewtermin mit Surya Paloh zu bekommen.

71 Pressefreiheit in Indonesien seine Medien für seine Kampagne als Präsidentschaftskandidat benutzt.[...]Wenn wir andere, wichtige Berichte canceln müssen, um Berichte über ihn zu bringen, ist das nicht vernünftig. Die armen Reporter, die gehen mit Enthusiasmus an die Berichterstattung, finden Interessantes über andere Kandidaten, und dann steht auf Seite 1 nur eines. Psychologisch gesehen ist das nicht gut. Es ist nicht ethisch.“ 46 Für die Journalisten ergibt sich ein Gewissenskonflikt. Der Ethik-Code verpflichtet sie auf das öf- fentliche Interesse, auch in den Unternehmensrichtlinien sind Ursachen für Interessenkonflikte klar geregelt. Gleichzeitig verpflichten die Unternehmensregeln zur Loyalität gegenüber dem Be- sitzer (Media Indonesia 2003). In der Bewertung des Verleger-Einflusses auf redaktionelle Ent- scheidungen gibt es Unterschiede und Widersprüche bei den befragten Redaktionsmitgliedern: „Diese Kritik [des Missbrauchs des eigenen Mediums für politische Zwecke] ist berechtigt. Die Sorge, dass Medien für politische Zwecke missbraucht werden, gibt es überall. Das ist ja auch normal, ihm gehört es. So lange das nicht in Zwang ausartet, ist das okay. [...] Zum Beispiel bei der Wahl, als es darum ging, was wir bringen oder welche Aufhänger man wählt, da wurde er manchmal konsultiert. Vor allem als wir in der zweiten Runde relativ viel Raum für SBY [Susilo Bambang Yudhoyono] gegeben haben, da gab’s intern auch Proteste. [...] Idealistisch gesehen wünsche ich mir, dass Media Indonesia unabhängig bleibt, von der SBY-Unterstützung wieder zu ihrer Ausgangsposition zurückkehrt. Auch wenn es Übereinstimmung in manchen politischen Zie- len gibt, wäre es gut, eine kritische Haltung anzunehmen.“ 47 Der Chefredakteur sieht im Gegensatz zu seinen anfänglichen Äußerungen vom Verleger als I- dealisten ebenfalls Konfliktpotential in den beiden Rollen seines Vorgesetzten als Politiker und Verleger und kritisiert ihn dafür. Für die politischen Motive äußert er jedoch Verständnis: „Ver- suchen wir es mal, aus seiner Sicht zu sehen. Er hat sich für eine Kandidatur entschieden, weil er der Meinung ist, dass Medien als Kontrollinstrument nicht fähig sind, etwas zu verändern [...] Je- der kritisiert jeden, alle sind unbelehrbar niemand kennt Scham, die Regierung ist weiterhin kor- rupt [...] Ich habe ihm gesagt, er muss beachten, dass er Medienbesitzer ist. Wenn er kandidiert, werden wir parteiisch sein [...] Ich habe dem Wahlkampfteam ein paar Mal gesagt, das ist zu viel. Die Leute sind es leid, ihn im Fernsehen zu sehen. Aber Surya Paloh hat gesagt, um zu gewinnen und so lange wir anderen Leuten nicht verbieten, Media Indonesia zu benutzen, müssen wir das ausnutzen. Er sagte: „Ich verbiete doch nicht, auch über meine politischen Gegner zu berichten. Aber das hier gehört mir. Warum soll ich also nicht die größere Portion bekommen? Jeder will doch gewinnen“ 48 Damit verstoßen die Journalisten auf Geheiß des Verlegers gegen die vom eigenen Unternehmen schriftlich niedergelegten Regeln.49 Der Chefredakteur äußert zum einen Verständnis dafür, dass

46 Reporter Media Indonesia. 47 Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004. 48 Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004. 49 Im hauseigenen Handbuch für Journalisten heißt es zum Thema Ausgewogenheit: „Wird einer Seite Raum gegeben, muss die Meinung der Gegenseite den gleichen Raum bekommen“ (Media Indonesia 2000: 13). Außerdem sollen keine für den Leser wichtigen Informationen zugunsten weniger wichtiger, aber mit be-

72 Pressefreiheit in Indonesien der Verleger sein Blatt als Plattform für seine Wahlkampagne benutzt. Er fühlt sich jedoch auch in seiner journalistischen Professionalität gestört und berichtet von häufigen Konflikten mit dem Wahlkampfteam des Verlegers. In „Normalzeiten“ scheint der tagesaktuelle Verlegereinfluss geringer zu sein. Neben den politi- schen Ambitionen sorgen jedoch auch geschäftliche Interessen des Verlegers und dessen Versu- che, redaktionelle Entscheidungen zu überstimmen, für Diskussionen: „Wir haben über die Um- weltverschmutzung eines Unternehmens berichtet, Surya Paloh steht denen nahe, es gibt geschäft- liche Interessen. Wir wollten einen Journalisten dahin schicken, um zu recherchieren. Er wollte wissen, wer hinfährt. Ich sagte: ‚Journalist A’ und er sagte: ‚Die wollen aber Journalist B’. Die Konferenz hatte A entschieden und er befahl B. [...] Wir hatten einen großen Streit, ich sagte ihm, er könne mich entlassen, wenn er wolle. Es ist nicht leicht, er hat das Vorrecht. Er kann es aber auch nicht nach Belieben einsetzen, weil wir uns wehren. Surya Paloh ist ein demokratischer Mensch, man kann mit ihm so streiten.“ 50 Bei Media Indonesia gibt es weder Mitarbeiteranteile noch eine Gewerkschaft. Bei einer Mitglie- derversammlung vor einigen Jahren sprach sich die Mehrzahl der Mitarbeiter gegen die Gründung einer Gewerkschaft aus. Der Ressortleiter Inland begründet das zum einen damit, dass sich mögli- cherweise die Mitarbeiter bei Media Indonesia nicht mit denen anderer Unternehmen auf eine Stufe stellen wollten51. Verleger und Chefredakteur befürworten jedoch auch keine Gewerkschaft. „Es gab mal das Bestreben, eine Gewerkschaft zu gründen. Surya Paloh hat gefragt, welches Ziel sie hätte. Soll sie eine Brücke sein, um die Probleme von Mitarbeitern mit dem Management zu besprechen? Er fragte: ‚Habt Ihr einen Chef, der schwer zu treffen ist, mit dem man nicht reden kann? Wenn nicht, wofür braucht ihr also eine Gewerkschaft?’ Wir haben das also als nicht so relevant empfunden, weil alle Probleme direkt adressiert werden können, es gibt da keine Büro- kratie, keine Trennmauer. Es gab auch den Verdacht, dass eine Gewerkschaft politisiert würde, dass sie die Leute nicht produktiver macht, sondern im Gegenteil, dass sie so beschäftigt mit ihren Rechten sind, dass sie vergessen, zu arbeiten. Das wäre störend.“ 52 In den Augen der befragten Journalisten genießt die Idee einer Mitarbeitervertretung hohe Priori- tät, „damit das Unternehmen nicht nach Belieben mit den Mitarbeitern verfahren kann“.53 Für ei- nen neuen Versuch zur Gründung eines Betriebsrates, bedürfe es möglicherweise Kollegen, „die ein erstes Opfer bringen“. Schließlich seien nach dem einstigen gescheiterten Versuch die Initiato- ren der Gewerkschaftsidee im Unternehmen „langsam an den Rand gedrängt“ worden.54 Bei Media Indonesia gibt es zwar den Redaktionsrat Dewan Redaksi, dieser ist aber weder von der Redaktion gewählt, noch steht er für redaktionelle Mitspracherechte. „Der Rat besteht aus den Eliten, den leitenden Mitarbeitern bei Media, Metro TV und Lampung Post. Sie sind nicht

stimmten Interessen versehenen Informationen ins Blatt kommen (a.a.O.:14, Übersetzungen A.K.). 50 Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004. 51 Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004. 52 Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004. 53 Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.

73 Pressefreiheit in Indonesien gewählt – wenn man einen Leitungsposten hat, ist man automatisch da drin. Die Aufgabe ist, Lö- sungen für Probleme zu suchen. Die können zweierlei Art sein: der Verstoß gegen redaktionelle Vorschriften, also Probleme der Professionalität beim Schreiben oder Verstöße gegen ethische Normen.“ 55 Es gibt ebenfalls kein Redaktionsstatut, in dem Rechte und Pflichten speziell für die Redaktion und Kompetenzabgrenzungen des Verlags festgeschrieben wären. Da es weder eine gewerk- schaftliche Interessenvertretung noch die Möglichkeit der Einflussnahme über Mitarbeiteranteile gibt, müssen Konflikte individuell gelöst werden. „Wir müssen selber mit der Personalabteilung reden, wenn wir denken, dass unsere Rechte verletzt werden. In meinem ersten Jahr gab es noch eine Konferenz der Reporter mit dem Chefredakteur, der nahm ihre Vorschläge auf, wollte ihre Schwierigkeiten hören. Zum Beispiel, wenn wir mehr Telefonzuschuss brauchten. Das wurde auf- genommen und an die Personalabteilung weitergegeben. In diesem Jahr gab es das nicht mehr.“

Ein Mitspracherecht der Redaktion bei der Besetzung der Chefredaktion gibt es nicht. So war der Vorgänger des amtierenden Chefredakteurs sehr beliebt und stand für ein transparentes Redaktions- management.57 Mit dem Wechsel des Chefredakteurs scheinen sich die Mitsprachemöglichkeiten für die Journalisten verschlechtert zu haben. Ein Reporter berichtet von einer versprochenen Ge- haltserhöhung, die die Journalisten auch nach längeren Diskussionen mit der Personalabteilung nicht bekommen haben. Unter dem Mangel an Mitbestimmung leidet die Identifizierung mit den Unternehmenszielen: „Deswegen werde ich auch selektiv, wenn ich einen Auftrag bekomme, wo ich draufzahle. Warum sollen wir uns aufopfern für den Besitzer des Kapitals, wenn wir nicht mal ein Forum bekommen, wo wir uns äußern können? Das ist nicht fair. Und wenn wir zur Personalabtei- lung gehen, verschwindet das Problem in irgendeiner Schublade.“ 58 Solche Vermeidungsstrategien werden auch deutlich, wenn es um die Rekrutierung von Journalis- ten für die politische Agenda des Verlegers geht. Da eine kontroverse Diskussion über die ethi- sche Vertretbarkeit des Verlegeranspruchs für die Journalisten kaum möglich ist, und es kein Gremium der Interessenvertretung gibt, wird das Problem umgangen: „Ich arbeite hier und werde vom Besitzer bezahlt. Der muss aber auch sehen, dass seine Mitarbeiter einen Wert darstellen. Wenn ich also eine private Meinung habe, muss ich dafür auch einstehen können. [...] Wir sollten vertreten, was wir für richtig halten. [...] Dieses spezielle Team [gemeint ist eine während des Wahlkampfes zur Berichterstattung über den Verleger abgestellte Gruppe] gab es, ich habe es aber immer verhindern können, da mitzumachen. [...] Ich habe immer einen anderen Grund ge- funden oder ich war eben weg und bin nicht ans Telefon gegangen. Wie sollen wir das sonst ma-

54 Reporter Media Indonesia. 55 CvD, Media Indonesia, Interview, geführt am 29.10.2004. 56 Reporter Media Indonesia. 57 Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004. 58 Reporter, Media Indonesia.

74 Pressefreiheit in Indonesien chen? Wir haben da doch auch eine emotionale Bindung [zum Verleger], was Schlechtes könnten wir gar nicht schreiben.“ 59 Selbstzensur ist bei Media Indonesia massiv vom Verleger forciert, wenn es um dessen direkte politische oder unternehmerische Interessen geht. Besonders deutlich wurde das – wie beschrie- ben – während der Wahlen 2004. Da es keine schriftlichen Vereinbarungen zum Gesinnungs- schutz gibt, kann die Redaktion sich diesem Druck nicht kollektiv entziehen. Wie die Aussagen von Chefredakteur oder Reporter zeigen, scheinen individuelle Lösungen zur Wahrung redaktio- neller Interessen durch Diskussion oder Vermeidungsstrategien jedoch möglich. Bei Media Indonesia entscheidet der Verleger, wer Editorials verfassen darf. Es gibt ein Team von Schreibern aus Vertretern der Redaktionsleitung von Media Indonesia, der Schwesterzeitung Lampung Post und dem zur gleichen Gruppe gehörenden Fernsehsender Metro TV. In der Ver- antwortung des Meinungsredakteurs steht die Auswahl der von „draußen“ eingesandten Kom- mentare und Analysen sowie der Leserbriefe. Täglich bekommt er etwa 30 Kommentarangebote, aus denen er nach Aktualität, Relevanz und Vertrauensverhältnis zum Schreiber60 auswählt. Auch Media Indonesia hat einen festen Stamm von Experten, die regelmäßig Analysen beziehungswei- se Kommentare verfassen. Eine Evaluierung der veröffentlichten Kommentare findet nach Aus- sage des Meinungschefs alle zwei Wochen durch ein Team aus verschiedenen Ressorts statt. Meinungsbetonte Darstellungsformen finden sich außer auf der Meinungsseite auch auf den Res- sortseiten. Hier obliegt die Auswahl den jeweiligen Ressorts. Der Meinungschef wählt auch die Leserbriefe aus. Media Indonesia druckt unter dieser Rubrik weniger Briefe ab, die sich mit der Berichterstattung oder aktuellen Themen befassen, sondern vor allem Beschwerdebriefe. „Wir helfen damit, Probleme zu lösen“, so die Begründung des Meinungschefs. Das scheint jedoch nur gültig, sofern nicht die Interessen der Anzeigenabteilung berührt werden. Diese muss konsultiert werden, sofern in Leserbriefen der Service von einem von zwölf Unter- nehmen bemängelt wird, die in einem internen Memo aufgeführt sind.61 Da es sich im Untersu- chungszeitraum um eine erst wenige Tage alte Anweisung handelte, war noch nicht zu erfahren, wie mit ihr konkret umgegangen wird. Der betroffene Redakteur sieht den Zielkonflikt jedoch voraus: „Wenn ich es mir einfach machen will, schmeiß ich solche Leserbriefe einfach in den Pa- pierkorb. Aber unsere Leser haben ja auch ein Recht, sich zu äußern.“ 62 Die Einflussnahme der Anzeigenabteilung in den redaktionellen Ablauf zeigt sich bei Media Indo- nesia auch daran, dass einer ihrer Mitarbeiter bei Redaktionskonferenzen anwesend ist. Ihr Ein- flussgrad auf das Redaktionelle wird als abhängig vom öffentlichen Interesse einer Berichterstattung bezeichnet. Wünsche von Werbekunden sind demnach verhandelbar, so lange sich die Zeitung nicht der Gefahr einer Vertuschung von Skandalen aussetzt: „Wir sind zu Kompromissen bereit, wenn es

59 Reporter, Media Indonesia. 60 „Die Auswahl der Meinungsartikel ist sehr verantwortungsvoll, weil wir damit Meinung beim Leser bilden. Ich muss dem Schreiber vertrauen können.", Ressortleiter Meinung Media Indonesia, Gespräch, 26.10.2004. 61 Memo vom 22.10.2004. Es handelt sich um große Werbekunden vor allem aus dem Automobilsektor. 62 Ressortleiter Meinung Media Indonesia, informelles Gespräch, 26.10.2004.

75 Pressefreiheit in Indonesien sich nicht um Berichte handelt, die von hohem öffentlichem Interesse sind. Wir kommen Wünschen nach, wenn jemand sein Gegendarstellungsrecht in Form eines speziellen Interviews wahrnehmen will. Es gab zum Beispiel mal einen Konflikt zwischen einem großen Unternehmen und seinen meh- reren tausend Mitarbeitern. Das Unternehmen versprach uns Anzeigen, wenn wir den Bericht dar- über nicht bringen. Aber diese Sache war zu groß.“ 63 Was den Grad der Einflussnahme seitens der Anzeigenabteilung angeht, unterscheiden sich die Aussagen von Chefredakteur und Politik-Ressortleiter. Bei beiden wird jedoch die Auftragsgröße als Kriterium für Veröffentlichungsentscheidungen genannt. „Die Anzeigenabteilung ist da sehr schlau, die kommen und sagen, wir haben da jemanden Wichtigen. Ich schaue immer, was davon Nachrichtenwert hat. Die Anzeigenabteilung ging so weit, dass wir sie zusammengerufen und ge- sagt haben, dass aber die Entscheidung über die Berichterstattung immer noch bei uns liegt. Wenn es wirklich ein außergewöhnlich großer Kunde ist, können sie uns Vorschläge machen. A- ber nicht, wenn jemand nur ein oder zweimal Werbung schaltet. Sonst haben wir ja irgendwann nur noch kommerzielle Werte.“ 64 „Die Werbung ist bei der Nachmittagskonferenz dabei. Wenn ein Bericht vorgeschlagen wird, der eine direkte Verbindung zu den Werbekunden aufweist, mel- den die Bedenken an. Das kommt über ein internes Memo [muss der Chefredakteur absegnen]. Normalerweise verliert die Redaktion. Außer der Anzeigenkunde wird als so klein eingeschätzt, dass es die Sache nicht wert ist.“ 65 Cross Promotion findet auch bei Media Indonesia und Metro TV statt. Jeden Morgen wird bei- spielsweise im Metro TV das Editorial von Media Indonesia verlesen, ohne dass dies als Werbung gekennzeichnet wäre.

5.4 Republika Republika ist die einzige Überlebende einer Reihe islamischer Tageszeitungen, die mit dem Auf- stieg einer zunehmend islamisch geprägten Mittelschicht in den 1990er Jahren entstanden waren. Die Zeitung wurde 1993 von der Organisation Muslimischer Intellektueller (ICMI) gegründet, die 51% der Anteile hielt. Das Entstehen von Republika als Sprachrohr islamischer Interessen spiegelt die politischen Entwicklungen jener Zeit wider. Suharto versuchte, seine schwindende Macht mit der Kooptation der islamischen Elite zu konsolidieren. Am deutlichsten verkörpert B.J. Habibie den Aufstieg der bis in die 1980er Jahre von Suharto an den Rand gedrängten islamischen Politiker. Der in Deutschland ausgebildete Flugzeug-Ingenieur wurde zunächst Forschungsminister und später Vi- zepräsident, bevor er 1998 Suharto als Präsident ablöste. Republika war bis 2000 vorrangig ein Partisanenblatt für die islamische Sache und ihre Vertreter, gesponsert von einflussreichen islamischen Geschäftsleuten. Habibie ernannte Chefredakteur und Geschäftsführer (zunächst in Personalunion). Republika hatte eine schnell wachsende Auflage, ging 1995 als erste indonesische Zeitung ins Internet und führte 1997 ebenfalls als erste ein Fern-

63 a.a.O. 64 Chefredakteur, Media Indonesia, Interview, geführt am 27.10.2004. 65 Ressortleiter Inland, Media Indonesia, Interview, geführt am 28.10.2004.

76 Pressefreiheit in Indonesien drucksystem ein.66 Dem parteiischen Charakter wurde der Geschäftssinn untergeordnet. Die Zei- tung hat seit ihrer Gründung keine Gewinne gemacht. Zumindest hat sie jedoch bis heute überlebt – anders als die meisten islamischen Printmedien der letzten Jahre, die wegen eines schlechten Managements einen „langsamen und schmerzlichen Tod“ starben (Soekanto 2004). Mit der Ablösung Habibies als Präsident und dem schwindenden Einfluss von ICMI auf der polit- ischen Bühne begann für Republika die Suche nach Alternativen. Im Jahr 2000 erwarb Erick Thohir mit der Mahaka-Gruppe die Mehrheit der Anteile. Republilka wendet sich mit Themenseiten wie Scharia-Wirtschaft oder dem 16-seitigen wöchentlichen Tabloid „Freitagsdialog“ an die islamische Mittel- und Oberschicht. Nur eine der 117 RedaktionsmitarbeiterInnen ist Nicht-Muslimin. Die Ver- breitung des Blattes konzentriert sich, wie bei den anderen untersuchten Zeitungen, auf Java. Seit 2000 hält Erick Thohir die meisten Anteile an Republika. Wie sein Pendant bei Media Indo- nesia ist der Republika-Verleger kein Journalist. Der 36-Jährige entstammt einer einflussreichen Unternehmerfamilie und gründete mit 24 Jahren mit Mahaka sein eigenes Unternehmen. Mahaka hat mehrere Töchter, die im Steinkohle- und Kreideabbau aktiv sind oder als Handelsgesellschaf- ten sowie Bauunternehmen fungieren. Inzwischen ist Republika Teil der börsennotierten Holding Abdi Bangsa. Erick Thohir ist ebenfalls Vorstandschef der Holding. Er verschrieb der ehemals subventionierten Zeitung ein gewinnorientiertes Management. Seit 2000 gab es mehrere Rationa- lisierungswellen und vier Chefredakteurswechsel.67 Der Verleger bezeichnet seine Motivation, im Medienbereich zu investieren, als rein geschäftlich und geht davon aus, dass Unterhaltung als Inhalt zukünftig in den Medien die dominierende Rolle spielen wird. Politische „Ausflüge“ lehnt er für seine Person mit dem Verweis auf die dann mög- licherweise entstehenden Interessenkonflikte für die von ihm geführten Unternehmen ab.68 Was Inhalte betrifft, steht Thohir für ein gemäßigtes Auftreten69 und eine Stärkung der unterhal- tenden Beiträge im Blatt.70 Eine völlige Veränderung der Blattlinie in Richtung säkulare Zeitung halten sowohl Verleger als auch Chefredakteur zwar für theoretisch möglich, lehnen sie mit dem Verweis auf den Markt jedoch ab: „Die Besitzer kontrollieren die Medien. Ob die Öffentlichkeit deren Richtung akzeptiert, ist eine andere Frage, das Volk ist ja nicht dumm, die kaufen nur die Medien, die sie auch interessieren. Natürlich kann der Besitzer sagen, ab nächstem Jahr sind wir keine muslimische Zeitung mehr, ich kann alle Mitarbeiter feuern und neue einstellen. Aber ob der Markt das akzeptiert?“ 71 Neben seinem unternehmerischen Engagement in eigenen Firmen, hält Thohir Positionen in Un-

66 Auflage 1993: 100.000, 1994: 165.000 (Sofyan: 2002). 67 Nach Angaben des Verlegers wurden in der Redaktion 40 Mitarbeiter entlassen (Verleger Republika, Inter- view, geführt am 09.12.2004). 68 a.a.O. 69 Der Verleger bezeichnet Republika als Segmentblatt für moderate Muslime. 70 Kulturell betrachtet muten zwei Neuerungen zunächst paradox an, die der Verleger einführte, eine Walt Disney-Rubrik und Berichte über die Scharia-Wirtschaft. Ökonomisch gesehen sind beide in Indonesien sehr verkaufsträchtige Themen. 71 Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12.2004.

77 Pressefreiheit in Indonesien ternehmen seiner Familie, zum Beispiel als Zweiter Geschäftsführer des Steinkohleförderers PT Allied Indo Coal.72 Zum Interessenkonflikt könnte außerdem beispielsweise die Tätigkeit des Verlegers als Vorsitzender des indonesischen Basketballbundes und Besitzer des Basketballklubs Satria Muda Britama führen. Für deren Veranstaltungen braucht er Publicity. In der Redaktion sollte jedoch die Auswahl, ob und wie man berichtet, an der Relevanz der Veranstaltung gemes- sen werden. Auch bei Berichten über andere Firmen des Unternehmers oder seiner Familie kann es zu diesen Interessenkonflikten kommen. So erfährt der Leser beispielsweise nicht immer, wenn im Blatt der Name Erick Thohir fällt, dass es sich um den Verleger handelt. Der Ressortleiter In- land begründet das so: „Wir schreiben das nicht hin, weil wir das nicht müssen. Es hat ja auch keine Verbindung zu dem Artikel. Wenn wir zum Beispiel etwas über den Basketballbund schrei- ben, dessen Vorsitzender Erick Thohir ist. Da schreiben wir auch nicht, dass er der Besitzer von Republika ist. Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Der Leser könnte ja dann denken, dass es ein eigens platzierter Artikel ist.“ 73 Auf ökonomische Interessen der Anteilseigner wird bei redaktionellen Entscheidungen Rücksicht genommen. Von den befragten Journalisten wird dem in einem gewissen Rahmen Verständnis entgegengebracht: „Wichtig ist, wie wir damit umgehen, ohne von ihnen herumkommandiert zu werden. Dafür braucht es Diskussion mit dem Besitzer, damit man eine Einigung erreicht. Bei Republika gibt es ein paar Sachen, da bin ich direkt involviert. Da macht der Besitzer direkte Vorschläge, wie die Berichterstattung auszusehen hat. Wenn die Vorschläge gut sind, haben wir da nichts dagegen. Jeder darf uns Vorschläge machen, wenn sie gut sind. Aber es muss eine De- batte darüber möglich sein.“ 74 Als Beispiel nennt er eine Diskussion bei der Sonntagsausgabe. Der Besitzer habe verlangt, dass ein Interview mit einem Geschäftspartner an exponierter Stelle veröffentlicht werden solle. Die Redaktion habe ihm die Kriterien erklärt, die ein ganzseitiges Interview rechtfertigten. Der Verle- ger habe daraufhin Verständnis geäußert und keinen Zwang ausgeübt. Auf die Frage, ob den Ver- legerinteressen in bestimmten Rubriken Rechnung getragen werden könne, heißt es: „Das geht auf allen Seiten. Wir versuchen, dem Rechnung zu tragen, ohne unseren journalistischen Stan- dard und unseren Ruf aufzugeben. Ich weiß nicht, ob auf lange Sicht die Öffentlichkeit protestie- ren wird, weil wir uns dessen vielleicht irgendwann nicht mehr bewusst sind. Es gibt Kompromis- se, zum Beispiel wenn die Vertriebsabteilung gute Beziehungen zu bestimmten Unternehmen hat, und die bitten uns, denen mit Berichterstattung einen Dienst zu erweisen. Es gibt seit 2003 ein Konzept, eine Seite mit Nutzwertjournalismus zu machen, also keine harten News [...] Diese Ser- vice-Seite berichtet über Aktivitäten von Unternehmen. Da fließen die Vorschläge der Direktion und des Besitzers auch mit ein. Journalistisch gesehen sind das nicht die aufregenden Geschich- ten, aber sie finden viele Leser.“ 74

72 Homepage, Vereinigung indonesischer Steinkohleförderer, http://www.apbiicma.com. 73 Ressortleiter Inland, Republika, Interview, geführt am 02.11.2004. 74 a.a.O.

78 Pressefreiheit in Indonesien

Trotz der inhaltlichen Vorschläge sei die Unabhängigkeit der Redaktion vorhanden, so der Res- sortleiter. Bei der Bewertung des Verlegereinflusses durch die befragten Reporter fällt auf, dass anscheinend nicht nur eine höhere Position zu einer höheren Akzeptanz führt, sondern auch eine längere Betriebszugehörigkeit. Von einem seit neun Jahren bei Republika angestellten Reporter wird die Einflussnahme des Verlegers als im normalen Maß liegend bezeichnet,75 während ein Nachwuchsreporter sich zu den genannten „Nutzwert“-Seiten kritischer äußert.76 Erick Thohir persönlich betrachtet seinen Einfluss mit einem Verweis auf die Telefonkultur während der Dikta- turzeit selbstironisch: „Wer heute anruft, sind die Besitzer bei ihren eigenen Medien, wenn was über sie drinsteht. Das passiert überall auf der Welt. Man kann es ihnen nicht verbieten, sie sind ja die Besitzer. Die Öffentlichkeit wird darüber richten.“ 77

Republika hat eine Betriebsgewerkschaft78 und als einziges der untersuchten Medienunternehmen eine vom Management und Betriebsrat zusammen erarbeitete und unterschriebene „Vereinbarung zur Zusammenarbeit.“ 79 In dieser sind auch das Existenzrecht des Betriebsrates80 und die zeit- weilige Freistellung seines Vorsitzenden für die Aufgaben des Betriebsrates festgehalten. An- sonsten enthält die Vereinbarung ähnlich den anderen Unternehmensregeln soziale Rechte und die Pflichten der Mitarbeiter sowie Sanktionen im Falle von Regelverstößen. Einen speziellen Kündi- gungsschutz für die Mitglieder der Arbeitnehmervertretung gibt es nicht. So wurde ein großer Teil der früheren Mitglieder bei einer rationalisierungsbedingten Kündigungswelle im Jahr 2003 ent- lassen.81 Normalerweise bilde ein Bewertungssystem die Grundlage von Kündigung oder Weiter- beschäftigung, so der neue Betriebsratsvorsitzende. Die entlassenen Betriebsratsmitglieder seien aber keine schlechten Mitarbeiter gewesen, im Gegenteil, manche sogar besser als andere, die ge- blieben seien. Aber ihr Kurs sei zu konfrontativ gewesen.82 Im Sinne, dass die Entlassungen gleichzeitig eine „Zähmung“ des Betriebsrates waren, äußert sich auch ein Reporter: „Die Ge- werkschaft ist ein Problem, das sehr kompliziert ist. Sie kennen ja vielleicht die Geschichte vom Schicksal der Kollegen von der Gewerkschaft hier. So ist es nun einmal. Wahrscheinlich passt das keinem Unternehmen, dass es eine Gewerkschaft gibt [...] Früher hat sie [die Gewerkschaft] eine große Rolle gespielt, die Interessen der Mitarbeiter verteidigt, was Vergütungen anging [...] Die jetzige Gewerkschaft ist nicht so mutig, nicht so stark, wie die vorherige mit dem besagten Schick- sal.“ 83 Auf eine im Vergleich zu den Vorgängern mehr konsensorientierte Politik der Betriebs- gewerkschaft deutet auch die Schilderung ihres Selbstverständnisses durch einen Gewerkschafts-

75 Er bezeichnet sie hingegen beim Konkurrenzblatt Media Indonesia als zu auffällig, Reporter Republika. 76 „Dass Republika keine Gewinne macht, macht nichts. Sie bildet die Plattform für Veröffentlichungen, mit deren Hilfe dann wieder anderswo Gewinne gemacht werden.“, Reporter Republika. 77 Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12.2004. 78 vgl. dazu auch Dewanto (2003: 50ff). 79 Republika 2001. 80 Der Rat hat vier Mitglieder aus der Redaktion und acht aus nichtredaktionellen Bereichen. 81 Hier bestand die Vereinbarung zur Zusammenarbeit den Realitätstest nicht: Bei der Zahlung der Abfindung wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der über dem vom Arbeitsministerium festgelegten Minimum, aber un- terhalb dessen lag, was in der Vereinbarung zur Zusammenarbeit festgelegt war. 82 Gewerkschaftsvorsitzender Republika, Interview, geführt am 03.11.2004. 83 Reporter, Republika.

79 Pressefreiheit in Indonesien vertreter hin: „Vor allem geht es um den Wohlstand von Mitarbeitern und ihren Familien. Aber auch um die Entwicklung des Unternehmens. Diese Firma ist wie ein zu Hause. Wenn das Unter- nehmen nicht gesund ist, kann es den Mitarbeitern nicht gut gehen. Derzeit versuchen wir, keine Verluste zu machen. Der Betriebsrat versucht auch, die Mitarbeiter zu motivieren, weiter zu ma- chen. Natürlich kämpfen wir um ihre Rechte, aber wir sehen auch die Situation des Unterneh- mens. Wir können nicht mehr verlangen, als es leisten kann.“ 84 Die beschriebene „Vereinbarung zur Zusammenarbeit“ ist keine Deklaration von redaktioneller Autonomie. Einen Redaktionsrat gibt es bei Republika nicht und die Gewerkschaft hat ausschließlich soziale und materielle Belan- ge im Blick. Personelle Mitspracherechte, zum Beispiel die Anhörung vor der Ernennung der Chefredaktion, gibt es für die Redaktion nicht. Als Republika noch im Stiftungsbesitz war, konnte die Redaktion Bedenken äußern, wenn sie mit einem Chefredakteur oder CvD nicht einverstanden war. Im Unternehmen hatte der Chefredak- teur zudem eine stärkere Position: „Wir hatten vorgeschlagen, dass der Chefredakteur ein Teil der Direktion bleibt. Früher war der Chefredakteur gleichzeitig einer der Geschäftsführer. Das Gute daran war, dass er die Interessen der Redaktion in der Direktion vertreten konnte. 2001 wurde diese Struktur verändert, der Chefredakteur war kein Teil der Direktion mehr. Unser Vor- schlag, die alte Struktur beizubehalten, wurde nicht aufgegriffen. Das wird damit begründet, dass 85 die Redaktion sonst so aufgeblasen ist.“ Bei Republika gibt es knapp 10% Mitarbeiteranteile.86 Sie garantierten keine Mitbestimmungs- rechte, sondern lediglich ein Recht auf die Ausschüttung von eventuellen Gewinnen. Die Ver- waltung obliegt einer Genossenschaft. Die Vereinbarung zur Zusammenarbeit hat keinen Statutencharakter, beispielsweise im Sinne ei- ner Festschreibung der Gewissensfreiheit der Journalisten. Zwar könne ein Reporter erst mal schreiben, was er wolle, aber dann kämen die Filter in der Person CvD, so die Gewerk- schaftsvertreter. Zielkonflikte würden auf der Leitungsebene diskutiert, aber Journalisten müssten im Zweifelsfall auch gegen die eigene Überzeugung schreiben, wenn es dem Verkauf des Blattes diene.87 Die Lösung von Zielkonflikten zwischen öffentlicher Aufgabe und unternehmerischem Interesse wird durch Verhandlung gesucht. „Diese Konflikte zwischen Redaktion und Manage- ment gibt es immer. Wir versuchen das mit Versammlungen zu lösen. Natürlich gibt es ein Recht der Leitung, Sachen festzulegen, aber die instruieren nicht einfach. Wir haben eine Wochensit- zung, wo alle Redakteure und die Chefredaktion teilnehmen. Einmal im Monat gibt es eine Sit- zung von Redaktion und Management. In diesen Foren wird das diskutiert. Wir versuchen, abzu- wägen, wie unsere Leser solche Geschichten sehen, deren Vertrauen wir nicht verlieren dürfen.

84 Gewerkschaftsvorsitzender und Stellvertreter Republika, Interview, geführt am 03.11.2004. 85 Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004. 86 Börse Jakarta: http://www.jsx.co.id/issuers.asp?cmd=detail&id=ABBA. 87 Gewerkschaftsvorsitzender/Stellvertreter, Republika Interviews, geführt am 03.11.2004.

80 Pressefreiheit in Indonesien

Wir sind da sehr vorsichtig. Aber außer diesen Versammlungen gibt es keine spezielle Instituti- on.“ 88 Die Republika-Linie wurde vom neuen Besitzer gemäßigt, um die Basis von Lesern und Anzei- genkunden zu verbreitern. Eine völlige Veränderung der Richtung des Blattes wird mit Verweis auf den Markt als unrealistisch empfunden.89 Auch bei Republika ist die Vertretung von unter- nehmerischen Interessen in der Berichterstattung verhandelbar und der Verleger zum Teil in die tägliche redaktionelle Entscheidungsfindung involviert. „Der Besitzer hat nicht das Recht, zu sa- gen, das müsst ihr berichten. Aber natürlich kann er Interessen haben. Wenn diese Interessen nicht gegen unsere Blattlinie verstoßen und nicht gegen das Gesetz, kann so etwas besprochen 90 werden.“ Für die Reporter gibt es offiziell keine „Schreibverbote“ für bestimmte Themen, aber Artikel, die als nicht ins Blatt passend beurteilt werden, werden von den leitenden Redakteuren nicht zur Pub- likation ausgewählt. Selbstzensur wird zum Teil als Verleger-Veto zur Verhinderung von ge- schäftsfeindlichen Artikeln geschildert, aber auch im Sinne einer Privilegierung des Besitzers oder dessen Partnern bei der Nachrichtenauswahl. Vorschläge der Anteilseigner zur Positivberichter- stattung über ihnen nahestehende Unternehmer oder eigene Aktivitäten in speziellen Rubriken werden akzeptiert. Zielkonflikte zwischen öffentlichem Interesse und Unternehmerinteresse wer- den rein politisch definiert und als nicht signifikant betrachtet: „Dass wir über die Aktivitäten des Verlegers berichten müssen, das gibt es natürlich. Das ist aber nicht so signifikant. Zum Beispiel ist unser Besitzer ja der Chef des Basketballbundes. Aber wenn er nicht der Besitzer wäre, wür- den wir darüber auch berichten, weil es populärer Sport ist. Da gibt es wirklich kein Problem, weil ja keine politischen Interessen berührt sind.“ 91 Der Verleger interveniert nach eigenen Aussagen im tagesaktuellen redaktionellen Geschehen nur dann, wenn seiner Meinung nach etwas Falsches geschrieben wurde oder ein Journalist die Hin- tergründe nicht versteht. Während der Wahlberichterstattung im vergangenen Jahr wurden jedoch auch politische Vorgaben gemacht. „Immer, wenn wichtige Themen auf der Tagesordnung sind, lasse ich mir ausdrucken, was geschrieben wird. Aber das kommt selten vor. Ich hab selber ja auch viele Quellen, und wenn etwas falsch ist, wird auch auf meine Stimme als Besitzer gehört. [...] Auch vor den Wahlen haben wir diskutiert. Ich habe gesagt, in der ersten Runde schreiben wir über alle, in der zweiten Runde entscheiden wir uns, wer besser für unser Land ist. Wir ent- schieden uns also für Susilo Bambang Yudhoyono.“ Zu dieser Entscheidung dürfte mit beigetragen haben, dass einer der Großaktionäre, Mohammad Luthfi,92 zum Wahlkampfteam des inzwischen gewählten Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono gehörte. Inzwischen wurde ihm von diesem der Vorsitz der Nationalen Investitionsbehörde (BKPM)

88 Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004. 89 Chefredakteur/Verleger, Republika Interviews, geführt am 09.11.2004. 90 Chefredakteur, Republika, Interview, geführt am 09.11. 2004. 91 Chef vom Dienst Republika, Interview, geführt am 04.11.2004.

81 Pressefreiheit in Indonesien

übertragen, die ausländische Investoren für ein Engagement in Indonesien interessieren soll (Saraswati 2005). Selbstzensur aufgrund externen politischen Drucks wird nach den Aussagen der Befragten heute bei Republika nicht mehr vollzogen. Die Errungenschaft der Pressefreiheit wird jedoch mit Ver- weis auf die Rechtsunsicherheit als nicht ausschließlich positiv bewertet: „Jetzt sind wir eher noch vorsichtiger. Die Leute sind gewalttätiger geworden. Wir können bedroht oder terrorisiert werden, wenn jemandem etwas nicht passt. Oder sie bringen uns vor Gericht. Früher waren die Medien ein Teil der Macht, es kam selten zu gerichtlichen Klagen. Die Leute hatten früher Angst vor den Medien. Heute können sie uns besetzen, das ist einigen Medien schon passiert.“ 93 Der Leitartikel wird bei Republika abwechselnd von einem Vertreter eines sechsköpfigen Editori- al-Teams verfasst. Ihm gehören Vertreter der Redaktionsleitung und Senior-Redakteure an. Die Auswahl der meinungsbetonten Beiträge von Nicht-Redaktionsmitgliedern obliegt strukturell dem CvD, der damit einen der Inlandsredakteure betraut hat. Dieser wählt nach eigener Aussage etwa 80% der Kommentarangebote aus, etwa 20% gingen auf Vorschläge des CvD oder des Chefre- dakteurs zurück. Auf der täglichen Meinungsseite stehen zwei dieser Debattenbeiträge, die aus etwa 30-40 täglichen Einsendungen ausgewählt werden. Manchmal kommen hier auch Redakteu- re zu speziellen Themen zu Wort. In den Meinungsdarstellungen werde „ganz automatisch“ die Blattlinie transportiert, so der zuständige Redakteur. „Unsere Unternehmenskultur, unsere Leser- schaft ist muslimisch. Wir wollen das Gute, das Universelle, das Menschliche und das Demokrati- sche des Islam transportieren.“ 94 Neben Leitartikel und Debattenbeiträgen nimmt die Rubrik Hikmah (Göttliche Weisheit) auf der Titelseite eine wichtige Funktion ein, da sie islamische Werte transportiert. Hikmah-Beiträge kommen von Nicht-Redaktionsmitgliedern, vor allem von studentischen Einsendern. Die Rubrik wird vom stellvertretenden Chefredakteur betreut. Meinungsartikel werden auch auf der Seite zwei publiziert, auf der häufig über islamische Wirtschaftsprinzipien berichtet wird. In der Regel handelt es sich hierbei jedoch um Advertorials, als Ansprechpartner für schreibwillige Scharia- Ökonomen ist die Werbeabteilung von Republika angegeben. Der Verleger von Republika hat in der Durchsetzung von Möglichkeiten der Verquickung von Werbung und redaktionellem Inhalt eine aktive Rolle gespielt. Das Blatt versucht, mit vielen Supplements und speziellen Rubriken Leser und vor allem Anzeigenkunden95 anzuziehen. Re- publika war die erste Zeitung, bei der Anzeigenkunden einen Zeitungsmantel erwerben können. Die Zeitung erscheint dann „verpackt“ in einer Doppelseite mit ganzseitigen Anzeigen. Promotion erstreckt sich bei Republika auch in den redaktionellen Bereich. Auch hier gilt der

92 Luthfi ist einer der Partner des Verlegers Thohir bei dessen Mahaka-Gruppe und ehemaliger Vorsitzender des Verbandes junger Unternehmer. Zum Zeitpunkt der Wahl war er Aufsichtsrat bei Republika. 93 Chef vom Dienst, Republika, Interview, geführt am 04.11.2004. 94 Meinungs-Redakteur, informelles Gespräch , 03.11.2005. 95 Nach Angaben des Anzeigenchefs wird die Sparte der monothematischen Beilagen, die auf Bestellung der Anzeigenpartner entstehen, derzeit ausgebaut, informelles Gespräch, 04.11.2004.

82 Pressefreiheit in Indonesien

Grundsatz, dass Kritik bei schwerwiegenden Verstößen nicht tabuisiert wird, Positivbericht- erstattung im Falle von Anzeigen jedoch üblich ist. „Wenn der Anzeigenkunde richtige Probleme hat – das ist mit der Geschäftsführung abgesprochen – dann wird darüber berichtet, wenn er die Umwelt verschmutzt, Geld veruntreut, seine Mitarbeiter tyrannisiert. Aber wenn es um ein biss- chen Promotion geht, das macht nichts, denke ich. Wir schreiben ja auch über Leute, die bei uns keine Anzeigen schalten. Ich sehe das praktisch. Unsere Zeitung hat viele Rubriken. Wenn jemand kein Anzeigenkunde ist und es gibt was Interessantes über ihn zu erzählen, dann schreiben wir 96 das auch, und wenn er dazu noch Anzeigen schaltet, dann erst recht.“ Für die Praxis der „freundlichen“ Berichterstattung dürfte förderlich sein, dass das Schalten von Anzeigen nicht als Geschäft von erbrachter Leistung und Bezahlung betrachtet wird, sondern als „Spende“ für Republika, für die man sich dankbar zeigen sollte. Außerdem ist die Höhe der jewei- ligen Werbeeinnahmen offenbar ein wichtiges Kriterium für „Veröffentlichungsrechte“ des An- zeigenkunden: „Wo wir den Wünschen des Besitzers auch Rechnung tragen, ist bei der Werbung. Ein Anzeigenkunde hat uns ja quasi etwas gespendet. Bei großen Anzeigenkunden warnt uns un- ser Besitzer, wir sollen nichts berichten, was deren Geschäfte stören könnte. Aber, wenn es um Korruption oder grobe Rechtsverstöße geht, werden wir das natürlich berichten. Wir werden die nicht anfeinden, aber unsere soziale Kontrollaufgabe wahrnehmen. Das führt hier auch zu Debat- ten, wie weit wir den Anzeigenkunden Rechnung tragen sollen. Einer schaltet vielleicht nur für 25 Millionen [2.000 €], will aber Rücksicht auf all seine Interessen. Es ist nicht unsere journalisti- sche Aufgabe, deren Geschäftsinteressen zu behüten.“ 97 Die Rücksichtnahme auf Anzeigenkunden hat Folgen für die Arbeit der Reporter und Redakteure. Sie müssen bei Recherche und journalistischer Darstellung darauf achten, nicht die Interessen großer Werbekunden zu verletzen. „Was ich weiß ist, dass wir ein Konzept haben, dass beide synergetisch zusammenwirken sollten. Das ist auch schon sichtbar. Das heißt, wenn jemand sagt: „Ich geb euch `ne große Anzeige“, dann sagen wir: ‚Okay, wir berichten ein bisschen’. Ich sehe da keine großen Konflikte, eher eine gute gegenseitige Beziehung. [...] Im Allgemeinen geht es um Synergie. Nachrichten sollten keinen Bumerang für Werbekunden darstellen. Es sollte nicht pas- sieren, dass wir auf einmal etwas berichten, und der potenzielle Werbekunde zieht dann seine An- 98 zeigen zurück.“ Die Förderung des „guten Klimas“ zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion erfolgt seitens der Reporter nicht nur passiv im Sinne von Positivberichten oder Unterlassung von Kritik. Auch das Anzeigenaufkommen selbst wird nach Aussage des Reporters von ihnen aktiv befördert – entge- gen der Aussage des Verlegers, dass Republika-Journalisten keine Anzeigen einwerben dürfen. „Es gibt sogar den Grundsatz in der Redaktion, der Werbung zu helfen. Von uns wird erwartet, dass wir auch Anzeigen einwerben. Dafür gibt es Prozente. [...] Wir sind ja nah an den Quellen. Und wenn das zufällig auch Unternehmer sind, dann sagen wir halt: `Schalt doch mal ´ne Anzei-

96 Chef vom Dienst Republika, Interview, geführt am 04.11.2004. 97 Ressortleiter Inland Republika, Interview, geführt am 02.11.2004. 98 Reporter, Republika.

83 Pressefreiheit in Indonesien ge bei uns.` Die Leute aus der Anzeigenabteilung kommen ja vielleicht schwerer an diese Leute ran. Warum sollten wir das nicht nutzen?“ 99 Anhand der Aussagen wird immer wieder deutlich, dass klar zwischen einer Befürwortung von sogenanntem Gefälligkeitsjournalismus und einer Ablehnung einer Einflussnahme im Falle von Kritik unterschieden wird. Jemanden ins rechte Licht zu rücken, der Anzeigen schaltet, scheint le- gitim. Jemanden nicht zu kritisieren, obwohl es schwerwiegende Vergehen gibt, wird hingegen zumindest für Fälle, wo das öffentliche Interesse als sehr hoch angenommen wird, abgelehnt. „Wir wollen, dass die Leute uns vertrauen. Aber es gibt natürlich auch gewisse PR-Maßnahmen. Zum Beispiel, wenn eine politische Partei Anzeigen schaltet. Wir sind da offen: Wenn jemand Mi- nister werden will, er will Werbung, aber in der Form eines Interviews, das ist okay für uns. Es ist ja nichts Bedeutendes, nur ein Interview, das ist wie ein Bonus. Aber wenn wir raus finden, dass er korrupt ist, dann ist es uns auch egal, ob er seine Anzeige zurückzieht.“ 100 Da es keine klaren Regeln zur Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten gibt, dürfte die Entscheidung jeweils individuell gefällt werden. Eine Einflussnahme ist wegen anzunehmender unterschiedlicher Auffassungen von gerade noch zulässiger Verquickung von redaktionellen In- halten und Werbebotschaften des Anzeigenkunden vorprogrammiert. Eine diesbezügliche Aus- sage eines der beiden befragten Gewerkschaftsvertreter zeigt, warum eine Gewerkschaft wegen ihrer auch nichtredaktionellen Mitglieder kaum Potenzial zur Verfechtung redaktioneller Unab- hängigkeit hat. Der Befragte entstammt der Marketingabteilung und beschreibt eine „Kompro- missfindung“ bei möglichen Interessenkonflikten so: „Manchmal diskutieren wir. Zum Beispiel bekomme ich einen 50 Millionen-Auftrag, die Redaktion will nicht [dass sich in redaktionelle Ent- scheidungen eingemischt wird], also gehe ich zur Direktion und die redet mit dem Chefredak- teur.“ 101

5.5 Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung der Strukturen und des redaktionellen Geschehens von vier über- regionalen Tageszeitungen zeigt, dass sich Eigentumsverhältnisse und die innerbetriebliche Ver- fasstheit von Medienunternehmen auf redaktionelle Autonomie und Inhalte der Berichterstattung auswirken. Bei den besuchten Zeitungen handelte es sich um ein Blatt ohne Mehrheitseigner (Ko- ran Tempo) sowie eines, in dem ein Verleger mit journalistischem Hintergrund die Mehrheit der Anteile hält, aber weitere Anteilseigner existieren (Kompas). Weiterhin wurden zwei Zeitungen mit Verlegern ohne journalistischen Hintergrund untersucht, wobei einer der alleinige Eigentümer ist (Media Indonesia), während der Republika-Verleger zwar die Anteilsmehrheit hält, es aber noch weitere Aktionäre gibt. In allen untersuchten Zeitungen ist die publizistische Verantwortung formal von der unter- nehmerischen Verantwortung getrennt. In keiner Zeitung gibt es einen Verleger, der gleichzeitig Chef-

99 Reporter, Republika. 100 Verleger Republika, Interview, geführt am 09.12. 2004. 101 Zulkifli Lubis, (Stellvertretender Gewerkschaftsvorsitzender, Marketing), Republika, Interview, 03.11.2004.

84 Pressefreiheit in Indonesien redakteur ist.102 Die Befragten schilderten anhand von Beispielen jedoch, dass die Trennung von öko- nomischer und publizistischer Verantwortung in der Praxis nicht immer durchgehalten wird. In drei der vier untersuchten Zeitungen (Kompas, Media Indonesia, Republika) fungiert der Hauptanteilseigner als Geschäftsführer. Er hat das Recht, die Leitlinie des Blattes festzulegen. Es gibt außerdem nichts, was ihn hindert, sachfremden Druck auf seine Redaktion auszuüben. Er kann also die Wahl und Bearbeitung von Themen in seinem Interesse unterdrücken oder gerade forcieren und damit normale redaktionelle Entscheidungsmechanismen außer Kraft setzen. Auf die Berichterstattung kann sich das vielfältig auswirken. Der Besitzer von Media Indonesia nutzte sein Blatt intensiv für die eigene Wahlkampagne. Sowohl bei Republika als auch bei Media Indo- nesia machten die Verleger klare Vorgaben, welcher Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf zu unterstützen sei. Bei beiden Blättern wurden ebenfalls Interessenkonflikte geschildert, wenn es um die Berichterstattung über Geschäftsfreunde der jeweiligen Verleger geht. Bei Media Indone- sia und Republika, wo Eingriffe in die redaktionelle Autonomie am deutlichsten sichtbar waren, haben die Verleger selbst keinen journalistischen Hintergrund. Das kann als Indiz dafür gelten, dass Unternehmer-Verleger eher als Journalisten-Verleger geneigt sind, ihre Partikularinteressen vor das öffentliche Interesse zu stellen. Der im Interview erfolgte Verweis des Republika- Verlegers auf die Unterhaltungsfunktion von Medien und den Markt als „Richter über die Blatt- politik“ zeigt, dass er Medien als voll marktfähige Produkte betrachtet und ihre meritorische Komponente negiert. Im Gegensatz dazu schildert der Kompas-Verleger, der selbst Journalist ist, soziale Verantwortlichkeit und Bildungsfunktionen als Medienaufgaben. Die Einflussnahme der Unternehmer-Verleger bei Media Indonesia und Republika geht weit über eine Leitlinienkompe- tenz hinaus und sorgt für Zielkonflikte. Die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe von Journalisten im Sinne der Informations-, Kritik- und Meinungsbildungsfunktion der Presse wird gestört durch Eigeninteressen des Medienbesitzers. Von den Kompas-Journalisten wurde zwar auch von Pressi- onen mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Berichterstattung seitens der Unternehmensleitung berichtet. Diese hatten aber primär die Interessen Dritter (Politiker) zur Ursache, was sicher mit der langjährigen Existenz als staatstragendem Medium und der javanischen Konsenskultur bei Kompas zu tun hat. Bei Media Indonesia hingegen wird der aus der Provinz Aceh (Sumatra) stammende Verleger als offener und streitlustiger Arbeitgeber geschildert.103 Dort treten Zielkon- flikte klar zutage und werden zumindest auf der Leitungsebene konfrontativ ausgetragen. Günstig für ein hohes Maß an redaktioneller Autonomie ist offensichtlich eine Besitzform, die keinen Mehrheitseigner zulässt. Bei Koran Tempo besteht die Gefahr eines Verleger-Vetos im re- daktionellen Geschehen nicht. Die befragten Journalisten äußern sich vor allem positiv über die journalistische Freiheit, die sie bei ihrem Blatt genießen. Das passt wiederum zu ihrem Selbstver- ständnis als Watchdog und der öffentlichen Wahrnehmung als kritischem und demokratischem Medium.

102 Bei Kompas war das bis 2000 der Fall, was sicher eine Ursache für die noch immer stark auf die Verleger- persönlichkeit ausgerichtete Unternehmenskultur ist.

85 Pressefreiheit in Indonesien

Starke Einschränkungen der redaktionellen Autonomie sind hingegen zu befürchten, wenn ein Verleger alleiniger Anteilseigner ist und neben ökonomischen auch politische Interessen verfolgt, wie am Beispiel der Kandidatur des Verlegers bei Media Indonesia erläutert wurde. Es wurde sichtbar, dass sich die Gefahr von Pressionen zugunsten von verlegerfreundlichen Veröffentli- chungen durch das politische Engagement des Verlegers potenziert. Zum Gradmesser wird, wie bei der Wahlberichterstattung deutlich, weniger das Recht der Öffentlichkeit auf eine ausgewoge- ne Information über alle politischen Lager, als die politischen Ziele des Zeitungsbesitzers. Deutlich erscheint ein Unterschied zwischen Zeitungen im überwiegenden Privatbesitz (Kompas, Republika, Media Indonesia) und im Stiftungs-/Börsenbesitz (Koran Tempo) auch bei der Frage des Einflusses von Werbeinteressen. Während Koran Tempo sich auf eine klare Trennung beruft und auch in Kauf nimmt, dass Anzeigenkunden von kritischen Berichten verschreckt werden, ist die Linie bei den anderen drei Blättern nicht so klar. Bei Kompas bezieht sich die Kritik an einer Vermengung an Anzeigen und Redaktionellem vor allem auf Cross Promotion, sonst wird auf klare Trennung geachtet. Bei Media Indonesia und Republika zeigen die Aussagen generelle Ein- flusspotenziale. Bei Media Indonesia manifestieren sich diese zum Beispiel über das Tabu von werbekundenkritischen Leserbriefen oder ein Vetorecht der Anzeigenabteilung bei Veröffentlich- ungsentscheidungen. Bei Republika werden große Anzeigenkunden mit Positivberichterstattung bedacht. Reporter treten dort außerdem in einer Doppelfunktion als Journalisten und Anzeigen- verkäufer auf. Auch hier drängt sich die Parallele auf, dass Unternehmer-Verleger (Media Indonesia, Republika) eher geneigt sind, die Interessen von Werbekunden über das öffentliche Interesse zu stellen als ih- re Berufskollegen mit einem journalistischen Selbstverständnis (Kompas). Bei dieser Problematik dürfen jedoch die Einkommensverhältnisse der Zeitungen nicht übersehen werden. Wer, wie Kompas, unangefochtener Marktführer ist, kann es sicher leichter verschmerzen, einen Anzeigen- kunden zu verprellen. Die Struktur von Koran Tempo betont offensichtlich nicht nur in Bezug auf Verleger-Einflüsse, sondern auch bei Versuchen des Drucks von Werbekunden ein Primat von redaktioneller Autonomie. In keiner der besuchten Zeitungen gibt es eine Art Redaktionsstatut, das Kompetenzen von Verlag und Redaktion festschreibt. Es gibt ebenfalls keine gewählten Redaktionsräte, die eine Autonomie der Redaktion gegenüber Partikularinteressen des Verlegers vertreten könnten. Personelle Mit- spracherechte, zum Beispiel bei der Bestimmung der Chefredaktion, sind nicht gegeben. Die Be- setzung der Redaktionsleitung bleibt allein dem Management vorbehalten. Koran Tempo- Journalisten können zwar ihren Chefredakteur genau so wenig mitbestimmen, wie ihre Kollegen der anderen drei Blätter, sie genießen jedoch über ihre Mitarbeiteranteile das Recht, auf der Akti- onärsversammlung den Aufsichtsrat zu wählen.

103 Die Mentalität der Einwohner Sumatras gilt im Vergleich zu ihren javanischen Nachbarn als offener, direk- ter und aggressiver.

86 Pressefreiheit in Indonesien

In den Zeitungen, in denen sachfremde Pressionen auf redaktionelle Entscheidungsprozesse vor- liegen, führen sie für die Befragten zu berufsethischen Konflikten. Lösungsmöglichkeiten gibt es lediglich auf individueller Ebene, wobei die Verhandlungsmacht mit der erreichten Hierarchie- ebene steigt. Da keine der Redaktionen Mitspracherechte bei der Besetzung des Chefredakteurs genießt, ist auch nicht davon auszugehen, dass dieser im Zweifelsfall ihre Interessen vertritt. Dass sich bislang keine Interessenvertretungen auf Redaktionsseite für die Durchsetzung redaktioneller Autonomie formiert haben, kann mit der geringen Teamfähigkeit wegen der strengen Hierarchien arbeitsteiliger Redaktionen begründet werden, wie sie in Studien für britische und amerikanische Redaktionen nachgewiesen wurde (Esser 1998). Auch in Indonesien sind Redaktionen stark ar- beitsteilig organisiert. Für das Verständnis redaktioneller Autonomie als etwas kollektiv Erstre- benswertem dürften sich arbeitsteilig Strukturen eher nachteilig auswirken. Ein Journalist, der von der Recherche bis zum fertigen Artikel alles verantwortet, steht sachfremden Pressionen auf In- halte der Berichterstattung gegebenenfalls kritischer gegenüber als ein Reporter, der sich lediglich als Informationssammler ohne finale Entscheidungskompetenz versteht. Betrachtet man den Bedarf an einer Interessenvertretung für redaktionelle Autonomie im indone- sischen Kontext, stellt sich die Frage, ob Akteure denkbar sind, die sich Redaktionsübergreifend für ein Primat des publizistischen Interesses über das ökonomisch oder politisch motivierte Parti- kularinteresse des Verlegers einsetzen. Von den beiden relevanten Journalistenverbänden AJI und PWI gibt es keine aktuellen Vorstöße zur Durchsetzung redaktioneller Autonomie. Lösungsansät- ze im Sinne einer verbrieften Stärkung redaktioneller Autonomie sind daher am ehesten auf be- trieblicher Ebene denkbar. Betriebsgewerkschaften existieren bei Kompas, Koran Tempo und Re- publika. Die Akzeptanz der Gewerkschaft ist am höchsten bei Koran Tempo, dem Blatt ohne Mehrheitseigner. Bei Kompas wird sie geduldet, bei Republika marginalisiert und bei Media In- donesia entstand sie gar nicht erst. Eine Gewerkschaft ist als Organisationsform für diese Aufgabe ohnehin nur begrenzt geeignet, da sie auch die Interessen nichtredaktioneller Mitarbeiter vertritt. Die Existenz und die Akzeptanz von Gewerkschaften gelten jedoch als Gradmesser für die erreichte Verhandlungsmacht der Ar- beitnehmer und für die Erfolgschancen der Bildung einer redaktionellen Interessenvertretung. Un- ter diesem Blickwinkel fällt eine Prognose für die Erfolgschancen von Redaktionsvertretungen pessimistisch aus. Schließlich ist der Stand der Arbeitnehmervertretung gerade in den Zeitungen mit Mehrheitseigner schlecht (Kompas, Republika) bzw. sind sie gar nicht vorhanden (Media In- donesia). Indonesien ist trotz erfolgreicher Demokratisierungsschritte von einer durch Oligarchien bestimm- ten Wirtschaftsordnung, einer Marktdominanz von hoch diversifizierten Mischkonzernen und Konzentrationstendenzen im Medienmarkt geprägt. Wenn das öffentliche Interesse individuellen Nutzenmaximierungsstrategien von Verlegern untergeordnet wird, besteht die Gefahr des ge- schilderten „gesellschaftlich suboptimalen Ergebnisses“. Bemühungen um eine bessere Ausbil- dung von Journalisten, wie sie von den Verbänden angestrengt werden, sind für die Erfüllung der öffentlichen Medienaufgaben unabdingbar. Hier müssten stärker die Medienunternehmen in die

87 Pressefreiheit in Indonesien

Pflicht genommen werden, die ja letztlich von gut ausgebildeten Journalisten profitieren. Bei Kri- tik am mangelnden betrieblichen Engagement für eine bessere Journalistenausbildung beruft sich der Verlegerverband gern auf die leeren Kassen der vielen Medienunternehmen. Auch unter den gewinnträchtigen Unternehmen scheint es aber keine Übereinkunft in der Form eines Code of Conduct für mehr Investitionen in einen professionellen und unabhängigen Journalismus zu ge- ben. Wie in der Einleitung ausgeführt, zielt das unternehmerische Interesse vor allem auf die marktfä- hige Komponente seines Mediums, also seine Existenz als Werbeträger. Da Werbebotschaften je- doch an den potenziellen Käufer gebracht werden wollen, brauchen Medien eine entsprechende Rezipientenmenge. Medienkonsumenten können also über Kauf oder Kaufverweigerung Inhalte einfordern, die über Werbung und Unterhaltung hinausgehen und den Bedarf nach objektiver, professionell aufbereiteter Information erfüllen. Diese Informations- und Orientierungsfunktion von Medien ist idealtypisch nur von unabhängigen Redaktionen zu leisten. Damit wird die Anspruchshaltung der Medienkonsumenten zu einer entscheidenden Variablen für redaktionelles Geschehen. Ein Anspruch auf Unabhängigkeit und Ausgewogenheit setzt jedoch in- formierte und kritische Medienkonsumenten voraus. Ein öffentlicher Diskurs über die Rolle und Funktion von Medien bedarf der Information einer breiten Öffentlichkeit über Besitzverhältnisse von Zeitungshäusern, TV-Sendern, Radiostationen und Internetportalen sowie die äußeren und in- neren Rahmenbedingungen, unter denen Journalisten Medieninhalte produzieren. Medien- Journalismus wird in diesem Zusammenhang eine Rolle als „fünfte Gewalt“ (Ruß-Mohl 2000: 252) zugeschrieben, da er bei professioneller Betreibung einen „aufklärerischen, selbstreinigenden und qualitätssichernden Effekt“ hat (a.a.O.: 253). Außerdem kann Medienjournalismus „innere Konflik- te“ in Medienunternehmen, die sich im Spannungsfeld zwischen Loyalität zum Arbeitgeber und Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit ergeben, thematisieren (Fengler 2002: 63). Informationen dieser Art bekommt der indonesische Leser oder Fernsehzuschauer indes kaum, da es keine institutionalisierte Medienberichterstattung gibt. Keine der untersuchten Zeitungen hat eine Medienseite. Das heißt nicht, dass gar nicht über Medien berichtet wird. Die Berichterstat- tung findet jedoch nur sporadisch statt und bezieht sich nicht auf interne Angelegenheiten von Medienunternehmen. Als Ursache wurde von im Rahmen dieser Studie befragten Interviewpart- nern genannt, dass Medien sich solidarisch verhielten und es quasi ungeschriebenes Gesetz sei, dass Arbeitskämpfe oder Besitzerwechsel nicht thematisiert würden. Für eine gesellschaftlich eingeforderte Selbstregulierung der Medien bedarf es jedoch der erwähn- ten Informations-Nachfrage seitens kritischer Medienkonsumenten. Eingangs wurde erläutert, dass die Presse wegen ihrer Informations-, Kritik- und Kontrollfunktionen besonderem Schutz un- terliegt. Die indonesische Verfassung und das Pressegesetz betonen die öffentliche Funktion von Medien. Das Vermögen, zu bewerten, inwieweit sie diese Funktionen erfüllen, setzt bei den Rezi- pienten jedoch ein entsprechendes Wissen voraus. Es bedarf also der Medienkompetenz breiterer Gesellschaftsschichten und entsprechender Bildungskonzepte, um dauerhaft sicherzustellen, dass

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Medien ihre Funktion als Träger des allgemeinen Grundrechtes auf Information erfüllen. Gerade in Indonesien, einem Transformationsland mit Diktaturvergangenheit, wird die Erfüllung dieses Grundrechtes ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Demokratisierung sein.

6 Fazit und Ansätze zur weiteren Forschung In der vorliegenden Untersuchung wurde Pressefreiheit in Indonesien nicht, wie in bisherigen Dar- stellungen, lediglich als Abwesenheit von staatlicher Zensur beschrieben. Unter der Annahme, dass es für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Presse erstrebenswert ist, eine auch von internem sachfremden Veröffentlichungsdruck unabhängige Redaktion zu haben, wurde die Frage gestellt, ob und wie sich in indonesischen Medienunternehmen auftretende Zwänge auf Journalisten zeigen. Mittels des gewählten Untersuchungsdesigns konnten Zielkonflikte, die sich aus einem Gegensatz von publizistischem Interesse der Journalisten und ökonomischen beziehungsweise politischen Inte- ressen von Verlegerseite ergeben, geschildert werden. Deutlich wurde außerdem, dass es keine insti- tutionalisierten Mechanismen zum Schutz redaktioneller Autonomie gibt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung korrespondieren mit europäischen Befunden. Vor allem da, wo Medien von nicht-journalistischen Großunternehmern mit weitverzweigten Geschäfts- beteiligungen und/oder Politikern übernommen werden, wird eine starke Gefährdung der redakti- onellen Autonomie beobachtet (Weber 1997, OSZE 2003b, Möller/Popescu 2004, Leidinger 2005). Die durch Verlegerinteressen forcierte Selbstzensur der Journalisten stellt eine Störung der öffentlichen Funktion von Medien dar. Zum Grad dessen, wie stark die Verleger der betreffenden Medien ihre inhaltlichen Einflussmöglichkeiten wahrnehmen, können nach einer einwöchigen Redaktionsbeobachtung und -befragung durch einen Einzelforscher nur tendenzielle Angaben gemacht werden. Eine Ergänzung durch Inhaltsanalysen in einer fortführenden Untersuchung könnte den Schwerpunkt auf folgende Veröffentlichungsentscheidungen legen: - Thematisierung von Firmen, die zur gleichen Gruppe wie das analysierte Medienhaus gehören. - Berichterstattung über das politische Engagement des Verlegers oder von Anteilseignern. - Artikel über Firmen, in denen der Verleger ebenfalls Anteilseigner ist oder über Unternehmen von ihm nahe stehenden Personen. - Die Behandlung von Werbekunden im redaktionellen Teil. Die vorliegende Untersuchung hat Dimensionen von Zielkonflikten, die sich aus öffentlicher Aufgabe und privatwirtschaftlicher Unternehmensform von Medien ergeben, aufgezeigt. Die vor- liegenden Ergebnisse könnten Ausgangspunkt für eine quantitative Journalistenbefragung zu Ein- flüssen von Medienkonzentration auf professionellen Journalismus und Meinungspluralismus sein, wie sie beispielsweise 2003 im OSZE-Raum (OSZE 2003b) durchgeführt wurde. Eine sol- che Befragung wäre auch über europäische Grenzen hinaus ein interessantes wissenschaftliches Projekt, da das Spannungsfeld zwischen verfassungsrechtlich garantierter Meinungs- und Me- dienfreiheit und privat geführten Unternehmen als Trägern dieser Freiheit auch im außer- europäischen Raum diskutiert wird.

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Deutlich wurde anhand der Unterscheidung in unternehmensexterne und -interne Einflussfaktoren auf das Agieren von Journalisten, dass eine präzise Beschreibung der juristischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Untersuchung von Mediensystemen unerlässlich ist. Das gilt insbesondere für vergleichende Analysen. So verwundert es zum Beispiel nicht, dass in Ländern, die erst seit kurzem einen demokratischen Weg beschreiten, die Wachsam- keit der Medienschaffenden gegenüber staatlicher Repression wesentlich höher ist, als die gegen- über im Medienunternehmen selbst agierender Subjekte mit Repressionspotenzial. Neben den genannten Rahmenbedingungen könnte ein Ländervergleich auch Antworten auf die Frage liefern, inwieweit sich journalistisches Selbstverständnis und redaktionelle Arbeitsteilung auf den Anspruch an redaktionelle Unabhängigkeit auswirken. Ist er möglicherweise in Ländern mit ganzheitlicher journalistischer Arbeitsweise größer als in jenen, die arbeitsteilig nach dem Reporter-Editor-Prinzip produzieren? Weiterhin könnten Länder übergreifend untersucht werden, welche Rolle der vielerorts beobachtete Generationenwechsel vom Journalisten-Verleger zum Besitzer hoch diversifizierter Unternehmen mit Mediensparte in Bezug auf redaktionelle Auto- nomie spielt. Die Beantwortung dieser Fragen braucht neben Mediensystembeschreibungen im Kontext von Politik, Kultur und Wirtschaft auch detaillierte Darstellungen von Besitzverhältnissen. Medien- journalismus kann neben wissenschaftlichen Studien einen Beitrag zur Beschreibung der sich ra- sant verändernden lokalen und globalen Medienmärkte leisten. Medienjournalismus kann jedoch nicht nur helfen, Daten zu liefern und aktuelle Trends auf Medienmärkten zu beschreiben, son- dern auch selbst zum Untersuchungsobjekt werden. Für das Thema der redaktionellen Unab- hängigkeit wäre die Frage von Interesse, ob und wie sich institutionalisierter Medienjournalismus auf die Thematisierung der öffentlichen Funktion von Medien und die Diskussion von Konzepten zur Stärkung redaktioneller Unabhängigkeit auswirken kann.

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93 Abstract

Die Diskussion über die Zukunft der Volkswirtschaften ist von Begriffen wie Informations-, Wissens- und Dienstleistungszeitalter geprägt. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen zu können, implementieren nahezu alle Nationen Programme, um den Auf- und Ausbau der Informationsinfrastruktur zu beschleunigen und die Entwicklung, Produktion und Nutzung neuer Technologien – insbesondere im IKT-Sektor – zu forcieren. Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen gemäß den Anforderungen eines Informationszeitalters umstrukturiert. Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die einleitende Diskussion der Metapher Informati- onsgesellschaft im Allgemeinen sowie die Analyse von wirtschaftspolitischen Programmen und des IKT- / Mediensystems vor dem Hintergrund der Umformung Malaysias in eine In- formationsgesellschaft im Speziellen. Nach der theoretischen Einführung in den Themenbe- reich untersucht die zentrale Fragestellung, welche Maßnahmen ins Leben gerufen wurden, um Malaysias wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation voranzutreiben und wel- chen Stellenwert Malaysias Vorzeigeprojekt – der Multimedia Super Corridor (MSC) – dabei einnimmt. In einem zweiten Schritt wird Malaysias Mediensystem analysiert und untersucht, ob dieses den Anforderungen eines auf Medien basierenden Zeitalters genügt.

Autorin Helena Balaouras, geboren 1976 in Linz/Österreich, studierte Kommunikationswissenschaft – mit Schwerpunkt Medienökonomie und internationale Kulturproduktion – an der Universität Salzburg. Bereits während des Studiums befasste sie sich intensiv mit der Medienlandschaft Südostasiens und absolvierte mehrere Forschungsaufenthalte in der Region. Während und nach dem Studium war sie als Studienassistentin und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der Abteilung für Medienökonomie beschäftigt, wo sie unter anderem mit der Erstellung einer Langzeit-Analyse medienökonomischer Literatur betraut war. Heute ist sie für internationales Marketing in einem Technikunternehmen verantwortlich.

94 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Helena Balaouras

1 Einleitung 1.1 Themenstellung Die Diskussion über die Zukunft der Volkswirtschaften ist von Begriffen wie Informations-, Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft geprägt. In diesem Zusammenhang wird häufig dar- auf verwiesen, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie digi- tale Kommunikationsnetzwerke die Art des Wirtschaftens und die Gesellschaft nachhaltig verändern – kurz: Wir befinden uns im Übergang von der Industrie- zur Informationsgesell- schaft. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen zu können, implementieren nahezu alle Nationen Programme, um den Auf- und Ausbau der Informationsinfrastruktur zu beschleuni- gen und die Entwicklung, Produktion und Nutzung neuer Technologien – insbesondere im IKT-Sektor – zu forcieren. Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen gemäß den Anforderungen eines Informationszeitalters umstrukturiert. Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die einleitende Diskussion der Metapher Informationsgesell- schaft im Allgemeinen sowie die Analyse von wirtschaftspolitischen Programmen und des IKT- / Mediensystems vor dem Hintergrund der Umformung Malaysias in eine Informationsgesellschaft im Speziellen. Nach der theoretischen Einführung in den Themenbereich untersucht die zentrale Frage- stellung, welche Maßnahmen ins Leben gerufen wurden, um Malaysias wirtschaftliche und gesell- schaftliche Transformation voranzutreiben und welchen Stellenwert Malaysias Vorzeigeprojekt – der Multimedia Super Corridor (MSC) – dabei einnimmt. In einem zweiten Schritt wird Malaysias Me- diensystem analysiert und untersucht, ob dieses den Anforderungen eines auf Medien basierenden Zeitalters genügt. Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die 2004 abgeschlossene Diplomarbeit mit dem Titel „Multimedia Malaysia. Malaysias Weg in die Informationsgesellschaft“.

1.2 Forschungsmethode Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Literaturstudie, in deren Rahmen Sekundärliteratur zu den Themenbereichen Informationsgesellschaft und Informationsökonomie sowie Primär- und Sekundärliteratur zur Informationsgesellschaft und dem IKT- und Mediensystem in Malaysia ana- lysiert wurde. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Diplomarbeit ein sechswöchiger For- schungsaufenthalt in Malaysia absolviert und eine quantitative Befragung, deren Ergebnisse teil- weise in den Beitrag einfließen, erstellt. Mittels standardisiertem Fragebogen in den Sprachen Englisch und Bahasa Malaysia wurden im Herbst 2003 100 Personen in Kuala Lumpur/Malaysia zu ihrem Mediennutzungsverhalten, ihrer Einstellung zu Informations- und Kommunikations- technologien, zum Multimedia Super Corridor sowie zu Lernbereitschaft und Innovationsfreudig- keit befragt. Die Probanden wurden nach dem Quotenverfahren ausgewählt, wobei folgende Quo- ten gemäß der Volkszählung 2000 des malaysischen Department of Statistics erfüllt werden mussten: Ethnische Herkunft (Malaien 65%; Chinesen 26%; Inder 8%; Sonstige 1%) und Ge-

95 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter schlecht (männlich 51%, weiblich 49%). Merkmale wie etwa Bildung und Altersstruktur wurden nicht in das Quotenverfahren mit einbezogen. Die Altersstruktur der Befragten stellt sich wie folgt dar: 14-24 Jahre (28%), 25-34 Jahre (28%), 35-44 Jahre (15%), 45-54 Jahre (21%) und 55-68 Jahre (8%). Bezüglich des Bildungsniveaus ergibt sich folgende Aufschlüsselung: Keine schuli- sche Ausbildung (1%), Grundschule (4%), Sekundarschule/drei Jahre (22%), Sekundarschu- le/fünf Jahre (25%), Universität (48%). Es wurde versucht, Personen mit unterschiedlichem Bildungsniveau in die Erhebung mit einzubeziehen. Dies erwies sich als schwieriger als ur- sprünglich angenommen. Häufig wurde von dieser Personengruppe die Mitarbeit an dem Pro- jekt aufgrund mangelnder Lesefähigkeit verweigert. Darüber hinaus waren einige Fragebögen, die von Personen mit niedriger Bildung ausgefüllt wurden, nicht valide, wodurch sie nicht in die Erhebung mit einbezogen werden konnten. Befragt wurde im Zentrum Kuala Lumpurs hauptsächlich an folgenden Plätzen: Sungei Wang Plaza, BB Plaza, Lot 10, Sogo, Sentral Market, KL Sentral, Puduraya, Bangsar, KLCC und in folgenden Straßen: Jalan Sultan Ismail, Jalan Bukit, Bintang, Jalan Putra, Jalan Tun H.S.Lee, Jalan Cheng Lock. Die ermittelten Daten wurden anschließend mittels SPSS ausgewertet.

2 Informationsgesellschaft – theoretische Grundlagen Die Idee einer Informationsgesellschaft (japanisch: joho shakai) – deren Herausbildung aus heuti- ger Sicht eng mit dem raschen Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnik ver- bunden ist – entstand bereits in den 1960er Jahren in Japan. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird der Terminus häufig verwendet, um Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu beschreiben. 1963 erweiterte der Anthropologe und Biologe Tadao Umesao in einem japani- schen Essay die wirtschaftlichen Aktivitäten Extraktion, Produktion und Dienstleistungen um einen Informationssektor, in dessen Mittelpunkt moderne Massenmedien stehen. Die gesellschaft- lichen und ökonomischen Veränderungen, welche durch technologische Entwicklungen im Be- reich der Mikroelektronik vorangetrieben werden und somit zu einer Informationsgesellschaft führen, wurden in einem Bericht von Hayashi Yujiro 1969 erstmals erläutert.1 Auch der amerikanische Soziologe Daniel Bell und der Betriebswirt Peter Drucker behandelten die Thematik lange vor dem Aufkommen neuer Informations- und Kommunikationstechnolo- gien. Bell entwarf mit dem Konzept der nachindustriellen Gesellschaft (postindustrial society) eine Gesellschaftsform, deren wichtigste Ressource die Information darstellt. Diese Idee wurde in den 1950er und 1960er Jahren in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen präsentiert und 1973 unter dem Titel „The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting“2 ver- öffentlicht. Bell erforscht in seinem Werk die Faktoren, die für die Veränderung zu einer Infor- mationsgesellschaft ausschlaggebend sind. Er untersucht, welche wirtschaftlichen Sektoren als Träger des ökonomischen und sozialen Wandels fungieren, welche Rolle die technischen Neue- rungen in diesem Prozess einnehmen und welche ökonomische Ressource die neue Gesell-

1 Vgl. Steinbicker 2001, 17f. 2 Bell 1973

96 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter schaftsform prägt. Bei der Ausarbeitung dieser Punkte fragt Bell nach dem „axialen Prinzip“ der Gesellschaft, also nach der Achse, auf die sich gesellschaftliche und ökonomische Faktoren beziehen. Nach Bell ist das theoretische Wissen von zentraler Bedeutung für die postindustrielle Gesellschaft und damit für ihr axiales Prinzip, wodurch die Stellung der Wissenschaft hervor- gehoben und die nachindustrielle Gesellschaft am Stand des Bildungswesens und der intellektu- ellen Qualität der Beschäftigten gemessen wird. Die Industrien, so Bell, bauen auf wirtschaftli- cher Basis wissenschaftliche Forschung auf, wobei die Hauptressourcen Humankapital und Ak- kumulation von Wissen sind und nicht mehr Boden, Kapital und die Verfügbarkeit über Pro- duktionsmittel.3 „Das Konzept der nachindustriellen Gesellschaft betont die zentrale Stellung des theoretischen Wissens als Achse, um die sich neue Technologien, das Wirtschaftswachstum und die Schichtung der Gesellschaft organisieren werden. Empirisch müsste sich zeigen lassen, dass dieses axiale Prinzip in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften eine immer größere Rolle spielt.“ 4 Auch Peter F. Drucker, der zahlreiche populärwissenschaftliche Werke zum stra- tegischen Management verfasst hat, greift die Idee der Informations- oder Wissensgesellschaft 1969 in seinem Werk „The Age of Discontinuities“5 auf. Er spricht von einem Zeitalter der Diskontinuität, in dem Wissen und Information die zentralen Ressourcen darstellen: „Wissen [ist] zur eigentlichen Grundlage der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und zum eigentli- chen Prinzip des gesellschaftlichen Wirkens geworden.“ 6 Im 21. Jahrhundert nehmen IKT eine Schlüsselrolle ein, da sie die „globale“ Verbreitung von In- formationen, welche neben Arbeit, Kapital und Boden (Rohstoffe) den vierten wichtigen Wirt- schaftsfaktor bilden, kostengünstig und in Echtzeit ermöglichen. Als Informationstechnologien wer- den Computer-Hardware, Bürotechnologie, Software, Datacom-Hardware, elektronische Optik und professionelle branchenspezifische Dienstleistungen angesehen. Telekommunikationsgeräte und -dienste ergänzen die Informationstechnologien zu den Informations- und Kommunikationstechno- logien.7 In einer Definition der OECD wird zusätzlich zwischen den traditionellen (z.B. Rundfunk) und den neuen IKT wie etwa Hard- und Software, Mobiltelefonie etc. unterschieden.8 Castells ord- net, abweichend von manch anderen Analysten, auch „die Gentechnik mit ihren expandierenden Entwicklungen und Anwendungen“ der Gruppe der Informationstechnologien zu, da sich „die Gen- technik mit der Entschlüsselung, Manipulation und schließlich auch mit der Reprogrammierung der in lebendiger Materie enthaltenen Informationscodes befasst.“9 Bell10 bezeichnet die durch IKT hervorgerufenen Veränderungen als dritte industrielle Revolution und auch Lamberti11 zieht eine Parallele zwischen industrieller und informationstechnologischer

3 Vgl. Bell zit. n. Stöckler 1992, 116 ff. 4 Bell 1975, 112f. 5 Drucker 1969 6 Drucker zit. n. Steinbicker 2001, 21 7 Vgl. Bullinger, 1997, 71f. 8 OECD zit. n. Müller; Schüller 2004a, 153 9 Castells 2003, 32 10 Bell zit. n. Steinbicker 2001, 50 11 Vgl. Lamberti 1998, 2f.

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Revolution. Der in der Literatur häufig gezogene Vergleich zwischen den beiden industriellen Um- gestaltungen im 18. und 19. Jahrhundert und den momentanen Veränderungen kann damit begrün- det werden, dass jeder dieser Epochen ein beschleunigter und noch nie da gewesener technologi- scher Wandel zugrunde liegt. „An der Schwelle zum 21. Jahrhundert vollzieht sich in raschem Tempo der Wandel von der traditionellen Industriegesellschaft zur industriebasierten Informations- gesellschaft. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nehmen dabei für die künf- tige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eine Schlüsselrolle ein. Unabhängig von Ort, Raum und Zeit ermöglicht ihr hohes Innovationstempo eine neue Dimension der Globalisierung. Informationen werden zum Rohstoff der Wertschöpfung. Dies wird Arbeit und Wirtschaft in unserer Gesellschaft nachhaltig verändern.“ 12

2.1 Gesellschaftliche Aspekte des Informationszeitalters Häufig wird die Informationsgesellschafts-Debatte sehr technik- und ökonomiezentriert geführt, soziale Aspekte werden oftmals als nachrangige Größen behandelt oder gar ausgeblendet. Findet sie doch Beachtung, so wird der Gesellschaftsform von ihren Verfechtern oft eine beträchtliche Prob- lemlösungskraft zugeschrieben, denn „im Makroleitbild Informationsgesellschaft sind weitere Leit- bilder beziehungsweise eine ganze Leitbildfamilie der Tele-Demokratie, der Tele-Arbeit, des Tele- Unterrichts, des Tele-Einkaufens etc. verschachtelt.“ 13 Vielfach wird vom mündigen und aufge- klärten Bürger gesprochen, der nun die Möglichkeit besitze, Informationen über digitale Kommuni- kationsnetzwerke abzurufen und sich dadurch umfassend zu informieren und gleichzeitig zu eman- zipieren; auch von einer Machtverschiebung zu Gunsten der Verbraucher ist die Rede. Vor allem wird eine, von neuen Medien ausgehende, demokratisierende Wirkung erwartet, die sich besonders durch die vermehrte Mitbestimmung auf lokaler Ebene äußern soll.14 Doch die von hartnäckigen Verfechtern der Informationsgesellschaft oftmals vertretene Meinung, dass neue Technologien eine überwiegend positive Auswirkung auf die Gesellschaft haben, stößt auf Widerstand, denn es gilt auch offensichtliche Probleme zu lösen. So stellt der sich vergrößernde Digital Divide zwischen den Nationen oder auch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen ein entscheidendes Problem dar. Denn die digitale Spaltung der Gesellschaft in Informations-Habende und jene Personen, denen der Zugriff auf Informationen verwehrt bleibt, sei es aufgrund fehlender Infrastruktur oder unzureichender Bil- dung, bringt die These vom aufgeklärten Weltbürger ins Wanken. Auch das oft zitierte Argument, dass neue Technologien, neue Arbeitsplätze schaffen und somit ein Abnehmen der Arbeitslosigkeit mit sich bringen, scheint bei näherer Betrachtung unzulässig. Denn die Geschichte bewies bereits mehrmals, dass der Einsatz neuer Technologien bestehende Arbeitsplätze überflüssig macht. Einen weiteren Diskussionspunkt stellen der Schutz der Privatsphäre und die Handhabung des Daten- schutzes in digitalen Netzwerken dar. Denn durch die Digitalisierung von Informationen ist der un- erwünschte Zugriff auf persönliche, oft heikle Daten, zumindest für Spezialisten, kein Problem.

12 Mosdorf 1997, 9 13 Latzer 1997, 38 14 Vgl. Latzer 1997, 38

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Auch bei der Frage nach der Auswirkung neuer Informationstechnologien auf das Kommunikations- verhalten innerhalb der Gesellschaft ist eine zweigeteilte Argumentationstradition festzustellen. So argumentieren die einen, dass die zunehmende Technisierung der Gesellschaft zu einer Vernetzung von einst getrennten Lebensbereichen führt und in Folge immer mehr Menschen interagieren. Die Kontrahenten behaupten, dass neue Informationstechnologien genau das Gegenteil bewirken, nämlich Desintegration und Entsolidarisierung, denn die Konvergenztechnologien, so die Begründung, seg- mentiere die Gesellschaft in einzelne Gruppen, die untereinander nicht mehr kommunizieren.15

2.2 Ökonomische Aspekte des Informationszeitalters Der IKT-Sektor ist zu einem Schlüsselfaktor des Wirtschaftswachstum geworden, da er einerseits Produktivität und Umsatz sämtlicher Wirtschaftszweige ankurbelt und andererseits selbst ein dyna- misches Wachstum aufweist. Informations- und Kommunikationstechnologien nehmen also eine Doppelrolle ein, denn sie sind Prozesstechnologien, die zur Effektivitätssteigerung eingesetzt wer- den und Produkttechnologien, die zu neuen Produkten und Dienstleistungen führen.16 Als Prozess- technologien tragen IKT unter anderem dazu bei, die im Informationszeitalter ansteigenden Trans- aktionskosten – also jene Kosten die im Wesentlichen für Information und Kommunikation anfallen – zu reduzieren, was ein Ansteigen der Produktivität nach sich zieht. „In den hundert Jahren von 1870 bis 1970 hat der Anteil der zwischen- und innerbetrieblichen Transaktionskosten an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung von etwa 25 Prozent auf mehr als 50 Prozent zugenommen, heute dürfte er bei mehr als 60 Prozent liegen. Mit Hilfe verbesserter Information und Kommunika- tion sind Spezialisierungsvorteile durch Arbeitsteilung auszuschöpfen, die weitaus höher sind, als die aufgewandten Transaktionskosten. Der gestiegene Anteil der Transaktionskosten am Bruttoso- zialprodukt hat daher zugleich eine Produktivitätssteigerung und eine Vervielfachung der Wert- schöpfung ermöglicht.“ 17 Das Potenzial als Produkttechnologie verdeutlicht die Entwicklung des IKT- Sektors: So wuchs die Mobilfunkbranche im Jahr 2004 weltweit um rund 30%, wobei Länder mit ungenügend ausgebautem Festnetz, wie etwa osteuropäische Nationen und fortgeschrittene Ent- wicklungsländer, die höchsten Wachstumsraten verzeichneten. Im gleichen Jahr wurden 674 Milli- onen Geräte verkauft, wobei die Hersteller Nokia (30,7%), Motorola (15,4%) und Siemens (7,2%) den Markt beherrschten. Das Internet erlebte im Jahr 2004 ein ähnlich rasantes Wachstum: Weltweit nahm die Zahl der Internetnutzer um rund 15% auf 835.700 Millionen zu. Der stürmischste Anstieg ist dabei in Ostasien zu verzeichnen. Europa hingegen weist ein eher langsames Wachstum auf und in den USA ist inzwischen weitgehend ein Sättigungsgrad erreicht.18 Castells bezeichnet die neue Wirtschaftsform, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts entstanden ist und deren Grundlage die Revolution in der Informationstechnologie darstellt, als informationell, global und vernetzt. Da „die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit von Einheiten oder Akteuren in dieser Wirtschaft – ob es sich nun um Unternehmen, Regionen oder Nationen handelt – grundle-

15 Vgl. http://www.interasia.org/background/asean_d.html 16 Vgl. Bullinger 1997, 110 17 Picot 2000, 46 18 Vgl. Baratta 2005, 679

99 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter gend von ihrer Fähigkeit abhängig ist, auf effiziente Weise wissensbasierte Informationen hervor- zubringen, zu verarbeiten und anzuwenden. Sie ist global, weil die Kernfunktionen der Produktion, Konsumation und Zirkulation ebenso wie ihre Komponenten – Kapital, Arbeit, Rohstoffe, Manage- ment, Information, Technologie, Märkte – auf globaler Ebene organisiert sind, entweder unmittel- bar oder durch ein Netzwerk von Verknüpfungen zwischen den wirtschaftlichen Akteuren. Sie ist vernetzt, weil unter den neuen Bedingungen Produktivität durch ein globales Interaktionsnetzwerk zwischen Unternehmensnetzwerken erzeugt wird, in dessen Rahmen sich auch die Konkurrenz ab- spielt.“ 19 Latzer und Schmitz sprechen vorwiegend von der digitalen Ökonomie. Diese wird nicht als Teil der Gesamtwirtschaft gesehen, sondern beschreibt einen Transformationsprozess, dem ein Großteil der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten ausgesetzt ist. Zentrale Kennzeichen der digitalen Ökonomie sind Netzeffekte, die aufgrund ihrer ökonomischen Besonderheit alle Bereiche der ge- samtwirtschaftlichen Aktivitäten dominieren sowie wachsende Skalenträger, positive Feedback Loops und sich verkürzende Innovationszyklen.20

2.3 Medien im Informationszeitalter Die technologischen Entwicklungen und der damit verbundene ökonomische Strukturwandel gehen Hand in Hand mit gesellschaftlichen Veränderungen. Die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft, wachsende fundamentaldemokratische Ansprüche und die vermehrte Geltendmachung von Minder- heiten- und Partikularinteressen führen zu einem Anwachsen der Informationsansprüche und einem starken Ansteigen des Informations- und Kommunikationsbedürfnisses der Menschen.21 Durch die starke Informatisierung der Gesellschaft kommt den Medien eine bedeutungsvolle, ge- sellschaftsprägende Rolle zu, denn die Mitglieder der Informationsgesellschaft „…leben nicht nur in einer Wissens-, sondern vor allem auch in einer Meinungs-, Experten- und Medienwelt.“ 22 Allzu oft wird diese Verantwortlichkeit nicht wahrgenommen und die Medien entpuppen sich als Sprachrohr von Politik und Wirtschaft. Dies ist vor allem bei der Etablierung einer Informationsgesellschaft wesent- lich, da Schlagwörter wie Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft, New Economy etc. häufig Ver- wendung finden, um anstehende Reformen, wie etwa Deregulierung und Liberalisierung oder den Auf- und Ausbau kostenintensiver Infrastrukturprojekte zu rechtfertigen. Rundfunk und Presse stellen in die- sem Zusammenhang häufig ein geeignetes Mittel dar, um die breite Zustimmung der Bevölkerung für solche Vorhaben zu erlangen. Medien sind ein integraler Bestandteil der oftmals als global bezeichneten Informationsge- sellschaft; aufgrund fehlender Infrastruktur oder mangelnder Bildung kann weltweit jedoch nur ein geringer Prozentsatz Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen. Im Mai 2002 gab es weltweit knapp 606 Millionen IKT-Nutzer, 191 Millionen davon kamen aus Europa, 183 Millionen aus den USA und Kanada, 187 Millionen aus dem asiatisch-pazifischen Raum, in La- teinamerika gab es lediglich 33 Millionen Nutzer, in Afrika rund sechs und im Mittleren Osten

19 Castells 2003, 83 20 Vgl. Latzer; Schmitz 2000, 44ff. 21 Vgl. Kiefer 2001, 31f. 22 Mittelstraß zit. n. Kiefer 2001,32

100 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter fünf Millionen. Werden diese Zahlen nun prozentual dargestellt, so leben in Nordamerika, Europa und Asien jeweils rund ein Drittel der Internetnutzer, aus Lateinamerika kommen weniger als 2%, aus Afrika und dem Mittleren Osten in Summe 0,2%.23 Dieses globale Ungleichgewicht erregt die Sorge von weniger entwickelten Nationen, die deshalb ihre Infrastruktur ausbauen und die Nutzung von Medientechnik fördern, um Anschluss zur Informationsgesellschaft zu erhalten. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob die potenziell global verfügbaren elektronischen Dienste für Information und Kommunikation eine Chance für bislang unterentwickelte Länder darstellen, aktive gleichbe- rechtigte Mitglieder der Informationsgesellschaft zu werden, oder ob die neuen Kommunikations- technologien die Kluft zwischen „Informations-Habenden“ und „Habenichtsen“ zusätzlich vertie- fen.24 Darüber hinaus herrscht auch bezüglich der Auswirkung westlich geprägter Medien auf das kulturelle Gefüge in Entwicklungsländern eine zweigeteilte Argumentationslinie. So wird einerseits behauptet, dass diese Medien das kulturelle Gefüge und die Identität der wenig entwickelten Länder zerstören, da es zu einer kulturellen Anbindung an die Industrieländer kommt. Andererseits wird den westlichen Medien häufig eine wichtige Rolle bei der Überwindung vormoderner und un- gerechter Gesellschaftsstrukturen beigemessen.25 Oft wird neuen Informations- und Kommunikationstechnologien eine demokratisierende Wirkung zugeschrieben, welche die Lebensbedingungen in autoritär oder diktatorisch geführten Ländern ver- bessert. Begründet wird diese Annahme damit, dass auch Regierungen dieser Länder die Realisie- rung wirtschaftlicher Wachstumsraten anstreben, was in einer Informationsökonomie unter anderem eine Öffnung zu neuen Medien bedeutet. Solch eine Öffnung bringe undemokratische Strukturen ins Wanken, da insbesondere das Internet Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit biete, die Ein- schränkungen der Pressefreiheit zu umgehen und so einen Zugang zu objektiven Informationen zu erhalten. Hafez verweist allerdings darauf, dass die Demokratisierungsentwicklung seit der massen- haften Ausbreitung neuer Medientechnologie, wie etwa dem Internet und direktempfangbarem Sa- tellitenrundfunk, stagniert. „Natürlich kann kein kausaler Zusammenhang derart festgestellt wer- den, dass die Ausbreitung der neuen Medien für politische Stagnation verantwortlich wäre. Aber es verbietet sich auch eine Umkehrung der Kausalität, wie sie lange Jahre in der Hoffnung zum Ausdruck kam, dass durch die neuen globalen Medientechniken auch der Demokratie weltweit zum Durchbruch verholfen würde.“ 26 Mehr noch: Wenn man die Geschichte der Informations- technik verfolgt – was im Zusammenhang mit dem Konzept der Informationsgesellschaft selten geschieht – so zeigt sich, dass Informationstechniken nicht zwangsläufig eine bessere Zukunft schaffen und so verweist auch Latzer 27 darauf, dass der Einsatz neuer Informations- und Kom- munikationstechnologien in der Politik – etwa bei der elektronischen Abstimmung – nicht unbe- dingt das Ziel verfolgt, die direkte Demokratie zu stärken, denn auch Manipulations- und Kon-

23 Vgl. Filzmaier 2003, o.S. 24 Vgl. Offenhäußer 1999, 75 25 Vgl. http://www.interasia.org/background/asean_d.html 26 Hafez 2003, 39f. 27 Vgl. Latzer 1997, 37ff.

101 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter trollmöglichkeiten wird dadurch Tür und Tor geöffnet. Dies gilt für hoch industrialisierte Länder in gleichem Ausmaß wie für weniger entwickelte Nationen.

3 Malaysia: Sozialgeografie sowie politische und wirtschaftliche Entwicklung 3.1 Sozialgeografische und politische Grundlagen Die föderative Wahlmonarchie Malaysia (Federation of Malaysia) entstand im Februar 1963 durch den Zusammenschluss des seit 31.08.1957 von den Briten unabhängigen Staates Ma- laya28 mit den britischen Kolonien Singapur, Sarawak und British North Borneo (Sabah). Als Singapur 1965 seinen Austritt aus der Föderation erklärte, nahm Malaysia mit 13 Bundesstaa- ten (davon neun Sultanate) und den zwei Bundesterritorien Kuala Lumpur (KL) und Labuan (Victoria) seine heutige Gestalt an. Alle fünf Jahre wird von den Sultanen Westmalaysias ein neuer König aus ihrer Mitte gewählt. Seit 13.12.2006 ist König Yang di-Pertuan Agong XIII, Tuanku Mizan Zainal Abidin ibn al-Marhum von Malaysia das Staatsoberhaupt. Der knapp 330.000 km² große, südostasiatische Vielvölkerstaat beherbergt gemäß der letzten Volkszählung vom Jahr 2000, 23,27 Millionen Einwohner, 94,1% davon sind malaysische Staatsbürger29, rund 1,5 Millionen Menschen leben in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur (Großraum Kuala Lumpur rund vier Millionen Einwohner). Die ethnische Herkunft der malaysischen Staatsbür- ger gliedert sich wie folgt auf: 65,1% Malaien, 26,0% Chinesen, 7,7% Inder, 1,2% Sonstige. Mit 50,9% überwiegt der Anteil der Männer in Malaysia.30 Die Landessprache ist Malaiisch (seit 1967 unter der Bezeichnung Bahasa Malaysia). Englisch ist als Amts- und Verkehrsspra- che weit verbreitet. Die Währung ist der Ringgit (RM), im November 2006 entsprachen 4,67 RM einem €. Seit dem 14. Jahrhundert ist der Islam Staatsreligion, über 50% der Bevölkerung zählen zu den Sunniten, für Nicht-Malaien ist die Religionsfreiheit durch die Verfassung von 1957, deren Grundlage das englische common law und nicht die Sharia bildet, garantiert.31 Seit ihrer Gründung lenkt die aus 14 Parteien bestehende Allianz, heute als Barisan Nasional (BN) respektive Nationale Front bekannt, das politische Geschehen. Die UMNO ist die führende Partei der Allianz und stellt den Premierminister und seinen Stellvertreter. Am 31.10.2003 wurde Haj Abdullah b.Hj Ahmad Badawi (UMNO) neuer Premierminister Malaysias. Er löste den 22 Jahre amtierenden Mahathir bin Mohamad (UMNO) ab.32 Unter dem langjährigen Premierminister Mahathir nahm die Regierung in den 1980er Jahren immer autoritärere Charakterzüge an, die sich unter anderem in einer Machtballung in den Händen der Exekutive, der Einschränkung vom Bürgerrechten durch Sicherheitsgesetze, einer äußerst starken Stellung des Premierministers und einer rigiden Zensur der Medien manifestierten.

28 Seit Februar 1948 Federation of Malaya 29 In Malaysia unterscheidet man zwischen zwei Hauptgruppen von Staatsangehörigen: 1. Malaien oder Bumiputra (Söhne der Erde): Aborigines (Orang Asli aus Westmalaysia) und Malays aus Westmalaysia sowie non-Malays aus Ostmalaysia (Ibans, Bidayuh, Melanu, Kenyah, Kelabit, Kayan, Bisayah, Kadazan, Murut und Kedayan) 2. Non-Bumibutra: Chinesen, Inder, sonstige Ethnien. (Vgl. Trezzini 2001, 181) 30 Vgl. http://www.statistics.gov.my 31 Vgl. Trezzini 2001, 171ff. 32 Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de

102 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Häufig betonte Mahathir, dass Malaysia noch nicht reif genug sei, um mit der Freiheit umzugehen und die ethnischen Unruhen von 1969 wurden vielfach als Beispiel dafür vorgebracht, was passieren würde, „wenn man nationale Belange dem Volk überließe und die Regierung die Zügel lockerte und mehr westliche Freiheit zuließe, als sie dies bereits tut.“33 Und auch bei seiner Abschiedsrede im Oktober 2003 erklärte Mahathir, dass zu viel Freiheit schlecht für das Land sei: „Die Besessenheit mit demokratischen Freiheiten kann zur Anarchie führen.“ 34

3.2 Wirtschaftliche Entwicklung seit der Unabhängigkeit Aufgrund der zielstrebigen Wirtschafts- und der relativ offenen Marktpolitik sowie durch den Mehreinsatz von Produktionsfaktoren entwickelte sich Malaysia binnen kürzester Zeit zu einem der weltweit größten Computerchiphersteller. Heute zählt das Land zu den wirtschaftlich am besten entwickelten Ländern Südostasiens. „Kaum ein Staat verfolgt so konsequent ehr- geizige industriepolitische Ziele wie Malaysia. Das Land formuliert Vorgaben für die Privat- wirtschaft und wendet ein komplexes Instrumentarium von Auflagen, Schutzzöllen, Steueran- reizen und politischem Druck an, um diese zu erreichen. Vorrangige Ziele umfassen den An- schluss an internationale Entwicklungen in High-Tech-Branchen (Informationstechnologien, Chip-Fabrikation, Luft- und Raumfahrt), die Importsubstitution in technologisch anspruchs- vollen Konsumgüterindustrien (Automobile, Elektrogeräte) und den Aufbau eines dynami- schen Unternehmertums in der malaiischen Volksgruppe.“ 35 Die wirtschaftliche Aufholjagd begann 1969 mit der intensiven Förderung von in- und aus- ländischen Investitionen, wodurch die Wachstumskurve des Landes nach oben schnellte: In den 1970er Jahren um durchschnittlich 7,8% pro Jahr. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 390 US$ (1970) auf 1.900 US$ (1982).36 Ein wichtiger Schritt war die 1983 eingeleitete Privatisierung, diese wurde 1985 durch die Guidelines of Privatisation und 1991 durch den Privatisation Master Plan und den darin enthaltenen Privatisation Action Plan systematisiert. Die intensiven Anstren- gungen der Regierung schlagen sich in einem über bereits mehrere Jahrzehnte anhaltenden Wirt- schaftswachstum nieder. 1996 gehörte Malaysia zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaf- ten der Welt. In diesem Jahr nahm es Platz 18 als Handelsnation und Platz 19 als Exportnation ein. Die Jahre davor konnte eine jährliche Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um real 8,7% erreicht werden, das Außenhandelsvolumen hatte sich in den Jahren zwischen 1987 und 1996 versiebenfacht.37 Im Jahr 2003 verfügte das südostasiatische Schwellenland über ein BIP von 103,737 Milliarden US$ und einen realen Zuwachs von 5,5%. Das Bruttonationaleinkom- men/Kopf belief sich im gleichen Jahr auf 3.880 US$.38 Ausländische Direktinvestitionen (ADI) spielen eine zentrale Rolle in der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung. Malaysia weist bis heute eine größere Abhängigkeit von

33 Kwang Yang 1993, 82 34 Mahathir zit. n. Bernath 2003, o.S. 35 Friedrich Ebert Stiftung, http://www.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00408toc.htm 36 Vgl. Yergin; Stanislaw 2001, 251 37 Vgl. Weber 1999, 1f. 38 Baratta 2005, 513

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ADI auf, als andere Schwellenländer Asiens. Nach Angaben der Weltbank zählte das Land von 1987-1991 weltweit zu den fünf attraktivsten Volkswirtschaften für ADI, und auch gegenwärtig ist es einer der attraktivsten Standorte für ausländische Direktinvestitionen außerhalb der OECD.39

4 Wirtschaftspolitische Konzepte für Malaysias Informationsgesellschaft 4.1 Vision 2020 Um Malaysia erfolgreich ins Informationszeitalter zu katapultieren und die Entwicklung, Produk- tion und Nutzung von IKT zu fördern, wurde im Februar 1991 die Vision 2020 ins Leben gerufen. Sie wurde bei der Gründungsveranstaltung des Malaysian Business Council (MBC) vom ehema- ligen Premierminister Mahathir in der programmatischen Rede „Malaysia: The Way Forward“ präsentiert. Neben politischen und sozialen Zielen verfolgt die Vision hauptsächlich die Trans- formation Malaysias zu einem voll entwickelten – auf IKT basierenden – Industriestaat und dar- über hinaus zu einer Informations- und Wissensgesellschaft. So soll das Land im Jahr 2020 „…eine wissenschaftliche und fortschrittliche Gesellschaft sein, eine Gesellschaft, die innova- tiv und vorwärtsgewandt ist, die nicht nur Technologien annimmt, sondern zur wissenschaft- lichen und technologischen Zivilisation der Zukunft beiträgt.“ 40 Um die hochgesteckten Ziele zu realisieren, muss Malaysias Wirtschaft in eine Informations- ökonomie (in Malaysia: Knowledge Economy oder K-Economy) verwandelt werden, die im Zeitraum zwischen 1990 und 2020 um 800% wächst.41 Ursprünglich wurde der verarbeiten- den Industrie die Rolle des Zugpferdes zugeschrieben, schnell stellte sich jedoch heraus, dass Informations- und Kommunikationstechnologien die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums und somit der Motor der Transformation sind: „Multimedia or IT is the priority sector for a- chieving Vision 2020.“ 42 Aus diesem Grund wurden im achten malaysischen Wirtschaftsplan aus einem Gesamtbudget von 110 Milliarden Ringgit, fünf Milliarden für die Entwicklung von IKT zur Verfügung gestellt.43 Obwohl Malaysias Vision 2020 zahlreiche gesellschaftliche Themen anspricht, die sich haupt- sächlich auf den Erhalt der multiethnischen Harmonie und die Wahrung der gesellschaftlichen Werte erstrecken, ist die Vision 2020 ein staatlich geplantes Wirtschaftsprogramm, welches hauptsächlich ökonomische Ziele verfolgt. Schlüsselpunkte sind neben dem Malaysia Incor- porated Konzept – das die Kooperation zwischen öffentlichem und privatem Sektor anregen soll – die Förderung von Forschung und Entwicklung, die Gründung des National Information Technology Councils (NITC), die Errichtung des Multimedia Super Corridors (MSC) sowie die Etablierung einer Informationsökonomie (K-Economy).

39 Vgl. http://www.geog.uni-hannover.de/wigeo/singapur/referate/8_referat.pdf 40 Friedrich Ebert Stiftung, http://www.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00408toc.htm 41 Vgl. Mahathir 1995, 2ff. 42 Mahathir 1998, 52 43 Vgl. ITU 2001, 6

104 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Ein wichtiges Maßnahmenpapier zur Transformation des südostasiatischen Schwellenlandes ist die im Dezember 1996 durch das National Information Technology Council (NITC) formulierte „National IT Agenda (NITA)“. „Turning Ripples into Waves“ lautet das Motto der NITA, denn es wird davon ausgegangen, dass durch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen eine große Welle der Veränderung ausgelöst werden kann.44 So soll Malaysias Gesellschaft durch die geziel- te Förderung von Humankapital, Infostruktur und IT-Anwendungen modernisiert werden. Abbildung 1: NITA-Dreieck 45

Aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften hat die Förderung des Humankapitals oberste Priorität – sie ist deshalb auch an der Spitze des Dreiecks angebracht. Auch wird der Ausbau der Infostructure, welche sich aus Computer-Hardware, Telekommunikation, Daten- banken, Netzwerken und Gesetzen zusammensetzt, intensiv vorangetrieben. Das dritte Ele- ment des NITA-Dreiecks – die Unterstützung von IT-Anwendungsgebieten – beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung von Inhalten. Hier wird speziell auf die Kompatibilität mit der malaysischen Kultur und Religion sowie auf lokale und regionale Inhalte Wert gelegt.46

4.2 Das Konzept der K-Economy Um die Herausbildung einer Informationsökonomie (Knowledge Economy/K-Economy) zu be- schleunigen, wird in Malaysia die Überlagerung des materiellen mit dem immateriellen Sektor forciert. Dadurch – so die Annahme – soll der schnell wachsende Bereich der Knowledge-based activities (K-activities) entstehen, der sich aus der Multimedia-, Software-, Pharma- und Raum- fahrtindustrie sowie Forschung und Entwicklung zusammensetzt. Im Jahr 1999 betrug der Anteil der K-activities noch weniger als 10%, für das Jahr 2010 sieht das Transformationsszenario be- reits eine Steigerung auf 65% vor. Bei Abschluss der Vision 2020 wird Malaysias Wirtschaft,

44 Vgl. ITU 2002, 27 45 http://www.nitc.org.my/nita/index.shtml 46 Vgl. ebenda

105 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter nach Ansicht wirtschaftspolitischer Eliten, von den New K-industries/activities, die zusätzlich Bio- und Nanotechnologie sowie Molekularbiologie umfassen, dominiert. Grund für die ökonomische Umgestaltung ist neben der Realisierung des hohen Wirtschafts- wachstums, vor allem der Wettbewerb mit Staaten, wie etwa Singapur und China, um auslän- dische Direktinvestitionen. „Exploiting the K-Economy within the globalized trade environ- ment has become the current focus of attention by many countries which aspire to remain competitive. Economic growth is favouring industries with high knowledge contents. The transition from a P-Economy to a K-Economy is unavoidable […].” 47 Vor allem die verarbeitende Industrie Malaysias entwickelt sich durch den Einsatz neuer In- formations- und Kommunikationstechnologien sehr gut, da durch wissensbasiertes Arbeiten die Produktion schneller, besser und kostengünstiger verläuft. Darüber hinaus ermöglichen Informationsdienstleistungen die gezielte Betreuung der Kunden und die kundenspezifische Anpassung der Produkte. „The requirement of the K-Economy is, thus, a shift from mass- production to mass-customisation solutions that create value demanded by the new value- driven tier of the consumer.“ 48 Neben der Kundenbezogenheit im B2B-Bereich realisiert der Einsatz neuer Technologien im B2C-Sektor zusätzliche Kundenservices, die sich mitunter posi- tiv auf das Kaufverhalten auswirken. Die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung zeigte, dass zusätzliche Dienstleistungen, wie etwa die Abfrage von Online-Informationen und 24- Stunden-Hotlines, für 36% der Befragten beim Kauf eines Produktes entscheidend sind, für 25% sind sie eher entscheidend, für 22% eher nicht und 17% der befragten Personen gaben an, dass zusätzliche Informationsdienstleistungen keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. Zwischen dem Bildungsniveau und dem Einfluss von Informationsdienstleistungen auf die Kaufentscheidung scheint ein Zusammenhang zu bestehen, denn Personen mit Grundschulaus- bildung gaben zu 75% an, dass solche Services die Kaufentscheidung eher nicht beeinflussen, für die restlichen 25% dieser Personengruppe spielen sie gar keine Rolle beim Kauf eines Pro- duktes. Im Gegensatz dazu gaben 54% der befragten Personen mit Universitätsabschluss an, dass solche Services ihre Kaufentscheidung beeinflussen, 23% werden eher davon beeinflusst. Nur 8% dieser Personengruppe gaben an, dass Informationsdienstleistungen gar keine Rolle beim Kauf eines Produktes spielen. Vor allem die Gruppe der unter 45-Jährigen und die der ethnischen Malaien legt Wert auf Informationsdienstleistungen, darüber hinaus wird die Kauf- entscheidung von Männern dadurch etwas häufiger beeinflusst als die von Frauen. Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung stellte das deutsche Zentrum für Außenwirt- schaft fest, dass sich die malaysische Informationsökonomie im Jahr 2001 auf relativ niedrigem Niveau befand, da der Anteil des Wissens als Ressource nur 15% betrug, in den Industrielän- dern hingegen waren es bereits 50%. Und auch der von der International Data Corporation er- stellte „Information Society Index (ISI)“ kommt zu dem Schluss, dass Malaysia weitere An-

47 NITC; MIMOS Berhad 1999, 5 48 NITC; MIMOS Berhad 1999, 14, 5

106 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter strengungen unternehmen muss, um in der „globalen“ Informationsökonomie wettbewerbsfähig zu bleiben. Der ISI misst anhand von 23 miteinander kombinierten ökonomischen, technischen, infrastrukturellen und sozialen Kriterien die Entwicklung von 55 Ländern in der Informations- ökonomie. Die 23 Indikatoren (Anzahl PCs/Kopf, TV-Geräte/Kopf, Telefonanschlüsse/Kopf, Haushaltsausgaben für Hard- und Software, Telefonkosten, Internet-Penetration, E-Commerce- Ausgaben, Bildungsstand, Pressenutzung, Pressefreiheit etc.) sind folgenden vier Hauptkatego- rien zugeordnet: Computer-, Internet-, Informations- und Sozialinfrastruktur. Die Entwicklung der untersuchten Länder wurde in vier Gruppen eingeteilt: 1. Skaters: Länder dieser Kategorie sind die Hauptakteure der Informationsgesellschaft und Informationsökonomie. Sie nutzen das Potenzial neuer Informations- und Kommunikations- technologien voll aus. 2. Striders: Angehörige dieser Gruppe sind bereits Teil der Informationsgesellschaft und Informationsökonomie. Sie nutzen neue Informations- und Kommunikationstechnologien zu ihrem eigenen Vorteil und besitzen die nötige Infrastruktur. Allerdings ist die Akzep- tanz der neuen Technologien noch nicht in alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Lebens vorgedrungen. 3. Sprinters: Gesellschaft und Wirtschaft der Sprinters – einer Gruppe, der auch Malaysia angehört – entwickeln sich zu einer Informationsgesellschaft und Informationsökonomie. Der Transformationsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen. 4. Strollers: Limitierte finanzielle Ressourcen aufgrund der hohen Bevölkerungszahl sowie weitere Entwicklungsschwierigkeiten erschweren diesen Ländern den Zugang zur Infor- mationsgesellschaft und Informationsökonomie.49

Abbildung 2: Information Society Index 2000 – ausgewählte Länder 50

Kategorie Nation Rang Computer Internet Information Sozial 2000 Rang Rang Rang Rang 2000 2000 2000 2000 Skaters Schweden 1 6 1 8 4 Norwegen 2 7 4 7 1 Finnland 3 14 9 6 6 USA 4 1 10 14 17 GB 6 10 6 5 11 Singapur 9 8 2 21 33 Japan 11 5 17 12 2 Striders Deutschland 13 17 11 9 13 Österreich 14 15 13 13 15 Korea 19 22 18 16 8 Frankreich 21 16 20 23 20 Italien 23 24 22 18 29 Portugal 25 26 27 24 26 Sprinters Tschechische Rep. 28 32 34 27 21 Ungarn 29 30 29 31 25 Polen 30 37 35 30 32 Malaysia 32 28 25 36 48 Südafrika 38 34 30 42 37 Türkei 41 41 45 29 47 Strollers Saudi Arabien 44 39 38 44 55 Thailand 47 42 46 48 39

49 Vgl. http://www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf 50 eigene Bearbeitung nach: www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf

107 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Philippinen 48 50 43 50 34 China 52 52 51 47 53 Indonesien 53 55 53 54 52 Indien 54 53 55 53 49 Malaysia nimmt unter den 55 untersuchten Ländern Platz 32 ein und ist der Sprinters-Gruppe zugeordnet. Das Entwicklungspotenzial eines Landes hängt vor allem von der Sozialinfra- struktur ab; ist diese besser bewertet als die drei anderen Indikatoren, so kann davon ausge- gangen werden, dass das Land eine gute Entwicklungschance hat. Begründet wird diese An- nahme damit, dass sich die Sozialinfrastruktur-Variablen, wie etwa Bildungsstand und Presse- freiheit, nur sehr langsam ändern, während sich die Variablen der Computer-, Internet- und Informationsinfrastruktur, wie beispielsweise die PC- oder Mobilfunk-Penetration, durch ge- zielte Maßnahmen schnell wandeln können. Malaysias Sozialinfrastruktur schneidet im Ver- gleich zu den anderen Kategorien außerordentlich schlecht ab, demzufolge wird das Entwick- lungspotenzial als eher gering eingestuft.51 Trotz des eher ernüchternden Ergebnisses des „Information Society Index“ muss darauf ver- wiesen werden, dass Malaysias Regierung große und auch effektive Anstrengungen unter- nimmt, um das Wissens- und IKT-Niveau anzuheben. So erlangte das politische und regulato- rische IKT-Umfeld Malaysias im „World Information Technology Report 2004/2005“ Rang fünf (von 104 untersuchten Nationen) in Bezug auf seine Effektivität. Das südostasiatische Schwellenland erreicht bei der Untersuchung des „Network Readiness Index“ – einer Mess- größe zur Evaluierung der Bereitschaft einer Nation, an der Entwicklung von IKT teilzuneh- men und daraus einen Nutzen zu ziehen – den guten 27. Platz (von ebenfalls 104 Nationen).52

4.3 E-Commerce Ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen K-Economy ist die Nutzung der elektroni- schen Geschäftsabwicklung, weshalb von der malaysischen Regierung zahlreiche Initiativen, wie etwa die Implementierung von Cybergesetzen (siehe Kapitel 5.3) und die Gründung des National E-Commerce Committee (NECC) beschlossen wurden. Dies hatte eine hohe Steige- rung der E-Commerce-Umsätze zur Folge. Eine von Taylor Nelson Sofres veröffentlichte Studie untersuchte die Entwicklung des E- Commerce in 27 Ländern. Die Erhebung kam zu dem Ergebnis, dass sich E-Commerce in Ma- laysia rasch entwickelt und die elektronische Geschäftsabwicklung einen wichtigen Stellenwert besitzt. Unter den untersuchten Ländern aus vier verschiedenen Kontinenten nimmt das südost- asiatische Schwellenland Platz 17 ein. Laut der Untersuchung hatten im Jahr 2000, 5% der ma- laysischen Internetnutzer Online-Einkäufe getätigt, 14% gaben an, in den nächsten sechs Mona- ten elektronisch einkaufen zu wollen und 12% hatten als direktes Resultat einer Internetrecher- che offline Produkte gekauft.53 Das Ergebnis der im Rahmen des Forschungsaufenthaltes durchgeführten Befragung zeigt, dass die elektronische Geschäftsabwicklung im Jahr 2004 be-

51 Vgl. http://www.worldpaper.com/indexes/ISI/012002/TheWorldPaperISI2002.pdf 52 Vgl. Dutta; Lopez-Carlos 2005, 164ff. 53 Vgl. Rosario 2000, o.S.

108 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter reits von nahezu einem Drittel der Probanden genutzt wurde. So gaben 5% an, sehr oft Produkte online einzukaufen, 25% taten dies schon einige Male, weitere 11% haben noch nie online ein- gekauft, haben es aber in Zukunft vor. Der Großteil (59%) hat die Möglichkeit der elektroni- schen Geschäftsabwicklung noch nie genutzt und besitzt auch nicht die Intention, dies zukünftig zu tun. Die Personengruppe, die noch nie eine elektronische Geschäftsabwicklung durchgeführt hat und auch keine Intention verspürt, dies zu tun, besteht zu 33% aus Internetnutzern. Vor al- lem Teenager und junge Erwachsene scheinen eine hohe Affinität zum Online-Shopping zu haben, denn mehr als die Hälfte (54%) der 14- bis 24-Jährigen hat schon einmal Produkte oder Services über das Internet eingekauft, gefolgt von den 35- bis 44-Jährigen (27%) und der ältes- ten Personengruppe der 55 bis 69-Jährigen (24%). Die 45- bis 54-Jährigen nutzten die Möglich- keit der elektronischen Geschäftsabwicklung am seltensten (15%). Den Ergebnissen zufolge scheinen Geschlecht, Bildung und ethnische Herkunft keine gravierenden Auswirkungen auf eine Online-Kauf-Entscheidung zu haben. Erstaunlich ist, dass 6% der Online-Shopper kein Vertrauen in die Datensicherheit im Internet haben. 20% sind der Meinung, dass die Daten in digitalen Netzwerken eher unsicher sind. Nur 37% vertrauen vollkommen in die Datensicher- heit im Internet.

5 Malaysias Multimedia Super Corridor (MSC) „Der Multimedia Super Corridor ist ein sehr umfassender Ansatz des Schwellenlandes Ma- laysia, um im thematisch begrenzten Bereich der Breitband-Kommunikation und Informati- onstechnik weltweite Entwicklungen aufzuholen und zu einem global führenden Standort für den gewählten Technologiebereich zu werden.” 54 Um Malaysias K-Economy voranzutreiben und die Ziele der Vision 2020 zu realisieren, wur- de am 02.08.1996 der Multimedia Super Corridor (MSC) eröffnet. „The establishment of MSC is to assist in the economic transformation of Malaysia from a production-based econ- omy (P-Economy) to a knowledge-based economy (K-Economy).” 55 Der Hightech-Korridor soll Malaysia den unmittelbaren Anschluss an die technologische Entwicklung der führenden Industrieländer ermöglichen, weshalb im Zusammenhang mit dem MSC häufig von „Leapfrogging“, das heißt dem Überspringen von gängigen Abfolgen in der Wirtschaftsent- wicklung gesprochen wird. „The establishment of the MSC, and Cyberjaya in particular, will enable Malaysians to leapfrog into the .“ 56 Der 750 Quadratkilometer große Technologiepark, der nach dem Vorbild des amerikanischen Silicon Valley geschaffen wurde, erstreckt sich von den Petronas Twin Towers im Stadtzent- rum Kuala Lumpurs (KLCC) bis zum neuen internationalen Flughafen (KLIA). Er soll aus- ländischen und heimischen IT-Unternehmen als Experimentierfeld für Multimediaanwendun- gen und als Ausgangspunkt für die Erschließung des südostasiatischen Marktes dienen. Das Nebeneinander von malaysischen Klein- und Mittelbetrieben und Weltklasse-IT-Unternehmen

54 Edler/Boekholt 2001, 179 55 Hossain 2001, 151 56 Mahathir 1998, 29

109 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter soll einen Know-how- und Technologientransfer realisieren, der malaysischen Unternehmen die Möglichkeit bietet, selbst zu Global Player zu werden. „Hopefully, a few of tomorrow’s leaders will be from Malaysia with new products and services in the MSC.” 57 Das Innovationsmilieu verfügt über ein, von der Telekom Malaysia Berhad errichtetes, digita- les Hochleistungsglasfasernetzwerk mit einer Datendurchsatzrate von 2,5-10 Gigabits pro Sekunde. Auch für die physische Infrastruktur wurde gesorgt. So stehen neben einem gut aus- gebauten Autobahnnetz, Wohnungen, Freizeitanlagen und Einkaufszentren für insgesamt 240.000 Einwohner zur Verfügung. Das Herzstück des Korridors bilden die beiden Städte Putrajaya und Cyberjaya. Das als „intelligente Stadt“ bezeichnete pompöse Putrajaya mit sei- nen palastähnlichen Ministerien und einem künstlich angelegten See ist das neue administrative Zentrum Malaysias. Hier sind alle Regierungsstellen vernetzt. Durch innovative Lösungen soll die papierlose elektronische Verwaltung vorerst in Putrajaya erprobt und danach landesweit implementiert werden. Das Gegenstück von Putrajaya ist das für die Wirtschaft errichtete Cy- berjaya. Auf einem 7.000 Hektar großen Gelände soll durch die Konzentration von nationalen und internationalen IT-Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungszentren und einer Multi- media-Universität ein Innovationsmilieu geschaffen werden, welches Malaysias Wettbewerbs- fähigkeit sichert.58 Mittelpunkt von Cyberjaya ist der Central Incubator, welcher der Multime- dia-Universität angegliedert ist und das Ziel verfolgt, neue Geschäftsideen und Innovationen zu entwickeln. Um die Entwicklung des MSC voranzutreiben, werden neben der Bereitstellung einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur und diversen fiskalischen Zugeständnissen, öffentliche Aufträge für sieben IT-Anwendungen (Flagship Applications/Flaggschiff-Anwendungen) an MSC- Unternehmen vergeben: (1) Elektronische Regierung, (2) Multifunktionskarte, (3) intelligente Schu- len, (4) Tele-Gesundheit, (5) Forschungs- und Entwicklungszentren, (6) E-Business (inklusive welt- weites Verarbeitungsnetz und grenzenloses Marketing) und (7) Technopreneur-Entwicklung. Das deutsche Zentrum für Außenwirtschaft stellte im Jahr 2002 fest, dass der MSC sowohl von der Wirtschaft als auch von der Gesellschaft verstärkt angenommen wird. Dies habe zur Folge, dass sich die Entwicklung der IT-Industrie Malaysias beschleunige und das öffentliche Interesse an Informationstechnologien und ihren Anwendungsgebieten steige.59 Auch die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung zeigt, dass ein Großteil der Probanden positiv ge- genüber dem Technopol eingestellt ist. 88% der befragten Personen gaben an, den MSC zu kennen, wobei die Mehrheit (69%) von den Medien informiert wurde, 12% hörten am Ar- beitsplatz erstmals vom MSC und sieben Prozent bei Bekannten oder Verwandten. 91% der Probanden, die den MSC kennen, sind der Meinung, dass der Technologiepark einen wirt- schaftlichen und/oder gesellschaftlichen Vorteil realisiert. Wie auch das deutsche Außenwirt- schaftszentrum kommt die Befragung zu dem Ergebnis, dass neue Informations- und Kommu- nikationstechnologien verstärkt von der Bevölkerung angenommen werden. Die Mehrheit der

57 Vgl. Mahathir 1998, 46 58 Vgl. Jackson; Mosco 1999, 25f. 59 Vgl. http://www.aussenwirtschaftszentrum.de

110 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter befragten Personen (69%) gab an, dass diese Technologien ihren Alltag erheblich erleichtern. 15% der Probanden sagten, dass ihr tägliches Leben durch neue Informations- und Kommuni- kationstechnologien eher erleichtert wird, bei 3% ist das eher nicht der Fall und nur 13% gaben an, dass neue Medien keine Erleichterung im Alltag darstellen.

5.1 Entwicklung des Technologieparks Die Entwicklung des MSC wurde in drei Phasen unterteilt: - Phase I (1996 – 2003): Phase eins wurde Anfang September 2003 erfolgreich abgeschlos- sen. Ziel der Einführungsphase war die Errichtung des Korridors und die Ansiedlung von namhaften IT-Betrieben, wobei mindestens 50 Global Player die Mitgliedschaft zum MSC antreten mussten. Darüber hinaus beinhaltete die erste Phase die Errichtung des administ- rativen Zentrums Putrajaya und der fünf Cybercities Cyberjaya, Technology Park Malay- sia, Kuala Lumpur City Centre, Kuala Lumpur Tower und UPM-MTDC. Auch die erfolg- reiche Implementierung der sieben Flaggschiff-Anwendungen und die Formulierung von Cybergesetzen war Voraussetzung für den Abschluss der ersten Phase. - Phase II (2003 – 2010): Am 05.09.2003 trat der MSC in die zweite Phase. Bei Beendigung der zweiten Entwicklungsstufe im Jahr 2010 soll der Korridor bereits 250 Weltklasse-IT- Unternehmen beherbergen. Darüber hinaus soll ein Netzwerk von Hightech-Korridoren in Malaysia errichtet worden sein. Es wird erwartet, dass die globale Vernetzung von vier malaysischen Technologieparks bis zum Jahr 2010 abgeschlossen ist und dass die, in der ersten Phase erfolgreich eingeführten Flaggschiff-Anwendungen, weltweit neue Standards setzen. Auch die Harmonisierung des Cyberrechts soll abgeschlossen sein. - Phase III (2010 – 2020): Mit Ende 2020 soll die Vision 2020 in Erfüllung gegangen sein. Das heißt, Malaysia soll zu den tonangebenden Industrienationen zählen und sich als glo- bal führendes IT-Experimentierfeld etabliert haben. Es wird davon ausgegangen, dass der MSC nach Abschluss der dritten Phase 500 Weltklasse-IT-Unternehmen beinhaltet und sich über ganz Malaysia erstreckt. Darüber hinaus soll der internationale Cybergerichtshof im MSC angesiedelt und die Vernetzung der zwölf geplanten intelligenten Städte Malay- sias mit allen großen Technologieparks der Welt abgeschlossen sein.60 Um den Unternehmen ein Mitspracherecht im Korridor einzuräumen, wurde Anfang 1997 ein internationaler Beratungsausschuss – das International Advisory Panel (IAP) – gegründet. Es steht unter dem Vorsitz des Premierministers und setzt sich hauptsächlich aus Führungskräften internationaler Konzerne, wie etwa Bob Bishop (ehemaliger CEO und heutiges Vorstandsmit- glied von Silicon Graphics Inc.), William F. Miller (Professor für Computerwissenschaften an der Universität Stanford), Ragnar Back (Executive Vice President der Ericsson Group), Anton Hendrik Schaaf (Vorstandsmitglied der Siemens Information and Communication Networks),

60 Vgl. MDC 2003, 5

111 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Stan Shih (Gründer von Acer Inc.), zusammen.61 Nach Abschluss der ersten Entwicklungsphase zeigte sich der Beratungsausschuss begeistert. So meinte Bob Bishop: „I do not think the world has realized how successful Phase One has been given the challenges that the MSC had to face such as the regional economic crises of 1997, the global economic slowdown and the recent Severe Acute Respiratory Syndrome.” 62 William Miller meinte gar, dass sich der MSC viel er- folgreicher und vor allem schneller entwickelt hat als andere Technologieparks: „People do not expect miracles to happen overnight but if we compare the MSC to Silicon Valley and Taiwan, the MSC has developed much faster than all that.“ 63 Nicole Lim Wai Lai von der Geschäfts- führung des MSC-Headquarters geht davon aus, dass der starke Einsatz der Regierung im All- gemeinen und jener des ehemaligen Premierministers Mahathir im Speziellen sowie die Ratsch- läge des Beratungsgremiums für die erfolgreiche Entwicklung des Korridors ausschlaggebend sind: „The main reasons for the successful development of the MSC are the leadership and sup- port by Dr. Mahathir Mohammad, the commitment given to us by the government and the Inter- national Advisory Panel.” 64 Trotz dieser Lobeshymnen des IAP’s stellt der in Malaysia vorherrschende Arbeitskräftemangel ein Risiko für die dynamische Entwicklung des MSC dar. Um die vorhandene Ressourcenknappheit auszugleichen, beschäftigt das Innovationsmilieu eine große Anzahl an ausländischen Wissensar- beitern. Nach Angaben der MDeC waren im Dezember 2005 2.886 ausländische Wissensarbeiter in MSC-Status-Unternehmen beschäftigt. Die große Mehrheit der Expats stammt aus Indien (1.417 Knowledge Worker), gefolgt von philippinischen Knowledge-Workern (241), Personal aus Indone- sien (139), China (130) und Thailand (125).65 In diesem Zusammenhang kritisiert Hutnyk,66 dass ein Großteil der gut bezahlten und wichtigen Posten durch Personal der multinationalen IT- Unternehmen besetzt wird und nur Mitglieder der malaysische Elite eine Chance haben, als Exper- ten in den MSC aufgenommen zu werden. Für die durchschnittliche Bevölkerung stehen nach An- sicht von Hutnyk nur noch schlecht entlohnte Arbeitsstellen zur Verfügung: „Sie sind es, die Teil- zeit- oder Aushilfsjobs übernehmen und als Hilfsarbeiter und Servicepersonal werden fungieren müssen, in dieser hightech Phantasie-Enklave, zweifellos mit weniger vornehmen Unterkünften am Rande.“ 67 Trotz dieser eher ernüchternden Einschätzung Hutnyks gehen 80% der in Kuala Lumpur befragten Personen davon aus, dass durch neue Technologien neue, gut bezahlte Arbeitsplätze ge- schaffen werden.

61 Vgl. MDC 2003, 8 62 Bishop zit. n. o.V. 2003b, 1f. 63 Miller, zit. n. o.V. 2003b, 1f. 64 Lim Wai Lai, Email vom 03.10.2003 65 Vgl. http://www.mdec.com.my/. 66 Hutnyk 1997, o.S. 67 Hutnyk 1997, o.S.

112 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

5.2 Der MSC-Status „The Malaysian Government has always been business friendly, and we are going to be even friendlier to those who participate in the MSC.” 68 Um Investoren anzulocken, wird von der MDeC der so genannte MSC-Status an kooperati- onsbereite Multimedia-, IT-, und Forschungsunternehmen verliehen, deren Geschäftsfeld an den Flaggschiff-Anwendungen angelehnt ist.69 Der Status öffnet den Unternehmen das Tor zu einer Reihe von finanziellen und regulatorischen Vorteilen, die im Oktober 2006 bereits von 1.596 MSC-Status-Unternehmen genossen wurden. Besonders stolz ist das MSC- Management auf bereits 77 angesiedelte Global Player, unter ihnen NTT, INTEL, Siemens Multimedia, Fujitsu, Sun Microsystems, Nokia und BMW Technology Centre.70 Die an den MSC-Status geknüpften Zugeständnisse an Investoren sind in einem Garantiege- setz (Bill of Guarantees) festgelegt, in diesem verpflichtet sich die Regierung: - Eine physische- und Informationsinfrastruktur von Weltklasse zur Verfügung zu stellen; - die uneingeschränkte Beschäftigung von ausländischen und inländischen Arbeitskräften zuzulassen; - die Freiheit auf Eigentum zu gewähren, indem MSC-Unternehmen von Eigentumsbe- schränkungen befreit werden; - den Zugang zu den weltweiten Kapitalmärkten für Investitionen in die MSC-Infrastruktur zuzulassen und das Recht zu gewähren, Finanzkredite weltweit aufzunehmen; - die MSC-Unternehmen bis zu zehn Jahre von der Einkommenssteuer zu befreien oder eine Steuerbefreiung auf Investitionen zu gewähren; - die Importsteuern auf Multimedia Equipment zu erlassen; - eine regionale Vorreiterrolle beim Schutz des intellektuellen Eigentums und bei der Cy- ber-Gesetzgebung zu übernehmen; - den unzensierten Internetzugang zu gewähren; - global wettbewerbsfähige Telekommunikationstarife anzubieten; - MSC-Infrastrukturverträge an führende MSC-Unternehmen zu vergeben; und - die MDeC als zentrale Anlaufstelle für alle Belange zu errichten.71 Darüber hinaus wird den MSC-Status-Unternehmen der malaysische Marktzutritt, Subventionen für Forschung und Entwicklung sowie die Existenz von Risikokapitalfirmen garantiert. Vor allem letzte- res ist für die Entfaltung des Technologieparks von großer Bedeutung, denn nur durch Venture Capital in ausreichendem Umfang ist die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen gesichert.72 Dass die im Garantiegesetz zugesicherten Investitionsanreize einen positiven Einfluss auf die Ansiedelung von Unternehmen haben, zeigt auch eine im Sommer 1998 von Steven Jackson und Vincent Mosco durchgeführte Erhebung. Bei der Befragung von 154 MSC-Unternehmen

68 Mahathir 1998, 53 69 Vgl.http://www.geog.uni-hannover.de/wigeo/singapur/referate/10_referate.pdf 70 Vgl. http://www.mdec.com.my/ 71 Vgl. MDC 2002, 4f. 72 Vgl. Abdullah 2002, 78

113 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter gaben Betriebe mit einer ausländischen Mehrheitsbeteiligung an, dass die Befreiung von Ein- kommenssteuer und Eigentumsbeschränkungen, der Erlass von Importsteuern und das Recht auf uneingeschränkte Beschäftigung von in- und ausländischen Wissensarbeitern entschei- dende Investitionsmotive bildeten. Nationale Unternehmen gaben an, hauptsächlich aufgrund von Steuerbefreiungen, der Abänderung von gesetzlichen Bestimmungen und finanziellen Zuschüssen für Forschung und Entwicklung in den Technologiepark zu investieren. Bei nati- onalen und ausländischen Unternehmen spielten die physische Infrastruktur und die Existenz der Multimedia Universität eine untergeordnete Rolle. Alle befragten Unternehmen äußerten sich positiv über das starke Engagement der Regierung, da die politische Unterstützung, vor allem von einheimischen Unternehmen, als Sicherheit für das Projekt interpretiert wurde. Im Rahmen der Untersuchung wurde auch die Beliebtheit des Unternehmensstandorts Cyberjaya untersucht. Obwohl die Regierung anstrebt, durch die Agglomeration von Unternehmen und Forschungs-/Bildungseinrichtungen ein optimales Innovationsmilieu zu errichten, widerstrebt es vielen Unternehmen, ihren Firmensitz von Kuala Lumpur Zentrum nach Cyberjaya zu ver- legen.73 Dies mag auch mit ein Grund für die landesweite Errichtung von Cybercities sein, denn dadurch müssen Unternehmen für den Erhalt des MSC-Status nicht zwangsläufig in den MSC übersiedeln – seit kurzem ermöglicht die malaysische Regierung die Nutzung der Vor- teile nämlich auch in den neu gegründeten „Zweigstellen“.

5.3 Cybergesetze als Teil des MSC Neben den diskutierten Investitionsanreizen bietet der MSC auch einen besonderen Rechtssta- tus, die so genannten Cyberlaws. Diese garantieren den Schutz des Urheberrechts74 und die Verfolgung von illegalen Handlungen in Computernetzwerken. Auch die Erleichterung der elektronischen Geschäftsabwicklung steht im Fokus der Gesetze. Bis auf den Communication and Multimedia Act von 1998, der noch gesondert behandelt wird, wird folglich eine Aus- wahl an Cyberlaws vorgestellt. - Digital Signature Act 1997: Der im Oktober 1997 in Kraft getretene Digital Signature Act hat das Ziel, die elektronische Geschäftsabwicklung zu erleichtern und Online-Trans- aktionen sicherer zu machen. Durch das Gesetz genießt die elektronische Unterschrift den gleichen Rechtstatus wie eine handgeschriebene Signatur. Die Regierung geht davon aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem starken Anstieg der E-Commerce Umsät- ze und dem Erlass des Digital Signature Act besteht.75 - Computer Crimes Act 1997: Der im Juni 1997 in Kraft getretenen Computer Crimes Act dient vorrangig dem Datenschutz. So machen sich Personen strafbar, die sich unerlaubt Zugang zu geschützten Programmen/Daten verschaffen oder Computerprogramme miss-

73 Vgl. Jackson;Mosco 1999, 34f. 74 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass das Urheberrecht dem Schutz des geistigen Eigentums von Autoren, Künstlern etc. und deren Erben dient. In der hier geführten Debatte hingegen, geht es um den Schutz des (materiellen) Eigentums der IT-Industie. (Vgl. Knoche 1999, 163) 75 Vgl. MDC 2001, 34

114 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

brauchen, um Daten und Inhalte unerlaubt zu modifizieren. Das Gesetz gilt für alle Men- schen, ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft und kann aufgrund des globalen Informations- und Datenflusses auch dann zur Verurteilung führen, wenn die illegale Handlung außer- halb der nationalstaatlichen Grenzen verübt wird.76 Das Aufspüren von illegalen Tätigkei- ten in digitalen Netzwerken obliegt der neu errichteten Computer Crimes Unit, die dem Royal Police Department of Malaysia untergeordnet ist.77 - Copyright (Amendment) Act 1997: Das Copyright-Gesetz, in dem die Vereinbarungen der WIPO-Copyright Treaty übernommen wurden, trat im April 1999 in Kraft und dient dem Schutz des materiellen Eigentums der Content Industrie. Auch das Umgehen von Pass- wörtern und kryptografischen Verfahren, die zum Schutz des Eigentums der IT-Industrie dienen, ist unter dem Copyright (Amandment) Act strafbar.78 - Telemedicine Act 1997: Das Telemedizin-Gesetz bildet die Grundlage für den Einsatz von Audio-, Video- und Datenübertragungsgeräten zu medizinischen Zwecken.79 - Optical Discs Act 2000: Durch den Optical Discs Act müssen all jene, die u.a. DVDs, CDs, CD-ROMs, CD-Is, Laser Discs herstellen, um eine Lizenz ansuchen. Dadurch soll das illegale Verbreiten von Raubkopien unterbunden werden.80 Allerdings boomt der Ver- kauf von nicht lizenzierten Produkten in Malaysia nach wie vor. So werden Raubkopien großer Hollywood-Produktionen lange vor der internationalen Premiere verkauft und auch die neueste Software und Computerspiele können ohne Probleme illegal und zu günstigen Preisen erstanden werden.

6 Malaysias Mediensystem: Reif für das Informationszeitalter? „Manchmal werden die Medien als Wachhund bezeichnet. Sie sollen wachsam, immer umsich- tig, jederzeit zum Bellen bereit sein, wenn es den kleinsten Hinweis auf Ungerechtigkeit gibt. In Malaysia durfte dieser Wachhund niemals seine ihm zugeschriebene Rolle spielen. Er wurde an einer kurzen Leine gehalten und diese Leine wurde von Jahr zu Jahr kürzer.“ 81 Während im Bereich der Wirtschaftspolitik zahlreiche Maßnahmenpakete geschnürt und implemen- tiert wurden, um Malaysias Transformation in eine Informationsgesellschaft voranzutreiben und auch die gesamtwirtschaftliche Vernetzung umfassend erfolgt ist, bestehen im Mediensystem noch gravierende Defizite. Zwar verfügt das Land über eine gut ausgebaute Telekommunikationsinfra- struktur und wettbewerbsfähige Tarife, die Freiheit und Unabhängigkeit des Mediensystems ist je- doch nicht gegeben. Nach wie vor dominieren Zensur und Selbstzensur, da die Medien von der Re- gierung als geeignetes Mittel angesehen werden, die Staatsideologie von nationaler Einheit, morali- schen Werten und Entwicklung umzusetzen. Vor allem die Kritik am herrschenden politischen Sys-

76 Vgl. MDC 2001, 34f 77 Vgl. Mahathir 1998, 41 78 Vgl. MDC 2001, 34 79 Vgl. Mahathir 1998, 41 80 Vgl. MDC 2001, 34 81 Muzaffar 1993, 84

115 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter tem ist verpönt, weshalb strategische Entscheidungen der Politik in den Medien selten diskutiert und politische Debatten allerhöchstens vorsichtig gestreift werden.82 Dies verdeutlicht auch das Zitat des Gründers und Präsidenten des Institute of Creative Technology, Lim Kok Wing: „In news and en- tertainment, we need not look to the Western content as the model […]. The national media, since Independence, has been an instrument of nation building. These values are proudly kept by Ma- laysians, though they are certainly different from Western media values which take on a more confrontational approach with the government.” 83 Vor allem das Gesetz zum Schutz der inneren Sicherheit – der Internal Security Act (ISA) – der eine zweijährige Inhaftierung ohne Gerichtsurteil legitimiert sowie der Printing Presses and Publications Act von 1984 erschweren oder verhindern eine objektive Berichterstattung. Darüber hinaus ermög- licht der Zwang zur jährlichen Erneuerung der Rundfunk- und Presselizenzen, missliebige oder kri- tische Medien zu verbannen. Doch auch in dem südostasiatischen Schwellenland steht der strengen, ja gar autoritären Überwachung des Medienmarktes eine zunehmend kommerzialisierte und trans- nationalisierte Programmindustrie gegenüber. Global operierende Mediengiganten wie etwa die Time Warner Company, Viacom International Inc. und Rupert Murdochs News Corporation sind schon seit einigen Jahren in den malaysischen Medienmarkt eingedrungen. Sie sind aber, zumindest seitens der Politik, unerwünscht und so gilt es für globale Medienkonzerne umso mehr, nach dem Prinzip „global denken – lokal handeln“ zu agieren, um den nationalen Stolz nicht anzukratzen. Murdochs Star TV verfolgt aus diesem Grunde seit 1994 konsequent eine Strategie der Lokalisie- rung und bietet verschiedene Sendepakete mit räumlicher Fokussierung an.84 Jedes dieser Pakete wird auf das nationale Rezeptionsmuster und den kulturellen Kontext des jeweiligen Ausstrah- lungsgebiets abgestimmt. Durch die Anpassung der Programme an nationale Gegebenheiten brachte das Eindringen globaler Medienriesen in den malaysischen Medienmarkt zwar eine Vielzahl an Angeboten mit sich, die inhaltliche Vielfalt blieb jedoch aus.

6.1 Regulierte Selbstregulierung der Medien im Zeichen der Konvergenz Als indirekte Auswirkung der Vision 2020 wurde 1997/98 eine Kommunikationsreform in Ma- laysia eingeleitet. Die Kernpunkte dieser Reform bilden der Erlass des Communications and Multimedia Act 1998 (CMA 1998) und des Communications and Multimedia Commission Act (CMCA 1998) sowie die Schaffung der Malaysian Communication and Multimedia Commissi- on (MCMC) und des Ministry of Energy, Water and Communication (MEWC). Die Regulierung des malaysischen Medienmarktes wurde mit der Implementierung des CMA 1998 grundlegend verändert, da nach australischem Vorbild erstmals die so genannte Co- Regulierung, also die Kooperation von staatlichen Aufsichtsbehörden mit Selbstregulierungs-

82 Vgl. Bunz 2001, o.S. 83 Wing 2002, 62f. 84 Star TV Hong Kong, Star TV India, Star TV Indonesia, Star TV Mainland China, Star TV Malaysia, Star TV Philippines, Star TV Singapore, Star TV South Korea, Star TV Taiwan, Star TV Thailand. (Vgl. www.startv.com)

116 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter instanzen, eingeführt wurde.85 Im Zuge dessen wurden die zehn Ziele der Multimediaindustrie im CMA 1998 wie folgt festgelegt: - „To establish Malaysia as a major global centre and hub for communications and multi- media information and content services; - To promote a civil society where information-based services will provide the basis of con- tinuing enhancements to quality of work and life; - To grow and nurture local information resources and cultural representation that facili- tate the national identity and global diversity; - To regulate for the long-term benefit of the end-user; - To promote a high level of consumer confidence in service delivery from the industry; - To ensure provision of affordable services over ubiquitous national infrastructure; - To create a robust applications environment for end users; - To facilitate the efficient allocation of resources such as skilled labour, capital, knowl- edge and national assets; - To promote the development capabilities and skills within Malaysia’s convergence industries; - To ensure information security and network reliability and integrity.” 86 Der CMA 1998 basiert auf der Förderung des Wettbewerbes, der technologischen Neutralität und dem Ziel, allen Bewohnern des Landes den Zugang zu Informations- und Kommunikations- technologien zu ermöglichen. Zusätzlich wurde das vormals aus 31 unterschiedlichen Kategorien bestehende Lizenzierungsschema für den Rundfunk-, Telekommunikations- und Netzwerkbereich vereinfacht, was zu folgenden vier Kategorien von Lizenznehmern geführt hat: (a) Network Facili- ties Provider, (b) Network Services Provider, (c) Application Services Provider und (d) Content Application Services. Auch der Konvergenz von Rundfunk, Telekommunikation und Computermedien wurde im neuen Mediengesetz Rechnung getragen. Dieses regelt die Bereiche Telekommunikation, Rundfunk und Online-Netzwerke erstmals gemeinsam. Die in Malaysia bestehende Cross Sector Competition Regu- lierung, die ein entscheidendes Konvergenzhindernis darstellt, wurde jedoch nicht aufgehoben.87

85 Vgl. Schulz; Held 2002, o.S. 86 Legal Research Board 2002, 16 87 Vgl. IUT 2002, 6

117 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

6.2 Hauptakteure des Medien- und IT-Systems Abbildung 3: Hauptakteure 88

Der Vorgänger des Ministry of Energy, Water and Communication (MEWC) – das Ministry of Energy, Communication and Multimedia (MECM) – wurde am 01.11.1998 durch eine Um- strukturierung des Ministry of Energy, and Posts gegründet. Die Haupt- aufgabe des MECM war in etwa jene des heutigen MEWC und bestand in der Formulierung und Festlegung der IT-, Multimedia- und Energiepolitik. Das heutige Ministerium regelt jedoch zusätzlich die Wasserwirtschaft. Darüber hinaus hat das MEWC im Vergleich zu seinem Vor- gänger weniger den Status eines Dienstleisters, vielmehr wird es nun als Ministerium mit höchster strategischer Entscheidungsbefugnis wahrgenommen. Der Communications and Mul- timedia Act 1998 (CMA 1998) sowie die dem CMA 1998 untergeordneten Gesetze (Malaysian Communication and Multimedia Commission Act, Energy Communication Act, Digital Signa- ture Act) liegen in der Gerichtsbarkeit des MEWC.89 Im Rahmen der ersten Umstrukturierung des Ministeriums wurde im Jahr 1998 zusätzlich die Malaysian Communication and Multimedia Comission (MCMC) als Regulierungsinstanz der Telekommunikations-, Rundfunk- und Online-Netzwerke geschaffen. Zu den Funktionen der MCMC zählen die ökonomische, technische und soziale Regulierung sowie die technische Stan- dardisierung und die Kontrolle von Inhalten. Vor allem der letzte Punkt ruft den Widerstand der Opposition hervor, da man befürchtet, dass der CMA 1998 die Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit noch verschärfen könnte. Diese Sorge scheint begründet, da unklar definierte Berei- che wie die Veröffentlichung „verwerflicher oder falscher Inhalte“ sowie die „nicht zutreffende Darstellung der Kultur und politischen Identität Malaysias“ zu Gefängnisstrafen führen. Die Ü- berwachung der Inhalte durch die MCMC wurde vom Kommissionsvorsitzenden Syed Hussein Mohammed gerechtfertigt, sie findet seiner Ansicht nach statt, „damit die Menschen nicht die

88 ITU 2001, 7 89 Vgl. http://www.ktkm.gov.my

118 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Medien verwenden, um andere aufzuhetzen.“ 90 Eine weitere Hauptaufgabe der MCMC ist die Heranführung der Industrieakteure an das Konzept der Selbstregulierung, da diese dem von Aust- ralien übernommenen Modell größtenteils noch skeptisch gegenüberstehen. Darüber hinaus ist die Kommission für die Beratung des zuständigen Ministers in Fragen der Multimedia-Politik und für die Durchsetzung der Multimedia-Gesetze zuständig.

6.3 Tagespresse „Malaysias Premier hat die freie Presse vernichtet.“ 91 Zensur und Selbstzensur sind in Malay- sias Presse, deren letzte unabhängige Berichterstattung beim Unabhängigkeitskampf in den 1950er Jahren stattfand, an der Tagesordnung. „Die Folge sind Zeitungen, die man kaum in die Hand nehmen mag, die sich vor allem in Wahlkampfzeiten schamlos zu Propagandablättern der Regierung wandeln (und Anzeigen der Opposition abweisen), die mehr an Glaubwürdigkeit verlieren – und an Auflage.“ 92 1999 – 2001 haben fünf der über 60 Tageszeitungen aufgrund kritischer Berichterstattung ihre jährlich zu erneuernde Lizenz verloren. Im Sommer 2001 wur- den schließlich die letzten beiden Zeitungen die gelegentlich die Politik Mahathirs kritisierten vom Koalitionspartner der UMNO aufgekauft. Der Verkauf wurde vom ehemaligen Premier, der seine Kritiker als Kommunisten und Terroristen bezeichnet, persönlich arrangiert. Das Mo- tiv dafür lieferte er gleich dazu: „Weil sie gegen uns waren.“ 93 Die Unterdrückung der Tageszeitungen erreichte im Zusammenhang mit den Massenverhaftun- gen am 27.10.1987 einen traurigen Höhepunkt. Damals wurden unter dem Internal Security Act (ISA) regimekritische Personen, unter ihnen der reformorientierte designierte Nachfolger Ma- hathirs, Ibrahim Anwar, festgenommen. Nach den Verhaftungen wurde weder die Gesamtzahl der Inhaftierten noch deren Namen von der Regierung freigegeben, doch keine einzige Zeitung nahm die Aufgabe wahr, diese Informationen einzufordern. Auch den kursierenden Gerüchten über das Befinden der Inhaftierten wurde von den Tageszeitungen keine Aufmerksamkeit ge- schenkt, da die Regierung befahl die Nachrichten über die ISA-Inhaftierten auf ein Minimum zu reduzieren. Die Redakteure gehorchten treu. Selbst Abänderungen des Presse-, des Polizei- und des Vereinsgesetzes wurden von einem Großteil der Tageszeitungen gerechtfertigt, obwohl da- durch die Meinungs-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit drastisch eingeschränkt wurde.94 Trotz der massiven Beschränkung der Pressefreiheit ist die Presse ein beliebtes Medium bei der Informationssuche. Denn sie wurde von den in Kuala Lumpur befragten Personen nach dem Fernsehen als informativstes Medium eingestuft. Fast die Hälfte (43%) der Probanden bezeich- nete die Presse als wichtiges Informationsmedium. 17% stuften sie bei der Informationssuche als wichtig ein, 25% als eher unwichtig und 15% als unwichtig. Erstaunlich ist die hohe Anzahl

90 Rötzer 1997, o.S. 91 Haubold 2001, o.S 92 Haubold 2001, o.S 93 Mahathir zit. n. Haubold 2001, o.S. 94 Vgl. Muzzafar 1993, 84

119 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter der Zeitungsabonnements. Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass mehr als die Hälfte (54%) der Probanden in ihrem Haushalt über ein Abonnement verfügt.

6.4 Rundfunk Die Geschichte des malaysischen Hörfunks begann 1921, die des Fernsehens am 28.12.1963 als mit Channel One (später TV1 bzw. RTM1) das Schwarz-Weiß-Fernsehen durch die staat- liche Station Radio Television Malaysia (RTM) eingeführt wurde. Zu Beginn sendete die RTM nur fünf Stunden pro Tag aus ihren provisorischen Studios in der Tuanku Abdul Rah- man Halle in Jalan Ampang. Sechs Jahre später wurden die Studios in den Kompleks Angka- sapuri in Bukit Putra verlegt und das Angebot der RTM um einen zweiten Fernsehkanal (TV2 bzw. RTM2) erweitert.95 Farbfernsehen wurde am 28.12.1978 implementiert. RTM1 sendete von Beginn an hauptsächlich in Bahasa Malaysia, TV2 hingegen strahlte auch Sendungen in Chinesisch, Tamil und Englisch aus und bediente somit die ethnischen Minderheiten.96 Im Jahr 2001 verkündete RTM auch das Programm von RTM1 zu modifizieren und zukünftig mehr Sendungen für Nicht-Malaien auszustrahlen, um die pluralistische Gesellschaft Malay- sias zur Geltung zu bringen. So meinte der parlamentarische Staatssekretär im Informations- ministerium Datuk Zainuddin Maidin: „Wir müssen aus dem Kokon der Vergangenheit he- rauskommen und die Zuschauer von TV1 haben einen Anspruch darauf, die Wirklichkeit zu sehen anstatt produzierte Eindrücke von der Multi-Ethnizität des Landes.“ 97 Zeitgleich mit der Implementierung des Fernsehens wurden von der Regierung das Television Department und das Radio Department eingerichtet. Beide Institutionen kamen unter die Zu- ständigkeit des Ministry of Information, dessen Hauptanliegen die Kontrolle von Inhalten ist und dessen Richtlinien wie folgt aufzulisten sind:

- „To explain in depth and with the widest possible coverage government policies and pro- grammes to ensure maximum public understanding; - to stimulate public interest and opinion to achieve its deserved changes; - to assist in promoting civic consciousness and fostering development of Malaysian arts and culture; - to provide suitable elements of popular education, general information, and entertainment; - to promote national unity, by using Bahasa Malaysia in a multiracial society toward the propagation of a Malaysian culture and identity.” 98 Nach Angaben der ITU waren im Jahr 2000 81% aller Haushalte mit einem Fernsehgerät ausges- tattet; während die Penetration auf der Halbinsel nahezu 100% betrug, war die Anzahl der TV- Haushalte in Ostmalaysia geringer. Circa 0,3% der Haushalte wurden von einem Kabelnetz- betreiber versorgt, 13% besaßen einen Parabolspiegel. Die hohe TV-Durchdringungsrate West- malaysias wurde auch durch die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung bestätigt, denn 97%

95 Vgl. TMB 2003, 10 96 Vgl. Safar; Sarji; Gunaratne 2000, 324 97 http://www.duei.de/ifa/de/content/zeitschriften/ soa/soaue033601.html 98 Nain; Anuar 2000, 154

120 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter der Probanden gaben an, in ihrem Haushalt über ein Fernsehgerät zu verfügen. Dieses wurde von einem Großteil (86%) der befragten Personen am Tag vor der Befragung und von 7% in der Wo- che zuvor letztmalig genutzt. Bei 1% fand die letzte Nutzung innerhalb der letzten vier Wochen vor der Befragung statt, bei 3% lag sie noch länger zurück. Im Rahmen der Untersuchung wurden die Probanden gebeten, die Wichtigkeit von Fernsehen, Hörfunk, Presse und Internet bei der In- formationssuche mit Noten von 1-4 (wichtig, eher wichtig, eher unwichtig, unwichtig) zu bewer- ten. Das Ergebnis zeigt, dass das Medium Fernsehen als wichtigstes Informationsmedium ange- sehen wird (59%). 22% bewerten das Fernsehen als eher wichtig, 15% als eher unwichtig und nur 4% als gänzlich unwichtig bei der Informationssuche.

6.4.1 Die Privatisierung des malaysischen Fernsehmarktes Bis Mitte der 1980er Jahre war das Fernsehen ein staatliches Monopol. Zunehmende finanzielle Probleme der staatlichen RTM, der Boom von Videokassetten und der spill over aus dem benach- barten Singapur veranlassten die Regierung, das Rundfunk-Monopol im Jahr 1984 zu beenden.99 Zurzeit teilen sich die staatliche Radio Television Malaysia (RTM) und vier private Free-TV-Sender sowie drei Pay-TV-Sender den Markt. Sistem Televisyen Malaysia Bhd. erhielt im Juni 1984 als erstes Unternehmen eine Lizenz, um den kommerziellen Fernsehsender TV3 zu betreiben. TV3 versorgte vorerst die wohlhabende Region Klang Valley, 16 Monate später, im Oktober 1985, be- gann TV3 sein Programm in ganz Malaysia auszustrahlen. Besonders amerikanische Serien wie etwa Knight Rider, Dynasty und Magnum erfreuten sich großer Beliebtheit und verhalfen dem neu- en Sender zu hohen Einschaltquoten. Im Jahr 1995 wurden zwei weitere Fernsehsender lizenziert: Metro Vision und Malaysias erster Kabelnetzbetreiber und Pay-TV-Sender MegaTV.100 Bis zum Jahr 2001 bot MegaTV seinen Kunden acht verschiedene Kanäle, unter anderem den News Channel (CNN), den Sports Channel (ESPN) sowie den Cartoons Channel (Cartoon Network), an und stellte seiner Klientel den zur Entschlüsselung der Programme notwendigen Decoder unentgeltlich zur Verfügung. 1996, nach dem Start des Malaysian East Asia Satellite (MEASAT1 und MEASAT2), wurde der Satellitensender ASTRO, der Malaysia mit vier pay per view-Kanälen und bis zu 56 TV- und 17 digitalen Radio-Kanälen – unter anderem MTV Asia, CNN, BBC World, HBO Asia und Star TV – versorgt, implementiert. Um alle Volksgruppen zufrieden zu stellen, wurden von ASTRO diverse lokale Kanäle, wie etwa RIA (Malay), AEC und Wah Lai Toi (Chinesisch) sowie Vaanavil (Indisch) ins Leben gerufen.101 Damit ASTRO seine Dienste aufnehmen durfte, musste das Fern- sehgesetz von 1988 abgeändert werden, denn dieses hatte den Direktempfang von Satellitensendern verboten. Durch die Abänderung des Gesetzes ist der Direktempfang nun legitimiert. Dies brachte allerdings auch die Vorschrift mit sich, dass private Parabolspiegel einen maximalen Durchmesser von nur 0,6 Meter aufweisen dürfen. Damit wurde sichergestellt, dass ausschließlich Programme

99 Vgl. Nain; Anuar 2000, 162ff. 100 Vgl. Safar; Sarji; Gunaratne 2000, 324 101 Vgl. ITU 2002, 17f

121 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter des heimischen MEASAT empfangen werden können. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift wird mit 10.000 Ringgit (2.111 €) und drei Monaten Haft bestraft.102 Durch den Satellitensender ASTRO und die 1997 beginnende Wirtschaftkrise verschlechterte sich die Situation von MegaTV zunehmend, weswegen der Sender seinen Kernbereich um die Tele- kommunikation erweitern wollte. Die bestehende Cross Sector Competition Regulierung verhinder- te jedoch die Erschließung neuer Geschäftsfelder, was 2001 die Einstellung des Senders nach sich zog. 1998 nahm Malaysias erster Privatsender, der digitales terrestrisches Fernsehen sendete – NTV7 (The feel good channel) – seine Dienste auf. Zusätzlich wurde 8TV im Jahr 2004 durch die Übernahme von Metro Vision durch die Media Prima Sdn. Bhd. gegründet. Als jüngstes Free-TV Unternehmen ist schließlich TV9 zu nennen, welches im April 2006 seine Dienste aufnahm.103

Abbildung 4: Malaysische TV-Stationen im Überblick 104

Art Station Inhaber Gründung Free-TV RTM1 Staat/Ministry of Information 1963 Free-TV RTM2 Staat/Ministry of Information 1969 Free-TV TV3 Privat/Media Prima Sdn. Bhd. 1984 Free-TV NTV7 Privat/Media Prima Sdn. Bhd. 1998 Free-TV 8TV Privat/Media Prima Sdn. Bhd. (vormals Metro Vision) 2004 Free-TV TV9 Privat/Media Prima Sdn. Bhd. 2006 Pay-TV Astro Privat/MEASAT Broadcast Network System (Tochter- 1996 unternehmen der Astro All Asia Networks) Pay TV MiTV Privat/mehrheitlich im Besitz von Tan Sri Vincent Tan 2005 – Präsident der Berjaya Group Pay-TV Fine TV Privat/Eurofine Sdn. Bhd. 2005 Eingestellt MegaTV Privat/wurde 2001 eingestellt 1995 (bis 2001) Relaunch Metro Vision Wurde 1999 eingestellt. 2004 relaunch als TV8 Relaunch Channel 9 Wurde eingestellt. 2006 relaunch als TV9

6.4.2 Malaysias TV-Markt: konzentriert und regierungsnah Media Prima Sdn. Bhd. ist das größte Medienunternehmen Malaysias mit starken Verbindungen zur führenden politischen Partei. Media Prima Berhad entstand durch einen 2003 vollzogenen Zusam- menschluss von Sistem Televisyen Malaysia Berhad mit der New Straits Time Press (Malaysia) Berhad. Abgesehen von den beiden staatlichen Sendern RTM1 und RTM2 besitzt das Unternehmen seit der Übernahme von NTV7 ein Monopol auf alle Free-TV-Sender Malaysias „Media Prima Berhad emerged as the sole owner of all the country’s free-to-air stations after its 100 percent ac- quisition of the NTV7 Group for a total of RM 90 million.“ 105 So ist das Unternehmen Eigentümer von TV3, NTV7, 8TV und TV9, darüber hinaus sind auch die Radio-Stationen Hot FM und Fly FM sowie die New Straits Time Press und das TV-Produktionsunternehmen Grand Brilliance Sdn. Bhd. in seinem Besitz. Wie bereits erwähnt, unterhält Media Prima Berhad gute Verbindungen zur UM- NO und so kritisiert die Inter Press Service New Agency „Visitors to Malaysia would be bewildered

102 Vgl. Nain; Anuar 2000, 167f. 103 Vgl. http://www.answers.com 104 htpp://www.answers.com 105 http://www.malaysiakini.com/news/42394

122 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter by the wide variety of newspaper, TV channels and radio stations that cater to most of the country’s several language groups. But as reality sinks in, it would become apparent that despite the decep- tively wide range, mainstream media is becoming consolidated in the hands of a small number of privately-owned conglomerates with close links to the political establishment.” 106 Doch nicht nur Malaysias größtes Medienunternehmen unterhält gute Beziehungen zur Regie- rung, auch der Satellitensender ASTRO unterliegt starkem politischen Einfluss, denn der Sender wird von MEASAT Broadcast Network System, einer Tochtergesellschaft des regierungsnahen Unternehmens Astro All Asia Networks plc., betrieben. MiTV schließlich ist im Besitz des Großindustriellen Tan Sri Vincent Tan – dem Präsidenten einer der größten Wirtschaftskong- lomerate in Malaysia, der Berjaya Group.107 Auch die beiden Sender RTM1 und RTM2 sind seit ihrer Übernahme durch das malaysische Informationsministerium im April 2006 vollständig unter die Kontrolle der Regierung geraten. Wie bei allen anderen Anbietern erstreckt sich die Zensur hauptsächlich auf politische, pornografische und Gewalt verherrlichende Inhalte.108

6.5 Telekommunikation Insbesondere in Verbindung mit der Vision 2020 und der damit einhergehenden Transformation Malaysias in eine Informationsgesellschaft und -ökonomie wird der Telekommunikation eine her- ausragende Bedeutung zugeschrieben: „As Malaysia progresses towards becoming a modern, industrialised nation by the year 2020, the sector is poised to grow in strength and sophistication. Telecommunication services serve as a key supporting industry to manufacturing and other service sectors such as finance, insurance, distribution, hotels and transportation while the manufacture of telecommunication products helps stimulate the direct expansion of manufacturing itself.” 109 Durch die intensive Förderung der Telekommunikations- industrie verzeichnet diese seit ihrem Bestehen hohe Zuwachsraten. Im Jahr 1960 verfügte Ma- laysia über weniger als 50.000 Telefonanschlüsse, das heißt, es stand nicht einmal ein Telefon für 100 Einwohner zur Verfügung. 40 Jahre später, Ende 2000, verfügte das Land bereits über 4,7 Millionen Festnetzanschlüsse, also rund 20 Festnetztelefone pro 100 Einwohner respektive einer Haushaltspenetration von 69,3% (im Gegensatz zu 31,7% im Jahr 1990). Ende des Jahres 2000 besaßen bereits knapp fünf Millionen Menschen ein Mobiltelefon, dies entspricht 22,3% der Be- völkerung.110 Hinsichtlich der Haushaltsdurchdringung von Festnetz- und Mobilfunktelefonen ergab die in Kuala Lumpur durchgeführte Befragung einen Anteil von je 69%. Im April 1946 startete Malaysias erster Festnetzbetreiber Jabatan Telekom Malaysia (JTM), dessen Telekommunikationsservices 1987 an die staatliche Telekom Malaysia Berhad (TMB) übertragen wurden. Als die TMB im November 1990 teilprivatisiert wurde, beendete Malay- sia als erstes asiatisches Land das staatliche Monopol am Telekommunikationsmarkt. Heute

106 http://www.ipsnews.net/africa/interna.asp?idnews=30060 107 Vgl. http://www.berjaya.com 108 Vgl. http://www.answer.com/topic/rtm2 109 Mahathir, 1998, 21 110 Vgl. ITU 2001, 17ff.

123 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter teilen sich im Geschäftsfeld der Festnetztelefonie vier Unternehmen, die teilweise auch Mo- biltelefonie und Internet anbieten, den Markt.111 Jeder Betreiber verfügt über eine eigene Inf- rastruktur, wobei jene der Telekom Malaysia Berhad (TMB) mit über 172.100 Kilometer Glasfaserleitungen die umfassendste ist. Ende 1992 hatte Malaysia 82% seiner Schaltsysteme und 63% seiner Übermittlungssysteme digitalisiert.112 Obwohl heute Maxis, Time (vormals Time dotCom) und DiGi am Wettbewerb auf dem Festnetzmarkt teilnehmen, ist ihr Marktan- teil im Vergleich zur TMB unbedeutend. Denn die von der Regierung kontrollierte TMB er- wirtschaftet rund 62% der gesamten Telekommunikationseinnahmen. Im Bereich der Fest- netztelefonie sind es sogar 86% und auch im Mobilfunk zeichnet sich die TMB mittels ihres Tochterunternehmens Celcom für immerhin 38% der Einnahmen verantwortlich.113 1985 führte Malaysia mit dem, von der TMB betriebenen analogen ATUR 450 (Automatic Te- lephone Using Radio) als erstes Land Südostasiens die Mobiltelefonie ein. Im gleichen Jahr star- tete Nokia mit dem Verkauf seiner Endgeräte und betrat über Malaysia den südostasiatischen Markt. Vier Jahre nach der Einführung der Mobilkommunikation eröffnete Celcom – mit seinem ART900 – den Wettbewerb. Dieser verstärkte sich, als 1995 weitere GSM-Betreiber lizenziert wurden.114 Noch bis vor Kurzem verfügte der sehr wettbewerbsintensive malaysische Mobil- funkmarkt über acht verschiedene Mobilfunknetze, die von fünf Anbietern betrieben wurden. Celcom dominierte den Markt mit einem Anteil von 29%, gefolgt von Maxis mit 28% und der TMB mit 18%. DiGi versorgte 16% und Malaysias kleinster Anbieter Time 8% aller Mobiltele- fon-Besitzer. Nach einer Konsolidierungsphase, in der Celcom von TMB und Time von Maxis übernommen wurde, reduzierte sich die Zahl der Anbieter und so wird Malaysia heute von drei Unternehmen versorgt. Die Marktanteil-Struktur stellt sich dabei wie folgt dar: Maxis besitzt mit 5,86 Millionen Kunden den größten Marktanteil (40,4%), gefolgt von Telekom Malaysia (Cel- com) mit 5,52 Millionen Kunden und einem Anteil von 38,1%. Kleinster Anbieter ist DiGi mit 3,12 Millionen Nutzern respektive einem Anteil von 21,5%. Als Folge des starken Wettbewerbs sanken auch die Tarife. So verbilligten sich internationale Telefonate um bis zu 67%. Nationale Telefongebühren sanken um bis zu 23%.115 TMB und Maxis erhielten im Jahr 2003 eine Lizenz für die breitbandige Kommunikation der dritten Generation (3G). Beide Unternehmen nahmen die kommerzielle Verwertung im Jahr 2005 auf. DiGi nimmt bislang noch nicht am Wettbewerb teil, signalisierte jedoch bereits Interesse am Erwerb einer Lizenz.116 In den vergangenen Jahren nahm die Anzahl der Mobiltelefon-Nutzer in einem so starken Aus- maß zu, dass deren Anzahl im Jahr 2000 erstmals jene der Festnetznutzer überstieg. Bei einer im Jahr 2004 durchgeführten Studie, die die Verfügbarkeit von Mobiltelefonen untersucht, liegt Ma-

111 Vgl. Jussawalla 2001, 29 112 Vgl. ITU 2002, 8ff. 113 Vgl. http://www.gii.co.jp/english/iti29831-malaysia-telecom.thml 114 Vgl. ITU 2001, 19 115 Vgl. MGCC 2006, 4f. 116 Vgl. http://www.espicom.com/web3.nsf/structure/tel_bksmalaysia?OpenDocument

124 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter laysia auf Platzt 41 von 104 untersuchten Nationen.117 Die Mobilkommunikation scheint vor al- lem bei den jüngeren Bürgern Malaysias einen wichtigen Stellenwert einzunehmen. Denn laut einer von ConsumerLab durchgeführten Studie fühlen sich 76% der 15- bis 19-Jährigen unvoll- ständig, wenn sie ohne Mobiltelefon unterwegs sind. Auch die Nutzung des Short Message Service (SMS) scheint bei dieser Personengruppe eine durchaus beliebte Beschäftigung zu sein. So gaben 60% der Probanden an, lieber Kurznachrichten zu versenden als sich ihre Freizeit mit dem Lesen von Büchern zu vertreiben.118 Diese heute äußerst beliebte Art der Kommunikation ist ein relativ junges Phänomen, denn die SMS-Nutzung war bis zum Jahr 2001 verschwindend gering. Der Grund dafür waren die verhältnismäßig hohen Gebühren und der Umstand, dass das Versenden von Mitteilungen nur innerhalb eines Netzes möglich war. Einen starken Aufschwung erlebte das Ge- schäft mit Textnachrichten im Jahr 2004, als sich aufgrund des starken Wettbewerbs und dem damit verbundenen Preiskampf die Gebühren abermals reduzierten. Im Jahr 2004 registrierten die Tele- kommunikationsunternehmen 9,5 Milliarden gesendete Kurznachrichten, was einen Ertragsanteil an der mobilen Datenübertragung von 16% entspricht (im Gegensatz von 6,2 Milliarden Textnachrich- ten beziehungsweise 12% Ertragsanteil im Jahr 2003). Dieses rasante Wachstum zog auch die Nut- zung von SMS zu Werbezwecken mit sich, insbesondere TV-Sender nutzen heute die mobile Da- tenkommunikation, um ihren Zusehern eine interaktive Plattform zu bieten und Kunden zu binden. Auch das Mobile Payment, also die Bezahlung von Kino- und Konzertkarten, von Getränken an Getränkeautomaten etc. mit dem Mobiltelefon, beginnt sich langsam durchzusetzen.119

6.7 Internet Malaysias erstes Computernetzwerk Rangkaian Komputer Malaysia (RangKom) wurde 1986 als universitäres Netz zwischen der Universiti Malaya, der Universiti Putra Malaysia, der Universiti Sains Malaysia und der Universiti Teknologi Malaysia errichtet. Es verfügte über Verbindungen nach Australien und Südkorea sowie in die USA und die Niederlande. RangKom ermöglichte den Teilnehmern erstmals via E-Mail zu kommunizieren und Informationen über die Newsgroup zu generieren. Ein Jahr nach der Gründung von RangKom startete die TMB das Vi- deo Text Service TELITA, welches einfache computerbasierte, interaktive Anwendungen ermög- lichte. TELITA wurde zwei Jahre nach seiner Einführung aufgrund mangelnder Akzeptanz einge- stellt.120 Ein weiterer Meilenstein war die Implementierung von Malaysias erstem Internet Service Pro- vider (ISP) Joint Advanced Integrated Networking – kurz Jaring – im Jahr 1992 durch das Ma- laysian Institute of Microelectronic Systems (MIMOS). Vier Jahre später folgte die TMB mit ihren ISP TMNet. Das Dyopol vom TMB und MIMOS wurde 2000 durch die Lizenzierung von Maxis, DiGi und Time beendet. Kurz darauf wurde der Nippon Telegraph and Telephone Japan (NTT) mit dem ISP Arcnet als erstem ausländischem Unternehmen die Partizipation am malay-

117 Vgl. Dutta; Lopez-Carlos 2005, 264 118 Vgl. TMB 2003, 3 119 Vgl. MGCC 2006, 4 120 Vgl. Hashim; Yusof; Mustaffa 2002, 43

125 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter sischen ISP-Markt gewährt. Wie auch in der Telekommunikation dominiert die TMB den Inter- netmarkt. So betreut die TMB 58% aller Internetnutzer, die sich über das Telefonnetz einwählen und 90% aller Breitband-Nutzer. Hauptkonkurrent ist Jaring, wobei betont werden muss, dass der Wettbewerb zwischen beiden Anbietern erst Mitte 2004 richtig entfacht wurde. Bis zu die- sem Zeitpunkt erhielt Jaring nämlich keine formale Breitband-Netzwerk-Lizenz, weshalb die aggressive Bearbeitung des Marktes nicht möglich war.121 Die verschiedenen ISP Malaysias hatten nach Angaben der Malaysian Communication and Multimedia Commission im Juni 2001 insgesamt zwei Millionen Abonnenten. Die Associati- on of Computer and Multimedia Industry of Malaysia (PIKOM) schätzte die Anzahl der PCs im selben Jahr auf 2,2 Millionen und die der Internetnutzer auf rund 4 Millionen. Dies ent- spricht 17,2% der Bevölkerung. Bei der in Kuala Lumpur durchgeführten Erhebung gaben 74% der befragten Personen an, das Internet zu nutzen, wobei der Anteil der weiblichen User leicht über jenem der männlichen lag. So nutzen von den 49 befragten Frauen 76% das Inter- net, von den 51 befragten Männern taten dies nur 73%. Die Ergebnisse der Befragung zeigen deutlich, dass eine Verbindung zwischen dem Bildungsniveau und der Internetnutzung be- steht, denn von jenen Personen, die nur eine Grundschule besucht haben, nutzt niemand das Internet. Jene Gruppe, die eine dreijährige Sekundarschule besucht hat, besteht zu 45% und jene, die eine fünfjährige Sekundarschule besucht hat, zu 64% aus Internet-Usern. Alle Perso- nen, die eine universitäre Ausbildung genossen haben, nutzen das Medium. Die Verwendung des Mediums ist vor allem bei den 14- bis 34-Jährigen sehr ausgeprägt. Die ethnische Zuge- hörigkeit scheint keine gravierenden Auswirkungen auf die Internetnutzung zu haben. Mehr als die Hälfte (55%) der befragten Personen verfügt über einen Internetanschluss in ihrem Haushalt. Dort wird das Medium auch von der Mehrheit (59%) verwendet. 24% nutzen es am Arbeitsplatz, 16% in einem der zahlreichen Internetcafés und nur 1% bei Bekannten oder Ver- wandten. Als Informationsmedium nimmt das Internet aber nur Platz drei (hinter TV und Presse) ein. Trotz allem bezeichneten 40% der befragten Personen das Internet als wichtig bei der Informationssuche, 16% als eher wichtig, 13% als eher unwichtig und 30% als gänzlich unwichtig. Bei jenen 74%, die das Internet generell nutzen, lag die letzte Anwendung bei 47% nur einen Tag zurück, bei 39% fand sie in der Woche vor der Befragung statt und bei 8% im Monat davor. 6% der Probanden nutzen das Internet selten, deren letzte Nutzung lag länger als einen Monat zurück. In Anbetracht der Tatsache, dass der erste ISP Malaysias seine Dienste im Jahr 1992 aufnahm, ist der Anteil jener Personen, die das Internet länger als fünf Jahre nutzen (30% aller befragten Internetnutzer), erstaunlich hoch. Immerhin 9% nutzen das Internet seit fünf Jahren, jeweils 14% nutzen das Medium seit zwei, drei oder vier Jahren und 19% erst seit einem Jahr. Die Anzahl der Internetnutzer ist weiter im Steigen begriffen, was unter anderem auf die günsti- gen Tarife zurückzuführen ist. Malaysia ist nach Singapur das Land mit den billigsten Internettari-

121 Vgl. http://www.espicom.com/web3.nsf/structure/tel_bksmalaysia?OpenDocument

126 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter fen Südostasiens. Das kostengünstige Surfen im Netz ist der, in Malaysia weltweit erstmals er- probten, getrennten Abrechnung von Sprachtelefonie und Internet zu verdanken. So werden Onli- ne-Verbindungen seit 1996 durch das Vorwählen eines speziellen Codes zu niedrigeren Preisen abgerechnet als Telefongespräche. TMnet beispielsweise verrechnet für lokale Telefonate drei Sen (0,0063 €) pro Minute, eine Minute im Netz kostet hingegen nur 2,5 Sen (0,0053 €).122 Wie ausführlich dargestellt, basiert das 21. Jahrhundert auf der gesamtwirtschaftlichen Vernetzung durch neue Medien. Die Transformation von Malaysias Wirtschaft und die sich daraus ergebenden ökonomischen Vorteile sind auch der Grund für die massive Förderung des Internets durch die Re- gierung. Aufgrund des Multimedia Super Corridors und um ausländische Investoren nicht abzu- schrecken, wird das Internet, zumindest nach Aussagen führender Politiker – allen voran Malaysias Ex-Premierminister Mahathir – frei von Zensur gehalten: „We will not censor the internet.“ 123 Die Freiheit des Mediums wird auch in dem bereits diskutierten Garantiegesetz zugesichert. Bei genauer Betrachtung kommt jedoch zum Vorschein, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden. Denn 1998 wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Internet nach kritischen Informationen durch- forstet und der ehemalige Premierminister drohte bereits mehrmals, Teile des Internets zu zensieren, um den Bürgern den Zugang zu pornografischen und anderen unmoralischen Websites zu sperren. Leo Moggie, Kommunikationsminister Malaysias, verlautbarte am 26.01.2000: „The government has no intention to monitor the Net but it will act against all those who do not respect the law.” 124 Angesichts der Tatsache, dass Personen, die „verwerfliche Inhalte“ oder „falsche Informationen“ veröffentlichen, zu jenen gehören, die nicht gesetzeskonform publizieren und somit inhaftiert wer- den können, kann man nicht von einem zensurfreien Internet sprechen. Dass die Drohung Moggies ernst gemeint ist, bestätigt ein Bericht der NGO Reporter ohne Grenzen. Demzufolge wurden im Jahr 2001 sechs Cyberdissidenten aufgrund der Verdächtigung, staatsgefährdendes Material publi- ziert zu haben und den Sturz der Regierung zu planen, durch den Internal Security Act inhaftiert. Das Ausmaß der Zensur in Malaysias Medien wird in diesem Fall abermals besonders deutlich, denn über den Vorfall wurde in keinem einzigen Medium berichtet.125 Besonders Online-Zeitungen und die Websites politischer Parteien, die nicht der herrschenden Allianz angehören, scheinen der Regierung ein Dorn im Auge zu sein. So werden die Betreiber der Websites Reformasi und Freemalaysia sowie die kritische malaysische Online-Zeitung Ma- laysiakini regelmäßig von der Regierung unter Druck gesetzt. Malaysiakini wurde im Jahr 2000 aufgefordert, die ethischen Regeln Malaysias zu respektieren und falsche Anschuldigungen zu unterlassen. Drei Jahre später wurden bei einer Razzia im Redaktionsbüro zahlreiche PCs be- schlagnahmt, da man den Urheber eines anonym geposteten Artikels, in dem die positive Diskri- minierung der Malayen durch die Regierung kritisiert wurde, ausfindig machen wollte. Darüber hinaus wurden die Büro-Räumlichkeiten per 01.02.2003 aufgekündigt, was zu einem vorüberge- henden Publikationsstopp und vermehrten Kosten für die kritische Online-Zeitung führte. Um die

122 Vgl. ITU 2002, 19ff. 123 Mahathir 1998, 53 124 http://www.rsf.fr/rsf/uk/html/internet/pays_internet/malaisie.html 125 Vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de

127 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

Arbeit der Online-Zeitung zusätzlich zu erschweren, erhalten die Journalisten keine Presse- zulassung. Häufig wird ihnen der Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen und Pressekonferenzen verwehrt. Auch der Opposition, die sich oft dem für malaysische Verhältnisse freien Medium zu- wendet, um kritische Informationen zu veröffentlichen, weht ein rauer Wind entgegen. So wurden im Mai 2001 die PCs der National Justice Party (NJP) beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde der Herausgeber der Website von der Polizei aufgesucht, da man ihn beschuldigte, staatsgefährdendes Material publiziert zu haben. Auch der von der oppositionellen Islampartei PAS herausgegebenen Online-Zeitung Harakah wurde aufgrund der täglichen Updates mit Zensur gedroht.126

7 Zusammenfassung Rasche Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik und der damit verbunde- ne Übergang vom Industrie- zum Informationszeitalter veranlassen heute nahezu alle Nationen wirtschaftspolitische Programme zu implementieren, um die Transformation in eine Informati- onsökonomie voranzutreiben. Damit verbunden sind neben der Deregulierung und Liberalisie- rung der Märkte unter anderem der Auf- und Ausbau der Informationsinfrastruktur, die Förde- rung von Forschung und Entwicklung sowie die Unterstützung der Entwicklung, Produktion und Nutzung von IKT. Im Zuge der Informatisierung und Technisierung der Wirtschaft wird das gesamte Wirtschaftswachstum angekurbelt, es werden Transaktionskosten gesenkt und Ar- beitsplätze eingespart, was zu erhöhter Konkurrenzfähigkeit im globalen Standortwettbewerb beiträgt. Auch Malaysia unternimmt im Rahmen der Vision 2020 und dem damit verbundenen Konzept der K-Economy zahlreiche Anstrengungen, um die Transformation der Wirtschaft in eine Infor- mationsökonomie voranzutreiben. So werden neue Technologien stark gefördert und deren Integ- ration die gesamte Wirtschaft forciert. Die zentralen Motive für die Umgestaltung der Wirtschaft sind das – im Rahmen der Vision 2020 angestrebte – hohe Wirtschaftswachstum, der Wettbewerb mit Nachbarstaaten wie Singapur um ausländische Direktinvestitionen und die starke Konkurrenz Chinas. Durch eine Umgestaltung der malaysischen Wirtschaft soll der materielle Sektor vom immateriellen Sektor größtenteils überlagert werden. Durch diese Überlappung sollen Wirtschaft und Gesellschaft im Jahr 2020 von den K-activities/New K-industries, die sich unter anderem aus der Multimediaindustrie, der Softwareentwicklung, den Finanzdienstleistungen, dem Infotain- ment, der EDV-Biotechnologie, der Genetik und der Molekularbiologie zusammensetzen, domi- niert werden. Um das ideale Innovationsmilieu zu schaffen und um Malaysia den unmittelbaren Anschluss an die technologische Entwicklung der führenden Industrienationen zu ermöglichen, wurde im Au- gust 1996 der 750 Quadratkilometer große und 25 Milliarden US-Dollar teure Multimedia Super Corridor eröffnet. Herzstück des mit einem digitalen Hochleistungsglasfasernetzwerk ausgestatte- ten Technologieparks sind die beiden Städte Putrajaya und Cyberjaya. Putrajaya ist das neue ad-

126 Vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de

128 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter ministrative Zentrum Malaysias, Cyberjaya ein für globale und lokale Unternehmen errichteter High-Tech-Cluster, in welchem durch die Agglomeration von IT-Firmen, Forschungs- und Ent- wicklungszentren und höheren Bildungseinrichtungen ein optimales Innovationsmilieu geschaf- fen werden soll. Um die Ansiedelung von IT-Unternehmen und Forschungs-/Bildungs- einrichtungen zu fördern, wird diesen bei Einhaltung gewisser qualitätssichernder Richtlinien der MSC-Status zuerkannt. Der Status öffnet das Tor zu einer Reihe von Vergünstigungen, wie bei- spielsweise Befreiung von Einkommenssteuer und Eigentumsbeschränkungen, Erlass von Im- portsteuern sowie Subventionen für Forschung und Entwicklung. Um die mit den IKT verbundenen ökonomischen Vorteile realisieren zu können, wird auch das Mediensystem – zumindest teilweise – gemäß den Anforderungen des Informationszeital- ters umstrukturiert. So wurde neben dem Auf- und Ausbau der Infrastruktur mit dem 1998 in Kraft getretenen Communications and Multimedia Act erstmals die so genannte Co- Regulierung, also die Kooperation von staatlichen Aufsichtsbehörden mit Selbstregulierungs- instanzen, eingeführt. Darüber hinaus wurde der Konvergenz von Telekommunikation, Rund- funk und Computer Rechnung getragen, da das Gesetz diese vormals getrennt regulierten Be- reiche nun gemeinsam verwaltet. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in dem südostasiati- schen Schwellenland aber nach wie vor stark eingeschränkt. Dies ist vor allem darauf zurück- zuführen, dass die Medien von Beginn an als geeignetes Mittel angesehen wurden, die Staats- ideologie von nationaler Einheit, moralischen Werten und Entwicklung umzusetzen. Misslie- bige und kritische Medien können durch den Entzug der jährlich zu erneuernden Lizenz besei- tigt werden und der Internal Security Act ermöglicht ohne Gerichtsurteil eine zweijährige In- haftierung von Reportern, die verwerfliche oder falsche Inhalte veröffentlichen oder die Kul- tur und politische Identität Malaysias nicht zutreffend darstellen. Aufgrund der massiven Zen- sur der Medien, die trotz Privatisierung in Besitz oder zumindest unter Kontrolle der Regie- rung sind, bezeichnet „Reporter ohne Grenzen“ Malaysia als „Perle der Zensur“. Malaysias langjähriger Premierminister, dessen Herrschaft in den 22 Jahren Amtszeit häufig autoritäre Züge zeigte, wurde von der gleichen Organisation gar unter die „42 schärfsten Widersacher der Pressefreiheit“ gewählt. Entgegen allen Versprechen gerät auch das Internet zunehmend unter die Kontrolle der Regierung. So wurden bereits mehrere Online-Journalisten durch den Internal Security Act inhaftiert, da man ihnen regimekritische Berichte sowie Publikation von staatsgefährdendem Material im Netz vorwarf. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Malaysia im Rahmen seiner wirtschaftspoliti- schen Entwicklungsstrategie neue Informations- und Kommunikationstechnologien einerseits stark fördert, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die Ziele der Vision 2020 zu realisie- ren. Andererseits werden eben diese Medien nach wie vor einer starken Kontrolle und Zensur ausgesetzt, um die Staatsideologie von nationaler Einheit zu propagieren und moralische und reli- giöse Werte zu wahren.

129 Malaysias IKT- und Mediensystem im Informationszeitalter

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132

Abstract

Dieser Beitrag untersucht die Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand während der ersten Amtszeit von Premierminister Thaksin Shinawatra (2001-2005). Während sich die Lage der Pressefreiheit infolge des politischen Reformprozesses in den 1990er Jahren zum Positiven entwickelte, hatten sich seit dem Amtsantritt von Thaksin, Berichte von Nichtregierungs- organisationen, wie Reporter ohne Grenzen, Freedom House und das International Press Institute, über Einschränkungen der Pressefreiheit gehäuft. Diese Berichte dienen unter anderem als Anlass und Quelle für die Untersuchung der Lage der Pressefreiheit in thailändischen Print- und Rundfunkmedien während der ersten Amtszeit Thaksins. Es werden die Menge und die Art und Weise der Einschränkungen, unter Einbeziehung von rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren, anhand von Beispielen dargestellt und mit der Situation vor 2001 verglichen.

Autorin

Vanessa Biese, geboren 1978 in Kassel. Studium der Sprachen und Kulturen des südostasiatischen Festlandes mit den Schwerpunkten Politik, Geschichte, Kultur und Sprache Thailands sowie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Mehrere Studien- aufenthalte in Südostasien zur Vertiefung der sprachlichen und der kulturellen Kenntnisse. Im Herbst 2004 Praktikum im Regionalbüro von Amnesty International Thailand in Bangkok. Im Zuge des Praktikums Mitarbeit an der Kampagne „Stop violence against women“ und Recherchen für die Magisterarbeit zum Thema Pressefreiheit in Thailand unter Thaksin Shinawatra. Nach dem Studium – 2006 – Praktikum im Institut für Asien-Studien (GIGA) in Hamburg. Verfassen von Artikeln für die Zeitschrift Südostasien aktuell und Recherchen zu unterschiedlichen Themen mit Bezug zu Südostasien. Derzeitige Beschäftigung in einer taiwanesischen Reederei im Bereich Logistik.

134 Pressefreiheit in Thailand Die Regierungszeit Thaksin Shinawatras Vanessa Biese

1 Einleitung Mit dem Putsch des thailändischen Militärs im September 2006 ging die Regierungszeit des thailändischen Premierministers Thaksin Shinawatras zu Ende. Im Herbst 2005 war eine Pro- testbewegung entstanden. Ihre Anhänger hatten den Rücktritt Thaksins gefordert. Akademi- ker, Teile der Arbeiterschaft und Studenten beteiligten sich an den Protesten. Die Anhänger der Bewegung kritisierten die Korruption innerhalb der Regierung und die autoritären Züge des Regierungsstils Thaksins. Thaksin hatte unter dem öffentlichen Druck das Parlament auf- gelöst und Neuwahlen angekündigt.1 Die Neuwahlen im April 2006 führten jedoch zu keiner Beendigung der Proteste. Die wichtigsten Parteien der Opposition hatten die Wahlen boykot- tiert und Thaksins Partei mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten. Da die Wahlen aber nicht genügend Abgeordnete hervorbrachten, konnten nicht alle Sitze im Parlament besetzt werden. Die anhaltenden und sich ausweitenden Proteste und die Regierungskrise führten das Land in eine innenpolitische Krise. Nachdem der thailändische König die obersten Gerichte dazu auf- gefordert hatte einzuschreiten, befanden diese die Wahlen im Mai für ungültig. Sie begründe- ten ihr Urteil mit aufgetretenen Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Wahlen und der kurzen Zeitspanne zwischen Parlamentsauflösung und der Wahl. In den folgenden Mona- ten dauerten die Proteste an.2 Die Proteste richteten sich auch gegen Thaksins autoritären Regierungsstil. Dieser zeigte sich unter anderem in der Verletzung von Menschenrechten und der Einschränkung der Presse- freiheit.3 Zu welchen Einschränkungen der Pressefreiheit es während der Regierungszeit von Thaksin kam, soll in diesem Beitrag untersucht werden. In den 1990er Jahren vollzog sich in Thailand ein politischer Reformprozess. Diese Ent- wicklung manifestierte sich 1997 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die weitrei- chende Grundrechte gewährte und eine Reihe politischer Reformen vorsah. Diese Verfassung weckte im In- und Ausland Erwartungen und Hoffnungen, dass daraufhin eine stärkere De- mokratisierung des politischen Systems in Thailand erfolgen würde.4 Die Verfassung garan- tierte unter anderem die Freiheit der Medien. Überdies sah sie Reformen im bisher staatlich kontrollierten Rundfunk vor. Das staatliche Rundfunkmonopol sollte aufgehoben werden. In Folge des Reformprozesses entwickelte sich die Lage der Pressefreiheit zum Positiven. Dies schlug sich auch in Einschätzungen einschlägiger NGOs nieder.5

1 Bünte, 2006a, 46ff. 2 Südostasien aktuell, 4/2006, 157f. 3 Bünte, 2006a, 45. 4 Bünte, 2004, 544. 5 u.a. Freedom House, 2000.

135 Pressefreiheit in Thailand

Seit dem Amtsantritt von Thaksin Shinawatra im Jahr 2001 ist der Reformprozess in Thailand zu einem Stillstand gekommen. In einigen Bereichen ist sogar eine rückschrittliche Entwicklung zu beobachten. Die negative Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand ist ein Anzeichen, dass der thailändische Staat sich von seinem Kurs zur Demokratisierung entfernt hat.6 Die thailändische Presse zählte Ende der 1990er Jahre zu den freisten Asiens.7 Seit dem Amtsantritt von Premierminister Thaksin Shinawatra im Jahr 2001 häuften sich Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit. NGOs wie Reporter ohne Grenzen, Freedom House und das International Press Institute haben in den letzten fünf Jahren eine zunehmende Ver- schlechterung der Lage der Pressefreiheit in Thailand beobachtet. In ihren Berichten führen sie unterschiedliche Einschränkungen der Pressefreiheit auf. Auch in der lokalen und inter- nationalen Presse wurde über diese Restriktionen berichtet.8 Es gibt bislang noch keine ausführliche und systematische Untersuchung, die das Ausmaß und die Qualität der Einschränkungen der Pressefreiheit unter Thaksin untersucht und einen Vergleich zur Zeit vor seinem Amtsantritt mit einbezieht. In diesem Beitrag soll anhand solch eines Vergleiches untersucht werden, wie sich die Lage der Pressefreiheit während der ersten Amtszeit Thaksins entwickelt hat. Dabei werden die Entwicklungen bezüglich der Printme- dien und des Rundfunks betrachtet. Es soll geprüft werden, wie die konstitutionell garantierte Pressefreiheit in der Realität umgesetzt wurde. Dazu werden neben den rechtlichen und politi- schen Faktoren, die die Pressefreiheit betreffen, auch wirtschaftliche Faktoren miteinbezogen. Die Einteilung in rechtliche und politische Faktoren sowie wirtschaftliche Faktoren fand in Anlehnung an die Untersuchungen der NGO Freedom House statt. Freedom House untersucht jährlich weltweit die Pressefreiheit. Allerdings wurde die Einteilung von Freedom House für diesen Beitrag angepasst. Im zweiten Kapitel wird zunächst der Begriff Pressefreiheit erläutert. Die Pressefreiheit soll im Kontext der Menschenrechte und Demokratie betrachtet werden. Daran anschließend wird ein Überblick über verschiedene Methoden der Messung von Pressefreiheit gegeben sowie die genaue Vorgehensweise, mit der in diesem konkreten Fall die Pressefreiheit in Thailand un- tersucht wurde, angeführt. Im dritten Kapitel wird als Hintergrundinformation die politische und gesellschaftliche Ent- wicklung in den 1990er Jahren und in Thaksins erster Amtszeit aufgezeigt. Dabei wird auch die Entwicklung der Demokratie in Thailand mit einbezogen, da die Pressefreiheit als ein in- tegraler Bestandteil von Demokratie zu sehen ist. Ziel des vierten Kapitels ist es, die Lage der Pressefreiheit vom Inkrafttreten der neuen Ver- fassung 1997 bis zur ersten Amtszeit von Thaksin zu untersuchen. Zunächst wird ein Über- blick über die Entwicklung der Pressefreiheit vor 1997 gegeben, um die Entwicklung nach 1997 beurteilen zu können. Außerdem soll eine zusammenfassende Darstellung der Ein-

6 Bünte, 2004, 544f. 7 International Press Institute, 1997-2001. 8 Reporter ohne Grenzen, 2005; International Press Institute, 2004.

136 Pressefreiheit in Thailand schätzung von internationalen Menschenrechtsorganisationen, Journalistenvereinigungen und berufsständischen Organisationen gegeben werden. Im nächsten Schritt soll mit Hilfe konkre- ter Beispiele verdeutlicht und belegt werden, wie die Lage der Pressefreiheit vor Thaksins ers- ter Amtszeit war. Die Beispiele werden rechtlichen und politischen Faktoren und wirtschaftli- chen Faktoren zugeordnet. Im fünften Kapitel wird die Lage der Pressefreiheit während der ersten Amtszeit von Thaksin (2001-2005) analysiert. Dies geschieht auf gleiche Weise wie im vorangegangen Kapitel. Die Ergebnisse aus Kapitel 4-5 werden schließlich im Kapitel 6 zusammengetragen und ver- glichen. Um ein vollständiges Bild zu liefern folgt den Ergebnissen eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung der Pressefreiheit während der zweiten Amtszeit von Thaksin. Zum Schluss wird ein Ausblick gegeben. 2 Pressefreiheit 2.1 Pressefreiheit als Bestandteil von Demokratie und Menschenrechten Das Verständnis, darüber was Pressefreiheit bedeutet, ist international verschieden. Zumeist wei- chen konstitutionelle Garantien von Pressefreiheit und das tatsächliche Vorhandensein sowie die Qualität der Pressefreiheit in einem Land sehr voneinander ab. Sie ist eines der wenigen Grund- rechte, das weltweit seit einem halben Jahrhundert in vielen Verfassungen und Gesetzen verankert ist.9 Sie findet sich ebenso in zahlreichen Konventionen und Deklarationen wieder. Der Begriff ist im Zusammenhang mit der Geschichte westlicher Demokratien entstanden.10 Geschichtlich be- trachtet bezog sich der Begriff Pressefreiheit zunächst auf die Printmedien, da sie das bestimmen- de Nachrichtenmedium waren. Im Zuge der technischen Entwicklung nahm die Bedeutung von den Rundfunkmedien Radio und Fernsehen zu. Aufgrund dessen wird der Begriff Pressefreiheit, meist gleichbedeutend mit Medienfreiheit, auf diese Medien ausgedehnt. In Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; die- ses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“.11 Diese allgemeine Grundsatzerklärung wird in inter- und transnationalen Übereinkommen genauer festgelegt. So etwa in verschiedenen Mediendekla- rationen der UNESCO und im „Internationalen Pakt über zivile und politische Rechte“ der Vereinten Nationen.12 Die Allgemeine Menschenrechtserklärung und der Pakt über zivile und politische Rechte enthalten das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit sowie die Freiheit, In- formationen über jegliche Medien erhalten und verbreiten zu dürfen. Die Pressefreiheit beruht auf diesen beiden Freiheiten. Da Menschenrechte wesentliche Grundbestandteile einer Demokratie sind, lässt sich daraus

9 Holtz-Bacha, 2003, 403. 10 Haller, 2003a, 11. 11 Vereinte Nationen, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 10.12.1948, Artikel 19. 12 Behmer, 2003, 77. Thailand ratifizierte diesen Pakt 1997. Vereinte Nationen, 2004, 2.

137 Pressefreiheit in Thailand schlussfolgern, dass auch Pressefreiheit für eine funktionierende Demokratie von Bedeutung ist.13 Der Demokratietheoretiker Robert Dahl bezeichnet mit Demokratie ein ideales System und betont in der Annäherung an dieses in der Wirklichkeit pluralistischen Wettbewerb und po- litische Partizipation. Durch diese soll gewährleistet werden, dass die Bürger nicht nur ihr Wahlrecht ausüben, sondern sich auch frei äußern und im Rahmen öffentlichen Engagements ungebunden artikulieren können. Dies stellt sicher, dass auch unterschiedliche Interessen artiku- liert, gesellschaftliche Konflikte thematisiert werden können und somit in die politischen Ent- scheidungen und Handlungen der Bürger mit einfließen.14 In den westlichen Staaten wird davon ausgegangen, dass eine Grundlage der Demokratie die politische Handlungsfähigkeit der Bürger ist. Diese bedarf der freien Willensbildung, die wie- derum einen Meinungsbildungsprozess voraussetzt. Dieser kann nur stattfinden, wenn verschie- dene Meinungen öffentlich ausgetauscht werden können, bzw. zumindest geduldet werden.15 Medien- und Kognitionswissenschaftler fügen dazu an, dass die Meinungen nicht auf Un- kenntnis oder Vorurteilen beruhen sollten. Daher ist ein hinreichendes Wissen über die be- treffenden Sachverhalte zur Bildung einer Meinung nötig. Aus diesem Grund stellt die Frei- heit der Information eine grundlegende Basis der Meinungsbildung dar.16 Da die Medien beim Austausch von Informationen und Meinungen eine zentrale Rolle ein- nehmen, ist ihre Freiheit also ein zentraler Bestandteil einer Demokratie. Die Pressefreiheit gilt deshalb auch als ein Indikator für die Lage der Demokratie in einem Land. Robert Dahl legte sieben Merkmale bzw. Garantien fest, mittels derer demokratische Systeme beurteilt werden können. Zu diesen Merkmalen gehören freie Meinungsäußerung und Infor- mationsfreiheit.17 Von einer funktionierenden Demokratie kann also nur die Rede sein, wenn Meinungsäußerungsfreiheit und Informationsfreiheit herrscht. Neben der Meinungsbildungs- und Informationsfunktion fällt den Massenmedien in einer Demokratie auch eine Kritik- und Kontrollfunktion zu. Diese Funktionen überschneiden sich teilweise.18 Medien liefern damit einen wichtigen Beitrag zur Demokratie. Würde die Pressefreiheit eingeschränkt werden, könnten sie diese Aufgaben nicht erfüllen, was sich letztlich auf die „Güte“ der Demokratie auswirkt. Laut Haller ist unter Pressefreiheit die rechtsverbindliche Garantie zu verstehen, die eine Kontrolle oder Zensur der Medien durch den Staat nicht erlaubt. Medien sollen vielmehr das, was sie veröf- fentlichen wollen innerhalb der Grenzen des Straf- und Zivilrechts auch veröffentlichen dürfen.19 Haller hat sich ausschließlich auf die Rechtslage bezogen. Verschiedene NGOs, die die Pressefrei- heit untersuchen, beziehen politische und wirtschaftliche Einflüsse, die die Pressefreiheit einschrän- ken, in ihre Betrachtung mit ein. Dies soll in diesem Beitrag auch geschehen.

13 Dahl, 1997, 459f. 14 Dahl, 1971, 2f. 15 Haller, 2003b, 100. 16 ebd., 101f. 17 Holtz-Bacha, 2003, 408. 18 Bundeszentrale für politische Bildung, 1998, 3. 19 Haller, 2003a, 11.

138 Pressefreiheit in Thailand

2.2 Messung der Pressefreiheit Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um Pressefreiheit zu messen bzw. einen Maßstab für Pressefreiheit zu finden. In beschreibenden Untersuchungen über die Lage der Medien in einem Land wird häufig die Pressefreiheit anhand der konstitutionellen Sicherung beurteilt. Ebenfalls häufig sind internationale Vergleiche. Aus diesen werden Rangfolgen der in die Untersuchung einbezogenen Länder hinsichtlich der jeweiligen Situation der Pressefreiheit abgeleitet.20 Bis 1970 wurde in Studien über die Pressefreiheit, diese lediglich als Freiheit von Einschrän- kungen durch die Regierung eines Landes gesehen. Später wurden Methoden erdacht, die au- ßerdem ökonomische Beschränkungen, die Existenz von Selbstkontrollorganen und Ein- flussnahmen von Gewerkschaften berücksichtigten.21 Bei den Versuchen, Pressefreiheit zu untersuchen, hat sich herausgestellt, dass es Schwierig- keiten gibt, diese messbar zu machen. Dies hängt mit der Beschaffung relevanter Daten zu- sammen. Wird eine Vielzahl von Indikatoren herangezogen, die in die Bewertung der Lage der Pressefreiheit in einem Land eingehen, ist es aufgrund der großen Menge schwierig, die dafür notwendigen Daten vollständig zu beschaffen. Außerdem besteht Uneinigkeit bezüglich der zu berücksichtigenden Indikatoren, was sich in den unterschiedlichen für die Messung der Pressefreiheit entwickelten Skalen zeigt. Bei der Einbindung von Pressefreiheit in Konzepte, die der Messung von Demokratie dienen, ist die Pressefreiheit nur ein Indikator neben anderen und kann daher so nicht differenziert erfasst werden. Beim internationalen Vergleich besteht das Problem in der Vereinheitlichung des Messin- struments. Dieses Problem beruht auf international verschiedenen Ansichten über die Rolle der Medien und die Definition von Pressefreiheit. Eine Reihe Einflussfaktoren spielen dabei eine Rolle. Dies sind verschiedene politische Strukturen und Prozesse sowie dahinter stehende und von ihnen abhängige Variablen ökonomischer oder sozialer Art.22 2.3 Vorgehensweise zur Beurteilung der Pressefreiheit in diesem Beitrag In diesem Beitrag wird die Beurteilung und Analyse der Pressefreiheit in Anlehnung an die Unter- teilung und Vorgehensweise der amerikanischen Organisation Freedom House vorgenommen. Deren jährliche Untersuchung „Press Freedom Survey“ vergleicht die Lage der Pressefreiheit weltweit und vergibt Punktzahlen, die dann in einer Rangordnung verglichen werden. Freedom House zieht drei Kategorien heran, nach denen jedes einzelne Land beurteilt wird. Zu diesen Ka- tegorien gehören die rechtliche, die politische und die wirtschaftliche Umwelt, die die Medien beeinflussen können. Diesen Kategorien werden jeweils verschiedene Faktoren zugeordnet.23 In diesem Beitrag werden die Faktoren jeweils unterschieden in solche, die die Pressefreiheit för- dern und solche, die die Pressefreiheit beschränken können. Da rechtliche und politische Faktoren

20 Holtz-Bacha, 2003, 403. 21 ebd., 407. 22 ebd., 410. 23 Freedom House, 2005.

139 Pressefreiheit in Thailand oftmals nicht eindeutig voneinander abgrenzbar sind, werden sie in diesem Beitrag als zusammen- gehörig dargestellt. Zu den rechtlichen und politischen Faktoren, die die Pressefreiheit fördern, ge- hören gesetzliche und verfassungsmäßige Verankerung des Rechts auf Meinungs- und Informati- onsfreiheit. Zu den rechtlichen und politischen Faktoren, die die Pressefreiheit vermindern können, zählen Gesetze und Regulierungen, die in der Lage sind, Medieninhalte negativ zu beeinflussen. Neben Rechtsgrundlagen und Gesetzen werden auch die Art und Weise der Anwendung und die Auslegung von Gesetzen und Rechtsgrundlagen zu den rechtlichen und politischen Faktoren ge- zählt. Hierzu zählen beispielsweise die Neigung der Regierung, verschiedene Gesetze, die die Me- dienfreiheit betreffen, anzuwenden, um die Medien in ihrer Freiheit einzuschränken und offizielle Zensur. Auch die strafrechtliche Ahndung von Diffamierungen wird zu diesen Faktoren gezählt. Außerdem werden die politisch motivierten Beschränkungen des Zugangs zu Informationen und Belästigungen von Journalisten durch staatliche Behörden und deren Vertreter sowie durch andere Akteure als rechtliche und politische Faktoren gewertet. Selbstzensur, die oft das Ergeb- nis solcher Einmischungen und Einschränkungen ist, wird in diesen Kontext mit einbezogen. Was die wirtschaftlichen Faktoren betrifft, werden die Besitzstrukturen der Medienbetriebe und die Konzentration von wirtschaftlicher Kontrolle über Medienbetriebe und damit einhergehende Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Medien beleuchtet. Die selektive Zurückhaltung von Werbung oder Zuschüssen durch den Staat und anderen Akteuren wird ebenso zu den Faktoren gezählt, sowie der Einfluss von Korruption und Bestechung auf den Inhalt von Medien. Diese Trennung ist allerdings nicht zu strikt zu sehen, da Faktoren oft ineinander greifen und eine Trennung der verschiedenen Faktoren nicht immer möglich ist. Freedom House untersucht zusätzlich noch Faktoren, wie die Unabhängigkeit der Justiz, die Lebendigkeit der Medien, die Kosten für die Gründung von Medienunternehmen und die Kosten für Produktion und Vertrieb.24 Diese werden hier nicht berücksichtigt, da nur die Fak- toren, zu denen konkrete Beispiele in Thailand im entsprechenden Zeitraum gefunden wur- den, herangezogen werden. Ferner untersucht Freedom House verschiedene Länder in einem Zeitabschnitt und vergleicht die verschiedenen Länder untereinander.25 Im Gegensatz dazu wird hier ein Land untersucht und zwei verschiedene Zeitabschnitte miteinander verglichen. Während Freedom House quantitative Messungen vornimmt, um ein Ranking zu erstellen, steht in diesem Beitrag eine qualitative Vorgehensweise im Vordergrund, um verschiedenen Methoden der Einschränkun- gen zu ermitteln. Dies wird anhand einer repräsentativen Auswahl von Beispielen, die den einzelnen Faktoren zugeordnet werden können, dargestellt. 3 Hintergründe Zunächst wird ein kurzer Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen von 1932-1997 gegeben. In Thailand gab es nach der Einführung der konstitutionellen Monarchie im

24 ebd. 25 ebd.

140 Pressefreiheit in Thailand

Jahr 1932 bis zum Jahr 1973 verschiedene Militärregime.26 Aufgrund der fortschreitenden Indust- rialisierung, Verstädterung und der Ausdehnung des Bildungssystems in den 1970er Jahren konnte sich eine städtische Mittelschicht entwickeln. Durch den Einfluss dieser Mittelschicht auf die Politik kam es zu einer allmählichen Liberalisierung. Mitte der 1980er Jahre wuchs der Einfluss verschie- dener Interessengruppen, NGOs und Bürgerinitiativen.27 Als im Jahr 1991 Thailand erneut durch einen Putsch des Militärs unter Militärherrschaft gelangte, erhielt die Öffnung hin zur Demokratie, die in den Jahren vorher stattfand, einen Rückschlag. Dieser Putsch wurde von den Militärs mit der starken Korruption und Instabilität der vorherigen Regierung begründet. Die Militärherrschaft dau- erte jedoch nicht lange an.28 Die neu aufgestiegenen sozialen Gruppen, nahmen die wieder errunge- ne Macht des Militärs nicht hin. Sie forderten eine Rückkehr zu Demokratie.29 Im Mai 1992 gab es landesweite Massendemonstrationen gegen die Militärregierung, an denen sich Vertreter aus allen gesellschaftlichen Schichten beteiligten. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Militärs, die erst durch das direkte Einlenken des thailändischen Königs beendet wurden. Die militä- rische Regierung trat daraufhin zurück. Diese Wende schuf Bedingungen für künftige politische Veränderungen. Das Militär war in die Kasernen zurückgedrängt worden und eine Basis für eine breitere Teilnahme der Bürger an der Politik wurde gelegt.30 Nach den Geschehnissen des Jahres 1992 übten verschiedene Gruppen der thailändischen Gesellschaft, die eine grundlegende Aufarbeitung des politischen Systems forder- ten, zunehmend Druck auf die Regierung aus.31 Aufgrund der Krise 1991/92 entwickelten sich zwei politische Bewegungen. Einerseits gab es eine Bewegung, die die Interessen der ländlichen Bevölkerung und Bauern vertrat und gegen den Rückgang der Agrarwirtschaft und die Inan- spruchnahme natürlicher Ressourcen protestierte. Andererseits gab es eine Bewegung, die weit- gehend von dem städtischen Mittelstand getragen wurde und Reformen in Politik, Bürokratie, Medien, Recht, sozialer Wohlfahrt und anderen Gebieten forderten. Das Zusammenspiel dieser beiden Bewegungen prägte in den 1990er Jahren eine neue Politik, in der auch zivilgesellschaftli- che Gruppen Einfluss übten. Sie waren zwar von der parlamentarischen Politik ausgeschlossen, doch ihr Einfluss auf die Politik wuchs. Dies spiegelte sich in der 1997er Verfassung wider.32 Die Verfassung sah eine Reihe von Reformen vor, wie die umfassende Neugestaltung des Regierungs- systems, die Reform des Wahlsystems und die Einrichtung einer Reihe unabhängiger Institutionen. Hiermit sollte die Rechtsstaatlichkeit gestärkt und Korruption gemindert werden. Dazu gehörten ein Ver- fassungsgericht, ein Verwaltungsgericht, eine nationale Menschenrechtskommission, eine Wahlkom- mission und eine Korruptionsbekämpfungsbehörde. Daneben enthielt die Verfassung eine Reihe von zivilen Rechten und fundamentalen Grundrechten, wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung.33

26 Bünte, 2000, 25. 27 ebd., 29. 28 Terwiel, 1999, 325f. 29 Bünte, 2000, 27ff. 30 Connors, 2002, 40f. 31 Prawase, 2002, 21. 32 Pasuk/Baker, 2004, 18-22. 33 Prudhisan, 1998, 274f.

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Die Verfassung wurde noch während der wirtschaftlichen Krise im September 1997 verab- schiedet. Der zu dem Zeitpunkt regierende Premierminister Chavalit Yongchaiyudh konnte das Land nicht aus der wirtschaftlichen Krise führen.34 Chavalit legte am 05.11.1997 sein Amt nieder. Da sich seine Koalition nicht auf einen Nachfolger einigen konnte, wurde die Macht an die Demokratische Partei übertragen.35 Doch der Regierung der Demokratischen Partei unter Chuan Leekpai gelang es auch mit Unterstützung des internationalen Währungs- fonds nicht, die wirtschaftliche Lage Thailands entscheidend zu verbessern. Aufgrund wach- sender Kritik konnte sie ihr Mandat bei den Wahlen Anfang 2001 nicht wieder erlangen. Bei diesen Wahlen wurde dann Thaksin zum Premierminister gewählt.36 3.1 Thaksins Aufstieg – Ausbildung und wirtschaftliche Tätigkeit Thaksin wurde am 26.07.1949 in Chiang Mai geboren. Er besuchte die Polizeiakademie in Nakhon Pathom und ging anschließend zum Studium in die USA. Dort erwarb Thaksin 1979 an der Sam Houston State University in Texas seinen Doktortitel in Strafrecht.37 Nach seiner Rückkehr aus den USA wurde ihm die Verantwortung für die Planungsbehörde der Polizei übertragen. Später wechselte er in die Informationszentrale und unterrichtete zudem in ver- schiedenen Bildungsinstitutionen der Polizei. Neben der Arbeit bei der Polizei betätigte sich Thaksin zugleich als Unternehmer.38 In den 1980er Jahren hat Thaksin sein Telekommunikationsimperium aufgebaut.39 Shin Corpo- ration entwickelte sich zum größten privaten Telekommunikationsunternehmen Thailands. Da- zu gehören heute 60 Unternehmen aus der Telekommunikations- und Unterhaltungsbranche. Mittlerweile zählt Thaksin zu den reichsten Männern Thailands. Nach offiziellen Angaben be- saßen Thaksin und seine Familie im Jahr 2001 ein Vermögen von 15 Mio Baht (500 Mio. €).40 3.2 Politischer Aufstieg Mit dem Eintreten in die Politik im Jahr 1994 übergab Thaksin die Leitung seiner Unterneh- men an verschiedene Familienmitglieder. Ab Herbst 1994 übte er unter der Koalitionsregie- rung von Chuan Leekpai das Amt des Außenministers aus. Mitte 1995 wurde Thaksin Partei- chef der Palang Tham Partei, die unter seiner Führung bereits 1996 zerfiel. Von 1995 bis 1997 war er mit Unterbrechungen stellvertretender Premierminister.41 1998 gründete Thaksin die Thai Rak Thai Partei. Sie entstand zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der thailändische Staat in einer schweren ökonomischen Rezession befand.42 Diese Umstände sowie das Stre- ben nach politischem Wandel seit 1992, das sich in der neuen Verfassung widerspiegelte, be- günstigten den Aufstieg Thaksins in der Politik. Thaksin und seinen Beratern gelang es, die-

34 Case, 2002, 178. 35 ebd., S. 286. 36 Pasuk/Baker, 2002, 447f. 37 McCargo/Ukrist, 2005, 7. 38 Pasuk/Baker, 2004, 36ff. 39 ebd., 49ff. 40 Bünte, 2004, 541. 41 Pasuk/Baker, 2004, 53ff. 42 ebd., 62.

142 Pressefreiheit in Thailand ses gesteigerte Interesse für Politik für seine Partei nutzbar zu machen.43 Sie arbeiteten ein politisches Programm aus, dass auf bestimmte Zielgruppen und deren Interessen abzielte. Diese Zielgruppen wurden mit populistischen Aussagen gezielt angesprochen. Durch die Aufnahme von Ideen, wie die Schaffung einer nationalen Auffanggesellschaft zur Re- strukturierung der nationalen Kredite, in das Parteiprogramm der TRT Partei, gelang es Thaksin, Geschäftsleute und Großindustrielle von seiner Politik zu überzeugen und für die Unterstützung seiner Partei zu gewinnen.44 Insbesondere Großunternehmer traten der TRT Partei bei und einige besetzten später Ämter und Posten der Thaksin Regierung.45 Zur Sicherung der Unterstützung der ländlichen Bevölkerung stellte er ein Programm für die ländliche Entwicklung auf. Dieses Pro- gramm beinhaltete die Entlastung von Schulden durch ein Schuldenmoratorium, die Bereitstel- lung von Entwicklungsfonds und eine kostengünstige medizinische Versorgung.46 Als populis- tisch wurde dieses Programm bezeichnet, weil Thaksin als ehemaliger Großunternehmer und Mil- lionär die ländliche Bevölkerung gezielt in den Mittelpunkt der Politik stellte. Mit dem Programm zog er auch lokale, radikale NGOs auf seine Seite. Diese forderten eine Abkehr vom thailändi- schen Entwicklungsweg und dafür eine Rückbesinnung auf ländliche Werte.47 Thaksin und die TRT Partei erzielten am 06.01.2001 einen erdrutschartigen Sieg. Sie erlangten 248 von 500 Sitzen im Repräsentantenhaus, womit sie knapp eine absolute Mehrheit verfehlten. Thaksins TRT Partei bildete zusammen mit der New Aspiration Partei (NAP), der Chart Thai Partei (CT) und der Seritham Partei eine Regierungskoalition. Die Regierungskoalition besetzte 364 der 500 Sitze im Repräsentantenhaus und bildete somit eine stabile Mehrheit.48 Solch eine stabile Regierungsmehrheit hatte es in Thailand bisher noch nicht gegeben. Die Regierung unter Thaksin war auch die erste, die eine ganze Legislaturperiode überdauerte.49 3.3 Politik unter Thaksin In den folgenden Jahren schlossen sich die New Aspiration Partei und die Chart Pattana Partei der TRT Partei an. Dies führte dazu, dass sich das Parlament unter Thaksins Regierung im We- sentlichen aus zwei Parteien zusammensetzte, was die Stabilität der Thaksin Regierung förderte.50 Die Stabilität der Thaksin Regierung wurde zu dem durch die Errichtung persönlicher Klientel- Netzwerke (phuak) gefestigt. Diese Netzwerke erstreckten sich über Teile des Militärs, der Groß- industrie und den Parteien. Indem Thaksin wichtige Positionen in Militär und Verwaltung mit en- gen Vertrauten besetzte, konnte Thaksin stärkere Kontrolle über diese ausüben.51 Die Verbindung zwischen der TRT Partei und der Großindustrie zeigte sich unter anderem darin, dass zahlreiche TRT Partei-Mitglieder Großindustrielle waren und auch Ämter und Posten der Thaksin Regierung

43 ebd., 443f. 44 Bünte, 2004, 541. 45 Pasuk/Baker, 2004, 71. 46 Pasuk/Baker, 2002, 445. 47 Bünte, 2006a, 41. 48 Croissant/Dorsch, 2001, 16. 49 Kasem, 2004, 19. 50 Bünte, 2006a, 42. 51 McCargo/Ukrist, 2005, 220.

143 Pressefreiheit in Thailand bekleideten. Dabei bestanden allein schon aufgrund Thaksins Hintergrunds, als Gründer eines Te- lekommunikationskonzerns, Beziehungen zur Großindustrie.52 Nach seinem Amtsantritt 2001 konzentrierte sich Thaksin zunächst auf die Wirtschaftspolitik, um den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu begegnen. Diese Wirtschaftspolitik zeichnete sich durch die Umsetzung einer großen Anzahl von einzelnen Maßnahmen und Programmen aus, die vor allem der Großindustrie und der ländlichen Bevölkerung zugute kamen. Im wirtschaftlichen Bereich zeichneten sich auch alsbald Erfolge ab. Die vor Thaksin begonnenen Reformen, die den Demokratisierungsprozess Thailands förderten, kamen allerdings zum Erliegen.53 Im Bereich der Demokratisierung gab es während der Regierungszeit von Thaksin Rück- schritte. Dies zeigte sich insbesondere bei den neu eingerichteten unabhängigen Institutionen, den Menschenrechten und der Pressefreiheit. Die unabhängigen Institutionen, die die Regie- rung kontrollieren sollten, konnten durch die politische Einflussnahme der Regierung ihre Funktionsfähigkeit nur eingeschränkt ausüben.54 Es gab unter Thaksin zunehmend Ver- letzungen der Menschenrechte. Das harte Vorgehen von thailändischen Sicherheitskräften im Kampf gegen Drogen, bei dem allein im Jahr 2003 über 2.500 Menschen erschossen wurden, weckte bei zivilgesellschaftlichen Organisationen in Thailand Besorgnis über die Situation der Menschenrechte. Auch international wurde das Vorgehen der Regierung scharf kritisiert.55 Die negative Entwicklung der Pressefreiheit in Thailand war ein weiteres Indiz dafür, dass der thailän- dische Staat, sich von seinem Kurs der Demokratisierung entfernte.56 Zudem wurden die Tätigkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen und kritischen Aktivisten stark eingeschränkt. Thaksin warf NGOs und verschiedenen Akademikern und Intellektuellen mangelndes Nationalbewusstsein, niedere Beweggründe und Missachtung nationaler Interessen vor.57 Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch Thaksins Äußerungen zu Demokratie, die er nämlich nicht als höchstes Ziel seiner Politik ansah. Laut einem Pressezitat vom 11.12.2003 sagte Thaksin: „Democracy is a good and beautiful thing, but it´s not the ultimate goal as far as administering the country is concerned...Democracy is just a tool, not our goal. The goal is to give people a good lifestyle, happiness and national progress.“ 58 In Berufung auf eine buddhistische Philosophie des moralischen Führers, der sein Volk führt, sprach er abschätzend über die Rolle einer Opposition in der Politik. Laut Pasuk und Baker er- klärte Thaksin es zum erstrebenswerten Ziel eine „kan müang ning“ (stille politische Land- schaft) herzustellen.59 An anderer Stelle sprach Thaksin seine Bewunderung für die politischen Systeme von Singapur und Malaysia aus, die einer solchen politischen Landschaft sehr nahe kommen. Seit Thaksins Amtsantritt war in Thailand eine deutliche Tendenz zur Entwicklung

52 Pasuk/Baker, 2004, 71. 53 Bünte, 2004, 542. 54 Bünte, 2006a, 43. 55 Bünte, 2004, 548. 56 Bünte, 2006a, 43f. 57 Pasuk/Baker, 2004, 155f. 58 PM´s Declaration: 'Democracy is not my goal', in: The Nation, 11.12.2003. 59 Pasuk/Baker, 2004, 137f.

144 Pressefreiheit in Thailand einer „stillen politischen Landschaft“ zu beobachten. Dies zeigte sich in der oben aufgezeigten Entwicklung des Parteiensystems und den Begrenzungen der Aktivitäten von zivilgesell- schaftlichen Gruppen und Personen durch die Regierung. Die Einschränkungen der Presse- freiheit in Thailand reihten sich in diese Entwicklung ein.60 Somit lässt sich zusammenfassen, dass es seit Anfang der 1990er Jahre in der thailändischen Politik eine stärkere Demokratisierung gegeben hat. Unter Thaksin wurde der Demokratisierungsprozess jedoch nicht fortgesetzt. Vielmehr sind Rückschritte zu beobachten gewesen, die in den soeben auf- gezeigten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sichtbar wurden. 4 Entwicklung der Pressefreiheit von 1997-2001 4.1 Einführende Betrachtungen In Thailand wurden die Medien während der verschiedenen Militärregime immer wieder für Propagandazwecke ihrer Politik instrumentalisiert. Die Printmedien konnten allerdings in den 1980er Jahren und insbesondere zwischen 1988-1990 ihren Handlungsspielraum gegenüber den Regierungen zunehmend ausbauen. Dies wurde ihnen im Zuge des wirtschaftlichen Wachs- tums, der fortschreitenden Demokratisierung und des technischen Fortschritts möglich.61 Bis Anfang der 1990er Jahre waren die thailändischen Printmedien im Großen und Ganzen wirtschaftlich nicht tragfähig. Die Zeitungen waren von Geldgebern abhängig und wurden von diesen dazu genutzt bestimmte Interessen und politische Ansichten zu publizieren.62 Teilweise bestanden Verbindungen zwischen Politikern und Journalisten, die auf gegenseitig nützlichen Vereinbarungen beruhten.63 Als sich zu Beginn der 1990er Jahre einige Zeitungen zu wirt- schaftlich tragfähigen Unternehmen entwickelten, konnten sich diese durch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit auch eine politische Unabhängigkeit sichern. Dadurch entstand eine Medien- kultur, die von Lobbyisten, politischen Parteien, etc. unabhängig war. Zeitungen, die sich eine unabhängige Berichterstattung leisten konnten, waren beispielsweise die Thai Rath, Daily News, Matichon, Khao Sod, The Nation, Krungthep Thurakit und die Bangkok Post.64 Der Wandel der Printmedien von einer regierungstreuen zu einer zunehmend regierungskritischen Kraft vollzog sich während des Militärregimes im Jahr 1991.65 Im Mai 1992 gab es landesweite Massendemonstrationen gegen die Militärregierung, an denen sich Vertreter aus allen gesell- schaftlichen Schichten beteiligten. Während die Printmedien größtenteils kritisch über die Regie- rung berichteten und die sich zuspitzende innenpolitische Lage dokumentierten, war die Bericht- erstattung der staatlich kontrollierten Radio- und Fernsehsender regierungskonform. Eine bedeu- tende Rolle kam den Printmedien bei den 1992er Wahlen zu, da sie sich auf die Seite der opposi- tionellen Kräfte stellten und damit die Polarisierung zwischen den Lagern verstärkte.66

60 Bünte, 2004, 545. 61 Thitinan, 1997, 220ff. 62 McCargo, 2000, 4f. 63 ebd., 2f. 64 ebd., 4f.; Thitinan, 1997, 227f. 65 Bünte, 2000, 27ff. 66 Thitinan, 1997, 222ff.

145 Pressefreiheit in Thailand

Nach Beendigung der politischen Krise in 1992 wurde von Seiten der Printmedien, Akade- mikern und NGO Aktivisten der Ruf laut den Rundfunksektor zu reformieren, der überwie- gend staatlich kontrolliert wurde.67 Diese Reformbestrebungen wurden in der 1997 in Kraft getretenen Verfassung verankert und sollten in den folgenden Jahren umgesetzt werden. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die staatlichen Deregulierungsmaßnahmen hatten al- lerdings zur Folge, dass einige Printmedien dazu neigten Sensationsberichte über Skandale, Morde und Überfälle zu veröffentlichen, um so ihre Auflagen zu erhöhen. Auch dem in 1997 eingerichteten Presserat, der als Selbstregulierungseinrichtung der Presse dient, ist es bisher nicht gelungen; diese Praktiken einzudämmen.68 Die jährlichen Untersuchungen über die weltweite Lage der Pressefreiheit von Freedom Hou- se für die Jahre 1994-1997 ergaben, dass die thailändischen Medien nur „teilweise frei“ be- richten konnten. In den folgenden Jahren bis 2001 wurden sie als „frei“ eingestuft. Freedom House schrieb in ihrem 1999er Bericht, dass die thailändischen Printmedien regelmäßig über politische und wirtschaftliche Nachrichten berichteten, sowie über Korruptionsfälle und Men- schenrechtsverletzungen in Thailand. Dagegen hätten staatlich kontrollierte Radio- und Fern- sehsender nur bedingt frei berichten können.69 Es hätten gelegentlich Einschüchterungsversu- che gegenüber Journalisten gegeben. Dies führte teilweise auf Seiten der Journalisten zu Selbstzensur, wenn es um Nachrichten über Themen ging, die beispielsweise das Militär, die Monarchie und die Justiz betrafen.70 Laut Beobachtungen des International Press Institute gehört die thailändische Presse zu den freisten Südostasiens. Allerdings sei Thailand weit davon entfernt, die Pressefreiheit tatsäch- lich vollständig zu genießen, obwohl die Verfassung von 1997, die Pressefreiheit in größerem Maße als frühere Verfassungen garantiert. Das International Press Institute führt in seinen Berichten über die Situation der Pressefreiheit in Thailand von 1997-2001 verschiedene Fälle auf, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Dazu gehören Entwürfe von Gesetzen, die die Pressefreiheit betreffen, Bedrohungen von Journalisten und die Herausgabe von War- nungen an die Presse durch staatliche Behörden.71 4.2 Rechtliche und politische Faktoren 4.2.1 Rechtsgrundlagen Die Verfassung von 1997 garantierte die Pressefreiheit in größerem Umfang als bisherige konstitutionelle Festlegungen.72 Die 1991er Verfassung verbriefte bereits Pressefreiheit, sie berücksichtigte aber die Rundfunkmedien nicht in dem Maß wie die Verfassung von 1997.73 Die für die Pressefreiheit relevanten Ausschnitte sollen hier kurz erläutert werden, um die rechtlichen Grundlagen für die Pressefreiheit darzustellen.

67 ebd., 230. 68 Altendorfer, 1999, 106. 69 Freedom House, 1995-2002. Press Freedom Survey. 70 Freedom House, 2000. Press Freedom Survey. 71 International Press Institute: Thailand. World Press Freedom Review 1997-2001. 72 International Press Institute: Thailand. World Press Freedom Review 1997. 73 Pretzell, 1994, 235f.

146 Pressefreiheit in Thailand

Kapitel III der Verfassung enthielt mehrere, für die Massenmedien in Thailand, relevante Artikel (Art. 39, 40, 41, 58). Jedem Bürger wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit vorgesehen, dieses Grundrecht durch ein Gesetz zu beschrän- ken, um die Sicherheit des Staates zu erhalten, die Freiheiten, die Würde oder das Ansehen ande- rer Personen zu schützen, die öffentliche Ordnung und die guten Sitten aufrechtzuerhalten oder den Verfall der geistigen und körperlichen Gesundheit des Volkes zu verhindern. Laut Verfassung durfte die Regierung weder Verlagshäuser, noch Radio- und Fernsehstationen schließen. Eine Zensur von Nachrichten oder Artikeln durch Beamte war dann zulässig, wenn das Land sich im Kriegszustand oder in einem bewaffneten Konflikt befunden hätte. Zudem legte die Verfassung fest, dass der Staat Medien finanziell nicht unterstützen darf. Besitzer von Zeitungen oder anderen Massenmedienbetrieben müssen thailändischer Nationalität sein.74 Des Weiteren sah die Verfassung eine Reform im Rundfunksektor vor. Eine unabhängige Regulie- rungsbehörde sollte eingerichtet werden, die die Sendefrequenzen verteilen sowie Unternehmen im Rundfunk- und Telekommunikationssektor beaufsichtigen soll. Sie legte fest, dass Sendefre- quenzen von Radio, Fernsehen und Telekommunikation nationale Ressourcen für das öffentli- che Interesse sind.75 Es wurde garantiert, dass sich Beamte und Angestellte in der freien Wirt- schaft oder in staatlichen Behörden und Unternehmen, die im Zeitungs-, Radio- oder Fernseh- geschäft tätig sind, sich im Rahmen der konstitutionellen Bestimmungen frei äußern und ihre Meinung frei ausdrücken dürfen, ohne, dass eine staatliche Behörde, ein staatliches Unterneh- men oder der Besitzer eines solchen Unternehmens dazu eine Vollmacht erteilen muss.76 Auch das Recht auf Zugang zu öffentlichen Informationen von staatlichen Behörden, staatlichen Un- ternehmen oder lokalen Regierungseinrichtungen und über Regierungsprojekte wurde gewährt, mit der Einschränkung, dass die Aufdeckung solcher Informationen die staatliche Sicherheit, die öffentliche Sicherheit oder die Interessen anderer Personen nicht schädigt.77 Diese Beschreibung der Artikel zeigt, dass in der thailändischen Verfassung von 1997 die Pressefreiheit rechtlich verankert wurde. Es gab allerdings Mängel und Probleme bei der Um- setzung dieser verfassungsmäßig vorgesehenen Freiheiten. Diese werden im Laufe der nächs- ten Punkte anhand von Beispielen erörtert. Durch das Informationsgesetz ist das Recht der thailändischen Bürger, Zugang zu öffentlichen Informationen zu erhalten, gesetzlich verankert. Laut dem Gesetz sollen prinzipiell alle öf- fentlichen Daten und Informationen für die Bürger zugänglich sein.78 Nach Art. 13 des Geset- zes können Personen, denen der Zugang zu öffentlichen Informationen verwehrt bleibt, Be- schwerde beim zuständigen Ausschuss einreichen. Jedoch existieren bestimmte Informatio- nen, die staatliche Behörden nicht offen legen müssen.79

74 Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 39. 75 Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 40. 76 Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 41. 77 Thailändische Verfassung, 1997, Artikel 58. 78 Nakorn, 2001, 2. 79 Gesetz zu öffentlichen Informationen, 1997, Art. 13, 15, 18.

147 Pressefreiheit in Thailand

Bei der Umsetzung des Gesetzes kam es allerdings zu verschiedenen Problemen. Diese führ- ten dazu, dass die Bürger die ihnen zustehenden Informationen nicht erhielten. Die Anzahl der Beschwerden und Einsprüche stieg zwischen den Jahren 1998-2000 erheblich. Ein weiteres Problem war, dass ein Großteil der thailändischen Bevölkerung das Gesetz nicht kannte, e- benso wie die Verfahrensweisen, um Zugang zu den Informationen zu erhalten. Auch den Be- amten in den Regierungsbehörden mangelte es am notwendigen Wissen. Überdies wurden in den verschiedenen Behörden die offiziellen Dokumente nur unzureichend verwaltet und In- formationen innerhalb und zwischen den Behörden unsystematisch weitergegeben. Dies er- schwerte und verzögerte die Offenlegung von Informationen.80 Wie bereits erwähnt, soll nach Art. 40 der Verfassung eine unabhängige Regulierungsbehörde geschaffen werden. Im Jahr 2000 wurde das Gesetz zur Einrichtung von zwei Behörden mit den Schwerpunkten: (a) Verteilung der Rundfunkfrequenzen und Aufsicht über den Rundfunk und (b) Aufsicht von Telekommunikationsunternehmen erlassen. Mit der Gründung der Regulie- rungsbehörde für den Rundfunk, des Rundfunkausschusses, sollte die bereits bestehende Regu- lierungsbehörde abgelöst werden. Letztere wurde 1992 gegründet und ihre Mitglieder setzten sich sowohl aus Vertretern von NGOs und Akademikern aus dem Bereich Kommunikations- wissenschaft zusammen, als auch aus Vertretern von staatlichen Behörden, die staatliche Rund- funkmedien besaßen und betrieben. Allerdings bildeten die letztgenannten Vertreter die Mehr- heit. Dieser deutliche staatliche Einfluss sollte in dem neuen Ausschuss vermieden werden.81 Das neue Gesetz sah die Gründung zweier Regulierungsbehörden, eine für den Rundfunk- und eine für den Telekommunikationssektor, vor.82 Beim Entwurfsprozess zum neuen Gesetz zeigte sich ein Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Gruppen. Das Militär und die den Rundfunk weitgehend kontrollierenden staatlichen Behörden, wollten am Status quo festhal- ten.83 Dagegen forderten NGOs und Wissenschaftler mehr Zugang zum Rundfunk für Bürger auf kommunaler Ebene.84 Im Gesetz wurde festgelegt, dass die Rundfunkfrequenzen zwi- schen öffentlichem Sektor, privatem Sektor und Gemeinden verteilt werden sollen. Mindes- tens 20% sollen an Gemeinden gehen.85 Die Wahl der Mitglieder des Ausschusses fand wäh- rend der ersten Amtszeit von Thaksin statt.86 In der Vergangenheit schränkte eine Reihe thailändischer Gesetze und Regulierungen die Pressefreiheit ein. Insbesondere das Pressegesetz von 1941 und das Rundfunkgesetz von 1955 wurden von staatlichen Behörden immer wieder genutzt, um Medieninhalte zu zensieren. Das 1941er Pressegesetz sah vor, dass Drucker, Verleger, Redakteur oder Zeitungseigentümer die Polizei von ihrer Tätigkeit in Kenntnis setzten. Es räumt Behörden erhebliche Machtbefugnis-

80 Nakorn, 2001, 5f. 81 Ubonrat, 2001, 3f. 82 Ubonrat, 1999, 11. 83 ebd., 7. 84 ebd., 11. 85 Gesetz über die Behörde zur Verteilung der Rundfunkfrequenzen und Aufsicht über den Rundfunk und über die Behörde zur Aufsicht von Telekommunikation, 2000, Art. 26. 86 Ubonrat, 2003, 7.

148 Pressefreiheit in Thailand se ein, Publikationen zu verbieten, Inhalte zu zensieren und Lizenzen zu entziehen.87 Das Rundfunkgesetz von 1955 sichert dem Staat die weitgehende Kontrolle über die Verteilung von Senderechten und Programminhalten. Es legt fest, dass private Rundfunksender eine Li- zenz beim Amt für Öffentlichkeitsarbeit einholen müssen. Das Gesetz schließt auch Kabel- fernsehen ein. Staatliche Rundfunksender fallen dagegen nicht unter das Gesetz.88 Des Weite- ren enthält das Strafgesetzbuch in Thailand Bestimmungen, die eine Bestrafung für Majes- tätsbeleidigung vorsehen.89 Das thailändische Königshaus genießt in Thailand höchsten Re- spekt. Die Verfassung von 1997 legt fest, dass der König nicht öffentlich kritisiert werden darf.90 Aufgrund weiterer Artikel des Strafgesetzbuchs ist es Printmedien verboten, Personen zu diffamieren und nationale Institutionen zu verleumden. Sie sehen verschiedene Strafen für diese Vergehen vor.91 Auch das thailändische bürgerliche Gesetzbuch enthält eine Reihe von Bestimmungen, die sich auf Diffamierung beziehen.92 Im Jahr 2000 wurde ein neues Rundfunkgesetz vom Staatsrat93 entworfen.94 Das Gesetz soll den recht- lichen Rahmen für den nationalen Rundfunkausschuss bilden. Nach diesem Gesetzesentwurf wird der Rundfunk in öffentliche, gemeinnützige und kommerzielle Medien aufgeteilt. Der Staat darf laut diesem Gesetzesentwurf nur öffentliche Medien betreiben.95 Ferner soll nach diesem Gesetzesentwurf die neue Regulierung der Fernseh- und Radioindustrie durch den nationalen Rundfunkausschuss alle Rundfunk- sender betreffen. Im Entwurf ist außerdem vorgesehen, dass alle Rundfunksender nur mit Genehmigung des nationalen Rundfunkausschusses betrieben werden dürfen. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit, das eine große Anzahl an Rundfunksendern kontrolliert, wurde davon jedoch ausgeschlossen.96 Dieses Gesetz ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten.97 Durch die Loslösung des Amts für Öffentlichkeitsarbeit von der Regulierung durch den nationalen Rundfunkausschuss, würde dieses Amt eine privilegierte Stellung gegenüber allen anderen Rundfunkbetreibern erhalten. Das heißt, dass die Frequenzen, die vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit für seine Rundfunksender genutzt werden, weiterhin in den Händen dieses Amtes verbleiben. Zudem ist das Amt für Öffentlichkeitsarbeit dem Büro des Premierministers unterstellt. Bleibt das Amt von der neuen Regulierung, mit der eine Aufhebung des staatlichen Monopols im Rundfunk- sektor ursprünglich beabsichtigt war, ausgeschlossen, würde die Regierung indirekt über einen großen Teil der Rundfunkfrequenzen bestimmen können. Eine weitergehende Beeinflussung ist hierbei nicht ausgeschlossen, vielmehr schon zu erwarten.

87 Pressegesetz von 1941. 88 Rundfunkgesetz von 1955. 89 Amnesty International, 1998. 90 Thailändische Verfassung 1997, Art. 8. 91 ARTICLE 19/Forum-Asia, 2005, 70. 92 ARTICLE 19, 2004, 18. 93 „In preparing draft legislation and giving legal opinions, the Council of State and the Office of the Council of State take into account the legal principles and the conformity with related sciences...” Office of the Council of State: Organization Chart http://www.krisdika.go.th/about_01.jsp?head=1&item=3, 15.11.2005. 94 International Press Institute, 2000. 95 Thepchai Yong: Hard Talk: No Doubt Who Still Wants to Rule the Air Waves, in: The Nation, 17.12.2002. 96 Piyamart Songklin: Draft Legislation: MCOT calls for equal treatment, in: The Nation, 18.3.2004. 97 Dies Bestätigte mir Ubonrat Siriyuvasak per E-Mail, November 2005.

149 Pressefreiheit in Thailand

4.2.2 Anwendung von Gesetzen Während der Regierungszeit von Chuan Leekpai wurde sich von verschiedenen Seiten auf Ge- setze berufen, die auf die Pressefreiheit einschränkend wirkten. Im Vorfeld der Senatswahlen des Jahres 2000 wurde den thailändischen Medien von der Wahlkommission verboten, über Stellungnahmen von Senatskandidaten und ihre eventuelle Funktion im Senat zu berichten. Die Fachkommission berief sich dabei auf die Verfassung und das Wahlgesetz nach denen Kandida- ten für die Senatswahl keinen Wahlkampf betreiben dürfen. Somit konnten die thailändischen Medien ihre Informationsfunktion, die für die Meinungsbildung in einer Demokratie von großer Bedeutung ist, aufgrund des Verbots nicht ausüben. Im Fall, dass eine Zeitung oder ein Rund- funksender trotz des Verbots mehr als nur über die biografischen Daten der Kandidaten berich- tet hätte, hätte ihnen eine hohe Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe gedroht. Dies führte dazu, dass die Medien Selbstzensur anwendeten, um eine Strafe zu umgehen.98 Es hatte Fälle gegeben, in denen Journalisten wegen Verleumdung verklagt wurden. Diese Kla- gen gingen vor allem von Politikern und zivilen Beamten aus. Aber auch Polizisten, Prominente und Geschäftsleute verklagten Journalisten. Im Gegensatz zu den ersten beiden Gruppen, die laut einer Studie des Thai Rath Informationszentrums 60% aller Verleumdungsklagen ausmach- ten, ist die Anzahl der zweiten Gruppe verhältnismäßig gering.99 4.2.3 Einfluss der Regierung auf Medieninhalte Mit der zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nach Ausbruch der öko- nomischen Krise Ende der 1990er Jahre wurden die kritischen Stimmen über das Vorgehen der Regierung, die der kritischen Lage nicht Herr werden konnte, in der Presse lauter. Die thailändischen Behörden und Vertreter der Regierung von Chavalit Yongchaiyudh reagierten auf die geäußerte Kritik mit Warnungen, die sie an verschiedene Zeitungen herausgaben. In- nenminister Sanoh Thienthong gab an die Polizeibehörde eine Anordnung, rechtliche Schritte gegen Zeitungen einzuleiten, deren Berichterstattung dem Premierminister oder der Regie- rung Schaden zufügen könnte.100 Trotz der verbalen Drohungen seitens der Behörden und der Regierung gab es keine direkte Einmischung in die Berichterstattung der Printmedien und des privaten Fernsehsenders iTV. Die Betreiber der fünf staatlichen Fernsehsender erhielten dage- gen vom Büro des Premierministers Anweisungen. Sie sollten die thailändische Bevölkerung durch Meldungen, über die wirtschaftliche Lage Thailands und von der Regierung eingeleitete Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise, nicht beunruhigen.101 Der dargestellte Umgang der Regierung Chavalits mit den Medien zum Zeitpunkt der wirt- schaftlichen Krise stellt den Versuch der Regierung dar, durch Warnungen und direkte An- weisungen die Berichterstattung in den Medien zu beeinflussen, um die Veröffentlichung von Kritik zu vermeiden.

98 International Press Institute, 1999. 99 ARTICLE 19/Forum-Asia, 2005, 80. 100 International Press Institute, 1997. 101 ebd.

150 Pressefreiheit in Thailand

4.2.4 Einschüchterungen, Bedrohungen, Morde/Mordversuche an Journalisten Es hat Fälle gegeben, in denen Journalisten bedroht und belästigt wurden, nachdem sie kritisch über die Regierung berichtet hatten. Beispielsweise wurden Mitarbeiter der Zeitung Thai Post vom Privatsekretär des stellvertretenden Premierministers und weiteren Personen bedroht. Die- se stürmten das Büro der Zeitung und wiesen die Mitarbeiter an, kritische Berichte über den stellvertretenden Premierminister zu unterlassen. Weitere Fälle von Einschüchterungen, Bedro- hungen, Mord und versuchten Mord an Journalisten lassen sich nicht in die vorgenommene Ein- teilung in rechtliche, politische und wirtschaftliche Faktoren einordnen. Es ist schwierig einzu- schätzen und zu belegen, inwieweit diese tatsächlich im Zusammenhang mit der journalisti- schen Tätigkeit der jeweiligen Person standen, da die Verbrechen nicht vollständig aufgeklärt wurden. Die verschiedenen Einschüchterungen und Bedrohungen gegenüber Journalisten führ- ten laut Freedom House dazu, dass Journalisten Selbstzensur betrieben.102 4.3 Wirtschaftliche Faktoren 4.3.1 Besitzstruktur der Medien Die thailändischen Printmedien sind in erster Linie privates Eigentum, wobei diese in der Ver- gangenheit im Besitz von Einzelpersonen bzw. kleineren Printmedienunternehmen waren.103 In den 1990er Jahren entwickelte sich die thailändische Medienlandschaft innerhalb kurzer Zeit dahin gehend, dass sie von einigen wenigen großen Medienkonzernen dominiert wurde. Die größten Publikationen finanzieren sich über den Kapitalmarkt und verfügen über eine große fi- nanzielle Basis. Es sind Medienkonzerne entstanden, die verschiedene Formen von Medien be- sitzen und betreiben, wie Radio, Fernsehen, thai- und englischsprachige Zeitungen. Zu diesen gehören unter anderem die Manager Group und die Nation Multimedia Group.104 Im Jahr 2000 gab es 26 nationale Zeitungen und 103 Zeitschriften.105 Von den 525 Radiosta- tionen wird der größte Teil vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit (149 Stationen), dem Verteidi- gungsministerium (211 Stationen) und der Massenkommunikationsorganisation 106 (62 Statio- nen) kontrolliert.107 Während einige der Hörfunkstationen direkt von staatlichen Behörden betrieben werden, sind die meisten Sender im Besitz privater Unternehmen, die diese auf kommerzieller Basis betreiben. Hierfür muss jährlich die Lizenz erneuert werden.108 In den letzten Jahren sind eine Reihe von Gemeinderadios in Betrieb genommen worden. Die- se sind Gemeindeeigentum und werden gemeinnützig betrieben.109 Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf eine Bewegung, die sich für Medienreformen einsetzte. Laut dem Gesetzes- entwurf über den nationalen Rundfunkausschuss sollen mindestens 20% der gesamten natio- nalen Rundfunkfrequenzen an die Gemeinden übertragen werden. Während der Regierungs-

102 Freedom House, 2003 103 Daradirek, 2000, 441. 104 Thitinan, 1997, 227f. 105 Ubonrat, 2001, 20. 106 Ehemals staatliches Unternehmen an dem die Regierung 77% der Anteile hält. 107 Thai Journalist Association 2005, 2. 108 Daradirek, 2000, 445f. 109 Thai Journalist Association, 2003, 60.

151 Pressefreiheit in Thailand zeit von Chuan Leekpai wurde 1999 vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit ein Pilotprojekt initi- iert. Gemeinden hatten die Möglichkeit, über die Regionalstationen von Radio Thailand, das dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit angehört, zu produzieren. Es gab jedoch Schwierigkeiten, weil die staatlich kontrollierten Sender häufig keine Kritik an der Regierung duldeten und die- se zensierten. Mitte 2000 wurde das Projekt von der Regierung eingestellt.110 Obwohl der Rundfunkausschuss noch nicht gegründet ist, sind Gemeinderadios bereits in einigen Gegen- den lizenzfrei in Betrieb genommen worden.111 In Thailand sind fünf staatliche Fernsehsender im Betrieb. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit kon- trolliert und betreibt Channel 11. Die Massenkommunikationsorganisation kontrolliert zwei wei- tere Sender, Channel 3 und Channel 9, wobei sie letzteren eigenständig betreibt. Das Militär kon- trolliert die verbleibenden Stationen Channel 5 und Channel 7. Channel 5 wird vom Militär be- trieben. Zwei private Unternehmen, führen mit staatlicher Lizenz den Sendebetrieb von Channel 3 und Channel 7.112 Neben dem terrestrischen Fernsehen betreiben mehrere Anbieter Kabel-, Satel- liten- sowie digitales Fernsehen. Thailands größter Betreiber ist die United Broadcasting Corpo- ration (UBC). Sie betreibt mit der Lizenz von der Massenkommunikationsorganisation Kabel- fernsehen im Großraum Bangkok und landesweit verschlüsseltes Satellitenfernsehen. Größter An- teilseigner an UBC ist die True Corporation, ein Tochterunternehmen der Charoen Pokphand Group. Charoen Pokphand wurde unter Thaksin Regierungsmitglied.113 In 1996 wurde Thailands einziger Privatfernsehsender iTV gegründet.114 In Reaktion auf die massi- ve Manipulation der Medien durch die Regierung während der politischen Krise im Jahr 1992, war der Sender mit dem Ziel errichtet worden, einen unabhängigen Fernsehsender zu schaffen. Dieser sollte einen großen Anteil an Nachrichten im Programm haben und zeichnete sich durch investigati- ven Journalismus sowie kritische Berichterstattung aus.115 iTV erhielt die Sendelizenz vom Büro des Premierministers im Zuge des ersten freien Ausschreibungsverfahrens, welches für die Vergabe ei- ner Sendelizenz durchgeführt wurde. In allen bisherigen Fällen wurden die Lizenzen ohne Aus- schreibung an ausgewählte Unternehmen vergeben.116 Im Vertrag zwischen iTV und dem Premier- minister wurde ein Nachrichtenanteil von 70% vereinbart.117 2001 kaufte das von Thaksin gegrün- dete Unternehmen Shin Corporation, einen 55%-Mehrheitsanteil an iTV. Die Übernahme des Mehrheitsanteils erfolgte kurz vor den landesweiten Wahlen. NGOs, Wissenschaftler und Teile der Presse kritisierten die Übernahme, wegen der engen Verbindungen zwischen Thaksin, der für das Amt des Premierministers kandidierte, und dem Unternehmen Shin Corporation. Nach der Anteils- übernahme erfolgten erste Veränderungen innerhalb des Senders.118 Diese Veränderungen erfolgten während der ersten Amtszeit Thaksins und werden daher im anschließenden Kapitel aufgeführt.

110 Ubonrat, 2001, 11f. 111 Thai Journalist Association, 2003, 60. 112 Daradirek, 2000, 445f. 113 Thai Day, 03.04.2006. 114 ebd., 436. 115 Pasuk/Baker, 2004, 219. 116 Ubonrat, 2001, 4. 117 O.V.: PM in the dark over iTV, in: The Nation, 01.02.2004. 118 Pasuk/Baker, 2004, 219.

152 Pressefreiheit in Thailand

4.3.2 Auswirkungen der ökonomischen Krise auf die Printmedien Der entscheidende wirtschaftliche Faktor sind die Einnahmen aus Werbegeschäften, die bei den thailändischen Medien einen großen Teil des gesamten Budgets ausmachen. Bei Zeitun- gen stammen die Einnahmen zu etwa 65-80% aus dem Anzeigengeschäft, bei den Fernseh- sendern ist der prozentuale Anteil sogar noch höher. Die Asienfinanzkrise hatte beträchtliche Auswirkungen auf das Einkommen der Printmedien. Der Anteil an Einkünften aus Werbege- schäften fiel im Jahr 1998 auf 17%. Mit der Entwertung des thailändischen Baht im Juli 1997 stiegen gleichzeitig die Produktionskosten. Während dieser Zeit verloren über 3.000 Journa- listen ihren Job. 12 der 25 Tages- und wöchentlichen Zeitungen wurden geschlossen.119 Da viele Medien- und Zeitungsbetriebe finanziell schlecht gestellt waren, kam es vermehrt zu Korruptionsfällen. McCargo berichtete von Fällen, wo Kolumnisten, die die Kommentare in den Tageszeitungen verfassten, käuflich waren. Sie verkauften regelrecht ihren Platz an Politiker.120 Ausgewählten Medienbetrieben wurden von der Chuan Regierung finanzielle Mittel für PR- Kampagnen angeboten. Im Gegenzug erwartete sie eine positive Berichterstattung. Die Be- reitschaft solche Angebote anzunehmen, war bei einigen Medienbetrieben aufgrund der wirt- schaftlichen Lage groß gewesen. Sie sollten das schlechte Anzeigengeschäft kompensieren. Diese Beziehungen zwischen der Regierung und den Medien führte dazu, dass manche Medien eine, die Regierung befürwortende, Haltung zu bestimmten kontroversen Themen einnahmen.121 5 Entwicklung der Pressefreiheit während Thaksins erster Amtszeit (2001-2005) 5.1 Einführende Betrachtungen Seit der Gründung der TRT-Partei bis in Thaksins erstes Amtsjahr dominierten positive Presse- stimmen über seine Person und seine Politik die thailändische Presse.122 Nach einem Prozess we- gen Vermögensverschleierung gegen Thaksin im August 2001123 häuften sich kritischere Berich- te. Thaksin sah sich in der Presse immer stärker Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Infolgedessen änderte sich das Verhalten der Regierung gegenüber den Medien. Es waren stärkere Versuche der Einflussnahme auf die Berichterstattung der Medien zu beobachten.124 Thaksin war für seine Kritikempfindlichkeit bekannt. Dies zeigte sich beispielsweise in seiner Reaktion auf einen Artikel in der Zeitschrift Times im März 2000. In dem Artikel wurde über Thaksins frühere politische Fehlschläge diskutiert und darauf hingewiesen, dass Thaksin be- hauptete Führer des digitalen Zeitalters zu sein, sich aber mit konservativen „analogen“ Poli- tikern verbündete. Thaksin kritisierte, dass Fakten in der Berichterstattung verzerrt dargestellt

119 Daradirek, 2000, 439ff; Thai Journalist Association, 2003, 9. 120 McCargo, 2000, 2f. 121 Ubonrat, 2003, 4. 122 Ubonrat, 2004, 179. 123 Thaksin wurde von der Korruptionsbekämpfungsbehörde wegen Verschleierung seines Vermögens beim Amtsantritt als Außenminister 1994 im Dezember 2000 angeklagt. Die Verfassung schreibt vor, dass ein Minister seine Vermögensverhältnisse bei Amtsantritt korrekt mitteilen muss. Thaksin hatte Teile seines Vermögens auf seine Hausangestellte und Geschäftsfreunde überschrieben. Das Gericht sprach ihn mit 8:7 Stimmen frei. Bünte, 2004, 545. 124 Ubonrat, 2004, 179.

153 Pressefreiheit in Thailand worden seien.125 Zudem behauptete Thaksin, es gäbe eine Verschwörung gegen ihn. Die aus- ländische Presse würde nur die Hälfte der Informationen verwenden, die er gegeben hatte und die thailändische Presse würde diese Informationen hochspielen.126 Später mahnte Thaksin die Presse immer wieder, zuerst an das „nationale Interesse“ zu denken. Wenn das Ausland Thai- land kritisiere, würde es häufig thailändische Medienberichte zitieren. Aus diesem Grund soll- ten die thailändischen Printmedien das Land in einem positiven Licht darstellen.127 Thaksins Ansichten wurden zusätzlich von einigen der konservativsten Kräfte innerhalb der Regierung begrüßt und unterstützt. Zu diesen konservativen Kräften gehörten einige Generäle des thailändischen Militärs, sowie verschiedene so genannte „Jao Pho“.128 Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen wie Freedom House, Reporter ohne Gren- zen und Human Rights Watch über die Lage der Pressefreiheit unter Thaksin ergeben ein ein- heitliches Bild. Ihre jährlichen Untersuchungen ergaben, dass die Pressefreiheit in Thailand seit Thaksins Amtsantritt in 2001 stärkeren Restriktionen als in den vier Jahren vorher unterlag. Während Thailand von Freedom House in 2001 noch als „frei“ eingestuft wurde, rutschte das Land ein Jahr später auf den Rang eines Landes, dessen Medien nur „teilweise frei“ waren. Die Lage verschlechterte sich seitdem von Jahr zu Jahr.129 Freedom House führte die Einschrän- kungen der Pressefreiheit auf wirtschaftlichen und politischen Druck der Regierung auf Me- dienunternehmen und in diesen Unternehmen tätige Personen zurück. Des Weiteren fügte Free- dom House an, dass Unternehmen, die von Thaksins Familie geleitet wurden oder Verbindun- gen zur regierenden Partei hatten, eine steigende Zahl an Medienunternehmen besaßen oder An- teile an diesen aufkauften und redaktionellen Einfluss ausübten. Freedom House führte aber auch an, dass obwohl zunehmend Selbstzensur von Journalisten be- trieben wurde, dennoch einige unter ihnen kritische Berichterstattung betrieben.130 Diese Ein- schätzung korrespondierte mit den, von der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, jährlich herausgegebenen Ranglisten zur internationalen Situation der Medienfreiheit.131 Dem Be- richt von Human Rights Watch von 2005 über die weltweite Lage der Menschenrechte zufolge, dokumentierten die thailändische Journalistenvereinigung (TJV) und die thailändische Rundfunk- vereinigung (TRV) zwischen 2002-2004 mehr als 20 Fälle, in denen Redakteure und Journalisten

125 McCargo, 2003, S. 143f. 126 ebd., 145. 127 Yuwadee Tunyasiri: „PM Blasts Press 'inaccuracy', prefers radio“, in: Bangkok Post, 04.03.2004. 128 Der Begriff „Jao Pho“ bezieht sich auf eine einflussreiche Person der Lokalität, die ihren Wohlstand und informelle Macht, durch Patronage, Bestechung, Gewalt oder anderen Mitteln, nutzen, um sich über das Gesetz zu stellen und anderen außergesetzlichen Schutz zu bieten. Die „Jao Pho“ wuchsen anfänglich unter dem Schirm militärischer Diktatoren heran. Sie hatten große Geschäftsinteressen, die mit legitimen und kriminellen Tätigkeiten verbunden waren. Einige von ihnen nahmen zunehmend eine bedeutende Rolle in der Politik auf lokaler und nationaler Ebene ein. Mehrere „Jao Pho“ wurden ins Parlament gewählt, andere stiegen zu ministeriellen Posten auf oder beeinflussten die Politik durch finanzielle Unterstützung von Kandidaten in lokalen und landesweiten Wahlen. Durch ihre aktive Teilnahme in der Politik auf nationaler Ebene war es ihnen möglich Institutionen parlamentarischer Demokratie zu manipulieren, um ihre geschäftlichen Interessen auf legale und illegale Weise zu fördern. Pasuk/Sungsidh, 2001, 57ff. 129 Freedom House, 2002-2005. 130 Freedom House, 2005. 131 Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2002-2005.

154 Pressefreiheit in Thailand entlassen bzw. versetzt worden sind, oder in ihrer Arbeit beeinflusst wurden, um regierungskriti- sche Berichterstattung zu unterbinden.132 Im Folgenden soll die Entwicklung der Pressefreiheit unter Thaksin anhand von konkreten Fällen genauer untersucht werden. 5.2 Rechtliche und politische Faktoren Was die rechtliche Lage hinsichtlich der Pressefreiheit in Thailand betrifft, hat es während Thaksins erster Amtszeit wenig Veränderungen gegeben. Gesetze, die auf die Pressefreiheit einschränkend wirken, wie das Pressegesetz von 1941 oder das Rundfunkgesetz von 1955 et- wa, waren weiterhin existent.133 5.2.1 Umsetzung von der Pressefreiheit dienenden Gesetzen Das Informationsgesetz von 1997 erfuhr laut der TJV nur eine unzureichende Anwendung. Wie in den Jahren zuvor, blieb der Zugang zu öffentlichen Informationen weiterhin in vielen Fällen blockiert. Die Anzahl der Beschwerden, die beim Ausschuss für öffentliche Informationen zwischen den Jahren 2001- 2004 eingingen, war ansteigend. In einem Bericht an das Kabinett über die Durchführung des Gesetzes während des Jahres 2003 wurden verschiedene Probleme angeführt.134 In einigen Fällen antworteten die jeweiligen Regierungsbehörden auf Anfragen zu Informationen überhaupt nicht. Außerdem wurden eine Reihe von Anfragen unbegründet abgelehnt. Einige Behörden gaben an, aufgrund nicht auffindbarer Informationen Anfragen nicht bearbeiten zu können. Untersuchungen ergaben, dass dies mit mangelhaf- ten Datenerfassungs- und Ablagesystemen zusammenhängt. Weiterhin gibt es einige nach der Verfassung von 1997 geschaffene unabhängige Institutionen, die sich auf ihren unabhängigen Status berufen, um die Verweigerung der Herausgabe von Daten zu begründen. Sie argumentieren, dass der Ausschuss dem administrativen System unterstellt ist, dem sie nicht angehören. Damit seien sie nicht befugt, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen oder Anweisungen zu erteilen. Der Ausschuss für öffentliche Informationen ist dem Büro des Premierministers unterstellt, das Teil des Administrationssystems ist.135 Die Durchführung des Informationsgesetzes wird zusätzlich durch langsame Handlungs- und Entscheidungsprozesse der Kommission behindert. Dabei führt die zunehmende Anzahl der Beschwerdefälle zu noch längeren Bearbeitungszeiten.136 5.2.2 Verzögerung der Medienreform und ihre Auswirkung auf die Entwicklung von Gemeinderadios Die in der Verfassung vorgesehene Medienreform, die die Verteilung der Rundfunkfrequen- zen über eine unabhängige Regulierungsbehörde, dem nationalen Rundfunkausschuss, bein- haltet, war unter Chuan Leekpai nicht umgesetzt worden und wurde ebenfalls während Thak-

132 Human Rights Watch: Human Rights Overview 2004 - Thailand. 133 Thai Journalist Association, 2003, 2. Auch nach Meinung von Pasuk und McCargo hat sich die rechtliche Lage während der ersten Amtszeit von Thaksin kaum verändert. Allerdings habe sich die Art und Weise, wie Gesetze und Regulierungen angewendet wurden, um die Pressefreiheit einzuschränken, verändert. 134 Thai Journalist Association, 2003, 68f. 135 ebd., 70. 136 ebd., 69ff.

155 Pressefreiheit in Thailand sins erster Amtszeit nicht umgesetzt. Im Oktober 2001 fand die Wahl zum nationalen Rund- funkausschuss statt.137 Für die Wahl wurde ein Wahlkomittee aus 17 Mitgliedern aufgestellt. Diese setzten sich aus fünf Beamten staatlicher Behörden, die zu den Rundfunkmedien in Be- ziehung stehen, vier Akademikern aus dem Bereich Kommunikationswissenschaft und jeweils vier Vertretern von Medienberufsverbänden und NGOs zusammen. Die Mitglieder, die den Wahlausschuss bilden sollten, wurden von den einzelnen Gruppen selbst bestimmt. Der Wahlvorgang wurde von Vertretern der Medien, wegen des übermäßigen Einfluss des Militärs und der staatlichen Behörden sowie großer Medienunternehmen, kritisiert. Einige, der in die engere Wahl gekommenen Kandidaten, kamen von staatlichen Behörden und man- che hatten enge Verbindungen zu großen Medienunternehmen.138 Noch in 2001 legten Aktivisten139 Klage beim Verwaltungsgericht ein, da sie, wegen enger Bindungen einiger Mitglieder im Wahlausschuss zu Kandidaten auf der engeren Auswahlliste, Interessenkonflikte vermuteten. Das Gericht entschied, die in die engere Wahl gekommenen Kandidaten abzulehnen, da bestimmte Mitglieder des Wahlausschusses enge Verbindungen zu Channel 3 und Channel 5 hätten. Es gab außerdem bekannt, dass vier von 14 Kandidaten Geschäfts- bzw. Arbeitsbeziehungen zu Mitgliedern des Wahlausschusses hatten. Die Wahl des nationalen Rundfunkausschusses wurde in 2004 erneut aufgenommen. Unter den Kandidaten, die vom Wahlausschuss vorgeschlagen wurden, waren Personen, die bei der vorheri- gen Wahl bereits verdächtigt wurden, enge Verbindungen zu Mitgliedern im Wahlausschuss zu haben. Das Verwaltungsgericht erklärte auch diese Wahl für ungültig.140 Bis zum Ende der ersten Amtszeit Thaksins kam es zu keinem Abschluss der Wahl.141 Die Entwicklung der Gemeinderadios wurde durch die Verzögerung der Wahl der Mitglieder für den nationalen Rundfunkausschuss und die Verzögerung des Gesetzerlasses über die Neu- verteilung der Rundfunkfrequenzen behindert. Obwohl die rechtlichen Mittel noch fehlten und der Rundfunkausschuss noch nicht gegründet war, sind Gemeinderadios bereits in einigen Gegenden ohne Lizenz in Betrieb genommen worden.142 Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit erlaubte zunächst versuchsweise Radiosendungen auf Ra- diostationen in 20 Provinzen. In 2002 beschloss das Amt jedoch diese Sendungen einzustellen, weil sie nicht legal seien. Die Anordnung gründete auf dem Radio- und Fernsehgesetz von 1955, nach dem Rundfunkstationen eine Lizenz benötigen, um senden zu dürfen. Wegen der noch ausstehenden Gründung des Ausschusses sollten vorläufig bisherige Gesetze gelten. Eini- ge Gemeinderadiostationen erhielten Anweisungen, ihre Sendetätigkeit einzustellen.143

137 Ubonrat, 2003, 8. 138 Ubonrat Sririyuvasak: “Opinion to Reform of Broadcast Media”, in: The Nation, 27.08.2001. 139 Aus dieser Quelle geht nicht hervor, um wen es sich bei den „Aktivisten“ handelte. 140 Mongkol Bangprapa: “Activist Faults National Broadcasting Commission Shortlist”, in: Bangkok Post, 25.12.2004. 141 O.V.: Editorial: “Will the Voters Come to the Rescue?”, in: The Nation, 31.01.2005. 142 Thai Journalist Association, 2003, 62f. 143 King-oua Laohong und Pailin Wanichthanarak: “Community Radio: Government Orders Villagers off the

156 Pressefreiheit in Thailand

Gemeinderadiostationen, die weiterhin ohne Lizenz sendeten hatten mit Gefängnis- und Geld- strafen zu rechnen. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit schlug vor, dass Gemeinden, wenn sie eine Gemeindesendung bräuchten, den Dienst einer bereits bestehenden lizenzierten Radiosta- tion in der Umgebung in Anspruch nehmen könnten.144 Damit hätten sie unter der Kontrolle staatlicher Behörden gestanden. Es gab während der Regierungszeit von Thaksin einige Zwangsbeschlagnahmungen von Ge- räten und Schließungen von Gemeinderadiostationen. Dies betraf vor allem Radiostationen, die kritisch über die Regierung berichteten,145 was die Vermutung nahe legt, dass die Anord- nungen politisch motiviert waren. Seitens der Regierung wurde mit dem Verbot der Gemeinderadios noch geltendes Recht durchge- setzt, da diese Sender ohne Lizenz sendeten. Allerdings kann der Regierung eine gewisse Willkür unterstellt werden, da sie diesen Gemeinderadios erst die Erlaubnis erteilte, den Sendebetrieb schon vor der Neuverteilung der Lizenzen aufzunehmen und diese Erlaubnis kurze Zeit später zurückzog. Dadurch konnten die Gemeinden die ihnen offiziell zustehenden Sendelizenzen nicht nutzen. 5.2.3 Gesetzesentwürfe, die die Pressefreiheit betreffen Während der ersten Regierungszeit Thaksins wurde ein Gesetz entworfen, das sich auf die Zusam- mensetzung eines zu gründenden Medienrats bezog. Im Februar 2003 legten Parlamentsabgeordne- te der regierenden TRT-Partei einen Gesetzesentwurf für die Schaffung eines Medienrats vor.146 Der Medienrat147 sollte Richtlinien zur Wahrung der Ethik für den Rundfunk ausarbeiten und Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung dieser Richtlinien verhängen.148 Es sollte Maßnahmen wie Bewährungszeiten oder vorübergehende Schließungen der Rundfunkstationen geben. Sehr gravierende oder wiederholte Verstöße gegen die Richtlinien sollten mit permanenter Schlie- ßung der Rundfunkstationen oder Gefängnisstrafen bestraft werden.149 Die Mitglieder sollten aus Fachleuten der Runfunkbranche bestehen und vom Premierminister ernannt werden.150 Das von TRT-Parteimitgliedern vorgeschlagene Gesetz führte zu einer Kritikwelle im Rund- funksektor. Auch Oppositionspolitiker äußerten sich kritisch zu dem Gesetzentwurf, der mit der Verfassung von 1997 nicht vereinbar sei. Journalistenvereinigungen warfen der Regierung vor, die Medien mithilfe des entworfenen Gesetzes kontrollieren zu wollen. Aufgrund dieser Kritik wurde der Gesetzesentwurf nach einer Woche verworfen.151

Airwaves”, in: The Nation, 21.04.2002. 144 Thai Journalist Association, 2003, 66. 145 ARTICLE 19; Forum Asia, 2005, 94f. 146 Reporter ohne Grenzen, 2004. 147 Dieser Medienrat ist nicht zu verwechseln mit dem nationalen Rundfunkausschuss, der laut der Verfassung von 1997 für die Neuverteilung der Rundfunkfrequenzen zuständig sein sollte. 148 Committee to Protect Journalists, 2003. 149 Reporter ohne Grenzen. 2004. 150 Thai Journalists Association, 2003, 13. 151 Reporter ohne Grenzen: Thailand - 2004 Annual Report.

157 Pressefreiheit in Thailand

Die Bestimmung, dass Mitglieder des Medienrats durch den Premierminister ernannt werden sollen, hätte Thaksin erhebliche Einflussmöglichkeiten über den Rundfunksektor eingebracht. Die Unabhängigkeit der Mitglieder des Rats wäre vermutlich nicht gegeben gewesen. Im vierten Abschnitt wurde unter den rechtlichen und politischen Faktoren der Entwurf für ein neues Rundfunkgesetz beschrieben. Das Gesetz soll den rechtlichen Rahmen für den na- tionalen Rundfunkausschuss bilden. In 2004 schlug ein Untersuchungsausschuss, der vom stellvertretenden Premierminister Vis- hanu Kruagnam geleitet wurde, vor, auch die Massenkommunikationsorganisation neben dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit von der Kontrolle des nationalen Rundfunkausschusses zu ent- binden.152 Damit würden bereits zwei staatliche Behörden, die dem Büro des Premierministers unterstehen von der Regulierung des neuen Rundfunkausschusses ausgeschlossen werden und die Regierung würde indirekt über einen noch größeren Teil der Rundfunkfrequenzen und de- ren Inhalte bestimmen können. 5.2.4 Anwendung von Gesetzen Staatliche Behörden wendeten zudem Gesetze an, um Medien bzw. deren Inhalte zu zensieren. An dem folgenden Fall wird dies deutlich. Er zeigt zudem, dass auch internationale Printmedien von Einschränkungen der Pressefreiheit betroffen waren. Im Januar 2002 wurde eine Ausgabe des englischsprachigen Wirtschaftsmagazins Far Eastern Economic Review (FEER), das in Hongkong herausgegeben wird, von thailändischen Behörden verboten. Die FEER berichtete in ihrer Ausgabe vom 10.01.2002 über Spannungen zwischen dem Königshaus und Thaksin. Der Verfasser des Artikels wies auf die Geburtstagsansprache des thailändischen Königs im De- zember 2001 hin, die als persönlicher Tadel an Thaksin interpretiert wurde.153 Laut thailändischer Behörden hätte der Artikel die öffentliche Ordnung und Moral stören kön- nen und damit das Pressegesetz von 1941 verletzt. Die Ausgabe wurde in Thailand verboten und alle Exemplare konfisziert.154 Zusätzlich zum Publikationsverbot wurden auch die Visa des amerikanischen FEER Geschäftsleiters aus Bangkok Shawn Crispin und des englischen Kor- respondenten Rodney Tasker aufgehoben. Die thailändische Immigrationspolizei begründete ihr Vorgehen damit, dass sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellten.155 Letztlich konnten Crispin und Tasker einer Ausweisung aus Thailand entgehen, da das Management der FEER der Forderung der Regierung, sich für den Artikel zu entschuldigen, nachkam.156 Dieses Beispiel zeigt, auf welche Art und Weise thailändische Behörden Gesetze anwendeten, um die Verbreitung kritischer Berichte über die Regierung bzw. das Königshaus zu ver- hindern. Die Behörden gingen dabei so weit, nicht nur die Ausgabe der Zeitschrift zu ver- bieten, sondern drohten auch mit der Ausweisung ausländischer Journalisten. Der FEER Arti-

152 Thepchai Yong: “Hard Talk: MCOT: Going Public with a private Agenda”, in: The Nation, 23.03.2004. 153 McCargo, 2003, 146. 154 International Press Institute, 2002. 155 International Press Institute, 2002. 156 McCargo, 2003, 146f.

158 Pressefreiheit in Thailand kel hatte auch Auswirkungen auf thailändische Medien, die über diesen Artikel berichteten. Mehrere Radiosendungen wurden eingestellt, nachdem in den Sendungen über den Artikel der FEER berichtet wurde und die Vorgehensweise der Behörden kritisiert wurde.157 Ein weiteres Beispiel von Pressezensur seitens der thailändischen Behörden stellt die Ver- warnung einer Spezialeinheit der Polizei an die beiden thailändischen Tageszeitungen Thai Rath und Krungthep Turakij dar. Im August 2001 erhielten beide Zeitungen eine Verwarnung, weil sie einen Bericht von der Nachrichtenagentur Reuters über den Gerichtsprozess zu dem Vor- wurf der Vermögensverschleierung gegen Thaksin veröffentlichten. In einem Brief ermahnte die Spezialeinheit der Polizei die Zeitung, in Zukunft mit größerer Vorsicht zu handeln. Die Spezialeinheit bezog sich dabei auf das Pressegesetz von 1941. Laut der Spezialeinheit hätte die Zeitung unverantwortlich gehandelt. Der Bericht über das bevorstehende Urteil im Fall Thaksin hätte sich auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung auswirken können.158 Dieses Beispiel stellt einen eindeutigen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Die Zeitung hatte über gesicherte Tatsachen berichtet und wurde mit der Begründung verwarnt, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung beeinträchtigt werden könnte. Daraus lässt sich ableiten, dass von behördlicher Seite vorausgesetzt wurde, dass Zeitungsinhalte der Regierung dienlich sein sollten. Eine objektive Berichterstattung wurde somit unterbunden. Neben dem direkten Einfluss durch Behörden gab es auch indirekte Einflussnahmen auf die Medien. Auch hier wurden Gesetze an- gewendet, die jedoch keine direkte Zensur zur Folge hatten. Sie wirkten aber einschüchternd auf Journalisten, so dass diese in der Folge stärker Selbstzensur ausübten. Während der ersten Amts- zeit von Thaksin Shinawatra gab es mehrere Fälle, in denen Zeitungen und ihre Mitarbeiter wegen Verleumdung verklagt wurden. Einer dieser Fälle soll hier beispielhaft dargestellt werden. Supinya Klangnarong, Generalsekretärin der Nichtregierungsorganisation Campaign for Popular Media Reform, und drei Geschäftsführer der Thai Post wurden wegen Verleumdung von Shin Corporation verklagt. Die Anklage von Shin Corporation bezog sich auf einen Zei- tungsartikel der Thai Post im Juli 2003.159 Diese hatte Supinya zitiert, die von einem Zusam- menhang zwischen der Gewinnsteigerung des Unternehmens und Thaksins Position in der Poli- tik ausging. Die Thai Post fügte hinzu, dass Supinya eine zunehmende Verflechtung von Politik und Wirtschaft seit der Gründung der TRT-Partei sieht. Ihrer Meinung nach profitierten nicht nur Unternehmen der Shin-Gruppe seit Gründung der TRT-Partei.160 Shin Corporation bestritt den von Supinya aufgezeigten Zusammenhang. Das Unternehmen wandte ein, dass der Erfolg des Unternehmens allein auf den Geschäftssinn des Managements zurückzuführen sei.161 Bei einem Schuldspruch im Strafverfahren hätten Supinya bis zu zwei Jahre Gefängnis ge-

157 Reporter ohne Grenzen, 2003. 158 Reporter ohne Grenzen, 2002. 159 McCargo/Ukrist, 2005, 192. 160 NGO prathan ha pi thai rak thai kam rai chinawat (NGO-Vorsitzende kritisiert: Shin Corporation profitiert davon, dass TRT Partei seit fünf Jahren an der Macht ist), in: Thai Post, 16.07.2003. 161 Jane Perlez: “Reformer Makes Waves in Thai 'Still Water'”, in: International Herald Tribune, 01.07.2004.

159 Pressefreiheit in Thailand droht. Bei der zivilen Klage ging es um eine Geldstrafe von bis zu 400 Mio Baht (8 Mio.€).162 Die Anhörung Supinyas und der drei Geschäftsführer der Thai Post vor dem Strafgericht wurde auf Juli 2005 verschoben.163 Auch die Verhandlung vor dem Zivilgericht wurde bis zum Abschluss des strafrechtlichen Falls verschoben.164 Die Zeitung Thai Post sei für ihre kritischen Artikel über Handlungen und Entscheidungen der Regierung und Regierungsbehörden bekannt gewesen, meint die TJV. Unter der Regie- rung Thaksins hätte die Thai Post genauen Beobachtungen unterlegen.165 Ein Redakteur der Thai Post, Ateukit Sawaengsuk, beobachtete, dass Journalisten der Zeitung nach der Anklage von Supinya und den drei Geschäftsführern der Thai Post vorsichtiger geworden seien.166 Dieser Fall steht beispielhaft für eine ganz Reihe von Verleumdungsklagen gegen Journalisten und Medienunternehmen. Weitere solcher Klagen gingen von verschiedenen Politikern aus, die sowohl aus der Regierungskoalition als auch aus der Opposition kamen.167 Diese Klagen hatten auf manche Journalisten eine einschüchternde Wirkung, so dass sie es unterließen, zu kritisch zu berichten, um nicht selbst angeklagt zu werden.168 Im Folgenden geht es um einen Fall, in dem Journalisten und auch Oppositionspolitiker von einer staatlichen Behörde belästigt wurden. In 2002 ordnete die Antigeldwäsche-Behörde Banken an, das Vermögen von insgesamt 34 Per- sonen und Unternehmen, darunter Medienunternehmen und Oppositionspolitiker, zu untersu- chen. Unter den Personen, deren Konten überprüft wurden, waren vor allem bekannte Journalis- ten und Redakteure der thailändischen Zeitungen The Nation und Thai Post und ihre Familien. Zu den Unternehmen, die von der Antigeldwäsche-Behörde untersucht wurden, gehörten Un- ternehmen der Nation Multimedia Group und an die Thai Post angeschlossene Unternehmen. Medienunternehmen und Journalisten, die auf der Liste vertreten waren, waren für ihre re- gierungskritische Haltung bekannt. Medienwissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten ver- muteten daher, dass die Antigeldwäsche-Behörde von der Regierung als politisches Instrument verwendet wurde, um Journalisten einzuschüchtern.169 Anlass für die Anordnung der Untersuchung war ein anonymer Brief, den die Antigeldwä- sche-Behörde erhalten hatte. Der Brief enthielt eine Liste mit Namen von Personen und Un- ternehmen, die angeblich in erpresserischen Handlungen krimineller Kreise verwickelt gewe- sen sind und zu dem der Zollhinterziehung beschuldigt wurden. Beide Verbrechensarten fal- len unter das Antigeldwäsche-Gesetz.170 Thaksin ist per Gesetz Vorsitzender der Behörde. Er distanzierte sich aber von der Anordnung und behauptete, die Antigeldwäsche-Behörde hätte

162 Thai Journalist Association, 2003, 44f. 163 Southeast Asian Press Alliance: Thai Court Pushes Back Supinya Trial to Second Half of 2005, 02.10.2004. 164 O.V.: In Brief: “Shin Libel Action”, in: The Nation, 12.10.2004. 165 Thai Journalist Association, 2003, 42. 166 ebd., 45. 167 O.V.: Editorial: “The Thai Media Is Under Attack”, in: The Nation, 09.10.2002. 168 Thai Journalist Association, 2003, 45. 169 Thaksingate, in: The Nation, 07.03.2002. 170 O.V.: “Tip-off Letter Was Incoherent, Government Panel Admits”, in: The Nation, 22.3.2002.

160 Pressefreiheit in Thailand selbstständig gehandelt. Von der Regierung sei eine solche Anweisung nicht erteilt worden.171 Die Redakteure der Nation Multimedia Group, deren Konten untersucht worden waren, hatten gegen die Antigeldwäsche-Behörde und Thaksin geklagt. Sie warfen ihnen vor, dass Anti- geldwäschegesetz missbraucht zu haben, um Journalisten einzuschüchtern. Die Redakteure konnten eine einstweilige Verfügung gegen die Untersuchung ihrer Konten erwirken.172 Im Juni 2005 entschied das Verwaltungsgericht, dass die Untersuchung der Konten illegal war.173 Doch bereits zwei Tage vor Verkündung des Urteils lenkte die Antigeldwäsche-Behörde ein, in dem sie die Untersuchung einstellte. Das Verwaltungsgericht ließ daraufhin die Klage fallen.174 Auffallend ist, dass die Journalisten und Medienunternehmen, deren Konten untersucht wer- den sollten, für ihre regierungskritische Haltung bekannt waren. Außerdem wurde der oder die Verfasser des Briefes an die Antigeldwäsche-Behörde nie öffentlich genannt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Liste nur geschaffen wurde, um die betreffenden Personen zu schikanieren und Angriffspunkte zu finden. 5.2.5 Thaksins Radiosendung Kurz nach seinem Amtsantritt begann Thaksin eine wöchentliche Hörfunksendung zu initiie- ren. Zunächst wurde Thaksins Sendung nur auf Stationen übertragen, die vom Amt für Öffent- lichkeitsarbeit betrieben wurden. Später wurde das Programm auf weitere Stationen ausge- dehnt. Thaksin sprach während seiner Sendung über das politische Programm und die Leis- tungen der Regierung. Außerdem kommentierte er in der Sendung aktuelle nationale oder globale Ereignisse. Der Moderator der Sendung durfte während der Sendung weder Fragen stellen, noch Einzelheiten ansprechen. Diese Sendung gab Thaksin die Möglichkeit, eigenständig Medieninhalte zu gestalten und ohne weitere redaktionelle Aufarbeitung durch Journalisten zu verbreiten. Gelegentlich nutzte er seine Sendung auch, um seinen Unmut über seine Kritiker zu äußern.175 Thaksin belegte durch seine Ausstrahlungen die Sendezeit der Sender und nutzte diese für seine politischen Zwecke. Dies stellt für sich genommen eine weitere Einschränkung der Pressefreiheit dar. 5.3 Wirtschaftliche Faktoren An den im Abschnitt „Entwicklung der Pressefreiheit zwischen 1997-2001“ aufgezeigten Be- sitzverhältnissen der Medienunternehmen hat sich in der ersten Amtszeit von Thaksin wenig geändert. Aufgrund der noch ausstehenden Einrichtung des nationalen Rundfunkausschusses wird der Rundfunk weiterhin überwiegend staatlich kontrolliert.

171 O.V.: “Panel Blames Two Chiefs Over Probes. Top Officials Face Disciplinary Action”, in: Bangkok Post, 16.03.2002. 172 O.V.: In Brief: “Abuse-of-Authority Case: Court Orders AMLO, PM to Submit Written Testimony”, in: The Nation, 16.03.2002. 173 O.V.: “AMLO Scandal: Absolved”, in: The Nation, 18.09.2002. 174 O.V.: “AMLO Times It to Perfection”, in: The Nation, 25.06.2002. 175 McCargo/Ukrist, 2005, 168ff.

161 Pressefreiheit in Thailand

5.3.1 Medienkontrolle durch Thaksins Verwandtschaft und TRT-Partei-Mitglieder Im August 2003 wurde Thaksins Cousin Chaisit Shinawatra zum Oberbefehlshaber des thai- ländischen Militärs ernannt.176 Da dem Militär mehrere Fernseh- und Radiosender unterste- hen, rückten diese dadurch ebenfalls weiter in den Einflussbereich Thaksins.177 Auch haben in den letzten Jahren nähere Verwandte von TRT-Partei-Mitgliedern Anteile an Medienun- ternehmen erworben. 2003 eigneten sich laut Angaben der thailändischen Börse Mitglieder der Jungrungreangkit und Chulangkula Familien Aktien der Nation Multimedia Group an. Sie alle sind mit dem Transportminister Suriya Jungrungreangkit verwandt. Mit dem Kauf von mehr als 10% der Anteile an der Nation Multimedia Group, wurden sie neben den Gründern Thanachai Teera- patnawong und Suthichai Yoon drittgrößter Gesellschafter der Gruppe.178 Der Kauf von An- teilen an einem Medienunternehmen spiegelt die teilweise engen Verknüpfungen zwischen Medienunternehmen und Mitgliedern des Thaksin Kabinetts wider. Ein weiteres Medienunternehmen, an dem große Anteile erworben wurden, ist der Fernsehsender iTV. Da der Erwerb der Mehrheit der Anteile am Nachrichtensender iTV durch Shin Corporation noch vor der landesweiten 2001er Wahl stattfand, wurde bereits im vorherigen Abschnitt darauf eingegangen. An dieser Stelle sollen Veränderungen aufgezeigt werden, die seit der Übernahme des Mehrheitsanteils an iTV durch Shin Corporation vorgenommen wurden. Die Übernahme durch Shin Corporation erfolgte kurz vor den Wahlen. Journalisten von iTV beschwerten sich über die Beeinflussung der Wahlberichterstattung zugunsten der TRT-Partei durch das Management. 23 Journalisten von iTV wurden kurze Zeit später, im Februar 2001, entlassen. Die Labor Relations Commission, an die sich die entlassenen Mitarbeiter wandten, entschied auf Wiedereinstellung.179 Da Shin Corporation Berufung gegen die Entscheidung einlegte, verzögerte sich der Prozess. Erst im März 2005 kam es zu einer Entscheidung des obersten Gerichts. Das Gericht ordnete ebenfalls die Wiedereinstellung der Journalisten sowie die Zahlung der seit ihrer Entlassung im Februar 2001 ausgefallenen Gehälter an.180 Kurz vor Ausbruch der Wirtschaftskrise gegründet und mit wesentlich höheren Lizenzgebühren als andere Sender belastet, fuhr der Sender nie Gewinne ein. Auch unter der Leitung von Shin Corporation blieb iTV zunächst in den roten Zahlen. Dies änderte sich im Januar 2004 mit dem Urteil eines Schiedsgerichts, dass das Management von iTV einberufen hatte. Das Urteil regelte die Höhe der Lizenzgebühren und eine Anhebung des Unterhaltungsanteils im Programm. Der Sender hatte der Regierung vorgeworfen, auf Sendern der Konkurrenz mehr Werbung erlaubt zu haben, und damit Vertragsbruch begangen zu haben.181 Das Schiedsgericht ordnete eine rückwir- kende Lizenzgebührsenkung von 25.5 auf 7.8 Mio. Baht (500.000 auf 150.000 €) an, sowie die

176 Pasuk/Baker, 2004, 182. 177 Ubonrat, 2004, 180. 178 Thai Journalist Association, 2003, 31f. 179 The Committee to Protect Journalists, 2002. 180 “Supreme Court Verdict: Fired iTV Staff Win Legal Fight”, in: The Nation, 09.03.2005. 181 Pasuk/Baker, 2004, 219f.

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Rückzahlung der bereits zu viel gezahlten Gebühren. Außerdem legte das Gericht eine Erhöhung des Unterhaltungsanteils während der Hauptsendezeit von 30 auf 50% fest und zusätzlich eine Entschädigung für die durch die Werbung auf den anderen Sendern verursachten entgangenen Einnahmen.182 Das Schiedsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es iTV wettbe- werbsfähig halten wolle. Diese Entscheidung stieß in der Öffentlichkeit auf starke Kritik, da be- fürchtet wurde, dass die Unabhängigkeit des Senders bedroht sei.183 Daraufhin reichte das Büro des Premierministers beim Verwaltungsgericht eine Petition ein, um die Schiedsgerichtsentschei- dung anzufechten.184 Obwohl die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch ausstand, nahm iTV die Programmänderungen bereits vor und rechtfertigte dies mit dem Beschluss des Schiedsge- richts. Auch nach einer Mahnung des Büros des Premierministers, die Programmänderungen zu- rückzunehmen und auf das Urteil des Verwaltungsgerichts zu warten, fuhr iTV mit diesen fort.185 Vor der Übernahme durch Shin Corporation stellte iTV durch seine investigative Bericht- erstattung eine herausragende Ausnahme unter den thailändischen Fernsehsendern dar. Der Nachrichtenanteil nahm nun beträchtlich ab, während der Unterhaltungsanteil stieg. 5.3.2 Privatisierungen In 2004 hat es bei staatlichen Inhabern von Rundfunklizenzen Privatisierungstendenzen ge- geben. Der dem Militär gehörende Fernsehsender Channel 5 wurde seit 2004 von RTA Enter- tainment betrieben. RTA Entertainment ist ein vom Militär selbst gegründetes Tochterunter- nehmen von Channel 5 und hat eine Sendelizenz über 30 Jahre. RTA Entertainment sollte an die Börse gebracht werden.186 Um das stark verschuldete Unternehmen für Investoren attrak- tiver zu machen, sollten die Schulden von RTA Entertainment auf Channel 5 übertragen wer- den, der weiterhin im Militärbesitz blieb.187 Aufgrund öffentlicher Kritik und Diskussionen richtete die Regierung einen Untersuchungs- ausschuss ein. Dieser sollte ermitteln, ob die Lizenzvergabe und der Börsengang des Toch- terunternehmens von Channel 5 legal waren.188 NGOs warfen der Regierung vor, mit der Priva- tisierung sicherstellen zu wollen, dass Medienbetriebe von Geschäftsgruppen kontrolliert wer- den, die sie bevorzugen.189 Der Börsengang wurde letztlich nicht durchgeführt, nachdem ein Kabinettsbeschluss bestimmte, dass eine Schuldenübertragung an Channel 5 nicht legal sei.190 Weiterhin vergab das Amt für Öffentlichkeitsarbeit privaten Unternehmen die Rechte, zwei Sa- tellitenkanäle, die es in 2004 neu eingeführt hatte, zu betreiben. Eines der Unternehmen mit dem das Amt für Öffentlichkeitsarbeit einen Vertrag abgeschlossen hat, ist die Manager Media

182 Im Vertrag den iTV 1995 mit dem Büro des Premierministers über eine Laufzeit von 30 Jahren geschlossen hatte, wurde ein Nachrichtenanteil von 70% festgelegt. O.V.: „PM in the dark over iTV“, in: The Nation, 01.02.2004. 183 “Concession Ruling: Government Loss Is Bt 17 Billion iTV gain”, in: The Nation, 03.02.2004. 184 O.V.: “Petition to Overturn Ruling Filed”, in: Bangkok Post, 28.04.2004. 185 O.V.: “iTV Defiant despite PM´s Office Threat”, in: The Nation, 24.06.2004. 186 O.V.: “Army Chief Rapped over RTA Listing”, in: The Nation, 17.06.2004. 187 O.V.: “RTA: From Debt Carrier to Creditor in seven short Years”, in: The Nation, 17.06.2004. 188 O.V.: “Broadcasting Row: Plot Thickens in TV 5 Scandal”, in: The Nation, 23.6.2004. 189 O.V.: “Army Chief Rapped Over RTA Listing”, in: The Nation, 17.6.2004. 190 “Wassana Nanuam: Tor Tor Bor 5 listing cancelled”, in: Bangkok Post, 11.8.2004.

163 Pressefreiheit in Thailand

Group, die Sondhi Limthongkul gehört.191 Überdies ging ein staatliches Unternehmen, die Mas- senkommunikationsorganisation an die Börse. Sie untersteht nun wie das Amt für Öffentlich- keitsarbeit dem Büro des Premierministers.192 Die staatliche Massenkommunikationsorganisa- tion stellt mit 62 Radiostationen und zwei Fernsehstationen (Channel 3 und Channel 9) sowie einem Kabel-TV-Unternehmen das größte Mediennetzwerk Thailands dar. Der Börsengang weckte in der thailändischen Öffentlichkeit Befürchtungen, dass verschiedene Unternehmen und Interessengruppen versuchen könnten, Mehrheiten an diesem Medienunternehmen zu kau- fen, um so einen großen Teil der thailändischen Medienlandschaft zu beherrschen.193 Die beiden anderen Beispiele weckten ähnliche Befürchtungen. Auch hier würden staatlich kontrollierte Medienressourcen auf dem freien Markt verfügbar, ohne dass dieser Vorgang vom nationalen Rundfunkausschuss kontrolliert werden könnte. Es ist zu vermuten, dass diese Privatisierungen im Vorfeld dazu dienen, die entsprechenden Sendelizenzen von der Neuver- teilung auszunehmen. 5.3.3 Selektive Zurückhaltung von Werbung Im Schnitt stammen 65-80% der Einnahmen thailändischer Zeitungen aus dem Verkauf von Wer- beannoncen. Regierungsbehörden und staatliche Unternehmen, wie das Exportministerium und die thailändische Fremdenverkehrsbehörde, schalteten einen Großteil ihrer Annoncen bei Zeitungen, die positiv über die Regierung berichteten.194 Es ist weiterhin bekannt, dass bevorzugt Medien, die die Regierung befürworteten bzw. keine kritische Berichterstattung führten, Werbeverträge von dem von Thaksins Familie geführten Unternehmen Shin Corporation angeboten wurden.195 Im jährlichen Bericht über die Lage der Pressefreiheit berichteten Reporter ohne Grenzen, dass die Nation im Oktober 2001 ein Angebot für einen Werbevertrag über mehr als 1 Mio. € erhielt. Thak- sin nahestehende Personen hätten der Zeitung das Angebot gemacht. Dafür sollte The Nation im Gegenzug mehr positivere Berichte über die Regierungspolitik veröffentlichen. Nachdem The Nati- on dieses Angebot ablehnte, boykottierten Unternehmen der Shin Corporation sechs Monate lang Anzeigen.196 Untersuchungen der Journalistenvereinigung bestätigten dies. Eine Untersuchung über Anzeigenschaltungen in der Zeitung Kom Chad Leuk, die zur Nation Multimedia Group gehört, für das Jahr 2003 ergab, dass keine Anzeigen von Unternehmen, die zur Shin Corporation gehörten, vorhanden waren.197 In der Zeitung Phu Chat Karn wurden dagegen oft Anzeigen von Tochterun- ternehmen der Shin Corporation geschaltet. Die Phu Chat Karn wird von der Manager Media Group (MGR) herausgegeben, die wie bereits erwähnt einem Bekannten von Thaksin gehört.198

191 “Mongkol Bangrapa und Nattaya Chetchotiros: Private Broadcasting Firms Reap Frequency Booty”, in: Bangkok Post, 17.6.2004. Sondhi Limthongkul hatte Beziehungen zu Thaksin und anderen Regierungsmit- gliedern. 192 “Wichit Chaitrong: Privatisation Plans: TOT, CAT to List ahead of Egat”, in: The Nation: 17.02.2005. 193 “Thepchai Yong: Hard Talk: MCOT: Going Public with a Private Agenda”, in: The Nation , 23.03.2004. 194 Thai Journalist Association, 2003, 9; Daradirek, 2000, 439ff. 195 McCargo/Ukrist, 2005, 195. 196 Reporter ohne Grenzen, 2002. 197 Thai Journalist Association, 2003, 26f. 198 New Party, Old Friends Aid Sondhi, in: The Nation, 11.04.2002.

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Es fand während Thaksins erster Regierungszeit einerseits eine selektive Zurückhaltung von Anzeigenschaltungen und andererseits eine selektive Gewährung von Anzeigenschaltungen sei- tens staatlicher Behörden und Unternehmen sowie privater Unternehmen statt. Die oben aufge- führten Beispiele deuten daraufhin, dass die Auswahl der Medienunternehmen, denen Werbe- verträge angeboten wurden, von deren Haltung gegenüber der Regierung abhing. Der wirt- schaftliche Druck auf die Printmedien, deren Einnahmen zu einem großen Teil aus dem Anzei- gengeschäft kommen, hat zu einer erhöhten Anwendung von Selbstzensur in den Redaktionen der Medien geführt. Durch die selektive Vergabe von Anzeigenschaltungen wurde versucht auf die Printmedien und ihre Inhalte indirekt Einfluss zu nehmen. Denn diese stehen nicht wie Hör- funk und Fernsehen unter staatlicher Kontrolle. Ferner zeigen die genannten Beispiele eine Vernetzung zwischen Politik, Wirtschaft und den Medien auf. 6 Ergebnisse In der Zeit von 1997-2001 waren verschiedene Arten der Einschränkung der Pressefreiheit zu beobachten. Zunächst sollen die rechtlichen und politischen Faktoren betrachtet werden. Zwar wurde verfassungsrechtlich den Medien in Thailand Freiheit zugesprochen, die Verfassung von 1997 sah aber auch Einschränkungen dieser Freiheit vor. Weiterhin garantierte die Ver- fassung von 1997 den Zugang zu öffentlichen Informationen. Die Pressefreiheit wurde durch eine Reihe von Gesetzen eingeschränkt. Diese boten unter an- derem Zensurmöglichkeiten für staatliche Behörden, wenn Medienberichte, ihrer Meinung nach, die nationale Sicherheit gefährdeten. Zu dem gab es Gesetze, die der Pressefreiheit för- derlich waren. Ihre Umsetzung wurde jedoch teilweise mangelhaft durchgeführt. Der Entwurf des neuen Rundfunkgesetzes sah vor, das Amt für Öffentlichkeitsarbeit von der Neuverteilung der Rundfunkfrequenzen auszunehmen. Hierin zeigt sich, dass es von staatlicher Seite Bestre- bungen gab, das staatliche Monopol im Rundfunk weiterhin aufrechtzuerhalten. Des weiteren wurde der Zugang zu öffentlichen Informationen, der durch das Gesetz zu öffentlichen Infor- mationen gesichert sein sollte, teilweise unzureichend gewährt. Nun sollen die wirtschaftlichen Faktoren ausgewertet werden. Inhaber von Rundfunklizenzen wa- ren staatliche Behörden und das Militär, die diese teilweise an private Betreiber vergaben. Damit konnten staatliche Behörden und das Militär große Kontrolle auf die Inhalte der Rundfunksen- dungen ausüben. Die Printmedien befanden sich dagegen in privatem Besitz. Ihnen wurde eine größere Unabhängigkeit zugesprochen, was sich in kritischerer Berichterstattung zeigte. Einige weitere Beispiele, die die Pressefreiheit einschränkten, gingen von den Journalisten aus. Einerseits ist hier Selbstzensur zu nennen. Zum anderen ist die Käuflichkeit einiger Jour- nalisten durch einzelne Personen und Interessengruppen zu erwähnen. Aus den Ausführungen zu der Entwicklung der Pressefreiheit unter Thaksin lassen sich über weite Teile ähnliche Mechanismen mit denen die Pressefreiheit eingeschränkt wurde ableiten, wie vor Thaksins Amtsantritt. Auf der rechtlichen und politischen Seite sind Gesetze, die der Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit dienten, teilweise nicht umgesetzt oder nicht angewendet worden. Der Zugang

165 Pressefreiheit in Thailand zu öffentlichen Informationen wurde weiterhin nur eingeschränkt gewährt. Die Anzahl der Beschwerden, die beim Ausschuss zu öffentlichen Informationen eingingen, war im Vergleich zurzeit vor Thaksin ansteigend. Bei der Wahl zum nationalen Rundfunkausschuss wurde der starke Einfluss des Militärs, der staatlichen Behörden und Medienunternehmen auf die Wahl deutlich. Dies führte dazu, dass das staatliche Monopol im Rundfunk unter Thaksin weiterhin nicht aufgehoben wurde. Bei den rechtlichen und politischen Faktoren sind aber auch Unterschiede zwischen der Zeit vor Thaksin und unter Thaksin festzustellen. Es wurde ein Gesetz zur Einrichtung eines Medienrates entworfen, das weitreichende Mög- lichkeiten zur Sanktionierung von Medienbetrieben haben sollte. Dieses wurde allerdings auf- grund von Protesten nicht umgesetzt. Während der Amtszeit von Thaksin wurden die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, die Pressefreiheit einzuschränken, in größerem Maß ausgenutzt als zuvor. Im Gegensatz zu der Zeit vor 2001 haben Behörden nicht nur Verwarnungen ausgesprochen. Sie leiteten tatsäch- lich rechtliche Schritte gegen verschiedene Zeitungen und Rundfunksender ein. Von solchen Schritten waren auch internationale Medien betroffen. Unter Thaksins Amtszeit nahm die Anzahl von Verleumdungsklagen gegenüber einzelnen Journalisten erheblich zu. Durch diese Verleumdungsklagen wurden einzelne Journalisten eingeschüchtert und vermieden es daraufhin, kritische Berichte zu verfassen. Thaksin nutzte nahezu alle Radiosender landesweit, um für die Politik seiner Regierung zu werben. Dadurch belegte er die Sendezeiten der Radiosender und schränkte sie damit in ihrer Freiheit und Vielfalt ein. Schließlich gab es nach Thaksins Amtsantritt auch bei den wirtschaftlichen Faktoren Verän- derungen. An verschiedenen Medienunternehmen wurden von der Shin Corporation und Personen aus dem persönlichen Umfeld von Thaksin und anderen Mitgliedern der TRT-Partei Anteile erwor- ben. Dadurch konnten sie teilweise starken Einfluss auf die Gestaltung von Medieninhalten nehmen. Staatliche Behörden schalteten in Zeitungen, die sich gegenüber der Regierung positiv äu- ßerten, gezielt mehr Anzeigen. Diese Zeitungen erhielten so einen Wettbewerbsvorteil. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pressefreiheit in Thailand vor Thaksins Amtsan- tritt bereits Einschränkungen unterlag. Unter Thaksin wurden die Mechanismen der Pressefrei- heitseinschränkungen allerdings subtiler. Außerdem nahm das Ausmaß der Einschränkungen zu. Die Verflechtungen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik zeigten sich unter anderem in der selektiven Zurückhaltung bzw. der Vergabe von Werbeaufträgen an die Medien durch staatliche und private Unternehmen. Diese Verflechtungen wurden auch an Thak- sins Person deutlich. Er war einerseits Premierminister und andererseits Gründer eines der einflussreichsten Telekommunikations- und Medienkonzerns. Dies stellte eine Verknüp- fung von weitreichender politischer Macht und andererseits wirtschaftlicher Macht in ei- ner Person dar.

166 Pressefreiheit in Thailand

Durch diese Machtkonzentration wurden Einschränkungen der Pressefreiheit, ausgehend von ei- ner einzelnen Person, auf allen drei Ebenen, rechtlich, politisch und wirtschaftlich, möglich. Dies führte dazu, dass von Thaksin ein großes Potential zur Einschränkung der Pressefreiheit ausging. Ferner bot ihm sein persönliches Netzwerk mit Verbindungen zu Militärs, der Großindustrie und den Parteien weitere Möglichkeiten die Medien zu kontrollieren. Die bereits erwähnte Tendenz hin zu einer „stillen politischen Landschaft“ unter Thaksin zeigte sich in der Entwicklung der Pressefreiheit besonders deutlich. So wie Thaksin gegen- über Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen und Personen feindselig eingestellt war, reagierte er auch auf kritische Berichterstattung in den Medien empfindlich. Einschränkungen der Pres- sefreiheit entsprachen Thaksins Ansichten über Demokratie, die er nicht als primäres Ziel sei- ner Politik sah. 7 Zunahme der Medienkontrolle während der zweiten Amtszeit Thaksins Die aufgezeigten Tendenzen setzten sich auch nach der ersten Amtszeit Thaksins fort. Er wurde im Februar 2005 mit einer noch größeren Mehrheit als bei der zurückliegenden Wahl erneut bestätigt. Seine Regierungskoalition stellte nun über ¾ der Abgeordneten des Parla- ments.199 Die Einschränkungen der Pressefreiheit nahmen durch die dargestellten Mechanis- men noch weiter zu. So wurde im Juli eine Notstandsverordnung in Kraft gesetzt. Der Pre- mierminister verhängte den „besonderen Notstand“ über die drei Südprovinzen Yala, Na- rathiwat und Pattani. Begründet wurde dies mit den anhaltenden Unruhen im Süden Thai- lands. Durch die Notstandsverordnung wurden weitgehende Einschränkungen der Grundrech- te ermöglicht. Es wurde unter anderem die Zensur von Medieninhalten durch Behörden er- möglicht, ohne dass sich diese eine richterliche Anordnung einholen mussten.200 Des weiteren war eine weitere Zunahme von Verleumdungsklagen gegen Mitarbeiter von Medienunternehmen zu beobachten. Diese gingen von staatlichen Behörden, Politikern und Unternehmen aus. Thaksin persönlich verklagte zwei Fernsehmoderatoren und ein Verlags- haus. Er klagte beispielsweise Ende des Jahres 2005 mehrfach gegen Sondhi Limthongkul.201 Im Fall einer Verurteilung hätten Sondhi Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren und eine Geldstrafe in Höhe von 50 Mio. US$ gedroht. Auf Anraten des Königs ließ Thaksin jedoch seine Anklage fallen. Die beträchtliche Höhe der Geldstrafe war kennzeichnend für Verleum- dungsklagen während der Regierungszeit Thaksins.202 Es gab auch weitere Übernahmen von Anteilen an Medienunternehmen durch Personen aus Thaksins Umfeld. So kaufte Paiboon Damrongchaitham, ein persönlicher Freund Thaksins und Inhaber des thailändischen Unterhaltungs- und Musikunternehmens GMM Grammy, Ak-

199 Bünte, 2005, 8. 200 Amnesty International Deutschland, Jahresbericht 2006. 201 Sondhi Limthongkul ist ein ehemaliger Freund und politischer Verbündeter Thaksins. Nachdem ihm die Regierung eine Lizenz für den Betrieb eines Fernsehsenders nicht zugesprochen hatte, kritisierte er Thaksin öffentlich in Fernsehsendungen und veranstaltete Protestveranstaltungen gegen Thaksins Regierung. Bünte, 2006a, 44f. 202 ARTICLE 19/Forum Asia, 2005, 87f.

167 Pressefreiheit in Thailand tienanteile von zwei großen Medienunternehmen, Matichon Publishing und Post Publishing. Diese Unternehmen publizieren die Zeitungen Matichon und Bangkok Post, denen bisher all- gemein eine kritische Berichterstattung zugesprochen wird.203 Aufgrund massiver Proteste von Medienreform- und Demokratisierungsaktivisten, die eine Einschränkung der freien Mei- nungsäußerung und politische Einmischung in die Berichterstattung der beiden Zeitungen be- fürchteten, ließ Paiboon seine Übernahmepläne an Matichon Publishing fallen. Was seine Ab- sichten gegenüber dem Unternehmen Post Publishing angeht, besteht Unklarheit.204 Auch eine weitere Wahl zum nationalen Rundfunkausschuss in 2005 wurde vom Verwal- tungsgericht, wegen enger Beziehungen zwischen Personen des Wahlausschusses und den von ihnen vorgeschlagenen Kandidaten, für ungültig erklärt.205 Bis heute kam es zu keinem Abschluss der Wahl.206 Damit bleibt die Situation der Gemeinderadios nach wie vor schwierig. In Thaksins zweiter Amtszeit gab es weitere Schließungen von Gemeinderadios. Als offizieller Grund wurde in allen Fällen die Nichteinhaltung technischer Normen genannt.207 Eine positive Entwicklung gab es bezüglich des Fernsehsenders iTV. iTV hatte nach einem Schiedsgerichtsurteil den Anteil an Unterhaltungsprogramm angehoben und weniger Li- zenzgebühren gezahlt. Im Juni 2006 erklärte jedoch das oberste Verwaltungsgericht das Urteil des Schiedsgerichts für ungültig. Es entschied, dass das Verhältnis von Unterhaltungsprogramm zu Nachrichten auf 30:70 zurückgesetzt werden muss und die zu wenig bezahlten Lizenzgebüh- ren an das Büro des Premierministers zurückgezahlt werden müssen. Durch den Verkauf der Mehrheitsanteile der Shinawatra-Familie am Unternehmen Shin Corporation an die Themasek Investitionsgesellschaft aus Singapur im Jahr 2006 wird iTV nun von dieser kontrolliert.208 Auch im Fall Supinya, die wegen Verleumdung verklagt worden war, gab es für die betroffenen Personen einen positiven Ausgang. Am 15.03.2006 wurden Supinya und die drei Ge- schäftsführer der Thai Post vom Strafgericht freigesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Artikel auf journalistischen Recherchen basierte und das Ansehen von Shin Corpo- ration nicht geschädigt hätte.209 Im Mai 2006 wurde auf eine Aufforderung von Shin Corpora- tion auch das Verfahren vor dem Zivilgericht eingestellt.210 Auch wenn sich die zuletzt genannten Fälle zum Positiven wendeten, spitzte sich die Lage der Pressefreiheit während Thaksins zweiter Amtszeit, wie oben aufgezeigt, deutlich zu.

203 Südostasien aktuell, 6/2005, S.69f. 204 ARTICLE 19/Forum Asia, 2005, 92. 205 “Mongkol Bangprapa: Activist Faults National Broadcasting Commission Shortlist”, in: Bangkok Post, 25.12.2004. 206 “Thepchai Yong: Media freedom and reform should be top priority”, in: The Nation, 17.10.2006. 207 Löschmann, 2006, 5. 208 O.V.: “iTV must again focus on news”, in: Bangkok Post, 20.6.2006. 209 O.V.: “Media critic acquitted in defamation suit by PM's former telecom firm”, in: The Nation, 15.03.2006 210 Ismail Wolff: “Court acquits Supinya, 'Thai Post'”, in: International Herald Tribune, 15.03.2006.

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8 Ausblick Trotz der Unterdrückung von Tätigkeiten kritischer Aktivisten und Einschüchterungsversuchen auf Kritiker aus der intellektuellen Elite Thailands durch Thaksins Regierung, konnte deren Teilnahme am politischen Diskurs nicht gänzlich unterbunden werden. Mit der im Herbst 2005 entstandenen Protestbewegung zeichneten sich die ersten Anzeichen für eine Abnahme der Sta- bilität der Regierung Thaksins ab.211 Durch einen Rat für Verwaltungsreformen übernahmen die Militärs am 19.09.2006 die Macht. Sie lösten das Parlament auf und setzten die Verfassung und das Verfassungsgericht außer Kraft. Die Junta, die sich aus königstreuen Militärs zusammen- setzte, begründete ihr Vorgehen mit der Korruption der Regierung Thaksin, und dass die anhal- tende innenpolitische Krise zuletzt drohte in Gewalt auszuarten.212 Während das Ausland zu einem großen Teil die Entscheidung für einen Putsch als letzten Ausweg aus der politischen Krise kritisierte, wurde der Putsch in Thailand mehrheitlich begrüßt. Nur wenige Intellektuelle äußerten sich kritisch über den Putsch. Damit es vor allem von Seiten der Thaksin Anhänger zu keinen Protesten kommen konnte, wurde ein Versammlungsverbot und Pressezensur ver- hängt.213 Es bleibt offen, wohin der Eingriff des Militärs in die Politik führen wird. Der derzeitige Über- gangspremier General Surayud Chulanont ist ein ehemaliger Oberbefehlshaber des Militärs und Mitglied des Kronrats. Er gilt als königstreu und genießt das Vertrauen des Königs und des Mi- litärs. Außerdem können die Militärs erheblichen Einfluss auf den Ausarbeitungsprozess der neuen Verfassung nehmen, da sie einen großen Teil der Experten, die die Verfassung ausarbei- ten sollen, selbst auswählen.214 Das ernannte Parlament setzt sich aus verschiedenen Gruppen zusammen. Bemerkenswert ist, dass eine der größten Gruppen Militärs darstellen.215 Die Er- nennung eines Generals zum Premierminister, der Einfluss des Militärs auf den Ver- fassungsentwurf und die Ernennung einer Reihe von Militärs zu Parlamentsmitgliedern, führt zu der Annahme, dass die Putschisten versuchen den Entstehungsprozess der Verfassung und die politische Entwicklung der nächsten Monate zu kontrollieren. Ein solcher Einfluss des Militärs auf die Politik würde sich letztlich auch auf die Entwicklung der Pressefreiheit auswirken. Denn diese hängt im starken Maße von der weiteren politischen Ent- wicklung des Landes ab. Da das Militär auch bisher versuchte, Einfluss auf die Medien zu neh- men, was sich beispielsweise in seinem Einfluss auf die Wahl des nationalen Rundfunkausschus- ses zeigte, ist davon auszugehen, dass sie auch in Zukunft dazu neigen werden. Eine wesentliche Steigerung der Qualität der Pressefreiheit ist unter diesen Vorzeichen nicht zu erwarten.

211 Bünte, 2006a, 45. 212 The Nation, 21.09.2006. 213 Bünte, 2006b, 37. 214 ebd., 43ff. 215 The Nation, 14.10.2006. Supalak Ganjanakhundee, Assembly will not play a major role.

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171 Abstract Im Sommer 2005 begann mit der Arbeit des Internationalen Gerichtshofes (ECCC) nach langjähriger Vorbereitungszeit die Arbeit des Rote-Khmer-Tribunals in Kambodscha. Die erste Anklage an einen ehemaligen Rote-Khmer-Karder wurde im Sommer 2007 erhoben. Die nun mehrere Jahre andauernden Prozesse sollen die breite Öffentlichkeit erreichen und wer- den deshalb im Rundfunk ausgestrahlt sowie von der Tagespresse begleitet. Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern ein mit erheblichen Defiziten belegtes Mediensystem dieser Aufga- be gerecht werden kann. Gerade das kambodschanische Fernsehen als reichweitenstarkes und gleichzeitig breit akzep- tiertes Medium wäre gut geeignet, (a) breite Bevölkerungsteile zu erreichen, (b) über die Arbeit des Tribunals zu informieren und (c) die Zeit des Rote-Khmer-Regimes aufzuarbeiten. Der Bei- trag wird jedoch zeigen, dass das Fernsehen dieser Aufgaben nicht gerecht werden kann. Zu sehr ist dieses von Regierungsseite bestimmt und auch die Bevölkerung misst dem Tribunal nicht die Bedeutung zu, wie es sich die Internationale Gemeinschaft derzeit noch wünscht.

Autor Martin Ritter studierte an der TU-Ilmenau „Angewandte Medienwissenschaft“ und arbeitete im Anschluss als Bürgerrundfunkreferent bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). Das Pro- jekt „Medien und Demokratisierung in Kambodscha“ der Thüringisch-Kambodschanischen Ge- sellschaft e.V. (TKG) ermöglichte mehrere Forschungsaufenthalte in Phnom Penh. Die gleichna- mige Dissertationsarbeit erscheint im Frühjahr 2008. Von 2006-2008 war der Autor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt als wissenschaftlicher Mit- arbeiter tätig. Forschungsschwerpunkt bildeten die Mediensysteme Asiens. Seit 2008 arbeitet Martin Ritter als Referent für Bürgerrundfunk, Lokalrundfunk und Medienwirtschaft bei der Thü- ringer Landesmedienanstalt (TLM).

172 Das Fernsehen der Kambodschaner Garant für ein erfolgreiches Khmer-Rouge-Tribunal?

Martin Ritter

1 Einleitung Wer im Sommer 2007 auf die Plakatierung in den Straßen und Gassen Phnom Penhs geachtet hat, dem wird gelegentlich die Plakatkampagne des Internationalen Gerichtshofes (ECCC) aufgefallen sein.1 Diese besteht aus fünf Plakaten, abwechselnd in Khmer und Englisch. Das erste Plakat dient zum Einstieg und zeigt fiktiv eine der künftigen Gerichtsverhandlungen des kommenden Khmer-Rouge-Tribunals. Auf diesem Poster sind die fünf Richter zu erkennen, die Anklage, die Verteidigung, der Angeklagte sowie ein Zeuge. Dieser Teil der Darstellung beansprucht die linke Hälfte des Bildes. Im rechten Bildabschnitt wird die Öffentlichkeit ge- zeigt. Zu sehen sind 23 Zuschauer, drei Reporter und ein Kameramann. Die weiteren vier Plakate bauen auf das Eingangsplakat auf und konkretisieren dieses gleichzeitig. Das zweite Plakat „Every decision must have the support of both Cambodian an International Judges“ verdeutlicht die Zusammensetzung der Richterschaft, bestehend aus drei kambodschanischen und zwei Richtern der internationalen Gemeinschaft. Hauptsächlich wird deutlich, dass nicht eine Seite ohne die Zustimmung der anderen ein Urteil fällen kann. Plakat Nummer drei „On- ly the senior Khmer rouge leaders and those most responsible for committing serious crimes will be tried“ greift ein umstrittenes Thema auf – die Frage, welche ehemaligen Khmer-Rouge- Karder zur Anklage stehen. Karder zur Anklage stehen. Demnach haben Mitläufer, ehemalige Soldaten und Kindersoldaten sowie die mittlere Offiziersgarde keine Anklage zu erwarten. Das vorletzte Plakat „It´s time for the record to be set straight“ zeigt Jugendliche, die im Fernsehen das Tri- bunal verfolgen und die Probleme bei der geschichtli- chen Einordnung haben. Das letzte Plakat „Everyone can be involved in the process“ verdeutlicht, dass der Verlauf des Tribunals sowohl vor Ort als auch in der Presse, im Hörfunk und im Fernsehen verfolgt werden kann. Die beiden letzten Plakate sind hier abgebildet. Die Plakatkampagne ist von zwei Perspektiven aus gesehen interessant. Erstens verdeutlicht sie die inner- gesellschaftlichen Defizite sowie die Bedenken und Ängste die die Bevölkerung mit dem Tribunal verbin- det und zweitens thematisiert sie die Bedeutung, die Abbildung 1: Plakat Nummer 4: It´s time for the den Massenmedien während des Tribunals zukommt. record to be set straight

1 abrufbar unter http://www.eccc.gov.kh/english/publications.aspx, 18.05.2007

173 Das Fernsehen der Kambodschaner

Derzeit hat das Tribunal mit Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung zu kämpfen. Dieses wird nicht zwangsläufig – wie erhofft – als Chance gesehen, das gestörte Gesellschaftsgefüge zumindest ansatzweise zurechtzurücken. Vielmehr stößt es auf Ablehnung bei einem Großteil der Bevölkerung, die die Khmer- Rouge-Zeit miterlebten. Diese befürchten, dass alte Wunden erneut aufgerissen werden und die momentan anhaltende Ruhe gefährdet wird. Außerdem wird nicht überall darauf vertraut, dass letztendlich nicht doch noch weitere Gerichtsprozesse gegenüber der mittleren und unteren Khmer-Rouge-Hierarchie folgen. Die heu- tige Jugend lehnt ebenfalls zu einem beachtlichen An- teil das Tribunal ab. Diese ist aufgrund der bisherigen gesellschaftlichen Tabuisierung uninformiert und sieht nicht die Notwendigkeit die Vergangenheit zu reflek- tieren. Vielmehr macht es in ihren Augen Sinn, die Abbildung 2: Plakat Nummer 5: Everyone can be involved in the process Zukunft Kambodschas zu thematisieren. Ein Großteil der politischen und ökonomischen Eliten zeigt sich ebenfalls nicht begeistert. Erstens ist ihre Verflechtung in das Khmer-Rouge-Regime hinlänglich bekannt und die Angst vor einem Ge- sichtsverlust auch ohne Anklage groß. Zweitens sehen sie ihre Machtposition gefährdet und drittens gilt Kambodscha derzeit international als einigermaßen verlässlicher Partner, ein Image, welches bewahrt werden soll. Es besteht die Gefahr, dass Kambodscha letztendlich erneut über seinen Völkermord identifiziert wird, ohne das die Rolle Chinas und die der USA während der Khmer-Rouge-Zeit Beachtung findet.2 Relevant für diesen Beitrag ist letztendlich die Tatsache, dass 2007-2008 nach mehrjähriger Vorbereitung ein Tribunal stattfindet, welches in Kombination mit den gleichzeitig anstehen- den Nationalwahlen das Potential besitzt – so die Hoffnung – Anstoß für einen weiteren Trans- formationsschritt hin zu einer rechtstaatlichen Demokratie zu sein. Die Plakatkampagne deutet es bereits an, dass den Massenmedien im Vorfeld, wie auch während des Tribunals zwei Funk- tionen zukommen. Erstens gilt es den Tribunalverlauf, aber auch die Vorbereitungen zu doku- mentieren (Informationsfunktion), zweitens soll beispielsweise der Jugend die Auswirkungen des Khmer-Rouge-Regimes, wie auch die Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung ver- deutlicht werden (Sozialisations- bzw. Bildungsfunktion). Aus diesem Anspruch heraus ergibt sich folgende Problemstellung: Sind die derzeitigen Strukturen des Mediensystems geeignet, die Erwartungshaltung die den Medien gegenübergebracht wird, zu erfüllen? Das Hauptau- genmerk soll hierbei auf dem Fernsehen liegen, da dieses (a) die höchste Flächen- und Perso-

2 Fawthrop/Jarvis, 2004; Fleschenberg, 2006

174 Das Fernsehen der Kambodschaner

nenreichweite besitzt und (b) gesellschaftlich breit akzeptiert ist. Konkret lautet die Fragestel- lung: Sind die gegenwärtigen endogenen und exogenen Strukturen des Systems Fernsehen dazu geeignet, die dem Fernsehen zugewiesenen Funktionen: Information, Sozialisation und Bildung im Bezug auf das Tribunal zu erfüllen? Sollte sich dies nicht bestätigen, folgt daraus die zweite Frage: Welche Veränderungen sind notwendig und kurzfristig realisierbar? Das weitere Vorge- hen gestaltet sich folgendermaßen: Zunächst wird dieser Beitrag theoretisch verortet, wobei parallel der politische und ökonomische Transformationsprozess Kambodschas seit den Pariser Friedenverträgen 1991 kurz charakterisiert wird. Danach folgt eine skizzenhafte Darstellung des Mediensystems. Abschließend gilt es, das System Fernsehen adäquat zu analysieren und auf die Fragestellung einzugehen. Die Quellenlage zu Kambodschas Medien ist noch unzureichend. Da die diesem Beitrag zugrunde liegenden Daten einer Vielzahl von Quellen entstammen, ist ein detailliertes Aufführen in diesem Rahmen schwierig. Deshalb beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, alle Informationen auf die Publikation „Medien und Demokratisierung in Kambodscha“.3 Die für diese Länderübersicht ver- wendeten elektronisch publizierten Studien wurden auf der Internetseite der Thüringisch-Kambod- schanischen-Gesellschaft zusammengetragen: http://www.tkgev.org/projekte_media.html.

2 Theoretische Einordnung Der kambodschanische Transformationsprozess lässt sich im Forschungsfeld der politischen Sys- temtransformation verorten. Mit dem UN-Friedenseinsatz wurde schnell deutlich, dass als Ziel nicht nur die Friedenskonsolidierung oberste Priorität besaß, sondern gleichzeitig eine parallel stattfindende Transformation in Richtung marktwirtschaftlicher Demokratie angestrebt wurde.4 Hierbei durchlief Kambodscha die drei Transformationsphasen: Liberalisierung, Demokratisie- rung und Konsolidierung.5 Die Phase der Liberalisierung wurde hauptsächlich durch die Pariser Friedensverträge und die UN-Friedensmission geprägt. Mit den ersten freien Wahlen und der ers- ten demokratischen Verfassung im Jahr 1993 war dem theoretischem Verständnis nach auch die Demokratisierungsphase abgeschlossen. Seither hat Kambodscha Konsolidierungsprobleme zu bewältigen. Diese sind hervorgerufen durch verschiedene Verflechtungen untereinander, beste- hend aus: (a) Armutsphänomenen (häusliche Gewalt, Kinderarbeit/Kinderhandel, HIV/AIDS, Umweltschäden, Analphabetentum, Landminen und Korruption),6 (b) traditionellen Kulturmus- tern (Patronage, Gewalt, Macht, politisch-religiöse Ideologie des Theravada-Buddhismus),7 (c) ökonomischer Schwäche bedingt durch endogene und exogene Faktoren (Bildungsniveau, Ar- beitslosigkeit, Asienfinanzkrise, SARS, Vogelgrippe) 8 aber auch (d) einem sich im Machtgeran- gel erschöpfenden politischen Systems und (e) einem Gesellschaftsgefüge, welches sich u.a.

3 Ritter, 2008 4 Curtis, 1998 5 Transformationsphasen nach Merkel, 1999 6 Prescott, 1997 7 Weiß, 2005 8 Sok, 2006; Ostasiatischer Verein, 1986-2006

175 Das Fernsehen der Kambodschaner durch ein breites Stadt-Land-Gefälle auszeichnet.9 Der Politologe Karbaum identifiziert Kambod- scha als defekte Demokratie illiberal-delegativen-Typs, mit freien Wahlen, politischen Freiheits- rechten sowie einer effektiven Herrschaftsgewalt, jedoch auch Mängeln hinsichtlich der bürgerli- chen Freiheitsrechte und einer effektiven Gewaltenkontrolle.10 Doch lassen sich gerade in den letzten Jahren einige Fortschritte verzeichnen. Aus ökonomischer Sicht zählt das Jahr 2005 zu den erfolgreichsten seit Transformationsbeginn. Mit 13,4% Wirtschaftswachstum wurde der bereits des Öfteren zuvor verkündete Aufschwung eingeleitet. Die Sektoren Tourismus, Textilindustrie und Landwirtschaft sind die ökonomischen Wachstumskerne. Es sieht nicht danach aus, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern sollte. Die entdeckten Öl- und Gasvorkommen vor Kam- bodschas Küste geben eine zusätzliche Garantie.11 Auch gehört politische Stagnation, nachdem die FUNCINPEC-Partei in der Bedeutungslosigkeit versank, der Vergangenheit an.12 Jedoch zeigt die Kommunalwahl 2007,13 dass Premierminister Hun Sen seine Machtstellung zwar unterstrei- chen konnte, jedoch neben der einzigen bisherigen Opposition (NGO-Szene) nun auch wieder eine gestärkte politische Opposition besteht. Hun Sen kann zwar stabil regieren und seine Politik des „Strategischen Vierecks“14 umsetzen, muss sich aber zukünftig mit einer Opposition ausein- andersetzen, die nicht nur auf den eigenen Machterhalt setzt. Auf gesellschaftlicher Ebene stellt – wie bereits angedeutet – das Tribunal eine große Chance dar, die Risse in der Gesellschaft weiter zu kitten. Letztendlich kann konstatiert werden, dass wenn man den idealtypischen Ansätzen und Theorien der Transformationsforschung folgt, Kambodschas Weg in Richtung Demokratie sich grundsätzlich mit den vorhandenen Theorien erklären lässt. Vorausgesetzt, man berücksichtigt, dass ein Trans- formationsprozess auch Rückschläge in Form von Stagnation und Stillstand erleiden kann und so- mit der Prozess in längeren Zeiträumen, als die in der Literatur angegeben 15 Jahre, gedacht werden muss. Gerade die Transformationsprozesse in Ost- und Südostasien zeigen, dass Geduld, die Strate- gie „Economy first“15 sowie eine internationale und regionale Einbindung zum Erfolg führen kann. Die Medien- und Kommunikationswissenschaft ist ebenfalls daran interessiert, ihren Beitrag an der Erklärung von Transformationsprozessen zu leisten. Insbesondere geht es darum, die Frage zu beantworten, welche Rolle Massenmedien im Transformationsprozess spielen: (a) vorantrei- ben, (b) blockieren, (c) vorantreiben und blockieren. „Es liegt auf der Hand, dass in diesen Wandlungsprozessen Medien eine zentrale Rolle spielen, sie transformieren sich selbst, werden vielfältiger und kommerzieller, agieren aber auch selbst als Modernisierer oder Bremser“ 16 In den letzten Jahren hat diesbezüglich auch die Forschung im asiatischem Raum deutlich zuge-

9 Sok, 2006 10 Karbaum, 2004 11 Weggel, 2006 12 Südostasien aktuell, 3/2006, 2/2007 13 http://cambodiamirror.wordpress.com/2007-4-22-after-the-commune-council-elections; http://www.necelect.org.kh/Khmer/ElecResult.htm, 18.05.2007 14 „Strategisches Viereck“ beinhaltet „…einen ausgewogenen Kurs zwischen den vier Ecken des wirtschaftli- chen Wachstums, der Beschäftigung, der Ausgewogenheit und der Effizienz zu steuern…“, Südostasien ak- tuell, 3/2005, 35 15 Merkel, 2005 16 Kleinsteuber, 2003, 394; siehe auch Pfetsch/Esser, 2003, 10 f.

176 Das Fernsehen der Kambodschaner nommen.17 Prinzipiell muss aber festgehalten werden, dass staaten- und kulturübergreifende Forschung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft kein Neuland ist. Sowohl die For- schungsfelder der internationalen, transnationalen, interkulturellen, transkulturellen Kommuni- kation wie auch die der Entwicklungskommunikation beschäftigen sich hiermit.18 Jedoch tan- giert die diesen Beitrag betreffende Fragestellung die klassischen Bereiche der inter-/transnatio- nalen und inter-/transkulturellen Kommunikation nur am Rande. Diese beschäftigen sich ent- weder (a) mit massenmedial vermittelter Kommunikation zwischen mindestens zwei Staaten (Kommunikationsflussforschung), oder (b) mit der Kulturspezifik von Kommunikation oder auch (c) mit dem Globalisierungsprozess von Medienkommunikation im Kontext zu staaten- und kulturübergreifenden Wandlungsprozessen. Relevant für die hier genannte Fragestellung ist das weite Feld der Entwicklungskommunikation, wo es darum geht, Wandlungsprozesse im Mediensystem im Zusammenhang mit Gesellschaftstransformationen zu sehen. Ziel ist es je- doch nicht, Kambodschas Fernsehlandschaft im Zusammenhang mit Imperialismus-, Moderni- sierungs- bzw. Dependenztheorien zu analysieren und auf deren Erklärungsgehalt abzuklop- fen,19 sondern vielmehr ist es mein Anliegen zu hinterfragen, ob es sich bei den Fernsehinhalten um jene handelt, die entweder dem Feld der (a) modernen Propaganda, oder (b) der Entwick- lungskommunikation, oder (c) der Unterstützungskommunikation zuzuordnen sind. Oder ob es (d) sich letztendlich gar um Inhalte handelt, die gezielt die Demokratisierung im Sinne einer normativen Funktionszuweisung vorantreiben. Letztendlich kann durch diese Vorgehensweise festgestellt werden, wie weit das System Fernsehen davon entfernt ist, die Erwartungen, die in das Fernsehen im Rahmen des Tribunals gesteckt werden, zu erfüllen. Konkret frage ich mich, ist das Fernsehprogramm (1) der modernen Propaganda zuzurechnen, wo beispielsweise Nachrichteninhalte (a) überzeugen, (b) gezielt in einen außermedialen Kon- text gestellt, (c) ein ideologisches, aber gleichzeitig reduziertes Weltbild vermitteln und (d) mit Sanktionen in Verbindung gebracht werden sollen.20 Oder handelt es sich (2) um klassischen Entwicklungsjournalismus der auf das Bewusstsein und Verhalten der Rezipienten abzielt, um so sozialen Wandel zu steuern. In der Literatur lässt sich kein einheitliches Konzept von Ent- wicklungsjournalismus finden, sondern es stehen verschiedene Ansätze nebeneinander, die zu- meist einem normativen Vorbild folgen.21 „Einige sehen gemäß modernisierungstheoretischer Vorstellungen Journalisten als Erzieher der Bevölkerung zu modernen Individuen, andere sehen demgegenüber im Entwicklungsjournalismus gerade den Gegenentwurf zum westlich geprägten Journalismus in den Entwicklungsländern, der entsprechend dem Dependencia-Konzept als Brü- ckenkopf für die Industrieländer dient und system- und herrschaftsstabilisierende Funktion

17 u.a. AMIC, 2000; Sparks, 2001; McCargo, 2003; Romano, 2005 18 Die Begriffe werden nicht durchgängig einheitlich verwendet, so dass es zu Verschiebungen hinsichtlich der Begriffsverwendung kommt. Beispiele hierfür: Maletzke, 1996, Meckel/Kriener, 1996; Halff, 2000; Hafez, 2002; Wilke, 2002; Löffelholz/Hepp, 2002; McDowell, 2003; Meckel/Kamps, 2003; Hepp, 2006 19 zu den großen Entwicklungstheorien und deren Verbindung zur Medien- und Kommunikationswissenschaft u.a. Rullmann, 1996; Krotz, 2005; Kunczik/Zipfel, 2005 20 zum Propagandabegriff, wie er derzeit Verwendung findet u.a. Arnold, 2003 21 Kunczik, 1985, 1988, 1992; Saxer/Grossenbacher, 1987; Grossenbacher, 1988

177 Das Fernsehen der Kambodschaner hat…Andere sehen Entwicklungsjournalismus als Staats- und/oder Parteiinstrument, das z.B. durch stärkere Betonung von „good news“ (im Gegensatz zum westlichen Grundsatz „Only bad news are good news.“) ein von den jeweiligen Herrschaftsträgern vorgegebenes Wohl des Landes zu stützen hat.“ 22 Im Unterschied zu diesem breiten Ansatz können die Medieninhalte (3) statt auf den Entwicklungsprozess im Ganzen, auf spezielle Lösungen abzielen. Hierzu muss Me- dienkommunikation allerdings als Plattform verstanden werden, die horizontal die Gesell- schaftsmitglieder vernetzt und so die verschiedenen Interessen der unterschiedlichen Gruppen berücksichtigt. Staatliche Institutionen sind bei dieser Form der Kommunikation ein möglicher Informant unter vielen.23 Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Khmer-Rouge-Tribunal ist es plausibel anzunehmen, dass die Reichweite der bisherigen drei Konzepte nicht ausreicht. Vielmehr werden (4) zusätzliche Funktionen von den Massenmedien erwartet. Zeigt sich das kambodschanische Fernsehen bereits soweit gefestigt, dass (a) die Inhalte, den im Tribunal zu erwartenden Meinungspluralismus bereits jetzt schon abbilden, (b) die damit zusammenhäng- enden pluralistischen Interessen berücksichtigt werden, (c) der Bevölkerung die neue Ordnung ansatzweise erklärt wird und (d) um Vertrauen geworben wird, um auch zukünftig Ansprech- partner zu bleiben, auch wenn unpopuläre, schmerzhafte Entscheidungen anstehen. Alle vier Konzepte (1)-(4) repräsentieren verschiedene Qualitäten von Journalismus, wobei davon ausgegangen wird, dass eine Fernsehlandschaft – die sich eher unter dem vierten Punkt wieder- findet – in der Lage ist, das Tribunal am gesellschaftsverantwortlichsten zu transportieren. Wie sieht eine Operationalisierung aus, die eine Einordnung von (1)-(4) erlaubt? Erstens gilt es zu klären, ob es sich um eine autoritäre Top-down Kommunikation handelt, oder ob der Aus- tausch von Argumenten – am Kommunikationsprozess – horizontal Beteiligter im Vordergrund steht. Ersteres deutet in Richtung (1)-(2), letzteres in Richtung (3)-(4). Geht es beispielsweise um die Akzeptanz nationaler oder gar internationaler Ideen, oder um das wechselseitige Ver- ständnis von sogar lokalen Meinungen? Letztendlich werden die Nachrichteninhalte nach fol- genden Merkmalen hin analysiert: Zeit, Nähe, Status, Dynamik, Valenz und Identifikation. Zur besseren Veranschaulichung soll nun anhand des Merkmals „Status“ die Analysemethode ver- deutlicht werden.24

22 Teves, 2000, 41; http://www.cameco.org/mez/pdf/27Teves.pdf, 19.05.2007 23 Melkote/Steeves, 2001; Rogers/Singhal, 2003 24 eine ausführliche Darstellung der Analyse siehe Ritter, 2008

178 Das Fernsehen der Kambodschaner

Abbildung 3: Merkmalsausprägung des Nachrichtenwertfaktors „Status“

Merkmal „Status“ (politisch-ökonomische Bedeutung von Ereignisregionen und Personen) Erhebungsmethode - Inhaltsanalyse Ausprägungen - 0 = die Medien berichten einseitig; die nationale Politik der prominenten Regierungspolitiker wird dar- gestellt; regionale/lokale Verhältnisse werden ausgeblendet; große Teile der Bevölkerung finden somit keine Repräsentanz - 1 = die Medien berichten tendenziell einseitig; die nationale/regionale Politik der Regierungspolitiker wird dargestellt; die Politiker des Koalitionspartners werden marginal erwähnt; regionale/lokale Ver- hältnisse werden weitgehend ausgeblendet bzw. in Zusammenhang mit der nationalen Entwicklungs- politik der Regierung gestellt; die vorrangig lokale (in Bezug auf das Ländliche) Bevölkerung finden somit keine Repräsentanz - 2 = die Medien berichten pluralistisch über Ereignisregionen und politische Personen; lokale Verhält- nisse werden überrepräsentiert; lokale Bevölkerungsteile werden deutlich repräsentiert - 3 = es findet eine ausgewogene Berichterstattung über Ereignisregionen und politischen Personen statt; im Gegensatz zur vorherigen Ausprägung überwiegt nicht der partizipiale Gedanke, sondern die Rele- vanz der Ereignisregion und der Person (kommerzielle Nachrichtenwertorientierung); es findet eine auch kritische Auseinandersetzung mit Ereignisregionen und Personen statt

Abschließend sei – nach der im Ansatz verdeutlichten Operationalisierung – nochmals erwähnt, dass es im Umfang dieses Beitrages nicht möglich ist, die Fragestellung in dem komplexen In- teraktionsgefüge zu analysieren, wie es die multiperspektivischen Ansätze der Entwicklungs- kommunikation vorsehen. Demgegenüber ist es lediglich das Ziel, derzeitig bestehende Defizite der Fernsehlandschaft mit Blick auf die Aufgabenbewältigung hinsichtlich des Tribunals aufzu- zeigen und zu fragen, ob diese für die Bevölkerung als auch solche empfunden werden. Erst in Kombination aus Medieninhalt und der Erwartungshaltung der Rezipienten kann entschieden werden, wie eine adäquate Vermittlung der Khmer-Rouge-Tribunal-Problematik im Fernsehen auszusehen hat.

3 Kambodschas Mediensystem – Typisch Entwicklungsland? Mehrere Mediensystemklassifikationen versuchen die Situation in Entwicklungsländern zu berück- sichtigen.25 Ronneberger rückt die Mediensysteme der Entwicklungsländer in unmittelbare Nähe zu den kommunistischen Systemen des Ostblocks.26 Diese Nähe argumentiert Ronneberger mit zwei Sachverhalten. Erstens ist die Medienlandschaft staatlich zentralistisch gelenkt und zweitens dient diese der Durchsetzung der dazugehörigen Politik. Alles in allem fällt Ronnebergers Kritik aber milder aus, als die der kommunistischen Mediensysteme, da Medien auf das gemeinsame nationale Ziel der sozioökonomischen Entwicklung ausgerichtet sind und nicht vorrangig einer Ideologie folgen. Altschull argumentiert strikter als Ronneberger, da er die Pressefreiheit der Notwendigkeit

25 die bisherigen Mediensystemklassifikation werden aufgrund ihrer Vereinfachung deutlich kritisiert, u.a. von Hepp, 2006 26 Ronneberger, 1978; differenziert nach (a) dem westlich-liberalen Modell, (b) dem monolithisch verfassten Mediensystem des Ostblocks und (c) dem Kommunikationsmodell in Entwicklungsländern

179 Das Fernsehen der Kambodschaner der Landesentwicklung unterordnet.27 Seine Aussage spitzt Altschull mehrmals dahingehend zu, indem er mehrmals betont, dass in allen Staaten die Pressefreiheit verherrlicht würde. Als Beispiel führt er an, die Pressefreiheit sei alleinig bereits dadurch eingeschränkt, weil in keinem Land der Erde zu gewalttätigen Regierungsumstürzen aufgerufen werden darf. Dies stelle bereits eine Be- grenzung der Presse- und Meinungsfreiheit dar. Für Kleinsteuber ist eine Dritte Welt, in der die Landesentwicklung höher als die Pressefreiheit gewertet wird, nicht denkbar.28 Er verweist vielmehr darauf, dass die eine Dritte Welt nicht existiert und Entwicklungsländer untereinander zu heterogen sind. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist es nach Kleinsteuber lediglich plausibel, zwei Punkte festzuhalten. Erstens sind Medientechnologien und der damit verbundene Zugang zu Inhalten sehr ungleich verteilt und zweitens beeinflussen die Industrienationen deutlichen die Medienmärkte. Das kambodschanische Mediensystem ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Klassifikationen zu kurz greifen. Zwar existiert auch in Kambodscha eine Beschränkung der Pressefreiheit und die sich im Aufbau befindende Kommunikationsinfrastruktur teilt die Bevölkerung, aber beeinflussen die Industrienationen den Medienmarkt nicht so nachdrücklich wie von Kleinsteuber allgemein angenommen. Alle Klassifikationen greifen genau betrachtet einzelne Phänomene von Medien- landschaften in Entwicklungsländern auf, können jedoch die Problematik in ihrer Gesamtheit modellhaft nicht erfassen. Da sie im Zusammenhang mit Mediensystem-Klassifikationen ent- standen, kann ein derartiger Anspruch auch nicht erhoben werden. Kambodschas Mediensystem wird bestimmt durch ein Grundverständnis, wo Medienprodukte (1) direkt Ergebnisse eines auf Gewinn ausgerichteten Prozesses sind, aber auch (2) in ein Patronage- system eingebunden sind und indirekt zu dessen Stabilisierung beitragen. Beide Orientierungen verursachen spezifische Ausprägungen. Dass (1) Medienprodukte Wirtschaftsgüter sind, verdeut- licht die große Anzahl von konkurrierenden unterhaltungsorientierten Medienerzeugnissen und zeigt sich ebenfalls dadurch, dass diese nur dort Verbreitung finden, wo ein zahlungskräftiger Rezipientenmarkt existiert. Aufgrund der Konkurrenzsituation ist die Finanzsituation der Medien- unternehmen fühlbar angespannt. Der Markt für Wirtschaftsgüter und der damit korrelierende Werbemarkt ist zu klein, um die Medienvielfalt privatwirtschaftlich finanzieren zu können. Ent- sprechend herrscht ein ruppiger Preiskampf um die Werbekunden. Gleichzeitig versuchen die Medienunternehmen ihre Reichweite zu erhöhen, jedoch steigen die Kaufkraft und die Medien- kompetenz der Bevölkerung nicht im gleichen Umfang. Nur dort wo die Situation zu offensicht- lich hoffnungslos erscheint, wird auf eine zu schnelle Expansion verzichtet (Verbreitung der Presse und des Internets im ländlichen Raum). Die existenzbedrohende Lage geht auch mit ei- ner schlechten journalistischen Qualität einher, da der Ausbildungsmarkt ebenfalls nicht schnell genug wächst. Die weitestgehende Einbindung in ein (2) Patronagesystem konnte bisher Kon- zentrationsprozesse verhindern. Medienerzeugnisse werden hierbei als preisgünstiges Instru- ment der Machterhaltung gesehen. Ein sich Zusammenschließen von Medienunternehmen ist

27 Altschull, 1990; differenziert nach (a) marxistischen- und (b) kapitalistischen Pressemodellen sowie nach (c) Mediensystemen in Entwicklungsländern

180 Das Fernsehen der Kambodschaner sogar innerhalb eines Patronagelagers undenkbar. Hierfür ist das Gesellschaftsgefüge durch 30 Jahre Krieg/Bürgerkrieg und ständig wechselnde Koalitionen zu sehr gespalten. Ein gegenseiti- ges Vertrauen – als Basis von Zusammenschlüssen – besteht nicht. Die Macht der einzelnen Patronagesysteme ist ungleichmäßig verteilt, was dazu führt, dass die dominierende Regie- rungspartei Cambodian People Party (CPP) über den Spielraum der einzelnen Mediengattun- gen und einzelner Organisationen bestimmt. Nur so ist es zu verstehen, dass ein bewusst regle- mentierter Rundfunk parallel zu einem freien Internet existiert. Charakteristische Größen des kambodschanischen Mediensystems sind auf der einen Seite Gewinn- und Machtorientierung und auf der anderen Seite (a) ein unzureichend ausgebautes Kommunikationsnetz, (b) eine ge- ringe Kaufkraft, (c) mangelnde journalistische Qualität/Ethik und (d) fehlende Medienkompe- tenz. Beide Seiten lassen sich derzeit nur ansatzweise synchronisieren. Eine Einordnung in die Klassifikationen von Ronneberger, Altschull und Weischenberg gelingt nicht. Dass dies an der Qualität der Klassifikationsmodelle liegt und nicht bedeutet, dass Kambodscha nun kein Ent- wicklungsland mehr wäre, soll folglich anhand einiger Fakten skizziert werden.

3.1 Rechtsgrundlage Die 1993 verabschiedete Verfassung manifestierte das Bestreben nach einer erfolgreichen Frie- denskonsolidierung und Demokratisierung. Sie war auch Ausgangspunkt für ein Medienrecht, das eine bis dahin nicht gekannte Freiheit und Vielfalt ermöglichen sollte. Bisher war die Mediennutzung Eliten vorbehalten. Dies gilt sowohl für die französischsprachigen Zeitungen der Kolonialherren der 1920er Jahre, als auch für die Presse der Sihanouk-Ära. Zu Zeiten des Vietnamkriegs bestimmten Vorzensur und Propaganda die Arbeitsweise der Journalisten. Wäh- rend der Herrschaft des Khmer-Rouge-Regimes drangen letztendlich keine Informationen aus Kam- bodscha an die Außenwelt. Von Pol Pot sind nur wenige Interviews bekannt. Journalisten galten als regimekritisch. Von den einstig über hundert Fernsehjournalisten blieben 10 im Land. Sie wurden ermordet, Printmedien und das Fernsehen verboten. Nur das staatliche Radio durfte weitersenden. Es wurde Propaganda und volkstümliche Musik ausgestrahlt. Westliche Informationen oder Popmusik waren verboten. Verstöße bedeuteten den Tod. Im Anschluss an das Khmer-Rouge-Regime und der Gründung der Volksrepublik Kambodscha begann auch der Wiederaufbau des Mediensystems. Es wurde ein Mediengesetz in realsozialistischer Tradition erlassen und ein Propaganda- und Informati- onsministerium gegründet. Vier streng kontrollierte Zeitungen erschienen und der staatliche Rundfunk sendete wenige Stunden Programm. Ziel der Medienpolitik der Jahre 1979-89 war, das marxistisch- leninistische Bewusstsein der Massen zu entwickeln.29 Die 1993er Verfassung enthält zwei Artikel, die die Meinungs- und Pressefreiheit regeln. Dies sind Art. 31 (Annerkennung der internationalen Deklarationen über die Menschenrechte) und Art. 41: „Khmer Staatsbürger haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit, Verlagsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Niemand darf durch die Ausübung dieser Rechte die

28 Kleinsteuber, 1994; differenziert zwischen (a) westlich-liberalen-, (b) östlich-realsozialistischen und (c) Dritte Welt Typen

181 Das Fernsehen der Kambodschaner

Würde anderer, die guten Sitten der Gesellschaft, die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit verletzen.“ Die Meinungs- und Pressefreiheit werden jedoch nicht nur durch die so- eben zitierten Ausnahmen eingeschränkt, sondern auch durch weitere Verfassungsparagraphen, beispielsweise durch die in Art. 7 verankerte „Unantastbarkeit des Königs“. Das Pressegesetz wurde 1995 verabschiedet. Dieses greift einerseits erneut die in der Verfassung verankerte Meinungs- und Pressefreiheit auf, anderseits präzisiert es die verfassungsgemäßen Einschränkungen und regelt die Lizenzerteilung sowie das journalistische Arbeiten. Raimund Weiß ist der Auffassung, dass die Regierung mit dem Gesetz ein „sharp-edged-sword“ an die Hand bekommen hat.30 Prinzipiell ist das Gesetzeswerk jedoch besser als sein Ruf. Die Art. 2-4 und 6 garantieren (a) den Informantenschutz, die Unabhängigkeit, das Zensurverbot, das Recht auf Gründung von Pressevereinigungen, regeln (b) den Informationszugang und beinhalten (c) das Wahrheitsgebot. In Art. 5 sind die Einschränkungen u.a. in Bezug auf: (a) die nationale Sicherheit, (b) die Beziehung zu anderen Nationen, (c) der Persönlichkeit und (d) die Vertraulichkeit der Finanzsituation verankert. Art. 11-14 konkretisieren zusätzlich die Vorgaben der Verfassung hinsichtlich des Verbotes gegen die guten Sitten zu verstoßen, sowie die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit zu gefährden. Außerdem wird der Strafrahmen für Verstöße festgelegt (250-3.900US$). Zusätzlich können Publikationen konfisziert und Redaktionen für max. 30 Tage geschlossen werden. Die NGO Article19 kritisiert das Pressegesetz hauptsächlich wegen des darin aufgenommenen Art. 20. Dieser stellt eine direkte Verbindung zum Strafgesetzbuch her. Deutliche Auswirkungen auf die Arbeit der Journalisten haben Art. 62 (Desinformation) und 63 (Diffamierung/Beleidigung) des Strafgesetzes. Diese beinhalten erneut den Schutz der nationalen Sicherheit und die Würde des Einzelnen. Das Strafmaß ist jedoch höher als im Pressegesetz und sieht auch Haftstrafen zwischen acht Tagen und drei Jahren vor. Eigentlich besteht keine Konkurrenz zwischen beiden Gesetzestex- ten, da auf Medienvertreter das Pressegesetz, auf andere Personen das Strafgesetz angewendet wer- den kann. Tatsächlich werden Journalisten jedoch anhand des Strafgesetzes sanktioniert.31 Eine Tatsache, die von internationaler Seite heftig kritisiert wird.32 Das Informationsministerium ist die zuständige Behörde für die Lizenzerteilung im Medien- sektor. Lizenzpflichtig sind Presseerzeugnisse und Rundfunkanstalten. Internet- und Mobil- funkprovider erhalten ihre Lizenz beim Ministerium für Post und Telekommunikation. Inter- netcafes werden beim Handelsministerium registriert. Das Informationsministerium über- nimmt neben der Zulassung von Presse und Rundfunk auch deren Kontrolle. Eine Aufgaben- zuweisung, die häufig kritisiert wird.33 1999 versuchte das Ministerium seine Kontrolle auf das Internet auszuweiten. Eine Umsetzung scheiterte am Veto Hun Sens. Seither verkündet

29 Mehta, 1997 30 Weiß, 2003 31 Article19/ADHOC/CLEC, 2005 32 u.a. Freedom House, Reporter ohne Grenzen, Committee to Protect Journalists (CPJ), International Press Institute (IPI), World Association of Newspaper (WAN), World Press Freedom Committee (WPFC), Inter- nationale Journalisten Organisation (IJO), International Federation of Journalists (IFJ), International Free- dom of Expression Exchange (IFEX)

182 Das Fernsehen der Kambodschaner

Informationsminister Khieu Kanharith: „…but I can assure you that I am the one who has been fighting and continues to fight for the freedom of Internet…” 34 Zudem registriert das Informationsministerium die Journalisten und erarbeitet Programmempfehlungen. Einen Pres- seausweis erhält jeder Journalist, der eine einschlägige Ausbildung nachweist. Die Einschlä- gigkeit einer Ausbildung wird nicht näher bestimmt. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Pres- seausweise 200US$. Weiterhin wird der Filmmarkt reguliert und die Öffentlichkeitsarbeit für die Regierung realisiert. Nicht zuletzt ist das Informationsministerium selbst Veranstalter der staatlichen Rundfunksender National Television of Cambodia (TVK), National Radio Kampu- chea und National Radio of Cambodia (FM 96). Bis vor einigen Jahren gehörte auch die Journalistenausbildung zu den Aufgaben (Cambodian Communication Institut). Ebenfalls häufig kritisiert wird die fehlende Rundfunkgesetzgebung. Raimund Weiß zitiert diesbezüglich den stellvertretenden Direktor der Sendeanstalten TV3 und FM103: „We need a Media Law to ensure our business. When news are in the framework of law, than we know what is right or wrong.“ 35 Nach Angaben des Ministeriums fällt die Gründung von Rund- funkanstalten unter das Investitionsgesetz von 1994, wobei sich das Ministerium bei der Li- zenzerteilung am Pressegesetz orientiert. Ausnahmen sind beispielsweise die Höhe der Be- sitzanteile ausländischer Investoren an den Rundfunkstationen, die im Gegensatz zum Presse- sektor mehr als 20% betragen können. Die Höhe der Beteiligungen regelt somit das Investiti- onsgesetz, das eine ausländische Beteiligung von maximal 49% vorsieht. Informationsminis- ter Khieu Kanharith äußert sich, auf die fehlende Rundfunkgesetzgebung angesprochen, mit den Worten: „We don’t have a law, we have our practice.“ 36 Drei Punkte sind bei der Lizenzvergabe relevant: (a) die Parteinähe, (b) die Finanzierbarkeit und (c) die Reichweite. Khieu Kanharith argumentiert: „…the present situation shows that the CPP are more professional and that it is a big party with the economic potential and techni- cal skills to run networks.” 37 Hörfunkfrequenzen mit niedriger Sendeleistung werden gele- gentlich auch an oppositionsnahe Organisationen vergeben. Das Ministerium erlässt Pro- grammrichtlinien, die in regelmäßigen Treffen den Rundfunkstationen mitgeteilt werden. Der Staatsekretär des Ministeriums, Mao Ayuth, äußert sich: „Das Informationsministerium hat eine Richtlinie erlassen die dafür sorgt, dass die Nachrichten nicht zu viele Informationen erhalten. Die Journalisten müssen darauf achten, was sie tun. Es darf nicht sein, dass die Be- völkerung Angst bekommt oder sich Psychosen breit machen. Mann darf alles sagen, man muss aber dabei die Richtlinie beachten, die vorgibt was gesagt werden darf.“ Der Journalist Dim Sovannarom konkretisiert: „Im kambodschanischen Fernsehen gibt es Dinge, die man nicht zeigen kann. Demonstrationen, Streiks, Diskussionsforen oder Debatten die von NGOs

33 Kea, 2005 34 Klein, 2001, 12 35 Weiß, 2003, 49 36 ebenda, 51 37 Edman, 2000, 14

183 Das Fernsehen der Kambodschaner oder anderen Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert werden.“ 38 Das Ministerium reagiert auf kleine Verstöße mit Redaktionsschließungen, Inhaftierungen sowie Verleumdungs- klagen. Der Oppositionssender FM105 ist häufig Ziel derartiger Maßnahmen.

3.2 Presse, Rundfunk, Online (Organisationen als Kommunikator) Für ein Entwicklungsland mit einer Bevölkerungszahl von ca. 15 Mio. Einwohnern existiert eine enorme Anzahl von Medienunternehmen. Das Informationsministerium verweist auf 266 Zeitun- gen, 58 Zeitschriften und 27 Nachrichtenmagazine. Weiterhin besitzen 7 Fernseh- und 19 Radiosta- tionen eine Rundfunklizenz. Im Jahr 2006 waren 11 Internet-, 4 Mobilfunk-, 3 Festnetz- und 2 Mo- bilfunkprovider (Satellit), 307 Internetcafes und 1.500 Internetseiten beim Ministerium registriert.39 Anhand dieser Vielzahl kann nicht auf einzelnen Medienunternehmen eingegangen werden, son- dern vielmehr ist es das Ziel, die Ausrichtung mit Hilfe eines Kontinuums zu verdeutlichen. Das Kontinuum beginnt auf der einen Seite mit den drei bereits erwähnten staatlichen Rundfunkstatio- nen sowie der Nachrichtenagentur Agence Kampuchea Press die vom Informationsministerium betrieben werden. Weiterhin existieren Kooperationen zwischen staatlichen und privatwirtschaft- lichen Organisationen. TV3, FM97.5 und FM103 sind jeweils zur Hälfte im Besitz der Stadt Phnom Penh und dem thailändischen Medienkonzern KCS Cambodia. Identisch ist die Situation bei TV5 und FM98, nur das hier die Eigentümer einerseits das Verteidigungsministerium und anderseits der thailändische Medienkonzern KANTANA sind. Das Ministerium für Post und Tele- kommunikation hält jeweils 51% an den beiden Internetprovidern Camintel und Camnet. Die verbleibenden Anteile gehören den Unternehmen Indosat und International Development Re- search Centre of Canada. Die weiteren Medienunternehmen sind im privatwirtschaftlichen bzw. NGO-Besitz. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Bürgermedien existieren nicht. Zusätzlich lässt sich ein weiteres Kontinuum bilden. Einerseits existieren Unternehmen, die Lizenzen für das Fernsehen und den Hörfunk besitzen. Hierzu gehören die bereits genannten Gruppen: (a) TV3, FM97.5, FM103 und (b) TV5, FM98. Weiterhin gehören zusammen: (c) CTV9, FM107, (d) Bayon TV+Radio und (e) Apsara TV+Radio. Anderseits bestehen zahlrei- che Einzelunternehmen, zumeist mit Sitz in Phnom Penh und einige Medienunternehmen in der Provinz (Khemara FM91, Radio-FM 96.5). Klassisches Cross-Ownership existiert nicht. Einzig die NGO Open Forum of Cambodia war bis 2006 gleichzeitig Internetprovider und Zeitungsverleger der Publikationen The Mirror und Kanhchok Sangkum.40 1993 entschied das Informationsministerium keine Lizenzen an politische Parteien zu vergeben. Grund dafür waren die historischen Erfahrungen mit politischer Einflussnahme und Propaganda. Trotz dieser Verordnung wurde TV9 gegründet, um die FUNCINPEC 41 politisch zu unterstüt- zen. Der Premierminister Hun Sen besitzt Bayon TV und es ist üblich, dass sich Eigentümer von Medienunternehmen bestimmten Parteien zugehörig fühlen. Versuche der Oppositionsparteien,

38 Medessou, 2006 39 Ritter, 2007 40 derzeit nur online verfügbar

184 Das Fernsehen der Kambodschaner eine Rundfunklizenz zu erhalten, sind fehlgeschlagen. Informationsminister Khieu Kanharith äußert sich hierzu: „…the present situation shows that the CPP are more professional and that it is a big party with the economic potential and technical skills to run networks.” 42 Charlotte Veit hat den Hörfunk hinsichtlich seiner Parteienaffinität klassifiziert. Demnach sind 50% der Radiostationen in Phnom Penh entweder mit der CPP oder der Regierung ver- woben. Bayon Radio gehört beispielsweise Sagen Chun und Feder Symon, die eine bedeuten- de Rolle in der CPP einnehmen. Zwei der Radiostationen gehören der FUNCINPEC. Der Op- position stehen die unabhängigen Radiostation FM102 und FM105 nah. Die drei verbleiben- den Stationen sind unpolitisch und bezeichnen sich als neutral: FM99, FM107.43 Ähnlich argumentiert Raimund Weiß in Bezug auf die Fernsehstationen, indem er dem staatli- chen Fernsehen und den beiden halbstaatlichen Stationen TV3 und TV5 eine regierungsfreundli- che Berichterstattung bescheinigt. Apsara TV gehört Premierminister Hun Sen, Bayon TV den erwähnten Parteigrößen Sagen Chun und Feder Symon. Der ehemalige FUNCINPEC-Sender TV9 ist seit seiner Zerschlagung 1997 genauso unpolitisch, rein kommerziell, wie die 2002 ge- gründete Station CTN.44 Der Einfluss der Regierungspartei CPP im Fernsehen ist unübersehbar: „TVK der offizielle Regierungssender, Apsara der Sender des Premierministers, Bayon TV, geleitet von der Tochter des Premierministers, TV9 im Besitz der Frau des Premierministers, TV5 der Sender des Verteidigungsministerium, TV3 der Lokalsender von Phnom Penh.“ 45 In der Zeitungslandschaft wird aufgrund der Besitzstruktur der Rasmei Kampuchea und der Chakra- val politische Nähe zur CPP zugesprochen, der Moneaksekar Khmer zur FUNCINPEC und der Sam- leng Yuvechun Khmer zur Opposition. Koh Santepheap und Kampuchea Thmey gelten als neutral. Die Finanzsituation ist für die Mehrzahl der Medienunternehmen existenzbedrohend. Bei- spielsweise kommen 99% des Werbeaufkommens der Printmedien lediglich zehn Publikatio- nen zugute. Auf Rasmei Kampuchea entfallen allein 23% der Anzeigen. Die Werbepreise liegen auf niedrigem Niveau und betragen bei der Presse ca. 250US$/Seite, beim Fernsehen 10-150US$/Minute und beim Radio 3-10US$/Minute. Inbegriffen sind die Produktionskosten für die Spots. Die auflagenstarken Zeitungen und die Rundfunkanstalten sind Bestandteile ausgeklügelter Patronagenetzwerke. Der monatliche Zuschuss für kleine Medienunternehmen liegt bei ca. 400-500 US$. Diese Zuschüsse sind ein Grund für die bisher ausbleibenden Kon- zentrationsprozesse. Der Herausgeber der Phnom Penh Post ist gar der Ansicht, dass bei- spielsweise keine der Zeitungen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überleben könnte. Alle sind sie auf Zuschüsse angewiesen.46

41 Nationale Einheitsfront für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha 42 Edman, 2000 43 Veit, 2004 44 Weiß, 2003 45 Medessou, 2006 46 Loo, 2006

185 Das Fernsehen der Kambodschaner

Allein für den Fernsehsektor liegen konkrete Budgetdaten vor. Demnach betragen die monat- lichen Einnahmen und Ausgaben für CTN ca. 200.000 US$. Werbung ist die Haupteinnahme- quelle, der drei Ausgabenpositionen gegenüberstehen: (a) Verwaltung, Sendebetrieb, Produk- tion (50%), (b) Personal und laufende Kosten und (c) Programmeinkauf (je 25%).47 Das mo- natliche Budget für die verbleibenden Sender liegt bei 50-100.000US$. CTN ist die einzige Station die Lizenzgebühren zahlt, Gewinne erwirtschaftet und nicht auf die Unterstützung von Parteien angewiesen ist. Eine Radiostation lässt sich mit 5.000US$/Monat betreiben.48

3.3 Journalisten und Redakteure (Akteure als Kommunikator) Drei Typen von Journalisten lassen sich unterschieden: (a) Journalisten ausländischer Medien, (b) Journalisten CPP-freundlicher Medien und (c) Journalisten der Oppositionsmedien. Das monatli- ches Einkommen beträgt bei ersteren 250-700US$, bei den verbleibenden 40-50US$. In Folge dieser niedrigen Einkommen ist es üblich, dass Journalisten für Beiträge Geschenke in Form von Benzingeld bzw. Kaffee oder Zahlungen in Höhe bis 30US$ erhalten. Der entscheidende Unter- schied zwischen CPP- und Oppositionsjournalisten wird vor allem hinsichtlich des Informations- zugangs deutlich. Journalisten von Oppositionsmedien haben oft das Nachsehen.49 Einen guten Einblick in die Arbeitswelt des Rundfunks gibt Crowther.50 Sie befragte die Hörfunkdi- rektoren hinsichtlich ihres Einflusses auf die Nachrichtenproduktion. Das Kontinuum reicht von akti- ver Nachrichtenauswahl (staatlicher Rundfunk) bis zu jener Situation, wo der Direktor den Inhalt der Nachrichtensendung zwar kennt, am redaktionellen Prozess jedoch nicht beteiligt ist (FM105). Die politische Programmausrichtung variiert ebenfalls deutlich. Der staatliche Rundfunk versteht sich in erster Linie als regierungsfreundlicher Sender. Erst an zweiter Stelle steht die Verantwortung gegen- über den Bürgern. FM105 positioniert sich entgegengesetzt. Allgemein sehen die Direktoren den Zweck ihrer Nachrichten darin, die Bürger mit Informationen zu versehen, die es ihnen ermöglichen, ein aktiver Bestandteil des demokratischen Systems zu sein. Sie betonen aber auch, dass es allgemein schwierig ist, oppositionelle Parteien, NGOs und Regierungskritiker zu Wort kommen zu lassen. Charlotte Veit hat in ihrer Analyse die Situation der Radiostationen in den Provinzen untersucht.51 Die Mehrzahl der Radiostationen sind Niederlassungen der Phnom Penher Sender und überwiegend CPP-freundlich. Eine Station arbeitet mit der FUNCINPEC zusammen. Nach Veit ist somit der CPP-Einfluss in der Provinz höher als in Phnom Penh. Das Programm wird hauptsächlich aus der Hauptstadt übernommen. Die Ausbildung der Mitarbeiter ist schlechter als in der Zentrale. Ebenfalls schwierig ist die finanzielle Situation. In der Provinz ist es fast unmöglich, Sendezeiten an NGOs zu verkaufen. So wird versucht, allein durch Werbung die Kosten zu decken. Der Erfolg ist mäßig, obwohl der Werbepreis mit 3US$/Minute gering ist. Zumeist können die benötigten monatlichen 3.000US$ Budget nicht aufgebracht werden. Größter Budgetposten ist der Diesel für den Generator.

47 Waskow, 2005 48 Veit, 2004 49 Edman, 2000 50 Crowther, 2005 51 Veit, 2004

186 Das Fernsehen der Kambodschaner

Die Hälfte der Mitte der 1990er Jahre akkreditierten 500 Journalisten konnte keine Ausbil- dung nachweisen.52 15% von ihnen absolvierten ein Journalismusstudium, zumeist in Moskau oder Vietnam.53 Die Verbleibenden konnten auf einige Jahre journalistische Erfahrung zu- rückblicken, oder durchliefen eines der neu angebotenen Trainings. Das Informationsministe- rium versuchte mit weiteren kurzweiligen Schulungsmaßnahmen im Cambodian Communica- tion Institute (CCI) die Kompetenz der Journalisten weiter zu steigern. Ein Journalismusstu- dium existiert erst seit 2002 am Department for Media and Communication (DMC). Die ers- ten Absolventen stehen dem Markt seit 2005 zur Verfügung. Problematisch hierbei ist aber, dass – wie in anderen Ausbildungsbereich auch – dringend benötigte Absolventen eine Tätig- keit im Ausland anstreben. Faktisch werden noch mehrere Jahrgänge abschließen müssen, bis die positiven Auswirkungen im Alltag spürbar sind. Problematisch ist die derzeitige Praxis, dass lediglich die Journalisten der ausländischen Medien bzw. der finanzstarken khmerspra- chigen Zeitungen, wie die der Rasmei Kampuchea, in den Genuss der Fortbildungen kommen. Prinzipiell kann festgehalten werden, dass eine Verbesserung der Situation in Ansätzen er- kennbar, das Ziel aber bei weitem noch nicht erreicht ist. Als Ansatz scheint mir die Forde- rung Kavi Chongkittavorn (The Nation, Thailand) relevant, der dazu auffordert, sich nicht nur über die bestehenden Qualitätsdefizite zu beklagen, sondern das verstärkt die Kooperation mit thailändischen, philippinischen oder auch indonesischen Medienvertretern gesucht werden soll.54 Seiner Ansicht nach sind die Systeme vom Aufbau her ähnlich. Kambodschanische Journalisten könnten so von ihren asiatischen Kollegen viel lernen.55

3.4 Medieninhalte Inhaltsanalysen kambodschanischer Massenmedien lassen sich in zwei Gruppen teilen. Erstens die Analysen, die im Umfeld von Wahlen durchgeführt wurden und zweitens jene, die sich auf den politischen Alltag konzentrieren. Inhaltsanalysen die Wahlen in den Vordergrund stellen, müssen mit dem entsprechenden Feingefühl bewertet werden. Erstens stellen Wahlen eine extreme politi- sche Situation dar, auch medial, die mit dem politischen Alltag nur wenig zu tun hat und zweitens schaut bei Wahlen auch die internationale Gemeinschaft auf Kambodscha, wodurch die Bestrebun- gen – mustergültig auszuschauen – besonders hoch sind. Medieninhaltsanalysen des Wahlkampfes liegen von verschieden Institutionen/Organisationen vor.56 In diesen wird ausschließlich der Um- fang der Berichterstattung der, an den Wahlen teilnehmenden, Parteien erhoben. Das Hauptaugen- merk liegt hierbei auf dem reichweitenstarken Rundfunk. Für die Zeit außerhalb des Wahlkampfes existieren zwei Medieninhaltsanalysen. Erstens eine Presseanalyse der Agentur Media Consulting & Development Co Ltd. (MC&D) und zweitens eine Hörfunkanalyse von Christine Crowther.57

52 Clarke, 1995 53 Brown, 1996 54 Loo, 2006 55 Norbert Klein (Open Forum of Cambodia) in: Lin Neumann, 2000; Loo, 2006 56 Europäische Union, http://ec.europa.eu/comm/external_relations/human_rights/eu_election_ass_observ/cambodia03/- final_report.pdf, 22.05.2007; COMFREL, 2003 57 MC&D, 2004; Crowther, 2005

187 Das Fernsehen der Kambodschaner

Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten. Bis zur Nationalwahl 2003 berichteten die Presse und der Rundfunk deutlich CPP-orientiert. Mit der Änderung des Wahlgesetzes zur Na- tionalwahl 2003 änderte sich dies deutlich. Wie im Wahlgesetz festgeschrieben, waren im staat- lichen Rundfunk alle Parteien mit ihren Wahlkampfthemen vertreten. Der private Rundfunk zeigte sich auffallend unpolitisch. Die Oppositionsmedien unterstützten ihre Kandidaten. Grundsätzlich war der Wahlkampf 2003 im Vergleich zu den Wahlkämpfen zuvor pluralisti- scher, auch wenn CPP-Themen in der Medienagenda überwogen. Bezeichnenderweise änderte sich das Bild nach der offiziellen Wahlkampfzeit schlagartig. Die Nachrichtenberichterstattung im Rundfunk wurde wieder ausschließlich von der CPP dominiert. Annährend 7% der Artikel kambodschanischer Zeitungen thematisieren Raub, weitere 6% Ver- kehrsunfälle/Menschenhandel/Vergewaltigung/Mord. „Junge Chinesin im Kugelhagel getötet. Poly liest mir den Titel der Rasmei Kampuchea laut vor. Sechs Geschosse fanden die Ärzte im Körper der 24-jährigen chinesischen Geschäftsfrau. Sie durchschlugen die Scheiben ihres Wagens, als sie auf dem Weg zur Arbeit war, schon die erste war tödlich…die größte Tageszeitung des Landes be- richtet über die Toten von gestern. Poly klappt die Zeitung zusammen und saugt einen großen Schluck Eiskaffee durch den Strohalm in seinem Glas.“ 58 Insgesamt nimmt der „Police-Report“ 26% der Berichterstattung ein. Damit rangiert der „Police-Report“ mit 38% an vierter Stelle in der Gunst der Leser.59 Die weitere Themenverteilung ist eher klassischer Natur: Politik (17%), Entwick- lung des Landes (11%) und Wirtschaft (10%). Khmer-Rouge bezogene Themen rangieren mit 0,6% auf dem letzten Platz der Untersuchung. Die Themensetzung in der Presse – mit Ausnahme des „Police-Reports“ – ist nahezu Deckungsgleich mit der Themenrelevanz in der Bevölkerung.60 Über politische Themen wird überwiegend neutral berichtet. Positive Anmerkungen sind selten, negative überwiegen deutlich. Interessant ist die Beobachtung, dass keine der Zeitungen die Regierungsarbeit als solche unterstützt, indem die CPP, die FUNCINPEC sowie die Koalition positiv dargestellt wer- den. Gleichzeitig ist nicht zu erkennen, dass die Koalition geschlossen kritisiert wird. Ereignisse werden aber konkreten Parteien zugerechnet. Es existieren vier Zeitungen, die trotz der überwiegend neutralen Berichterstattung, Position beziehen. Rasmei Kampuchea, Chakraval und Aryathor tun dies ausschließlich für die CPP und zwar in der Form, dass die CPP gelobt und der politische Geg- ner kritisiert wird. Uddom Kate Khmer unterstützt die FUNCINPEC und kritisiert die CPP. Samleng Yuvechun Khmer ist ein neutrales Blatt, mit CPP kritischen Zügen. Umgekehrt verhält es sich bei den Zeitungen Rasmey Angkor, Kampuchea Thmey und Koh Santepheap, die ebenfalls neutral, aber durch FUNCINPEC teils SRP-kritische Züge auffallen.61 Abschließend kann konstatiert werden, dass sich die einzelnen Zeitungsredaktionen bezogen auf ihre Präferenzen zwar bestimmten Parteien zuordnen lassen, dieser Bezug aber bei der Themensetzung nicht so schwer ins Gewicht fällt, wie gern behauptet wird. Vielmehr gibt sich die Zeitungslandschaft, da sie überwiegend berichtet und

58 Schäfer, 2003, 393 59 Leserbriefe (53%), Editorial (47%), „10 Years After“, ein spezielle Rubrik der Phnom Penh Post (40%); Franke, 2005 60 Meisburger, 2003 61 MC&D, 2004

188 Das Fernsehen der Kambodschaner selten kommentiert, eher „langweilig“, fast schon unpolitisch. Einzige Ausnahmen bilden hier die etablierten, überwiegend durch ausländische Investoren finanzierten, französisch- bzw. englisch- sprachigen Tageszeitzungen Cambodian Daily, The Phnom Penh Post und die Cambodge Soir. Gesamtgesellschaftlich nehmen Zeitungen in Kambodscha, nicht nur durch ihre geringe Reichweite, sondern auch durch ihre Themensetzung, keine bedeutende politische Rolle ein. Im Hörfunk berichten die staatlichen bzw. die staatlich unterstützen Stationen regierungskon- form. Das Oppositionsradio FM105 sendet im Gegensatz keine positiven, sondern überwie- gend regierungskritische Beiträge. Alle untersuchten Sender berücksichtigen in ihrer Bericht- erstattung nicht die außerparlamentarischen Parteien. Die beiden unabhängigen Stationen FM90 und FM102 verwenden einen Teil ihrer Berichterstattung dafür, den Themen der NGOs Raum zu geben. Politische Debatten sind Hauptbestandteil der Nachrichtenberichterstattung von FM105. Dies ist erwartungsgemäß für ein Oppositionsradio. Bei FM98, FM90 und FM102 genießt die Politikberichterstattung einen annährend hohen Stellenwert.62 Die Er- kenntnis, die sich hinter den Ergebnissen verbirgt, war so nicht zu erwarten. Der Hörfunk bie- tet gegenüber der Presse nicht nur eine höhere Reichweite, sondern das breitere Themenspekt- rum und äußert Kritik. Anders als erwartet, bleibt die Presse in ihren Zwängen behaftet und ist somit ein zahnloser Tiger. Dies bezieht sich, und dies soll nochmals erwähnt werden, aus- schließlich auf die großen khmersprachigen Publikationen. The Phnom Penh Post, Cambodia Daily und Cambodge Soir sind hiervon ausgeschlossen. Eine persönliche Reinfolge der Pres- sefreiheit – aufgeschlüsselt nach Mediengattungen – ergibt: (1.) die englisch und französisch- sprachige Qualitätspresse, (2.) der Hörfunk und (3.) die khmersprachige Presse. Folglich soll geklärt werden, ob die bisher aufgezeigten Strukturen sich so im kambodschanischen Fernsehen wiederfinden lassen und welchen Stellenwert die Khmer-Rouge-Problematik in der Nach- richtenberichterstattung einnimmt. Die bisherigen Ergebnisse bezüglich der Presse enttäuschen.

4 Das Fernsehen der Kambodschaner Prinzipiell ist die Fernsehlandschaft in der bisher dargestellten Struktur zu verorten, jedoch mit der Ergänzung, dass der Gestaltungsspielraum in engeren Bahnen verläuft.63 Dies soll exempla- risch anhand einiger Beispiele gezeigt werden. Die fehlende Rundfunkgesetzgebung führt dazu, dass im Gegensatz zur im Ansatz gewährten Angebotsvielfalt der Presse, des Hörfunks und des Internet diese beim Fernsehen nicht existiert. TVK ist der offizielle Regierungssender, Bayon TV der Sender des Premierministers Hun Sen, Apsara TV wird geleitet von der Tochter des Pre- mierministers, TV9 ist mit im Besitz seiner Frau und TV5 sowie TV3 gehören hälftig einmal dem Verteidigungsministerium und einmal der Stadt Phnom Penh. Selbst dem gern als unab- hängig angesehenen Fernsehsender CTN werden über einer der Betreiberfirmen enge Kontakte zu Hun Sen nachgesagt. „Motive für die Gründung des Unternehmens sind zum einen das Ver- sprechen von 'Modern Times Group' und 'Millicom Telephone Company' an die Regierung eine

62 Crowther, 2005

189 Das Fernsehen der Kambodschaner

Fernsehstation aufzubauen, nachdem die Unternehmen an 'Mobitel' – dem größten Handynetz- betreiber Kambodschas - beteiligt sind sowie die Förderung der einheimischen Filmindustrie gegenüber ausländischen Anbietern.“ 64 Das Informationsministerium achtet jedoch nicht nur auf eine zuträgliche Besitzstruktur, sondern wacht ebenfalls über die Inhalte. Der Staatssekretär des Informationsministeriums, Mao Ayuth, beschreibt den Umgang mit den Fernsehsendern mit den Worten: „Einmal bis zweimal pro Monat besuche ich mit den Mitgliedern des Fernsehver- bandes die verschiednen Sender. Wir beraten die Künstler und Moderatoren, damit sie wissen, auf was sie bei ihrer Kleidung und ihrem Verhalten achten müssen…Das Informationsministe- rium hat eine Richtlinie erlassen, die dafür sorgt, dass die Nachrichten nicht zu viele Informati- onen erhalten. Die Journalisten müssen darauf achten, was sie tun. Es darf nicht sein, dass die Bevölkerung Angst bekommt oder sich Psychosen breit machen. Man darf alles sagen, man muss aber dabei die Richtlinie beachten, die vorgibt was gesagt werden darf. Es dürfen nicht so viele Dinge aufgewühlt werden. Das kann ich ihnen jetzt nicht weiter erklären, das würde zu lange dauern… Die Komiker dürfen keine vulgäre Sprache verwenden, sie dürfen mit ihren Worten nicht Frauen und alte Menschen beleidigen. Wenn das der Fall wäre, würden wir ein- greifen und das korrigieren. Das gleiche gilt, wenn sie sich unpassend verhalten, wenn sie bei- spielsweise mit Flaschen aufeinander einhauen würden. Die Zuschauer dürfen gern etwas zu lachen haben, dass heißt aber nicht, dass die Komiker sich alles erlauben dürfen. Spaß ja, aber in den Grenzen des Vernünftigen.“ 65 Die Besitzstruktur der Sender deutet es bereits an, dass diese sich an die Vorgaben halten. Sanktionen wie sie gegenüber der Presse oder dem Hörfunk bekannt sind, sind vom Fernsehen nicht überliefert.66 Aber zeigen auch kleinere Vorkommnisse, dass es das Ministerium mit den Ankündigungen ernst meint. „Beim fünften Programm gab es einmal einen riesigen Skandal, dort war der Moderatorin einer Unterhaltungssendung ein Missgeschick passiert. Während der Sendung rutschten ihr die Träger ihres Kleides herunter und die Träger ihres BHs. Alle konnten ihre Brust sehen. Nach diesem Zwischenfall durfte die Frau die Sendung nicht mehr moderieren.“ 67 Der Journalist Dim Sovannarom fasst zusam- men: „Im kambodschanischen Fernsehen gibt es Dinge, die man nicht zeigen kann. Demonst- rationen, Streiks, Diskussionsforen oder Debatten die von NGOs oder anderen Organisatio- nen der Zivilgesellschaft organisiert werden.“ 68 In diesem Zusammenhang sind auch einige Interviews von Interesse, die zeigen, dass die Vorgaben des Ministeriums von den Sendern, wie auch von den Produktionsfirmen strikt eingehalten und umgesetzt werden. Folgende drei Interviews, verschiedener Perspektiven, sollen dies verdeutlichen:

63 die folgenden Darstellungen beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf Edman, 2000; Weiß, 2003; Waskow, 2005; Medessou, 2006; Hartmann, 2007 64 Hartmann, 2007, 76 65 Medessou, 2006 66 Ausgeübte Sanktionsmaßnahmen sind auf den Internetseiten folgender Organisationen abrufbar: AERTICLE19, Free- dom House, Reporter ohne Grenzen, Committee to Protect Journalists (CPJ), International Press Institute (IPI), World Association of Newspaper (WAN), World Press Freedom Committee (WPFC), Internationale Journalisten Organisation (IJO), International Federation of Journalists (IFJ), International Freedom of Expression Exchange (IFEX) 67 Dim Sovannarom, Ausbilder am Cambodian Communication Institute (CCI), Medessou, 2006 68 Medessou, 2006

190 Das Fernsehen der Kambodschaner

- „Die Fernsehmoderatorinnen sind nicht nur da, die Leute zu unterhalten, es geht auch nicht immer darum, dass sie die schönsten Kleider vorführen, nein, ein Moderator muss auch ein Vorbild sein. Wir spielen eine wichtige Rolle für die Bildung und Erzie- hung der jungen Fernsehzuschauer. Der Moderator muss ein positives Bild unserer Gesellschaft verkörpern.“ - „Seit mehr als zehn Jahren gibt es hier die didaktischen Spots mit einer ganz traditio- nellen Darstellung. Die Zuschauer hier sind das gewohnt. Es ist alles ganz einfach gehalten. Ein Tisch mit Stühlen darum Menschen die sich unterhalten und zwar über die Botschaft, die die Regierung oder ein Minister verbreiten will.“ - „Wenn wir in der Serie zu detailliert auf den Alltag der Menschen eingehen, kann das möglicherweise die Marschrichtung der Regierung beeinträchtigen, oder bestimmte Personen des öffentlichen Lebens stören. Wir müssen also darauf achten, was wir tun, denn das kann nämlich einen Einfluss auf die Zuschauer haben. Wir müssen ein Gleichgewicht finden. Denn es gibt bei den Serien zwei Seiten. Sie können die Men- schen weiterbilden, sie können aber auch Schaden anrichten.“69

Entscheidend bezüglich dieses Geflechts aus Vorgaben und Erfüllung ist die Nutzung und Erwar- tungshaltung von Seiten der Rezipienten.70 Fernsehen ist das meistrezipierte kambodschanische Medium. 60% sehen täglich fern. Die Mittagszeit, die Abendstunden und der Sonntag sind klassische Fernsehzeit. Marktführer ist CTN mit 70%, gefolgt von TV5 und TV3. Die Erwartungshaltung wurde im Rahmen zweier Studien einerseits mit Blick auf das Fernsehen erhoben, andererseits mit Blick auf deren allgemeine Lebenslage. Das dringendste allgemeine Prob- lem ist der ersten Studie zufolge die Armut (52%), mitsamt der zugehörigen Armutsphänomenen (Wasserknappheit/Verschmutzung/Überschwemmung: 27%; Gesundheit: 7%; Kriminalität: 6%).71 Alsdann folgen Fragen zur Wirtschaft (15%), Politik (8%) und zum Aufbau des Landes (5%). Ähn- lich verhält es sich bezüglich der Erwartungen gegenüber den in den Medien thematisierten Inhal- ten. Hier zeigt die zweite Studie, dass sich ein Großteil der Probanten wünscht, dass (a) Probleme des Alltages (Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption…), (b) Probleme zwischen Stadt und Land (Landflucht…) und (c) die Khmer-Kultur und Tradition im Fernsehen thematisiert werden. Erst anschließend folgen Themengebiete wie Bildung, Politik und Soziales. Auf die Frage: „Welche Themen interessieren Sie besonders im Fernsehen?“, antworteten die Probanten ähnlich. Auch hier führen Themen wie Landproblematik, Bildung sowie Khmer-Kultur und -tradition die Prioritätenlis- te an. Das Thema Politik wurde nicht genannt. Ein Indiz dafür, dass das Interesse an im „Westen“ etablierten Themen wie Politik vorhanden ist, das Gebotene jedoch nicht überzeugt. Letztendlich können Themenfelder wie Politik und Wirtschaft jedoch nicht die Bedeutung erlangen wie: Armut, Bildung, Kultur und Tradition.72

69 (1) Kong Socheat, Moderatorin „Game Cupid“ (TV3), (2) Cédric Janloes, Produzent für die Agentur MC&D (Media Consulting and Development), (3) Poan Phoung Bopha, Produzentin der Serie „Daughter in Law“, Medessou, 2006 70 die folgenden Darstellungen beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf die Studien von Sovanreasey, 2001; Davuth, 2001; Rathna, 2001; Hartmann, 2007 71 Meisburger, 2003 72 Hartmann, 2007

191 Das Fernsehen der Kambodschaner

Besonders mit Blick auf die Fragestellung interessiert der Fakt, ob die Rezipienten den Themenfel- dern „Khmer-Rouge“ und „Khmer-Rouge-Tribunal“ eine besondere Bedeutung beimessen. In der Befragung von Meisburger wurde dem Themenkomplex „Khmer-Rouge“ im Speziellen, aber auch dem Themenkomplex „Geschichte/Vergangenheit“ im Allgemeinen keine Beachtung geschenkt (Welches ist das größte Problem Kambodschas?). Meisburgers Analyse ist nicht der Fragekatalog beigelegt, so dass nicht nachvollzogen werden kann, ob explizit nach „Khmer-Rouge“ gefragt wur- de. Aufbauend beinhaltet die Analyse jedoch eine separate Frage zum Khmer-Rouge-Tribunal. 48% befürworten ein Tribunal, wo – wie auch praktiziert – lediglich die Führungselite angeklagt werden soll. 32% sprechen sich gegen eine Anklage aus, 20% besitzen keine Meinung. Interessant ist bei detaillierter Betrachtung die Streuung der einzelnen Aussagen. Die Zustimmung zum Tribunal kor- reliert mit dem Bildungsstand (keine Schulbildung: 38%; Grundschule: 47%; Oberschule: 59%), dem Geschlecht (Frauen: 44%, Männer: 52%) und der Herkunftsregion (29%: Nordwest- Territorium).73 Gerade die territoriale Verteilung zeigt, wie der Grad der Tribunal-Zustimmung mit zunehmender Anzahl ehemaliger Khmer-Rouge-Angehöriger in der Stichprobe sinkt. Letztendlich entscheidend ist die Tatsache, dass die 48% gemessene Zustimmung eine andere Sprache spricht, als die 80%, die Fleschenberg in ihrem Aufsatz angibt.74 Erste Auswertungen mehrerer Untersu- chungen, die im Rahmen einer Studentenexkursion nach Kambodscha im Juni 2007 durchgeführt wurden, bestätigen das ambivalente Bild Meisburgers.75 Die Zustimmung zum Khmer-Rouge- Tribunal ist zwar gegeben, jedoch zweifelt eine Vielzahl der Bürger nach so langer Zeit über den Sinn des Tribunals. Zu oft wurden bisher geäußerte Versprechen gebrochen. Hartmanns Medienrezeptionsanalyse ergab, dass die Stadt- als auch die Landbevölkerung das Fern- sehen nicht dazu nutzt, um sich über die Khmer-Rouge-Zeit oder das Tribunal zu informieren. Auch werden mit Blick in die Zukunft beide Themenbereiche nicht ausdrücklich nachgefragt. Leider war Hartmanns Forschungsdesign so angelegt, dass er feste Antwortmöglichkeiten vorgab – das Thema „Khmer-Rouge“ war nicht Bestandteil – und die Probanden lediglich im Feld „Sonstiges“ hätten eigenständig „Khmer-Rouge“ eintragen können. Somit ist Hartmanns Rezeptionsanalyse für meine Zwecke leider wenig aussagekräftig.76 Bei der von mir durchgeführten Inhaltsanalyse wurden 2004/05 alle sieben kambodschani- schen Fernsehsender – für je eine künstliche Woche – analysiert. Erhoben wurden das Pro- grammprofil (Information, Unterhaltung, Werbung), sowie das Profil der Hauptnachrichten.77 Folgende Ergebnisse lassen sich für das kambodschanische Fernsehen verallgemeinern, da die Schwankungen zwischen den Sendern relativ gering sind. Erwartungsgemäß überwiegt der Unterhaltungsanteil im Programm. Beliebt sind Serien, Shows, Sport sowie Musik- und Karaokesendungen. Der Anteil an Informationssendungen ist gering

73 Meisburger, 2003, 27 74 Fleschenberg, 2006 75 näheres zu den Forschungsergebnissen siehe ASIEN, Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde (DAG), Heft 107, April 2008 76 Hartmann, 2007 77 nähere Angaben zur Methodik, Ritter, 2007

192 Das Fernsehen der Kambodschaner

(15%), wobei hierbei Nachrichtenformate dominieren und auch Resonanz finden. „Nach der Arbeit schaue ich mir zu Hause die Nachrichten an. Die sind für mich das Wichtigste im Fern- sehen. Ich möchte wissen, was in unserem Land passiert und mich auch über die Ereignisse in der Welt informieren. Ich weiß immer gut Bescheid.“ 78 Bildungsprogramme erreichen einen Anteil von unter 5%. Dieser ist geringer als angenommen. Auffällig ist jedoch, dass Informa- tion und Unterhaltung verschmelzen. Einerseits (a) in Form von Infotainment, wo auf unter- haltsame Weise Bildungsinhalte vermitteln werden und andererseits (b) in Form des Erzie- hungsfernsehens mit dem sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger: - (a) „Cédric Jancloes wollte auch in Kambodscha etwas anderes machen. Mit seiner Sendung Ce´dric Janloes 'Carol'. Dort wird ein Film zu einem bestimmten Thema ge- zeigt, über das dann im Studio diskutiert wird. Heute Liebesbeziehungen unter Ju- gendlichen…Nach dem Film wird heftig diskutiert. Mit Eltern, Kindern und Vertretern von Hilfsorganisationen.“ - (b) „Das Wohlbefinden der Bevölkerung der Khmer ist seiner Exzellenz Premierminis- ter des Königreiches Kambodscha Samdech Hun Sen ein wichtiges Anliegen. Deswegen sehen sie bei TVK jetzt Gymnastikübungen. Meine Damen und Herren, liebe Freunde, seine Exzellenz, ich bitte sie, dieser Sondersendung zu folgen. Sie dient ihrer Gesund- heit. Gymnastik hält uns Gesund und gibt uns Kraft das Land voranzutreiben.“ 79

Werbung ist ein dominierender Bestandteil des kambodschanischen Fernsehprogramms. Die- se tritt in klassischer Spotform zwar nur zu 7% auf, aber es werden darüber hinaus oft Banner und Laufbänder eingeblendet oder Ansagen zwischengeschaltet. Eine Trennung zwischen Programm und Werbung existiert selten. „Ich möchte mich bei allen bedanken, die dieses Tournier unterstützt haben. Danke an alle Sponsoren. Dem Weinlieferanten der mit seinem Wein für gute Stimmung sorgt. Danke auch an die Firma Buitrago, die die Zigarettenmarke Alain Delon importiert. Alain Delon, die Zigarette mit dem besonderen Geschmack.“ 80 Alle Informationssendungen (ausgenommen Hauptnachrichten und Bildungsformate wie bei- spielsweise Sprachkurse) thematisieren Politik und Wirtschaft nur in Ausnahmefällen. Es dominieren Sendungen mit Servicecharakter aus den Bereichen Soziales und Gesundheit, so- wie Sendungen die sich mit Lifestyle und Frauenthemen beschäftigen. Bei den Fernsehnach- richten wendet sich das Bild. Hier dominieren die Themenbereiche Politik, Wirtschaft, Auf- bau des Landes, Bildung und Landwirtschaft. Der Themenbereich „Geschichte“ wurde nicht aufgegriffen. Das Thema „Khmer-Rouge-Regime“ kam im Analysezeitraum ebenfalls nicht vor. Lediglich der Hinweis, dass eine Brücke, die wieder aufgebaut wurde, damals von den Khmer-Rouge zerstört wurde, fand Erwähnung. „Themen wie Politik und die Gräueltaten der Vergangenheit werden ausgelassen…Der Völkermord der Roten Khmer hat über 2 Mio. Tote gekostet, darüber wird im Fernsehen so gut wie nicht gesprochen, aber jedes Jahr am

78 Interview, Bauer, lebt 40 km von Phnom Penh entfernt, nach Medessou, 2006 79 ebenda 80 ebenda

193 Das Fernsehen der Kambodschaner

07. Januar feiert man in Kambodscha den Sieg über die Roten Khmer. Übertragen werden die Feierlichkeiten vom Nationalsender TVK.“ 81 Die Charakteristik der Berichterstattung ist senderübergreifend weitgehend identisch. Prinzipiell werden überwiegend Themen angesprochen, die mit der Regierungspartei CPP in Verbindung gebracht werden können. Dies sind sowohl politische Themen, aber auch Themen zum Aufbau des Landes, der Wirtschaftsentwicklung oder auch der Kultur und der Traditionen. Der Koaliti- onspartner FUNCINPEC ist nur marginal vertreten. Die Opposition wird weder im positiven noch negativen Zusammenhang gezeigt. Auch ist die Themenauswahl bezeichnend, die einem Rechen- schaftsbericht der Regierung gleicht. Ein Abgleich im Untersuchungszeitraum zwischen der Themenstellung in der deutlich pluralistischeren kambodschanischen Presse (khmer- und eng- lischsprachig) zeigt, dass die Themenauswahl lediglich im Ausnahmefall identisch ist. Die The- menauswahl im Fernsehen lässt sich mit den klassischen Nachrichtenwertfaktoren nur gelegent- lich in Einklang bringen. Um zu verdeutlichen, welche Themen in die Nachrichtenauswahl gelan- gen, folgt die Beschreibung eines exemplarischen Tages (14.12.2004). TV27 sendete sechs Inlandsnachrichten mit einer Gesamtlänge von knapp 19 Minuten. Der erste Beitrag (1) dauerte 4:19 Minuten und handelt über eine dreitägige Konferenz, in der über die Ar- mutsbekämpfung, die allgemeine Entwicklung Kambodschas und über den Umbau der Verwal- tung beraten wurde. Anwesend waren Hun Sen und Sok An, sowie zahlreiche ausländische Poli- tiker aber auch Unternehmer und Vertreter von Hilfsorganisationen. Diese Konferenz war das Topthema des Tages und stand zu Recht an erster Stelle im Nachrichtenblock. Die Zeitungen Koh Santepheap (15.12.) und Rasmei Kampuchea (17.12.) berichteten ebenfalls über das Thema. Im Artikel der Koh Santepheap „Master Plan on Rural Electrification in 2020“ standen vier Punkte im Vordergrund: (a) geplant ist ein Gemeinschaftsprojekt der Japan International Cooperation Agency (JICA) und dem kambodschanischen Ministry of Industry, Mines, and Energy, (b) es wird ein 10 MW Generator in Siem Reap errichtet, (c) mehr ländliche Gebiete werden so mit Elektrizi- tät versorgt und (d) bis 2020 soll Kambodscha komplett mit Elektrizität versorgt sein. Der Artikel greift also einen konkreten Punkt aus der Konferenz auf, setzt einen Schwerpunkt. Die dominie- renden Personen sind Mr. Korezumi (Repräsentant des japanischen Botschafters) und Mr. Suy Sem (kambodschanischer Minister). Der Fernsehbeitrag legt Wert darauf, die Konferenz als In- strument von Politik zu vermitteln. Konferenzen sind wichtig, da sie die „Planbarkeit von Poli- tik“ ermöglichen und der „Bürger wird informiert was auf ihn zu kommt“. Der Beitrag versucht deutlich den Bürger vom Sinn solcher Konferenzen zu überzeugen. Hierzu werden Hun Sen und Sok An bei Verhandlungsgesprächen gezeigt. Es geht nicht um Ergebnisse, sondern um das In- strument. Der Beitrag wirkt aus westlicher Sicht deplaziert und aufgesetzt. Die kambodschani- schen Codierer fanden den Beitrag jedoch dahingehend wichtig, da er zeigt, dass gemeinsam die Zukunft des Landes geplant wird und diese nicht durch gewalttätige Maßnahmen geregelt wird.

81 Medessou, 2006

194 Das Fernsehen der Kambodschaner

Ihrer Ansicht nach ist es notwendig, auch eine Dekade nach Beginn des Demokratisierungspro- zesses, die demokratischen Spielregeln weiterhin zu vermitteln. Die weiteren Beiträge fanden in der Tagespresse keine Berücksichtigung. Auch besitzen sie einen identischen Aufbau. (2) 02:39 Minuten lang wurde Hun Sen zusammen mit einem thailändischen Unternehmer bei einer Besprechung in seinem Haus gezeigt. Der Thailänder baute vor vier Jahren eine Schule in Kompong Thom. Hun Sen erhoffte sich, dass der Thailänder einige Stipendien nach Kambodscha vergeben würde. In weiteren 02:46 Minuten (3) wurde eine Kaserne vorge- stellt, wo einige Soldaten für eine viermonatige Schulung zur Terrorabwehr Zertifikate erhielten. Deren Arbeit wurde ausdrücklich gelobt. Zentraler Punkt war jedoch die Eröffnung eines neuen Rekrutenschlafsaals, der von Hun Sen seiner Frau finanziert wurde. Beide waren nicht anwesend. Dem nächsten Beitrag (4) sind nähere Informationen nicht zu entnehmen. 02:29 Minuten wurden dafür aufgebracht, kambodschanische Beamte und ihre vietnamesischen Kollegen zu zeigen, wie sie gemeinsam ein Waldstück begingen und anschließend in Form einer Zeremonie berieten. Der Kommentar besagte lediglich, dass es sich um ein Treffen zur Vermeidung illegaler Holztranspor- te handle. Weiterhin ist der Beitrag mit Musik unterlegt. O-Töne existieren nicht. (5) In einer langandauernden Zeremonie (03:59 Minuten) unterstützte das kambodschanische Rote Kreuz mit Reis- und Geldspenden die Bauern in Prey Veng. Sie hatten durch das Hochwasser Teile ihrer Ernte verloren. Der letzte Beitrag (6) in einer Länge von 02:49 stellte Lov Hoeng vor, der mit Hun Sens Hilfe zum erfolgreichen Unternehmer wurde. In diesem Beitrag spendete er Geld für einen Schulneubau und für mehrere Wasserpumpen. Zusammen mit dem Bürgermeister besichtigte er die neuerrichtete Schule. Prinzipiell beschäftigen sich alle Beiträge mit dem Aufbau des Landes. In Form von Zeremonien, Lobpreisungen und langen Dankesszenen wird den Initiatoren, zumeist Hun Sen gedankt. Dieser ausgewählte Tag ist dahingehend repräsentativ, da er wiederkehrende Muster zeigt. Die Mehrzahl der Beiträge steht im Kontext zu Hun Sen oder seinem Stellvertreter Sok An. Umso nationaler der Beitrag ausgerichtet ist, umso eher werden beide Politiker erwähnt. Erst Beiträge auf regionaler bzw. lokaler Ebene verweisen auf die örtliche Politikprominenz. Diesbezüglich werden wiederum ausschließlich CCP-Politiker thematisiert. Ebenfalls fällt auf, dass Regional- themen häufig in einem nationalen Kontext dargestellt werden, so dass der suggerierte Fortschritt erneut im Zusammenhang mit Hun Sen präsentiert wird. Die einzige nicht-CPP-Person, die häufig vorkommt, ist der König bzw. sein Stab. Weiterhin auffällig sind die Themen, mit denen Hun Sen in Verbindung gebracht wird. Diese reichen von Politik und Wirtschaft über den Aufbau des Lan- des bis zur Bildung, Gesundheit und Religion. Einzig Sok An steht im Zusammenhang mit einer ähnlichen Themenvielfalt. Alle weiteren CPP-Politiker werden im Rahmen ihrer Ressortzustän- digkeit thematisiert. Bleibt abschließend zu erwähnen, dass ca. 30% der Beiträge mit Hun Sen- Bezug, diesen lobpreisend darstellen. Bezugnehmend auf das eingangs vorgestellte Analyseraster zeigt die folgende Abbildung zu- sammenfassend die Grundcharakteristik kambodschanischer Fernsehnachrichten.

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Abbildung 4: Grundcharakteristik kambodschanischer Fernsehnachrichten

Merkmal Beschreibung Ausprägung Zeit Zeitpunkt, Dauer überwiegend keine tagesaktuelle Berichterstattung, Länge des Beitrages richtet sich nach dem Charakter des Ereignisses (Ze- remonie=langer Beitrag, Gespräche=kurzer Beitrag) Nähe räumlich, politisch, kulturell national dominiert vor regional und lokal, Politik=CPP-Politik, Kultur=Khmer-Kultur, Ausnahmen unter 1% Status Region, Person Region=Zentralismus (Phnom Penh), Lokales mit Bezug auf nationalen Zusammenhang, reine Lokalthemen=selten, Per- son=Hun Sen, Sok An zentriert, einige Ausnahmen: (a) Lokalpo- litik, (b) spezielle Ressourcenzugehörigkeit eines Ministeriums Dynamik Überraschung, Struktur Keine Dynamik, gleich bleibende Struktur=Ausrichtung nach Hierarchie, Ausnahmen unter 5% Valenz Konflikt, Schaden, Erfolg Ausrichtung nach Hierarchie, selbst die Tsunamieberichterstat- tung machte keine Ausnahme, Tsunamie=normale Auslands- nachricht im entsprechenden Nachrichtenblock Identifikation Personalisierung Hun Sen=Charisma82

Abschließend bleibt zu konstatieren, dass in der jüngsten Vergangenheit einige erste Verände- rungen zu beobachten waren. Die Fernsehsender haben begonnen, dass Thema „Khmer- Rouge“ zu thematisieren. Beispielsweise sendete TVK ein Interview mit Pol Pot aus dem Jahr 1998, wo Pol Pot Stellung zu „seinem“ Regime bezieht, ohne annährend Reue zu zeigen. Prinzipiell bleibt aber die Khmer-Rouge-Berichterstattung eine Ausnahme. Findet diese statt, wird auf Kommentare verzichtet. „Wir selbst berichten nicht über die Ereignisse unter den Roten Khmer. Dafür gibt es den internationalen Gerichtshof. Das ist dessen Angelegenheit. Wir berichten vielmehr über die Verhandlungen zwischen der kambodschanischen Regierung und der UNO oder über die Arbeit der kambodschanischen und internationalen Richter. Wir konzentrieren uns auf die Arbeit und die Ergebnisse des Gerichtshofes. Das Thema Rote Khmer ist ein heikle Angelegenheit, darum sollen sich die Spezialisten kümmern.“ 83

5 Das Khmer-Rouge-Tribunal im Fernsehen – eine Prognose Ein Vergleich zwischen den Ergebnissen der Fernsehanalyse auf der einen Seite und den Erwar- tungen – die an das Fernsehen im Rahmen des Khmer-Rouge-Tribunals herangetragen werden – auf der anderen Seite, erzeugt eine Diskrepanz, die nicht größer sein könnte. Kambodschani- sches Fernsehen ist Ergebnis einer Informationskontrolle mit dem Ziel, beabsichtigt das Be- wusstsein und das Verhalten der Rezipienten zu lenken. Hierbei gehe ich nicht soweit, diese Strategie der modernen Propaganda zuzurechen, da nicht ersichtlich ist, dass das Fernsehen eine Ideologie vermitteln soll, die konträr zum sozioökonomischen Entwicklungspotential des Lan- des steht. Eher handelt es sich um klassischen top-down-Entwicklungsjournalismus, der den Wandel begleitet und verkörpert ohne jedoch – und das ist entscheidend – die gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Um den inhaltlichen Facettenreichtum des Tribunals darstellen und in den

82 Charisma bedeutet hier, dass alles der Person Hun Sen untergeordnet ist, wobei seine Herrschaft nicht in Frage gestellt wird. Diese Hun Sen-Fokussierung durchzieht die komplette Khmergesellschaft. Charisma- zuschreibung nach Djedje, Kambodscha-Workshop, Universität Passau, Dezember 2006 83 Som Chhaya, Redaktionsleiter CTN, Medessou, 2006

196 Das Fernsehen der Kambodschaner komplexen Kontext der Khmergesellschaft einordnen zu können, bedarf es jedoch einer The- mensetzung, die verschiedenen Sichtweisen auf das Tribunal ermöglicht. Gefordert werden muss also eine Fernsehberichterstattung, die bereits im Vorfeld dem existierenden Meinungs- pluralismus gerecht wird. Also eine Form von Kommunikation, wie es das Modell der Unter- stützungskommunikation vorsieht. Wünschenswert wäre gar ein Journalismus, wie er aus der Forschung zur Systemtransformation bekannt ist, wo eben nicht nur die Interessen eines breiten Bevölkerungsspektrums berücksichtigt werden, sondern die neue Situation erklärt und somit Vertrauen geschaffen wird, um beispielsweise schmerzhafte Entscheidungen besser billigen zu können. Die Frage die sich nun stellt lautet: Lässt sich so ein Wandel zeitnah realisieren und ist dieser auch sinnvoll? Drei ausschlaggebende Größen benötigten schnellstmöglich entscheidende Änderungen. Ers- tens, die Regulierungsvorgaben des Ministeriums müssten hinsichtlich der beiden Punkte (a) Schutz der nationalen Sicherheit und (b) Schutz des Persönlichkeitsrechtes gelockert werden, da mit Verstößen gegen diese Einschränkungen die Mehrzahl der Sanktionen gerechtfertigt werden. Vorraussetzung hierfür wäre jedoch, dass Journalisten in der Lage sind, verantwor- tungsvoll ihrer Tätigkeit nachzugehen. Aber gerade diesbezüglich besteht große Skepsis. Denn es müsste sich – und dies wäre der zweite Punkt – die ökonomische Situation der Jour- nalisten verbessern und drittens durch eine Vielzahl von neuen Trainingsmaßnahmen gleich- zeitig die Kompetenz der Journalisten erhöht werden. Die letzten beiden Punkte sind unter Berücksichtung einer sofortigen Umsetzung unrealistisch. Aus Sicht unseres westlichen Verständnisses von politischer Kommunikation ist dieses Er- gebnis ernüchternd. Zu deutlich ist das idealtypische – ausgewogene – Verhältnis zwischen Medien und Politik gestört. Der Hoffnung, wonach Medien das Tribunal begleiten und erklär- bar machen und so zur „Genesung“ der Gesellschaft beitragen, muss eine klare Absage erteilt werden. Die Idee, die sich nun an das ernüchternde Ergebnis anschließt ist, ob es lohnt, die Perspektive zu wechseln, nämlich von einer westlichen zu einer asiatischen Sicht von Kom- munikation. Jene asiatische Sicht, die seit Mitte der 1980er Jahre von zumeist asiatischen Wissenschaftlern thematisiert wird.84 Ausgangspunkt eines asiatischen Kommunikationsver- ständnisses ist die durch religiöses Handeln hervorgerufene Harmonie zwischen Mensch und Natur, die sich auch in einer auf Einklang ausgerichteten Kommunikation wiederfindet. Har- monie als Einheit von Mensch und Natur ist nur durch Verzicht von zumindest einigen Eigen- interessen zu erreichen. Im Ergebnis steht nicht Selbstverwirklichung im Mittelpunkt von Kommunikation, sondern Selbstlosigkeit, die aufgrund eines in Asien weit verbreitenden Kul- turmusters „Macht“ eine zentrale Autorität akzeptiert. Trotz dieser verkürzten Darstellung sei erwähnt, dass aus westlicher Sicht eine asiatische Form von Kommunikation oft mit der Ar- gumentation abgelehnt wird, es würde lediglich versucht, so autoritäre Verhaltensweisen zu legitimieren.

84 hierzu Cushman/Kincaid, 1987; Dissanayake, 1996; Gunaratne, 2000

197 Das Fernsehen der Kambodschaner

Aus Sicht eines asiatischen Kommunikationsverständnisses seien die aus westlicher Sicht defizitären Ausprägungen akzeptierbar, vor allem dann, wenn die gegenwärtige Praxis bei der Bevölkerung mehrheitlich auf Akzeptanz stößt. Für diese von einer Input- auf eine Outputsei- te wechselnden Argumentation von Kommunikation lassen sich auch Beispiele für Kambod- scha finden: (1) „Ich möchte, dass meine Kinder später mehr lernen als nur lesen und schrei- ben. Die kambodschanischen Serien zeigen sehr gut die Khmerkultur. Man sieht auch, wie diese Kultur sich weiterentwickelt hat. Auch Ausländer die sich diese Serien anschauen, be- kommen einen guten Einblick in die Kultur der Khmer. Sie sind wirklich ein gutes Abbild der aktuellen Situation.“ 85 (2) „In letzter Zeit gab es immer wieder Verbote gegenüber zu freizü- giger Kleidung. Ich persönlich finde das in Ordnung.“ 86 (3) „Ein Europäer der die Medien- kultur in Belgien oder Frankreich kennt wird das ganze als viel zu schwerfällig empfinden. Die Zuschauer in Europa könnten mit so etwas gar nichts anfangen.“ 87 Es soll abschließend nicht abgestritten werden, dass im Kommunikationsverständnis differente Muster zur „westlichen Welt“ erkennbar sind. Diese jedoch alleinig asiatisch kulturell-religiös zu argumentieren greift meines Erachtens deutlich zu kurz. Gerade die Entwicklung der ostasia- tischen Staaten Japan, Taiwan und Südkorea haben gezeigt, dass mit steigender sozioökonomi- scher Entwicklung und damit einhergehender gesellschaftlicher Ausdifferenzierung sich die „westlichen“ und „asiatischen“ Kommunikationsmuster anglichen. Und zwar nicht nur in der Form, das „asiatische“ Muster denen des „Westens“ folgen, sondern dass gerade auf dem Ge- biet der digitalen Medien die Ostasiaten zunehmend kommunikative Trends setzen. Nachdem das Legitimieren von derzeitigen Mängeln im kambodschanischen Mediensystem über ein asiatisches Verständnis von Kommunikation wenig plausibel erscheint, gilt es nun ab- schließend die Frage zu beantworten: Was ist vom Fernsehen mit all seinen Mängeln im Rah- men des Khmer-Rouge-Tribunals zu erwarten? Ich gehe davon aus, dass sich grundlegend nichts ändern wird. Die langjährigen, oft als zäh empfundenen Vorbereitungen zum Tribunal haben dazu geführt, dass dieses letztendlich, einerseits die Interessenslage Kambodschas, aber auch andererseits, die der internationalen Gemeinschaft berücksichtigen wird. Dies bedeutet schließlich, dass die Vorbereitungen, der Ablauf und auch die Urteilssprüche des Tribunals im Einklang mit dem kambodschanischen Gesellschaftsgefüge stehen. Es wird kein Tribunal in Form einer Siegerjustiz geben, welches die Gefahr birgt, national destabilisierend zu wirken. Genau in jenes Gefüge reihen sich die Massenmedien ein. Kleinere Freiheiten wird das Tribunal mit sich bringen, aber die Informationskontrolle liegt weiter beim zuständigen Ministerium. Letztendlich wird das Tribunal einen weiteren kleinen Transformationsschritt darstellen, auf den großen Sprung wird man wohl vergeblich warten. Somit ist das Tribunal einer von vielen Transformationsschritten in Richtung Demokratie, den Kambodscha auf seinen sozioökonomi- schen Entwicklungsweg zurücklegen wird.

85 Interview, Bäuerin, lebt 40 km von Phnom Penh entfernt, nach Medessou, 2006 86 Interview, Kong Socheat, Moderatorin der Sendung „Game Cupid“ (TV3), nach Medessou, 2006 87 Cédric Janloes, Produzent für die Agentur MC&D (Media Consulting and Development), Medessou, 2006

198 Das Fernsehen der Kambodschaner

Dass die Prognose der kleinen Schritte nicht abwegig ist, sollen folgende Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen. Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 03.05.2007 veröffentlichte die NGO Freedom House ihr aktuelles Ranking zur Lage der Presse- freiheit. Freedom House zählt Kambodscha 2007 erstmalig zu den Nationen mit „teilweise frei- en“ Medien.88 Die NGO würdigt mit der Platzierung die Zusage der Regierung, zukünftig auf Haftstrafen gegenüber Journalisten verzichten zu wollen. Insgesamt ein erfreuliches Ereignis, welches positiven Widerhall in der Presse fand.89 Trotz des positiven Rankings kritisierten al- lerdings sowohl die politische Opposition als auch die Presse die unprofessionelle Arbeitsweise der Journalisten, die geringe Reichweite der Presse und die Blockadepolitik des Informations- ministeriums.90 Ou Vireak, Präsident des Cambodian Center for Human Rights forderte die Schließung des Informationsministeriums, da dieses nicht im Interesse der Medienunternehmen handle.91 Informationsminister Khieu Kanharith verteidigt die Position seines Ministeriums: „I would like to state that the success of the Ministry of Information in 2006 cannot be seen iso- lated from the active participation of the media of private companies, of international organiza- tions, and of non-government organizations that played their roles and did their jobs with pro- fessionalism, adhering to a code of conduct to provide rich information to the people every- where.“ 92 Neu an dieser Art der Kontroverse ist, dass diese nicht mehr ausschließlich in der englischsprachigen Qualitätspresse ausgetragen wird, sondern durch das Thematisieren in der khmersprachigen Presse nun eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Dass der Weg der kleinen Schritte nicht immer geradlinig verläuft, zeigt ein weiterer Vorfall aus der bereits erwähnten ersten Maiwoche 2007. Der Herausgeber der khmersprachigen Zei- tung Samleng Khmer Krom wurde ermordet aufgefunden. Derzeit sind die Gründe der Tat nicht bekannt. Fakt ist, dass Morde und gewalttätige Übergriffe auf Journalisten eher Kon- fliktlösungsmuster aus den Anfängen der politischen Transformation sind. Gesellschaftlich schien dieses Stadium der Entwicklung überwunden zu sein. Aber auch die internationale Gemeinschaft selbst sorgt für reichliche Irritationen. Am 17.05.2007 ver- kündigte der zuständige UN-Pressesprecher, dass geplant sei, Rundfunkspots im Rahmen des Tribunals zu senden. Auf die Rückfrage hin, ob für die Veröffentlichungen bezahlt wird, äußert er, dass dies nicht nötig sein wird, da das Tribunal viel Aufmerksamkeit bekommen wird. Ein schönes Beispiel wie zwei Welten des Unverständnisses aufeinander treffen. Auf der einen Seite eine westlich orientiere – sich auf Nachrichtenwertfaktoren stützende – Sicht, auf der anderen Seite ein Verständnis von Journalismus, welches von den zwei Größen, Medienprodukte als ökonomisches Gut sowie Medienprodukte als Be- standteil von Patronagenetzwerken geprägt ist. Vielleicht ist letztendlich der beste Vorschlag an alle Beteiligten, gelegentlich die Perspektive zu wechseln – des besseren Verständnisses wegen.

88 http://www.freedomhouse.org/uploads/fop/2007/fopdraftreport.pdf, 21.05.2007 89 u.a. The Cambodian Daily: Group Raises Cambodian Press Ranking to 'Partly Free', 03.05.2007 90 http://phnompenh.blogg.de, 08.05.2007 91 Samleng Yuvachun Khmer: Cambodian Center For Human Rights Demands Closure Of Ministry Of Infor- mation, 03.05.2007 92 Kampuchea Thmey: Khieu Kanharith: The State Media Are Progressing, 05.05.2007.

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201 Das Fernsehen der Kambodschaner

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202

Abstract

Seit Mitte der 1990er Jahre öffnet sich Laos wirtschaftlich unter gleich bleibend restriktiver politischer Führung. Der wirtschaftliche Aufschwung ermöglichte das Entstehen einiger pri- vater Zeitschriften und Magazine in den letzten fünf Jahren, die jedoch zum großen Teil un- kritisch berichten. In einer Momentaufnahme schneiden die laotischen Medien im internatio- nalen Vergleich immer noch schlecht ab. Reporter ohne Grenzen schrieb im Juni 2006 einen Brief an den laotischen Präsidenten Choummaly Saygnasone, in dem die Organisation zur Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit aufruft. Trotz aller staatlichen Zensurmaßnahmen sind im letzten Jahrzehnt jedoch kleinere Fortschritte im Hinblick auf eine offenere Berichter- stattung im Mediensektor zu beobachten. Der Artikel gibt einen Überblick über die Medien- landschaft in Laos, stellt einzelne Magazine und Zeitungen vor und macht an exemplarischen Beispielen die oben genannten positive Entwicklungen fest. Am Ende folgt ein Ausblick in die Zukunft auf weitere interessante Forschungsfelder.

Autorin Anke Timmann, geboren 1973 in Kassel. Ausbildung zur Buchhändlerin in Stuttgart. Danach Studium an der Universität Hamburg mit den Hauptfächern Sprachen und Kulturen Festland- Südostasiens mit Schwerpunkt auf Thailand und Laos sowie Journalistik und Kommunikationswissenschaft. Seit 1997 regelmäßige Arbeits- und Studienaufenthalte in Südostasien. Im Frühjahr 2000 Praktikum bei der englischsprachigen Vientiane Times in Laos. 2002-2004 studentische Mitarbeiterin im Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Im Wintersemester 2004/2005 Deutschlehrerin an der National University of Laos (NUOL). 2005 Magisterarbeit zum Thema Mediennutzung thailändischer Studierender in Deutschland. Zurzeit tätig als Journalistin, Landeskundetutorin Laos und akademische Tutorin an der Universität Hamburg.

204 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem Ein erster Schritt in Richtung demokratischer Wandel?

Anke Timmann

1 Einleitung Pressefreiheit lässt sich neben anderen Indikatoren als ein Gradmesser für Demokratie deuten. Wie sieht es mit der Pressevielfalt aus? Lässt sich eine beginnende Pressevielfalt in einem autori- tären Staat wie Laos als ein Indikator für Demokratie sehen? Inwieweit sich in Laos erste An- zeichen eines Medienpluralismus andeuten und wie diese im Hinblick auf einen Wandel des poli- tischen Systems zu interpretieren sein können, soll in diesem Artikel dargestellt werden. In einem großen Teil der Literatur über Medien und Demokratie in Südostasien wird Laos nicht erwähnt. Das liegt zum einen daran, dass Laos als einziges Binnenland in Südostasien für die Weltöffentlichkeit relativ unbedeutend ist und auch für die Region bis vor wenigen Jahren keine große Rolle spielte. Zusätzlich machen die geringe Einwohnerzahl und die politische Lage, Laos nicht zu einem attraktiven Wirtschaftsziel für ausländische Investoren. Bis Ende der 1980er Jahre orientierte sich Laos an seinen sozialistischen Brüderländern1 und öffnete sich erst Mitte der 1990er Jahre gegenüber dem Westen. Die wirtschaftliche Öffnung des Landes im letzten Jahrzehnt hat neben den sozialen Auswir- kungen auch gravierende auf das laotische Mediensystem. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwick- lung haben sich die Medien technisch weiterentwickelt, private Medien sind entstanden und das Internet eröffnet neue Möglichkeiten einer Anbindung an das Ausland (Duangsavanh 2002: 116). Bisher liegen in der Forschung vor allem Studien von Mediensystemen konsolidierender Demo- kratien bzw. sich in der Transformation befindlichen Systemen vor (Hafez 2005: 146), so dass die Beobachtung des sich verändernden laotischen Mediensystems vor dem Hintergrund der wirt- schaftlichen Öffnung eines noch autoritären Regimes wissenschaftlich relevant ist. Der Artikel gibt einen Überblick über die Massenmedien2 in Laos und ihre Entwicklung in den letzten Jahren. Dabei wird die nicht sehr umfangreiche Quellenlage zu laotischen Medien ergänzt durch die Beobachtungen der Printmedien vor Ort während regelmäßiger Aufenthalte zwischen 1997 und 2007 sowie die kontinuierliche Beobachtung via Internet der englischsprachigen Presse in Laos. Zusätzlich fließen Beobachtungen mit ein, die aus Einblicken in den Arbeitsalltag laotischer Journalisten, ihre Arbeitsbedingungen, die Nachrichtenentstehung und -auswahl3 gewonnen wurden. Einschätzungen von laotischen und ausländischen Medienexperten4, laotischen Journalisten, Studenten, Lehrenden und im Land lebenden Ausländern wurden anhand von unstrukturierten Interviews gewonnen, die

1 Die Entwicklungshilfe war bis Ende der 1980er Jahre vietnamesisch, sowjetisch und ostdeutsch geprägt. 2 Dazu zählen in diesem Aufsatz die publizistisch relevanten wie Printmedien, Fernsehen, Radio und Internet. 3 Diese Einblicke waren durch eine vierwöchige Hospitation in der Vientiane Times im Jahr 2000 möglich. 4 Hier gilt es immer zu bedenken, dass Verantwortliche in höheren Positionen auf brisante Fragen oftmals mit offiziellen floskelhaften Statements antworten.

205 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem zwischen 2000 und 2007 geführt wurden. Als exemplarische Beispiele dienen verschiedene Ausgaben der englischsprachigen Zeitung Vientiane Times und der Zeitschriften Sayo, Update, Target und Mahason,der Jahre 2004 bis 2007 sowie die ersten laotischen Blogs5 im Internet. Diese Daten werden im Hinblick auf eine politische Transformation eingeordnet und zu einer vorerst deskriptiven Bestandaufnahme der derzeitigen Situation der Massenmedien in Laos verdichtet. Am Ende folgt ein Ausblick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft und weitere interessante Forschungsgebiete. In sensiblen Bereichen wie Politik, Militär und Medien existieren aufgrund staatlicher Restriktionen kaum empirische und theoretische Forschungsdaten. Die Medienforschung gehört zu den empfindlichen Themen, für die kaum eine Forschungsgenehmigung erteilt wird, da Medien und Politik in Laos untrennbar verbunden sind.6 Aufgrund der sprachlichen Verwandtschaft zum Thai7 nutzen viele Laoten häufig thailändische Medien, vor allem das Fernsehen8. Aus diesem Grund werden bei der Beschreibung der laotischen Medien auch die Rolle des thailändischen Fernsehens sowie einige beispielhafte „mediale Unstimmigkeiten“ 9 zwischen den beiden Ländern erwähnt, die auf politischer Ebene ausgetragen wurden. Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in das wirtschaftliche und politische System von Laos nach 1975 10 gegeben werden, um die Entwicklungen des laotischen Mediensystems besser einordnen zu können.

2 Allgemeine Daten zu Laos Laos gehört zu einem der letzten sozialistischen Staaten Südostasiens. Nach dem Kollaps des Ost- blocks 1989 schlossen sich die verbleibenden kommunistischen Staaten China, Vietnam und Laos noch enger zusammen. Gemeinsames Charakteristikum aller drei Staaten ist die wirtschaftliche Öffnung unter gleich bleibend restriktiver politischer Führung. Im Gegensatz zu China und Viet- nam besitzt Laos jedoch keine gebildete Elite,11 die eine politische Öffnung anstoßen könnte wie etwa 1989 in China (Evans 1995: 3). Laos ist von Bergketten mit Höhen bis zu 2.000 Metern durchzogen. Hauptlebensader ist der , der auf ca. 1.500 Kilometern die Grenze zu Thailand darstellt. An seinen Ufern in den wenigen fruchtba- ren Ebenen des Landes befinden sich neben der Hauptstadt Vientiane die drei größten Städte Savannak- het und Pakse im Süden sowie Luang Prabang im Norden. Die 5,6 Mio. Einwohner12 leben zum großen Teil auf dem Land. Die Hauptstadt Vientiane zählt ungefähr 250.000 Einwohner, rechnet man die Prä- fektur dazu sind es ungefähr doppelt so viele. Trotz der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten

5 An dieser Stelle vielen Dank an Khamta Khamphavong für seinen Hinweis zu den laotischen Blogs. 6 Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass seit Bestehen der englischsprachigen Zeitung Vientiane Times und der französischsprachigen Le Renovateur immer wieder ausländische Experten in beratender Funktion tätig sind. Während dieser Tätigkeit ist ein guter Einblick in die staatlichen Zensurmaßnahmen möglich. 7 In einer Befragung der Einwohner Vientianes gaben 91% an, Thai zu verstehen, vgl. Vientiane Social Survey, 1997/1998, 57. 8 94% gaben an, in der Woche vor der Befragung thailändisches Fernsehen genutzt zu haben, vgl. Vientiane Social Survey, 1997/1998, 66. 9 Dieser Ausdruck eignet sich m.E. am besten für die immer wiederkehrenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Laos und Thailand, die entweder durch Medien ausgelöst oder über diese diskutiert werden. 10 Seit dieser Zeit ist Laos offiziell unter der Führung der Laotischen Revolutionären Volkspartei (LRVP), die als einzige Partei zugelassen ist. 11 Für eine ausführliche Darstellung der politischen Opposition in Laos siehe Grabowsky, 2007. 12 http://www.nsc.gov.la/PopulationCensus2005.htm, 16.03.2007.

206 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

20 Jahre lebt der Großteil der ländlichen Bevölkerung von Subsistenzwirtschaft. Die Landwirtschaft trägt zu über 50% zum Bruttoinlandsprodukt bei (vgl. Weggel 2005: 302). Eine öffentliche Infrastruktur ist in Laos nur ansatzweise vorhanden, die medizinische Versorgung ist im Ausbau, es fehlen Schulen und ausgebildete Lehrkräfte. Vor allem die Infrastruktur im Transport- und Kommunikationsbereich ist unzureichend. 2006 gab es im Land 91.289 Festnetzanschlüsse und 777.236 Mobilfunknutzer.13

2.1 Das Wirtschaftssystem Im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung Vietnams 1986 öffnete sich auch Laos unter dem Pro- gramm New Economic Mechanism (NEM, auf Laotisch: Chintanakan mai) von einer zentral ge- steuerten Plan- in Richtung freie Marktwirtschaft. Der Privatsektor übernahm eine aktive gesell- schaftliche Rolle. In den Städten bildete sich sichtbar eine kaufkräftige Mittelschicht heraus, die aber nicht unbedingt an politischen Entscheidungen beteiligt ist. Parallel zum Wirtschaftswachs- tum expandierten auch die Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen.14 Die Medien profitieren nicht nur vom wirtschaftlichen Wachstum, sie gestalten dieses auch maßgeblich mit. Sieht man von der asiatischen Wirtschaftskrise 1997 ab, hatte Laos in den letzten zehn Jahren ein stetiges jährliches Wachstum von ca. 6%.15 Vor allem neu erschlossene Branchen wie Bergbau, Wasserkraft und Tourismus tragen zu einer positiven Zukunftsprognose bei (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2006: 16). Diese Zahlen sind jedoch zu relativieren, wenn man bedenkt, dass Laos immer noch stark von ausländischen Entwicklungszahlungen abhängig ist, vor allem im Bereich infrastruktureller Maßnahmen.16 Die Regierung versucht deshalb verstärkt ausländi- sche Investoren anzuwerben (vgl. Bertelsmann Transformation Index 2006: 2). Auf dem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen im Jahr 2000 wurde die Millenniumserklärung verabschie- det. Diese hat die weltweite Bekämpfung der Armut, die Verbesserung der Lebensbedingungen und die nachhaltige Entwicklung zum Ziel. Die Vereinbarungen sind in acht Einzelziele mit mehreren Indikatoren aufgeteilt, zusammengefasst als „Millenium Development Goals (MDGs)“.17 Im Zuge dieser Erklärung werden auch in Laos nationale und internationale Partner mobilisiert, um diese Ziele zu erreichen. Anhand eines nationalen sozioökonomischen Entwicklungsplanes soll das Langzeitziel18 umgesetzt werden, Laos bis 2020 aus der extremen Armut geführt zu haben (Millennium Development Goals Progress Report Lao PDR: 2f.). Auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fokussiert ihre Bemühungen im Rahmen der MDGs auf die Unterstützung im Bereich wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der ärmeren ländlichen Bergregionen im Norden des Landes.19

13 Angabe für den Zeitraum März 2006, „More people than ever using mobiles in Laos”. In: KPL News, 16.06.2006. 14 http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007. 15 http://www.undplao.org/about/aboutlao.php, 21.02.2007. 16 http://www.undplao.org/about/aboutlao.php, 20.03.2007. 17 http://www.bmz.de/de/zahlen/millenniumsentwicklungsziele/index.html, 20.03.2007. 18 Für eine genaue Beschreibung der einzelnen Ziele und der jeweiligen Indikatoren in Laos siehe: http://www.undplao.org/mdgs/index.php. 19 http://www.gtz.de/de/weltweit/asien-pazifik/610.htm, 02.03.2007; http://www.ded.de/cipp/ded/custom/pub/- content,lang,1/oid,280/ticket,g_u_e_s_t/~/Laos.html, 02.03.2007.

207 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

2.2 Das politische System Nach einer Phase lang andauernder Auseinandersetzungen mit Thailand und Myanmar, der Koloni- sation durch Frankreich und einem Bürgerkrieg in den 1960er-1970er Jahren übernahm die Laoti- sche Revolutionäre Volkspartei (LRVP) im Dezember 1975 die alleinige Führungsrolle des Landes. Angehörige oppositioneller Gruppen – wozu auch die Königsfamilie mit ihren Anhängern gehörte – kamen 1975 in Umerziehungslager oder flohen ins Ausland, die meisten von ihnen nach Australien, Frankreich, Kanada und in die USA. 1985 hatte fast 90% der intellektuellen Elite das Land verlas- sen (vgl. Stuart-Fox 1996: 177). Die Flucht vor allem gebildeter Teile der Bevölkerung wirkt sich bis heute auf die Kapazität ausgebildeter Arbeitnehmer im Land aus (vgl. Askew 2007: 159). Die LRVP regiert in Form eines 11-köpfigen Politbüros das Land. Darunter steht ein 55-köpfiges Zentralkomitee. Die Nationalversammlung ist inzwischen auf 115 Sitze gewachsen.20 Die Mit- gliedschaft in der Partei ist Voraussetzung, um leitende Positionen, auch innerhalb der Medienin- stitutionen, zu bekleiden. Laos ist ein „kommunistisch-autoritärer Staat“ (Merkel 2003: 98) und steht damit in der Liste asiatischer Staaten neben China und Burma (vgl. ebenda: 87). Laos bezeichnet sich offiziell als demokratische Volksrepublik. Universelle kulturunabhängige Merkmale rechtsstaatlicher Demokratien wie allgemeine, gleiche und freie Wahlen, politische Partizipationsrechte wie Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, bürgerliche Rechte, Gewal- tenteilung, die Absicherung der effektiven Regierungsgewalt sowie zivilgesellschaftliche Struktu- ren (vgl. Merkel 2005: 25ff) existieren in Laos de facto nicht. Die Rechtsstaatlichkeit ist teilweise aufgrund fehlender Gesetzgebung, teilweise aufgrund fehlender funktionierender Institutionen und fehlendem Vertrauen der Bürger in ihr Rechtssystem erheblich beeinträchtigt. Die Bürger- rechte werden willkürlich umgesetzt, Gerichtsverhandlungen finden meist ohne ordentliche An- klageschrift statt. Reformen im Wirtschaftssystem werden langsam oder gar nicht umgesetzt, die staatlichen Institutionen arbeiten zum großen Teil nicht transparent und unzuverlässig (vgl. Ber- telsmann Transformation Index 2006). Gesellschaftliche Strukturen innerhalb der laotischen Kul- tur sind seit Jahrhunderten durch stark hierarchisch klientelistische Patronage-Strukturen geprägt, die großen Einfluss auf politische und auch wirtschaftliche Strukturen haben (vgl. Rehbein 2004: 200f.). Korruption stellt in Laos ein gravierendes Problem dar. Laos wurde 2005 von Transparen- cy International 21 in den Korruptionsindex aufgenommen und mit 2.6 Punkten auf Rang 114 von 163 Ländern eingestuft.22 Von 2005 bis 2006 ist eine deutliche Verschlechterung in der Wahr- nehmung von Korruption zu erkennen. Die wirtschaftliche Öffnung des Landes hat begonnen, ei- ne politische Transformation ist vorerst nicht in Sicht. Der Bertelsmann Trendindikator23 beschei-

20 http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Laos/Innenpolitik.html, 20.02.2007. 21 http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.813.0.html?&no_cache=1&sword_list=laos, 20.02.2007. 22 Dabei steht 0 für „hohe wahrgenommene Korruption“ und 10 für „frei von Korruption“. Dieser Index gibt jedoch nur eine Tendenz an und differenziert nicht zwischen verschiedenen Formen der Korruption. Die Da- ten für Laos basieren auf vier Untersuchungen, die Abweichungen liegen zwischen 2.0 und 3.1. http://www.transparency.de/uploads/media/06-11-03_CPI_2006_press_pack_deutsch.pdf, 20.07.2007. 23 http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-473F0D9E/bst/BTI%202006_ Ranking_D.pdf, 20.02.2007.

208 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem nigt Laos im Hinblick auf demokratische Entwicklung und wirtschaftliche Transformation keine nennenswerten Veränderungen zwischen den Jahren 2001 bis 2005. Auf dem Weg zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie bestehen noch gravierende Hindernisse. Der jährlich von der amerikanischen Menschenrechtsorganisation Freedom House 24 herausgegebene Report über „The World’s most Repressive Regimes“ zählt Laos zu den neun Ländern in der Kategorie, die nach den repressivsten acht Ländern folgt. Kriterien für die Einstufung sind die Einhaltung politi- scher und bürgerlicher Freiheiten. Evans bezeichnet Laos als „postsozialistisch“ (Evans 1995) mit starken wirtschaftlichen und sozi- alen Veränderungen, die auch Auswirkungen aufs Mediensystem nach sich ziehen. Er betont im Vorwort der Neuauflage seines Buches „Lao peasants under Socialism and Post-Socialism”: “…it is the regimes as a political form which have survived, not socialism” (Evans 1995: 1). Der Sozia- lismus war in Laos nie tief verwurzelt. Die sozialistische Rhetorik ist zum großen Teil aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Das Wort Sozialismus kommt in der 1991 verabschiedeten Verfassung nicht vor, seit 1992 ersetzt der Stupa That Luang als offizielles Nationalheiligtum Hammer und Sichel im Wappen und auf Geldnoten. Nur an Parteitagen oder anderen Festivitäten wie dem Nationalfeiertag, dem Jahrestag des Militärs und der Parteigründung sind Flaggen mit Hammer und Sichel im öffentlichen Stadtbild zu sehen (vgl. Evans 1995: 3). An die Stelle sozialistischer Ideologie ist ein starkes Nationalgefühl getreten, das die 49 ethnischen Gruppen25 ausschließt, da sie nicht zur Gruppe der in Gesellschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft dominierenden Tieflandlaoten gehören (vgl. Rehbein 2006: 235). Die in den 1950er Jahren von der laotischen Regierung propagierte Dreiteilung der Bevölkerung in drei Hauptgruppen nach ihren jewei- ligen Siedlungsgebieten ist inzwischen offiziell abgeschafft. Trotzdem beziehen sich die Presse und auch Akademiker weiterhin auf die drei Gruppen: Lao Sung (Hochlandlaoten), Lao Theung (Laoten der Berghänge) und Lao Lum (Tieflandlaoten) (vgl. Pholsena 2006: 154 ff). Anhänger der beiden erst genannten Gruppen haben zum Teil eigene Sprachen, Kulturen und auch einen anderen Glauben als den vorherrschenden Buddhismus, dem ungefähr 60% aller Laoten anhängen (Bertelsmann Trans- formation Index 2006: 4). Der Buddhismus, der in Laos trotz der sozialistischen Führung nie ganz verschwunden war, er- fährt im Zuge der Nationsbildung eine Wiederbelebung durch die Partei, die ihn zu ihrer Legiti- mierung nutzt. Die Parteiführung zelebriert buddhistische Rituale in der Öffentlichkeit26, und ver- sucht mittels der Religion ein Gemeinschaftsgefühl und eine Verbundenheit zu erzeugen, um ein geschlossenes Bild nach außen zu präsentieren und ein einheitliches laotisches Image aufzubauen (vgl. Tappe 2007). Letztendlich auch, um ihre Herrschaft gegenüber äußeren und inneren Bedro- hungen abzusichern. Durch die fehlende Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die geographische

24 Die Einordnung durch Freedom House ist als relative Tendenz zu verstehen. So wird Laos in der Kategorie „nicht frei“ genannt, in der auch Nordkorea zu finden ist. Zwischen beiden Staaten bestehen jedoch erhebli- che Unterschiede, was die bürgerlichen Freiheiten angeht. http://www.freedomhouse.org/uploads/WoW/- 2006/Laos2006.pdf, 21.02.2007. 25 http://www.nsc.gov.la/PopulationCensus2005.htm, 20.02.2007. 26 Der 1992 verstorbene Präsidenten Kaysone Phomvihane bekam ein offizielles buddhistisches Staatsbegräbnis.

209 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Beschaffenheit des Landes, die ethnische und kulturell heterogene Zusammensetzung der Bevöl- kerung und den Druck von außen wird dieses Vorhaben erheblich erschwert.27 Unter anderem hängt die Schwierigkeit der Nationsbildung auch damit zusammen, dass es kein klares Konzept davon gibt, was „Laotisch“ ist und Ausbildungskonzepte in der Vergangenheit oft ohne Reflexion aus China und Vietnam übernommen wurden (vgl. Schönweger 2006: 13). Die National University of Laos (NUOL)28 in Vientiane wurde 1996 gegründet. Die Dependen- cen in Luang Prabang (Prinz Souphanouvong-Universität) und Champassak sind inzwischen ei- genständig. Die ersten Masterstudiengänge sind im Entstehen. Höhere Bildungsabschlüsse konnten bisher nur im Ausland erworben werden. Das Niveau der universitären Ausbildung liegt deutlich unter dem der Nachbarländer und ist mit westlichen Standards nicht zu vergleichen. 1997 trat Laos der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) bei, einem Sicherheits- und Wirtschaftsbündnis der Region. Unter dem Motto von „landlocked“ zu „land-linked“ vernetzt sich Laos aktiv innerhalb der Region und erfährt im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der gesamten Region eine aufwertende Rolle. Laos war Gastgeber für den 10. ASEAN-Gipfel 2004, das ASEAN-Ministertreffen, das ASEAN-Regionalforum und die ASEAN-Inter-Parlaments- Organisation (vgl. UNDP 2006: VI). „An die Stelle von übermächtiger kriegerischer Bedrohung ist eine unterstützende, kooperative Politik getreten“ (Rehbein 2006: 227). Zu beobachten ist pa- rallel auch eine starke regionale Vernetzung von Journalisten innerhalb der ASEAN-Staaten (vgl. Thammavongsa 2006). Medien und die Diskussion über ihre Funktion und Handlungsspielräume sowie die Ausbildung von Journalisten nehmen eine zunehmend bedeutendere Rolle innerhalb der ASEAN ein (vgl. Altendorfer 1999: 96).

3 Das Mediensystem in Laos Die Printmedien und der Rundfunk in Laos sind zentral durch das Ministerium für Information und Kultur verwaltet, das die notwendigen Zulassungslizenzen vergibt (vgl. Altendorfer 1999: 98). Die Mitarbeiter der Medien sind Angestellte der Regierung und beziehen ihr Gehalt vom Staat.29 Art. 44 der 2003 geänderten laotischen Verfassung garantiert Meinungs- und Pressefreiheit: „Lao citizens have the right and freedom of speech, press and assembly; and have the right to set up as- sociations and to stage demonstrations which are not contrary to the laws. “ (Amended Constitu- tion of the ’s Democratic Republic 2003: 8). De facto werden diese Rechte jedoch nicht immer umgesetzt, es wurde in Laos zum Beispiel noch nie eine offizielle Demonstration ge- nehmigt (vgl. Mors 2000: 344f). Um den Anforderungen einer wirtschaftlichen Öffnung gerecht zu werden, erließ das Politbüro 1993 Richtlinien für die Presse: „Resolution of the Politburo of the Lao People's Revolutionary Party (LPRP) to Increase Party Leadership in and State Control of the Mass Media in the New

27 Für eine detaillierte Beschreibung aktueller Reformen in Laos siehe Stuart-Fox, Martin (2005): Politics and Reform in the Lao People’s Democratic Republic. Working Paper No. 126. Murdoch University. Perth. http://wwwarc.murdoch.edu.au/wp/wp126.pdf, 16.01.2007. 28 Im Internet zu finden unter: www.nuol.edu.la. 29 Das übliche Gehalt eines Beamten liegt je nach Alter und Position zwischen 30-50 US$ monatlich.

210 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Era.” 30 Wie der Titel schon andeutet, betonen diese Richtlinien die staatliche Kontrolle über die Massenmedien und deren Einsatz als offizielle Verlautbarungsorgane der Parteipolitik. In ihnen ist auch festgelegt, dass die Massenmedien sich um eine bessere Qualität bemühen sollen, um den Anforderungen der Nutzer nach qualitativ und inhaltlich ansprechenden Programmen gerecht zu werden. Außerdem beinhalten sie die Kürzung staatlicher Zuwendungen für die Medien und die Aufforderung an diese, neue Einnahmequellen zu generieren.31 1996 folgte das Dekret Nr. 96 des Politbüros, das genauere Richtlinien festlegte, wie die Mas- senmedien zu organisieren sind. Das Strafmaß für kritische Berichterstattung kann bis zu 15 Jahre Gefängnis betragen (vgl. Klein 2004: 4). Die volle und letztendliche Verantwortung für die Ein- haltung der Richtlinien wurde den verantwortlichen Herausgebern und Managern der einzelnen Medien übertragen.32 Der Entwurf eines Pressegesetzes befindet sich seit 2002 im Abstimmungsprozess in der Natio- nalversammlung. Wann das Pressegesetz endgültig verabschiedet wird, ist nicht vorhersehbar.33 Mit dem neuen Gesetz verknüpft sind Hoffnungen, dass die Recherchearbeit der Journalisten er- leichtert wird und sie ihre Arbeit mit mehr Selbstbewusstsein ausführen, weil sie gesetzlich vor willkürlichen Abmahnungen geschützt werden.34 Bisher greift der „Lao Journalists Code of Ethics“, den die Lao Journalists Association – der alle Medienbetriebe angehören – 1998 formuliert hat (vgl. Morgan/Loo 2000: 304). Darin wird die Rolle der Medien als „scharfes Instrument“ und „Vehikel der Partei“ mit der Aufgabe der „Ver- bindung zum Volk“ festgelegt (ebenda: 305). „The stated role of the is to re- flect the policies and plans of the Lao People’s Revolutionary Party (LPRP) and government in all areas and activities, providing a link between the Party, the State and the masses.” 35 Medien haben in Laos laut offiziellen Angaben die Aufgabe die Parteiführung bei der Entwicklung des Landes zu unterstützen, die Bevölkerung über aktuelle Parteientscheidungen zu informieren und „gegenseitige Freundschaft“ und „Verständnis innerhalb der asiatischen Länder zu fördern und zu erhalten“ 36. Dabei sollen „Verzerrungen und Fehlinterpretationen“ (Razmountry 2004) von Ereignissen vermieden werden, was u.a. das Verbot einer kritischen Berichterstattung über be- freundete Staaten wie China und Vietnam einschließt. Vergleicht man diese Zuschreibung der Medienfunktionen in Laos mit den klassischen normati- ven Demokratiefunktionen Informations- Artikulations-, Kritik- und Kontrollfunktion sowie In-

30 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-914.html, 22.01.2007. 31 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-966.html, 20.02.2007. 32 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-966.html, 20.02.2007. 33 Interviews mit Viraphone Singhavara, Leiter des Bereichs der Regulatorischen Abteilung in der Abteilung Massenmedien des Ministeriums für Information und Kultur und Som Dedvongsa, Vizedirektor der Abteilung Kommunikation und Massenmedien des Ministeriums für Information und Kultur, 02.01.2007, Vientiane. 34 Interviews mit (a) Somkiao Kingsada, Verantwortlicher der Abteilung Fernsehen und Radio der Massenor- ganisation Lao Youth Union, 09.12.2006, Vientiane; (b) Savankhone Razmountry (s.o.). 35 http://www.culturalprofiles.net/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-53.html, 20.01.2007. 36 Zitat Savankhone Razmountry, Chefherausgeber der Vientiane Times im Interview, 14.12.2006.

211 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem tegrations- und Sozialisationsfunktion, die den Medien im Allgemeinen zugesprochen werden (vgl. Weischenberg 2002: 95) ergibt sich folgendes Bild. Die Informationsfunktion laotischer Medien ist durch staatliche Vorgaben und durch die Selbst- zensur der Journalisten stark eingeschränkt. Ein wichtiges Instrument ist hierbei das Nichterwäh- nen von Ereignissen. Die Autorin und mehrere Journalisten der Vientiane Times arbeiteten noch, als am Abend des 30. März 2000 ein Granatanschlag auf ein touristisches Restaurant in der Innen- stadt stattfand. Das Restaurant liegt in unmittelbarer Nähe der Redaktion, so dass die noch anwe- senden Journalisten sofort vor Ort waren und sich mit Augenzeugen und Verletzten unterhielten. In der nächsten Ausgabe wurde das Ereignis nicht erwähnt. Es gab weder einen Bericht über den Vorfall, noch über eventuelle polizeiliche Ermittlungen. Durch ein australisches BBC-Team, das zufällig vor Ort war und Touristen, die Mails nach Hause schickten, konnte der Anschlag jedoch nicht geheim gehalten werden und die internationale Presse berichtete darüber. Nach einer Reihe weiterer kleiner Anschläge in den Jahren 2000-2001 reagierte die laotische Presse auf internatio- nale Medienberichte, es handele sich um Konkurrenzstreitigkeiten unter Geschäftsleuten bzw. um Kinder, die mit Knallkörpern gespielt hätten. Ähnliche kleinere Vorfälle zuvor drangen aufgrund fehlender Medienberichterstattung nie an die ausländische Öffentlichkeit. 1999 gab es eine pro-demokratische Demonstration mit der Forderung nach einer politischen Libe- ralisierung. Die Anführer wurden aufgrund „regierungskritischer Aktivitäten“ verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren verurteilt.37 Dieses Ereignis wurde in den nationalen Medien nicht erwähnt. Über den weiteren Verbleib der fünf namentlich bekannten Oppositionellen ist nichts be- kannt. Neben diesen zwei Beispielen gab es weitere Vorfälle, die hier nicht erwähnt werden. An- hand der Beispiele soll verdeutlicht werden, wie die Zensur auch mit Ereignissen dieser Größenord- nung umgeht. Die Bevölkerung wird nicht von den eigenen Medien informiert, sondern von den ausländischen, im ersten Fall vor allem von den thailändischen Medien. Durch Verschweigen sol- cher Ereignisse tragen die Medien in Laos nicht dazu bei, ihre Glaubwürdigkeit zu steigern. Die Artikulationsfunktion der Medien ist im „Code of Ethics“ als eine Aufgabe der Medien festge- legt (vgl. Morgan/Loo 2000: 304). Die laotischen Medien tragen aber außer Propaganda für die Par- teiführung (vgl. Billig 2007: 20) nicht zu einem öffentlichen Meinungs- und Willensbildungspro- zess bei. Die Bürger haben kaum Möglichkeiten der politischen Partizipation. Die Mobilisierung der öffentlichen Meinung erfolgt weiterhin staatlich gelenkt mit dem Ziel die Richtlinien der Partei ein- heitlich umzusetzen. Die Medien sind durch staatlich gesteuerte Vorgaben gezwungen, dem Volk ein einheitliches Bild des Landes und der politischen Führung zu propagieren, obwohl diese teilwei- se selber gespalten ist (vgl. Rehbein 2006: 233). Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe hin- ter den Kulissen der politischen Führung gelangen nicht an die Öffentlichkeit (vgl. Siebert 2002: 109).

37 http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/f0816c71a623cf52c1256 aa00042d3cd?OpenDocument, 20.02.2007.

212 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Rehbein spricht von ambivalenter Propaganda. Die Medien verbreiten ein Bewusstsein der Armut, das in der Bevölkerung den Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung weckt. Dieser löst wieder- um eine Art kulturelle Globalisierung aus, die die Furcht vor dem Verlust traditioneller Werte schürt. Eine Orientierungslosigkeit entsteht, in der sich Menschen von nationalistischen Ideen beein- flussen lassen (vgl. Rehbein 2006: 233). Laotische Medien können und wollen ihre Kritik- und Kontrollfunktion nicht wahrnehmen. In Laos existiert kein zentrales Zensursystem (Loo 2001: 25), der jeweilige Herausgeber ist verantwortlich für den Inhalt und fungiert als Zensor im eigenen Medienbetrieb. Hohe berufliche Positionen – auch innerhalb der Medien – sind mit einer Parteimitgliedschaft verknüpft. Auf diese Weise werden Richtlinien der Parteiführung direkt in den Medienbetrieben durch Parteimitglieder umgesetzt und ambitionierte Journalisten, die das nötige journalistische Handwerkszeug für investigative Recher- chen besitzen, haben keine Chance ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.38 Werden kritische Berichte veröffentlicht so ist davon auszugehen, dass dies im Sinne des Herausgebers war – zumindest bei der englischsprachigen Presse, auf die sich die Einzelbeispiele beziehen. Ein wöchentliches Treffen im Ministerium für Information und Kultur bei dem schon veröffentlichte Artikel besprochen wer- den ist für die Journalisten Pflicht (vgl. Spallek 2005). Im Vorfeld von wichtigen politischen Ereig- nissen wie internationale Staatsbesuche, Partei-, Geburts- oder Todestage hochrangiger Politiker wird eine entsprechende Berichterstattung angeordnet. Anrufe entsprechender Ministerien bei nicht linientreuer Berichterstattung gehören zum journalistischen Alltag. Die Medien stellen somit keine Kontrollinstanz der politischen Führung dar, sondern werden von dieser kontrolliert. Die Möglichkeiten, die sich trotz der restriktiven Rahmenbedingungen bieten, werden nicht im- mer genutzt. Schon 2000 stand den Journalisten der Vientiane Times im Newsroom die Nutzung ausländischer Medien wie u.a. BBC und CNN zur Informationsgewinnung zur Verfügung. Das In- teresse der Journalisten an der Außenwelt war jedoch gering. Auch das Internet wurde nur von wenigen als Instrument zur Informationsbeschaffung genutzt. Die schlechte Bezahlung und die dadurch notwendige Suche nach alternativen Zusatzeinkünften zur Überlebenssicherung der Fa- milie beeinträchtigt die journalistische Arbeitsmotivation erheblich (vgl. Altendorfer 1999: 98f; Khammalovong o. J.: 8). Hinzu kommt die ungenügende journalistische Ausbildung in Laos. Bisher gibt es keine umfassende technische und theoretische Ausbildung für Journalisten. Die meisten lernen noch immer durch die Methode „Training on the job“: „Media does not know its own role and functions because they fear of everything they say. This may be caused by the lack of media development. We do not have media school and all journalists learn journalism from their senior colleagues” (vgl. Khammalavong o. J.: 8). Das Fehlen einer Reflektion über die Aufgaben

38 Ein Journalist der Vientiane Times führte 2000 eine umfangreiche Recherche über Drogenmissbrauch Ju- gendlicher in Vientiane und die damit verbundene nächtliche Prostitution Abhängiger am Busbahnhof durch. Er beobachtete die Vorgänge einige Nächte und befragte die beteiligten Jugendlichen. Auch die Hin- tergründe des Drogenhandels in Laos wurden beschrieben, der Artikel enthielt eine UNDP (United Nations Development Programme)-Karte der Opiumanbaugebiete in Laos und war als journalistisch hochwertig zu bezeichnen. Der Artikel wurde nicht gedruckt mit der Begründung, dass Probleme nur thematisiert werden, wenn sich dafür gleichzeitig Lösungsansätze formulieren lassen.

213 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem des Journalismus ist im journalistischen Alltag deutlich zu spüren. Vor allem den jüngeren Jour- nalisten fehlt der Anstoß, kritisch über die eigene Rolle zu reflektieren. Seit 2005 gibt es einen fünfjährigen Bachelorstudiengang Journalism an der National University of Laos (NUOL). Dieser beinhaltet journalistisches und technisches Training. Die ersten Absol- venten werden 2010 abschließen, dann wird sich zeigen, ob sie die Erwartungen im Hinblick auf eine gravierende Entwicklung des Journalismus in Laos erfüllen.39 Die Parteiführung erkennt die Entwicklung der Medien und die Ausbildung von Journalisten als wichtige Aufgabe an (vgl. Duangsavanh 2002: 116). Im sozioökonomischen Fünfjahresplan 2005- 2010 sind die Ausbildung der Journalisten und die Verbesserung der Massenmedien ausdrücklich erwähnt.40 Als Auswirkungen des Wirtschaftswachstums erhofft sich die Regierung eine technische und inhaltliche Professionalisierung der Medien (Louanedouangcha o. J.: Expectation and New Ho- pe in the Media Growth). In der Vientiane Times wurde 2001 Kritik an laotischen Journalisten veröffentlicht: “Journalists in Laos are criticised by not only the public but also the government for their laziness and unsharpness” (vgl. “Fear of new journalism”. In: Vientiane Times vom 03.- 05.07.2001. 1, 12). Ein gutes Beispiel für die im Artikel zitierte Faulheit ist der nicht vorhandene Bericht über die Bombenanschläge von Bangkok in der Neujahrsnacht 2007. Sie werden in der ers- ten Ausgabe der Vientiane Times des Jahres 2007 vom 2. Januar selbst zwei Tage nach den Ereig- nissen nicht erwähnt. Die Zeitung war schon vor Neujahr fertig gestellt, damit die Journalisten am Neujahrstag, der inzwischen auch im buddhistischen Laos gefeiert wird, nicht arbeiten mussten.41 Die Sozialisations- und Integrationsfunktion werden nur für einen Teil der Bevölkerung wahrge- nommen. Die Dominanz der Tieflandlaoten in den gesellschaftlich wichtigen Bereichen führt da- zu, dass die Medien Werte, Normen und Vorstellungen der Tieflandlaoten kommunizieren. Berg- völker und ihre Belange bekommen so gut wie keine Stimme in den Medien. Seit einiger Zeit be- kommen Angehörige der Hmong42, verstärkt die Aufmerksamkeit ausländischer Medien. 2003 wurde der belgische Journalist Thierry Falise, sein französischer Kameramann Vincent Reynaud und Naw Karl Mua, ihr amerikanischer Dolmetscher laotischer Herkunft verhaftet, nachdem sie einen Film über Angehörige der Hmong gedreht hatten. Sie wurden zu einer 15-jährigen Haftstra- fe verurteilt, jedoch nach kurzer Zeit freigelassen.43 Wenig später gelang es Ruhi Hamed von der BBC, unbemerkt von den laotischen Behörden einen Film über die Hmong zu drehen.44

39 http://www.culturalprofiles.org.uk/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-970.html, 28.02.2007. 40 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-914.html, 28.02.2007. 41 Interview mit einer australischen Journalistin, die als Beraterin bei der Vientiane Times arbeitet, 02.01.2007, Vientiane. 42 Angehörige der Hmong kämpften im Vietnamkrieg, der als „secret war“ auch auf laotischem Boden geführt wurde an der Seite der USA. Nach der Machtergreifung der Kommunisten 1975 floh ein Großteil von ihnen in die USA. Einige versteckten sich im Dschungel. In letzter Zeit gibt es vermehrt Übergriffe laotischer Re- gierungssoldaten auf diese Gruppen. Für eine ausführliche Darstellung siehe: http://www.gfbv.de/- inhaltsDok.php?id=987&PHPSESSID=285446056f828ec9b01e0c361bd52940, 24.03.2007. 43 http://www.freemedia.at/cms/ipi/freedom_detail.html?country=/KW0001/KW0005/KW0121/&year=2003, 22.02.2007. 44 http://www.gfbv.de/report.php?id=16, 24.02.2007.

214 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Die Erziehungsfunktion der Medien ist wie in anderen politisch restriktiven Staaten auch in Laos sehr ausgeprägt. Am deutlichsten im Medium Radio, das die meisten Menschen erreicht, weil es in den abgelegenen Regionen des Landes empfangbar ist. Journalismus in Laos bewegt sich zwischen Zensur und Selbstzensur. Das in Trainings und Workshops erworbene Wissen und das journalistische Handwerkszeug sind im journalistischen Alltag durch die Rahmenbedingungen wie Zensur durch die Herausgeber und Medienverantwort- liche sowie durch Selbstzensur oft nicht umsetzbar (vgl. Siebert 2002: 108f.; Loo 2001: 29). Die internationale Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ordnet Laos in ihrem jährlichen „Bericht zur Situation der Pressefreiheit 2006“ 45 weltweit auf Rang 156 von 168 Staaten ein. In einem Brief an Präsident Choummaly Sayasone vom 23. Juni 2006 forderte ROG zu radika- len Reformen im Mediensektor auf, um eine unabhängige Presse zu etablieren und die Rechte der Journalisten zu stärken.46 Freedom House stuft die laotische Presse in ihrem jährlichen Report „Freedom of the Press“ 47 als „nicht frei“ ein. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Funktionen und der Einordnung des laotischen Mediensystems im Hinblick auf die Presse- und Meinungsfreiheit soll im folgenden Teil ein Überblick über die einzelnen laotischen Medien: Print, Radio, Fernsehen und Internet gegeben werden, mit deutlichem Fokus auf die Printmedien48 und dem Internet, da hier bereits Verände- rungen hin zu mehr Vielfalt zu sehen sind.

3.1 Die Presse in Laos Es gibt drei Tageszeitungen in laotischer Sprache: Pasaxon 49 (Das Volk), Vientiane Mai 50 (Neues Vientiane) und Pathet Lao 51 (Das Land Laos). Die größte Leserschaft hat die Vientiane Mai (48,1%), gefolgt von der Pasaxon (33,2%) und der Vientiane Times (5,3%). Der Rest entfällt auf andere (5,3 %) (vgl. Vientiane Social Survey Project 1997-1998: 63). Die englischsprachige Zei- tung Vientiane Times 52 existiert seit 1994. Bis 1996 erschien sie als wöchentliches Tabloid, danach zweimal die Woche jeweils dienstags und freitags und seit 2004 montags bis freitags.53 Seit Anfang 2007 erscheint eine Samstagsausgabe.54 Die französischsprachige Wochenzeitung Le Renovateur 55 existiert seit 1998. Im Vergleich zu den laotischen Zeitungen sind die Vientiane Times und Le Re- novateur deutlich progressiver. Die Hauptzielgruppe der englisch- und französischsprachigen Presse

45 http://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste-2006.html, 20.06.2007. 46 http://www.rsf.org./article.php3?id_article=18109, 21.02.2007. 47 http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=251&country=6997&year=2006. 21.02.2007. 48 Für eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Printmedien siehe http://www.culturalprofiles.net/- Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-968.html, 24.03.2007. 49 Im Internet zu finden unter: http://www.pasaxon.org.la. 50 Im Internet zu finden unter: http://www.vientianemai.net. 51 Bisher noch keine Internetpräsenz. 52 Die Internetseite der Papierausgabe ist www.vientianetimes.org.la und hat trotz gleichen Namens nichts mit der Seite www.vientianetimes.com zu tun. Letztere wird von einem Exillaoten in den USA betrieben und stellt seit 10 Jahren Nachrichten unterschiedlicher Medien über Laos ins Netz. 53 http://www.vientianetimes.org.la/About_us.htm, 21.02.2007. 54 „Announcement”. In: Vientiane Times, 18.12.2006. S. 2. 55 Im Internet zu finden unter: http://www.lerenovateur.org.la.

215 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem sind ausländische Experten und Touristen (vgl. Spallek 2005), da die Sprachkenntnisse vieler Lao- ten nicht ausreichen, um die ausländische Presse zu lesen. Die Analphabetenrate in Laos beträgt ca. 30%.56 Laos ist ein Land mit oraler Tradition, es exis- tiert keine ausgeprägte Lesekultur wie im benachbarten Vietnam. Damit zusammenhängend fehlt auch „Lesestoff“ (vgl. Timmann 2007). Die Auflagen der Tageszeitungen liegen in der Regel zwischen 2.000-10.000 Exemplaren (Morgan; Loo 2000: 313). Bedingt durch die schlechte Infra- struktur außerhalb der größeren Städte und die geographische Beschaffenheit des Landes ist der Vertrieb von Druckerzeugnissen äußerst beschwerlich. Von den knapp 6 Mio. Einwohnern haben nur etwa 30% Zugang zu Printmedien.57 Außerhalb Vientianes sind kaum Buchhandlungen und Verkaufsstellen für Zeitungen und Zeitschriften zu finden.58 In Luang Prabang, der zweitgrößten Stadt, ist es nicht möglich eine laotische Tageszeitung zu kaufen.59 Auf dem Campus der National University of Laos (NUOL) in Vientiane gibt es seit 2005 einen Kiosk, der aktuelle Zeitungen und Zeitschriften verkauft. Hier ist eine gewisse Lesetradition vorhanden. Studenten nutzen die Mög- lichkeit, in der Pause laotische Tageszeitungen in der Bibliothek der Universität zu lesen. Interes- sant wäre hier eine Nutzungsstudie laotischer Medien, um zu untersuchen, welche Inhalte gelesen werden. Es ist zu vermuten, dass Studenten ein gesteigertes Informationsbedürfnis besitzen. Die Vientiane Times ist seit November 2006 Mitglied im Asian News Network (ANN).60 Das Netzwerk unterstützt die Vernetzung Laos’ innerhalb der asiatischen Staatengemeinschaft. Mit dem Austausch von Nachrichten sind laotische Journalisten nicht mehr von westlichen Nachrich- tenagenturen abhängig. Fast in jeder Ausgabe der Vientiane Times im Dezember 2006 ist eine Anzeige des ANN abgedruckt. In dieser ist zu sehen, welche Zeitungen dem ANN angehören. Sie ist als Betonung der schon erwähnten medialen regionalen Integration zu sehen, neben der wirt- schaftlichen und politischen Integration. Damit verknüpft sind die Hoffnung einer Stärkung der Region und ein Bestreben nach Unabhängigkeit von den westlichen Ländern, zumindest was die Informationsbeschaffung angeht.61 Seit 2004 gibt das UNDP-Büro62 in Vientiane viermal jährlich ein Printmagazin auf Laotisch und Englisch heraus: Yuth Pakai, was übersetzt soviel wie „den Funken entzünden“ bedeutet. Die

56 http://hdr.undp.org/reports/global/2005/pdf/HDR05_HDI.pdf, 22.02.2007. 57 http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.02.2007. 58 „Where to buy Vientiane Times“. In: Vientiane Times, 02.01.2007. Bei der Auflistung aller ihre Verkaufs- stellen im Land kommt die Vientiane Times auf 13, davon eine in Luang Prabang. 59 Nur durch Zufall bekam ich in Luang Prabang eine drei Tage alte Ausgabe der Vientiane Mai, die in einem Laden als Verpackung genutzt wurde. 60 Asian News Network (ANN) ist ein Zusammenschluss englischsprachiger Zeitungen in Asien. Das Netzwerk wurde 1999 von Herausgebern englischsprachiger Zeitungen in Asien gegründet, die sich auf dem ersten asia- tisch-deutschen Herausgeberforum organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Manila trafen. Es soll die Berichterstattung über wichtige Ereignisse in Asien verbessern, Mitgliedern verlässliche Quellen liefern und professionellen Journalismus in der Region und die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten der 13 Länder fördern. Laut eigenen Angaben deckt das Netzwerk 14 Mio. Zirkulationen und eine Leserschaft von 50 Mio. ab. http://www.asianewsnet.net, 20.03.2007. 61 Interview mit Savankhone Razmountry, Herausgeber der Vientiane Times und der Le Renovateur, 14.12.2006, Vientiane. 62 United Nations Development Programme

216 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Vollversion ist auf Englisch und Laotisch auch im Internet zu finden.63 In diesem werden aktuelle Forschungsergebnisse von Laoten und Ausländern über Laos veröffentlicht. Das Magazin ver- steht sich als Forum, in dem es um die Entwicklung des Landes und den Austausch geht. Einige der Beiträge sind durchaus kritisch. In Heft 4 geht es um die Auswirkungen von Korruption in ausländischen Hilfsprojekten (vgl. Feuer 2005). Die Veröffentlichung einer solchen Zeitschrift lässt sich wohlmeinend als Zeichen einer Öffnung interpretieren. Von großem Interesse ist, wie sich die Leserschaft von Yuth Pakai zusammensetzt, wie viele Laoten das Angebot tatsächlich kennen und wahrnehmen, ob die angebotenen Inhalte von allgemeinem Interesse sind und ob sie auch von Lesern ohne akademischen Hintergrund verstanden werden. Das Zentralkomitee der Partei, staatliche Institutionen wie die Massenorganisationen Lao Wo- men’s Union und Lao Youth Union, die Lao Journalist Association, das Militär, der Fischerei- und Bauernverband und andere Organisationen geben knapp 60 wöchentlich, monatlich oder jähr- lich erscheinende Magazine und Mitgliederzeitschriften heraus. Davon ist der größte Teil in Staatsbesitz. Ob die Publikationen erscheinen hängt von der finanziellen Situation dieser Organe ab (vgl. Duangsavanh 2004: 115f). Aloun Mai (neuer Morgen) und Khosana (Propaganda), zwei der ersten vom Zentralkomitee der Partei herausgegebenen Magazine mit einer Auflage von je- weils ca. 2.000 Stück, erscheinen seit Mitte der 1980er Jahre. Ziel dieser Magazine ist die Verbreitung der Parteiideologie und die Beantwortung von sozialen Fragen, die im Zuge neuer Entwicklungen aufgeworfen werden. Seit 2004 propagiert ein weiteres staatliches Magazin Wat- tanatham (Kultur) laotische Kultur in Form von Artikeln über Kultur, traditionelle Festivitäten, Kunst und Handwerk. Das zweisprachig Laotisch-Englische Magazin soll die laotische Nations- bildung unterstützen und gleichzeitig nach außen ein einheitliches Bild laotischer Kultur und Ge- schlossenheit vermitteln.64 Seit einigen Jahren vergibt das Ministerium für Information und Kultur Lizenzen an private Un- ternehmen für die Herausgabe von Zeitschriften. Dadurch ist im Bereich der Printmedien seit An- fang des Jahrtausends ein neues Angebot entstanden und eine Segmentierung in einzelne Bereiche wie Musik-, Travel-, Business- und Lifestylemagazine zu beobachten. Zu einem der ersten privaten Magazine gehört das monatlich erscheinende private Business-Magazin Update.65 Es erscheint seit 2002 mit einer Auflagenhöhe von 6.000 Exemplaren zweisprachig auf Eng- lisch und Laotisch mit dem Zweck: „to provide readers with three important types of information - 66 how to make money, how to maintain good health and how should women beautify themselves”' . Seit Anfang 2004 erscheint Sayo mit einem professionellen und einheitlichen Layout. Das Magazin be- zeichnet sich als Business, Travel und Lifestyle Magazin und ist absolut unpolitisch. Themen reichen von Shopping-Tipps für hochpreisige Produkte, Städtetrips in Nachbarländer wie Thailand und Vietnam, die Vorstellung laotischer Provinzen über Modestrecken bis hin zu Ernährungs-, Diät- und Sporttipps.

63 http://www.undplao.org/newsroom/juthpakai.php. 64 http://www.culturalprofiles.net/laos/Units/810.html, 22.02.2007. 65 Herausgeber ist ein ehemaliger Journalist der Vientiane Times: Annoulack Khammalavong. 66 http://www.culturalprofiles.net/laos/Units/1030.html, 20.03.2007.

217 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Seit August 2006 erscheint ein neues Wirtschaftsmagazin: Target.67 Der Herausgeber hat in Aus- tralien studiert, wie dem Editorial zu entnehmen ist. Im Beirat sitzt Viseth Svengsuksa, ein laoti- scher Autor, der 2002 den südostasiatischen Autorenpreis bekam. Im Editorial der Dezember- Ausgabe 2006 wird der LRVP zum Jahrestag der Staatsgründung gratuliert und die positive wirt- schaftliche Entwicklung des Landes unter der Parteiführung betont. Die Berichterstattung ist linien- treu und unkritisch und an manchen Stellen eine einzige Lobeshymne auf die Partei (vgl. Keosou- vanh 2006: 44). Beworben werden teure Markenprodukte aus den Bereichen Auto und Technik. Seit 2006 erscheint alle zwei Wochen das großformatige Lifestyle-Magazin Mahason. Der Inhalt erscheint willkürlich zusammengesetzt aus bunten Themen wie Kommunikations-, Restaurant- und Schminktipps, Rezepte und Sport. Werbung dominiert das Magazin. In der Ausgabe Nummer 16 vom 30.11.2006 macht allein die Werbung der Laotischen Telefongesellschaft „Lao Telecom“ zu ihrem 10-jährigen Bestehen elf von insgesamt 47 Seiten aus. Alle Zeitschriften erscheinen zweisprachig (Laotisch, Englisch). Auch die Werbung erscheint zum größten Teil zweisprachig. Bei der Betrachtung der Inhalte ist am hohen Anteil der Werbung einzelner Ausgaben gut zu sehen, dass die jungen Magazine ihr Entstehen und Überleben am Markt dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Ermöglichung einer Medienfinanzierung über Werbeeinnahmen verdanken. Im Bereich des Werbeaufkommens spüren die bereits vorhandenen Publikationen wie Tageszeitungen die Konkurrenz der neuen Magazine deutlich.68 Vorsichtig könnte man dies den Beginn einer Kommerzialisierung der Presse nennen. Dieser Prozess läuft parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, die zumindest in den größeren Städten eine kaufkräftige Mittelschicht hervorbringt, die sich erstens die Magazine und zweitens die beworbe- nen Produkte leisten kann. Zielgruppe dieser Magazine sind nicht nur Ausländer, sondern auch Laoten, die sich für Wirtschaft und Lifestyle interessieren. Lifestyle-Journalismus deckt einen großen Teil der Nachfrage der jungen Generation. Es zeichnet sich ab, dass in Zukunft wirtschaft- liche Gruppen oder Interessenverbände versuchen, Einfluss auf die Medien auszuüben. Inwieweit diese Magazine durch ihre Zweisprachigkeit eventuell Auswirkungen auf die Sprach- kenntnisse der Bevölkerung haben wird sich in weiteren Untersuchungen in der Zukunft zeigen müssen. Interessant erscheint hier vor allem eine Untersuchung der Entstehungsgeschichte der Magazine und ihre Besitzverhältnisse. Der kleine staatliche Printsektor bekommt die Konkurrenz des privaten Sektors deutlich zu spüren: „Small in size and lacking modern equipment and facili- ties, the Lao state publishing sector is heavily dependent on its exclusive newspaper printing rights to remain cost-effective in the face of growing competition from the private sector.” 69

67 http://www.targetlao.com. 68 Interview mit Savankhone Razmountry, Herausgeber der Vientiane Times und der Le Renovateur, 14.12.2006, Vientiane. 69 http://www.culturalprofiles.net/laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-252.html, 20.03.2007.

218 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

3.2 Laotisches Radio (LNR)70 1975 begann das Laotische Nationale Radio (LNR) mit sechs Stationen zu senden. Inzwischen sind es 31 Stationen landesweit, die Programme in AM und FM über Satellit ausstrahlen. Reiche- re Provinzen wie Savannakhet im Süden und Luang Prabang im Norden produzieren eigene Pro- gramme, während die restlichen Provinzen überwiegend Material senden, das in Vientiane produ- ziert wird. Das LNR erreicht etwa 80%71 der Einwohner von Laos und hat es geschafft, sich durch einen höheren Anteil an Unterhaltungssendungen, auch außerhalb von Laos eine Hörerschaft im nordöstlichen Teil Thailands – dem Isaan72 – zu sichern. Das LNR strahlt im Norden Programme in den Minderheitensprachen Khamu und Hmong aus. UNDP errichtete im Norden des Landes eine Radiostation. Ziel des Projektes ist den Informationsbedarf der dortigen Bevölkerung – vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten – zu erkunden und dieser die Möglichkeit aktiver Par- tizipation an Informationsvermittlung zu eröffnen (vgl. UNDP 2006b).

3.3 Laotisches Nationalfernsehen (LNTV) Auch das Laotische Nationalfernsehen untersteht dem Ministerium für Information und Kultur. Bis 1993 wurde es unter einer Einheit mit dem Radio verwaltet, seit 1993 gibt es das Laotische Nationalfernsehen, das von etwa 50%73 der laotischen Einwohner empfangen werden kann. Ge- sendet wird auf Kanal 1 und 3 laotisches Programm. Zusätzlich gibt es vietnamesisches Pro- gramm. Zwischen 2002 und 2004 gab es ein Joint Venture mit dem internationalen französischen Programm TV5. Die Verträge wurden 2004 nicht verlängert. Ein thailändisch-laotisches Pro- gramm im Grenzgebiet zu Thailand wurde kurzzeitig 1993 ausgestrahlt, aber aus nicht geklärten Gründen wieder eingestellt (vgl. Morgan/Loo 2000: 308).

“The objectives of LNTV are to inform, entertain and educate Lao people by promoting the na- tional development, preserving and developing Lao culture and identity and promoting mutual understanding among the ASEAN people and the world.” 74 Aufgrund begrenzter technischer, finanzieller und personeller Mittel ist das laotische Fernsehen im Vergleich zu Radio und den Printmedien am rückständigsten. Die Konkurrenz des thailändischen Fernsehens ist mit seiner technisch und inhaltlich besseren Qualität im Vorteil, laotische Fernsehzu- schauer ziehen thailändische Programme den laotischen vor.75 Selbst technisch hochwertige Beiträ- ge anderer Organisationen verlieren durch die Ausstrahlung im technisch schlecht ausgestatteten Nationalfernsehen an Qualität.76

70 Im Internet zu finden unter: http://www.lnr.org.la. 71 http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007. 72 Eine Region in Nordost-Thailand, die von ethnischen Lao bevölkert ist und bis ins 18. Jd. Teil des laotischen Königreiches war. 73 http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007. 74 http://www.aseanmediadirectory.com/company_detail.asp?id=273, 20.03.2007. 75 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-931.html, 20.03.2007. 76 Somkiao Kingsada, Verantwortlicher der Abteilung Fernsehen und Radio der Massenorganisation Lao Youth Union, 09.12.2006, Vientiane.

219 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Satellitenfernsehen wurde 1993 eingeführt. Zu Beginn bekamen nur Ausländer die Erlaubnis, die nötige technische Ausstattung zu installieren (vgl. Morgan/Loo 2000: 308). Seit 2002 gibt es Ka- belfernsehen, ermöglicht durch ein Jointventure zwischen dem Ministerium für Information und Kultur und einem chinesischen Kabelfernsehbetreiber. Im Angebot sind ca. 30 ausländische Sen- der, unter ihnen Deutsche Welle TV, BBC und CNN.77 Im August 2004 stellte die Regierung eine Erlaubnis für den Betrieb einer privaten Fernsehstation in Unternehmensbesitz aus.78 Geplant ist außerdem ein neuer Sender Movie Laos Television, mit 84% privater Beteiligung der MV Televi- sion Laos Co., Ltd. Er soll bis Mitte 2008 errichtet werden und über Satellit 22 Nationen in Asien erreichen. Geplant ist ein buntes 24-Stunden-Programm mit Filmen, Kurzgeschichten, Sport, Mu- sik und Programm, das die Entwicklung des Landes fördern soll (vgl. Phonpachith 2007: 7).

3.4 Als eines der letzten Länder in Südostasien führte Laos 1997 Internet ein. Die Ausbreitung geht nur schleppend voran. Hohe Kosten, unterentwickelte Infrastruktur wie fehlende Elektrizität außerhalb größerer Städte, fehlendes Know-How im Umgang mit Computern und die fehlende Standardisie- rung der laotischen Schrift für die elektronische Kommunikation führen dazu, dass sich das Internet bisher nur in größeren Städten und unter der Mittelschicht etabliert hat.79 Bisher gibt es in Laos 3.941 Internetanschlüsse.80 Verantwortlich für das Internet ist die Science, Technology and Envi- ronment Agency (STEA) 81, die direkt unter dem Büro des Premierministers angesiedelt ist. Ihr un- tersteht auch das Nationale Laotische Internetkomitee (LANIC), das die Internetnutzung überwacht. Die Entwicklung des Internets in Asien in den 1990er Jahren hatte Hoffnung geweckt, dass mit Hilfe technischer Möglichkeiten restriktive Maßnahmen der Zensoren umgangen werden können. Diese Hoffnungen wurden letztlich nicht erfüllt, teilweise ist auch das Internet ein Ziel der Zensur und Kontrolle geworden (vgl. Gomez/Gan 2004: XIV). Die Technologie alleine trägt nicht zur Demokratisierung bei. Es stellt sich wie bei den Printmedien auch die Frage, ob nicht die durch die Lebensumstände stattgefundene Entpolitisierung einen großen Teil der Bevölkerung davon abhält, das Internet als politisches Potential zu nutzen. Für viele bleibt der Zugang zu den neuen Medien stark eingeschränkt oder sogar verschlossen. Eine Ausnahme bildet das Projekt der Jhai- Foundation, die günstige 802.11b-Technologie nutzt, um laotischen Dorfbewohnern trotz fehlen- der Elektrizität und Telefonverbindungen Internetzugang durch Pedalantrieb zu ermöglichen.82 Long sieht das Internet trotz aller Einschränkungen als eine Art partizipatorisches Modell, an dem weltweit Menschen mitarbeiten und ihr Wissen austauschen. Er blickt optimistisch in die Zukunft: „The open nature of the technology and the global scope of development is a fertile mix when it

77 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-932.html, 20.03.2007. 78 Quelle: http://www.vientianetimes.org.la/Lao_media.htm, 25.03.2007. 79 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-253.html, 20.03.2007. 80 Angabe für den Zeitraum März 2006, “More people than ever using mobiles in Laos”. In: KPL News, 16.06.2006. 81 http://www.stea.gov.la/temp1.jsp?id=36&lc=en, 23.03.2007. 82 http://www.jhai.org/jhai_remoteIT.htm, 22.03.2007.

220 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem comes to innovation. And if one of these ideas can be harnessed for the cause of democracy, there is every chance that it can rise up and succeed” (Long 2002: 91). Inzwischen gibt es sechs registrierte private Internetprovider. Zwei davon bieten ihre Dienste aber noch nicht öffentlich an. Ein weiterer bietet seinen Service nur akademischen und staatlichen In- stitutionen an.83 Die Kosten der Internetnutzung sind deutlich gesunken, weil die Einwahl nicht mehr wie in den Anfangszeiten über thailändische Provider erfolgt. In den letzten fünf Jahren sind vor allem Regierungsseiten auf Laotisch ins Internet gestellt wor- den. Spezielle Regierungsseiten wie www.culturalprofiles.org84 und laopdr.com liefern in engli- scher Sprache detaillierte Informationen über Laos. Seit 2004 sind auch die beiden Tageszeitun- gen Pasaxon und Vientiane Mai auf Laotisch im Internet präsent. Viele Informationen auf Lao- tisch sind jedoch noch nicht zu finden. Laotische Jugendliche nutzen für ihre Beiträge in Foren und Chatrooms Thailändisch85, Englisch oder eine lateinische Karaoke-Umschrift des Laotischen. Langsam beginnen User Beiträge auf Laotisch zu posten. Es gibt erste laotische Blogs86 im Inter- net, die komplett auf Laotisch gehalten sind und von in Laos lebenden Laoten mit ganz unter- schiedlichen Zielsetzungen geführt werden.87 In Einigen wird erklärt, wie man Laotisch tippt oder die laotischen Fonts auf dem Computer installiert, oft mit unterstützenden Bildern. Hier sieht man deutlich, dass Laotisch als Sprache zur Nutzung des Internet noch in den Anfängen steckt. Seit Anfang 2007 bietet die Suchmaschine Google ihre Dienste auf Laotisch an.88 Natürlich ist die Zahl der Treffer aufgrund der geringen Anzahl laotischer Seiten im Internet stark eingeschränkt. Hier erscheinen vor allem staatliche Institutionen mit Webseiten in laotischer Sprache. Auch Wi- kipedia beginnt, einige Seiten auf Laotisch zu veröffentlichen. Für die wissenschaftliche Forschung eröffnet sich hier ein sehr interessantes Feld. Es bietet sich an, zu beobachten ob und wie sich die Internetnutzung in Laos aufgrund der erweiterten techni- schen Möglichkeit die laotische Schrift auch im Internet zu nutzen weiter entwickelt. Im Falle ei- ner politischen Transformation in Laos ließe sich die These prüfen, ob „kleine Medien“ wie das Internet, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie auch in autoritären Regimes schwerer zu kon- trollieren sind als große Medien, in Umbruchzeiten mehr Zulauf erfahren (vgl. Hafez 2005: 157f.). Eine wichtige Rolle können hierbei die Exillaoten in den USA, Kanada, Australien und Frankreich spielen, die sich schon seit einigen Jahren in Diskussionsforen im Internet untereinan- der und mit Laos-Interessierten austauschen.89

83 http://www.culturalprofiles.net/Laos/Directories/Laos_Cultural_Profile/-253.html, 20.03.2007. 84 Die englischsprachige Webseite ist ein Projekt des Informations- und Kultusministeriums in Kooperation mit der britischen Organisation Visiting Arts und hat den Zweck, mehr und detaillierte Informationen über die kulturelle Infrastruktur des Landes anzubieten. Zielgruppe sind in allererster Linie Ausländer, die Seite ist nur auf Englisch abrufbar. Teilweise findet man auf dieser Seite durchaus kritische Bewertungen wie z.B. der Medien. 85 Thailändische Webseiten, Blogs, Chatforen und ähnliches sind schon seit längerem im Internet präsent. 86 http://pnomsin.wordpress.com; http://www.au8ust.org, 23.03.2007. 87 http://pasalao.wordpress.com. In diesem Blog geht es um das Erlernen der laotischen Sprache. 88 Im Internet zu finden unter: http://www.google.com/intl/lo/. 89 Im Internet zu finden unter: http://groups.google.de/group/soc.culture.laos.

221 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

3.5 Thailändisches Fernsehen in Laos Einen großen Stellenwert im täglichen Mediennutzungsmenü der laotischen Bevölkerung hat das thailändische Fernsehen. Es scheint für laotische Mediennutzer offensichtlich eine Funktion zu er- füllen, die sie durch die Nutzung der eigenen laotischen Medien nicht befriedigen können. Aus diesem Grund soll im folgenden Kapitel der Stellenwert thailändischen Fernsehens für laotische Zuschauer erläutert werden. In Laos ist thailändisches Fernsehen und Radio ohne Satellitenanlage zu empfangen. Auch thai- ländische Presseerzeugnisse sind in den großen Städten erhältlich. In fast jedem Haushalt, der mit einem Fernsehgerät90 ausgestattet ist, läuft zur Hauptsendezeit thailändisches Fernsehen. Dreivier- tel aller Laoten (vgl. Vipha 2001: 179) und 94% der Einwohner Vientianes (vgl. Vientiane Social Survey Project 1997-1998: 66) nutzen thailändisches Fernsehen. Es hat einen großen Einfluss auf die Wertvorstellungen, Wünsche, Denkweisen und auch den Sprachgebrauch der laotischen Rezi- pienten (vgl. Evans 1998: 21; Schönweger 2006: 12). In urbanen Gebieten wie Vientiane ist der Einfluss der thailändischen Sprache anhand des häufigen Gebrauchs thailändischer Wörter deut- lich zu hören. Die Identifikation mit den thailändischen Serienstars geht mitunter soweit, dass lao- tische Jugendliche nicht mehr wahrnehmen, dass sie Thailändisch anstatt Laotisch sprechen.91 Das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten ist von historischen Grenzstreitigkeiten geprägt. Es gibt immer wieder Unstimmigkeiten auf Staatsebene, die durch Medien ausgelöst oder über diese ausgetragen werden. Thailändische Medien bezeichnen Laos oft als „kleinen Bruder“ (Marukatat 1996). Mitunter warnen thailändische Medien, Thailänder bei Reisen nach Laos vor den unbekannten laotischen Gesetzen und schüren so Missstimmung.92 In einer Umfrage 200193 des Institute of Asian Studies der Chulalongkorn Universität in Bangkok und dem Thailand Research Fund stufte ein Groß- teil der befragten Laoten Thailand im Vergleich mit anderen Ländern als weniger vertrauenswürdig ein (vgl. Theeravit 2002: 35). 40% der Befragten waren der Meinung, dass thailändisches Fernsehen und thailändische Musikstars Laoten beleidigen (vgl. Ganjanakhundee 2006b). Die letzte Auseinandersetzung, die medial ausgelöst auf politischem Parkett ausgetragen wurde fand im Februar 2007 statt. Eine thailändische Serie, in der sich ein laotisches Mädchen in einen Thailän- der verliebt, löste Wirbel aus. Auf Druck der laotischen Regierung wurde der ursprünglich geplante Ausstrahlungstermin verschoben. Die Laotin wird von der in beiden Ländern bekannten laotischen Sängerin Alexandra gespielt. Laotische Behörden kritisierten, dass die Serie unter anderem den Eindruck erwecke, laotische Frauen seien leicht zu haben (vgl. Ganjanakhundee/Laovanitchaya 2007; Ashayagachat/Samabuddhi 2007). Die Liste ähnlicher medial begründeter Unstimmigkeiten lässt sich erweitern. 2006 ging es um einen Fußballfilm, in dem das laotische Nationalteam angeb- lich lächerlich dargestellt wird (Ganjanakhundee 2006a, c). 2005 beschrieb das thailändische Spicy Magazine mit welchem Ausdruck thailändische Männer laotische Frauen anmachen können und

90 41% der laotischen Haushalte besaßen 2002/2003 ein Fernsehgerät (vgl. Schönweger 2006: 3). 91 Interview mit einer Dozentin an der National University of Laos (NUOL), 15.10.2004, Vientiane. 92 “Thais warned about little-known Lao laws”. In: The Nation, 05.12.2001. 93 Die Fragestellung war: “Compared with other countries, how friendly is Thailand?”

222 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem vergriff sich dabei in der Wortwahl. Laos verlangte eine offizielle Entschuldigung, die das Magazin der laotischen Regierung über das thailändische Außenministerium zukommen ließ (Ganjanakhun- dee 2005; Hongthong 2005). Gravierend war in diesem Zusammenhang der geplante Film über die Thailänderin Thao Suranaree. Es wird behauptet, sie habe den Angriff des laotischen Königs Chao Anouvong 1827 erfolgreich abgewehrt, in dem sie seine Männer betrunken machte. Laos äußerte Bedenken über eine schlechte Darstellung des laotischen Königs und einem Imageschaden, sollte der Film gedreht werden.94 Daraufhin wurde Laos im Editorial der Bangkok Post vom 20.07.2001 als überempfindlich dargestellt, weil es sich von Thailand zu schnell angegriffen fühlt.95 Die Vien- tiane Times warf der Bangkok Post daraufhin eine arrogante Haltung gegenüber Laos vor und emp- fahl die Untersuchung der eigenen thailändischen Geschichte.96 In der Rubrik „Streetwise“ ließ die Vientiane Times fünf Laoten zu Wort kommen, die sich alle negativ über die Filmpläne äußerten.97 Einige Tage später wurde eine Antwort des laotischen Botschafters in Bangkok in der Vientiane Ti- mes abgedruckt, in dem er sich gegen eine Verfilmung des Stoffes aussprach.98 Der Film wurde nicht gedreht. Das sind nur einige Beispiele der „medialen Unstimmigkeiten“ zwischen beiden Ländern. Die laoti- schen Behörden behalten die thailändischen Medien genau im Blick. Im Jahr 2004 erging ein Verbot für thailändisches Fernsehen an öffentlichen Plätzen wie Flughäfen, Hotels, Restaurants, Busstationen und Märkten. Damit soll eine kulturelle Hegemonie Thailands über Laos verhindert werden. Andere ausländische Sender an öffentlichen Plätzen sind weiterhin erlaubt (vgl. Ganjanakhundee 2004). In persönlichen Gesprächen ist immer wieder die Angst herauszuhören, dass thailändische Me- dien bei den laotischen Rezipienten neben dem positiven Aspekt des Wissenserwerbs auch nega- tive Einflüsse wie starkes Konsumdenken, Gewalt und der laotischen Kultur nicht angemessenes Verhalten fördern (vgl. „Listening to the Voice of Young People“: 89; Pholsena 2006: 53). Phol- sena schreibt Thailand eine Funktion als „anti-model“ (Pholsena 2006: 52) für Laos zu, an dem sich die negativen Eigenschaften des Kapitalismus zeigen. Im Jahr 2005 fand ein Workshop für thailändische und laotische Journalisten zum besseren Ver- ständnis der beiden Länder statt.99 Auf einem Treffen im November 2006 beschlossen die Journa- listenverbände beider Länder die Herausgabe eines journalistischen Handbuchs, das zum besseren gegenseitigen Verständnis der beiden Länder dienen soll (vgl. Matsaypadith 2006). Die Wirkung thailändischen Fernsehens in Laos ist zurzeit vergleichbar mit dem Einfluss des Westfernsehens in der ehemaligen DDR. Es weckt Wünsche nach Produkten und einem sehr an der westlichen Kultur orientierten Lebensstil (vgl. Rehbein 2006: 231). Es bietet aber gleichzeitig

94 “Film maker and envoy should meet to avoid conflict, says PM. Border locals do not want film to be made”. In: Bangkok Post, 21.07.2001. 95 “Laos has film issue badly out of focus”. Editorial in der Bangkok Post, 20.07.2001. 10. 96 “Bangkok Post Editorial condescending and oblivious”. In: Vientiane Times, 24-26.07.2001. 97 “Streetwise”. In: Vientiane Times, 20.-23.07.2001. 16. 98 “A letter to the Bangkok Post”. In: Vientiane Times, 27.-30.07.2001. 99 http://www.freemedia.at/cms/ipi/freedom_detail.html?country=/KW0001/KW0005/KW0121/&year=2005, 20.03.2007.

223 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem auch verlässlichere Informationen als die eigenen Medien (vgl. Vientiane Social Survey Project 1997-1998: 40, 66). Es ist vorstellbar, dass thailändisches Fernsehen in der Zukunft zu einer poli- tischen Öffnung des Landes beiträgt.

4 Veränderungen der Berichterstattung in Laos Das laotische Mediensystem, wie es sich zurzeit in Laos darstellt, untersteht immer noch einer starken staatlichen Restriktion und ist deshalb als „nicht frei“ einzustufen. Vor allem, wenn man es mit Pressesystemen in westlichen Ländern oder auch in Ländern wie Indonesien oder bis vor kurzem Thailand vergleicht, erscheint das System der staatlich zugelassenen und gelenkten Me- dien im Zeitalter der Globalisierung längst überholt. Funktionen, Aufgaben und Leistungen, die Medien in demokratischen Systemen übernehmen, erfüllen die laotischen Medien höchstens an- satzweise. Die bisherige wirtschaftliche Öffnung ist nicht automatisch eine Garantie für Mei- nungs- und Pressefreiheit. Bei genauer Beobachtung der Medienlandschaft in Laos über das letzte Jahrzehnt lassen sich je- doch Veränderungen beobachten. Die englischsprachige Presse beginnt, milde Kritik an der Re- gierung und an Zuständen im Land zu beschreiben. Es sind in den letzten Jahren neue Rubriken entstanden wie „Opinion“, in der Journalisten Kommentare schreiben oder „Soapbox“,100 in der Leserbriefe – mitunter auch kritische – abgedruckt werden. Es kommt vor, dass kritische Äuße- rungen anderen in den Mund gelegt werden, wie etwa Anrufern der anonymen Telefon-Hotline der Nationalversammlung,101 deren Kommentare seit Oktober 2006 in den Medien veröffentlicht werden. Der Vermerk „Note from the Editor“102 weist ausdrücklich darauf hin, dass Leserbriefe, Pressemeldungen und Artikel von Individuen und Organisationen willkommen sind, da die Jour- nalisten der Vientiane Times sich der ausgewogenen und akkuraten Berichterstattung verpflichtet haben. Der Informationsfluss ist nicht mehr nur einseitig. In Gesprächen mit im Land lebenden Ausländern, bestätigten diese, dass zumindest in der nicht laotischsprachigen Presse inzwischen ansatzweise über kritische Themen berichtet wird, was den Eindruck erweckt, dass eine offenere Berichterstattung als noch vor einigen Jahren möglich ist. Noch Ende der 1990er Jahre verbreiteten die Medien ausnahmslos positive gute Nachrichten über die Errungenschaften der Partei (vgl. Altendorfer 1999: 99). „Party policy is fine. Under the Party leadership, the country enjoys political stability and social order. The people live in unity with their living conditions improving gradually“ 103, Schlagzeilen wie diese auf der Titelseite waren die Norm. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Zum 50-jährigen Bestehen der Partei im März 2005 wurde eine zweiseitige Ansprache des damaligen Präsidenten Khamtay Siphandone in

100 “Sopabox is our new forum for readers. The editorial team of Vientiane Times welcomes contribution from readers who want to share their points of view on matters of public interest. [...]. Contributers may use a pseudonym if they wish. The views expressed here are strictly those of the contributors”. In: Vientiane Times, 18.12.2006. 9. 101 Eine der wenigen Möglichkeiten, Kritik zu äußern besteht in einer Hotline der Nationalversammlung, bei der jeder Bürger anrufen kann. Vgl. „Lao govt opens citizen complaint call-in”. In: Bangkok Post, 24.10.2006. http://www.bangkokpost.com/breaking_news/breakingnews.php?id=113778, 21.03.2007. 102 „Note from the Editor“. In: Vientiane Times, 02.01.2007. 9. 103 Vientiane Times, 21.-23.03.2000. 1.

224 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem der Vientiane Times abgedruckt. Die Zwischenüberschriften sind im gewohnt traditionellen Sprachstil gehalten: „Throughout 50 years of its leadership's evolution, our Party has stayed closed to the masses, enduring pain and sharing happiness.“ 104 und „The founding of the Party was a culmination of the deep patriotism, heroism and determination of the Lao Nation.“ 105 Die Überschriften auf den Titelseiten waren jedoch eher neutral gehalten: „Marking the 50th anniver- sary of the LPRP.“ 106 und „Khamtay: 50 years of the Party.“ 107 Ein sensibles Thema bleibt weiterhin die Korruption. In einem Kommentar unter der Rubrik „Opi- nion” weist ein Journalist der Vientiane Times auf die negativen Folgen der Korruption hin und fragt: Wie Korruption zu bekämpfen ist und durch wen? Er ruft die Bevölkerung zur Zusammenar- beit gegen Korruption auf und endet mit der Überlegung: „The media should also play a greater role in fighting corruption. It can act as a watchdog, bringing corruption into the public eye, so that we can all be aware of its consequences” (Phouthonesy 2006: 9). 2005 verabschiedete die Natio- nalversammlung ein Anti-Korruptionsgesetz. Ein Dekret des Büros des Premierministers von 1999 erwähnt die Veröffentlichung von Korruptionsfällen in den Medien explizit als eine Aufgabe der Massenmedien. Bisher gab es jedoch keine gezielte Verfolgung von Korruptionsfällen.108 In Arti- keln über Korruption werden wie im oben gezeigten Beispiel weder Namen noch detaillierte Vor- gänge genannt, so dass es zu keiner Verfolgung hochrangiger Beamter kommen kann (vgl. Bertels- mann Transformation Index 2006: 13). Da ein Teil der politischen Führung ihren materiellen Wohl- stand unter anderem auch korrupten Praktiken verdankt und kein besonderes Interesse an einer Ver- änderung der Situation hat, liegt die Vermutung nahe, dass solche Artikel in erster Linie der interna- tionalen Gebergemeinschaft suggerieren sollen, dass etwas gegen Korruption unternommen wird. Angehörige internationaler Hilfsorganisationen äußern verstärkt Kritik an den korrupten Zuständen, die sich auch auf die Mittel internationaler Hilfsprojekte auswirken. Aus diesem Grund werden wei- tere internationale Finanzierungen, mit denen die laotische Regierung rechnet, an Bedingungen wie mehr Transparenz geknüpft.109 Inzwischen werden vermehrt soziale Probleme wie Armut, mangelnde Bildung und die Ausbrei- tung von HIV/Aids thematisiert. Vor ungefähr zwei Jahren erging die Bitte an Ausländer, die im Land leben, ihre Sicht sozialer Probleme für das Ministerium für Information und Kultur schrift- lich zu schildern. Das lässt auf ein gewisses Interesse der Regierung an der Meinung ausländi- scher Experten schließen. Es scheint, als habe die Regierung erkannt, dass die Vermeidung der Berichterstattung negativer Ereignisse, die sich durch die Internetnutzung und über andere Netz- werke schnell ausbreiten, nur die Gerüchte schürt und wilde Spekulationen in Gang setzt. Zudem lässt eine ausschließlich positive Berichterstattung Leser an der Glaubwürdigkeit einer Zeitung zweifeln (vgl. Billig 2007: 20). Die Vermutung liegt nahe, dass Trainings im asiatischen Ausland

104 Vientiane Times, 23.03.2005. 9. 105 Vientiane Times, 23.03.2005. 8. 106 Vientiane Times, 23.03.2005. 1. 107 Vientiane Times, 21.03.2005. 1. 108 URL: http://www.state.gov/e/eeb/ifd/2007/80716.htm, 27.02.2007. 109 “Lao banks on aid but donors losing patience”. In: Taipeh Times, 03.04.2006. http://www.taipeitimes.com/- News/world/archives/2006/04/03/2003300694.

225 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem und wahrscheinlich auch die Beratung durch ausländische Journalisten und die damit verbundene Sozialisation innerhalb der Redaktion diese Entwicklung mit ausgelöst haben. Die Medien stehen unter großem Druck von mehreren Seiten. Einerseits unter Professionalisie- rungsdruck, um den gestiegenen Ansprüchen durch die Konkurrenz thailändischer Medien ge- recht zu werden, andererseits unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft und der im Land lebenden Ausländer110 sowie dem Druck der eigenen Führung, die sie in Zeiten der Bedrohung ih- rer eigenen Herrschaft für ihre Zwecke nutzt: „Lediglich über den öffentlichen Raum behält die Partei ihre Hegemonie, insbesondere über Medien und Politik. Sie werden derzeit in hohem Maß dazu benutzt, eine nationale Identität zu konstruieren“ (Rehbein 2006: 227). Die Tendenz einer kritischen Berichterstattung ist vor allem in der englisch- und französischspra- chigen Presse sowie in noch englischsprachigen Foren im Internet zu beobachten. Diese sind je- doch bisher, wie im Artikel dargestellt, nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich. Unter der Annahme, dass die Printmedien in Laos trotz aller Einschränkungen eine Art Öffentlichkeit herstellen – obwohl natürlich genauer zu diskutieren ist, ob man das Öffentlichkeit nennen kann – kann man im Bereich der Printmedien fast schon von zwei Öffentlichkeiten im Land sprechen. Einmal die der laotischen Bevölkerung und die der ausländischen Bevölkerung. Es stellt sich au- ßerdem die Frage, ob es für kritische Medien in laotischer Sprache eine Leserschaft gibt. In Laos hat durch die Lebensumstände auch eine Entpolitisierung stattgefunden, neben dem alltäglichen Überleben besteht oft nur wenig Interesse an Politik (vgl. Spallek 2005). Laos befindet sich mitten in der Phase der Nationsbildung, die eine der Voraussetzungen für Demo- kratie ist (vgl. Merkel 2005: 30). Es bleibt zu beobachten, wie sich die begonnene Medienvielfalt weiterentwickelt und ob die Nutzung kleiner Medien wie dem Internet ansteigt und so eine Mög- lichkeit der internationalen Vernetzung und des Austauschs für Laoten ohne Englischkenntnisse bietet, die eventuell zu einer politischen Transformation beiträgt. In diesem Zusammenhang muss auch die internationale Vernetzung mit Exillaoten weltweit betrachtet werden. Viele Exillaoten sind seit der Öffnung des Landes in den 1990er Jahren in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Sie besitzen die sprachlichen und technischen Kenntnisse, um das Internet als ein Hilfsmittel politischer Kom- munikation zu nutzen. Hier findet ein Austausch statt, der nicht nur ökonomisch sondern auch für die soziale und kulturelle Entwicklung des Landes prägend ist (vgl. Evans 2002: 233). Eine weitere interessante Gruppe, die es zu beobachten gilt, sind die zurückkehrenden Stipendiaten,111 die im Ausland Journalistik und Kommunikationswissenschaft studieren und journalistisches Know-How, theoretische Kenntnisse und neue Ideen mitbringen. Eventuell stoßen diese in der Zukunft die not- wendige ethische und theoretische kommunikationswissenschaftliche Diskussion über die Rolle des Journalismus im Wandel der Gesellschaft an. Abzuwarten bleibt, ob das neue Pressegesetz den

110 Angehörige internationaler in Vientiane ansässiger Organisationen beschweren sich teilweise direkt im Re- daktionsbüro der Vientiane Times, wenn sie mit der Berichterstattung über ihre Organisation nicht einver- standen sind. 111 Pro Jahr bekommen jeweils zwei Laoten ein Stipendium um Kommunikationswissenschaft an der Thammasat- Universität in Bangkok zu studieren. Weitere Stipendien für Aus- und Weiterbildung im journalistischen Bereich werden von Japan, Australien und den USA vergeben.

226 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

Journalisten wie erhofft eine bessere Absicherung in der journalistischen Arbeit in der Realität ga- rantiert. Eine Professionalisierung des Journalismus ist unabhängig davon dringend nötig. Im Hinblick auf mögliche demokratische Entwicklungen bieten Trainingsinstitutionen wie das Indochina Media Memorial Foundation IMMF112 in Bangkok neben der Vermittlung von journa- listischem Handwerkszeug eine gute Diskussionsplattform. Der Austausch mit Kollegen aus Län- dern mit freieren Medien kann laotischen Journalisten neue Perspektiven eröffnen und auf lange Sicht zu einem Umdenken führen. Es zeichnen sich neben der Wirtschaft zwei Themenbereiche ab, in denen die Medien mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst eine gewisse Freiheit in der Berichterstattung erlangen werden, die e- ventuell auf lange Sicht zu einer politischen Transformation führen kann. Dazu gehören zum ei- nen soziale Themen und umweltpolitische Themen und zum anderen globale Trends. Eines der vier möglichen Zukunftsszenarios einer politischen Transformation in Laos beschreiben Ivarsson, Svensson und Tonnesson (1995) in ihrer politischen Analyse wie folgt: Im Wettbewerb mit thai- ländischen Medien bieten laotische Medien unterschiedlichen gesellschaftlichen Meinungen eine öffentliche Plattform für die Diskussion über soziale Probleme und Umweltprobleme. Auf lange Sicht löst das einen demokratischen Wandel aus. Die Partei, die in dieser Ansicht gespalten ist, bezieht in der Diskussion keine Stellung und bleibt nach außen neutral. Das führt dazu, dass sie letztendlich dieselbe Rolle in Laos einnimmt, wie die Monarchie in Thailand (vgl. Ivarsson et. al. 1995: 55ff). Eine auf den ersten Blick absolut utopische Vorstellung. Bei genauerer Betrachtung zumindest, was die sozialen Probleme angeht, ist dieses Szenario nicht ganz unwahrscheinlich. Erste Anzeichen lassen sich erkennen. Die sozialen Veränderungen, die mit dem Straßen- und Dammbau und einer veränderten Landnutzung einhergehen, ziehen erste Proteste nach sich (vgl. Hesse-Swain 1998: 123), über die auch in den Medien berichtet wird. Eine Neutralität der Partei ist in der Realität jedoch sehr unwahrscheinlich. Die Globalisierung ist auch in Laos angekommen. Im Bereich der Jugendkultur ist es sehr wahr- scheinlich, dass Konsumenten in naher Zukunft nach globalen Produkten mit laotischer Konnotati- on verlangen (vgl. Rehbein 2006: 236). Ein Großteil der Bevölkerung besteht aus jungen Men- schen,113 die neue globale Trends und Einflüsse und das vor allem durch thailändische Medien vor- gelebte Konsumdenken schnell annehmen. Hier sind verstärkt die Entwicklungen im Musiksektor und die damit verbundene Entstehung einer Musikindustrie zu beobachten, die vor allem Jugendli- chen eine Kommunikationsplattform bietet, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Ob diese dann de- mokratisch geprägt ist und Auswirkungen auch im Hinblick auf eine politische Transformation nach sich ziehen wird, bleibt abzuwarten.

112 Im Internet zu finden unter: http://www.immf.org. Die Indochina Media Memorial Foundation bietet Jour- nalisten aus Vietnam, Laos und Kambodscha zweimal jährlich Journalistentraining in verschiedenen The- menbereichen an. 113 41,2% der Bevölkerung war 2004 unter 15 Jahre alt. http://hdr.undp.org/hdr2006/statistics/countries/- data_sheets/cty_ds_LAO.html, 22.03.2007.

227 Beginnende Vielfalt im laotischen Mediensystem

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230

Abstract

Ausgehend von einer sehr niedrigen Zeitungsdichte von nur vier Exemplaren pro 1.000 Einwohner sucht diese Arbeit zur Mediennutzung in Vietnam nach den Gründen für die schwache Positionie- rung der Zeitung in der Gunst der vietnamesischen Rezipienten. Dabei beschränkt sich der Blick jedoch nicht einzig auf die Nutzung der Printmedien, sondern es wird ein möglichst umfassendes Bild der Medienlandschaft und der Nutzung der verschiedenen Medientypen gezeichnet. Während vor allem zur Zeit des Doi Moi genannten wirtschaftlichen Booms in den 1980er Jahren einige Lite- ratur zur Medien- und Informationsfreiheit in Vietnam entstanden ist, ist die Datenlage zur Medien- nutzung bisher äußerst spärlich geblieben. Auf der Grundlage von Texten und Daten, die von ver- schiedenen internationalen Organisationen und Stellen, wie der Ambassade de France, der Swedish Development Cooperation Agency (SIDA) oder der Unesco verfasst und erhoben wurden, sowie durch aufschlussreiche Experteninterviews, die während einer Recherchereise nach Vietnam im Jahr 2004 geführt wurden, kristallisierten sich grundlegendes Erkenntnisse über das Nutzungsver- halten der vietnamesischen Rezipienten heraus, die nicht nur den Blick auf die Medienlandschaft Vietnams erhellen, sondern auch als Beitrag zur Erforschung des Mediennutzungsverhaltens allge- mein gewertet werden können, da bereits bekannte Determinanten des Nutzungsverhaltens über- prüft und bestätigt und auch einige für Vietnam ganz spezifische determinierende Faktoren ermittelt werden konnten. Um diese zu erkennen musste nicht nur eine Kartographie der Medienlandschaft Vietnams erstellt werden, sondern auch die gesellschaftliche und kulturelle Beschaffenheit des Lan- des betrachtet werden. Die Untersuchung geht von der Vorstellung eines aktiven Rezipienten aus und stützt sich theoretisch auf den Uses-and-Gratifications-Approach, die Cultural Studies und das Lebensstilkonzept. Als Vorbild dient die Untersuchung European Newspaper Readership von Gustafsson und Weibull.

Autorin Carolin Müller studierte Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und in Paris am Institut Français de Presse. Ihre Nebenfächer waren Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Markt- und Werbepsychologie. Ihr Interesse an interkultu- reller Kommunikation veranlasste sie ein Semester in Vietnam zu verbringen, wo sie an der Univer- sität von Ho Chi Minh Stadt Kurse zur Landessprache und Landeskunde belegte. Sie bereiste au- ßerdem Laos, Thailand, Japan, Australien, Russland und Norwegen. Während und nach dem Studi- um arbeitete sie als Journalistin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Danach absolvierte sie zunächst ein Volontariat beim Wilhelm Heyne Verlag und wechselte dann in die Presseabteilung der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA). Seit Anfang 2007 ist sie Redakteurin bei einer Münchner Do- kumentarfilmproduktion und darüber hinaus als literarische Übersetzerin tätig.

232 Mediennutzung in Vietnam

Carolin Müller

1 Einleitung „Desperately seeking the audience.” 1 Mit diesen Worten lässt sich die Entstehung dieses Bei- trages über die Mediennutzung in Vietnam treffend beschreiben. Denn lange Zeit hatte es den Anschein, als wäre dem vietnamesischen Medienpublikum trotz intensivster Recherchen nicht auf die Spur zukommen. Ausgehend von einer sehr niedrigen Zeitungsdichte von vier Exemplaren/1.000 Einwohner wer- fe ich hier die Frage nach den Gründen für die schwache Positionierung der Zeitung in der Gunst der vietnamesischen Rezipienten auf. Ziel meines Beitrags ist es, die diese Tatsache be- dingenden Faktoren zu ermitteln und zu beschreiben. Zu diesem Zweck bietet es sich jedoch an, die Zeitungsnutzung nicht isoliert, sondern im Kontext des gesamten Medienangebots zu be- trachten. Deshalb werden ebenso Faktoren berücksichtigt, die die Nutzung von Radio, Fernse- hen und des Internets beeinflussen. Dieser Beitrag stellt keine Analyse der Informationsfreiheit in Vietnam dar. Vielmehr machte ich mich auf die Spur des Medienpublikums, das in Vietnam im wahrsten Sinne des Wortes eine „Un- bekannte“ darstellt. Dabei ging ich von der für die Nutzungsforschung üblichen Annahme aus, der zufolge die Rezipienten aktiv am Kommunikationsprozess teilnehmen, indem sie sich die Medien ihren Bedürfnissen entsprechend nutzbar machen und in ihren Alltag integrieren. Die theoretische Grundlage der Untersuchung bilden der Uses-and-Gratification-Approach (UGA) 2, die Cultural Studies 3 und das Lebensstilkonzept 4. Die Uses-and-Gratifications-Forschung stellt die Frage nach dem Zweck von Mediennutzung und vor allem danach, welche Bedürfnisse durch die Nutzung von Medien befriedigt werden. Dabei wird der Kommunikationsprozess aus der Per- spektive des Rezipienten betrachtet. Mit dem UGA begann die Kommunikationswissenschaft ge- zielt, konkrete Motive zu ermitteln, um die Mediennutzung als aktive Handlung zu erklären und löste sich damit von einer rein deterministischen Perspektive. Der UGA geht davon aus, dass die Rezipienten absichtsvoll Nutzungshandlungen vollziehen. Als Ursprung der Rezipientenabsichten gelten bestimmte Grundbedürfnisse, die vor allem auf der psychischen und sozialen Bedürfnisebene zu suchen sind. Der kultursoziologischen Perspektive der Cultural Studies zufolge, sind die Medien in den Alltag und die Kulturumgebung der Menschen eingebettet. Vor diesem Hintergrund kann Mediennutzung nicht als kontextlose Interaktion zwischen Rezipient und Medium betrachtet wer- den. Menschliche Grundbedürfnisse reichen folglich als alleinige Erklärung für Mediennutzungs- verhalten (wie im UGA) nicht aus. Auch Untersuchungen, die sich am Lebensstilkonzept orientie- ren, müssen gleichermaßen am Subjekt und an der Gesellschaft ansetzen. Damit geraten sogenannte

1 Ang, 1991 2 vgl. Blumler/Katz, 1974; Rosengreen/Wenner/Palmgreen, 1985 3 vgl. Fiske, 1987 4 vgl. Rosengreen, 1996

233 Mediennutzung in Vietnam

„strukturelle Faktoren“ (gesellschaftliche Struktur) ins Zentrum des Forschungsinteresses.5 Die schwedischen Medienwissenschaftler Karl Erik Gustafsson und Lennart Weibull haben sich in ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa auf Erkenntnisse aus dem Lebensstikonzept gestützt und damit die Zeitungsnutzung in verschiedenen Regionen Europas erklärt.6 Die Untersuchung von Gustafsson/Weibull dient diesem Beitrag als methodische Inspirationsquelle und wird deshalb im nächsten Kapitel „Methode und Quellen“ genauer vorgestellt. Doch nicht nur die Gesellschafts-, sondern auch die Medienstruktur bzw. das Medienangebot wirkt sich auf die Mediennutzung aus. Deshalb wird im Beitrag eine Kartographie der vietnamesischen Medienlandschaft entworfen, die auch einige Indikatoren der Mediennutzung (Reichweiten, Dauer, Frequenz und Zweck etc.) präsentiert. Dies dient als Grundlage für die folgende Untersuchung der, die Mediennutzung in Vietnam determinierenden Faktoren. Mediennutzung lässt sich nur multikausal erklären. Dies bringt jedoch immer die Gefahr der Unvoll- ständigkeit mit sich und stellt somit einen Erklärungskompromiss dar, der nicht zuletzt auch von der Quellenlage abhängig ist. Gleichzeitig birgt die Betrachtung der Mediennutzung im speziellen Kon- text eines Landes mit seinen strukturellen und kulturellen Merkmalen die Möglichkeit, auf neue De- terminanten der Mediennutzung zu stoßen oder bereits bekannte zu überprüfen und zu gewichten. Während die Mediennutzung in Deutschland bereits ausgiebig erforscht wurde, gestaltet sich die Situ- ation in Vietnam gegenteilig. Dort keimt das Interesse für eine genauere Erforschung des Publikums und seines Nutzungsverhaltens gerade erst auf und das zarte Pflänzchen wächst auf recht unwirtlichem Boden. Die politischen Rahmenbedingungen haben in der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) zu einem Mediensystem unter staatlichem Monopol geführt, in dem die Kommunistische Partei Viet- nam (KPV) weitgehend vorgibt, was das Volk zu interessieren hat. Nach Beendigung des Vietnam- kriegs hingen die gelenkten Medien zudem finanziell weitgehend am Subventions-Tropf des Staates. Publikums- oder Nutzungsforschung ist in Vietnam deshalb noch ein fast unbeschrittenes Terrain und technisch unterstützte Erhebungen, wie sie etwa die telemetrische Fernsehforschung in Deutschland unternimmt, sind Zukunftsmusik. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Marktorientierung künftig immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Planungen des Ministry of Culture and Information (MoCI) sehen eine drastische Kürzung des staatlichen Medienbudgets auf nur mehr 6% des aktuellen Betrages über die nächsten 10 Jahre vor.7 Die damit verbundene steigende Bedeutung von Werbeein- nahmen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen Aufschwung für die Mediennutzungsfor- schung in Vietnam mit sich bringen, da die einzelnen Medien dann mehr und mehr auf Wettbewerbs- fähigkeit angewiesen sein werden. Das Interesse an Studien über Publikumsinteressen und Nutzungs- gewohnheiten wird zunehmen. Ohne die Leistung überschätzen zu wollen, die dieser Beitrag auf ei- nem bislang noch kargen Forschungsfeld zu erbringen vermag, kann dieser doch einen explorativen Beitrag am Anfang dieser Entwicklung leisten und einige Einschätzungen, Hypothesen und Erklä- rungsmodelle der Mediennutzung in Vietnam präsentieren.

5 vgl. Rosengreen, 1996 6 Gustafsson/Weibul, 1997 7 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 11

234 Mediennutzung in Vietnam

Während eines vierwöchigen Aufenthalts in Hanoi (2004) konnte mit Hilfe von neun Expertenin- terviews und Berichten von internationalen Medienbeobachtern eine Materialbasis geschaffen wer- den. So entstand schließlich eine Skizze der Mediennutzung im heutigen Vietnam, die, was das Zusammenstellen und Interpretieren des überhaupt auffindbaren Materials zur Mediennutzung in Vietnam betrifft, als eine Art Pionierarbeit bezeichnet werden darf. Darüber hinaus wurde die Rele- vanz von einigen bereits aus der Literatur bekannten Determinanten der Mediennutzung bestätigt und, gerade was die Internetnutzung betrifft, einige spezifische Determinanten ermittelt. Warum nutzen Menschen Medien, was beeinflusst ihr Nutzungsverhalten und welche Rolle spielt das Medienangebot in diesem Kontext? Es ist zu vermuten, dass die Rezipienten ihre persönlichen Mediengewohnheiten im Spannungsfeld zwischen Medienangebot und gesellschaftlichem Umfeld herausbilden, denn die Mediennutzung von Menschen variiert nicht nur von Region zu Region, sondern auch innerhalb eines Landes über die Zeit. Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer Parallelen und Konstanten.8 Doch welche Faktoren in der medialen Angebotsgestalt und im gesell- schaftlichen Kontext determinieren ganz konkret das jeweilige Mediennutzungsverhalten der Be- wohner einer bestimmten Region? Hier lohnt es sich genauer nachzuforschen, um der großen „Un- bekannten“, 9 dem Medienpublikum, auf die Spur zu kommen.

2 Methode und Quellen Im folgenden Abschnitt wird zunächst ein Raster vorgestellt, anhand dessen die Mediennutzung in Vietnam untersucht wird. In dieses Untersuchungsraster wurden nur solche Determinanten der Me- diennutzung aufgenommen, die auf einer strukturellen Ebene angesiedelt sind. Welche, der aus ein- schlägigen Studien bekannten Faktoren dies sein können, wurde anhand ihres jeweiligen Erklä- rungspotentials für die Mediennutzung in Vietnam entschieden und soll im Folgenden näher erläu- tert werden. Eine Untersuchung individueller Gründe (z. B. persönliche Wertvorstellungen Einzel- ner) für die Mediennutzung ist nicht Ziel dieses Beitrags. In einem weiteren Schritt wird die Metho- de vorgestellt, mit der die Ergebnisse generiert worden sind. Besonderes Augenmerk wird dabei in einem eigenen Abschnitt auf die Problematik der Informationsbeschaffung und Quellenbewertung gelegt, da die wichtigsten Quellen für die Analyse der Mediennutzung in Vietnam nur schwer oder gar nicht öffentlich zugänglich sind.

2.1 Untersuchungsraster Im vorangehenden Abschnitt wurden verschiedene Ansätze skizziert, die die Hinwendung zu be- stimmten Medien oder Medieninhalten erklären. Mediennutzung als soziales Handeln vollzieht sich in Konkurrenz zu anderem Handeln, um bewusst oder unbewusst verschiedenste Bedürfnisse zu befriedigen. Grundsätzlich lassen sich nach Rosengren Handlungsdeterminanten auf drei Ebenen lokalisieren: (a) individuelle Position, (b) individuelle Merkmale und (c) gesellschaftliche Struk- tur.10 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich darauf, eine Reihe von strukturellen Faktoren

8 vgl. Meyen, 2001b, 11 9 ebd. 10 10 vgl. Rosengren, 1996, 26

235 Mediennutzung in Vietnam der Mediennutzung in Vietnam auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Bei strukturellen Faktoren handelt es sich, wie gezeigt wurde, um Merkmale des Umfelds, innerhalb dessen sich die Nutzungshand- lung vollzieht: Industrialisierung, Urbanisierung, Religion, Klima, Geografie, politisches System, Medienangebot, überlieferte Rezeptionsmuster, Bevölkerungsstruktur.11 Nun sollen weitere Deter- minanten der Mediennutzung vorgestellt werden, die aus der Literatur bekannt sind. Die Studie „European Newspaper Readership“ 12 bietet eine Vielzahl von Hinweisen darauf, welche Faktoren die Zeitungsdichte eines Landes beeinflussen. Als Folge einer vergleichenden Betrachtung der verschiedenen europäischen Zeitungsmärkte ermitteln Gustafsson und Weibull hinsichtlich der Zeitungsverbreitung drei Regionen. „The first purpose is to group countries according to newspa- per penetration and analyse the reasons for the position of newspaper industries in their national contexts.“ 13 Tabelle 1: Europäische Zeitungsregionen14

Region 1: Region 2: Region 3: Newspaper Countries Newspaper & TV Countries Television Countries (market share > 50%) (equal market share) (market share > 50%) Norway, Finland, Sweden, Switzer- Denmark, Germany, United Kingdom, France, Belgium, Ireland, Italy, land, Luxembourg The Netherlands, Austria Spain, Greece, Portugal

Die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden erlaubt es ihnen, Rückschlüsse auf Faktoren zu ziehen, die den Erfolg von Zeitungen auf dem Markt und damit die Zeitungsnutzung beeinflus- sen können. Diese Faktoren sind zunächst außerhalb der Medienlandschaft der einzelnen Region zu finden. Dabei handelt es sich um wirtschaftliche, politische und soziale Rahmenbedingungen: „The general strength of the daily press can be explained by economic conditions, urbanization, educa- tion level, political development, and employment rate.“ 15 Indem sie das jeweilige Bruttosozialprodukt und die Zeitungsdichte pro 1.000 Einwohner gegen- überstellten, konnten sie eine Korrelation zwischen einer starken wirtschaftlichen Position und einer starken Presse feststellen.16 Der Pressemarkt wird laut dieser Studie auch durch politische und soziale Stabilität in den Regionen positiv beeinflusst: „Some of the differences between the three groups can be explained by...uninterrupted development periods for newspapers, political develop- ment, social structure, including general communication structure, household character and em- ployment rate…“ 17 In der Studie wird jedoch betont, dass diese Faktoren nicht als einzige die Zeitungsverbreitung be- stimmen würden, und die Zeitungsverlage nicht als „helpless victims of economic, political or soci- ocultural trends“ 18 gesehen werden dürften. Denn, es kämen auch solche Faktoren zum Tragen, die

11 vgl. u.a. Rosengren, 1996, 13-36; Meyen, 2001a, 31 12 Gustafsson/Weibull, 1997 13 ebd. 250 14 ebd. 249, 254 15 ebd. 269 16 ebd. 256 17 ebd. 257 18 ebd. 270

236 Mediennutzung in Vietnam innerhalb des Mediensystems zu suchen sind. Hier richten Gustafsson und Weibull ihr Augenmerk in erster Linie auf die Konkurrenzsituationen innerhalb der jeweiligen europäischen Medienmärkte und weisen außerdem auf die wichtige Rolle hin, die Verkaufsstrategien der Zeitungsindustrie (In- halte, Preis, Vertrieb und Promotion) spielen können.19 Ferner wird die Zeitungsrezeption noch von weiteren, scheinbar sehr entfernten Faktoren wie Klima, kulturelle Traditionen oder Religion beein- flusst, die in dieser Studie als „background factors“20 bezeichnet werden. Die Studie ergab schließlich, dass Länder mit der höchsten Zeitungsdichte und der höchsten Leser- schaft gleichzeitig durch sehr stabile politische Systeme gekennzeichnet sind, in denen die Partei- presse eine wichtige Rolle spielt. Neben einer starken nationalen Presse hat sich dabei auch eine starke und weit verzweigte Lokalpresse etabliert.21 „They have, so to say, two layers in the newspa- per market…“ 22 Die Länder mit der niedrigsten Zeitungsverbreitung sind gekennzeichnet von einer wenig stabilen politischen Vergangenheit und teilweise auch von wirtschaftlichen Problemen. Zei- tungen haben in der Geschichte der meisten dieser Länder insgesamt nie eine große Rolle gespielt. Klimatisch gesehen handelt es sich hauptsächlich um wärmere Nationen.23 Die Situation in den Ländern mit mittlerer Zeitungsdichte und mittlerer Leserschaft variiert stark. Manche der Länder in dieser Kategorie ähneln eher den Ländern mit sehr hoher Zeitungsverbreitung, andere wiederum eher solchen mit niedriger Verbreitung. Hier ergibt die Betrachtung ein heterogenes Bild.24 Gustafsson und Weibull kommen zum Schluss, dass die Struktur des Zeitungsmarktes die wirt- schaftlichen, politischen und soziokulturellen Traditionen eines Landes widerspiegelt und eng mit dessen Entwicklungsstand verbunden ist: „Newspaper reading, then, could be interpreted as follo- wing the modernization process. It is connected with political and economic development of indus- trialized, urbanized societies and linked to traditional values of social integration.“ 25 Die Studie von Gustafsson und Weibull liefert nicht nur eine Reihe von Hinweisen auf mögliche Determinan- ten der Mediennutzung, sondern dient gleichzeitig als wichtigstes methodisches Vorbild dieses Bei- trags. Doch auch andere Untersuchungen liefern Erkenntnisse über Faktoren, die die Mediennut- zung von Vietnamesen beeinflussen könnten. Die Hamburger Medienwissenschaftler Uwe Hasebrink und Anja Herzog betrachten die Medien- nutzung im internationalen Vergleich und versuchen darzulegen, „...wie sich verschiedene Kulturen in ihrem Umgang mit den Medien unterscheiden [und] welche Gemeinsamkeiten sie aufweisen...“.26 Sie widmen sich ausführlich einigen Indikatoren der Mediennutzung. Dabei handelt es sich einer- seits um Faktoren, die für die „Herausbildung eines bestimmten Umgangs mit den Medien relevant sind“, andererseits aber auch um „wesentliche Kennwerte des Nutzungsverhaltens“ wie Reichwei-

19 ebd. 20 ebd. 257 21 ebd. 256 22 ebd. 258 23 ebd. 257 24 ebd. 256f. 25 ebd. 269 26 Hasebrink/Herzog, 2002, 108

237 Mediennutzung in Vietnam ten oder Nutzungsdauer.27 Auch eine Untersuchung der Mediennutzung in Vietnam muss sich be- mühen, soweit dies auf der bestehenden Datengrundlage möglich ist, diese Koordinaten zu klären. Gerade die Datenbeschaffung stellt in Vietnam jedoch ein großes Problem dar. Hasebrink und Herzog geben wertvolle Anregungen zu möglichen Informationsquellen wie etwa das Unesco Insitute for Statistics, das Basiszahlen zu Zeitungs- und Fernseh- bzw. Radiogerätedich- te liefert. Einige der Quellen, die sie vorschlagen, beziehen sich ausschließlich auf Europa oder schließen Vietnam aus. So musste für den vorliegenden Beitrag auf alternative Quellen wie Exper- teninterviews zurückgegriffen werden. Doch Hasebrink und Herzog sind überzeugt, dass eine Un- tersuchung der Mediennutzung trotz schwieriger Quellenlage dennoch erfolgreich sein kann, da „...es im Zweifel weniger auf eine exakte Zahl als auf ein Verständnis für den kulturellen Zusam- menhang ankommt, in dem die Mediennutzung stattfindet...“ 28 Die Mediennutzung ist für sie Be- standteil der Alltagskultur,29 da die Medien „organisierte Kommunikationssysteme“ darstellen, „...die das Ergebnis vielfältig verwobener gesellschaftlicher und kultureller Faktoren sind, und de- nen die Mitglieder einer Kultur im Rahmen ihres Alltags einen bestimmten Stellenwert zugewiesen haben.“ 30 Hasebrink und Herzog setzen einen Akzent auf Faktoren, wie: Ausstattung, infrastruktu- relle Zugangsvoraussetzungen, Schulbildung bzw. Alphabetisierung aber auch begrenzende geo- graphische Gegebenheiten und Einschränkungen aus ökonomischen Gründen.31 Auch bei Meyen heißt es, dass „Fernsehen und Radiohören, Lesen und Kinobesuche stark an den Alltag gebunden sind, an das Zeitbudget und an die Wohnungssituation, an die Familiengröße und an Freizeitalternativen, und...außerdem gerade in der DDR die Einstellung zu den Medien eng mit der politischen Haltung zusammenhing.“ 32 Auch der Urbanisierungsgrad einer Region scheint einen Einfluss auf die Zeitungsnutzung zu ha- ben. Für Gustafsson und Weibull besteht, wie bereits erwähnt, ein Zusammenhang zwischen Zei- tungslesen und dem „political and economic development of industialized, urbanized societies...“ 33 Und in der explorativen Untersuchung „Wer liest wirklich Zeitung“ heißt es: „Je größer der Wohn- ort, umso häufiger der Griff zu einer Qualitätszeitung.“ 34 Neben dem Faktor Urbanisierung sind auch Faktoren wie Mobilität und Verkehr relevant. In einer Gesellschaft, in der viele Menschen ihrem Job zuliebe den Wohnort wechseln oder zumindest fast täglich mit öffentlichen Verkehrsmit- teln zur Arbeit pendeln, kann sich diese, im Gegensatz zu Agrargesellschaften, erhöhte Mobilität auch auf die Mediennutzung auswirken. Schon Karl Knies hat Mitte des 19. Jh. den Zusammenhang von höherer Mobilität und erhöhtem Kommunikationsbedürfnis festgestellt.35 Außerdem sah er „...das Bedürfnis und das Angebot „öffentlicher Nachrichten“ - wie sie in unseren Zeitungen ihre

27 ebd. 28 ebd. 112 29 ebd. 108 30 ebd. 109 31 ebd. 109ff. 32 Meyen, 2003, 11 33 Gustafsson/Weibull, 1997, 269 34 Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 139 35 vgl. Knies, 1996, 44ff. (erstmals 1857)

238 Mediennutzung in Vietnam

Stelle zu finden pflegen...im natürlichen Zusammenhang mit der Entwicklung und Gestaltung des modernen Staats- und Volkslebens.“ 36 Ähnlich wie Meyen, der von überlieferten Rezeptionsmustern37 bzw. von überliefertem Rezepti- onsverhalten38 spricht, betont auch Saxer,39 dass ein Rückblick in die Geschichte eines Landes hilf- reich sein kann, um das Mediennutzungsverhalten einer Gesellschaft zu erklären. Die Adaptions- hypothese40 geht von einer besonders intensiven Nutzung des Fernsehens gleich nach seiner Einfüh- rung aus.41 Dabei ist das Medium Radio von einem Verdrängungseffekt durch die Einführung des Fernsehens stärker betroffen als die Zeitung, was sich aus den größeren funktionalen Unterschieden, die zwischen Fernsehen und Zeitungsnutzung bestehen, ergibt.42 Das Fernsehen stellt in Vietnam ein noch sehr junges Medium dar. Während in Deutschland Anfang der 1980er Jahre schon fast jeder Haushalt ein Fernsehgerät besaß,43 gab es in Vietnam zu dieser Zeit noch kaum Fernsehhaus- halte und täglich gesendet wurde erst seit 1979. TV-Geräte fanden erst nach dem wirtschaftlichen Öffnungsprozess (Doi Moi ab 1986) ihre Verbreitung.44 Bonfadelli dagegen widmet sich dem Zusammenhang von Bildung und Mediennutzung und stellt fest: „Fernsehnutzung ist konträr zu jener der Printmedien: die älteren, weniger gebildeten und statustieferen Befragten finden sich häufig unter den Vielsehern.“ 45 Donsbach untersucht in erster Linie den Einfluss von Artikelmerkmalen auf die Mediennutzung, lässt daneben jedoch auch soziogeografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und Berufstä- tigkeit und politische Interessiertheit gelten.46 Er stellt außerdem die Frage nach dem Einfluss von Auswahlmöglichkeiten auf die Mediennutzung und stellt fest: „Dort wo sie, wie im Monopol nicht gegeben ist, führt der Zwang zur politischen Entfremdung zu einer unterentwickelten Leser-Blatt- Bindung.“ 47 In Vietnam herrscht ein solches Staatsmonopol im Mediensektor. Eine stabile Leser- Blatt-Bindung ist jedoch ein wichtiger Faktor der Förderung von Zeitungsnutzung. Zusammenfassend lassen sich mit McQuail folgende Faktoren der Mediennutzung nennen: Zu- gangsmöglichkeiten, Mediengewohnheiten, inhaltliche Interessen und persönlicher Geschmack,

36 ebd. 59 37 vgl. Meyen, 2001a, 31 38 vgl. Meyen, 2001b, 42 39 vgl. Saxer, 1998 40 „Die erstmalige Anschaffung (und Nutzung) eines Fernsehgerätes führt bei den Zuschauern anfangs zu einer starken Veränderung des Freizeitverhaltens und Mediennutzungsverhaltens (hohe Fernsehnutzung, Verdrängung anderer Interessen und insbesondere der Nutzung anderer Medien), die sich aber nach einer gewissen Zeit - und über einen längeren Zeitraum hinweg - tendenziell zurückbildet...Dies entspricht einem „Prozeß der Veralltäglichung“, Peiser, 1998, 158 41 vgl. Peiser, 1998, 157ff. 42 vgl. ebd.: 184f 43 vgl. Meyen, 2001b, 141 44 „The main limitation on television during the 1980s was the extreme paucity of TV receivers, with most pre-1975 south- ern sets no longer functional, replacement sets not being imported, and most families having other, more pressing pur- chasing priorities in any event…By 1990, imported Samsung colour TV sets were available in state stores …“, Marr, 1998, 14 45 Bonfadelli, 1994, 377 46 vgl. Donsbach, 1991, 146-153 47 ebd. 207

239 Mediennutzung in Vietnam

Wissen um Alternativen, Kontext der Mediennutzung im Einzelnen und allgemeine soziale und kulturelle Umstände, die auch die Mediennutzung in Vietnam beeinflussen können.48 Zusätzlich sollen jedoch einige weitere Aspekte nicht unerwähnt bleiben. In „Zur Zukunft der Ta- geszeitung“ beschreibt Klaus Schönbach eine Reihe von positiven Merkmalen der Tageszeitung, die sie für die Leser interessant macht.49 Neben inhaltlichen Vorzügen (Hintergrundinformationen, etc.) böte die Zeitung auch technisch-materielle Vorteile (Disponibilität; Zeitung als transportables Me- dium, das in individuellem Tempo rezipiert werden kann etc.), die ihre Nutzung fördern können. Darüber hinaus spricht er auch von sogenannten inoffiziellen oder latenten Funktionen von Tages- zeitungen. Sie würden sich demnach auch als Prestigeobjekte eignen oder als Abschirmung am Frühstückstisch, außerdem ermöglichten sie das „Einwickeln von Heringen und von Kaminholz, das Ausstopfen nasser Schuhe und das Erschlagen von Wespen.“ 50 Auch in Vietnam gibt es sicher eine Reihe von solchen inoffiziellen Faktoren die für die Mediennutzung eine Rolle spielen. Dass die Faktoren, die die Mediennutzung determinieren aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen können, stellt für den Kommunikationswissenschaftler natürlich ein Problem dar, denn um „...seine Aufgabe befriedigend zu lösen, müsste er zugleich Soziologe und Historiker, Psychologe und Statistiker, Politologe und Ökonom sein und er bräuchte mehrere Leben.“ 51 Meyen spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Faktorenknäuel“, dessen unzählige Fäden nur schwer auf einmal zu fassen sind, weshalb keiner behaupten kann, „...dass er wenigstens alle Fäden kennt...“ 52 Gerade deshalb ist es sinnvoll, verschiedene und neue Regionen zu betrachten, damit mehr und mehr Fäden aufgegriffen und überprüft werden, um dann in der Summe eventuell zu jenen vordrin- gen zu können, die Mediennutzung im Allgemeinen determinieren. Im einzelnen Fall muss man jedoch Kompromisse eingehen, die nicht zuletzt von der Quellenlage in der jeweiligen Region be- stimmt werden. Für die vorliegende Untersuchung wurden aus den, aus der Literatur hervorgehenden, Faktoren die- jenigen ausgewählt, die speziell für die Mediennutzung in Vietnam ein Erklärungspotential verspre- chen. Um dem „Knäuel“ jedoch mehr Struktur zu geben, erfolgt die Präsentation der Analyse an- hand eines Faktoren-Dreiklangs struktureller Determinanten der Mediennutzung.53 Damit soll dem Problem, das durch die Darstellung von Multikausalität aufgeworfen wird, ansatzweise entgegen- gewirkt werden. Die in Tabelle 2 dargestellten Faktoren entsprechen jenen, die sich in der folgenden Untersuchung der Mediennutzung in Vietnam als erklärungsrelevant gezeigt haben. Bevor diese verschiedenen Determinanten jedoch diskutiert werden können, gilt es sich zuerst ein Bild vom Mediensystem Vietnams zu machen und zu versuchen, die Nutzung der verschiedenen Medientypen zu beschrei-

48 vgl. McQuail, 1994, 302 49 Schönbach, 1995, 337-347 50 ebd. 340 51 Meyen, 2001b, 13 52 beide ebd. 12 53 vgl. Hohenadl, 2004, 42ff.

240 Mediennutzung in Vietnam ben. Ohne eine grundlegende Darstellung des Medienangebots und seiner Nutzung, würde eine Analyse der Faktoren, die die Mediennutzung determinieren, kaum nachvollziehbar sein.

Tabelle 2: Raster für die Untersuchung der Mediennutzung in Vietnam

soziogeografische Faktoren soziokulturelle Faktoren medienstrukturelle Faktoren Urbanisierung, Folgeerscheinungen Entwicklung der Massenmedien Werbemittelverteilung Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, historisch-kulturelle Bedingungen Medienkonkurrenz (inhaltlich, Wirtschaftskraft für Unterhaltungsorientierung preislich, technisch) Mobilität/Verkehr Kommunikationstraditionen Bildung statusorientiertes Konsumverhalten Klima

2.2 Methodische Vorgehensweise Um die Untersuchung nach dem oben erläuterten Raster durchführen zu können, ist eine Fülle von entsprechenden auf Vietnam bezogenen Daten nötig. Der vorliegende Beitrag kann jedoch nicht darin bestehen, empirisches Datenmaterial zu erheben, vielmehr entspricht die hier angewandte Methode einer hermeneutischen Vorgehensweise, die auf dem Heranziehen, Verstehen und Deuten verschiedenster Quellen beruht. Unter der Methode der Hermeneutik versteht man „...die fortschrei- tende Rekonstruktion, das fortschreitende, den Einzelfall und damit die Menschen, ihre Ordnungen und ihre Geschichte ernst nehmende, deutende Verstehen sozialen Handelns.“ 54 Im ersten Schritt sollen zunächst vorhandene Daten gesammelt, ausgewertet und verglichen werden, um ein konkre- teres Bild des Untersuchungsgegenstandes der Mediennutzung in Vietnam entstehen zu lassen. Im zweiten Schritt sollen dann, durch eine Interpretation des gefundenen und zu einer Skizze der Me- diennutzung ausgewerteten Materials, eine Reihe von Faktoren benannt und erläutert werden, die einen Einfluss auf die Mediennutzung in Vietnam haben können. Welche Faktoren hierbei ins Blickfeld gerückt werden, geht aus dem bereits entwickelten Untersuchungsraster hervor. Dieses Verfahren der kritischen Datenverarbeitung55 stützt sich auf drei Pfeiler: (a) Quellenkritik, (b) Quel- lenvielfalt und (c) Quellenvergleich. Um die Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Daten weitestgehend sicherzustellen, muss eine Viel- zahl von Quellen verglichen werden.56 Dabei ist es wichtig, die jeweiligen Quellen oder Datenurhe- ber auch unter Berücksichtigung der jeweils verwendeten Erhebungsmethode kritisch zu betrachten. Eine solche kritische Herangehensweise an erhaltenes Datenmaterial ist bezüglich der Mediennut- zung Vietnams von besonderer Bedeutung. Da die Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf Datenquel- len recht beschränkt sind, muss man sich oft mit Informationen begnügen, die nur schwer überprüf- bar sind. Auf diesen kritischen Aspekt soll im nächsten Abschnitt genauer eingegangen werden. Nach intensiven aber wenig ergiebigen Recherchen im Internet und Sichtung der in Deutschland zugänglichen Literatur über die Medien Vietnams, die jedoch vielfach oberflächlich bleibt oder veraltet ist und einem Besuch des Unesco Headquarters in Paris, der aber nur statistisches Basisma-

54 Soeffer, 2000, 174 55 In Anlehnung an die Kriterien der von Meyen vorgeschlagenen historischen Datenanalyse. 56 „Der Vergleich mit anderen Quellen ist eine Muß-Kategorie“, Meyen, 2000, 55

241 Mediennutzung in Vietnam terial ergab, zeichnete sich die Notwenigkeit einer Recherche vor Ort immer deutlicher ab. In Viet- nam bestand die Möglichkeit, vor allem durch Gespräche mit Experten, konkretere Erkenntnisse über die Mediennutzung in Vietnam zu gewinnen. Die Expertenbefragungen, die als wenig struktu- rierte Interviews57 durchgeführt wurden, sollen den Mangel an schriftlichem Quellen ausgleichen.

2.3 Quellen und Quellenkritik Nach einer allgemeinen Darstellung der Zugangsmöglichkeiten zu Daten und Informationen in und über Vietnam, sollen die für diese Beitrag herangezogenen Quellen vorgestellt, eingeordnet und kritisch betrachtet werden.

2.3.1 „Geschlossene Gesellschaft“– Zugang zu Informationen in Vietnam Für die Studie „The Right to Know. Access to Information in Southeast Asia“ 58 wurden die Zu- gangsmöglichkeiten zu Informationen in acht südostasiatischen Ländern untersucht. Die Studie richtet zwar ein besonderes Augenmerk auf die Situation der Medien, als „major channel of infor- mation“, gleichzeitig wird aber betont, dass man ebenso „...the experience of ordinary citizens in demanding information from the State...“ berücksichtigt hat. „We surveyed the accessibility of over 40 public records and ranked the countries according to their openness.“ 59 Zu diesem Zweck fragte man in acht südostasiatischen Ländern nach „…macroeconomic data, socio-economic indicators, law and parliamentary proceedings, government budgets and contracts, information on public officials and data on private individuals.“ 60

Tabelle 3: Zugang zu Informationen in Südostasien

Are these records available to the public? in percent: (Countries ranked according to Yes answers) Philippines 59 Thailand 56 Cambodia 44 Singapore 42 Malaysia 33 Indonesia 18 Vietnam 18 Myanmar 5 Differenziert man nach Art der gesuchten Informationen, zeigt sich, dass in Vietnam, wenn es sich um „Business and Corporate Data“ 61 handelt, 40% der gesuchten Informationen zugänglich sind. Nach „Data on Public Officials“ fragt man in Vietnam jedoch vergeblich. Solche Informationen sind mit 0% schlicht „Not Available“ 62.63 „Singapore…along with Myanmar and Vietnam, counts among Southeast Asia’s most politically repressed states.“ 64

57 vgl., Hopf/Weingartner, 1979, 169; Jensen, 2002, 240ff. 58 Coronel, 2001 59 alle ebd. 6 60 ebd. 11 61 ebd. 14 62 beides ebd. 15 63 In „The right to know” heißt es dazu: „Much public spending is treated as a state secret in Vietnam and only the bare-bones data of the budget are made available to the press…Business reporters also complain that

242 Mediennutzung in Vietnam

Mit dieser Darstellung soll vor allem deutlich gemacht werden, dass die Sammlung von Daten und Informationen über Vietnam äußerst schwierig und zeitintensiv ist. Deshalb können viele Aspekte nicht vollauf befriedigend belegt werden, und die Interpretationen verbleiben somit zwangsläufig oft auf einer tendenziell hypothetischen Ebene. Die Hauptschwierigkeit dieses Beitrags bestand darin, überhaupt Informationen zu erhalten, mit deren Hilfe auf das Mediennutzungsverhalten der Viet- namesen zurückgeschlossen werden konnte. In einem autoritären System wie Vietnam spielen die Medien als Sprachrohr der Partei und der Führungselite vor allem eine ideologische Rolle. „The job of the press, according to the law, is to protect the party lines and policies and the state law, detect and promote positive factors, and struggle against erroneous thought and action.“.65 Medien die- nen der Erziehung des Volkes im Sinne der Staatsideologie und sollen nationale Einigkeit schaffen. Zu diesem Zweck sind alle Medien staatlich. Subventionierungen, wenn auch rückläufig, spielen eine wichtige Rolle. In einem solchen Umfeld liegt der Gedanke an Publikums- oder Nutzungsfor- schung fern, denn die Frage, was die Rezipienten sehen, hören oder lesen wollen und wie man auf ihre Bedürfnisse eingehen kann, stellt sich erst in einer vielfältigen Medienlandschaft, in der die verschiedenen Angebote um Werbefinanzierung und Aufmerksamkeit konkurrieren. Eine etwa mit Deutschland vergleichbare Mediaforschung existiert in Vietnam nicht. Dennoch ist es möglich Quellen aufzutun, die hinsichtlich der Mediennutzung interpretiert werden können.

2.3.2 Vorstellung und kritische Betrachtung der Quellen dieses Beitrags Die Präsentation des Untersuchungsrasters hat gezeigt, dass viele Faktoren der Mediennutzung so- ziodemographischer Art sind. Für statistisches Datenmaterial dieser Art wurden hauptsächlich fol- gende Quellen zu Rate gezogen: (a) United Nations World Statistics Pocketbook, (b) United Na- tions Statistical Yearbook for Asia and the Pacific, (c) Socialist Republik of Vietnam Statistical Yearbook, (d) United Nations Demographic Yearbook und (e) Asia Yearbook der Far Eastern Eco- nomic Review. Informationen zu Mediensystem, Gesellschaftssituation und Kultur ließen sich hauptsächlich in fachfremder, d.h. nicht-kommunikationswissenschaftlicher Literatur finden. Wobei sich gerade In- formationen über die vietnamesische Medienlandschaft fast ausschließlich in Sammelwerken über den asiatischen bzw. südostasiatischen Raum verbargen. Oft blieben die Angaben jedoch recht ober- flächlich oder waren veraltet. Die wertvollsten Quellen ergaben sich demnach erst während des Rechercheaufenthalts in Hanoi. Die Wahl des Standortes für die vertiefende Recherche vor Ort fiel auf Vietnams Hauptstadt, da sich dort nicht nur die wichtigsten staatlichen Stellen befinden, sondern auch viele Zeitungsredaktionen und das vietnamesische Fernsehen ihre Hauptsitze haben. Darüber hinaus haben in Hanoi auch

state-owned enterprises are almost impossible to cover accurately. Vietnam Airlines is an example, said one reporter who has tried for years to obtain raw financial data from the firm. “It’s just not available”, he said. Similarly, ailing banks and other key institutions are tough to cover.“, ebd. 212. Die durchweg staatlichen vietnamesischen Medien gehören eindeutig auch zu diesen sogenannten Schlüsselinstitutionen über die Infor- mationen nur sehr schwer zu bekommen sind. 64 ebd. 7 65 Neumann, 2001, 209

243 Mediennutzung in Vietnam sämtliche ausländischen und internationalen Organisationen ihren Standort, deren Archive, Fach- kompetenz und Kontakte für diesen Beitrag unabdingbar waren. Während der Recherche vor Ort stieß ich auf einige wichtige Dokumente und konnte insgesamt neun Interviews66 sowie eine Reihe von weiteren Gesprächen mit internationalen Medienbeobachtern, sowie mit Personen, die aufgrund ihrer Arbeit oder Position als Experten auf dem Gebiet der vietnamesischen Medien gelten können, durchführen. Zunächst blieben die Interviews auf Personen beschränkt, die englisch oder franzö- sisch sprachen, doch gegen Ende der Recherchereise bot sich dann die Möglichkeit, mit Übersetzern zu arbeiten. Dies führte zu einer enormen Bereicherung des Quellenmaterials.67 Allein die Erschlie- ßung dieser persönlichen Quellen vor Ort erforderte viel Geduld und Fingerspitzengefühl und meist auch die Empfehlung durch einen Fürsprecher. „There is widespread distrust of the official statistics available...and most reporters say they still rely on source relationships for most information“, heißt es in „The right to know“.68 Direkte Anfragen bringen vielfach nicht die gewünschten Resultate, denn, wie ein Journalsist von Tuoi Tre erklärt, „…if you approach government officials directly, they are still afraid to release figures.“ 69 Wenn man fremd ist, stellt dies natürlich ein fast unüber-

66 Experteninterviews: Nicolas Boissez, Attaché audiovisuel à l’Ambassade de France, 16.01.04; Frau Nguyen Thu Hoai, VJA -Vietnam Journalists Association, 18.01.04; Herr Dang Ngoc Dinh, VUSTA - Vietnam Union of Science and Technology Association, 19.01.04; Franck Renaud, ESJ - École Supérieure de Journalisme de Lille, 19.01.04; Andrei Pecherine, St. Petersburg State University, (Verfasser einer Studie über die Nutzung von Jugendpresse in Hanoi), 27.01.04; Herr Nguyen Ngoc Oanh, Institute for Press, Journalism & Communication, Fachgebiet Radio & TV, 30.01.04; Prof. Dr. Mai Quynh Nam, Institute of Sociology, Vietnam National Center for Social Sciences and Humanities, 30.01.04; Herr Nguyen Van Phuong, VTV International Relations, 02.02.04; Nguyen Nam Son, VTV Jugendprogramm, 02.02.04 67 Folgende vor Ort erschlossene und nur schwer zugängliche Quellen sind für diese Arbeit von zentraler Bedeutung: Taylor Nelson Sofres Media Habit Survey (TNS MHS): Das MHS wird nach der „stratified multi-stage sampling procedure“ (TNS MHS 2003: 7) erstellt. Die Interviews für das dieser Arbeit zugrundeliegende MHS wave 2-2003 fanden vom 29.10.-18.11.03 in den Bezirken von Hanoi, Ho Chi Minh Stadt, Da Nang und Can Tho (urbane und ru- rale Gebiete dieser Bezirke) statt. Dabei handelte es sich um „face-to-face“-Interviews anhand eines strukturierten Fragebogens, die jeweils ca. 60 Minuten dauerten. Die Größe des Samples, in das nur Personen, die mindestens 15 Jahre alt waren, aufgenommen wurden betrug 2.181 Personen. Da die jüngere Generation (0-14 Jahre) jedoch rund 36% der Bevölkerung ausmacht, hat man die an der Studie teilnehmenden Personen mit eigenen Kindern auch nach deren Mediengewohnheiten befragt. Neben Erkenntnissen über „Media penetration“, „Readership“, Radio Liste- nership“ und „Viewership of television“, liefert das MHS auch Informationen über „Household demographics“ und „Durable ownership“. Tran Huu Quang (2001) Portrait des Medienpublikums. Eine Soziologische Studie in HCM Stadt: Die Studie ba- siert auf einer Rezipientenbefragung per Fragebogen von 184 Familien mit insgesamt 697 Personen ab 16 Jahren. Darüber hinaus wurden 10 Tiefeninterviews geführt. Die Ergebnisse aus diesen Interviews wurden anschließend sta- tistisch ausgewertet. Die Studie beschränkt sich auf die Südmetropole HCM Stadt. Dabei würden aus dem Verwal- tungsbereich HCM Stadt vier Bezirke ausgesucht von denen einer rural (Binh Chanh) und drei urban sind. Insgesamt besteht HCM Stadt aus 22 Bezirken (17 urbane, 5 rurale). Die Unicef-Studie Mass media and informal Networks in a northern Delta Region wurde von der Ho Chi Minh National Academy for Sociology and Informatics im Jahr 1992 für Unicef durchgeführt und sollte „the effectiveness of information channels to people in two areas of the North“ (S. 1) ermitteln. Sie wurde parallel in einer urbanen und einer ländlichen Gegend durchgeführt, was aufgrund der starken Stadt-Land-Diskrepanz in Vietnam von großer Be- deutung ist. Aus jeweils 500 kontaktierten Personen wurden für jede der beiden Regionen (ländlich und urban) 40 Probanden für „In-depth interviews“ (Unicef Studie 1993: 1) ausgesucht. A Performance Analysis of the Swedish Support to Media Development in Vietnam (SIDA): Im Rahmen des En- gagements der Swedish International Development Cooperation Agency (SIDA) des schwedischen Außenministeri- ums organisiert das Institute for Further Education of Journalists (FOJO) Trainings- und Medienentwicklungspro- gramme in Vietnam (vgl.: SIDA- und FOJO-Websites). Die Performance Analysis (Elmqvist/Fredriksson 2003) wurde zur Effektivitätskontrolle des schwedischen Medienengagements in Vietnam Anfang des Jahres 2003 durch- geführt und bietet interessante Einblicke in die vietnamesische Medienlandschaft. 68 Coronel, 2001, 211 69 ebd.

244 Mediennutzung in Vietnam windliches Hindernis für die Recherche dar und „Networking“ wird unerlässlich. Eine Recherche vor Ort bringt aber auch den Vorteil mit sich, dass bei einer derartigen Quellenlage direkte Beobach- tungen helfen können, die erhaltenen Informationen zu beurteilen. Abgesehen von den Interviews konnte ich in Vietnam auch einige Dokumente sammeln, die entscheidend zum Verständnis der Mediennutzung in Vietnam beigetragen haben. Für Angaben zur Verbreitung der Medien in Vietnam ist das Ministry of Culture and Information (MoCI) zuständig. Im Jahr 2000 hat das MoCI ein „Vietnam Press Directory“ herausgegeben. Darin sind alle Printmedien Vietnams mit Angaben zu Erscheinungsfrequenz, Auflagen, Redaktionssitz etc. aufgelistet. Dabei handelt es sich um die offiziellen gedruckten Auflagen aller Zeitungen und Zeitschriften. „Schwer festzustellen wie viele verkauft, kostenlos verteilt worden oder am Kiosk lie- gengeblieben sind...Das hängt auch von der jeweiligen Zeitung ab (Nhan Dan beispielsweise, das offizielle Parteiorgan verkauft sich schlecht, wird aber viel in Verwaltung, Volkskomitees, etc. ver- teilt).“ 70 Die Angaben des MoCI stellen die offiziellen Versionen von Informationen dar, d.h. sie sind immer im Einklang mit den Vorstellungen der Regierung des Landes. Wenn man davon aus- geht, dass hinter jeder Datenerhebung ein bestimmtes Interesse steht, bleibt fraglich, inwiefern diese Angaben mit der Realität übereinstimmen. Während in der freien Marktwirtschaft höhere Auflagen auch höhere Werbeeinnahmen bedeuten,71 gehorcht die Zahlenpolitik in Vietnam einer anderen Ideologie. So hat das offizielle Parteiblatt Nhan Dan als wichtigste Zeitung Vietnams zu gelten, völlig ungeachtet ihrer tatsächlichen Leserschaft. Fragt man also beim Journalistenverband Vietnam Journalists Association (VJA) nach der wichtigsten Zeitung, bekommt man die offizielle und linien- treue Antwort „Nhan Dan“. Vergleicht man dies jedoch mit den Erhebungen der internationalen Marktforschungsagentur Taylor Nelson Sofres, muss man feststellen, dass Nhan Dan in der Liste der beliebtesten Zeitungen gar nicht auftaucht. Nicht weniger schwierig ist es, die Verbreitung von Radio und Fernsehen festzustellen. Meist be- kommt man nur wage Prozentangaben, deren Erhebungsgrundlage jedoch völlig im Dunkeln bleibt. In Vietnam gibt es keine Gebührenerhebung für die Nutzung von Radio und Fernsehen und somit auch keine genauen Zählungen darüber, wie viele Haushalte mit Empfangsgeräten ausgerüstet sind, da diese nicht angemeldet werden müssen. Um also über die Verbreitung von Radio und Fernsehen nachvollziehbare Aussagen machen zu können, bleibt einzig der Rückgriff auf die Hochrechnungen der wenigen in Vietnam tätigen Marktforschungsinstitute, die ihre Daten aber ungern kostenlos preisgeben. Taylor Nelson Sofres machte für diesen Beitrag eine Ausnahme. In Vietnam gibt es keine technischen Messverfahren zur Erhebung von Daten zur Mediennutzung. Angaben von VTV International Relations zufolge behilft man sich mit Zuschauerumfragen, die aber seien „quite generate and not very deeply conducted“.72 Genaue Zuschauer-, Hörer- oder Le- serzahlen für bestimmte Sendezeiten sind jedoch überhaupt nicht zu bekommen. Eine Ausnahme

70 Nicolas Boisses, Ambassade de France, per E-Mail 71 Die Problematik vom Einfluss des Marktzwanges auf die Mediadaten wird von (Meyen, 2001a, 41-47) beschrieben. 72 Interview mit Herrn Phuong, VTV International Relations

245 Mediennutzung in Vietnam stellt eine veröffentlichte aber nicht übersetzte vietnamesische Studie zum Medienpublikum in Ho Chi Minh Stadt dar, von der mir eine Zusammenfassung des Autors auf Französisch vorliegt.73 In vielen Fällen hat man zu einem Sachverhalt keine vielfältigen Quellen zum Vergleich. Als weit- gehend aussichtslos muss der Versuch gewertet werden, den genauen Ursprung, die Erhebungsme- thode oder die Durchführungsumstände (Zeitraum, Anzahl der Befragten, Wortlaut der Fragen) von vielen Daten zu überprüfen. Viele Maßstäbe,74 die normalerweise bei der Auswertung von empiri- schem Datenmaterial beachtet werden müssen, um zu qualitativen Aussagen zu kommen, fanden folglich keine Berücksichtigung. Man sollte sich jedoch im Klaren darüber sein, dass auch für Da- ten, deren Entstehung nachvollziehbar ist, nicht unbedingt eine Validitäts-Garantie besteht. In Deutschland gibt es bereits eine lange Mediaforschungstradition und das daraus hervorgegangene empirische Datenmaterial hat über die Jahre sicher an Präzision gewonnen, dennoch kann man letzt- lich immer nur von einer „Scheingenauigkeit“ solcher Daten sprechen, da das „eigentliche, natürli- che“ Mediennutzungsverhalten „der direkten Beobachtung entzogen ist“.75 Die Einschätzung der Qualität der Quellen und die Interpretation und Bewertung der gesammelten Daten und Informationen stellte sicher die größte Herausforderung dieses Beitrags dar.

3. Kartographie und Organisationsform der vietnamesischen Medienlandschaft Das Medienangebot einer Region76 sowie die Ausstattung der Haushalte mit Radio- und Fernsehge- räten77 haben Einfluss auf das Mediennutzungsverhalten. Gleichzeitig spiegeln Indikatoren wie Reichweiten und Nutzungsdauern der verschiedenen Medientypen die Mediengewohnheiten wi- der.78 Die folglich aufgeführten Fakten über Entwicklung, Organisationsform, Angebotssituation und Verbreitung der Medien in Vietnam, stellen streng genommen bereits Determinanten der Me- diennutzung dar. Es erscheint jedoch sinnvoll, diese Aspekte gesonderten vorab zu behandeln. Denn Ziel ist es, Faktoren zu ermitteln, die die Mediennutzung in Vietnam determinieren. Um das leisten zu können, muss in einem ersten Schritt geklärt werden, welches Medienangebot in Vietnam exis- tiert und wie es organisiert wird. Erst im Folgenden kann ein Bild des Nutzungsverhaltens der viet- namesischen Rezipienten skizziert werden. Dies wird anhand von Informationen über die Zeitungs- bzw. Gerätedichte, Verbreitung, Dauer, Frequenz und Zweck der Nutzung erfolgen.

3.1 Mediensituation im politischen Kontext Wichtigstes Grundprinzip der vietnamesischen Medienlandschaft ist ihre ausnahmslos staatliche Organisationsform. Es gibt keinen privaten Sektor im Medienbereich. Die staatliche Ideologie der kommunistischen Einheitspartei weist den Medien eine wichtige Rolle in der systemkonformen Er- ziehung des Volkes und als Sprachrohr und Promotionsapparat der politischen Führung zu. In einer Rede der Vietnam Journalists Association (VJA) anlässlich des „First East Asia Journalists Forum

73 Tran Huu Quang, 2001 74 vgl. dazu Meyen, 2001a, 54; Hasebrink/Herzog, 2002, 110 75 Schulz, 1996, 198 76 vgl. Webster/Wakshlag, 1983, 434 77 vgl. Donsbach, 1991, 207; McQuail, 1996, 302; Gustafsson/Weibul, 1997, 256, 258 78 vgl. Hasebrink/Herzog, 2002, 108

246 Mediennutzung in Vietnam

Korea” 79 heißt es, vietnamesische Journalisten seien „active in the propagandizing field...populariz- ing the Party and Government decisions and policies“. Innerhalb der Medien, die als „official news channel to help the Party, Government in conducting the country“ dienen, „journalists have taken part in recognizing, praising and broadening the symbols of the good people...for the goal of build- ing a...strong country...maintain the social stability, enhance the great national unity block“. Gleichzeitig heißt es jedoch, „news resources are not limited“ und man unterstreicht die Informati- onsvielfalt der vietnamesischen Medien. „There are news of the produce, business, construction of legal and authority State, development of culture, education, technology, sports, external affairs, education of new people and reservation and protection of the nation culture identity.“ 80 Dieser Widerspruch zeigt sich bereits in der vietnamesischen Mediengesetzgebung.81 In Art. 69 der viet- namesischen Verfassung heißt es: „The citizen shall enjoy freedom of opinion and speech, freedom of press, the right to be informed, and the right to assemble, form associations and hold demonstra- tions in accordance with the provisions of the law.“ 82 In Art. 33 wird diese Freiheit jedoch wieder eingeschränkt: „The State shall strictly ban all activities in the fields of culture and information that are detrimental to national interests, and destructive of the personality, morals, and fine lifestyle of the Vietnamese...“ 83 Die Formulierung der in Art. 33 aufgeführten Einschränkungen ermöglicht eine willkürliche Auslegung, weshalb Neumann zum Schluss kommt: „There is no right to infor- mation in Vietnam...“ 84 In einer medienpolitischen Typologie der Staaten Südostasiens, rangieren Vietnam und Myanmar, in der Kategorie der „Nondemocracies“.85 Vietnam ist eines der wenigen politischen Systeme, welches offiziell nicht vom kommunistischen Kurs abgekommen ist. Seit dem 6. Parteikongress der KPV (1986) vollziehen sich jedoch markt- wirtschaftliche Impulse, mitsamt einer Öffnung des Landes. Diese Erneuerung (Doi Moi)86 be- schränkt sich weitgehend auf den wirtschaftlichen Sektor, politisch behielt die Führung die Zügel fest in der Hand: „Eine wichtige Tatsache: Es gibt aktuell keine privaten Medienangebote in Viet- nam. Alle Medien sind direkt (beispielsweise von einem Ministerium herausgegeben) oder indirekt (durch lokale Volkskomitees, Parteiorganisationen...) an den vietnamesischen Staat gebunden.“ 87 Was dies konkret für die Organisation des Mediensektors in Vietnam bedeutet, geht aus einem Be- richt des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien hervor. Darin be- schreibt Nguyen Xuan Tho die Struktur der vietnamesischen Medienlandschaft indem er zunächst zentrale und regionale Medien unterscheidet und anschließend zwischen Parteimedien, Staatsme-

79 Vorlage der VJA-Begrüßungsrede zum Seminar I: „The role of the journalists for the East Asia Development“. First East Asia Journalists Forum Korea, 05.-10.10.2003 80 ebd. 81 vgl. Neumann, 2001, 207 82 ebd. 83 ebd. 84 ebd. 216 85 Coronel, 2001, 9; Eine detaillierte Schilderung und Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit in Vietnam wird von der vorliegenden Arbeit nicht vorgenommen. Hierzu seien folgende Werke empfohlen: Nguyen Xuan Tho, 1992; Marr, 1998; Coronel, 2001 86 Zum Thema Doi Moi sei Klump/Mutz, 2002 empfohlen. 87 Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben

247 Mediennutzung in Vietnam dien, Branchenmedien und Medien der Volksfront differenziert. Die folgende Tabelle veranschau- licht diese Medienstruktur. 88

Tabelle 4: Aufbau der vietnamesischen Medienlandschaft

Parteimedien Staatsmedien Branchenmedien Medien der Volksfront zentrale Tageszeitung: Nhan Dan Radio: Voice of Vietnam (VoV) Zeitungen der Zeitungen verschiedener Ebene Zeitschrift: Cong San Fernsehen: Vietnam Television Berufsverbände: Organisationen: z.B. (VTV) z.B. Metall, Frauen, Jugend, Kirche Nachrichtenagentur: Vietnam Medizin, Ver- News Agency (VNA) kehr Armeezeitung: Quan Doi Nhan Dan regionale Tageszeitung der Parteilei- Radio- und TV-Sender in jeder Ebene tung/Provinz: z.B. Hanoi Provinz Moi, Saigon Giai Phong Trotz dieser verschiedenen Ebenen gilt, dass alle Medien an die Partei gebunden sind, unabhängig davon, welche Interessengruppe (Branchen oder Organisationen) sie jeweils vertreten.89 Der durch den Doi Moi-Prozess entstandene Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Selbstverantwor- tung der Medien und gleichzeitiger politischer Überwachung spiegelt sich demnach auch in der Orga- nisation des Mediensystems wider. Die Medien verbleiben inhaltlich unter der strengen und aufmerk- samen Kontrolle der KPV, sind jedoch seit einigen Jahren stärkerer für ihre Finanzierung verantwort- lich, da die staatlichen Subventionen weitgehend gestrichen wurden.90 Während die politische Füh- rung Lizenzen vergibt und die Zensurgewalt innehat, versuchen die Medien in diesem Rahmen Ange- bote zu entwickeln, die sich durch Werbe- und Verkaufseinnahmen selbst tragen können. Der wirt- schaftliche Erfolg einiger Medien, vor allem im Printsektor (Fernsehen- und Radio sind insgesamt strengerer Kontrolle unterworfen), ermöglicht ihnen einen größeren Spielraum, auch was die inhaltli- che Gestaltung betrifft. So wurden in den letzten Jahren verstärkt negative Erscheinungen, wie Kor- ruption oder Misswirtschaft thematisiert. Beispielsweise sei auf die Nam Cam-Affäre91 hingewiesen, die 2002 das Land erschütterte. Dabei handelte es sich um einen der größten bekannt gewordenen Korruptionsfälle in der jüngsten Vergangenheit des Landes. Truong Nam Cam, Kopf eines landesweit operierenden Unterweltsyndikats, hatte es geschafft, sein Netzwerk bis in hochrangige Positionen von Polizei und Partei auszuweiten. Obwohl Beobachter davon ausgehen, dass die lebhafte und durchaus kontroverse Berichterstattung,92 die die Enthüllung der Affäre mit sich brachte, nur mit dem Segen der Regierung möglich geworden war, attestierte man den „self-financed newspapers...a bolder attitude, while the more controlled VTV had a more cautious view.“ 93

88 Nguyen Xuan Tho, 1992, 6ff. 89 ebd. 6 90 Nguyen Xuan Tho, 1992, 19f. 91 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 20ff. 92 „But...in the Nam Cam case reporters have really pushed the limits for investigative reporting and reporting on negative news in Vietnam, which greatly boosted their circulation and gave enormous response from the readers in terms of letters and e-mails. The limits were pushed so far, that the Ideological Department saw it necessary on sev- eral occasions to request the media to stop reporting. Some of the papers have once again showed that much of the reporting on scandals and corruption in Vietnam is done in the south, where papers are considered more agressive and dynamic. This time they were not alone...“, ebd. 22 93 ebd.

248 Mediennutzung in Vietnam

Für das staatliche Radio Voice of Vietnam (VoV) war die Nam Cam-Affäre besonders delikat, da es sich bei einer der in die Affäre verwickelten, hochrangigen Persönlichkeiten, um den Generaldirek- tor von VoV und gleichzeitig Vorsitzenden der Vietnam Journalists Association (VJA) handelte.

3.2 Printmedien 3.2.1 Entstehung und aktuelle Situation Offiziell werden in Vietnam zwei Zeitalter der Primentmediengeschichte, vor und nach der Unab- hängigkeit, unterschieden. Die erste vietnamesischsprachige Zeitung, Gia Dinh Bao, erschien 1865 in Saigon. Als erster vietnamesischer Journalist gilt der Leiter von Gia Dinh Bao, Truong Vinh Ky. Zuvor hatte es bereits einige französischsprachige Zeitungen im kolonialen Vietnam gegeben. Aber sowohl diese, als auch die meisten vietnamesischsprachigen Zeitungen dieser Zeit, dienten den Inte- ressen der französischen Besatzer und der assimilierten Vietnamesen. Deshalb gilt aus einem ande- ren Geschichtsverständnis heraus, Thanh Nien als erste Zeitung Vietnams. Sie wurde von Ho Chi Minh gegründet und erschien erstmals am 21.06.1925. An diesem Tag findet nun alljährlich der nationale vietnamesische Pressetag statt.94 Dazu heißt es in einer Rede der VJA, anlässlich des „East Asia Journalists Forum Korea“: „The first Vietnam newspaper published in Vietnamese was brought out 100 years ago, but the revolutionary and people press has been issued for 78 years, since June 21st, 1925, on the same day when President Ho Chi Minh - The great leader of the Viet- nam people, the prominent poet, revolutionary and outstanding man of culture of the world signifi- cance, founded the Youth Newspaper. So far, this Day (June, 21st) has become the Day of Vietnam Revolutionary Press.“ 95 Das durch Kolonialisation, Krieg und Teilung des Landes gekennzeichnete 20. Jh. stellt keine fruchtbare Periode für die Entwicklung der Printmedien dar, da die Rahmenbedingungen vor allem für Druck und Distribution nicht günstig waren.96 Zwischen 1959-75 kam es zu „wide fluctuations in the number of periodicals - from a low of 16 to a high of 81 and an average of 37 over a 16-year period.“ 97 In den ersten Jahren der Nachkriegszeit (ca. 1975-85) erschienen etwa 200 Titel, die von insgesamt ca. 3.000 Journalisten gestaltet wurden. Der Inhalt der Zeitungen sowie aller Medien wurde überwacht und war der staatlichen Ideologie unterworfen, die den Aufbau einer neuen Ge- sellschaftsform in einem vereinten Vietnam verfolgte. In dieser Zeit gab es „no competition“ und „every newspaper had the same content.“ 98 Erst mit Beginn des Erneuerungsprozesses (Doi Moi) kam es auch zu einer dynamischen Entwicklung im Mediensektor. Zum einen, da sich die finanziel- le Situation der Abnehmer verbesserte, zum anderen, da die Medien ihre Budgets seither weitge- hend eigenständig generieren mussten. Damit bestand für die Zeitungen nun die Möglichkeit, Ge- winne zu erwirtschaften, die in den eigenen Haushalt zurückfließen konnten. Dennoch gibt es ge- genwärtig keine privaten, vom Staat unabhängigen Zeitungen. Als Herausgeber treten entweder die

94 vgl. Panol/Do, 2000, 464 95 Vorlage der VJA-Begrüßungsrede zum Seminar I: „The role of the journalists for the East Asia Develop- ment.“ First East Asia Journalists Forum Korea, 05.-10.10.2003 96 vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA) 97 Panol/Do, 2000, 466 98 vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA)

249 Mediennutzung in Vietnam

KPV, die lokalen Volkskomitees oder die Ministerien auf. Die der KPV angehörenden Berufs- oder sozialen Organisationen wie Gewerkschaften und Frauen- oder Jugendbünde sind berechtigt, Zei- tungen herauszubringen.99 Subventionen erhalten jedoch nur wenige Printmedien. Laut VJA befin- den sich unter den Zeitungen, die staatlich unterstützt werden, die „Volkszeitung“ Nhan Dan und Cong San sowie die Zeitung der Volksarmee Quan Doi Nhan Dan. Parallel zu einer wachsenden Anzahl von Titeln ist die Zahl der Journalisten auf ca. 13.000 gestie- gen. Fast alle Journalisten sind im offiziellen Journalistenverband VJA organisiert. 3.2.2 Das Angebot Der Printmedienmarkt besteht aktuell nicht nur aus lokaler und nationaler Tagespresse. Gerade der Zeitschriftenmarkt ist von besonderer Dynamik gekennzeichnet. Hier finden sich zahlreiche Titel aus den Bereichen: Kinder- und Jugendpresse, Sportzeitschriften, Frauenzeitschriften, Boulevard- sowie Wirtschaftsmagazine. Auch werden einige Zeitungen in Fremdsprachen veröffentlicht. Dar- unter befinden sich die beiden, von der vietnamesischen Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) herausgegebenen, Zeitschriften Vietnam News und Le Courrier du Vietnam. Eine Zeitung, Liberated Saigon, erscheint in chinesischer Sprache.100 Seit 1997 das Internet zugänglich wurde, sind einige vietnamesische Zeitungen mit Online-Versionen (teilweise in englisch) vertreten, und es sind in den letzten Jahren auch reine Netz-Zeitungen entstanden.

3.2.2.1 Generalistische Tagespresse Nationale Tageszeitungen: In die Kategorie der nationalen Tageszeitungen fallen Publikationen, wie Nhan Dan (180.000 Exemplare), Thanh Nien (165.000 Exemplare), Lao Dong (80.000 Exemplare) oder Quan Doi Nhan Dan (70.000 Exemplare). Vietnamesische Tageszeitungen (sowohl die natio- nalen wie auch die lokalen) haben meist eine sehr geringe Seitenzahl. Viele umfassen gerade einmal vier Seiten. Dem vom MoCI publizierten „Press Directory“ zufolge ist Thanh Nien, mit durch- schnittlich 14 Seiten, die umfangreichste Tageszeitung Vietnams. Die Formate der Tageszeitungen variieren, in der Regel sind sie jedoch kleinformatiger, als etwa deutsche Qualitätszeitungen. Viele der nationalen Tageszeitungen publizieren nebenbei auch wöchentliche oder monatliche Supple- ment-Ausgaben, wie beispielsweise Quan Doi Nhan Dan Cuoi Tuan (Wochenendausgabe der Volksarmeezeitung) mit 50.000 Exemplaren.101 Lokale Tageszeitungen: In der Regel werden diese von den Provinzorganisationen der KPV heraus- gegeben. Aber auch Nguoi Lao Dong, eine Publikation der Gewerkschaft von Ho Chi Minh Stadt oder An Ninh Thu Do, die von der Hanoier Polizei publiziert wird, fallen in diese Kategorie. Die KPV unterhält in allen 61 Provinzen des Landes eine Zeitung, darunter sollen sich aber nur wenige selbst tragen können.102 „Les jouraux de province vietnamiens ne se trouvent pas pour l’instant au

99 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 9 100 Weitere fremdsprachige Publikationen: Saigon Times, Vietnam Investment Review, Vietnam Economic Times (engl.) und Vietnam Scoop (frz.) 101 alle Angaben vgl. Xunhasaba, 2004; MoCI, 2000 102 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 11

250 Mediennutzung in Vietnam même stade de développement que leurs “grandes frères“ nationaux (pas de dynamisme commer- cial, ni journalistique).“ 103 Eine Ausnahmestellung nimmt die Zeitung Tuoi Tre ein, die auf regionaler Ebene in Ho Chi Minh Stadt herausgegeben wird, aber im ganzen Land gelesen wird. Tuoi Tre erscheint in einer hohen Auflage von 260.000 Exemplaren und ist damit die auflagenstärkste vietnamesische Tageszei- tung.104 Auch in Gesprächen wird sie als die beliebteste Tageszeitung Vietnams genannt. Tuoi Tre trägt sich selbst und verzeichnet neben Verkaufseinnahmen nach eigenen Angaben rund 70.000US$/Woche Werbeeinnahmen.105 Allgemein müssen die Lokalzeitungen der vier großen selbstverwalteten Städte (Hanoi, Ho Chi Minh Stadt, Danang, Hai Phong) von denen der verbleibenden 57 Verwaltungseinheiten (Provin- zen) unterschieden werden. So sind auch Hanoi Moi (50.000 Exemplare) und Saigon Giai Phong (100.000 Exemplare) nicht ausschließlich auf das Stadtgebiet beschränkt, sondern ihre Leserschaft ist weitverstreut. Die kleinen Lokalzeitungen dagegen werden in der Regel ausschließlich in ihren Heimatprovinzen gelesen und ihre Auflagen sind mit zwischen 4-5.000 Exemplaren niedrig.106 Fi- nanziell sind diese Publikationen meist völlig von der jeweils als Herausgeber fungierenden Organi- sation abhängig.107

3.2.2.2 Magazinpresse Der Reichtum an Magazintiteln ist verblüffend, auch wenn die Zeitschriften noch sehr oft auf einfa- chem Papier und bis auf die Titelseite in s/w-Druck erscheinen. Gerade in diesem Bereich hat sich der Printmarkt in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt.108 Manche Titel der Magazinpresse sind wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich und die Konkurrenz unter den Blättern ist groß. Das gilt besonders für „die dynamischsten/lebhaftesten Sektoren“ 109 wie Frauenzeitschriften, Boule- vard- und Sportmagazine. Boulevard- bzw. Sensationsmagazine: Unter Boulevard- bzw. Sensationsmagazinen sind in Viet- nam Publikationen zu verstehen, die von verschiedenen Stellen der vietnamesischen Polizei heraus- gegeben werden. Mit den Ordnungskräften als Herausgeber haben diese Zeitschriften den direkten Zugriff auf die neusten Verbrechen und Kriminalfälle des Landes. Dies scheint sich für die Magazi- ne an der Kioskkasse auszuzahlen: „Das gute Geschäft lockt viele staatliche Organe...und die meis- ten neuen Publikationen stammen aus dem Polizeiapparat und aus der Justiz. Denn unter dem Vor- wand “die revolutionäre Wachsamkeit zu erhöhen“ können sie Lizenzen zur Verbreitung ihrer billi- gen Krimis erhalten.“ 110 In dieser Sparte erscheinen die auflagenstärksten Titel Vietnams. Die zwei wichtigsten unter ihnen sind die Wochenzeitschrift An Ninh The Gioi (500.000 Exemplare) und Bao

103 Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben 104 vgl. MoCI, 2000 105 vgl. Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenangaben 106 vgl. MoCI, 2000 107 alle Angaben vgl. MoCI, 2000; Boissez, 2002; Xunhasaba, 2004 108 vgl.: Nguyen Xuan Tho, 1992, 7 109 Boissez, 2002, Bericht ohne Seitenzahlen 110 Nguyen Xuan Tho, 1992, 20

251 Mediennutzung in Vietnam

Cong An Thanh Pho Ho Chi Minh (350.000 Exemplare), eine Zeitschrift die zweimal wöchentlich erscheint.111 Cong An steht auf Platz eins der TNS-Readership-Top10.112 An Ninh The Gioi belegt Platz 3 der Leading-Publication-Charts. Sportzeitschriften: Wie fast überall auf der Welt ist auch in Vietnam das Thema Sport und insbe- sondere Fußball sehr beliebt. Das spiegelt sich natürlich in einer Vielzahl von Sporttiteln wieder, die eine große Leserschaft erreichen, und denen ein ansehnlicher Marktanteil sicher ist. Zu nennen wä- ren hier The Thao Van Hoa (zweimal/Woche, 200.000 Exemplare), The Gioi The Thao oder The Thao Vietnam. Die Zeitschrift Bong Da kann man beispielsweise als das vietnamesische Equivalent zum Kicker bezeichnen. Der Fußballsport stellt zudem einen beträchtlichen Anteil des Fern- sehprogrammes des vietnamesischen Fernsehens VTV dar. Das dritte Programm VTV3 beendet sein Programm täglich mit einem Top-Spiel der English Premier League und auch zur Mittagszeit wird immer ein Fußballspiel gesendet.113 Frauenzeitschriften: Der Markt auf dem Sektor der Frauenzeitschriften ist vielseitig und die Kon- kurrenz groß. Im Allgemeinen unterscheidet Boissez zwischen „traditionellen/klassischen Titeln“ mit vorwiegend politischen und sozialen Inhalten wie The Gioi Phu Nu oder Phu Nu Ha Noi und der „neuen Welle“-Titeln mit jüngeren Inhalten wie Mode und Lifestyle. In dieser Zeitschriften- sparte findet sich das teuerste Magazin Vietnams, Dep, das sich mit einem stolzen Preis von derzeit 19.800 Dong (1,5US$) an ein junges, städtisches und gut situiertes Publikum zu richten scheint. The Gioi Phu Nu ist mit einer Auflage 100.000 Exemplaren, die führende Frauenzeitschrift.114 Kinder- und Jugendpresse: Die Kinder- und Jugendpresse stellt in Vietnam eine bedeutende Sparte dar, da etwa die Hälfte der Bevölkerung jünger als 20 Jahre ist.115 Diese Sparte wird konsequent vom Staat subventioniert. Die Blätter werden von verschiedenen Jugendorganisationen herausgege- ben und oft an den Schulen kostenlos verteilt. Zu nennen ist beispielsweise die Zeitschrift Ni Dong (150.000 Exemplare). Eine weiteres Jugendmagazin, Sinh Vien Viet Nam, erscheint wöchentlich mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren.116 Es gilt darauf hinzuweisen, dass einige der liberalsten und dynamischsten Zeitschriften und Zeitungen Vietnams von den Jugendorganisationen des Landes herausgegeben werden. Dies gilt im Besonderen für Tuoi Tre. Obwohl diese Zeitschrift streng ge- nommen zur Jugendpresse gehört, entspricht sie inhaltlich eher einer generalistischen Zeitung und hat sich als eine der beliebtesten Zeitungen auf dem vietnamesischen Markt etabliert.117 In den TNS Charts der „Leading Publications“ steht Tuoi Tre auf dem zweiten Platz.118 Wirtschaftspresse: Auf diesem Sektor erscheint derzeit eine Reihe von Titeln, die nur eine eher be- grenzte Leserschaft erreichen.119 Zu nennen wäre hier die dreimal wöchentlich erscheinende Thoi

111 vgl. MoCI, 2000 112 vgl. Leading Publications, TNS/MHS, 2003, 34 113 alle Angaben vgl. Boissez, 2002 114 ebd. 115 vgl. UN, 2002b, 221 116 vgl. Boissez, 2002; MoCI, 2000 117 vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA); Franck Renaud (ESJ Lille) 118 vgl. TNS/MHS, 2003, 34 119 vgl. Boissez, 2002

252 Mediennutzung in Vietnam

Bao Kinh Te Viet Nam (30.000 Exemplare). Von dieser Zeitschrift erscheint auch eine englische Monatsausgabe (Vietnam Economic Times, 3.500 Exemplare). Weiterhin werden in dieser Sparte die Wochenzeitschrift Thoi Bao Kinh The Sai Gon (Saigon Economic Times) und auch die dreimal wöchentlich erscheinende Thoi Bao Tai Chinh (Financial Times) publiziert.120

3.2.3 Verbreitung 3.2.3.1 Zeitungsdichte Aus internationalen Statistiken geht für Vietnam eine Zeitungsdichte von 4 Exemplaren/1.000 Ein- wohnern hervor.121 Dieser Wert wurde auf Basis von Zahlen des Jahres 1996 errechnet. Zum dama- ligen Zeitpunkt gab es in Vietnam nur zehn Zeitungen, die laut Unesco-Definition einer Tageszei- tung mit in die Berechnung der Zeitungsdichte einfließen konnten.122 Diese zehn Zeitungen er- schienen in einer Gesamtauflage von 300.000 Exemplaren.123 Obwohl es gerechtfertigt erscheint, die Aktualität dieses Wertes anzuzweifeln, wurde er bisher nicht neu berechnet. Während des Re- chercheaufenthaltes in Hanoi wurde der Versuch unternommen, die Zeitungsdichtezahl für Vietnam zu aktualisieren. Es ist zwar nicht gelungen, über die VJA an eine Liste der Zeitungen zu gelangen, die ganz aktuell der Unesco-Definition einer Tageszeitung entsprechen würden. Doch schließlich fanden sich andere Anhaltspunkte, die eine Neuberechnung der Zeitungsdichte möglich machten. Obwohl es schwierig ist, über die tatsächliche Anzahl der in Vietnam erscheinenden Periodika eine Aussage zu machen, kann man davon ausgehen, dass zum aktuellen Zeitpunkt über 600 Printtitel erscheinen.124 In einem Artikel der Zeitung Lao Dong vom 27.01.04 heißt es sogar, dass es im De- zember 2003 insgesamt mehr als 650 periodische Druckerzeugnisse in Vietnam gab, die von etwa 500 verschiedenen Organen herausgegeben wurden. Besonders lebhaft gestaltet sich dabei der Zeit- schriftenmarkt. Der VJA zufolge,125 die sich auf Angaben des Ministry of Culture and Information (MoCI) beruft, existierten im Jahre 2003, 642 Periodika.126 Insgesamt seien dem MoCI zufolge im Jahr 2003, 675 Mio. Zeitungsexemplare im Umlauf gewesen. Doch diese Zahl schließt alle Arten von Periodika mit ein, während die von der Unesco berechnete Zeitungsdichte, nur solche Publika- tionen berücksichtigt, die mindestens viermal/Woche erscheinen. Aus den Zahlen des MoCI geht hervor, dass sich die Anzahl der Tageszeitungen von 10 (1996) auf 23 (2003) erhöht hat.127

120 vgl. MoCI, 2000; Boissez, 2002 121 vgl. UN, 2002a, 206 122 Unesco-Definition einer Tageszeitung, UN, 2002a, 225: „Daily newspapers are periodic publications, issued at least four times a week, intended for the general public and mainly designed to be a primary source of written information on current events connected with public aff.airs, international questions, politics etc.“ 123 vgl. ITU, 2002, 15; Panol/Do, 2000, 473 124 vgl. MoCI, 2000; Interview mit Herrn Prof. Dr. Mai Quynh Nam (Institute of Sociology) 125 Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai (VJA) 126 152 landesweite Zeitungen, 141 Lokalzeitungen, 333 Zeitschriften/Magazine, 16 Bulletins 127 Titel (Auflage): Tuoi Tre (260.000), Nhan Dan (180.000), Thanh Nien (165.000), Tien Phong (100.000), Cong An Nhan Dan (100.000), Lao Dong (80.000), Quan Doi Nhan Dan (70.000), Nguoi Lao Dong (60.000), The Thao TP HCM (60.000), Ha Noi Moi (50.000), Tin Tuc (50.000), Nông Ngiep Viet Nam (23.000), Hai Phong (15.000), Sai Gon Giai Phong (13.000), Kinh Te va Do Thi (10.000), Nghe An (10.000), Bac Giang (5.200), Quang Nam (5.000), Binh Dinh (4.000), Can Tho (4.000), Phu Tho (4.000), Thua Thien Hue (4.000), Da Nang (3.500)

253 Mediennutzung in Vietnam

Aus der Gesamtauflage von 1,27 Mio. Exemplaren ergibt sich eine Zeitungsdichte von knapp 16 Exemplaren/1.000 Einwohner. Diese ist deutlich höher, als die bisher angegeben Werte. Nichtsdes- totrotz lässt auch dieser Wert auf eine nur sehr geringe Verbreitung von Printmedien schließen. Inte- ressant ist dabei aber, dass sich offensichtlich ein Aufwärtstrend feststellen lässt.128 Die niedrige Zeitungsdichte Vietnams stellt den Ausgangspunkt dieser wissenschaftlichen Analyse dar. Mögli- che Faktoren, die die geringe Verbreitung von Zeitungen in Vietnam begründen, werden zu einem späteren Zeitpunkt analysiert. 3.2.3.2 Zugang, Frequenz, Dauer und Zweck der Nutzung Tran Huu Quangs Studie zur Mediennutzung in Ho Chi Minh Stadt ergab, dass etwa 33,6% der Befragten täglich Zeitung lesen, während gleichzeitig etwa ebenso viele, 33,7%, fast nie Zeitung lesen.129 Differenziert nach urbanen und ruralen Zonen des Verwaltungsbereichs von Ho Chi Minh Stadt kam eine starke Diskrepanz zutage: Urabane Zone (täglich=38,6%, nie=25,1%), Rurale Zone (täglich=17,1%, nie=61,6%). Printmedien werden in Vietnam in Buchhandlungen, Postämtern und an Straßenständen angeboten. Zeitungsverkäufer verkaufen ihre Waren in Restaurants, Cafés, Stra- ßenkneipen und vor Hotels. Abonnements sind möglich, aber kaum verbreitet. Der direkte Zei- tungskauf dominiert mit 65,5%, vor dem Ausleihen in beispielsweise Bibliotheken (38,4%) und dem Abonnement (13%).130 Ferner gaben die meisten Befragten in der Studie an, Zeitung zu lesen, um die aktuellen Nachrichten zu verfolgen. Als zweithäufigster Grund wurde Unterhaltung genannt, und schließlich die Erweiterung von Kenntnissen. Diejenigen, die angaben Zeitung zu lesen, wid- meten sich pro Tag durchschnittlich 26 Minuten (urbane Zone: 27, rurale Zone: 21) der Lektüre.131

3.3 Radio 3.3.1 Entstehung und aktuelle Situation Radio existiert in Vietnam seit Mitte des 20. Jh. Die vietnamesische Radioanstalt Dai Tieng Noi Viet Nam (Voice of Vietnam; VoV) wurde 1945 in Hanoi gegründet.132 Heute werden Radioprogramme auf drei Ebenen angeboten. Neben den drei landesweiten Sendern von VoV gibt es 61 Provinzsender und laut VoV-Website „528 district stations“. Der vietnamesische Hörfunk beschäftigt ca. 1.500 Angestellte.133 Das Radio gilt als das starrste und schwerfälligste Medium Vietnams: „Compared to the print media...radio broadcasters were far slower to take advantage of the relative relaxation of state controls from the mid-1980s onward. This reflected an institutional hardening of the arteries at Voice of Vietnam, with the top leadership remaining intact for almost half a century, very little authority being delegated to section heads, and directors of local stations reporting directly to Ha- noi unlike newspaper editors, who dealt mostly with diverse city-level supervisors.“ 134

128 Die Zeitungsdichte berechnet sich: (Total Average Circulatation (or copies printed) x 1000)/Country Popu- latation: (1.275.700 Exemplare x 1000)/80 Mio. Einwohner = 15,94625/1000 Einwohner 129 vgl. Tran Huu Quang, 2001, 100 130 ebd. 97 131 ebd. 109 132 vgl. Nguyen Long 1998: 65 133 vgl. ebd. 134 Marr, 1998, 13

254 Mediennutzung in Vietnam

3.3.2 Das Angebot Voice of Vietnam (VoV): VoV bietet insgesamt sechs Programme an. Gesendet wird nicht nur in vietnamesisch, sondern auch in einigen Minderheitsdialekten, wie Hmong oder Khmer, und in ins- gesamt zwölf Sprachen ins Ausland.135 VoV bietet ein generalistisches Programm. Eine starke Sen- derdiversifizierung findet nicht statt, von der groben Richtungsvorgabe, die jeder Sender bekommt, einmal abgesehen. Es gibt beispielsweise keine reinen Musiksender oder Sender, deren Angebote auf verschiedene Alterszielgruppen hindeuten würden. Dennoch gibt es eine Art Aufgabenvertei- lung zwischen den VoV-Sendern. So sendet VoV1 Nachrichten, Aktuelles und Musik, VoV2 Bil- dungs- und Kulturprogramme sowie Wirtschaftsnachrichten, Soziales und Bildungsprogramme und VoV3 wiederum, Musik und allgemeine Nachrichten. Die drei weiteren VoV-Programme bedienen verschiedene Sparten. VoV4 stellt ein Programmangebot für die ethnischen Minderheiten136 in Viet- nam dar, VoV5 ist an in Vietnam lebende Ausländer gerichtet und VoV6 sendet an die im Aus- land137 lebenden Vietnamesen. VoV ist auch im Internet vertreten und gibt eine Wochenzeitschrift und eine Monatsmagazin heraus.138 Die Regional- und Kommunalsender: Die 61 Provinzradiostationen sind VoV angegliedert. Sie ver- werten in ihrem Angebot die VoV-Nachrichten und produzieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch eigenes Programm. Doch häufig mangelt es an Geld, gut geschultem Personal und auch an technischer Ausstattung. Förderungen der SIDA sollen nun Abhilfe schaffen. Mit Trainingspro- grammen soll die Qualität und Attraktivität gefördert werden. „When the project was initiated in 1993-94, none of the local radio stations had live broadcasting; the working methods were old fash- ioned and there was only one-way communication with the listeners, the programs were poor.“ 139 Nach ca. 10 Jahren hatte man mit dem Projekt schon fast 50% der insgesamt 61 Provinzsender er- reicht und dort Konzepte wie „Live Broadcasting“ und „Public Service Radio“ bekannt gemacht. Gleichzeitig wird den Sendern auch nahegelegt, Hörerbefragungen durchzuführen, damit besser auf die Wünsche des Publikums eingegangen werden kann.140

3.3.3 Verbreitung Laut „UN Statistical Yearbook for Asia and the Pacific“ gab es im Jahr 1997, 8 Mio. Radiogeräte in Vietnam,141 bei einer Radiodichte von 110 Geräten/1.000 Einwohner.142 11,9% aller Haushalte besitzen ein Radiogerät.143 Die Studie zur Mediennutzung im Verwaltungsbereich von Ho Chi Minh Stadt ergab, dass dort durchschnittlich 60,7% der Haushalte ein Radiogerät besitzen.144 Rund 69,6% der Befragten gaben an, fast nie Radio zu hören und nur durchschnittlich 12,5% sagten von

135 vgl. ITU, 2002, 16 136 In Vietnam leben insgesamt 54 verschiedene ethnische Minderheiten, Wulf, 1995, 39ff. 137 In Europa ist VoV6 zu empfangen unter: 7390 kHz, 7440kHz und 13740 kHz. 138 vgl.: VoV-Website 139 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 35 140 ebd. 35 141 2003, Dieser Wert entspricht der aktuellsten Angabe in dieser Statistik. 142 vgl. UN, 2003, 589 143 vgl. TNS/MHS, 2003, 22 144 Tran Huu Quang, 2001

255 Mediennutzung in Vietnam sich, die würden fast täglich Radio hören. Allerdings war in der ländlichen Zone die „fast tägliche“ Hörerschaft mit 23,8% deutlich höher als in der städtischen Zone (9%)145 und auch aus dem „Media Habit Survey von Taylor Nelson Sofres“ 146 geht hervor, dass auf dem Land mehr Radio gehört wird als in den Städten. Die Verbreitung des Radios ist vor allem im urbanen Vietnam stark rückläufig. Sie gestaltet sich somit umgekehrt proportional zu der der Printmedien. „The national radio has lost some of its position in the competition with other media, and is now facing a future of radical changes to overcome this problem“, heißt es in der „Sida Performance Analysis”. 147 Wer jedoch das Gerät einschaltet, widmet sich diesem Medium durchschnittlich 27 Minuten/Tag (Stadt: 24; Land: 34)148 und hört hauptsächlich zu Unterhaltungszwecken und seltener, um die Nachrichten zu verfolgen oder um seine Kenntnisse zu erweitern.149 Das Radio wird mit Schwankungen den gan- zen Tag über auf einem, im Vergleich zum Fernsehen, relativ niedrigen Level genutzt.150 Die Ra- dio-Prime-Time liegt zwischen 5.00-7.30 Uhr (mit Verschiebungen je nach Region).151

3.4 Fernsehen Das Fernsehen gilt heute als das wichtigste Medium Vietnams. Zwar werden genaue Aussagen über die Marktanteile und die Nutzungsverteilung der verschiedenen Medientypen durch einen Mangel an zuverlässigen statistischen Daten erschwert, jedoch bestätigen einfache Beobachtungen vor Ort diese Vormachtsstellung. Vietnamesische Wohnhäuser haben in der Regel ein zur Straße hin offe- nes Erdgeschoss. Dieses dient den meisten Familien als eine Mischung aus Wohn- und gegebenen- falls Geschäftsbereich, der vor den Blicken der Vorbeigehenden nicht abgeschirmt wird. In diesem Parterrebereich befindet sich in aller Regel auch das Fernsehgerät der Familie. Egal ob in Hanoi, Ho Chi Minh Stadt oder auf dem Dorf, der Beobachter gewinnt leicht den Eindruck, die von der Straße aus gut sichtbaren Fernsehgeräte seien ständig in Betrieb. Doch nicht nur dieser Eindruck stützt die Annahme einer Vorrangsstellung des Fernsehens innerhalb der vietnamesischen Medienlandschaft, auch der rasche Siegeszug dieses in Vietnam noch sehr jungen Mediums kann als Beweis für seine Beliebtheit bei der vietnamesischen Bevölkerung gewertet werden.

3.4.1 Entstehung und aktuelle Situation Die Ursprünge des vietnamesischen Fernsehens liegen in der Zeit der Teilung des Landes. Im Süden starteten die ersten Übertragungen mit Hilfe amerikanischer Unterstützung früher als im Nordteil. Doch die heute landesweit sendende staatliche Fernsehanstalt Dài Truyên Hình Viêt Nam (Vietnam Television, VTV) hat ihre Ursprünge im Norden des Landes. Dort erfolgte 1970 die erste Fernseh- ausstrahlung von Hanoi aus. Tägliche Fernsehübertragungen existieren jedoch erst seit 1976. Lan- desweit sendet VTV erst seit 1991.

145 ebd. 146 TNS/MHS, 2003, 71ff., 79 147 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 5 148 vgl. Tran Huu Quang, 2001, 166 149 ebd. 139 150 vgl.: TNS/MHS, 2003, 70 151 ebd. 70

256 Mediennutzung in Vietnam

In der Anfangszeit war für das Fernsehen noch eine Sonderabteilung des vietnamesischen Radios Voice of Vietnam verantwortlich. Heute ist VTV eine eigenständige Sendeanstalt mit Hauptsitz in Hanoi und vier weiteren regionalen Fernsehstationen in Hue, Da Nang, Phu Yen und Can Tho. Doch ebenso wie das Radio ist VTV „an organization directly affiliated to the Vietnamese Govern- ment“, d.h. es untersteht der Autorität des Premierministers und des Zentralkomitees der Partei.152

3.4.2 Das Angebot Schaltet man in Vietnam den Fernseher ein, bietet sich, gemessen an deutschen Gewohnheiten, ein ungewöhnliches Spektakel. Denn die vielen ausländischen Produktionen, die dort das Programm füllen, flimmern unsynchronisiert über den Bildschirm. Lediglich eine männliche und eine weibli- che Stimme liefern in einer Art „voice over“ bei gedimmtem Originalton eine Simultanübersetzung. Was dem Zuschauer, der Synchronisationen gewohnt ist, wie eine akustische Sparversion vor- kommt, scheint der Fernsehbegeisterung der Vietnamesen nicht im Wege zu stehen. Der Fernseher ist in den meisten vietnamesischen Haushalten fester Bestandteil des Abendprogramms. Dass diese Art der Freizeitgestaltung eher die Regel als die Ausnahme darstellt, kann ein jeder vor Ort selbst überprüfen. Da sich bei dem rein staatlichen Programmangebot die Auswahlmöglichkeit in Grenzen hält, sieht man abends, wenn man durch Ho Chi Minh Stadt oder Hanoi fährt, fast überall das glei- che Programm. Sehr beliebt scheinen fiktionale Unterhaltungsprogramme zu sein, meist ausländi- sche Produktionen, die vom vietnamesischen Fernsehen international eingekauft werden. Mehrteili- ge chinesische Kostümepen, aber auch koreanische oder japanische Teenager-Serien und deutsche Krimi-Produktionen wie „Kommissar Rex“, „Derrick“ und die „Helicops“ stehen hoch im Kurs.153 VTV gibt an, dass 49% des Programms Eigenproduktionen sind. Der verbleibende Prozentsatz wird mit anderen vietnamesischen und ausländischen Produktionen bestritten.154 „Soap operas and mov- ies, wither locally produced or imported, are carefully selected before telecast in order to provide viewers with diversified cultures and healthy contents“, heißt es in der VTV-Broschüre.155

Vietnam Television (VTV): „The tasks of VTV are to inform, educate, entertain and be a forum for the Vietnamese viewers on what they are concerned of and render their contribution to the national and social development in the way of peace, non-violence, human rights and democracy. It also conveys policies and guidelines from the Party to the people as well as to inform people of what the Government and the National Assembly do.“ 156 VTV bietet drei landesweit ausgestrahlte Program- me VTV1, VTV2 und VTV3 an. Darüber hinaus zudem noch ein Programm für Auslandsvietname- sen (VTV4) und seit Anfang 2002 auch ein spezielles Programm für die ethnischen Minderheiten Vietnams (VTV5). VTV1 wird als Nachrichten- und Informationssender präsentiert. Mit elf Nach- richtensendungen pro Tag „VTV covers vital news and events in Vietnam and abroad, as well as

152 VTV-Broschüre, 5 153 Die Vietnamesen bevorzugen westliche, chinesische und koreanische Produktionen, während Serien oder Filme aus Indien, Thailand oder den anderen Nachbarländern der Region nicht den vietnamesischen Geschmack treffen. Inter- view mit Herrn Dang Ngoc Dinh 154 VTV-Broschüre, 6 155 ebd. 12 156 ebd. 5

257 Mediennutzung in Vietnam features on political, economic and social matters.“ 157 VTV2 gilt als Bildungs- und Wissen- schaftssender und „reflects the special attention of the countries leaders to the education and im- provement of general knowledge for the people.“ 158 Auf dem Programm dieses Senders stehen beispielsweise Sprachkurse für Englisch, Chinesisch, Französisch, Japanisch und Russisch. Auch ausländisches Material wird täglich gesendet, angekauft beispielsweise vom Discovery Channel oder auch der Deutschen Welle. VTV3 sendet vor allem Unterhaltung und Sport und wird als der beim Publikum beliebteste Sender gehandelt. Sein Programm besteht aus Serien, Sport und Spiel- filmen, TV- und Quizshow, Musik-, Mode- und Varietésendungen, aber auch Nachrichten- und Informationsformate bereichern das Angebot.159 Auffallend ist, dass VTV3 den Programmtag täg- lich um sechs Uhr morgens mit Fußball einläutet und das Programm auch abends wieder mit einem Fußballspiel, meist aus der English Premier League, beendet. VTV4 ist ein Programmangebot für die vietnamesische Diaspora und wird nur im Ausland gesendet.160 Den Sender VTV5 gibt es erst seit 2002. Dieses Angebot versorgt die ethnischen Minderheiten Vietnams mit Informationen in sieben verschiedenen Dialekten. Dadurch soll die Loyalität der Bevölkerungsgruppen zum vietnamesi- schen Staat gefördert werden, die mit eigener Sprache und Kultur in abgelegenen Bergregionen leben.161 Das Regionalfernsehen: Jede der insgesamt 61 Provinzen Vietnams hat ihren eigenen Regionalsen- der. Diese Regionalsender sind dem jeweiligen lokalen Volkskomitee unterstellt.162 Die meisten unter ihnen senden nur einen geringen Anteil an eigenständig produziertem Programm. Die VTV- Hauptnachrichten (täglich 19.00-19.45 Uhr) müssen von allen Programmen parallel gesendet wer- den. Einige dynamische Sender senden über die Grenzen ihrer Region hinaus. Die größten und qua- litativ hochwertigsten unter ihnen sind Ho Chi Minh City TV (HTV), gefolgt von Hanoi TV und den Stationen von Dalat oder Cantho.

3.4.3 Verbreitung Laut „World Statistics Pocketbook“ kommen in Vietnam auf 1.000 Einwohner 184 Fernsehgerä- te.163 Laut „Statistical Yearbook for Asia and the Pacific“ sind es 189,3 Fernseher/1.000 Einwoh- ner.164 Angaben von VTV zufolge werden ca. 80% der vietnamesischen Haushalte erreicht.165 Von der Sendeleistung ausgehend, wäre eine landesweite Abdeckung möglich. Der limitierende Faktor ist allerdings die zum Teil noch mangelhafte Stromversorgung.166 Das Fernsehen wird im Allge- meinen als das dominante Medium Vietnams bezeichnet. Dem „Media Habit Survey Wave 2-2003“ dem Marktforschungsinstituts Taylor Nelson Sofres zufolge, gaben 94,9% der Befragten an, ihr Haushalt sei mit einem Fernsehgerät ausgestattet. Dabei ist zu beachten, dass die Gerätedichte in

157 ebd. 9 158 ebd. 11 159 ebd. 160 In Westeuropa kann es über Satellit (Hotbird.3; 12.100MHz) empfangen werden. VTV-Broschüre, 15 161 ebd. 6, 13 162 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 12 163 vgl. UN, 2002a, 74; Vergleichszahl Deutschland: 581 164 Zahl für 1999 165 vgl. VTV-Broschüre, 23 166 Interview mit Herrn Phuong (VTV)

258 Mediennutzung in Vietnam urbanen Regionen mit 96,1% höher ist als auf dem Land (88,2%). Auf die höchste Gerätedichte unter den befragten Haushalten stößt man in Hanoi. Dort besitzen 97,2% ein Fernsehgerät.167 Betrachtet man die Nutzungsintensivität über den Tag verteilt, fällt auf, dass es in Vietnam zwei fast gleichwertige Primetimes gibt. Zwischen 12.00-13.00 Uhr wird fast ebensoviel ferngesehen, wie in den nutzungsintensiven Abendstunden.168 Hasebrink/Herzog nennen dieses Phänomen die „Siesta- Phase“169 und begründen sie mit unterschiedlichen institutionellen Zeitstrukturen und kulturellen Tra- ditionen in verschiedenen Ländern.170 In Vietnam ist die Mittagspause ein wichtiger Bestandteil im Tagesablauf. Daran orientiert sich auch das Fernsehen und setzt hauptsächlich beliebte Serien ins Pro- gramm. Abends nimmt die Fernsehnutzung ab 17.00 Uhr immer mehr zu, erlebt einen kurzen Ein- bruch (18.30-19.00 Uhr) um dann wieder stark anzusteigen.171 Um 19.00 Uhr werden in Vietnam auf allen Programmen parallel (außer auf dem Bildungssender VTV2, der um diese Zeit meist Dokumen- tationen ausstrahlt), die VTV-Abendnachrichten gesendete.172 Die Studie zur Mediennutzung im Ver- waltungsbereich Ho Chi Minh Stadt ergab eine durchschnittliche tägliche Sehdauer von zwei Stunden und sieben Minuten. Im städtischen Bereich wird dabei etwas länger ferngesehen als in den ländlichen Zonen (2:11 zu 1:54). Die meisten unter den Befragten gaben an, das Fernsehen zu Unterhaltungs- zwecken zu nutzen. Erst dann werden Nachrichten und Kenntniserweiterung genannt.173

3.5 Internet 3.5.1 Entstehung und aktuelle Situation Erste Versuche mit der neuen Technik gab es an vietnamesischen Universitäten schon seit Beginn der 1990er Jahre. 1992 kam es zu einer Kooperation zwischen dem Hanoi Institute of Information Technology (IOIT) und der Austalian National University (ANU). „In its early days, batches of e- mails were sent five times a day from ANU to Hanoi, where they were hand delivered (via motor- bike) around the city.“ 174 Daraus entwickelte sich das erste interne Netzwerk Vietnams und 1996 waren ca. 300 wissenschaftliche Institute mit dem IOIT verbunden.175 1997 wurde das Internet für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die ersten Internetnutzer mussten sich in Geduld üben und darüber hinaus tief in die Tasche greifen. Homepages bauten sich nur sehr langsam auf, was nicht nur an den langsamen Verbindungen lag, sondern auch noch durch eine mächtige Firewall verstärkt wurde, die die vietnamesischen User bis heute von vielen ausländischen Inhalten abschirmt, die der politischen Führung unliebsam sind: „Access to foreign content is controlled via a firewall. Sites that are considered offensive or contrary to the government’s perspective are blocked. The Ministry

167 vgl. TNS/MHS, 2003, 21 168 ebd. 52ff. 169 Hasebrink/Herzog, 2002, 119 170 ebd. 117 171 vgl. TNS/MHS, 2003, 52ff. 172 Herrn Nguyen Van Phuong (VTV) erklärte dazu: „Generally speaking they watch tv during all the day. Some people work in the morning others in the afternoon. But the time slot were most people are watching is between 6 and 11 pm. For young people it is slightly delayed between 5 and 7 pm.“ Das ist auch der Grund dafür, dass zu dieser Ta- geszeit große Hollywoodproduktionen, wie „Legends of the Fall“ oder „The Matrix“ gezeigt werden. 173 vgl. Tran Huu Quang, 2001, 126, 134 174 ITU, 2002, 18 175 ebd.: 19

259 Mediennutzung in Vietnam of Interior decides which sites are blocked...Sometimes users complain about lack of access to par- ticular sites, but more they complain about the slower speeds caused by filtering software.“ 176 Heute erfreut sich das Internet einer so beachtlichen Nutzung, dass die Regierung sich gezwungen fühlt, eine konkrete Regulierung in Angriff zu nehmen. Der Leiter der Ideologieabteilung der KPV sagte dazu im September 2002: „…the regulations governing the e-newspaper sector were still un- clear while authorities had not paid sufficient attention to the strong points of these sites.“ 177 Man hat sich offensichtlich vom Erfolg des Internets überraschen lassen. „And in a nation where 63% of the population is under 30 years old the ruling Communist party views any sign of youthful protest via Internet as particularly threatening to political stability...“ 178 Doch auch was das Internet betrifft ist die politische Führung ein Diener zweier Herren. Zwar be- trachtet man einerseits die durch das Internet steigenden Kommunikationsmöglichkeiten, die sich teilweise der Kontrolle der Partei entziehen, argwöhnisch, zum anderen kann sich die Regierung wiederum nur schwer gegen die wirtschaftlichen Entwicklungspotentiale, die man sich von der neu- en Technologie verspricht, sperren: „The Internet is perceived as a powerful tool for research and economic development. It is also perceived as a potential threat by opening up access to a variety of views and opinions that are not always consistent with the Vietnamese government.“ 179 Und wäh- rend man sich um strenge Kontrolle des neuen Kommunikationsraumes bemüht, gibt es gleichzeitig Bemühungen, die Verbreitung des Internets vor allem auch in den ländlichen Gebieten Vietnams zu fördern. Davon zeugen Pläne, kostenlose Internetzugänge in den Postämtern des Landes einzurich- ten und die Tarife für Telekommunikation und Internet zu senken.180

3.5.2 Verbreitung Die Größe der Internetgemeinde Vietnams kann nur geschätzt werden. In der 1998 erschienenen Publikation von David Marr, „The Mass Media in Vietnam”, hieß es noch eher pessimistisch: „For some years to come it seems likely that foreigners will gain more from Vietnam’s Internet connec- tion than the vast majority of Vietnamese.“ 181 Und auch die „Internet Case Study” prognostiziert noch vorsichtig: „Although there are a growing number of cybercafés, these are in the main cities and appear to be primarily utilized by expatriates and tourists.“ 182 Zwar hatte sich seit der Einfüh- rung des Internets die Anzahl der Internetabonnenten jedes Jahr mehr als verdoppelt, aber man ging dennoch davon aus, dass sich diese Entwicklung auf einem sehr niedrigen Level einpendeln würde. Ende des Jahres 2000 gab es in Vietnam rund 100.000 Internetabonnements, was einer Verbreitung von nur einem Abonnenten/1.000 Einwohnern entspricht.183 Doch die Anzahl der tatsächlichen Nutzer ist nur schwer schätzbar. „Most estimates are based on multiplying the number of subscrib-

176 ITU, 2002, 22 177 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19f. 178 ebd. 20 179 ITU, 2002, 18 180 ebd. 22 181 Marr, 1998, 20 182 ITU, 2002, 19 183 ebd.

260 Mediennutzung in Vietnam ers by a factor of no more than two.“ 184 So schätzte man die Zahl der Nutzer Ende des Jahres 2000 auf insgesamt etwa 200.000. Die Penetrationsrate lag mit 0,25 Prozent bei einem User/389 Einwoh- nern oder 2,5 Internetnutzer/1.000 Einwohnern.185 Doch trotz des schwierigen Starts und eher zu- rückhaltender Prognosen sehen Medienbeobachter die Situation heute etwas anders. „Internet has expanded unexpectedly and is now an increasingly important communication medium especially for young people.“ 186 Optimistischere Werte liefert dann auch ein Blick ins „Statistical Yearbook for Asia and the Pacific 2002“ 187, denn das nennt bereits einen geschätzten Wert von gut 1 Mio. Inter- netnutzer. Die Einschätzung, dass die wachsende Anzahl von Cybercafes in den Städten „appear to be primarily utilized by expatriates and tourists“,188 muss heute sicher etwas revidiert werden. Die unzähligen Internetcafes sind jedenfalls voll von einheimischen Jugendlichen. Und das Internet scheint zum aktuellen Zeitpunkt auch wirklich ein Medium vor allem für Städter und junge Leute zu sein.189 So heißt es in der „Internet Case Study“, dass „86 percent of all subscribers“ 190 aus Hanoi und Ho Chi Minh Stadt sind, obwohl die Einwohner dieser beiden Städte nur etwa 10% der Ge- samtbevölkerung ausmachen. Vietnam leidet demnach unter dem sogenannten „Digital Divide“. Ältere, formal weniger Gebildete und Bewohner ländlicher Gebiete geraten, was den Zugang zu neuen Kommunikationstechniken betrifft, ins Hintertreffen.191 Aus dem „TNS Media Habit Survey Wave 2-2003“ geht hervor, dass letztlich nur 22,3% der Vietnamesen bereits einmal das Internet genutzt haben.192 Tägliche nutzen das Internet sogar nur 3,8% der Bevölkerung und mindestens einmal pro Woche nur insgesamt 14,9%.193

3.6 Skizze der Mediennutzung Zu Beginn des Beitrages habe ich bereits auf die komplizierte Daten- bzw. Quellenlage in Vietnam hingewiesen. Obwohl die Recherche vor Ort schließlich zu einer Reihe von Informationen führte, bleiben Aussagen über die tatsächliche Nutzungsverteilung schwierig. Deshalb musste zunächst auf Basis von Experteneinschätzungen ein grobes Bild gezeichnet werden. Besonders ergiebig war in diesem Zusammenhang das Interview mit dem Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins Science and the Country, Herrn Dang Ngoc Dinh, der auch schon als Berater für die Publikation Jörg Be- ckers über Internet und Medien in Vietnam fungierte.194 Den Stellenwert der verschiedenen Medien innerhalb der vietnamesischen Gesellschaft beschreibt er wie folgt: Noch vor ca. 15 Jahren war das Radio das wichtigste Medium in Vietnam. An zweiter Stelle standen die Zeitungen und das Fernse- hen rangierte erst an dritter Stelle. Denn nur das Radio erreichte damals all die abgelegenen Gebiete Vietnams. Das Fernsehen bot diese Möglichkeit nicht und wurde vor allem auch durch Elektrizitäts-

184 ebd. 185 ebd. 18f., 22 186 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 5 187 UN, 2003, 588 188 ITU, 2002, 19 189 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 18ff., 26 190 ITU, 2002, 22 191 Hasebrink/Herzog, 2002, 121 192 vgl. TNS/MHS, 2003, 112 193 ebd. 27 194 Becker, 2002

261 Mediennutzung in Vietnam engpässe in seiner Reichweite limitiert. Radiogeräte dagegen konnten leicht auch mit Batterien be- trieben werden. Der zeitnahe Vertrieb von Zeitungen war nur eingeschränkt möglich, da das Stra- ßen- und Verkehrsnetz in Vietnam nur mangelhaft ausgebaut war. Ländliche Gebiete oder gar abge- legene Bergregionen mussten sich deshalb meist mit veralteten Ausgaben zufriedengeben, die zum Teil schon eine Woche zuvor die Druckereien verlassen hatten. (Die Lage hat sich zwar etwas ver- bessert doch die schwache Infrastruktur limitiert bis heute den Erfolg von Printmedien in Vietnam). Das Internet wurde erst ab 1997 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heute bietet sich ein geteil- tes Bild der Mediennutzung in Vietnam. Unterschieden werden muss in erster Linie zwischen urba- nen Gebieten und den ländlichen Regionen des Landes. Dennoch gilt das Fernsehen sowohl in der Stadt, als auch auf dem Land als das wichtigste Medium, das von den meisten Menschen am häu- figsten genutzt wird. Herr Dang Ngoc Dinh sieht die Gründe hierfür vor allem in der Struktur- schwäche des Landes, die den Vertrieb von Zeitungen erschwert und im dynamischeren Charakter des Fernsehens und der Attraktivität der bewegten Bilder. Dann jedoch teilt sich das Bild, und wäh- rend in den Städten an zweiter Stelle der Mediencharts die Zeitungen stehen, ist im ruralen Vietnam das Radio das zweitwichtigste Medium. Zeitungen kommen auf dem Lande dagegen erst an dritter Stelle der Skala. Das Internet spielt in ländlichen Gebieten noch eine sehr geringe Rolle. In den Städten dagegen ist es heute das Radio, das so gut wie gar nicht genutzt wird. Zum drittwichtigsten Medium hat sich hier längst das Internet gemausert, was an den unzähligen Internetcafes deutlich wird, die in Städten wie Hanoi oder Ho Chi Minh Stadt wie Pilze aus den Boden schießen und zu den Hotspots der Freizeit- und Abendgestaltung vor allem von jungen Vietnamesen geworden sind. Die nun folgende Analyse soll zeigt, dass eine Reihe von Faktoren für diese Skizze der Mediennut- zung in Vietnam sprechen.

4. Determinanten der Mediennutzung in Vietnam Die Mediennutzung kann von verschiedensten Faktoren beeinflusst werden. Diese Multikausalität bedeutet natürlich ein Problem für die Darstellung der Faktorenuntersuchung, zumal sich einige der Determinanten der Mediennutzung nicht klar trennen lassen. Im vorliegenden Beitrag soll die Ana- lyse dennoch einem Untersuchungsraster folgen, das drei Bezugsebenen unterscheidet. In diesem Sinne sollen medienstrukturelle, soziogeografische und soziokulturelle Faktoren, von denen ein Einfluss auf die Mediennutzung in Vietnam zu erwarten ist, getrennt diskutiert werden. Um jedoch Wiederholungen zu vermeiden, wird versucht, die Determinanten wo es nötig und möglich ist in Verbindung zu setzen. So sind die soziogeografischen Faktoren Urbanisierung, Beschäftigung, Wirtschaftskraft und Mobilität kaum isoliert voneinander zu betrachten. Gleichzeitig steht der Fak- tor Urbanisierung aber auch in Zusammenhang mit soziokulturellen Faktoren, wie beispielsweise Kommunikationstraditionen oder auch medienstrukturellen Faktoren, wie Vertriebssystem oder Technikvorteil des Fernsehens.

262 Mediennutzung in Vietnam

4.1 Medienstrukturelle Faktoren 4.1.1 Werbemittelverteilung Die Betrachtung der Verteilung von Werbemitteln unter den verschiedenen Medientypen (Print, Radio, Fernsehen) erlaubt es, Rückschlüsse zu ziehen, auf die Beliebtheit und Wichtigkeit der ein- zelnen Medien und darauf, wie stark sie von den Rezipienten genutzt werden.195 Gustafsson/Weibull196 unterscheiden in ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa Zeitungs- nationen, Fernsehnationen und Nationen, in denen sich die Nutzung dieser beiden Medien die Waage hält. In Fernsehnationen entfallen 50% der Ausgaben der Werbetreibenden auf das Fernsehen und nur rund 20% auf die Printmedien. In Zeitungsnationen gestaltet sich das Verhältnis umgekehrt. Wendet man dieses Schema auf Vietnam an, würde das südostasiatische Land am ehesten in die Kategorie Fernsehnation fallen. Die Ausgaben für Werbung erreichten nach Angaben der Markt- forschungsfirma AC Nielsen im Jahr 2000 einen Wert von 152 Mio. US$. Dabei entfielen die höchsten Ausgaben auf Fernsehwerbung.197 Tabelle 4: Werbeaufkommen 2000 (in Mio. US$) 198

Fernsehen Printmedien Außenwebung Radio

82 47 18 5

Eine Werbeminute im Radio kostet ca. 35 US$, während im Fernsehen Minutenpreise von etwa 700 US$ üblich sind.199 Doch trotz dieses großen preislichen Unterschiedes hat Radiowerbung aktuell kaum eine Chance gegen die Konkurrenz des Fernsehens. Das liegt vor allem daran, dass das Radio in den urbanen Gebieten Vietnams, wo die kaufkräftigen Kunden leben, kaum genutzt wird. Auf dem Lande dagegen, wo das Radio noch einen höheren Stellenwert im Nutzungsprofil der Men- schen besitzt, hat man wenig Geld für den Konsum von Artikeln, die über die Grundbedürfnisse hinaus gehen. Die Printmedien dagegen können in diesem Zusammenhang von ihrer hauptsächlich urbanen Verbreitung profitieren. Auf die soziogeografischen Hintergründe dieses Stadt-Land- Gefälles soll jedoch erst im nächsten Kapitel näher eingegangen werden. Letztlich deutet der Status des Fernsehens als bevorzugtes Werbemedium darauf hin, dass mit die- sem Medium der größte Teil der vietnamesischen Bevölkerung erreicht werden kann. Das Radio, das die geringsten Werbeeinnahmen hat, leidet am meisten unter dieser Situation. „VoV needs more money“, heißt es beispielsweise in der „Sida Performance Analysis“.200 Die Position des Radios in der Nutzergunst wird durch den Geldmangel natürlich nicht verbessert. Das aktuelle Angebot ist für viele Hörer vor allem in den Städten nicht attraktiv genug. Fragt man beispielsweise die Einwohner von Hanoi nach ihrem Radiokonsum, so bekommt man meist eine Antwort wie:

195 vgl. Gustafsson/Weibull 1997: 249, 251, 267ff. 196 1997: 267f 197 BFAI, 2001 198 ebenda 199 vgl.: Elmqvist/Fredriksson 2003: 17f 200 ebd.

263 Mediennutzung in Vietnam

„Nobody is listening to the radio in Hanoi.“ Das ist scheinbar auch den Werbetreibenden bekannt: „Radio advertising is regarded as being in its infancy by the advertising business in Vietnam, and there are no figures available on advertising spending.“ 201

4.1.2 Konkurrenz der Angebote In ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa haben Gustafsson/Weibull202 der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Medientypen eine eher geringe Bedeutung für deren Nutzung im Ein- zelnen beigemessen. Dies lässt sich vor allem mit funktionellen Unterschieden der Medien erklären. Doch für Vietnam gilt, dass die Zeitung starke Konkurrenz durch die elektronischen Medien be- kommt, was sich auswirkt auf wichtige Funktionen der Presse, wie zum Beispiel die Lokalinforma- tionsfunktion. Hinzu kommt, dass in Vietnam eine Konkurrenzsituation nicht nur auf inhaltlicher Ebene besteht. In einem Land, das sich in der Entwicklung befindet, ist vor allem die Konkurrenz zwischen den Me- dientypen auf technisch-materieller Ebene von Bedeutung, wie die folgenden Abschnitte Kostenfak- tor und Vorsprung durch Technik zeigen werden.

4.1.2.1 Lokalberichterstattung Lokalinformationen stellen einen wichtigen Faktor für die Leser-Blatt-Bindung dar. Viele Leser in Deutschland beziehen eine Zeitung als Quelle für Informationen aus ihrem regionalen Umfeld. Lo- kalnachrichten stellen somit eine klassische Domäne der Zeitung dar.203 In den Zeitungen findet man in der Regel Informationen zu lokalen Veranstaltungen und Terminen. Regionale TV- bzw. Radiosender, als „flüchtige Medien“, sind was ihre Funktionalität für Terminansagen betrifft im Nachteil. Nur in der Zeitung lassen sich solche Termine bequem nachschlagen. Und auch Todesan- zeigen findet man in Deutschland nur in den Printmedien. Die vietnamesische Presse bekommt aber gerade auf der Ebene der Lokalinformationen starke Konkurrenz durch ein sehr umfassendes Regi- onalprogrammangebot des Fernsehens und auch des Radios in allen 61 Provinzen. Dabei lässt das vietnamesische Regionalfernsehen nichts aus. Die Provinz-TV-Angebote schließen sogar Todesan- zeigen mit ein. Diese sogenannten tin buon (traurige Nachricht) werden beispielsweise auf Hanoi TV mehrmals pro Woche am frühen Abend gesendet. Ein Phänomen, das man sich hierzulande nur schwer vorstellen kann. So loben Schönbach/Peiser204 die Dezenz der Zeitung, die ihr Inhalte er- möglichen würde, die von elektronischen Medien nicht angeboten werden könnten: „Ein Beispiel: Todesanzeigen - man stelle sie sich im Radio verlesen vor.“205 In Vietnam dagegen werden sie so- gar im Fernsehen verlesen und in weißer Schrift auf blauem Grund eingeblendet. Daran scheint sich niemand zu stören, im Gegenteil sind die „traurigen Nachrichten“ beim Publikum durchaus beliebt. In einem Restaurant im Universitätsviertel von Hanoi wurde der Bitte, auf ein anderes Programm umzuschalten erst nach Ende der Verlesung der Todesanzeigen nachgekommen.

201 ebd. 202 Gustafsson/Weibull, 1997, 259 203 vgl.: Schönbach/Peiser, 1998, 103; Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132 204 Schönbach/Peiser, 1998, 108 205 ebd.

264 Mediennutzung in Vietnam

Ferner ist Vietnam noch durchzogen von einem flächendeckenden Lautsprechersystem, das die Menschen, vor allem die ländliche Bevölkerung, zusätzlich mit aktuellen Informationen versorgt. Während in Hanoi nur zweimal am Tag, früh morgens und am späten Nachmittag kurze Lautspre- cherdurchsagen gemacht werden, erfüllt in Kleinstädten oder ländlichen Gebieten der scheppernde Klang der Lautsprecher über den ganzen Tag verteilt die Luft. Das Lautsprechernetzwerk untersteht dem Ministry of Culture and Communication (MoCI). Über die Lautsprecher werden Ansagen gemacht, Zeitungsartikel verlesen und Radioprogramme, inklusi- ve Musik, verbreitet. Für die konkrete Programmgestaltung ist allerdings das jeweilige lokale Volkskomitee zuständig, was zur Folge hat, dass jede Kommune ihr ganz individuelles Programm- angebot bekommt. „The staff charged with the creation of the program is reading, listening and watching other media and then programming according to the needs of the commune. It’s taylor- made program.“ 206 Wie viele dieser Lautsprecher in Vietnam im Einsatz sind, konnte im Zuge der Recherchen nicht geklärt werden. Sicher ist, dass es sie in jeder Kommune des Landes gibt. Das Netz verläuft parallel zur Stromversorgung. Die Flüstertüten sind an den Strommasten installiert und lassen ihre Botschaf- ten nicht nur im Dorfzentrum, sondern auch über die angrenzenden Reisfelder erschallen. In Vietnam hat sich die Presse auf Lokalebene nicht nur gegen die Konkurrenz der elektronischen Medien zu behaupten, sondern auch gegen eine in der Gesellschaft stark verwurzelte orale Traditi- on, auf die im Abschnitt über Kommunikationstraditionen noch näher eingegangen wird.

4.1.2.2 Kostenfaktor Als für die Zeitungslektüre zuträglich nennen Schönbach, Lauf und Peiser „ein gutes Einkommen, das den Bezugspreis von Zeitungen weniger wichtig werden lasse“ und „generell ein hoher sozio- ökonomischer Status, der es sozial erwünscht mache, Zeitung zu lesen“. 207 Während der Kostenfak- tor in Ländern mit einem hohen Lebensstandard weniger ins Gewicht fällt, spielt er in Vietnam eine entscheidende Rolle.208 Auch wenn die Zeitungspreise niedrig sind, entsprechen die durchschnittli- chen Kosten für eine vietnamesische Tageszeitung (zwischen 1.000-3.000 VND) in etwa dem Preis für ein Kilo Reis (ca. 1.300 VND, 7 Eurocent). Zeitschriften sind im Allgemeinen noch etwas teu- rer. Man bekommt sie ab etwa 3.000 VND. Das teuerste Magazin, die Modezeitschrift Dep (Schön) kostet gar 30.000 VND (1,5 Euro). Das vietnamesische Fernsehen hat gegenüber der Presse den Vorteil, dass sein Programm einen kos- tenlosen Service darstellt. In Vietnam werden keine Fernsehgebühren erhoben.209 Die Anschaffungs- kosten für ein Fernsehgerät dagegen, scheinen nur wenige Menschen vom Kauf abzuhalten. Das be-

206 Interview mit Herrn Nguyen Van Phuong/VTV; Hanoi, 02.02.04 207 Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132 208 Genaue Zahlen zu Wirtschaftskraft und Lebensstandard liefert im Folgenden das Kapitel über die soziogeografischen Faktoren der Mediennutzung (Beschäftigung, Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit). Zunächst reicht aus sich klarzuma- chen, dass es sich bei Vietnam um ein Schwellenland, mit einer im Vergleich zu Deutschland durchschnittlich sehr armen Bevölkerung, handelt. 209 „There is no license fee system in Vietnam“, heißt es hierzu in der Internet Case Study, ITU, 2002, 17; vgl. ebenso Le Thanh Binh, 2002, 41

265 Mediennutzung in Vietnam legt der hohe Prozentsatz von Fernsehhaushalten in Vietnam. Einige Anzeichen sprechen dafür, dass der Besitz eines Fernsehgerätes für Vietnamesen von großer Bedeutung ist. Auf das Phänomen des Fernsehers als Statussymbol soll aber zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer eingegangen werden. Letztlich ist es kaum verwunderlich, dass man an der Schwelle zum Wohlstand seine ohnehin knap- pen Ersparnisse lieber in bleibende Werte investiert, als täglich in ein paar Seiten bedrucktes Papier. Mit dem Fernseher bekommt das „leichtverderbliche“ Wegwerfprodukt Zeitung scharfe Konkurrenz von einem vorzeigbaren, bleibenden Wert, der darüber hinaus zur Unterhaltung der ganzen Familie beiträgt und nebenbei mehrmals täglich Presseschauen (Diem bao) sendet.

4.1.2.3 Vorsprung durch Technik versus Schwierigkeiten beim Vertrieb „The access to newspapers is, of course, of great importance.“ In der Studie zur Zeitungsnutzung in Europa210 waren, was die Zeitungsdichte betrifft, jeweils die Länder im Vorteil, die über ein effekti- ves Vertriebssystem verfügten. Dabei spielt vor allen Dingen die Möglichkeit des Abonnements eine Rolle, aber auch ein weit verzweigtes Netz von Verkaufstellen ist für die Zeitungsverbreitung förderlich.211 Beides lässt in Vietnam stark zu wünschen übrig. So heißt es in der “Sida Performance Analysis”: „the idea of subscriptions...is a non-existing tradition in Vietnam, except for the Party papers and other papers affiliated to the army for example, where conscription is compulsory.“ 212 In einer Zeitungsnation, wie Japan213 dagegen abonnieren etwa 94%214 der Leser ihr Blatt.215 Ein Hauptgrund für die geringe Zeitungsverbreitung auf dem Lande ist sicher die mangelhafte Infra- struktur. Die Sozialistische Republik Vietnam mit einer Größe von 329.240 Quadratkilometern216 liegt zwischen China, Laos und Kambodscha. Im Osten erstreckt sich eine 3.260 Kilometer lange Küstenlinie. Aufgrund des speziellen Umrisses mit den zwei breiten Flussdeltagebieten im Norden und Süden, die nur über einen sehr schmalen Streifen Land miteinander verbunden sind, vergleicht man die langgestreckte Form Vietnams oft mit der Lastentragestange, mit der man Marktleute und fliegende Händler auch heute noch überall in Vietnam ihre Waren transportieren sieht. Die Deltare- gion des Roten Flusses im Norden und die des Mekongs im Süden werden darüber hinaus in der Mitte des Landes noch von einer Bergkette getrennt. Insgesamt bestehen drei Viertel des Landes aus Gebirge und Hügellandschaft. Schlechte Verkehrsverbindungen in diesem ausgedehnten von vielen Gebirgsregionen und Wasser- läufen durchzogenen Land führen zu Distributionsschwierigkeiten und manchmal tagelangen Ver- spätungen. Während Straßen und Schienen noch nicht zufrieden stellend ausgebaut sind,217 wurden und werden größere Anstrengungen unternommen, die Sendetechnik zu optimieren. Die Subventio-

210 Gustafsson/Weibull, 1997 211 vgl. ebd., 265f. 212 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 44 213 Die Zeitungsdichte in Japan beträgt 664 Exemplare pro 1.000 Einwohner bei einer Gesamtauflage von 71,7 Mio Exemplaren, vgl.: Hohenadl, 4 214 vgl. Hohenadl, 2004, 126 215 „Zweifellos wären ohne dieses spezielle Vertriebssystem die hohen Auflagen der japanischen Tageszeitungen nicht möglich.“, Hohenadl, 2004, 129 216 vgl. UN, 2003, 584 217 vgl. ebd., 588

266 Mediennutzung in Vietnam nen des Staates fürs Fernsehen, die laut ITU 50% des TV-Haushaltes ausmachen,218 sind vor allem für große technische Entwicklungsprojekte gedacht, wie beispielsweise ein geplantes neues Produk- tionszentrum mit 17 digital ausgestatteten Studios.219 Dies geschieht „with the aim of providing a standard infrastructure to Vietnam Television’s expansion in the coming years“. 220 Laut VJA sind zwar heute alle großen Zeitungen noch am Erscheinungstag überall im Land erhält- lich,221 doch die Verkehrsverhältnisse lassen an dieser Behauptung zweifeln.222 Die Volksweisheit, nichts sei älter als die Zeitung von gestern, gilt auch in Vietnam. So trägt das Fernsehen nicht nur den „Sieg in Sachen Unterhaltung“ davon, 223 sondern oft auch den in Sachen Aktualität. Auch das Radio kann durch seine technische Verbreitung bei den Nutzern auf dem Land profitieren. Dort, wo Printmedien als Informationsquelle aufgrund von Distributionsschwierigkeiten nur stark eingeschränkt zugänglich sind, gewinnt das Radio an Bedeutung. Dies wird deutlich, betrachtet man die in urbane und rurale Gebiete differenzierten Radionutzungskurven. Besonders gut sichtbar ist die Diskrepanz im nutzungsintensivsten Zeitraum: In den frühen Morgenstunden wird das Radio in rura- len Gebieten stark genutzt, in urbanen Gegenden dagegen, wie den ganzen Tag über, nur schwach.224 Laut einer vietnamesischen Statistik sind nur 89,4% der Kommunen an die Stromversorgung ange- schlossen.225 Die stärkere Nutzung des Radios im ländlichen Bereich hängt vor allem mit Elektrizi- tätsengpässen zusammen. Während man ein kleines Transistorradio leicht mit Batterien betreiben kann, bietet sich diese Möglichkeit bei einem Fernsehgerät nicht ohne weiteres.

4.1.3 Sonderfall Internet 4.1.3.1 Rückzugsraum und Freizeitvergnügen für Jugendliche Die hauptsächlich jugendlichen Nutzer des Internets strömen vor allem in die Cybercafes, um dort zu chatten oder E-Mails zu schreiben.226 Die Tarife in den Internetcafes sind in den letzten Jahren gefallen. Ist in der Internet Case Study 227 noch von Preisen zwischen 300 und 400 Dong pro Minute die Rede, zahlt man aktuell für eine Stunde Internet-Access zwischen 3.000 und 4.000 Dong (ca. 25 Eurocent). Mit Preisen von 300 Dong pro Minute muss man nur noch in Cafes rechnen, die High- Speed-Internet an modernen Flachbildschirmen in schickem Ambiente anbieten.228 Die aktuellen Tarife sind für viele jugendliche Städter erschwinglich geworden. Doch die Internetcafes haben noch weitere Vorzüge, die den Aufenthalt dort für Jugendliche attraktiv machen. Viele bieten auch Computerspiele an und es können kleine Snacks, Süßigkeiten und Getränke konsumiert werden.

218 vgl. ITU, 2002, 17 219 vgl. VTV-Broschüre, 28 220 ebd. 19 221 vgl. Interview mit Frau Nguyen Thu Hoai 222 Die Fahrt von Hanoi aus ins rund 200 Kilometer entfernte Thanh Pho Tuyen Quang dauert im öffentlichen Kleinbus zwischen vier und fünf Stunden. 223 Noelle-Neumann, 1986, 34 224 vgl.: TNS MHS, 2003, Nutzungskurvendiagramm: Danang Radio Listenership 225 vgl.: SRV, 2002, 478 226 vgl.: Interview Dang Ngoc Dinh/Vusta 19.01.04 227 ITU, 2002 228 Gesehen in der Altstadt von Hanoi (Trang Tien Straße) im Januar 2004.

267 Mediennutzung in Vietnam

Ältere Erwachsene trifft man, von Touristen abgesehen, kaum in den Internetcafes von Hanoi. So stellen sie für die Jugendlichen offenbar ein ideales Rückzugsgebiet dar, wo sie unter Ihresgleichen sind und auch Kontakte zum anderen Geschlecht knüpfen oder pflegen können. Ähnliche Motivationen gibt es beispielsweise auch für den Kinobesuch. „Das Kino ist eine Traum- fabrik und ein Fluchtraum, ein Ort an dem man den Alltag vergessen und entspannen will und viel- leicht Freunde oder Bekannte treffen kann“, heißt es in Hauptsache Unterhaltung, einer Untersu- chung der Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 1950er Jahren.229 Das Kino ist somit „ein Raum, in dem man aus der Enge der eigenen vier Wände fliehen“ kann.230 Doch laut einer vietnamesischen Statistik231 gab es im Jahr 2000 in ganz Vietnam nur insgesamt 158 Kinos (bei einer Einwohnerzahl von knapp 80 Mio.). Die oben genannten Funktionen des Kinos werden in Vietnam heute womöglich besser von den Internetcafes erfüllt. Dies trifft insbesondere auf Jugend- liche zu, da ein Internetcafebesuch relativ preiswert bleibt. Die Cybercafes sind im Vergleich zum Kino aber nicht nur ein billigeres Freizeitvergnügen, viel- mehr ist anzunehmen, dass von der neuen Technik auch eine große Faszination ausgeht. Das Inter- net bietet technisch tatsächlich einen „Raum“, in den man konkreter noch als bei der Flucht in Fikti- on, die das Kino verspricht, aus der „Enge“ des Alltags entfliehen kann. E-Mail, Chat, Surfen, „www“ - das Internet verbreitet zumindest die Illusion mit der großen weiten Welt verbunden zu sein. Das Gefühl „to be connected“ stellt für vietnamesische Jugendliche, die meist nicht die Mög- lichkeit haben, ins Ausland zu reisen oder schon während der Schulzeit ein Jahr an einer amerikani- schen Highschool zu verbringen, sicher einen besonderen Reiz dar.

4.1.3.2 Unabhängige Informationen durch geringere staatliche Kontrolle Der Unterhaltungsfaktor steht für viele jugendliche Internetnutzer sicher im Vordergrund. Trotzdem gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass das Internet durchaus auch auf ein hohes Informationsbe- dürfnis der Menschen trifft. Dies zeigt die Etablierung der ersten reinen Netzzeitung Vietnams (VnExpress). „Without any ceremonies and in a low-key fashion VnExpress kicked off in January 2001, quite aware of the fact that they were entering new territories. Owned by high-tech company FPT, a semi-private enterprise under Ministry of Science and Technology (MOSTE), and one of the Internet providers in Vietnam, VnExpress became the first media to start without any subsidies from the government and with private backing. Due to its owner, VnExpress eventually had to move in under the formal umbrella of MOSTE, to be able to apply for a license. As the paper describes, “we did not exist as a media organization according to the press law, we did not have a license and our journalists had no press cards“.“ 232 VnExpress, die sich durch Werbung und Gebühren finanziert, fuhr bereits vier Monate nach ihrem Launch die ersten Gewinne ein. Nach einer Woche verzeichnete die elektronische Zeitung bereits 1.000 Leser und im Jahr 2003 hatte sie bereits 12 Mio. Besucher/Monat, die über 800.000 registrier-

229 Meyen, 2001b, 134 230 ebd. 134f. 231 SRV, 2002, 472 232 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19

268 Mediennutzung in Vietnam te Computer auf die Seiten der Zeitung zugriffen. Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass etwa die Hälfte dieser 800.000 Computer im Ausland stehen. VnExpress scheint ein beliebtes Medium für die Auslandsvietnamesen233 geworden zu sein.234 Die Netzzeitung bietet aktuelles aus Politik, Sport, Unterhaltung und Lifestyle.235 Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolges dieser ersten elektronischen Zeitung Vietnams auch in ihrer „intense communication with the readers“,236 die hauptsächlich über Online Polls und das VnExpress Readers Forum stattfindet. Die Redaktion von VnExpress behauptet sogar, dass die vietnamesische Regierung sich regelmäßig im Forum um- hört, um über den Stand der öffentlichen Meinung informiert zu sein.237 VnExpress bemüht sich aber auch um eine möglichst objektive Berichterstattung. Die Objektivität besteht hauptsächlich darin, Nachrichten nicht zu kommentieren. „As the government keeps a close eye to what is pub- lished on Internet, VnExpress maintains a careful balance with the authorities. However, ways are tested and when VnExpress not only presented the names of candidates elected to National Assem- bly right after the press conference, but also how many votes each candidate got, they obtained an- gry phone calls afterwards. It turned out that some of the high officials had received very few votes.“ 238 Das Internet gilt in Vietnam trotz der allseits bekannten staatlichen Kontrolle als Möglichkeit, unab- hängigere Informationen zu erhalten, vor allem, wenn man einer Fremdsprache mächtig ist. Es bie- tet die einzige alternative Informationsquelle zu den offiziellen Versionen der Nachrichten, abgese- hen von der Möglichkeit, ausländische Druckerzeugnisse in Hotellobbys und in den großen städti- schen Buchhandlungen zu kaufen. Die Preise dieser ausländischen Zeitungen und Magazine sind jedoch deutlich höher als die der Heimatpresse. Kaufpreise von um die 5 US$239 macht die Lektüre solcher Zeitungen für die meisten Vietnamesen unmöglich. Obwohl die Rezipienten in Vietnam also, wie überall auf der Welt, stark an Unterhaltungsangeboten der Medien interessiert sind,240 besteht offensichtlich auch Interesse an Informationen, sofern diese nicht nur eine Art Hofberichter- stattung der Regierung darstellen.

4.1.3.3 Alternative zum Telefon Die Nutzung des Internets wird in Vietnam durch einen weiteren finanziellen Aspekt gefördert. Laut ITU 241 gehört Vietnam zu den Ländern mit den höchsten Telefontarifen: „Vietnam has some of the world’s highest prices for international outgoing traffic, which is priced in US dollars, effectively

233 Während des Indochina Kriegs haben viele Vietnamesen vor allem aus dem Süden ihr Heimatland verlassen. In Frankreich spricht man in diesem Zusammenhang sogar von der „diaspora vietnamienne“. 234 Was die Erfolgsgeschichte von VnExpress und des Internets in Vietnam im Allgemeinen nicht schmälern würde, gera- de, wenn man sich die Internetnutzerzahlen in Erinnerung ruft, von der die Vietnam Internet Case Study der ITU noch ausgegangen ist (100.000 Internetabonnenten und geschätzte 200.000 Nutzer). Als Basis der ITU-Studie dienten Re- cherchen im Jahr 2001(vgl. ITU, 2002, ii), die aber meist Datenmaterial aus den späten 1990er Jahren erbracht haben. 235 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 19 236 ebd. 237 ebd. 238 ebd. 239 Preis der Zeitung Far Eastern Economic Review in einer Buchhandlung in der Hanoier Trang Tien Straße. 240 Gründe für eine starke Unterhaltungsorientierung werden noch näher erläutert. 241 ITU, 2002, 14f.

269 Mediennutzung in Vietnam putting it out of reach of ordinary people....A peak rate three minute call to the United States costs over US$ nine and more than US$ ten to Europe.“ Seit der Auswanderungswelle im Zuge des Indochina Kriegs haben die meisten vietnamesischen Familien Verwandte im Ausland. Enge Familienbande stellen in Vietnam jedoch einen hohen Wert dar. Das Internet bietet für viele nun die Möglichkeit den Kontakt zu den Familienangehörigen im Ausland zu pflegen. Das Telefon kann mit den vergleichsweise niedrigen Internettarifen (zwischen 3.000 und 4.000 Dong pro Stunde in Internetcafes) unmöglich konkurrieren. Auch die Telefontarife für Inlandsgespräche übersteigen die fürs Internet. Laut ITU sind sie zwar seit 1998 deutlich gesunken, aber dennoch kostet ein dreiminütiger Anruf aktuell noch 400 Dong.242

4.2 Soziogeografische Faktoren Der Einfluss von soziogeografischen Faktoren auf die Mediennutzung kann als erwiesen angesehen werden. Im folgenden Kapitel sollen nun einige solcher Determinanten und ihre Auswirkung auf die Nutzung von Medien in Vietnam diskutiert werden.

4.2.1 Geringer Urbanisierungsgrad und seine Folgeerscheinungen In einem Interview der Sonntagszeitung Tuoi Tre Chu Nhat 243 von 1997 gibt der heutige Minister für Kultur und Information, Pham Quang Nghi, in seiner damaligen Funktion als stellvertretender Leiter des Kulturkomitee der KPV an, dass ganze 93% der Zeitungen Vietnams in den Städten und urbanen Zonen zirkulieren.244 Städtischer Lebensraum ist in Vietnam aber nur sehr begrenzt vor- handen.245 Drei Viertel der rund 80 Mio. Vietnamesen246 leben in ländlichen Gebieten.247 So stehen einem Viertel der Bevölkerung ganze 93% der Zeitungen zur Verfügung, während sich die anderen drei Viertel mit nur 8% des Zeitungsaufkommens begnügen müssen. Demzufolge läge die Zei- tungsdichte, betrachtet man ausschließlich Vietnams Städte, bei immerhin knapp 60 Exemplaren pro 1.000 Einwohner.248 Betrachtet man nur die ländlichen Gebiete, läge die Zeitungsdichte dage- gen bei nur rund 1,5 Exemplaren pro 1.000 Einwohner.249 Während das Leben in Vietnams Städten schon dem in modernen Industriestaaten ähnelt, ist der Großteil des Landes immer noch hauptsächlich von Landwirtschaft, einer bäuerlichen Lebensweise und Strukturschwächen geprägt. Somit besteht eine große Diskrepanz zwischen städtischer und ländlicher Lebensart, die sich in der Ausprägung der Mediennutzung widerspiegelt. Dies entspricht der Feststellung von Gustafsson und Weibull, derzufolge „[n]ewspaper reading...could be interpre-

242 vgl. ebd. 11 243 vgl. Artikel in Tuoi Tre Chu Nhat vom 22.06.1997, 3 244 vgl. Tran Huu Quang 2001, 275 245 Verwaltungstechnisch ist Vietnam unterteilt in 57 Provinzen und vier eigenständige Städte: Hanoi, Ho Chi Minh Stadt, Hai Phong und Da Nang. Neben etwa 11.000 Dörfern (vgl. ITU, 2002, 10) gibt es in Vietnam nur einige we- nige große Städte, darunter die Hauptstadt Hanoi und die Südmetrople Ho Chi Minh Stadt. 246 vgl. UN, 2002a, 206 247 80% laut UN 2002a, 206; 75,24% laut SRV, 2002, 21 248 urbane Zeitungsdichte: 1.186.401 [93% der Total Average Circulation] x 1000/20 Mio [ein Viertel der Bevölkerung Vietnams] = 59,32005 249 rurale Zeitungsdichte: 89.299 [7% der Total Average Circulation] x 1000/60 Mio [drei Viertel der vietnamesischen Bevölkerung] = 1,48831667

270 Mediennutzung in Vietnam ted as following the modernization process. It is connected with political and economic development of industialized, urbanized societies…“.250 In Vietnam verzögert sich dieser „Modernisierungspro- zess“ des Staates und der Gesellschaft aufgrund der speziellen Geographie des Landes, stark veran- kerter kultureller Traditionen, einer gewissen Starrheit des politischen Systems, wirtschaftlicher Probleme und der konfliktreichen jüngeren Vergangenheit. Ist der geringe Urbanisierungsgrad Vietnams auch nicht der einzige Grund für die niedrige Zeitungs- dichte, so spielt er doch eine entscheidende Rolle, bei der Frage nach den Hemmnissen der Zeitungs- verbreitung. Einige der Determinanten auf soziogeografischer Ebene (Beschäftigung, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit; Mobilität und Verkehr) können als Folgeerscheinungen der geringen Urbanisie- rung Vietnams gewertet werden und werden deshalb in einem gemeinsamen Abschnitt präsentiert. Ferner stehen aber auch soziokulturelle und medienstrukturelle Faktoren in engem Zusammenhang mit dem Faktor Urbanisierung. Wie beispielsweise spezifische Kommunikationstraditionen durch die weitgehend dörfliche Lebensweise in Vietnam geprägt sind und damit der medialen Kommunikation Konkurrenz machen, wird noch näher erläutert werden. Die Schwierigkeit der Zeitungsverlage, den Vertrieb ihrer Produkte trotz der mangelhaften Infrastruktur des Landes zu organisieren, stellt eine medienstrukturelle Determinante dar und wurden bereits angesprochen.

4.2.1.1 Beschäftigung, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit Gustafsson und Weibull stellten auch fest, dass ein hohes Bruttosozialprodukt mit einer hohen Zei- tungsdichte korrespondiert. Je besser die wirtschaftliche Situation eines Landes, desto stärker auch die Position der Presse.251 Vietnam stellt keine Ausnahme dieser Regel dar. Bei einem niedrigen Bruttoinlandsprodukt von ca. 31 Mrd. US$ im Jahr 2000,252 liegt die Zeitungsdichte, der in diesem Beitrag erfolgten Neuberechnung zufolge, bei 16 Exemplaren/1.000 Einwohner.253 Vietnam ist trotz des Aufschwungs, der mit Doi Moi einherging, immer noch ein Land mit einer durchschnittlich sehr armen Bevölkerung. Das Bruttoinlandsprodukt/Kopf lag im Jahr 2000 bei nur 401 US$254.255 Das durchschnittliche monatliche Pro-Kopf-Einkommen lag 1999 bei rund 20 US$ (295.000 VND).256 Zwei Drittel (63,7%) der vietnamesischen Bevölkerung hatten 1998 pro Tag weniger als 2 US$ zur Verfügung und gut die Hälfte lebte 1993257 unterhalb der Armutsgrenze.258 Betrachtet man das durchschnittliche Einkommen in Stadt und Land gesondert voneinander, wird die Diskrepanz noch deutlicher. Kann ein Städter im Durchschnitt mit einem monatlichen Gehalt von 55,5 US$ (832.500 VND) rechnen, stehen einem Landbewohner 15 US$ (225.000 VND) zur

250 Gustafsson/Weibull, 1997, 269 251 ebd. 256 252 vgl. UN, 2002a, 206 253 Im Vergleich dazu hatte Deutschland im Jahr 2000 ein BSP von rund 1,86 Billionen US$ und die Zeitungsdichte liegt bei 305 Exemplaren/1.000 Einwohnern; UN, 2002a, 74 254 ebd. 206 255 Im Vergleich dazu lag das deutsche BSP/Kopf im Jahr 2000 bei 22.753 US$; UN, 2002a, 74 256 vgl. SRV, 2002, 481 257 aktuellste Angabe 258 vgl. UN, 2003, 593

271 Mediennutzung in Vietnam

Verfügung.259 Und lag im Jahr 1993260 der Anteil derer, die unterhalb der Armutsgrenze lebten in den Städten bei 25,9%, lag er auf dem Land bei 57,2%.261 Einer der Hauptgründe für die durchschnittlich sehr geringe Wirtschaftkraft und dem niedrigen Le- bensstandard in Vietnam ist die Tatsache, dass der Großteil der Vietnamesen von der Landwirtschaft lebt. Höhere Verdienstmöglichkeiten, etwa für Angestellter262, bieten sich eher in den Städten und auch die finanziellen und geistigen Eliten finden sich hauptsächlich in den Städten eines Landes. Doch gerade diese Personengruppen sind die Hauptkunden der Qualitätspresse. „Newspaper reading in many cases is connected with work“, haben schon Gustafsson und Weibull263 festgestellt. Arbeitslosigkeit dagegen ist der Zeitungslektüre nicht zuträglich.264 Genaue Angaben zur Arbeitslo- sigkeit gibt es nur für die urbanen Zonen des Landes. Dort lag die Quote der Nichtbeschäftigung im Jahr 2001 bei 6,3%.265 Für die ruralen Gebiete gibt es keine konkreten Zahlen. Vor dem Hintergrund der eben beschriebenen finanziellen und beruflichen Situation der vietnamesi- schen Bevölkerung, erscheint es kaum verwunderlich, dass vielfach das Geld fehlt, um täglich eine Zeitung zu kaufen oder gar ein Abonnement zu finanzieren.

4.2.1.2 Mobilität und Verkehr Mit dem geringen Urbanisierungsgrad eng in Zusammenhang stehen die Faktoren: Mobilität, Verkehr. Mobilität: Schon für Karl Knies266 bestand ein Zusammenhang von erhöhtem Kommunikationsbe- darf und mittel- bis längerfristigen Ortswechseln, die eher im Arbeiter- und Angestelltenmilieu, als in der Landwirtschaft üblich sind. Er war der Meinung, „die interlocale Beitragsverteilung und Genussverteilung fädelt die räumlich getrennt lebenden Menschen zum Nachrichtenverkehr zu- sammen.“ 267 Menschen sind nach einem Ortswechsel in einer neuen, unbekannten und städtischen Umgebung stärker auf Medieninformationen angewiesen, um sich zurechtzufinden. Die Zeitung aber kann bei der Konstruktion eines „geistig-psychologischen Bezugssystem, das den Menschen das Gefühl vermittelt, in einer Landschaft, einer Stadt, einer menschlichen Gruppe heimisch zu sein“,268 helfen. Gleichzeitig möchten viele, die beispielsweise einen jobbedingten Ortswechsel vollzogen haben, auch über die Ereignisse in der Heimatregion auf dem Laufenden bleiben, was die Zeitungsnutzung zusätzlich noch steigern kann. Doch in Vietnam leben etwa ¾ der Bevölkerung in ländlichen Gebieten. „Stadtnahe Dörfer, auch im traditionsgebundenen Delta des Roten Flusses, können sich der modernen Zeit nicht verschlie- ßen, in ferner gelegenen scheint die Zeit stillzustehen“, heißt es in einem renommierten Kunstreise-

259 vgl. SRV, 2002, 481 260 aktuellste Angabe 261 vgl. UN, 2003, 593 262 Aktuellen Angaben zufolge würde ein „worker“ heute durchschnittlich 120 US$ monatlich verdienen, vgl. Interview mit Herrn Nguyen Van Phuong/VTV International Relations 263 Gustafsson/Weibull 1997: 261 264 ebd. 265 vgl. SRV, 2002, 47 266 Knies 1996; Original 1857 267 Knies 1996; Original 1857, 69 268 Schmidtchen, 1962, 1334

272 Mediennutzung in Vietnam führer.269 Das Leben auf dem Lande ist im Allgemeinen nicht nur von festen Familienstrukturen im bäuerlichen Milieu geprägt,270 sondern auch durch geringe Mobilität gekennzeichnet. Auch wenn es immer eine Reihe von „Landflüchtigen“ gibt, die vor allem durch die hohe Unterbeschäftigung in der Landwirtschaft fortgetrieben werden, ist die Tendenz (wie das Verhältnis von Stadt- zu Landbe- völkerung zeigt) eher dahingehend, im Dorfverbund zu bleiben, wo die Familienmitglieder die Ver- sorgung sichern können.271 Außerdem stellt die Nähe zur Familie einen essentiellen Wert innerhalb der vietnamesischen Gesellschaft dar. Aus dem TNS MHS geht hervor, dass 99,3%272 der Befragten der Aussage „A close family is essential to my happiness“ 273 zustimmen. In einer vertrauten Umge- bung mit festen Gesellschafts- und Beziehungsstrukturen werden Zeitungsinformationen vor allem über lokale Ereignisse weniger gebraucht, da andere Kommunikationskanäle aktiv sind. Verkehrswesen: Ein weiterer determinierender Faktor der Mediennutzung ist das spezifische Ver- kehrswesen Vietnams. Interessant ist hierbei, wie sich die materiellen Erscheinungsformen der ver- schiedenen Medien vor dem Hintergrund der mangelhaften Infrastruktur auf die Mediennutzung auswirken. Medien haben bekanntlich verschiedene technisch-materielle Eigenschaften, die den Rahmen und die Möglichkeiten ihrer Nutzung bestimmen. Bei der Rezeption erfolgt die Wahrneh- mung nur optisch (Printmedien), nur akustisch (Radio) oder audiovisuell (Fernsehen, Internet). Für die Nutzung der elektronischen Medien braucht man jeweils technische Geräte, die Zeitung dagegen ist handlich und lässt sich ohne Probleme mitführen, nach Gebrauch zurücklassen bzw. entsorgen und die Lektüre ist nicht an vorgegebene Sendezeiten gebunden.274 Die Zeitung bietet sich dem- nach, als medialer Weg-Begleiter des mobilen Menschen an, der öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Sie ist das Medium für unterwegs. Vietnam, als wenig urbane Region, ist jedoch kein Land der öf- fentlichen Verkehrsmittel. Zwar gibt es Züge und Busverbindungen, aber Mobilität vollzieht sich hauptsächlich per Motorroller. Als Mitfahrer auf einem der sogenannten „Motorbikes“, müsste man schon fast Akrobat sein, um nebenbei noch die Zeitung lesen zu können, da Fahrtwind und Ver- kehrssituation, neben der Tatsache, dass man sich den Soziussitz oft noch mit anderen Mitfahrern teilen muss, die Zeitungslektüre nicht gerade begünstigen. U- oder S-Bahnen gibt es nirgends in Vietnam und dem städtischen Busnetz in Hanoi wird erst seit einigen Jahren etwas mehr Aufmerk- samkeit geschenkt, nachdem das Verkehrschaos immer mehr überhand genommen hat.275 Als eine Funktion von Zeitungen wird auch die Möglichkeit genannt, sich hinter ihr zu verbergen und sich gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln von den Mitreisenden abschirmen zu können, die einem in den engen Zügen womöglich, dem persönlichen Empfinden nach, zu nahe rücken. In Vietnam ha-

269 Wulf, 1995, 30 270 Weggel, 1990, 32, charakterisiert die traditionelle Dorfstruktur: gemeinschaftsorientiert, geschlossen, hierarchiebe- stimmt, konservativ. 271 „Noch hält sich die Landflucht in Grenzen, weil die Städte wenige Arbeitsmöglichkeiten bieten und die Wohnver- hältnisse schlechter sind als auf dem Lande, wo Bauland vorhanden ist.“, Wulf, 1995, 30 272 Strongly agree: 95,8%; Slightly agree: 3,5% 273 TNS MHS, 2003, 138 274 vgl. Maletzke, 1963, 178f. 275 Eine Zeit lang gab es sogar eine Zulassungssperre für Motorbikes in Hanoi, mit der Folge, dass sich viele Vietname- sen mit elektrischen Zweirädern beholfen haben. Zum einen, da das schlecht ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz, das eigene Transportmittel nicht ersetzen kann und zum anderen, da die Fortbewegungsart per Motorbike liebge- wonnene Gewohnheit ist.

273 Mediennutzung in Vietnam ben die Menschen zum einen ein geringeres persönliches Abstandsbedürfnis,276 und zum anderen halten sie sich eher selten in öffentlichen Verkehrsmitteln auf. Auch das nationale Schienennetz ist schlecht ausgebaut. Entfernte Orte erreicht man zumeist nur mit öffentlichen Bussen über desolate Straßen. Ferner wird die Zeitungslektüre auch dadurch erschwert, dass die Kleinbusse meist bis weit über den letzten Platz hinaus besetzt sind und die Fahrgäste sich eher gegenseitig auf den Schößen, als nebeneinander sitzen. All das führt letztlich dazu, dass klassische Rezeptionsorte, die die Zei- tungslektüre begünstigen könnten, in Vietnam wegfallen. Ähnliches gilt auch für das Radio. In Deutschland hat sich gezeigt, dass „immerhin 40 Prozent der Radionutzungsdauer auf Situationen außer Haus“ 277 (u.a. im Auto) entfallen. In Vietnam besitzt eine geringe Anzahl von Personen ein Auto und Motorbikes besitzen keine eingebauten Radios.

4.2.2 Bildungsniveau Der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Zeitungskonsum wurde von Gustafsson und Wei- bull278 festgestellt. Nach Schönbach, Lauf und Peiser ist „eine höhere Bildung und die damit ver- bundene Leseroutine und Interessenvielfalt“ 279 der Zeitungslektüre zuträglich. Niedrige formale Bildung dagegen hemmt in der Regel die Zeitungslektüre, Analphabetismus verhindert sie ganz. In Vietnam ist die Analphabetenrate im Vergleich zu ähnlich entwickelten Ländern relativ niedrig. Laut United Nations Human Development Report liegt die Alphabetenrate bei 93,1%. Hier hat sich die vietnamesische Regierung seit Kriegsende sehr bemüht, flächendeckend Schulen einzurichten. Heute besteht eine Schulpflicht für die Dauer von 5 Jahren und es gibt Pläne, die Plichtschulzeit zu verlängern.280 Der hohe Prozentsatz der Lesefähigkeit wird in Vietnam im Gegensatz zu China durch die Schriftart begünstig. Die vietnamesische Schrift benutzt wie das Deutsche lateinische Buchstaben, die rasch erlernbar sind. Doch Lesefähigkeit alleine macht noch keinen regelmäßigen Zeitungsleser. Doch um grundsätzlich an der Zeitungslektüre Freude zu haben, erfordere es ein ge- wisses höheres Bildungsniveau, gibt Mai Quang Nam vom Vietnam National Centre for Social Sciences and Humanities zu bedenken.281 4.2.3 Klima Gustafsson und Weibull stellten fest, dass in den wärmeren Regionen Europas in der Regel weniger Zeitung gelesen wird. Auch Vietnam würde diesem Bild entsprechen. Die Temperatur fällt selten unter 18ºC und die Zeitungsdichte ist niedrig. Aber „Vietnam has a varied climate“.282 Während im Süden Vietnams es durchgehend warm bis heiß bleibt (23,7-32,3ºC), ist es im Norden allgemein kühler. Im Januar, dem kältesten Monat, kann die Temperatur im Norden sogar auf 10ºC abfallen.

276 „Vietnamesen haben „anders als beispielsweise der Durchschnittsdeutsche oder -engländer („My home is my castle“), kein Verlangen nach persönlich individuellem Lebensraum, der mit Mauern, Zäunen, Doppeltüren oder Gardinen geschaffen wird; er braucht keinen weiten Gesprächsabstand und kennt auch nicht die Abneigung gegen physische Nähe…“; Weggel, 1990, 41 277 Hasebrink, 2003, 111 278 vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 262f. 279 Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 131 280 vgl. Interview mit Nguyen Ngoc Oanh, Insitut for Press, Journalism & Communication; 30.01.04 281 Interview vom 30.01.04 282 Far Eastern Economic Review, 2001, 216

274 Mediennutzung in Vietnam

Das Zentralgebirge schützt den Süden vor dem kalten Nordmonsun.283 Demzufolge müsste – Gustafsson und Weibulls Erkenntnissen entsprechend – in Nordvietnam mehr Zeitung gelesen wer- den, als im Süden. Doch der Faktor Klima kommt landesintern nicht in der üblichen Weise zum Tragen. Hier gestaltet sich der Zusammenhang von Temperatur und Zeitungslektüre geradezu um- gekehrt proportional. Obwohl es in Ho Chi Minh Stadt wärmer ist, wird der Zeitungsmarkt in Süd- vietnam im Allgemeinen als „plus dynamique“ 284 bezeichnet. Eine der modernsten und gleichzeitig beliebtesten Tageszeitungen kommt aus der Wirtschaftmetropole im Süden. Offensichtlich wird der Einfluss des Faktors Klima von anderen Faktoren, wie Wirtschaftskraft, Beschäftigung oder Unter- haltungsorientierung überwogen.

4.3 Soziokulturelle Faktoren In ihrer Untersuchung der Zeitungsnutzung in Europa Gustafsson und Weibull fest,285 dass sich Fernseh-, Radio- und Zeitungsnutzung zwar durchaus gegenseitig beeinflussen, der Einfluss dieser Interdependenzen auf den Stellenwert der verschiedenen Medientypen im Nutzungsverhalten der Rezipienten jedoch hinter anderen, eher kulturellen Determinanten zurücktreten würde. Eine wahr- scheinlichere Erklärung für die Unterschiede in der Verteilung der Nutzung auf die verschiedenen Medientypen seien „differences in cultures, e.g. between oral and written cultures or between rea- ding traditions“.286 Ein Blick auf die kulturellen Hintergründe und den traditionsbedingten Stellen- wert der Kommunikation in der vietnamesischen Gesellschaft verspricht Erkenntnisse über Deter- minanten der Mediennutzung, die sich weniger an Zahlen und Statistiken festmachen lassen. Viel- mehr erwachsen sie aus einer stärker kulturhistorischen und soziologischen Perspektive.

4.3.1 Überliefertes Rezeptionsverhalten, Massenkommunikation in Krisenzeiten Vietnam ist beispielsweise im Vergleich zu Deutschland eine jugendliche Gesellschaft. 32% der Bevölkerung ist unter 15 Jahre287 und nahezu die Hälfte der vietnamesischen Bevölkerung ist unter 20 Jahre alt.288 Den Zusammenhang von Alter und Zeitungsnutzung haben Schönbach, Lauf und Peiser in ihrer Analyse der Zeitungslektüre in Deutschland bestätigt. Sie stellten fest, dass deutsche Zeitungsleser im Gegensatz zu Nicht-Lesern meist älter sind.289 Demnach wird die Zeitungslektüre gefördert durch „ein höheres Lebensalter - wegen einer einschlägigen Mediensozialisation (insbe- sondere durch Eltern, die noch Zeitung gelesen haben), aber auch wegen der damit verbundenen Lebenssituation (z.B. Zeit zum Lesen)“.290 Die Biographie spielt folglich eine wichtige Rolle für die Ausprägung der Mediennutzung. Entscheidend sind demnach Gewohnheiten, die sich im Zuge ei- nes Sozialisationsprozesses in einem bestimmten historisch-kulturellen Kontext herausgebildet ha- ben. Dieser Kontext ist in Vietnam natürlich ein anderer als in Deutschland. Wirft man einen Blick

283 vgl. UN, 2002a, 206; Wulf, 1995, 521f. 284 Interview mit Franck Renaud, 19.01.04 285 vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 259 286 ebd. 287 vgl. UN, 2002a, 206 288 ebd. 212 289 vgl. Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 131, 141f. 290 ebd. 131

275 Mediennutzung in Vietnam in die Vergangenheit des Landes, so ist anzuzweifeln, dass sich in der Eltern- und Großelterngenera- tion Zeitungslesetraditionen herausgebildet haben, denn die jüngere Vergangenheit Vietnams ist hauptsächlich durch Fremdbestimmung und Kriegsperioden geprägt.

111 v.Chr. bis 938 n.Chr: Doch Länder, die eine starke Presse Vietnam ist 1.000 Jahre lang chinesische Kolonie. vorweisen können „are caracterised by very stable political systems“.292 Teil- Kolonialzeit 1859-1954: weise lassen sich der niedrige Stellen- Vietnam befindet sich unter französischer Herrschaft. wert von Printmedien und die ver- 1. Indochina Krieg (1946-1954): gleichsweise bessere Positionierung der 291 Am 07.05.1954 besiegen die Viet Minh die französi- elektronischen Medien in Vietnam schen Truppen bei Dien Bien Phu. Daraufhin wird demnach aus der konfliktreichen Ver- Vietnam in zwei Zonen geteilt. Die Teilung ist eigent- gangenheit erklären. Während der lich nur vorübergehend, bis zur Durchführung von Kriegsphasen waren Druck und Distri- landesweiten Wahlen gedacht. (Süden: Republic of bution von Zeitungen nur stark einge- Vietnam; Norden: Democratic Republik of Vietnam). schränkt möglich. Allein deshalb war Aber die Wahlen kommen nicht zustande. man gezwungen sich eher auf elektro- 2. Indochina Krieg (1964-1975): nische Medien zu konzentrieren. Vor Der Süden kämpft mit Intervention Amerikas gegen allem das Radio spielte eine wichtige den Norden Vietnams. Sieg des Nordens und Wieder- Rolle. Die Kriegszeit verzögerte die vereinigung 1976. allgemeine Entwicklung des Landes. Die Infrastruktur fiel größtenteils dem Danach folgen Konflikte mit China und Kambodscha Krieg zum Opfer. Hinzu kommt, dass (erst 1989 zieht Vietnam alle Truppen aus Kambod- weite Teile des Landes vermint worden scha zurück). waren und die künftige Erschließung Vietnams dadurch noch erschwert wurde. Vor diesem Hintergrund hat sich das Medienange- bot Vietnams entwickelt und konzentriert sich historisch bedingt auf die elektronischen Me- dien. Die Menschen in Vietnam waren nach dem Krieg daran gewöhnt vor allem ein elektro- nisches Medium (Radio) als Informationsquelle zu nutzen.293 Nach Ende des Krieges kam es zu einer ideologischen Neuordnung des Landes. Davon waren natürlich auch die Medien- strukturen betroffen. Anders als beispielsweise in Japan, wo der Printmarkt sich über den Zweiten Weltkrieg hinweggerettet hat und die japanischen Zeitungsleser ihren Vorkriegsblät- tern weiterhin die Treue hielten,294 hat sich in Vietnam die heutige Presselandschaft erst mit dem Aufbau der Sozialistischen Republik Vietnam entwickelt. Zeitungslesetraditionen konn- ten sich in der kurzen Zeit seit Kriegsende (1975) wohl nur ansatzweise entwickeln. Blickt man noch weiter zurück in die Geschichte, respektive in die Mediengeschichte des Landes, stößt man auf weitere Erklärungen für die eher schwache Position von Printmedien innerhalb der viet-

291 Viet Minh: Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi, Liga für ein unabhängiges Vietnam, 1941 292 Gustafsson/Weibull, 1997, 256 293 vgl. Interview mit Herrn Dang Ngoc Dinh, VUSTA, 19.01.2004 294 vgl. Hohenadl, 2004, 116f.

276 Mediennutzung in Vietnam namesischen Gesellschaft. Die erste Zeitung auf Vietnamesisch (Gia Dinh Bao) erschien 1865 nach französischem Vorbild.295 Doch die Attraktivität des neuen Mediums hielt sich für die meisten Viet- namesen in Grenzen, da die ersten Zeitungen inhaltlich hauptsächlich an ein französisches Publikum gerichtet waren und per Zensur die Kolonialmachtsinteressen vertraten. Für das Leben der vietnamesi- schen Durchschnittsbevölkerung hatten solche Blätter kaum einen „Gebrauchswert“.296 Auch war die Analphabetenrate damals deutlich höher als heute. Die Entstehungsgeschichte der vietnamesischen Zeitungslandschaft deutet daraufhin, dass Zeitungen in Vietnam offensichtlich nicht aus einem eige- nen gesellschaftlichen Bedürfnis heraus entstanden sind. diese wurden vielmehr erst relativ spät durch eine fremde Macht in die Kultur hineingetragen. Eine denkbare Erklärung dafür, warum die Tradition der Zeitungslektüre in der vietnamesischen Gesellschaft nicht verwurzelt ist. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass sich historisch betrachtet, Zeitungs-rezeptions- traditionen in der breiten Bevölkerung gar nicht erst etabliert haben. Von einer historisch bedingten, tiefen Leser-Blatt-Bindung wie sie etwa in Japan besteht,297 kann hier nicht die Rede sein. Es scheint vielmehr so, als sei die aktuelle junge Generation Vietnams die erste, die eine dynamische Presseland- schaft vor sich hat und gleichzeitig in Lebenssituationen aufwächst, die Zeitungsnutzung fördern (städtischer Wohnraum, höhere Bildung, Kaufkraft). Die Zeitungsnutzungsgewohnheiten dieser Ge- neration bilden sich jedoch parallel und in Konkurrenz zu den elektronischen Medien heraus.

4.3.2 Unterhaltungsorientierung, Eskapismustendenzen und der Faktor Glaubwürdigkeit In Vietnam findet sich eine Vielzahl von Hinweisen für die Beliebtheit der Nutzung von Medien zu Unterhaltungszwecken. Trotz fehlender Statistiken und Zahlen deutet alles darauf hin, dass das Fernsehen in Vietnam das meistgenutzte Medium ist. Das Fernsehen ist gleichzeitig wohl unbestrit- ten das Medium mit dem größten Unterhaltungswert. „News may have an impact, but the bulk of Vietnamese viewers turn on their TV stets every night for entertainment“, heißt es in der “Sida Per- formance Analysis”.298 Damit stellt Vietnam im internationalen Vergleich keineswegs eine Aus- nahme dar. Auch in Deutschland wurde das Fernsehen seit seiner Einführung hauptsächlich als Un- terhaltungsmedium genutzt.299 Andererseits zeigen Tagesverlauf-Grafiken aus dem TNS MHS, dass die abendliche Prime-Time in etwa um 19.00 Uhr mit dem Beginn der VTV-Nachrichten einsetzt.300 Wie lässt sich die hohe Nutzung der VTV-Abendnachrichten erklären? Sind die Vietnamesen doch informationsorientierter als es den Augenschein hat? Oder gibt es andere Gründe für dieses Verhal- ten? Ein Grund ist sicher, dass praktisch keine Ausweichmöglichkeiten existieren, denn die VTV-

295 Zwar entstanden die Zeitungen auch in Japan durch westliche Einflüsse, doch dort wurde der Grundstein für eine loyale Lesersschaft schon in der Zeit zwischen 1868 und 1912 gelegt. Zum einen orientierten sich die Verlage kon- sequent am Konsumentengeschmack (eine Strategie, die in Vietnam bis heute nur ansatzweise verfolgt wird), und zum anderen wurden auch weniger gebildete Bevölkerungsschichten mit der Zeitung vertraut gemacht, indem man Teestuben und Zeitungslesesäle einrichtete, in denen Analphabeten die Artikel vorgelesen und erklärt wurden, vgl. Hohenadl, 2004, 115 296 Knies, 1996, 67 297 vgl. Hohenadl, 2004, 113f. 298 Elmqvist/Fredricksson, 2003, 13 299 vgl. Meyen, 2001b, 137ff. 300 vgl. TNS MHS, 2003

277 Mediennutzung in Vietnam

Abendnachrichten werden von allen Programmen, egal ob nationaler301 oder regionaler Sender, parallel gesendet. Eine weitere Erklärung liefert der Vergleich mit der Rezeption der Tagesschau in Deutschland. Denn die Beliebtheit der Tagesschau entpuppt sich bei näherer Betrachtung auch als ein Ritual mit dem der Fernsehabend eingeläutet wird, als eine Art „Aperitif“ vor dem großen „Programm-Diner“.302 Die Rezeption der Tagesschau ist demnach noch nicht gleichbedeutend mit einem starken Interesse an politischer Information. Ähnliches scheint auch für Vietnam zu gelten. Das TNS MHS liefert einen recht deutlichen Hinweis darauf, dass die starke Nutzung der VTV-Abendnachrichten nicht unbedingt durch ein starkes Informationsbedürfnis bedingt ist. Im Ranking der beliebtesten Zeitungen kommen nämlich nur zwei Printerzeugnisse vor, die nach Unesco-Definition generalistische Tageszeitungen sind und in die Berechnung der Zeitungsdichte mit einfließen können. Auf dem 2. Platz der Leading Publication-Charts ist Tuoi Tre, mit einer Leserschaft von 28,9%, angesiedelt und mit 13,7% auf dem 10. Platz steht Thanh Nien. Tabelle 5: Leading Publications (over 8% Claimed Readership, base: % of total population)303

No. Publication Claimed Regular Periodicity Center of Interest readers % readers % 1 Cong An Tphcm Newspaper 35.1 21.1 2xWeekly Society 2 Tuoi Tre Newspaper 28.9 20.3 Daily General 3 An Ninh The Gioi Newspaper 26.1 14.7 Weekly Society 4 Cong An Tphcm Magazine 19.2 10.0 Weekly Society 5 Yellow Pages Directory 18.5 18.5 Annual Directory 6 Tuoi Tre Cuoi Magazine 17.4 9.0 2xMonthly Society 7 Dat Mui Cuoi Tuan Magazine 15.5 7.5 3xMonthly Women&Lifestyle 8 The Gioi Phu Nu (Tphcm) Mag. 14.8 6.8 Weekly Women&Lifestyle 9 Tiep Thi & Gia Dinh Weekly 14.2 5.7 Weekly Women&Lifestyle 10 Thanh Nien Newspaper 13.7 8.8 Daily General 11 Tiep Thi & Gia Dinh Monthly 12.8 9.0 Monthly Women&Lifestyle 12 The Gioi Dien Anh Magazine 12.6 9.0 Monthly Women&Lifestyle 13 Phu Nu Ap Bac Magazine 12.4 8.5 Monthly Women&Lifestyle 14 Hoa Hoc Tro Magazine 10.8 6.0 Weekly Student 15 Cam Nang Mua Sam Magazine 10.2 6.6 Monthly Marketing/Consumer 16 Nguyet San Cong An Nhan Dan 10.1 6.7 Monthly Society 17 An Ninh Thu Do Newspaper 9.6 4.7 4xMonthly Society 18 Thoi Trang Tre Magazine 9.3 3.2 3xMonthly Women&Lifestyle 19 Muc Tim Magazine 9.3 5.0 Weekly Student 20 Truyen Hinh VTV Magazine 9.2 5.1 Monthly Culture&Sport 21 The Thao & Van Hoa Newspaper 9.1 4.8 2xWeekly Culture&Sport 22 The Thao Hang Ngay Newspaper 9.1 5.9 4xWeekly Culture&Sport 23 Kein Thuc Ngay Nay Magazine 8.5 4.2 3xWeekly Culture&Sport 24 Nguyet San Phap Luat Magazine 8.4 5.4 Monthly Special 25 Tuoi Tre Chu Nhat 8.2 3.6 Weekly General Bei dem Rest der aufgeführten Periodika handelt es sich hauptsächlich um Zeitschriften. Auch bei der Auswahl der Printmedien überwiegen Unterhaltungsinteressen. Die Magazinpresse hat es offensicht- lich leichter, Gefallen beim Publikum zu finden. Platz 1, 3 und 4 der Printcharts werden besetzt von Publikationen der staatlichen Sicherheitsorgane, die ihre Spalten mit den neuesten Kriminalfällen und

301 Eine Ausnahme stellt hier lediglich VTV2 dar, auf dem um diese Zeit meist Dokumentarfilme laufen. 302 vgl. Meyen, 2001b, 142 303 TNS MHS, 2003, 35

278 Mediennutzung in Vietnam

Verbrechen des Landes füllen. Beliebt sind außerdem Frauenmagazine und Sportzeitschriften. Ein Grund für den Erfolg von Zeitschriften, besonders der Sensationspresse, (z.B. Cong An) liegt auch an der Tatsache, dass das vietnamesische Fernsehen keine Boulevardmagazine sendet. Das hatte schon die Bildzeitung in den 1960er Jahren als eines der Geheimnisse ihres Erfolges angesehen.304 Damals existierte es nur öffentlich-rechtliches Fernsehen. Boulevard- bzw. Sensationsformate wie „Blitz“, „Taff“ oder „Brisant“ flimmerten noch nicht über die Mattscheibe. In eine ähnliche Marktlücke stoßen in Vietnam Zeitschriften wie Cong An und sind damit äußerst erfolgreich. Eine differenziertere Betrachtung der TNS-Tagesverlaufsgrafiken verweist auf einen weiteren As- pekt, der der Unterhaltungsorientierung in Vietnam möglicherweise Vorschub leistet. In Vietnam werden die Hauptnachrichten um 19.00 Uhr gesendet. Während jedoch praktisch überall im Land der Fernsehabend mit diesem Nachrichtenprogramm eingeläutet wird, scheint es speziell in Ho Chi Minh Stadt richtige Nachrichtenverweigerer zu geben. Aus den TNS-Erhebungen geht hervor, dass dort der Aufwärtstrend der Nutzungskurve erst mit dem Ende der Hauptabendnachrichten ein- setzt. Grund dafür ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Tatsache, dass es sich weniger um VTV- Nachrichten, als um KPV-Nachrichten handelt. Die Hauptstadtlastigkeit der Hauptnachrichtensendung hat ihr auch den Spitznamen „Roter-Fluss-Delta-News“ 305 eingebracht. Scheinbar gibt es eine nach Süden hin abnehmende Akzeptanz und Offenheit für die „Hofberichterstattung“ aus Hanoi. Die Unterschiede sind vor allem historisch bedingt. Zum besseren Verständnis sollen hier die Nord- Süd-Differenzen in Vietnam knapp umrissen werden. Aufgrund der großen Entfernung über die sich Vietnam von Norden nach Süden erstreckt (etwa 1.500 Kilometer Luftlinie) und infolge der Geschichte des Landes haben sich entsprechend der zwei Flussdeltaregionen auch zwei Zentren entwickelt. Im Delta des Roten Flusses im Norden befindet sich das politische Zentrum, die Haupt- stadt Hanoi. Im südlichen Delta des Mekongs dagegen hat sich mit Ho Chi Minh Stadt ein Bal- lungsraum entwickelt, der als das wirtschaftliche Zentrum des Landes bezeichnet wird.306 In der Geschichte Vietnams kam es zwischen dem Nord- und dem Südteil immer wieder zu Span- nungen und vorübergehenden Teilungen. Auf einen rund zweieinhalb Jahrhunderte währenden Bürgerkrieg (1533-1788) und eine Teilung zwischen 1620 und 1802 folgte im 20. Jh. eine weitere Trennung des Landes, die immerhin 21 Jahre dauerte (1954-1975). In diesen Zeiten entwickelten sich die beiden Landesteile unterschiedlich, was zu Struktur- und Kul- turverschiedenheiten führte, die sich bis in die Gegenwart auswirken. Während der Norden auch heute noch als konservativer, starrer und schwerfälliger gilt, beweist der Süden immer wieder Neue- rungsbereitschaft, Flexibilität, Geschäftstüchtigkeit und auch eine gewisse Leichtlebigkeit.307

304 vgl. Meyen, 2001b, 130f. 305 Die Hauptstadt Hanoi liegt im Norden des Landes am Roten Fluss, im Gegensatz zur Südmetropole Ho Chi Minh Stadt am Mekong. 306 Diese zweipolige Form scheint die historische Entwicklung widerzuspiegeln, die auch durch die Bezeichnung „Indo- china“ für Vietnam deutlich wird. So bildete sich die Kultur des Landes im Spannungsfeld zwischen zwei großen Kulturen heraus, der chinesischen im Norden und der indisch geprägten im Süden. 307 vgl. Weggel, 1990, 52f.

279 Mediennutzung in Vietnam

Bis heute gibt es kulturelle, politische und weltanschauliche Differenzen zwischen dem nördlichen und südlichen Teil. Die Südvietnamesen kämpften im Vietnamkrieg mit amerikanischer Unterstüt- zung gegen ihre kommunistischen Landsleute aus dem Norden. Nach Beendigung des Krieges wurde der Süden von den Siegern aus dem Norden in die neue Sozialistische Republik Vietnam eingegliedert, deren kommunistische Ausprägung eine Auswanderungswelle auslöste und im Süden vielfach noch heute auf Ablehnung und Argwohn stößt. Nicht nur im Süden stürzt die zentral ge- lenkte und kontrollierte Medienorganisation die offiziellen Medien in eine Glaubwürdigkeitskrise. Bei weiten Teilen der Bevölkerung führt dies zu Politikverdrossenheit und zu einem Rückzug ins Privatleben.308 Wer der Politik überdrüssig ist, verlang nicht nach politischen Informationen oder versucht sogar sie zu vermeiden. Die politische Informationslage Vietnams weist einige Parallelen zur ehemaligen DDR auf. In „Hauptsache Unterhaltung“309 heißt es, die DDR-Bürger hätten ihr Land wegen der Masse an Pro- paganda-Plakaten, manchmal ironisch „Transparolien“ genannt. Sie sprachen aber auch von einer merkwürdigen Epidemie, die den öffentlichen Raum in den 1950er Jahren befallen hatte und mit dem Namen „Transparentitis“ bedacht wurde. Vietnam leidet noch heute an dieser „Krankheit“. Doch die Vietnamesen scheinen, ähnlich wie damals die DDR-Bürger, bereits weitgehend resistent dagegen geworden zu sein. Die zahllosen bunten Aufklärungs- und Propagandaplakate gehören einfach zum Stadtbild, wie in Berlin oder Paris die Werbeplakate. Man hat sich mit der Situation abgefunden, da sie nicht zu ändern ist, und resigniert.310 Politik wird in Gesprächen (zumindest mit oder vor Fremden) nicht thematisiert. Die Medienakteure üben Selbstzensur und werfen auf aktuelle Ereignisse meist einen Blick durch die „rosarote Brille“. Ein vietnamesischer Journalist erklärt: „We are often told about things that we cannot report...“ 311 Das Informationsprogramm besteht folglich vielfach aus abgestandenen Phra- sen. In der „Sida Performance Analysis“ heißt es beispielsweise, dass vor allem die offiziellen Par- teiblätter, wie etwa Nhan Dan, Hanoi Moi oder Vietnam News, bekannt wären für „their protocol news and mouthpiece function of the Party“.312 Mangelnde Glaubwürdigkeit führt aber auch zu einem höheren Stellenwert von Gerüchten und das wiederum bedeutet eine Aufwertung der direkten Kommunikation gegenüber der Medialen.

4.3.3 Kommunikationstraditionen Wenig glaubwürdige Medien treffen in Vietnam gleichzeitig auf starke unmittelbare Kommunikati- onstraditionen. Aus dem Kosmos des vietnamesischen Dorfes heraus, das sich im Verständnis der Bevölkerung noch immer als Grundeinheit der Republik erhalten hat, hat sich eine starke orale Tradi- tion in der vietnamesischen Kultur etabliert. Das bedeutet aber auch, dass der vergleichsweise hohe

308 vgl. Sola Pool, 1973, 463-474 309 Meyen, 2001b, 230 310 Eine Reaktion der DDR-Bürger auf das auch dort wenig glaubwürdige Medienangebot sei, wie Meyen, 2003, 53ff. beschreibt, „Gewöhnung“ und „Zynismus“ gewesen. Man arrangierte sich mit der unabänderlichen Situation und riss manchmal auch Witze darüber. 311 Neumann, 2001, 210 312 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 24

280 Mediennutzung in Vietnam

Stellenwert von persönlicher, interpersonaler Kommunikation, von Gesprächen mit Familienmitglie- dern, Nachbarn und Kollegen vor allem in den ländlichen Gebieten durchaus als Konkurrenz für die mediale Kommunikation und Information gesehen werden kann. Ein Blick in die Geschichte kann hier zum Verständnis der andersartigen Funktionsweise von Kommunikation in Vietnam beitragen. Das traditionelle Vietnam war nicht ein Staat im eigentlichen Sinne, sondern eher ein „Dörferstaat“ oder besser eine „Dörferföderation“: „Kaum etwas solider Gefügtes lässt sich vorstellen als ein vietnamesisches Dorf, das sowohl von der äußeren Optik als auch von der inneren Organisation her wie eine organische Zelle wirkt, aus der sich dann Stück für Stück der Gesamtwabenbau des Staates zusammenfügt.“ 313 Ein vietnamesisches Sprichwort besagt: Die Macht des Königs endet am Dorf- tor. Diese Kernmaxime, nach der Dorftradition Königsrecht bricht, begründet die „sprichwörtliche Autonomie des traditionellen [vietnamesischen] Dorfes“.314 Während der König oder Kaiser theore- tisch eine alles beherrschende Position innehatte, waren die Dörfer dem Staat faktisch nur in drei Belangen verpflichtet: „Ruhehaltung, Steuerzahlung und öffentliche Dienstleistung“.315 Im Übrigen verwalteten sie sich selbst.316 Damit diese „Verzellung“ nicht zum Zerfall führte,317 war im traditio- nellen Vietnam eine ständige Kommunikation zwischen Staat und Dorf nötig. Als Schaltstelle, die diese beiden Ebenen verband, diente der Ältestenrat des jeweiligen Dorfes.318 Spuren dieses Prin- zips lassen sich auch im heutigen Vietnam noch erkennen, betrachtet man die Entwicklungen im Zuge des Doi Moi-Prozesses. Dieser schaffte wirtschaftliche Freiräume besonders auf regionaler bzw. lokaler Ebene, wobei politisch weiterhin zentralistisch auf Einheit und Gefolgschaft gepocht wird. „Die soziale Einheit des Dorfes zeigte sich schließlich auch darin, dass bei Verstößen gegen staatliches Recht die Dorfgemeinschaft in toto verantwortlich gemacht und schlimmstenfalls sogar mit ihrer gesamten Einwohnerschaft hingerichtet werden konnte.“ 319 Dies ist ein Hinweis darauf, dass entlang der hierarchischen Ordnung des Dorfes auch die Regierungsbelange kommuniziert werden mussten, damit deren Beachtung gewährleistet war, von der schließlich das Schicksal der ganzen Dorfbevölkerung abhängen konnte. Die Besonderheit dieser Geschlossenheit und Organi- siertheit auf Dorfebene wird deutlich, wenn man die Nachbarländer Vietnams – Laos und Kambod- scha – betrachtet. Weggel schreibt hierzu, dass es das kambodschanische oder laotische Dorf, „als soziale Einheit eigentlich gar nicht gibt“ und das es „nirgends in diesen...„Ansiedlungen“ Organi- sationskerne, die sich mit denen eines vietnamesischen Dorfes auch nur von ferne messen könn- ten“,320 gäbe. Man fände dort weder einen Ältestenrat noch das in vietnamesischen Dörfern übliche

313 alle Weggel, 1990, 30 314 ebd. 315 ebd. 316 „Wenn Vietnam trotz einer tausendjährigen chinesischen Oberherrschaft nie seine Identität verloren hat, so hängt dies mit seiner Überlebensfähigkeit auf Dorfebene zusammen. Ein Sprichwort sagt: „Mandarine kommen und ge- hen, das Volk aber bleibt“[...].“, Weggel, 1990, 38 317 ebd. 40 318 „Der Ältestenrat war das für die dörfliche „Innen- und Außenpolitik“ verantwortliche Gremium, das sich aus den lokalen Honorationen zusammensetzte und in das man nicht über Wahlen, sondern aufgrund von Bildung, Wohlha- benheit und Seniorität einrückte.“, Weggel, 1990, 31 319 Weggel, 1990, 32 320 ebd. 33f.

281 Mediennutzung in Vietnam zentrale Gemeindehaus „Dinh“.321 Natürlich hat sich heute vieles in Vietnam verändert, aber grundlegende Kommunikationsstrukturen mit einem Schwerpunkt auf interpersonaler Kommunika- tion und starker Gruppenorientierung haben sich vor allem auf dem Land bis zum aktuellen Zeit- punkt erhalten.322

4.3.3.1 Marktplatz versus Lokalblatt In ihrer explorativen Untersuchung zur Zeitungsnutzung stellten Schönbach, Lauf und Peiser fest, dass das Lesen regionaler Abonnementzeitungen im Deutschland der 1990er Jahre in Zusammen- hang mit dem Bedürfnis nach sozialer Integration steht. So sei es für die Lektüre solcher Zeitungen zuträglich, „in einer kleinen Gemeinde zu leben – die mehr soziale Kontrolle ausübe und zu lokaler Informiertheit zwinge“.323 Nun ist anzumerken, dass das Leben selbst in einer kleinen deutschen Gemeinde in den 1990er Jahren des 20. Jh. sehr viel stärker von städtischer Lebensart geprägt war, als dies in einem vietnamesischen Dorf oder einer Kleinstadt der Fall ist. Außerhalb der wenigen großen Städte Vietnams überwiegt eine traditionelle, bäuerliche Lebensweise, die auch die Kommunikation und soziale Interaktion der Men- schen bestimmt. Enge soziale Kontakte, weitreichende Familienbande und starke Gruppenorientie- rung lassen unmittelbare und interpersonelle Kommunikation eine viel größere Rolle spielen als in den Städten. Ähnliches gilt auch für die südlichen Regionen Europas, wie Gustafsson und Weibull bereits in ihrer europäischen Untersuchung der Zeitungsnutzung feststellten konnten: „The strength of the local press seems to be explained by the fact that it represents a core communication medium. This is the case in Northern Europe, whereas in the South other social and cultural networks, e.g. the family, the local market, and the peer group might fulfil this function.“ 324 Was hier über Südeuropa gesagt wird, trifft mindestens ebenso stark auf Vietnam im Allgemeinen und seine ländlichen Gebiete im Besonderen zu. Sowohl auf dem Dorf als auch in der Stadt ist der Markt noch ein zentraler Ort des gesellschaftlichen Lebens. Aus dem TNS MHS geht hervor, dass nur 0,1% der Befragten angaben, täglich in einen Supermarkt zu gehen (25,6% gaben sogar an, sie würden „nie“ gehen). Gleichzeitig sagten 41,7%, sie würden täglich auf den Markt gehen.325 Die Unicef-Studie „Mass Media and Informal Networks in a Northern Delta Region“ hat gezeigt, dass sogenannte „Informal Information Networks“ 326 einen hohen Stellenwert im Kommunikati-

321 „Der niedrige Integrationsgrad des kambodschanischen oder laotischen Dorfs hängt letztlich mit der auf therava- dabuddhistische Einflüsse zurückgehenden „individualistischen“ Kultur der Kambodschaner und Laoten zusam- men.“ Weggel, 1990, 34f. Darin wurzelt die Vorstellung, dass jeder eine individuelle Verantwortung für sein eigenes Schicksal trägt. vgl. ebd. 43 322 „Mit welcher Vitalität sich die Dorftradition in Vietnam selbst über die französische Kolonialzeit noch hat hinweg- retten können, beweist allein schon die Tatsache, daß Ho Chi Minh und seine Bewegung marxistische Ziele zum Teil an traditionellen Institutionen hat festmachen können.“ Weggel, 1990, 33; Für „die Errichtung dörflicher Kollekti- ve“ konnten die vietnamesischen Kommunisten demnach auf „traditionelle Ansatzpunkte im Dorf zurückgreifen“, Weggel, 1990, 35 323 Schönbach/Lauf/Peiser, 1999, 132 324 Gustafsson/Weibull, 1997, 258 325 TNS MHS, 2003 326 Uhrig, 1993, 8

282 Mediennutzung in Vietnam onsprozess haben. Informationsquellen seien neben den Medien vor allem Familienmitglieder, Leh- rer und in den Städten auch Kollegen.327 Regionale und lokale Berichterstattung sind die klassische Domäne von Printmedien. Als ein wichti- ger Grund, eine Zeitung zu beziehen, wird immer wieder die Berücksichtigung von lokalen Themen genannt.328 Doch in der vertrauten Umgebung des vietnamesischen Dorfes spielt die Zeitung keine so wichtige Rolle, denn dort gibt es noch andere Kommunikationskanäle. Neben Versammlungen und Informationsveranstaltungen auf kommunaler Ebene werden auch Flugblätter eingesetzt. Als Kom- munikationskanäle dienen hier Schulen, aber auch das bis in alle Kommunen reichende Netzwerk an politischen Organisationen und Verbänden.329 „In a modern society written media are more impor- tant than in a traditional one“, haben auch Gustafsson und Weibull festgestellt.330 Somit lässt sich der erhebliche Unterschied zwischen der Zeitungsdichte in Stadt und Land nicht nur durch die bessere städtische Infrastruktur erklären, sondern auch durch die Tatsache, dass das Be- dürfnis, sich mit Hilfe eines Massenmediums einen Kommunikationsraum zu erschließen, auf dem Land weit weniger stark ist. Forschungen zum Uses-and-Gratifications-Approach haben bestätigt, dass Medien genutzt werden, um bestimmte Bedürfnisse von Menschen zu bedienen. Auf dem Dorf ist das Bedürfnis nach einer Zeitung als Ersatz für interpersonale Kommunikation nicht so stark ausgeprägt. Sicher heißt das nicht, dass man sich auf dem Lande überhaupt nicht für das interessiert, was außerhalb des eigenen Blickfelds geschieht, doch hat sich vielfach in Untersuchungen gezeigt, dass im Zeitalter der audiovisuellen Medien, die Zeitung vor allem wegen ihres Lokal- bzw. Regio- nalteils gelesen wird. Überblicks- oder auch sogenanntes Kontrollwissen über die „große weite Welt“ wird dagegen eher aus dem Fernsehen bezogen und lokale Ereignisse erlebt man auf dem Land noch direkt oder erfährt sie aus persönlichen Erzählungen, mit deren Aktualität und Lebendig- keit die Zeitung nur schwer konkurrieren kann.

4.3.3.2 Gruppenorientierung Die materielle Beschaffenheit der verschiedenen Medien führen nicht nur zu unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen (akustisch, optisch oder beides), sondern führt auch zu unterschiedlichen sozialen Rezeptionssituationen. So liest man die Zeitung in der Regel allein, ferngesehen wird je- doch eher in der Gruppe.331 Vor allem in Vietnam ist dies noch stärker zutreffend als in Deutsch- land, da nur die wenigsten Haushalte mehrere Fernsehgeräte besitzen. Vor allem auf dem Lande kommt es vor, dass die Nachbarn vorbeikommen um mitzuschauen. Diese gemeinschaftliche Re- zeptionsform, die das Fernsehen neben dem Radio am besten ermöglicht, scheint der vietnamesi- schen Mentalität sehr zu entsprechen, sich im Kreise der Familie hinter einer Zeitung zu verschan- zen, dagegen weniger. Legt man in Deutschland viel Wert auf Individualismus und Privatsphäre, ist in Vietnam eine viel stärkere Gruppenorientierung kulturell verwurzelt. Rückzug vor und Abgren-

327 ebd. 2, 8f. 328 vgl. Schönbach/Peiser, 1998, 103 329 Interview mit Mai Quynh Nam, 30.01.04 330 Gustafsson/Weibull, 1997, 267 331 vgl. Maletzke, 1963, 178f.

283 Mediennutzung in Vietnam zung von den eigenen Familienmitgliedern stellt in der vietnamesischen Kultur kein dringendes Bedürfnis dar und stößt sogar auf Unverständnis. Der Verfasser der Studie über die Mediennutzung in Ho Chi Minh Stadt332 bestätigt die vorzugs- weise kollektive Mediennutzung der Vietnamesen: „Il est vrai qu’une des charactéristiques de l’habitude d’usage des mass media au Vietnam est de caractère collectif, comme on a vu à travers les résultats d’enquête. Non seulement dans l’utilisation de la télé et de la radio, mais même dans l’usage de la presse : beaucoup emprunte des journeaux chez des amis, collègues... d’autres lisent des journeaux à la bibliothèque, au bureau [...]. Selon quelques enquêtes que j’ai réalisées aupara- vant, un exemplaire de journal une fois acheté est ensuite lu par 4-5 personnes en moyenne.“ 333 Die vietnamesische Kultur war durch Kolonialisierung über Jahrhunderte starken chinesischen Ein- flüssen ausgesetzt und ist geprägt von der konfuzianischen Lehre,334 die auf der sittlichen Ordnung des Kosmos beruht. Dieser Sitten- und Staatslehre zufolge, besteht die Aufgabe des Menschen dar- in, Tugend und Wissen zu erwerben und bewusst das Richtige zu tun. Die zentralen Werte, die so- genannten fünf Tugenden des Konfuzianismus (Loyalität, Rechtschaffenheit, Weisheit, Sittlichkeit, Aufrichtigkeit) spiegeln sich in fünf Beziehungen wider, die als Basis der Gemeinschaft dienen:335 (a) Die Güte des Herrschers – die Loyalität der Untertanen, (b) Die Liebe des Vaters – die Pietät des Sohnes, (c) Das Wohlwollen des Älteren – die Ehrfurcht des Jüngeren, (d) Die Gerechtigkeit des Mannes – der Gehorsam der Frau und (e) Die Treue des Freundes – die Treue des Freundes. Die zwischenmenschlichen Beziehungen in Vietnam werden bis heute von diesen Regeln bestimmt, was traditionelle Familienstrukturen untermauert und der Ausprägung einer individualistischen Ge- sellschaft entgegenwirkt. Die starke Gruppenorientierung spiegelt sich sogar in der vietnamesischen Sprache wider. Denn selbst beim Sprechen setzt man sich immer der Hierarchie entsprechend in Be- ziehung mit dem oder den Gesprächspartner(n). Das „ich“ existiert somit nur im Verhältnis zum „An- deren“ und variiert je nach der eigenen und der Position des Gegenübers innerhalb der gesellschaftli- chen Hierarchie. So verwendet man nicht einfach die Worte „ich“ und „du“, sondern man ordnet sich selbst und dem Gesprächspartner schon durch die Anrede eine bestimmte Stellung innerhalb der Gruppe zu, die hauptsächlich durch das Alter der Person definiert wird. So spricht man ältere Personen in der Regel mit chi (ältere Schwester) oder anh (älterer Bruder) an, während man sich selbst dann als em (jüngere Schwester/jüngerer Bruder) bezeichnet. Im Gespräch mit seinen Eltern verwendet man dagegen das Wort con (Kind), ältere Respektpersonen nennt man ong (Herr) und ba oder co (Frau). Innerhalb der eigenen Familie existieren noch weitere differenzierte Personalpronomen. Wie im traditionellen vietnamesischen Dorf, in dem alles „auf gegenseitige Verpflichtung und auf

332 Tran Huu Quang, 2001 333 Auszug aus der französischen Zusammenfassung der Studie von Tran Huu Quang über die Mediengewohnheiten in Ho Chi Minh Stadt. Im Original ist diese Studie auf Vietnamesisch verfasst. Übersetzungsvorschlag: „Es stimmt, dass die Mediengewohnheiten in Vietnam kollektiv geprägt sind. Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie. Doch nicht nur das Fernsehen und das Radio werden kollektiv genutzt, sondern sogar die Presse: viele leihen sich Zeitun- gen von Freunden oder Kollegen... andere lesen in der Bibliothek oder im Büro [...]. Neueren meiner Studien zufol- ge, wird ein Zeitungsexemplar im Durchschnitt von durchschnittlich 4-5 Personen gelesen.“ 334 Konfuzius - chin. Kong Fuzi; vietnamesisch Khong Tu - 551-479 v. Chr. 335 vgl. Wulf´, 1995, 112ff.

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Hierarchieprinzipien ausgerichtet“ war, ist auch der moderne Vietnamese „Gruppenmensch“ ge- blieben.336 Diese gesellschaftliche Konstante fördert womöglich die Beliebtheit von Medien, die in Gemeinschaft rezipiert werden können.337

4.3.4 Konsumverhalten und Statussymbol Fernsehgerät Ein weiterer gesellschaftskultureller Faktor, der auf die Mediennutzung einen Einfluss zu haben scheint und in gewisser Weise auch mit der starken Gruppenorientierung in Zusammenhang steht, ist die hierarchische Positionierung anhand von Statussymbolen. Der geringe durchschnittliche Ver- dienst und Lebensstandard in Vietnam, lässt es zunächst verwunderlich erscheinen, dass sich so viele Haushalte dennoch ein Fernsehgerät leisten. Es ist also anzunehmen, dass es einem starken Bedürfnis der Menschen entspricht, sich mit dieser neuen Technik auszustatten. Ähnliches konnte auch in Deutschland beobachtet werden. Im Zuge einer Untersuchung aus dem Jahre 1942 fand Friedrich Schindler heraus, dass sich viele Beitrager den Luxus eines Radiogerätes leisteten, da dies Sozialprestige bedeutete:338 „Viele der Beitrager hatten ein teures Gerät, und Schindler verglich das Möbelstück mit dem Klavier im bürgerlichen Wohnzimmer. Der Blick zum Nachbarn gehöre heute dazu.“ 339 Unzweifelhaft spielt der Faktor „Sozialprestige“ auch im heutigen Vietnam eine Rolle, wenn es um die Anschaffung eines Fernsehgerätes geht. Aus dem TNS MHS geht hervor, dass der Fernseher für vietnamesische Haushalte eine der wichtigsten Anschaffungen darstellt.340 Abbildung 1: Konsumartikel Fernsehgerät (Household Durable Ownership in %) 341

Which of the following items does your household possess? Motorcycle (all types) 107,8 Television (Colour and B&W) 95,6 Rice cooker 89,6

Auch die Platzierung des Fernsehers im vietnamesischen Haushalt deutet auf die besondere Bedeu- tung dieses Gerätes für seine Besitzer hin. Der Wohnbereich des vietnamesischen Hauses befindet sich in der Regel im Erdgeschoss und wird nicht vor den Blicken der Passanten abgeschirmt. Die fas- sadenbreiten Flügel- oder Schiebetüren stehen fast immer offen, es sei denn die Bewohner sind außer Haus oder schlafen. In diesem Wohnraum hat auch der Fernseher seinen Platz und dies meist direkt gegenüber der Tür auf einer mehr oder weniger schmuckvollen Anrichte, die Assoziationen eines Altars hervorruft. In einem ärmeren Haushalt kann die Wohnzimmereinrichtung nur aus ganz einfa- chen Holzmöbeln bestehen. Umgeben von einem kleinen Tisch, mehreren Schemeln und einer mit Bastmatten belegten Pritsche auf Lehmboden, sticht das Fernsehgerät dann besonders ins Auge.342

336 Weggel, 1990, 42 337 vgl. Tran Huu Quang, 2001, 186f. 338 vgl. Schindler, 1942, 138ff., zitiert in Meyen, 2001b 339 Meyen, 2001b, 112 340 Auch für die Deutschen in den 1950er Jahren stand das Fernsehgerät ganz weit oben auf der Anschaffungsliste, oft sogar vor Möbeln und anderen Haushaltsgegenständen, vgl. Wildt, 1994, 52 341 vgl TNS MHS, 2003, 131 342 Gesehen in einem Dorf etwa 200 Kilometer von Hanoi am 31.01.2004. Dieser Haushalt war durchaus typisch für das ländliche Vietnam. Trotz der einfachen Lebensverhältnisse besaß die Familie ein modernes Fernsehgerät, auf dem, für die Dauer des Besuches, VTV3 lief, der Sender, der in Vietnam auf Unterhaltungsprogramme spezialisiert ist.

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Aus dem TNS MHS geht außerdem hervor, dass man in Vietnam auch marken- und qualitätsbewusst konsumiert. 75,3%343 der Befragten stimmten dem Satz „I am willing to pay more for higher quality brands“ zu. 344 Gleichzeitig gaben immerhin 75,6%345 der Befragten an: „I like to use brands which show my success“.346 Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Sozialprestige in der vietnamesischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Die Befragungen für das TNS MHS ergaben außerdem, dass die Vietnamesen sehr technikbegeistert sind. Immerhin 66% stimmten der Aussage „I am comfortable and excited by new technology“ zu.347 Zur Zeit des Wirtschaftswunders war in Deutschland Ähnli- ches zu beobachten. Die technischen Neuerungen der Zeit entsprachen damals dem neuen Lebensge- fühl. „Wer wollte abseits stehen, wenn die Nachbarn Waschmaschine, Kühlschrank und Fernsehap- parat kauften, wer wollte nicht zeigen, dass er es auch zu etwas gebracht hatte?“ 348 Der wiederholte Vergleich der aktuellen Situation Vietnams mit der deutschen Nachkriegszeit ist durchaus begründet. Schließlich liegt das Ende des Krieges in Vietnam erst knapp 30 Jahre zurück und auch Vietnam hat mit dem 1986 beschlossenen Doi Moi-Prozess sein „kleines Wirtschaftswun- der“ erlebt. Erst ab diesem Zeitpunkt hat sich die äußerst schlechte wirtschaftliche Situation der Menschen, in dem durch Krieg und Misswirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogenem Land ver- bessert.349 Somit stellt das Fernsehen für die breite Bevölkerung heute noch eine Neuheit dar, was der Adaptionshypothese350 zufolge mit besonders intensiver Nutzung einhergeht. Insgesamt geht Peiser davon aus, dass das Radio vom Verdrängungseffekt durch die Einführung des Fernsehens stärker betroffen ist als die Zeitung, was sich durch den größeren funktionalen Unterschied zwi- schen Fernsehen und Zeitung erklären lässt.351 Doch in Vietnam hat, wie bereits gezeigt wurde, die Zeitung auch vor der Einführung des Fernsehens keine starke Verbreitung gefunden und kann des- halb nicht auf hohe Leserkapazitäten aus der „prätelevisuellen“ Ära zurückgreifen. Das Radio dage- gen musste auch in Vietnam schwere Einbußen durch die Einführung des Fernsehens hinnehmen. In Deutschland beanstandete das Institut für Demoskopie Ende der 1950er Jahre, dass das Radiopro- gramm „nicht ganz“352 den Bedürfnissen der Hörer entspräche. Dies scheint heute auch für Vietnam zu gelten. Doch das Radio fängt nun an, sich ein wenig mehr am Publikum zu orientieren. Dies geht aus der „Sida Performance Analysis“ hervor,353 die eine Modernisierung und Attraktivitätssteige- rung vor allem der vietnamesischen Lokalsender im Visier hat.

343 Strongly agree: 61,5%; Slightly agree: 23,8% 344 TNS MHS, 2003, 140 345 Strongly agree: 49,7%; Slightly agree: 25,9% 346 TNS MHS, 2003, 139 347 ebd. 142 348 Meyen, 2001b, 151 349 Der Doi Moi-Prozess wurde im Jahre 1986 auf der 6. Parteikonferenz der KPV schließlich nicht deshalb eingeführt, weil die politische Führung plötzlich ihre Liebe zu Kapitalismus und Marktwirtschaft entdeckt hatte, sondern letz- lich, weil man große Schwierigkeiten hatte, den Unterhalt der Bevölkerung zu sichern. 350 vgl. Peiser 1998 351 vgl. Peiser, 1998, 184f. 352 zitiert in Meyen, 2001b, 120 353 vgl. Elmqvist/Fredriksson, 2003, 15ff.

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5 Fazit und Ausblick Wie überall auf der Welt trägt das Fernsehen auch in Vietnam den „Sieg in Sachen Unterhaltung“ davon:354 „Television is an entertaining tool. This is absolutely true with VTV3 Channel where viewers have chances to enjoy well-watched sports, music, fashion, movies, TV shows and games...VTV3 is now...an indispensable part in the cultural and entertaining life of the Vietnamese people.“ 355 Das Fernsehen stellt ein billiges Freizeitvergnügen dar, zumal es in Vietnam, vom Preis für das Gerät abgesehen, kostenlos in Anspruch genommen werden kann und gerade auf dem Lande wenig Konkurrenz durch andere Zerstreuungsmöglichkeiten erfährt. Darüber hinaus entspricht die Möglichkeit der kollektiven Nutzung des Fernsehens dem gruppenorientierten Wesen der Vietname- sen mehr als die weitgehend individuelle Rezeptionsform der Zeitung. Die niedrige Zeitungsdichte in Vietnam ergibt sich vor allem aus der Strukturschwäche des Landes, die den Zeitungsvertrieb stark einschränkt. Dieses Defizit trifft in Vietnam auf eine hohe Bereit- schaft der Bevölkerung, sich trotz eines durchschnittlich sehr niedrigen Lebensstandards mit Fern- sehgeräten auszustatten. Der Fernseher stellt ein wichtiges Statussymbol dar, das von der Teilhabe seiner Besitzer am wirtschaftlichen Aufschwung, der seit dem Beginn des Doi Moi-Prozesses (1986) in Vietnam Einzug hält, zeugt. Trotz der in internationalen Statistiken verzeichneten gerin- gen Zeitungsdichte gibt es in Vietnam eine lebendige Presselandschaft mit derzeit etwa 642 erschei- nenden Titeln, deren Überleben am „Zeitungsmarkt“ bisher jedoch oft nur durch die starke staatli- che Lenkung und Subventionierung gewährleistet ist. Insgesamt lässt sich aber eine Zunahme der tatsächlichen Zeitungsverbreitung über die letzten Jahre feststellen. Diese ist nicht nur in direktem Zusammenhang mit der Strukturverbesserung des Landes und seiner langsam fortschreitenden Ur- banisierung zu sehen, sondern auch mit einer zunehmenden inhaltlichen Leserorientierung, die auf- grund von scharfen Kürzungen der staatlichen Mediensubventionen nötig wurde. Die Recherchen vor Ort führten zu einer Neuberechnung der Zeitungsdichte Vietnams, die auf der Basis von Zahlen des Ministry of Culture and Information (MoCI) aus dem Jahr 2000 erfolgte. Der Berechnung zufolge hat sich die Zeitungsdichte über die letzten zehn Jahre auf einen Wert von knapp 16 Exemplaren/1.000 Einwohner vervierfacht. Diese Entwicklung erfolgte parallel zu den Modernisierungs- und Urbanisierungstendenzen des Landes, das seit Mitte der 1980er Jahre einen Kurs der wirtschaftlichen Öffnung (Doi Moi) forciert und damit einen Anstieg des Lebensstandards und des Bildungsniveaus erlebt. Für eine starke Korrelation zwischen Urbanisierung bzw. Moderni- sierung und Zeitungslektüre spricht auch die enorme Diskrepanz, betrachtet man die Zeitungsdichte in städtischen und ländlichen Gebieten getrennt voneinander. Ausgehend von der Tatsache, dass etwa 93% der Zeitungen in den Städten Vietnams zirkulieren, ergibt sich für urbane Gebiete (in denen ca 25% der 80 Mio. Vietnamesen leben) eine Zeitungsdichte von knapp 60 Exempla- ren/1.000 Einwohner. In ruralen Regionen ist die Zeitungsdichte mit 1,5 Exemplaren verschwin- dend gering. Der stark determinierende Charakter des Faktors Urbanisierung für die Mediennutzung konnte somit in dieser explorativen Untersuchung bestätigt werden.

354 Noelle-Neumann, 1986, 34 355 VTV-Broschüre, 12

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Letztlich ist aber auch die aktualisierte landesweite Zeitungsdichte von rund 16 Exemplaren/1.000 Einwohner relativ niedrig. Die Zeitungsdichte spiegelt laut Definition die Verbreitung der generalisti- schen Tagespresse eines Landes als Quelle politischer Informationen wider. In Vietnam sind es jedoch hauptsächlich Zeitschriften und Magazine, die vom Modernisierungsprozess und der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation profitieren. In diesem Bereich des Printmarktes könnte man nahezu von einer Explosion der Titel sprechen. Mittlerweile sollen dem MoCI zufolge immerhin 333 Zeitschriften und Magazine existieren. Vor dem Hintergrund der zunehmenden finanziellen Selbstverantwortlich- keit im Mediensektor, bedingt durch eine drastische Kürzung der Staatssubventionen, muss diesem Angebot auch eine entsprechende Nachfrage der Bevölkerung gegenüberstehen. Vor allem Sensati- ons- oder Boulevardblätter, wie die von der Polizei von Chi Minh Stadt herausgegebene Cong An, erfreuen sich besonderer Beliebtheit, aber auch Frauenzeitschriften finden ihre Leserinnen. So scheint, neben dem Fernsehen auch die Zeitungslektüre hauptsächlich von Unterhaltungsinteressen gesteuert zu sein. Das vietnamesische Fernsehprogramm bietet keine Boulevardformate, die über Verbrechen und Unglücksfälle berichten würden. Zeitungen wie Cong An werden womöglich deshalb so stark genutzt, weil sie eine thematische „Marktlücke“ schließen, die das Fernsehen offen lässt. Da Informationsmonopole aufgrund von Glaubwürdigkeitsdefiziten zu Politikverdrossenheit führen können, wird in Vietnam die Verbreitung von Tageszeitungen als Quelle politischer Informationen womöglich durch die starke staatliche Medienlenkung und inhaltliche Einflussnahme limitiert. Gleichzeitig bekommt die Zeitung in ihrer Funktion als Quelle für Lokalinformationen in Vietnam scharfe Konkurrenz durch eine in Kultur und Gesellschaft tief verwurzelte mündliche Kommunikati- onstradition. Zwar ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Verstädterung auch in Vietnam der Stellenwert von medialer Kommunikation zunehmen wird, doch womöglich bilden sich gerade auf dem Land derzeit Rezeptionsmuster und Gewohnheiten heraus, die dem Medium Fernsehen auch in Zukunft seinen konkurrenzlosen Stellenwert sichern werden. Aus dem Kapitel über soziokulturelle Faktoren gingen außerdem historische Gründe hervor, die der Nutzung von elektronischen Medien Vorschub leisteten und somit zu Rezeptionsmustern geführt haben, in denen elektronische Medien die zentrale Rolle spielen. Trotz dieses Vorsprungs scheint das Radio derzeit der Verlierer im Wettstreit der Medien zu sein. Der Hörfunk Voice of Vietnam (VoV) leidet stark unter der Konkurrenz des Fern- sehens und hat nur mehr in ländlichen Regionen einen gewissen Stellenwert. Das aktuelle Radioange- bot ist für einen Großteil der vietnamesischen Rezipienten nicht attraktiv genug: „There is a common feeling at VoV that the radio needs to be renewed and come closer to their listeners, and surveys are being made in order to assess the interests for new programs. Radio programs like the “Window of Love“, where young people can phone-in and ask questions about love and relations, are seen as a good format for new programs, as well as traffic information, more drama and educational programs such as “economic on air“ with programs for small entrepreneurs combined with local courses. Less popular programs like the weekly summary of domestic news have no future in the up grading of VoV and there will be more live broadcasting.“ 356

356 Elmqvist/Fredriksson, 2003, 17

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Womöglich könnten aber gerade von diesem, heute als besonders statisch und unattraktiv empfun- denen Medienangebot, in Zukunft die fortschrittlichsten Impulse für Publikumsorientierung und Nutzungsforschung ausgehen. Der Hörfunk in Vietnam ist bemüht, den Rückstand in der Beliebt- heit beim Publikum aufzuholen. Dies soll vor allem durch eine gezielte interne Erneuerung gesche- hen: „University graduates are continually recruited directly from the university, as they can use computers, know foreign languages and are willing to try new ideas...New youth editorial offices will be established in conjunction with universities and school.“ 357 Trotz der schwachen Position des Radios in der Nutzergunst lässt sich die Vermutung, das Internet wäre in den Städten schon wichtiger als das Radio, aufgrund der noch relativ kleinen Internetnutzer- gemeinde nur schwer untermauern. Doch mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich diese Einschät- zung in naher Zukunft bewahrheiten, falls das Radio es nicht schaffen sollte, künftig auch für das urbane Publikum ein interessantes und zielgruppenorientierteres Programm anzubieten. Dennoch lässt sich sagen, dass bei den Rezipienten, die das Internet regelmäßig nutzen (vor allem junge Städ- ter), dieses neue Medium bereits einen höheren Stellenwert einnimmt als der Hörfunk. „The radio faces tough competition from TV and Internet“, heißt es auch in der „Sida Performance Analy- sis“.358 Das Internet hat für die Nutzer, die Zugang dazu haben, seit seiner öffentlichen Einführung im Jahr 1997 rasch an Bedeutung gewonnen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Internet dient nicht nur als Quelle für unabhängigere Informationen, sondern es stellt gleichzeitig ein preiswertes Kommunikationsmittel als Alternative zum Telefon dar. Ferner bieten Internetcafes ein relativ billi- ges Freizeitvergnügen und einen Rückzugsraum hauptsächlich für Jugendliche. Abschließend lässt sich festhalten, dass die anfänglich präsentierte Skizze der Mediennutzung in Vietnam weitgehend bestätigt werden konnte. Aufgrund der in Stadt und Provinz stark unterschied- lichen Strukturgegebenheiten und Lebensstile ist kein einheitliches Bild zu zeichnen. Während das Fernsehen sowohl im urbanen als auch im ruralen Vietnam das am stärksten genutzte Medium dar- stellt, folgen in der Stadt zunächst die Printmedien, gefolgt vom Internet, während das Radio dort eine verschwindende Rolle spielt. Auf dem Lande aber steht immer noch das Radio an zweiter stelle im Wettbewerb der Medien untereinander, während Zeitungen und das Internet bei der Mediennut- zung aktuell noch kaum ins Gewicht fallen. Die sehr niedrige Zeitungsdichte von 4 Exemplaren/1.000 Einwohner, die den Ausgangspunkt die- ser Beitrag darstellte, ist heute jedoch bereits viermal so hoch einzuschätzen. Vor allem in den urba- nen Zonen nähert sie sich mit etwa 60 Exemplaren/1.000 Einwohner einem südeuropäischen Level (Griechenland: 78 Exemplare/1.000 Einwohner).359 Auf dem Land dagegen ist die Zeitungsdichte weiterhin extrem gering. Dies erklärt sich, wie gezeigt wurde, hauptsächlich durch strukturelle Prob- leme und kulturelle Merkmale der vietnamesischen Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist anzu- nehmen, dass die Zeitungsverbreitung in Vietnam mit fortschreitender Urbanisierung in den nächs- ten Jahren noch steigen wird.

357 ebd. 358 ebd. 359 vgl. Gustafsson/Weibull, 1997, 225

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290 Mediennutzung in Vietnam

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291 Schriftenreihe der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft

Band 1 Charlotte Veit: Randnotizen aus Kambodscha. Die Auslandsberichterstattung in der Bundesrepublik Deutschland über die Ereignisse nach dem Sturz des Pol-Pot-Regimes 1979. Eine Untersuchung der Berichterstattung in Süddeut- sche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und Stern. 98 Seiten. ISBN 978-3-9811860-0-0. EUR 15,00

Band 2 Martin Ritter (Hrsg.): Medien und Transformation in Südostasien. Fallstudien zu Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam. 292 Seiten. ISBN 978-3-9811860-1-7. EUR 30,00

Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft Schriftenreihe der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft e.V.

Band 2 – Medien und Transformation in Südostasien

Das europäische Klischee Südostasiens ist geprägt von einerseits den Eindrücken aus exotischen Urlaubsparadiesen, von den Bildern des zerstörerischen Tsunami sowie den gigantischen Zwillingstürmen der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur und andererseits von pittoresker Armut in Laos, Kambodscha und Vietnam. Folgt man den Medienfrei- heitsanalysen von Freedom House und Reporter ohne Grenzen ist es um die journalistische Freiheit in dieser heterogenen Region schlecht bestellt. Dies verdeutlicht ein auf „niedrigem Niveau“ angesiedeltes Kontinuum, das am einen Ende bei Selbstzensur und nahezu dogmatischen Redaktionsvorgaben einsetzt und bis zu Gewalt und Mord an Journalisten reicht. Das sich „Medien-Alltag“ jedoch nicht ausschließlich mit starren Vorgaben messen lässt, das Handlungsmuster jenseits des Mainstreams vorstellbar sind, dies will dieser Sammelband exemplarisch zeigen.

Martin Ritter studierte an der TU-Ilmenau „Abgewandte Medienwissenschaft“ und arbeite im Anschluss als Bürger- rundfunkreferent bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). Das Projekt „Medien und Demokratisierung in Kambo- dscha“ der Thüringisch-Kambodschanischen Gesellschaft e.V. (TKG) ermöglichte mehrere Forschungsaufenthalte in Phnom Penh. Von 2006-2008 war der Autor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich „Internationale Kommunikation“ angestellt. Forschungsschwerpunkt bildeten die Mediensysteme Asiens. Seit 2008 arbeitet Martin Ritter als Referent für Bürgerrundfunk, Lokalrundfunk und Medien- standort bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM).

ISBN 978-3-9811860-1-7 30,00 EUR (D) 32,00 EUR (A) 9 783981 186017 46,00 SFr (CH)